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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 04.12.2000
Aktenzeichen: 12 UE 968/99.A
Rechtsgebiete: AuslG


Vorschriften:

AuslG § 51 Abs. 1
1. Kurden unterliegen in den Notstandsprovinzen der Türkei nach wie vor einer örtlich begrenzten Gruppenverfolgung, sie können aber grundsätzlich in anderen Regionen verfolgungsfrei leben und dort auch das wirtschaftliche Existenzminimum erreichen.

2. Es bleibt offen, welcher Prognosemaßstab bei einer örtlich begrenzten Gruppenverfolgung auf Personen anzuwenden ist, die aus dem Gebiet der Gruppenverfolgung stammen.


Tatbestand:

Die am 20. April 1985 in F (Provinz Sirnak/Türkei) geborene Klägerin reiste am 14. Oktober 1994 zusammen mit ihrem Bruder und jetzigen Vormund, dem am 16. Dezember 1974 geborenen T. Y., in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 19. September 1996 durch Schriftsatz ihres Bevollmächtigten einen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte.

Bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 10. Oktober 1996 gab die Klägerin an, sie sei in der Nähe von Cizre in einen TIR-Lkw eingestiegen und wisse nicht, über welche Länder sie nach Deutschland gefahren seien. In der Türkei habe sie etwa einen Monat lang die Schule besucht und den Schulbesuch in Deutschland fortgesetzt. Ihr Heimatort F (Kreis Idil) sei bombardiert, ihr Elternhaus dabei zerstört worden und die Eltern sowie sämtliche Geschwister bis auf ihren Bruder T. seien verschwunden gewesen. Sie selbst sei zu diesem Zeitpunkt bei ihrem Bruder T. auf der Weide gewesen; sämtliche Nachforschungen nach dem Aufenthaltsort von Eltern und Geschwistern seien erfolglos geblieben. Am nächsten Tag sei eine Razzia im Dorf gewesen, dabei sei ihr Großvater nach ihrem Bruder T. gefragt und so geschlagen worden, dass er daran gestorben sei. Sie und ihr Bruder seien zu einem Onkel mütterlicherseits gegangen und hätten dort von der Razzia erfahren. Zehn Tage vor ihrer Ausreise seien die Häuser von verdächtigen Personen in Brand gesteckt worden; es lebten mittlerweile nur noch fünfzig von zuvor dreihundert Familien in dem Ort.

Mit Bescheid vom 10. Dezember 1996 lehnte das Bundesamt den Asylantrag und die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 51 AuslG sowie nach § 53 AuslG mit der Begründung ab, die Klägerin habe keine individuelle Verfolgung erlitten, sondern lediglich Beeinträchtigungen, die in den südöstlichen Gebieten der Türkei üblich und daher hinzunehmen seien. Jedenfalls hätte sie eine inländische Fluchtalternative wahrnehmen können; denn weitere Familienangehörige wie ihr Onkel oder der Großvater hätten sich um sie kümmern können.

Mit ihrer am 15. Januar 1997 erhobenen Klage hat die Klägerin die Anerkennung als Asylberechtigte und die Feststellung von Abschiebungshindernissen gemäß §§ 51 und 53 AuslG begehrt und sich zur Begründung auf die geänderte allgemeine Situation in ihrem Heimatland sowie darauf berufen, dass die Ausländerbehörde ihren Namen und weitere Angaben zu ihrer Person an die Heimatbehörden übermittelt habe, sodass sich für sie eine besondere Gefährdungslage bei einer Rückkehr ergebe. In einer informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Darmstadt am 6. Mai 1997 berichtete der Bruder und Vormund der Klägerin, dass ihr Heimatdorf an die zehnmal überfallen worden sei, wobei kurz vor ihrer Ausreise auch ihr Elternhaus zerstört worden sei. Die Klägerin habe ihm Essen auf die Weide gebracht, deshalb sei sie bei ihm gewesen. Eltern und Geschwister seien bis jetzt verschwunden. Sie hätten sich beim Großvater aufgehalten und das Vieh verkauft, um ausreisen zu können. Drei Tage später sei der Großvater verhört und geschlagen worden, sie seien deshalb mit dem Vieh zu dem Onkel gegangen. Dieser habe das Vieh verkauft und den Schlepper beauftragt, und in dieser Zeit sei der Großvater gestorben. Er selbst, T., sei im Dezember 1992 oder Januar 1993 einmal festgenommen und einen Monat in Idil inhaftiert worden, danach sei er freigelassen worden.

