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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 04.03.2002
Aktenzeichen: 12 UE 201/02
Rechtsgebiete: AuslG, HVwVfG


Vorschriften:

AuslG § 12 Abs. 2
AuslG § 17 Abs. 1
AuslG § 23 Abs. 1
AuslG § 44 Abs. 1
HVwVfG § 48
1. Die Aufenthaltserlaubnis für einen mit einer Deutschen verheirateten Ausländer kann mit Wirkung zum Zeitpunkt der letzten Verlängerung zurückgenommen werden, wenn nachträglich festgestellt wird, dass die Ehe damals schon geschieden war.

2. Im Rahmen der Ermessensentscheidung über die Rücknahme können die trotz langen Inlandsaufenthalts fortbestehenden Bindungen des Ausländers an den Heimatstaat berücksichtigt werden; das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts von Ausländern ohne Aufenthaltsrecht vermag die Rücknahme der Genehmigung in einem solchen Fall allein nicht zu rechtfertigen.


Hessischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes Urteil

12. Senat

12 UE 201/02

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen

Ausländerrechts

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 12. Senat - durch Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Dr. Renner, Richter am Hess. VGH Kohlstädt, Richter am Hess. VGH Univ.-Prof. Dr. Gornig, ehrenamtliche Richterin Dahms, ehrenamtliche Richterin Heckmann

ohne mündliche Verhandlung am 4. März 2002 für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird die Klage des Klägers gegen die ausländerbehördliche Verfügung vom 23. Juli 1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Gießen vom 10. Juli 2000 unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 12. Dezember 2000 abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird jedoch nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten abzuwenden, falls der Beklagte nicht zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der im Mai 1960 in B (Türkei) geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und reiste im April 1990 nach Deutschland ein, um hier ein Asylverfahren zu betreiben. Nachdem der Kläger dem Ordnungsamt P zunächst im Jahre 1991 die Absicht der Eheschließung mit einer in L wohnhaften deutschen Staatsangehörigen mitgeteilt hatte, erklärte er diesem Ordnungsamt gegenüber am 4. März 1992, er beabsichtige nunmehr, die Ehe mit der deutschen Staatsangehörigen K zu schließen, die er vor etwa drei Monaten in P kennengelernt habe und die in M wohnhaft sei. Nach der Eheschließung mit dieser Deutschen am 28. April 1992 nahm der Kläger die Asylklage im Mai 1992 zurück und sprach am 5. Juni 1992 bei der Ausländerbehörde P wegen der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vor. Als der Bedienstete der Ausländerbehörde auf der persönlichen Vorsprache der Ehefrau des Klägers bestand, gab dieser an, seine Ehefrau sei in dem PKW vor dem Dienstgebäude eingeschlafen, und verließ sodann das Büro der Ausländerbehörde mit der Erklärung, seine Ehefrau holen zu wollen, kehrte aber nicht dorthin zurück. Etwa eine Woche später erklärte der damalige Bevollmächtigte des Klägers telefonisch, der Ehefrau des Klägers könne nicht zugemutet werden, nach P zu kommen, weil sie in Süddeutschland wohne.

Auf einen am 8. Juli 1992 eingegangenen Antrag auf Erteilung einer ehebezogenen Aufenthaltserlaubnis erhielt der Kläger zunächst befristete Duldungen und auf einen erneuten Erlaubnisantrag vom 25. Oktober 1993 hin am 4. November 1993 eine auf ein Jahr befristete Aufenthaltserlaubnis. Aufgrund des Verlängerungsantrags vom 20. Oktober 1994 wurde an Hand von Meldeunterlagen festgestellt, dass die eheliche Lebensgemeinschaft nicht mehr bestand, gleichwohl wurde aber am 11. Januar 1995 die Aufenthaltserlaubnis bis 8. Januar 1997 verlängert. Nach einem (nicht datierten) Aktenvermerk über die Scheidung der Ehe am 28. Juni 1995 und ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Abs. 1 1. Gedankenstrich ARB 1/80 wurde die Aufenthaltserlaubnis sodann am 1. August 1995 bis 8. Januar 1997 verlängert. Mit dem Verlängerungsantrag vom 2. Januar 1997 gab der Kläger die Eheschließung mit seiner früheren türkischen Ehefrau am 22. November 1995 bekannt und erhielt daraufhin Bescheinigungen nach § 69 Abs. 3 AuslG und allem Anschein nach gleichzeitig am 8. Januar 1997 eine bis 8. Januar 1999 befristete Aufenthaltserlaubnis. Diese wurde dann auf den Verlängerungsantrag vom 20. November 1998 hin bis 7. Januar 2001 verlängert. Zwischenzeitlich hatte die Ausländerbehörde am 4. September 1996 einen Antrag des Klägers auf Abänderung der Auflage zur Aufenthaltserlaubnis mit dem Ziel, ihm eine selbstständige Tätigkeit als Bauunternehmer zu erlauben, abgelehnt.

