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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 18.12.2001
Aktenzeichen: 12 TZ 3009/01
Rechtsgebiete: VwGO, AuslG, Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 EWG/Türkei


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 5
AuslG § 69 Abs. 3
Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 EWG/Türkei Art. 6
Der Fortbestand des assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts eines türkischen Arbeitnehmers aufgrund mehr als dreijähriger ordnungsgemäßer Beschäftigung bei demselben Arbeitgeber wird nicht dadurch beendet, dass der Arbeitnehmer die Verlängerung der ursprünglich zum Zwecke des Zusammenlebens mit seiner deutschen Ehefrau erteilten Aufenthaltserlaubnis verspätet beantragt und seine Erwerbstätigkeit im Hinblick auf das Fehlen eines förmlichen Aufenthaltstitels zunächst nicht fortsetzt.
Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss

12 TZ 3009/01 12 TG 3211/01

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Ausländerrechts

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 12. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Dr. Renner, Richter am Hess. VGH Kohlstädt, Richterin am Hess. VGH Thürmer

am 18. Dezember 2001 beschlossen:

Tenor:

Auf den Antrag des Antragstellers wird die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 26. Oktober 2001 zugelassen. Das Verfahren wird als Beschwerdeverfahren unter dem Aktenzeichen 12 TG 3211/01 fortgesetzt.

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 26. Oktober 2001 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die ausländerbehördliche Verfügung vom 2. März 1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Darmstadt vom 29. Juni 2001 angeordnet.

Die Antragsgegnerin hat unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses auch insoweit die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 4.000,-- DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller hat nach seiner Einreise am 1. September 1989 erfolglos um Asyl nachgesucht und nach der am 19. Juli 1995 während des Asylverfahrens erfolgten Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen am 1. November 1995 eine drei Jahre gültige Aufenthaltserlaubnis erhalten. Diese Aufenthaltserlaubnis wurde nach Bekanntwerden der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft mit ausländerbehördlicher Verfügung vom 23. April 1998 nachträglich zum 15. Mai 1998 zeitlich beschränkt. Den am 23. November 1998 gestellten Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis lehnte die Ausländerbehörde der Antragsgegnerin mit Verfügung vom 2. März 1999 ab und drohte dem Antragsteller die Abschiebung in die Türkei nach Ablauf der auf drei Monate festgesetzten Ausreisefrist an. Die Widersprüche des Antragstellers gegen beide Verfügungen wurden mit Bescheid des Regierungspräsidiums Darmstadt vom 29. Juni 2001 zurückgewiesen. Die hiergegen am 19. Juli 2001 erhobene Klage ist beim Verwaltungsgericht Frankfurt am Main anhängig (13 E 2931/01).

Den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Verfügung vom 2. März 1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 29. Juni 1999 hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 26. Oktober 2001 hinsichtlich der Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung als unstatthaft und hinsichtlich der Abschiebungsandrohung als unbegründet abgelehnt.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist er fristgerecht gestellt und begründet worden (§ 146 Abs. 5 VwGO). Der Antrag ist auch begründet; denn mit ihm ist zu Recht geltend gemacht, dass die Beschwerde gemäß § 146 Abs. 4 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen ist, weil ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung bestehen.

Mit Rücksicht auf die besondere Eilbedürftigkeit des Beschwerdeverfahrens - der Antragsteller und Beschwerdeführer soll heute gegen Abend in die Türkei abgeschoben werden - entscheidet der Senat über die Beschwerde des Antragstellers unmittelbar nach deren Zulassung.

Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig und begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hinsichtlich der Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zu Unrecht als nach § 80 Abs. 5 VwGO unstatthaft und hinsichtlich der Abschiebungsandrohung zu Unrecht als unbegründet angesehen.