Die Klägerin hat ihre Klage hinsichtlich der begehrten Verpflichtung zur Anerkennung als Asylberechtigte zurückgenommen und beantragt,

die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass hinsichtlich der Klägerin die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen,

hilfsweise,

die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen und insoweit den Bescheid des Bundesamtes vom 10. Dezember 1996 aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Bundesbeauftragte hat keinen Antrag gestellt und sich auch nicht am Verfahren beteiligt.

Mit Urteil vom 6. Mai 1997 hat das Verwaltungsgericht Darmstadt nach Einstellung des Verfahrens hinsichtlich des Antrags auf Anerkennung als Asylberechtigte die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass der Klägerin eine inländische Fluchtalternative in ihrem Heimatland zur Verfügung stehe und sie diese gemeinsam mit ihrem Bruder erreichen und dort leben könne.

Auf den Zulassungsantrag der Klägerin hat der erkennende Senat die Berufung mit Beschluss vom 24. März 1999 zugelassen. Zur Begründung der Berufung beruft sich die Klägerin auf ihr bisheriges Vorbringen und führt des weiteren an, dass ein weiterer Bruder während seines Türkeiaufenthaltes festgenommen und nach dem Aufenthalt ihres Bruders T. befragt worden sei; es bestehe deshalb die Gefahr der Sippenhaft für sie. Der Bruder T. sei exilpolitisch aktiv, seine Asylverfahren seien zwar rechtskräftig abgeschlossen, er habe jedoch infolge seiner Wehrdienstverweigerung schon die Ausbürgerung aus der türkischen Staatsangehörigkeit angedroht bekommen und, wie ein anderes Verfahren zeige, deshalb Strafverfolgung in der Türkei zu befürchten.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 6. Mai 1997 und teilweiser Aufhebung des Bescheids vom 10. Dezember 1996 zu verpflichten, festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und hilfsweise die des § 53 AuslG vorliegen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Bundesbeauftragte hat keinen Antrag gestellt.

Über die Asylgründe der Klägerin ist aufgrund des Beweisbeschlusses vom 31. Juli 2000 Beweis erhoben worden durch ihre Vernehmung als Beteiligte; ihr Bruder B. Y. wurde informatorisch befragt. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme und der Befragung wird auf die Niederschrift über den Termin vor der Berichterstatterin am 16. August 2000 Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte nebst den von der Klägerin vorgelegten Unterlagen und die sie betreffenden Behördenakten der Beklagten (Az.: 2148762-163) sowie die beigezogenen Akten des Verwaltungsgerichts Darmstadt 8 E 30642/95.A betreffend T. Y. und 2 E 30088/99.A betreffend B. Y., des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main 3 E 30145/99.A betreffend Y. B. , des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge betreffend Y. B. (2390531-163) und der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main 54 AR 1515/99 und 54 AR 575/00 betreffend Rechtshilfe Y. B. Bezug genommen. Diese waren ebenso Gegenstand der mündlichen Verhandlung wie die nachfolgend aufgeführten, den Beteiligten mit Schreiben des Vorsitzenden vom 14. November 2000 bekanntgegebenen Erkenntnisquellen sowie die in der mündlichen Verhandlung beigezogenen Dokumente:

I.

1. 18.02.1981 Auswärtiges Amt an VG Berlin

2. 12.06.1981 Sachverständiger Roth vor VG Hamburg

3. 12.06.1981 Sachverständige Kappert vor VG Hamburg

4. 22.06.1981 Auswärtiges Amt an VG Oldenburg

5. 09.08.1981 a. i. an VG Mainz

6. 22.10.1981 Sternberg-Spohr vor VG Düsseldorf

7. 20.11.1981 Auswärtiges Amt an Bay. VGH

8. 10.11.1982 Nebez vor VG Berlin

9. 10.11.1982 Kaya vor VG Berlin

10. 11.11.1982 Taylan vor VG Berlin

11. 15.11.1982 von Sternberg-Spohr vor VG Berlin

12. 15.11.1982 Roth vor VG Berlin

13. 03.01.1983 Auswärtiges Amt an VG Hannover

14. 18.02.1983 Max-Planck-Institut Heidelberg an VG Karlsruhe

15. 12.06.1983 Oehring an VGH Baden-Württemberg

16. 16.06.1983 Hauser an VGH Baden-Württemberg

17. 06.02.1984 Gesellschaft für bedrohte Völker an VG Hamburg

18. Mai 1984 Bericht der Delegation Fischer u. a.

19. 29.05.1984 Kappert an VGH Baden-Württemberg

20. 16.10.1984 Roth an Hess. VG

21. Okt. 1984 Oguzhan, Die Rechtsstellung der Kurden in der Türkei

22. Sept. 1985 Das türkische Sprachenverbotsgesetz

23. 15.03.1987 Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei

24. 29.06.1987 Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei

25. 27.07.1990 Auswärtiges Amt an VG Oldenburg

26. 28.01.1991 FAZ: "Ankara hebt Verbot des Kurdischen auf"