Mit Verfügung vom 23. Juli 1999 nahm die Ausländerbehörde nach Anhörung des Klägers die am 8. Januar 1999 erteilte Aufenthaltserlaubnis rückwirkend zurück, ordnete die sofortige Vollziehung der Verfügung an und drohte dem Kläger die Abschiebung in die Türkei nach Ablauf der ihm gesetzten Ausreisefrist von einem Monat an. Zur Begründung ist ausgeführt, die Aufenthaltserlaubnis sei am 8. Januar 1999 verlängert worden, obwohl ein Anspruch auf Verlängerung nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 AuslG nicht bestanden habe, die Aufenthaltserlaubnis wegen strafrechtlicher Verurteilungen im Jahre 1997 nicht unbefristet habe verlängert werden können, ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 19 AuslG mangels Bestands der ehelichen Lebensgemeinschaft über mindestens vier Jahre hin und mangels einer außergewöhnlichen Härte nicht entstanden und eine Verlängerung aufgrund Art. 6 ARB 1/80 ebenfalls ausgeschlossen sei. Der hiergegen eingelegte Widerspruch des Klägers wurde mit Bescheid des Regierungspräsidiums Gießen vom 10. Juli 2000 mit der Begründung zurückgewiesen, die zuletzt erteilte Aufenthaltserlaubnis sei zu Recht mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden. Sie sei dadurch erwirkt worden, dass der Kläger in wesentlicher Beziehung unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht habe, da ihm habe klar sein müssen, dass Grundlage die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis die in Wirklichkeit nicht mehr bestehende Ehe mit seiner deutschen Ehefrau gewesen sei. Das Ermessen sei fehlerfrei ausgeübt, da es sich bei der Ehe mit der deutschen Staatsangehörigen K zweifelsfrei um eine Zweckehe gehandelt habe und diese vom Kläger geschlossen worden sei, um sich selbst sowie im Rahmen des Familiennachzugs seiner ersten Ehefrau und den gemeinsamen Kindern ein Aufenthaltsrecht in Deutschland zu verschaffen. Zudem könne es insbesondere aus Gründen der Zuwanderungsbegrenzung nicht hingenommen werden, dass sich Ausländer im Bundesgebiet aufhielten, denen eigentlich kein Aufenthaltsrecht zustehe.

Mit der hiergegen am 28. Juli 2000 erhobenen Klage hat der Kläger sein Aufenthaltsbegehren weiterverfolgt und geltend gemacht, er erfülle die Voraussetzungen der neu gefassten Vorschrift des § 19 AuslG, da es danach für ein eigenständiges Aufenthaltsrecht ausreiche, wenn die Ehe mehr als zwei Jahre bestanden habe. Im Übrigen habe er Vertrauensschutz. Er sei weit über 10 Jahre in Deutschland. Fehlerhafte Entscheidungen der Verwaltungsbehörde gehörten in deren Verantwortungssphäre und könnten nicht ihm angelastet werden. Öffentliche Mittel nehme er nicht in Anspruch.

Der Kläger hat beantragt,

die ausländerbehördliche Verfügung des Beklagten vom 23. Juli 1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Gießen vom 10. Juli 2000 aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat sich auf Ermessensgründe für die Rücknahme der Aufenthaltserlaubnis vom 8. Januar 1999 in der angegriffenen Verfügung und in dem Schriftsatz vom 15. November 1999 an das VG Wiesbaden in dem Eilverfahren 4 G 1171/99 berufen. Allein der zehnjährige Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet könne nicht entscheidend sein. Dieser Zeitraum sei ohnehin zu relativieren, da Zeiten für die Durchführung eines Asylverfahrens nicht den gleichen Stellenwert haben könnten wie von einer Aufenthaltsgenehmigung erfasste Zeiten. Abgesehen davon sei auch ein zehnjähriger Aufenthalt im Verhältnis zum Lebensalter des Klägers nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Dieser sei im Heimatland tief verwurzelt und habe dort überwiegend sein bisheriges Leben verbracht und dort eine Ehe eingegangen, aus der Kinder hervorgegangen seien.

Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit Urteil vom 12. Dezember 2000 stattgegeben, weil die Ermessensentscheidung über die Rücknahme der Aufenthaltserlaubnis an einem Ermessensfehlgebrauch leide. Die schutzwürdigen Belange des Klägers seien nämlich nicht ausreichend gewertet und berücksichtigt worden. Der Beklagte gehe bei seiner Argumentation einseitig davon aus, dass ein besonderes Interesse der Bundesrepublik daran bestehe, dass der Kläger die Bundesrepublik unverzüglich verlasse, weil ihm kein Aufenthaltsrecht zugestanden habe und Gründe der Zuwanderungsbegrenzung die Rücknahme rechtfertigten. Diese Rechtsauffassung des Beklagten führe letztlich dazu, dass kein Ermessen ausgeübt werde. Schutzwürdige Belange des Klägers würden im Widerspruchsbescheid auch deshalb verneint, weil auf Straftaten hingewiesen und insbesondere die Ehe mit der deutschen Staatsangehörigen als Zweckehe abgewertet werde. Letzteres sei offensichtlich unzutreffend; denn aus den Behördenakten ergäben sich zwar insoweit nicht näher belegte Verdachtsmomente, aber keine konkreten Anhaltspunkte. Ganz im Gegenteil: Aus dieser Ehe sei ein gemeinsames Kind hervorgegangen, was der Beklagte überhaupt nicht würdige. Allein der Hinweis auf Straftaten, die im Übrigen bei der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnisse bekannt gewesen und in diesem Zusammenhang nicht negativ bewertet worden seien, schließe eine Berufung des Klägers auf seine schutzwürdigen privaten Belange nicht aus. Der Kläger habe auch selbst keinerlei Anlass für die fehlerhafte Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gegeben. Er habe bei seinen Verlängerungsanträgen zutreffende Angaben gemacht. Bei ordnungsgemäßer Aktenbearbeitung hätte der Beklagte nicht davon ausgehen dürfen, dass der Kläger deutsch verheiratet sei. Angesichts seiner zutreffenden Angaben müsse sich der Kläger auch nicht vorhalten lassen, dass er die Rechtswidrigkeit der Aufenthaltserlaubnis gekannt habe. Er habe nicht einmal vermuten müssen, dass der Beklagte von einer Deutschverheiratung ausgegangen sei. Danach habe der Kläger auf den Bestand der Aufenthaltserlaubnis vom 8. Januar 1999 vertrauen und seine persönlichen Verhältnisse hierauf einrichten dürfen. Der Beklagte habe persönliche Verhältnisse des Klägers und Gründe in dessen Lebensführung, die für den Aufenthalt in Deutschland sprächen, überhaupt nicht erwähnt. Solche Gründe seien das in Deutschland lebende Kind aus der Ehe mit der deutschen Staatsangehörigen K und die Tatsache, dass sich der Kläger bereits über Jahre auf eine Lebensführung in Deutschland eingerichtet habe und sein Lebensmittelpunkt inzwischen in Deutschland sei.