Die Versagung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und die Abschiebungsandrohung sind entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts offensichtlich rechtswidrig, und im Hinblick darauf rechtfertigen es öffentliche Belange unter Berücksichtigung der hier gegebenen persönlichen Verhältnisse nicht, den Rechtsschutzanspruch des Antragstellers einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten (BVerfG, 21.03.1985 - 2 BvR 1642/83 -, BVerfGE 69, 220 = EZAR 622 Nr. 1; BVerfG - Kammer -, 12.09.1995 - 2 BvR 1179/95 -; Hess. VGH, 22.09.1988 - 12 TH 836/88 -, EZAR 622 Nr. 6 = InfAuslR 1989, 14). Dabei ist hinsichtlich der Aufenthaltserlaubnis zugrunde gelegt, dass der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz an ein fiktives Aufenthaltsrecht nach § 69 Abs. 3 AuslG anknüpft und sich auf eine vorläufige Aussetzung der Vollziehung richtet und nicht auf eine Verlängerung der Fiktion (Hess. VGH, 30.03.1998 - 12 TZ 994/98 -; Hess. VGH, 26.03.1998 - 6 TZ 4017/97 -; OVG Hamburg, 12.01.1996 - Bs V 4/96 -, EZAR 622 Nr. 27 = NVwZ-RR 1996, 109).

Zu Recht hat das Verwaltungsgericht den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz, obwohl er sich formell auch auf den ausländerbehördlichen Bescheid vom 23. April 1999 bezog, auf den ausländerbehördlichen Bescheid vom 2. März 1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 29. Juni 1999 beschränkt; denn die Klage des Antragstellers gegen die nachträgliche Befristung der Aufenthaltserlaubnis durch die Verfügung vom 23. April 1999 entfaltet nach dem Grundsatz des § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung, da der Suspensiveffekt nur hinsichtlich der Versagung der Erteilung oder Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung ausgeschlossen ist (§ 72 Abs. 1 AuslG). Da die Ausländerbehörde die sofortige Vollziehung der Verfügung vom 23. April 1999 nicht angeordnet hat, hat die Klage des Antragstellers vom 18. Juli 2001 insofern aufschiebende Wirkung, ohne dass es einer gerichtlichen Entscheidung hierüber bedarf. Soweit die Ausländerbehörde trotz Klageerhebung rechtliche Folgerungen aus der nachträglichen Befristung der Aufenthaltserlaubnis zieht, bedarf es ebenfalls keiner gerichtlichen Entscheidung analog § 80 Abs. 5 VwGO über den Eintritt der aufschiebenden Wirkung; denn die Ausländerbehörde kann sich insoweit darauf stützen, dass die Klage unbeschadet ihrer aufschiebenden Wirkung die Wirksamkeit der nachträglichen Befristung unberührt lässt (§ 72 Abs. 2 Satz 1 AuslG). Daraus folgt insbesondere, dass der rechtmäßige Aufenthalt des Antragstellers aufgrund der am 1. November 1995 erteilten Aufenthaltserlaubnis aufgrund der Befristung mit Ablauf des 15. Mai 1998 beendet war und die dadurch bewirkte Unterbrechung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts nur dann nicht eingetreten ist, wenn entweder die nachträgliche Befristung auf die Anfechtungsklage hin rechtskräftig aufgehoben wird (§ 72 Abs. 2 Satz 2 AuslG) oder die Rechtmäßigkeit des weiteren Aufenthalts aufgrund vorrangigen Rechts festzustellen ist.

Der Senat ist an einer für den Antragsteller günstigen Entscheidung nicht dadurch gehindert, dass der im Juli 1999 gestellte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Verfügung vom 2. März 1999 bestandskräftig abgelehnt worden ist. Der beschließende Senat hat nämlich den Antrag auf Zulassung der Beschwerde gegen den vorläufigen Rechtsschutz versagenden Beschluss des VG Frankfurt am Main vom 30. September 1999 in erster Linie mit der Begründung abgelehnt, es bestünden erhebliche Bedenken am Fortbestehen eines Rechtsschutzbedürfnisses, da viel dafür spreche, dass der Antragsteller untergetaucht sei und sich verborgen halte und nicht gewillt und bereit sei, Rechtsschutz unter den im Prozessrecht normierten Voraussetzungen in Anspruch zu nehmen (28.02.2000 - 12 TZ 3182/99 -). Die nachfolgenden Ausführungen des beschließenden Senats waren daher für diesen Beschluss nicht tragend und binden den Senat folglich im vorliegenden Verfahren nicht.