27. 31.07.1991 Auswärtiges Amt an OVG Saarland

28. 10.10.1991 Auswärtiges Amt an VG Stade

29. 15.10.1991 Auswärtiges Amt an VG Hamburg

30. 10.12.1991 FR: "Demirel nennt Kurden Brüder"

31. 14.12.1991 FAZ: "Die türkische Republik ist unser gemeinsamer Staat"

32. 20.02.1992 Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei

33. 12.03.1992 Auswärtiges Amt an Niedersächsisches Innenministerium

34. 22.04.1992 Die Welt: "Ankara will mehr für Kurden tun"

35. 18.05.1992 Taylan an OVG Hamburg

36. 12.06.1992 Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei

37. 30.06.1992 Kaya an VG Düsseldorf

38. 01.07.1992 Rumpf an VG Düsseldorf

39. 20.08.1992 SZ: "Özal kündigt Erleichterungen an"

40. 15.09.1992 Rumpf an VG Bremen

41. 30.10.1992 Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei

42. 15.12.1992 SZ: "Die fortgesetzte Chronik der Gnadenlosigkeit"

43. 15.01.1993 a. i. an VG Stuttgart

44. 02.02.1993 Auswärtiges Amt an VG Wiesbaden

45. 03.03.1993 Oberdiek: "Gefährdung von Kurden in Städten der Westtürkei"

46. 08.03.1993 Rumpf an VG Wiesbaden

47. 28.04.1993 Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei

48. 14.05.1993 Auswärtiges Amt an OVG Schleswig-Holstein

49. 17.05.1993 Der Spiegel: "Den eigenen Vater foltern"

50. 02.06.1993 Kaya an OVG Schleswig-Holstein

51. 15.07.1993 Auswärtiges Amt an Regierungspräsidium Ludwigsburg

52. 04.08.1993 Rumpf an VG Gießen

53. 06.08.1993 a. i., Türkei - Menschenrechtsverletzungen an Kurden

54. 11.08.1993 FR: "Staatliche Gewalt"

55. 16.08.1993 SZ: "140.000 Soldaten gegen Kurden im Einsatz"

56. 21.08.1993 a. i., Türkei (Kurden)

57. 26.08.1993 Sahin in Özgür Gündem

58. 27.08.1993 taz: "Hier gibt es keine zivile Gewalt, nur Militär"

59. 02.09.1993 FR: "Im Kurdenkonflikt setzt Tansu Ciller aufs Militär"

60. 18.09.1993 FR: "Publizist in Ankara verhaftet"

61. 20.09.1993 Kaya an VG Aachen

62. 23.09.1993 Gesellschaft für bedrohte Völker an VG Frankfurt am Main

63. 30.09.1993 SZ: "PKK-Führer droht mit totalem Krieg"

64. 20.10.1993 Kaya an VG Köln

65. 25.10.1993 SZ: "Berichte über Hunderte von getöteten Kurden"

66. 26.10.1993 FR: "Ausnahmezustand in Türkei verlängert"

67. 28.10.1993 FR: "Türkei will kurdische Rebellen ausrotten"

68. 29.10.1993 taz: "Der Kampf gegen den Terror"

69. 29.10.1993 Auswärtiges Amt an VG Aachen

70. 30.10.1993 FR: "Armee - Auf Lice bestätigt"

71. 06.11.1993 FR: "Wegen Kurden-Verfolgung Waffenembargo gegen Türkei verlangt"

72. 10.11.1993 FR: "Hilferufe aus Kurdendorf"

73. 11.11.1993 FR: "Parlament verlängert Notstand"

74. 16.11.1993 Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei

75. 07.01.1994 Auswärtiges Amt an VG Bremen

76. 28.01.1994 a. i. an VG Ansbach

77. 20.04.1994 Kaya an VG Kassel

78. 10.05.1994 Oberdiek an VG Frankfurt am Main

79. 06.06.1994 Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei

80. 30.06.1994 Rumpf an VG Frankfurt am Main

81. 23.08.1994 Rumpf an VG Frankfurt am Main

82. 19.10.1994 Hartwig "Tränen des Krieges in Kurdistan" in Kurdistan aktuell Nr. 31