Nach Zulassung der Berufung durch Beschluss des Senats vom 23. Januar 2002 (12 UZ 72/01) macht der Beklagte geltend, er habe umfassende Ermessenserwägungen angestellt und dargelegt. Zugespitzt könne es nur um eine Bewertung der Aufenthaltszeiten zwischen der Erteilung der Genehmigung im Januar 1999 und der Rücknahme im Mai 1999 gehen. Unklar bleibe, in welcher Weise das Vertrauen des Klägers seinen Niederschlag gefunden haben solle. Er habe im Januar 1999 damit rechnen müssen, keine weitere Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Eine nachhaltige Veränderung seiner Aufenthaltssituation sei zwischen Januar und Mai 1999 nicht zu verzeichnen. Gleichwohl sei der Gesamtaufenthalt des Klägers im Bundesgebiet mit seinen bisherigen Aufenthaltszeiten im Heimatland abgewogen worden. Schließlich habe der Kläger stets Kontakt zu seinem Heimatland aufrechterhalten. Er habe dort etwa 30 Jahre seines Lebens verbracht und habe dort seine Ehefrau mit drei Kindern. Zudem habe der Kläger Eingliederungsprobleme im Bundesgebiet gehabt und sei kontinuierlich strafrechtlich in Erscheinung getreten. Im Übrigen sei die eheliche Lebensgemeinschaft des Klägers mit seiner deutschen Ehefrau ohnehin nur von kurzer Dauer gewesen. Der Kläger habe im Jahre 1997 bei der Ausländerbehörde angegeben, die Ehewohnung bereits 1993 verlassen zu haben. Die Bemühungen, der ersten Ehefrau und den Kindern die Einreise nach Deutschland zu ermöglichen, seien zunächst im Rahmen von Asylverfahren, später durch die Beantragung der Familienzusammenführung erfolgt.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 12. Dezember 2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger hat zu der Berufung nicht Stellung genommen und erklärt, er habe die deutsche Staatsangehörige Gerlach geheiratet, diese sei schwanger von ihm und er befinde sich in der Türkei, um eine Aufenthaltserlaubnis zur Familienzusammenführung zu erhalten.

Beide Beteiligte haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten (VG Wiesbaden 4 E 1767/00, 4 G 1997/99 und 4 G 1171/99) und die den Kläger betreffenden Behördenakten der Ausländerbehörde (3 Bände) Bezug genommen, die allesamt Gegenstand der Beratung waren.

Entscheidungsgründe:

Über die Berufung kann im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die Berufung des Beklagten ist vom Senat zugelassen und auch sonst zulässig (§§ 124 Abs. 1 und 3, 124a Abs. 3 VwGO a. F.; § 194 Abs. 1 VwGO i. d. F. d. Ges. vom 20.12.2001, BGBl. I S. 3987). Sie ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Rücknahme der letzten Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis für den Kläger zu Unrecht als ermessensfehlerhaft aufgehoben; denn der ausländerbehördliche Bescheid vom 23. Juli 1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheids ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§§ 113 Abs. 1 Satz 1, 114 VwGO).

Die von der Ausländerbehörde verfügte Rücknahme der Aufenthaltserlaubnis mit Wirkung vom 8. Januar 1999, dem Zeitpunkt der letzten Verlängerung, ist grundsätzlich nach § 48 HVwVfG zulässig. Fehlt es von Anfang an bei der Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltsgenehmigung an einer wesentlichen Voraussetzung, kommt zwar eine nachträgliche Befristung nach § 12 Abs. 2 Satz 2 AuslG nicht in Betracht, weil diese nur für einen nachträglichen Fortfall einer wesentlichen Voraussetzung vorgesehen ist. Rechtsprechung und Schrifttum halten für diesen Fall aber fast übereinstimmend die Anwendung der landesrechtlichen Vorschriften über die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts für zulässig; die Rücknahme ist zwar als Grund für das Erlöschen einer Aufenthaltsgenehmigung in § 44 Abs. 1 AuslG nicht genannt, zur Ausfüllung dieser Lücke kann aber auf Landesrecht zurückgegriffen werden (BVerwG, 23.05.1995 - 1 C 3.94 -, BVerwGE 98, 298 = EZAR 019 Nr. 10; zum früheren Recht vgl. BVerwG, 23.03.1982 - 1 C 20.81 -, BVerwGE 65, 174 = EZAR 105 Nr. 11; VGH Baden-Württemberg, 21.11.2001 - 11 S 1822/01 - demn. EZAR 019 Nr. 13; VGH Baden-Württemberg, 11.01.1995 - A 13 S 2512/93 -, EZAR 019 Nr. 8 = NVwZ 1995, 720; OVG Hamburg, 17.04.1996 - Bs VI 56/95 -, EZAR 019 Nr. 11; Hess. VGH, 14.06.1996 - 12 TG 1590/96 -, EZAR 033 Nr. 9 = NVwZ-RR 1997, 192; Nachweise über das einschlägige Schrifttum bei Meyer, ZAR 2002, 13 in Fn. 31; so auch Nr. 44.1.0.1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Ausländergesetz vom 7. Juni 2000, GMBl. S. 618; abgedr. bei Renner, Verwaltungsvorschriften zum Staatsangehörigkeits- und zum Ausländerrecht, 2001, S. 53 ff.; a. A. Rittstieg, InfAuslR 1995, 354).