Die Ablehnung vorläufigen Rechtsschutzes durch das Verwaltungsgericht beruht ebenso wie die Versagung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis durch Ausländerbehörde und Widerspruchsbehörde auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von den Voraussetzungen und der Wirkungsweise des assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts aufgrund Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei - ARB 1/80 -. Bei zutreffender Bewertung der individuellen Verhältnisse des Antragstellers stellt sich dessen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz infolge eines mehr als sechsmonatigen rechtmäßigen Aufenthalts (vgl. § 69 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AuslG) nach § 80 Abs. 5 VwGO als statthaft dar und spricht darüber hinaus sehr viel dafür, dass die Klage hinsichtlich der Versagung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis Erfolg haben wird.

Nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 haben türkische Arbeitnehmer bei Erfüllung der dort genannten Voraussetzungen nicht nur einen Anspruch auf Erneuerung der Arbeitserlaubnis, sondern diese Arbeitnehmer können darüber hinaus auch die Verlängerung ihres Aufenthaltsrechts verlangen, da dieses für die Fortsetzung der Beschäftigung unerlässlich ist. Ihnen steht mit der stufenweisen Zulassung zum Arbeitsmarkt des Aufenthaltsstaats implizit ein Aufenthaltsrecht zu. Während die Mitgliedstaaten aufgrund des ARB 1/80 nicht daran gehindert sind, den erstmaligen Zugang türkischer Staatsangehöriger zum Aufenthalt und zur Beschäftigung souverän zu regeln, sind sie bei der Entscheidung über eine weitere Beschäftigung und den damit verbundenen Aufenthalt im Rahmen von Art. 6 ARB 1/80 aufgrund unmittelbar wirkenden Assoziationsrechts gebunden. Die Verfestigung des Erwerbsaufenthalts nach Art. 6 ARB 1/80 tritt unabhängig davon ein, aus welchen Gründen dem türkischen Arbeitnehmer zunächst der Aufenthalt in dem Mitgliedstaat gestattet worden ist. So hat ein türkischer Arbeitnehmer, dem zunächst der Aufenthalt zum Zwecke des familiären Zusammenlebens mit seiner Ehefrau erlaubt worden ist, nach einer Beschäftigung von mehr als einem Jahr mit gültiger Arbeitserlaubnis bei demselben Arbeitgeber Anspruch auf Verlängerung seiner Arbeits- und seiner Aufenthaltserlaubnis selbst dann, wenn seine Ehe zu dem Zeitpunkt, in dem über den Verlängerungsantrag entschieden wird, nicht mehr besteht (EuGH, 16.12.1992 - C-237/91 -, EZAR 810 Nr. 7 = NVwZ 1993, 258 - Kus). Hat ein türkischer Staatsangehöriger während eines rechtmäßigen Aufenthalts im Zusammenhang mit der Führung einer ehelichen Lebensgemeinschaft aufgrund einer ordnungsgemäßen Beschäftigung die Rechte auf Fortsetzung der Arbeitstätigkeit und des Aufenthalts aufgrund von Art. 6 Abs. 1 1. Spiegelstrich ARB 1/80 erworben, dürfen ihm diese nicht mehr aufgrund nationaler Formvorschriften aberkannt werden. Die Mitgliedstaaten können von dem in ihrem Gebiet anwesenden Ausländer verlangen, dass sie eine gültige Aufenthaltserlaubnis besitzen und, wenn diese nur befristet erteilt worden ist, rechtzeitig ihre Verlängerung beantragen, und die Mitgliedstaaten dürfen für Verstöße gegen solche Obliegenheiten Sanktionen verhängen, die denen entsprechen, die bei geringfügigeren Zuwiderhandlungen von Inländern gelten; sie dürfen jedoch keine unverhältnismäßige Sanktion vorsehen, die eine Beeinträchtigung dieses Aufenthaltsrechts schaffen würde (EuGH, 16.03.2000 - C-329/97 -, EZAR 816 Nr. 5 = NVwZ 2000, 1277 - Ergat). Infolgedessen sind die Mitgliedstaaten nicht befugt, das dem türkischen Staatsangehörigen unmittelbar durch Gemeinschaftsrecht verliehene Recht auf freien Zugang zu jeder beruflichen Tätigkeit und das entsprechende Recht, sich zu diesem Zweck im Aufnahmeland aufzuhalten, dadurch zu beschränken, dass sie die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis mit der Begründung ablehnen, er habe sie verspätet beantragt. Diese Aussage hat der EuGH zwar in dem Fall eines türkischen Staatsangehörigen getroffen, der im Rahmen der Familienzusammenführung eingereist war, mehr als fünf Jahre ordnungsgemäß seinen Wohnsitz in dem Mitgliedstaat hatte und infolgedessen nach Art. 7 Satz 1 2. Spiegelstrich ARB 1/80 die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Zugangs zu jeder beruflichen Tätigkeit erworben hatte (s. Urteil Ergat). Ungeachtet der insoweit unterschiedlichen Fallgestaltung ist daraus aber der allgemeine Grundsatz abzuleiten, dass assoziationsrechtliche Aufenthaltsrechte nicht durch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis des Aufenthaltsmitgliedstaats begründet werden, sondern dem Begünstigten unmittelbar aufgrund des ARB 1/80 zustehen mit der Folge, dass der Aufenthaltserlaubnis hinsichtlich der Anerkennung des Aufenthaltsrechts nur eine deklaratorische Bedeutung und Beweisfunktion zukommt (so auch zusammenfassend Hailbronner, Immigration and Asylum Law and Policy of the European Union, 2000, S. 222 ff.; ders., demn. ZAR 2002, 7; Gutmann, Die Assoziationsfreizügigkeit türkischer Staatsangehöriger, 2. Aufl., 1999, S. 131 ff.; ders., demn. ZAR 2002, 22; jew. m.w.N.).