83. 17.11.1994 a. i.: Menschenrechtsverletzungen an Kurden in der Türkei

84. 21.11.1994 Dokumentation des Niedersächsischen Flüchtlingsrats

85. 04.12.1994 Sauter in Weltspiegel, Kurdistan aktuell Nr. 33

86. 02.01.1995 dpa: "Tote bei PKK-Überfall im türkischen Kurdengebiet"

87. 04.01.1995 Auswärtiges Amt an OVG Hamburg

88. 09.01.1995 FAZ: "Pro-Kurdische Zeitungen beschlagnahmt"

89. 17.01.1995 Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei

90. 24.01.1995 dpa: "PKK will Genfer Konvention anerkennen"

91. 17.02.1995 FR: "PKK nennt manche türkische Lehrer Agenten"

92. 25.02.1995 FR: "Menschenrechtler gibt auf"

93. 27.02.1995 FR: "Politische Morde praktisch ohne Folgen"

94. 03.03.1995 Gesellschaft für bedrohte Völker an VG Aachen

95. 07.03.1995 Rumpf an OVG Hamburg

96. 13.03.1995 Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei

97. 13.03.1995 dpa: "Schwerste Unruhen in Istanbul seit 15 Jahren"

98. 18.03.1995 FAZ: Lage in Istanbul normalisiert

99. 21.03.1995 Die Welt: "Türkische Armee marschiert in Nordirak ein"

100. 24.03.1995 FR: "Sorge um verschollene Reporter"

101. 07.04.1995 FAZ: "PKK-Rebellen kämpfen erstmals im Süden der Türkei"

102. 10.04.1995 FR: "Für jedes Ohr gibt es eine Prämie"

103. 19.04.1995 SZ: "Mindestens 23 Tote bei Kämpfen in der Türkei"

104. 22.05.1995 Die Welt: "Acht PKK-Kämpfer bei Diyarbakir getötet"

105. 24.05.1995 Auswärtiges Amt an VG Aachen

106. 26.05.1995 Oberdiek an VG München

107. 02.06.1995 SZ: "Aktion gegen mysteriöses Verschwinden in der Türkei"

108. 07.06.1995 dpa: "Deutscher amnesty-Ermittler aus der Türkei ausgewiesen"

109. 16.06.1995 Die Zeit: "Hörst du einen Schrei?"

110. 22.06.1995 Kaya vor OVG Schleswig-Holstein

111. 24/25.6.1995 SZ: "Demirel ruft Kurden zum Frieden auf"

112. 26.06.1995 FR: "Immer mehr Menschen verschwinden in der Türkei"

113. 24.06.1995 Kaya an VG München

114. 12.07.1995 Auswärtiges Amt an VG Freiburg

115. 08.08.1995 FR: "Abgeordneter berichtet von Kurdenvertreibung"

116. 18.08.1995 FAZ: "Deutsche Aktivisten wieder frei"

117. 18.08.1995 NZZ: "Kurdenzeitung in der Türkei geschlossen"

118. 23.08.1995 NZZ: "Rekordzahl politischer Gefangener in der Türkei"

119. Sept. 1995 a.i., Report Türkei

120. 01.09.1995 SZ: "Türkischer Journalist in der Haft gestorben"

121. 13.09.1995 dpa: "Wieder 23 Tote bei Kämpfen in türkischen Kurdengebieten"

122. 14.09.1995 FR: "Bericht über folternde Polizisten"

123. 01.10.1995 Rumpf an VG Aachen

124. 12.10.1995 dpa: "In Deutschland geehrt, in der Heimat Türkei mit Gefängnis bedroht"

125. 13.10.1995 Die Zeit: "Exil in der Heimat"

126. 26.11.1995 dpa: "Türkische Menschenrechtsstiftung: Weiter Folter von Festgenommenen"

127. 29.11.1995 dpa: "Mindestens 18 Tote bei Kämpfen in Kurdengebieten der Türkei"

128. 30.11.1995 Kaya an VG Freiburg

129. 2./3.12.1995 SZ: "Europa siegt in Istanbul"

130. 07.12.1995 Auswärtiges Amt: Lagebericht

131. 16.12.1995 SZ: "Kurden bieten Feuerpause an"

132. 18.12.1995 FR: "Soldaten töten vier PKK-Kämpfer"

133. 21.12.1995 FR: "Journalisten verurteilt"

134. 02.01.1996 SZ: "Kämpfe im Herzen der Türkei"

135. 02.01.1996 FR: "Kämpfe mit Kurden jetzt auch in Zentralprovinz"