Es unterliegt keinem ernsthaften Zweifel und ist im Übrigen auch zwischen den Beteiligten nicht (mehr) umstritten, dass zumindest die letzte Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis vom 8. Januar 1999 bis 7. Januar 2001 rechtswidrig war, weil die Ehe des Klägers mit seiner ersten deutschen Ehefrau bereits am 28. Juni 1995 geschieden worden war und er die Voraussetzungen weder für ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 19 Abs. 1 AuslG noch für ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erfüllte. Dazu ist anzumerken, dass der in einem undatierten Aktenvermerk enthaltene Hinweis auf Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 ersichtlich jeder Grundlage entbehrte. Hinsichtlich eines eigenständigen Aufenthaltsrechts des Klägers als des ehemaligen Ehegatten einer Deutschen sei darauf hingewiesen, dass auf die damaligen Lebensverhältnisse des im Juni 1995 geschiedenen und schon zuvor getrennt von seiner damaligen Ehefrau lebenden Klägers die damals geltende Fassung von § 19 AuslG anzuwenden ist und die nachfolgenden Gesetzesänderungen (Ges. vom 29.10.1997 und vom 25.05.2000, BGBl. 1997 I 2584 und 2000 I 742) nicht zu berücksichtigen sind (vgl. Hess. VGH, 14.01.2002 - 12 TG 724/01 -, EZAR 023 Nr. 25 mwN, auch der insoweit abweichenden Judikatur; zustimmend auch VGH Baden-Württemberg, 21.11.2001, a.a.O.).

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts und des Klägers hat die Ausländerbehörde von dem ihr obliegenden Rücknahmeermessen in fehlerfreier Weise Gebrauch gemacht. Soweit die Verwaltungsbehörde zum Handel nach Ermessen ermächtigt ist, ist die rechtliche Prüfung des Senats darauf beschränkt, ob der angegriffene Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder die Ausländerbehörde von dem ihr eingeräumten und obliegenden Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (vgl. § 114 Satz 1 VwGO), wobei letztlich entscheidend die Ermessenserwägungen der Widerspruchsbehörde sind (vgl. § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Bei der Ermessensentscheidung über die Rücknahme einer Aufenthaltserlaubnis muss die Ausländerbehörde die öffentlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthalts des Ausländers einerseits und dessen private Belange andererseits abwägen und dabei die wesentlichen Umstände des Einzelfalls einschließlich der schützenswerten Interessen des Ausländers an einem weiteren Aufenthalt berücksichtigen und in diese Abwägung auch die in § 45 Abs. 2 AuslG aufgeführten Gesichtspunkte, die Grundrechte und die rechtsstaatlichen Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes einbeziehen (VGH Baden-Württemberg, 21.11.2001, a.a.O.). Nach Maßgabe dieser Grundsätze kann nicht festgestellt werden, dass die zuständigen Behörden das ihnen zustehende Ermessen nicht ausgeübt haben oder ihnen dabei Rechtsfehler unterlaufen sind.

Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts ergibt sich schon aus dem Ausgangbescheid und dem Widerspruchsbescheid, dass den Behörden die Notwendigkeit einer Ermessensentscheidung bewusst war. In beiden Bescheiden ist ausdrücklich auf die Möglichkeit und die Notwendigkeit der Ermessensausübung hingewiesen. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass die angeführten Gründe, insbesondere die Straffälligkeit des Klägers, letztlich als nichtssagend anzusehen sind, weil sie nur die Tatsache der Rechtswidrigkeit der Genehmigung wiederholen und im Übrigen leerlaufen. Soweit allerdings in dem Ausgangs- und dem Widerspruchsbescheid darauf abgestellt ist, es könne aus Gründen der Zuwanderungsbegrenzung nicht hingenommen werden, dass sich Ausländer ohne Aufenthaltsrecht in Deutschland aufhielten, handelt es sich in Wirklichkeit nicht um eigenständige Ermessenserwägungen, sondern um die Wiederholung der gesetzlich festgeschriebenen Rechtslage, wonach Ausländer für ihren Aufenthalt in Deutschland einer Genehmigung bedürfen und ansonsten ausreisepflichtig und grundsätzlich abzuschieben sind (vgl. §§ 3, 42, 49 AuslG).