Soweit die drei Verfestigungsstufen des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 eine ordnungsgemäße Beschäftigung erfordern, ist eine gesicherte, und nicht nur vorläufige Position auf dem Arbeitsmarkt verlangt (EuGH, 16.12.1992, a.a.O.; EuGH, 20.09.1990 - C-192/89 -, EZAR 811 Nr. 11 = NVwZ 1991, 255 - Sevince; BVerwG, 24.01.1995 - 1 C 2.94 -, BVerwGE 97, 301 = EZAR 025 Nr. 12). Die Beschäftigung muss im Einklang mit den nationalen Vorschriften über Aufenthaltsgenehmigung, Arbeitsgenehmigung, Beschäftigung und Berufsausübung stehen (Renner, Ausländerrecht, 7. Auflage, 1999, § 2 AuslG Rdnr. 23). An einer gesicherten Stellung auf dem Arbeitsmarkt mangelt es vor allem bei einer vorübergehenden Gestattung des Aufenthalts für die Dauer des Verwaltungsverfahrens (EuGH, 20.09.1990, a.a.O.). Soweit ein türkischer Arbeitnehmer noch nicht ein Jahr bei demselben Arbeitgeber beschäftigt ist, setzt das Erreichen der ersten Verfestigungsstufe nach Art. 6 Abs. 1 1. Spiegelstrich ARB 1/80 voraus, dass der Arbeitnehmer rechtzeitig die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis beantragt, weil er sich sonst nicht "ordnungsgemäß" in Deutschland aufhält (dazu ausführlich Hess. VGH, 29.03.1995 - 12 TH 2856/94 -, EZAR 025 Nr. 13 = NVwZ-RR 1995, 470; so auch schon Hess. VGH, 06.02.1995 - 12 TH 3273/94 -, InfAuslR 1995, 191 m. Anm. Rittstieg für einen Fall innerhalb des ersten Beschäftigungsjahres; insoweit wohl missverstanden von Gutmann, a.a.O., S. 134 Fn. 563). Die Ordnungsgemäßheit des weiteren Aufenthalts hängt nur dann nicht von der Einhaltung von Antragsfristen und sonstigen Formvorschriften in dem Aufenthaltsmitgliedstaat ab, wenn der türkische Arbeitnehmer bereits ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht erworben hat, indem er bereits ein Jahr bei demselben Arbeitgeber beschäftigt ist und dort weiter über einen Arbeitsplatz verfügt, oder wenn er bereits drei Jahre ordnungsgemäß bei demselben Arbeitgeber beschäftigt ist (Art. 6 Abs. 1 2. Spiegelstrich ARB 1/80) oder wenn er gar länger als vier Jahre ordnungsgemäß in dem Aufenthaltsmitgliedstaat beschäftigt ist (Art. 6 Abs. 1 3. Spiegelstrich ARB 1/80).