136. 09.01.1996 taz: "Mit Stangen erschlagen"

137. 09.01.1996 FR: "Schläge beim morgendlichen Zählappell"

138. 11.01.1996 FR: "Journalist zu Tode gefoltert"

139. 15.01.1996 FR: "Islamistische Wohlfahrtspartei bleibt weiter ohne Partner"

140. 17.01.1996 NZZ: "Eingeständnis Ankaras zum jüngsten Journalistenmord" und "Rache der PKK an Dorfmiliz in Südostanatolien"

141. 30.01.1996 Auswärtiges Amt an VG Freiburg

142. 02.02.1996 FR: "Keine Besserung für Kurdistan"

143. 10.04.1996 SZ: "100 PKK-Terroristen getötet"

144. 17.04.1996 Auswärtiges Amt: Lagebericht Türkei

145. 10.06.1996 dpa: "PKK kündigt verstärkte militärische Aktivitäten in der Türkei an"

146. 11.07.1996 dpa: "Türkische Luftwaffe bombardierte PKK-Lager im Norden des Irak"

147. 04.12.1996 Auswärtiges Amt - Lagebericht

148. 20.12.1996 Oberdiek an OVG Schleswig-Holstein

149. 01.02.1997 Taylan an OVG Schleswig-Holstein

150. 28.02.1997 Auswärtiges Amt an OVG Schleswig-Holstein

151. 02.04.1997 Rumpf an VG Bremen

152. 02.04.1997 Oberdiek an OVG Mecklenburg-Vorpommern

153. 10.04.1997 Auswärtiges Amt - Lagebericht

154. 14.10.1997 Auswärtiges Amt an VG Bremen

155. 31.03.1998 Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei

156. 22.06.1998 Gesellschaft für bedrohte Völker an VG Kassel

157. 29.07.1998 Gesellschaft für bedrohte Völker an VG Freiburg

158. 18.08.1998 Kaya an VG Würzburg

159. 18.09.1998 Auswärtiges Amt - Lagebericht Türkei

160. 22.12.1998 Dokumentation des Auswärtigen Amtes

161. 15.01.1999 Kaya an VG Sigmaringen

162. 03.02.1999 a.i. - Gefährdung von Kurden im Fall ihrer Rückkehr in die Türkei

163. 24.02.1999 a.i. an VG Berlin

164. 29.04.1999 Oberdiek an VG Berlin

165. 30.04.1999 a.i. an VG Aachen

166. 01.07.1999 a.i. an VG Bremen

167. 07.09.1999 Auswärtiges Amt - Lagebericht

168. 13.09.1999 Kaya an VG Darmstadt

169. 24.09.1999 Die Welt: "Angeklagt für das Zitieren türkischer Soldaten"

170. 29.09.1999 Frankfurter Rundschau: "Armee tötet PKK-Kämpfer"

171. 27.09.1999 Süddeutsche Zeitung: "Scheitern mit harter Hand"

172. 30.09.1999 Neue Zürcher Zeitung: "Neue türkische Offensive im Nordirak"

173. 01.10.1999 Frankfurter Rundschau: "Türkische Polizei nimmt viele Demonstranten fest"

174. 02.10.1999 Die Welt: "Häftlinge beenden Gefängnisaufstände"

175. 19.10.1999 Frankfurter Rundschau: "Türkische Polizisten in Haft"

176. 20.10.1999 Frankfurter Rundschau: "Gericht lässt Polizisten gehen"

177. 02.11.1999 dpa-Meldung: "Haftbefehl gegen Mitglieder der PKK-"Friedensgruppe""

178. 20.11.1999 NZZ: "Leichte Entspannung im Südosten der Türkei"

179. 25.11.1999 Internationaler Verein für Menschenrechte der Kurden (IMK)Wocheninformationsbrief Nr. 44/45

180. 02.12.1999 FR: "Minderheit in der PKK will den Kampf fortsetzen"

181. 10.12.1999 FR: "PKK-Rebellen getötet"

182. 11.12.1999 NZZ: "Anhaltende Kämpfe im Südosten"

183. 15.12.1999 FAZ: "Türkei will kurdische Programme zulassen"

184. 16.12.1999 IMK-Wocheninformationsdienst Nr. 47

185. 30.12.1999 FR: "Birdal-Attentäter zu hohen Haftstrafen verurteilt"

186. 05.01.2000 Die Welt: "Äußerungen zur kurdischen Sprache sind keine Straftat"

187. 07.01.2000 FR: "Ecevit sieht Kurdenkrieg kurz vor dem Ende"