Soweit die Ausländerbehörde bei der Ermessensausübung berücksichtigt hat, dass der Kläger mehrmals strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, und dazu angeführt hat, der Kläger sei mehrmals wegen Trunkenheit im Verkehr und Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu Geldstrafen und im letzten Fall zu einer dreimonatigen Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden, handelt es sich entgegen der Auffassung des Klägers und des Verwaltungsgerichts um zulässige Ermessenserwägungen, obwohl diese Verurteilungen zunächst nicht zum Anlass genommen worden sind, die Aufenthaltsgenehmigung nicht mehr zu verlängern oder etwa die Ausweisung des Klägers in Betracht zu ziehen. Die Ausländerbehörde hat nämlich die strafrechtlichen Verfehlungen des Klägers zunächst offensichtlich nur deshalb nicht zum Anlass für aufenthaltsbeendende Maßnahmen genommen, weil sie bis zur Verlängerungsentscheidung im Januar 1999 noch eine eheliche Lebensgemeinschaft des Klägers mit seiner damals schon von ihm geschiedenen ersten deutschen Ehefrau zugrunde gelegt hat.

Selbst wenn die Ermessensausübung danach wegen der Erwähnung der Ausreisepflicht von Ausländern ohne Aufenthaltsrecht als fehlerhaft anzusehen wäre, ist die Ermessensausübung der Ausländerbehörde entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts zumindest deswegen nicht zu beanstanden, weil die Ausländerbehörde von der ihr eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, während des Klageverfahrens ihre Ermessenserwägungen zu ergänzen (vgl. § 114 Satz 2 VwGO). Die Ausländerbehörde hat sich nämlich während des Klageverfahrens durch Bezugnahme auf die Begründung des Abänderungsantrags vom 15. November 1999 (VG Wiesbaden 4 G 1997/99) darauf berufen, dass der zehnjährige Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet allein nicht entscheidend sein könne, da dieser Zeitraum um die Dauer des Asylverfahrens zu relativieren sei und im Verhältnis zum Lebensalter des Klägers keine ausschlaggebende Bedeutung habe, weil der Kläger tief im Heimatland verwurzelt sei, sein bisheriges Leben überwiegend dort verbracht habe und dort eine Ehe eingegangen sei, aus der Kinder hervorgegangen seien. Gegen die Stichhaltigkeit dieser Begründung ist von Rechts wegen nichts zu erinnern. Tatsächlich kann sich der Kläger auf eine mehrjährige Verfestigung seines Lebensaufenthalts in Deutschland deshalb nicht berufen, weil er immer noch Verbindungen persönlicher Art zur Türkei unterhalten hat, was vor allem darin zum Ausdruck gelangt, dass er bereits am 22. November 1995, also etwa fünf Monate nach Scheidung von seiner ersten deutschen Ehefrau, die Ehe wieder mit seiner früheren türkischen Ehefrau geschlossen hat. Auch wenn die nachfolgenden Verlängerungen der Aufenthaltsgenehmigung nicht ausschließlich auf unrichtigen Angaben seinerseits beruht haben - was in diesem Zusammenhang zu seinen Gunsten unterstellt werden kann -, kann ihm auf der Ebene des Ermessens durchaus entgegengehalten werden, dass er einen Daueraufenthalt in Deutschland auf der Grundlage seiner Lebensverhältnisse nicht unbedingt erwarten konnte. Es spricht auch nicht gegen fortbestehende Bindungen des Klägers an seinen Heimatstaat, dass inzwischen die Ehe mit seiner türkischen Ehefrau (offenbar am 5. Juli 2001) erneut geschieden worden ist und der Kläger danach am 24. Oktober 2001 mit einer weiteren deutschen Staatsangehörigen die Ehe geschlossen hat und sich seinen Angaben zufolge derzeit in der Türkei aufhält, um von dort aus das Visumverfahren zum Zwecke der Familienzusammenführung weiterzubetreiben.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 154 Abs. 1, 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO sowie auf § 132 Abs. 2 VwGO.

Ende der Entscheidung

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