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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 30.03.2004
Aktenzeichen: 12 TG 517/04
Rechtsgebiete: ArGV, AuslG


Vorschriften:

ArGV § 5 Nr. 5
AuslG § 56 Abs. 3 S. 2
Ein Erwerbsverbot als Auflage in einer Duldungsbescheinigung erweist sich jedenfalls dann als ermessensfehlerhaft, wenn es mit einer Verletzung der Mitwirkungspflicht bei der Beschaffung von Ausreisepapieren begründet wird, der Betroffene aber an mehreren Versuchen der Beschaffung von Ausreisepapieren bereits ohne weiteres mitgewirkt hat und nicht feststeht, dass die nunmehr erwartete Mitwirkungshandlung überhaupt erfüllbar ist.
Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss

12 TG 517/04

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Ausländerrechts

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 12. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Prof. Dr. Renner, Richterin am Hess. VGH Thürmer, Richter am Hess. VGH Dr. Dieterich

am 30. März 2004 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Kassel vom 4. Februar 2004 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Auflage des Erwerbsverbots in den Duldungsbescheinigungen seit dem 6. November 2002 angeordnet.

Der Antragsgegner hat - unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses auch insoweit - die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.000,-- € festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde ist zulässig (§§ 146 Abs. 1 und 4, 147 VwGO) und begründet.

Aufgrund der gegen den verwaltungsgerichtlichen Beschluss vorgebrachten Einwände ist festzustellen, dass das Verwaltungsgericht zu Unrecht den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Auflage des Erwerbsverbots in den Duldungsbescheinigungen seit dem 6. November 2002 abgelehnt hat. Nach Maßgabe des Beschwerdevorbringens erweist sich das Verbot der Erwerbstätigkeit vielmehr als ermessensfehlerhaft. In dieser Situation überwiegt das private Interesse des Antragstellers, einer Erwerbstätigkeit nachgehen zu können.

Zu Recht ist das Verwaltungsgericht auf der Grundlage der Rechtsprechung des Senats (06.04.2001 - 12 TG 368/01 - EZAR 045 Nr. 19 = InfAuslR 2001, 378) zunächst davon ausgegangen, dass es sich bei dem einer Duldung beigefügten Verbot einer Erwerbstätigkeit um eine selbstständige Auflage handelt, die mit der Anfechtungsklage angegriffen werden kann, dass es sich insoweit um eine Maßnahme in der Verwaltungsvollstreckung handelt, bei der in Hessen ein Rechtsbehelf gemäß § 16 AGVwGO keine aufschiebende Wirkung entfaltet und ferner, dass vorläufiger Rechtsschutz gegen ein derartiges Erwerbsverbot nach Maßgabe des § 80 Abs. 5 VwGO statthaft ist.

Ebenfalls zu Recht und entgegen der Auffassung der Beschwerde hat das Verwaltungsgericht die angegriffene Nebenbestimmung auch für formell rechtmäßig gehalten. Ausweislich eines Vermerks in der Ausländerakte vom 22. Oktober 2003 ist der Antragsteller zu der Absicht, eine bisher erlaubte Erwerbstätigkeit nicht weiter zu gestatten, gemäß § 28 HVwVfG angehört worden. Das Fehlen einer schriftlichen Begründung für die Erteilung der Nebenbestimmung ist - wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - unbeachtlich geworden, nachdem die erforderliche Begründung im Antragserwiderungsschriftsatz des vorliegenden Rechtsschutzverfahrens vor Erteilung eines Widerspruchsbescheides nachgeholt worden ist (§ 45 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2 HVwVfG). Die Vorschrift des § 114 VwGO, auf die die Beschwerde hinweist, findet dagegen erst nach Abschluss des Vorverfahrens im gerichtlichen Hauptsacheverfahren hinsichtlich der Überprüfung der Begründung für eine Ermessensentscheidung Anwendung.

Die von der Ausländerbehörde gegebene Begründung für die Beifügung eines Verbots der Erwerbstätigkeit als Auflage zu der dem Antragsteller erteilten Duldung (§ 56 Abs. 3 Satz 2 AuslG) erweist sich jedoch als ermessensfehlerhaft. Zwar kann grundsätzlich ermessensfehlerfrei ein solches Verbot als Nebenbestimmung einer Duldung beigefügt werden, wenn der Ausländer, der eine Duldung besitzt, diejenigen Gründe, aus denen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, selbst zu vertreten hat (Hess. VGH, 06.04.2001 - 12 TG 368/01 -, a.a.O.). Denn hierfür kann angeführt werden, dass so eine Übereinstimmung von arbeitserlaubnisrechtlichen mit aufenthaltsrechtlichen Vorschriften hergestellt wird. Nach § 5 Nr. 5 Arbeitsgenehmigungsverordnung vom 17. September 1998 (BGBl. I S. 2899) ist - im Gegensatz zur früheren Rechtslage - die Möglichkeit der Erteilung einer Arbeitsgenehmigung abweichend von § 284 Abs. 5 SGB III im Wege des Ermessens dann ausgeschlossen, wenn bei Ausländern, die eine Duldung besitzen, aufenthaltsbeendende Maßnahmen aus von diesen zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden können. Wenn die Ausländerbehörden aufenthaltsrechtlich die Konsequenzen aus der arbeitsgenehmigungsrechtlichen Lage ziehen, so wird hierdurch erreicht, dass nicht die Arbeitsgenehmigungsbehörden, sondern die insoweit in erster Linie sachkundigen Ausländerbehörden die Beurteilung vornehmen, ob ausreisepflichtige Ausländer die Gründe für die Unmöglichkeit des Vollzugs aufenthaltsbeendender Maßnahmen selbst zu vertreten haben (Hess. VGH, a.a.O.).