Zutreffend haben Ausländerbehörde- und Widerspruchsbehörde angenommen, dass der Aufenthalt des Antragstellers jedenfalls seit 1. November 1995 aufgrund der damals erteilten ehebezogenen Aufenthaltserlaubnis ordnungsgemäß war. Da der Antragsteller seine Beschäftigung als Obstverkäufer erst am 4. Januar 1996 aufgenommen hat, kommt es insoweit nicht darauf an, dass er die Ehe mit der deutschen Staatsangehörigen bereits am 19. Juli 1995 geschlossen hatte und das vorangegangene Asylverfahren am 4. September 1995 rechtskräftig negativ abgeschlossen wurde. Für die Ordnungsgemäßheit des weiteren Aufenthalts ist es unerheblich, dass der Antragsteller nach Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft mit seiner deutschen Ehefrau seinen Aufenthalt zu einem anderen Zweck, nämlich ausschließlich zum Zweck der Erwerbstätigkeit fortsetzen wollte und dem entsprechend auch seinen Verlängerungsantrag vom 20. November 1998 auf den Aufenthaltszweck "Arbeit" gestützt hat (zur Frage des Zweckwechsels vgl. auch Nr. 1.6.2 Satz 3 der Allgemeinen Anwendungshinweise zum ARB 1/80 - AAH - ARB 1/80 -; Text in EZAR 10.1 und in Renner, Verwaltungsvorschriften zum Staatsangehörigkeits- und zum Ausländerrecht, 2001, S. 543 ff.). Auf eine ordnungsgemäße Beschäftigung kann sich ein türkischer Arbeitnehmer zwar dann nicht berufen, wenn er die Erlaubnis zum Aufenthalt und zur Beschäftigung durch vorsätzliche Täuschung erwirkt hat, weil er dann eine gesicherte aufenthaltsrechtliche Position nicht erwerben konnte (EuGH, 05.06.1997 - C-285/95 -, EZAR 811 Nr. 32 = InfAuslR 1997, 338 - Kol; Nr. 2.3.3 AAH - ARB 1/80). Dieser Einwand kann dem Antragsteller aber nicht mit Erfolg entgegengehalten werden. Die Ausländerbehörde hat die zeitliche Beschränkung der Aufenthaltserlaubnis mit Verfügung vom 23. April 1998 mit der Begründung vorgenommen, der Antragsteller habe die eheliche Lebensgemeinschaft mit seiner Ehefrau aufgegeben und die Gründe für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis seien entfallen, da der Antragsteller nicht mehr in einer ehelichen Lebensgemeinschaft lebe. In dem Widerspruchsbescheid vom 29. Juni 2001 ist dazu ausgeführt, der Antragsteller habe, wie die Ermittlungen ergeben hätten, mindestens seit 1. Mai 1997 dauerhaft von seiner deutschen Ehefrau getrennt gelebt. Nach alledem gibt es jedenfalls nach dem bisherigen Akteninhalt keine Anhaltspunkte für die Annahme, der Antragsteller könnte sich sein Aufenthaltsrecht dadurch erschlichen haben, dass er entgegen seinen Angaben gegenüber der Ausländerbehörde von Anfang an eine eheliche Lebensgemeinschaft mit seiner deutschen Ehefrau nicht geführt hat. Die hierauf hindeutende Bemerkung in der Verfügung vom 2. März 1999 (S. 2 Mitte) ist später nicht aufrecht erhalten worden.