188. 11.01.2000 FR: "Tote bei Kämpfen mit PKK"

189. 13.01.2000 IMK-Wocheninformationsdienst Nr. 49

190. 24.01.2000 SZ: "Ankara warnt Medien vor Öcalan-Erklärungen"

191. 27.01.2000 IMK-Wocheninformationsdienst Nr. 51

192. 04.02.2000 Die Welt: "Gericht spricht Menschenrechtler frei"

193. 04.02.2000 IMK-Wocheninformationsdienst Nr. 52

194. 09.02.2000 SZ: "Abgeschobener Kurde in der Türkei gefoltert"

195. 10.02.2000 FR: "Kurdische Arbeiterpartei beendet Kampf mit Waffen"

196. 11.02.2000 FR: "Eine Chance für die Kurdenpolitik - Neue Töne in der Türkei"

197. 19.02.2000 SZ: "Sendeverbot für CNN wegen PKK-Diskussion"

198. 03.03.2000 FR: "Türkei: Neun Tote bei Kämpfen"

199. 04.03.2000 Die Welt: "Polizisten trotz Schuldspruchs auf freiem Fuß"

200. 09.03.2000 IMK-Wocheninformationsdienst Nr. 55/56

201. 11.03.2000 NZZ: "Kämpfe zwischen PKK und Armee in Ostanatolien"

202. 13.03.2000 NZZ: "Über 300 Festnahmen vor Demonstration in Istanbul"

203. 15.03.2000 FR: "Ecevit will Gesetz entschärfen"

204. 16.03.2000 Die Welt: "Ankara verschließt sich Reformen"

205. 21.03.2000 Die Welt: "Behörden verbieten Empfang der prokurdischen HADEP-Partei

206. 22.03.2000 FR: "Hunderttausende Kurden feiern friedlich Newroz"

207. 04.04.2000 Die Welt: "Ankara setzt Offensive gegen PKK im Nordirak fort"

208. 19.04.2000 FR: "Birdal harrt medizinischer Hilfe - Türkei verweigert Menschenrechtler ärztliche Versorgung"

209. 22.04.2000 FR: "Öcalan-Bruder beschuldigt"

210. 03.05.2000 NZZ: "Kämpfe im Südosten der Türkei"

211. 05.05.2000 FR: "Türkische Parlamentarier kritisieren Polizei-Folter"

212. 12.05.2000 FR: "Türkische Armee tötet 53 kurdische Rebellen"

213. 15.05.2000 FR: "Kurdische Musik verpönt"

214. 16.05.2000 taz: "Presse: Haft für Morde"

215. 20.05.2000 taz: "Türkei Menschenrechte - IHD-Büro geschlossen"

216. 27.05.2000 NZZ: "Vorstoß der türkischen Armee in den Nordirak?"

217. 29.05.2000 SZ: "Türkisches Parlament deckt Polizei-Folter auf"

218. 30.05.2000 SZ: "Istanbul verbietet Demokratie-Symposium"

219. 31.05.2000 Die Welt: "Menschenrechtler übergeben Folterwerkzeuge an Ermittler"

220. 01.06.2000 dpa-Meldung: "HADEP-Chef wegen separatistischer Propaganda zu Haft verurteilt"

221. 06.06.2000 SZ: "Die Leere des Krieges"

222. 09.06.2000 FR: "Zensur in der Türkei angeprangert"

223. 16.06.2000 FR: "Anwalt setzt sich für Soysal ein - Ehemaligem PKK Funktionär droht in Ankara Todesstrafe"

224. 20.06.2000 FR: "Neue Vorwürfe gegen Birdal"

225. 21.06.2000 Die Welt: "PKK will ohne Zugeständnisse aus Ankara weiter kämpfen"

226. 22.06.2000 Auswärtiges Amt - Lagebericht

227. 24.06.2000 taz: "Reformen in der Warteschleife"

228. 28.06.2000 Die Welt: "30 Mitglieder von kurdischer Partei festgenommen"

229. 12.07.2000 Auswärtiges Amt an VG Bremen

230. 20.07.2000 taz: "Ecevit will gegen Folter vorgehen"

231. 22.07.2000 FR: " 'Reporter ohne Grenzen' kritisieren Sendeverbote"

232. 18.08.2000 taz: "PKK-Dissidenten sind auf dem Vormarsch"

233. 21.08.2000 Auswärtiges Amt an VG Gießen

234. 31.08.2000 FR: Kurden sprechen von Verrat - Opposition wendet sich gegen die Linie von PKK-Chef Öcalan"