Vorliegend erweist sich die Erteilung der neuen Auflage aber deshalb als rechtswidrig, weil nicht feststeht, dass die dem Antragsteller angesonnene Mitwirkungsverpflichtung konkret genug und überhaupt erfüllbar ist. Denn es stellt keine Ausübung sachgemäßen Ermessens dar, Sanktionen an die Verletzung von Mitwirkungspflichten anzuknüpfen, wenn die Erfüllbarkeit der verlangten Mitwirkungshandlungen nicht feststeht. Dies stellt eine Ausprägung des allgemeinen Grundsatzes dar, dass Unmögliches von niemandem verlangt werden kann.

Dem Antragsteller wird vorgehalten, seine Identität zu verschleiern, weil er in Wirklichkeit nicht aserbaidschanischer, sondern armenischer Staatsangehöriger sei, und es wird von ihm verlangt, seine wahre Identität preiszugeben. Hierbei geht die Ausländerbehörde davon aus, dass die vom Auswärtigen Amt immerhin als echt bezeichnete Geburtsurkunde, die den Antragsteller als aserbaidschanischen Staatsangehörigen ausweist, nicht tatsächlich dem Antragsteller gehöre, sondern dieser in Wirklichkeit einen anderen Namen trage. Die Ausländerbehörde hatte den Antragsteller zuvor bereits zwei Mal aufgefordert, mit einem Mitarbeiter der Behörde zur Botschaft der aserbaidschanischen Republik nach Berlin zu fahren und dort wegen der Ausstellung von Reisedokumenten vorzusprechen. Beiden hier von ihm verlangten Mitwirkungshandlungen war der Antragsteller ohne weiteres nachgekommen. Nachdem die aserbaidschanische Botschaft sich auf den Standpunkt gestellt hatte, beim Antragsteller handele es sich um einen Armenier und deshalb komme die Ausstellung von Rückreisepapieren nach Aserbaidschan nicht in Betracht, war der Antragsteller aufgefordert worden, zusammen mit einem Mitarbeiter der Ausländerbehörde zur armenischen Botschaft nach Berlin zu fahren. Auch diesem Mitwirkungsbegehren ist der Antragsteller nachgekommen; ob die armenischen Behörden eine armenische Staatsangehörigkeit des Antragstellers feststellen können, wird derzeit offenbar noch geprüft. Eine weitere konkret erfüllbare Mitwirkungshandlung ist vom Antragsteller nicht verlangt und nicht verweigert worden. Auch wenn aufgrund der Bewertung des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und des Verwaltungsgerichts Kassel im Asylverfahren des Antragstellers erhebliche Zweifel an der Darstellung des Antragstellers bestehen sollten, er habe 28 Jahre in Baku (Aserbaidschan) gelebt und sei aserbaidschanischer Staatsangehöriger, so steht jedenfalls nicht fest, dass der Antragsteller eine andere Identität hat und ihm deswegen erfüllbar als Mitwirkungsverpflichtung die Preisgabe dieser Identität aufgegeben werden kann. Aus der beim Antragsteller zum Zwecke der möglichen Auffindung von Unterlagen über seine Identität angeordneten Hausdurchsuchung sind im Übrigen ausweislich der Ausländerakte (Bl. 140 ff.) auch Unterlagen gefunden worden, die durchaus auf einen Bezug zu Aserbaidschan hindeuten könnten (siehe besonders Bl. 142 Ausländerakte: offenbar aserbaidschanische Geldscheine, offenbar aserbaidschanisches Autokennzeichen). Ob die weiter gefundenen Unterlagen über Baku tatsächlich - wie die Ausländerbehörde meint - die Schlussfolgerung rechtfertigen, der Antragsteller wolle sich nachträglich Wissen über Baku und Aserbeidschan aneignen oder ob aus diesen Unterlagen nicht auch der Schluss gezogen werden könnte, der Antragsteller habe tatsächlich - wie er durchgängig in seinem Asylverfahren angegeben hat - in Baku gelebt, spielt für die Entscheidung im vorliegenden Verfahren keine Rolle.

Die Entscheidung über die Kosten und den Streitwert des Beschwerdeverfahrens ergeben sich aus § 154 Abs. 2 VwGO und §§ 13 Abs. 1, 20 Abs. 3 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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