Wie der Antragsteller unter anderem durch Vorlage von Versicherungsnachweisen und einer Arbeitgeberbescheinigung nachgewiesen und die Beklagte nicht in Abrede gestellt hat, war er von Januar 1996 bis Oktober 1999 bei ein und demselben Arbeitgeber auf der Grundlage der ihm erteilten ehebezogenen Aufenthaltserlaubnis und einer unbefristeten Arbeitserlaubnis beschäftigt. Obwohl die Aufenthaltserlaubnis mit Wirkung vom 15. Mai 1998 nachträglich befristet und sein Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ab 1. November 1998 abgelehnt worden war, ist es der Ausländerbehörde verwehrt, die nach diesen Zeitpunkten fortgesetzte Beschäftigung als nicht ordnungsgemäß zu werten, da der Antragsteller damals bereits ein assoziationsrechtliches Recht auf Fortsetzung des Aufenthalts und der Beschäftigung besaß. Nach Ablauf eines Jahres ordnungsgemäßer Beschäftigung war der Antragsteller nämlich aufgrund Art. 6 Abs. 1 1. Spiegelstrich ARB 1/80 dazu berechtigt, seine Arbeitnehmertätigkeit bei seinem damaligen Arbeitgeber fortzusetzen. Mit der zum 15. Mai 1998 vorgenommenen Befristung seiner Aufenthaltserlaubnis endete zwar das auf der ehelichen Lebensgemeinschaft beruhende Aufenthaltsrecht nach dem deutschen Ausländerrecht, hiervon blieb jedoch das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht unberührt. Der Fortbestand dieses Aufenthaltsrechts wurde insbesondere nicht dadurch gefährdet, dass es nicht förmlich festgehalten und insbesondere nicht im Zusammenhang mit der am 23. April 1998 vorgenommenen Befristung des nationalen Aufenthaltsrechts deklaratorisch verlautbart wurde. Nach alledem hat der Antragsteller, da er über drei Jahre bei demselben Arbeitgeber ordnungsgemäß beschäftigt war, nicht nur das Recht auf Fortsetzung dieser Beschäftigung, sondern auch das Recht erworben, in dem gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl tätig zu werden (Art. 6 Abs. 1 2. Spiegelstrich ARB 1/80). Dem Erwerb dieser assoziationsrechtlichen Position steht es nicht entgegen, dass der Antragsteller aufgrund der sofort wirksamen Befristung der ehebezogenen Aufenthaltserlaubnis vom 15. Mai 1998 eine formell gültige Aufenthaltserlaubnis nicht mehr besaß (vgl. EuGH, Urteil Ergat, a.a.O.).

Nach alledem trifft die in dem Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums wie auch in dem vorangegangenen Schreiben des Regierungspräsidiums vom 22. Mai 2001 an die Antragsgegnerin enthaltene Feststellung zu, dass dem Antragsteller nach Art. 6 Abs. 1 2. Spiegelstrich ARB 1/80 ein Aufenthaltsrecht zur Ausübung seiner Erwerbstätigkeit bei einem Arbeitgeber seiner Wahl zustand und ihm die Rechte aus dem ARB 1/80 nicht wegen der verspäteten Beantragung der Aufenthaltserlaubnis versagt werden dürfen. Zu Unrecht hat die Widerspruchsbehörde den Fortbestand des assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts des Antragstellers aber mit der Begründung verneint, der Antragsteller sei bereits seit Ende 1999 unbekannten Aufenthalts und im Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids untergetaucht und damit stehe fest, dass er entgegen seinen Behauptungen in keinem Arbeitsverhältnis mehr stehe und aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 keine Rechte mehr herleiten könne. Auch die Bescheinigung über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses könne hieran nichts ändern. Der Antragsteller zeige vielmehr über lange Zeiträume keinerlei Absicht, eine Erwerbstätigkeit auszuüben, die seiner vorherigen Tätigkeit entspreche. Dem ist entgegenzuhalten, dass der Antragsteller seit Versagung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis über keinen formellen Aufenthaltstitel mehr verfügte und er deshalb Gefahr lief, wegen illegaler Erwerbstätigkeit und unerlaubten Aufenthalts zur Rechenschaft gezogen und abgeschoben zu werden, wie der Abschiebungsversuch der Ausländerbehörde der Antragsgegnerin im Juni 2001 deutlich belegt. Unter diesen Umständen konnte dem Antragsteller nicht ohne Weiteres zugemutet werden, seine Arbeitnehmertätigkeit unter Berufung auf das ihm tatsächlich zustehende assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht fortzusetzen. Jedenfalls kann der Fortbestand dieses Aufenthaltsrechts nicht mit der Begründung in Abrede gestellt werden, der Antragsteller habe es aufgrund der rechtswidrigen Verfahrensweise der Ausländerbehörde tatsächlich nicht in Anspruch genommen.

Die Entscheidungen über die Kosten und den Streitwert des Beschwerdeverfahrens ergeben sich aus § 154 Abs. 1 VwGO und §§ 13 Abs. 1, 20 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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