235. 13.09.2000 FR: "Journalisten verhaftet"

236. 16.09.2000 taz: "Justiz prüft Interview"

237. 16.09.2000 FR: "Weniger Repression in der Türkei - Bericht über Fortschritte, aber Folter immer noch alltäglich"

238. 21.09.2000 dpa-Meldung: "Türkischer Ministerrat erörtert Reformen im Hinblick auf EU"

239. 25.09.2000 FR: "Menschenrechtler Birdal aus der Haft entlassen"

240. 02.10.2000 taz: "Autorin freigesprochen"

241. 20.10.2000 IMK-Wocheninformationsdienst Nr. 82/83

242. 06.11.2000 FR: "Kurdische Politiker verhaftet"

243. 15.11.2000 FR: "Kurdenführer muss in Haft"

244. 16.11.2000 FR: "Polizisten wegen Folter bestraft"

II.

1. 02.05.1984 Max-Planck-Institut Heidelberg an VGH Baden-Württemberg

2. 05.03.1990 Auswärtiges Amt an VG Hannover

3. 05.03.1990 Auswärtiges Amt an VG Hamburg

4. 29.03.1990 amnesty international an VG Stade

5. 18.06.1990 Oehring an VG Hannover

6. 29.08.1991 Kaya an VG Hamburg

7. 18.01.1993 amnesty international an VG Köln

8. 14.11.1994 amnesty international an VG Bremen

9. 13.03.1995 amnesty international an VG München

10. 10.05.1995 Taylan an VG Mainz

11. 20.05.1995 Kaya an VG Mainz

12. 09.08.1995 Rumpf an VG Darmstadt

13. 14.08.1995 Auswärtiges Amt an VG Mainz

14. Sept. 1995 amnesty international: Familien von "Verschwundenen" als Opfer

15. 25.09.1995 SZ: "Bruder des PKK-Führers vorübergehend festgesetzt

16. 27.11.1995 Auswärtiges Amt an VG Stuttgart

17. 25.02.1996 Taylan an VG Neustadt a. d. W.

18. 22.07.1996 amnesty international an VG Stuttgart

19. 15.11.1996 Oberdiek an VG Hamburg

20. 17.02.1997 Oberdiek an VG Hamburg

21. 14.03.1997 Gesellschaft für bedrohte Völker an VG Hamburg

22. 16.03.1997 Kaya an VG Gießen

23. 17.03.1997 Kaya an VG Stuttgart

24. 21.04.1997 Auswärtiges Amt an VG Bayreuth

25. 15.05.1997 Taylan vor VG Gießen

26. 15.05.1997 Rumpf an VG Hamburg

27. 20.08.1997 Rumpf an VG Hamburg

28. 14.10.1997 Kaya an OVG Meckl.-Vorpommern

29. 11.02.1998 Dinc an VG Berlin

30. 11.03.1998 Kaya an VG Berlin

31. 15.04.1998 amnesty international an VG Hamburg

32. 24.07.1998 Rumpf an VG Berlin-Moabit

33. 05.01.1999 Auswärtiges Amt an VG Braunschweig

34. 05.05.1999 Oberdiek an VG Stuttgart

35. 03.08.1999 Auswärtiges Amt an VG Stuttgart

36. 13.10.1999 Kaya an VG Gelsenkirchen

37. 28.12.1999 Kaya an OVG Greifswald

38. 10.03.2000 Kaya an VG Darmstadt

III.

1. 31.10.1990 Rumpf an VG Hamburg

2. 23.10.1992 FR: "Krieg läßt die Kurdenprovinzen auch wirtschaftlich ausbluten"

3. 24.11.1992 a.i. an VG Bremen

4. 05.03.1993 Zeuge Ayzit vor VG Hamburg

5. März 1994 Saarländische Kurden-Delegation: Inländische Fluchtalternative Westtürkei

6. 28.01.1997 Gesellschaft für bedrohte Völker an OVG Schleswig-Holstein

7. 17.06.1997 Auswärtiges Amt an VG Hamburg

8. 20.08.1997 Rumpf an VG Hamburg

9. 14.10.1997 Kaya an OVG Greifswald

10. 20.10.1997 Auswärtiges Amt an Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge

11. 01.02.1998 Rumpf an VG Berlin

12. 09.07.1998 Auswärtiges Amt an VG Saarlouis

13. 12.11.1999 FR: "Zehn-Millionen-Note soll das Ende der Fahnenstange sein"

14. 27.04.2000 Oberdiek an OVG Hamburg

15. 29.04.2000 Kaya an OVG Hamburg

16. 13.05.2000 Taylan an OVG Hamburg

17. 05.06.2000 Auswärtiges Amt an OVG Hamburg

Entscheidungsgründe:

Die vom Senat zugelassene, auf die Feststellung der Voraussetzungen des § 51 AuslG und hilfsweise des § 53 AuslG gerichtete und auch sonst zulässige Berufung ist unbegründet.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage insoweit zu Recht abgewiesen; denn die Klägerin hat in dem nach § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der Berufungsentscheidung keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte zu ihren Gunsten die Voraussetzungen des § 51 AuslG (A.) oder zumindest des § 53 AuslG (B.) feststellt. Hieraus ergeben sich die zu treffenden Nebenentscheidungen (C.).

A.

Die Voraussetzungen für die als Flüchtlingsanerkennung geltende Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 51 Abs. 1 AuslG (vgl. §§ 3, 4 AsylVfG) decken sich in dem hier maßgeblichen Umfang mit denen für die Asylanerkennung nach Art. 16a Abs. 1 GG (vgl. dazu BVerwG, 26.10.1993 - 9 C 50.92 u.a. -, EZAR 230 Nr. 2 = NVwZ 1994, 500; BVerwG, 18.01.1995 - 9 C 48.92 -; BVerwGE 95, 42 = EZAR 230 Nr. 3). Asylrecht als politisch Verfolgter im Sinne des mit dem früheren Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG übereinstimmenden Art. 16a Abs. 1 GG genießt, wer bei einer Rückkehr in seine Heimat aus politischen Gründen Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib und Leben oder Beeinträchtigungen seiner persönlichen Freiheit zu erwarten hat (BVerfG, 02.07.1980 - 1 BvR 147/80 u.a. -, BVerfGE 54, 341 = EZAR 200 Nr. 1). Wer unverfolgt seinen Heimatstaat verlassen hat, ist nur dann als Asylberechtigter anzuerkennen, wenn ihm aufgrund eines beachtlichen Nachfluchttatbestandes politische Verfolgung droht (§ 28 AsylVfG; BVerfG, 26.11.1986 - 2 BvR 1058/85 -, BVerfGE 74, 51 = EZAR 200 Nr. 18; BVerwG, 20.11.1990 - 9 C 74.90 -, BVerwGE 87, 152 = EZAR 201 Nr. 22). Eine Verfolgung ist in Anlehnung an den Flüchtlingsbegriff des Art. 1 Abschn. A Nr. 2 GK als politisch im Sinne von Art. 16a Abs. 1 GG anzusehen, wenn sie auf die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder die politische Überzeugung des Betroffenen zielt (BVerfG, 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 u.a. -, BVerfGE 76, 143 = EZAR 200 Nr. 20; BVerwG, 17.05.1983 - 9 C 874.82 -, BVerwGE 67, 195 = EZAR 201 Nr. 5, u. 26.06.1984 - 9 C 185.83 -, BVerwGE 69, 320 = EZAR 201 Nr. 8). Diese spezifische Zielrichtung ist anhand des inhaltlichen Charakters der Verfolgung nach deren erkennbarem Zweck und nicht nach den subjektiven Motiven des Verfolgenden zu ermitteln (BVerfG, 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE 80, 315, 344 = EZAR 201 Nr. 20; zur Motivation vgl. BVerwG, 19.05.1987 - 9 C 184.86 -, BVerwGE 77, 258 = EZAR 200 Nr. 19). Werden nicht Leib, Leben oder physische Freiheit gefährdet, sondern andere Grundfreiheiten wie etwa die Religionsausübung oder die berufliche und wirtschaftliche Betätigung, so sind allerdings nur solche Beeinträchtigungen asylrelevant, die nach Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die Bewohner des Heimatstaats aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen haben (BVerfG, 02.07.1980 - 1 BvR 147/80 u.a. -, a.a.O., u. 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 u.a. -, a.a.O.; BVerwG, 18.02.1986 - 9 C 16.85 -, BVerwGE 74, 31 = EZAR 202 Nr. 7). Die Gefahr einer derartigen Verfolgung ist gegeben, wenn dem Asylsuchenden bei verständiger Würdigung aller Umstände seines Falles politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, wobei die insoweit erforderliche Zukunftsprognose auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung abgestellt und auf einen absehbaren Zeitraum ausgerichtet sein muss (BVerwG, 03.12.1985 - 9 C 22.85 -, EZAR 202 Nr. 6 = NVwZ 1986, 760 m.w.N.). Die Prüfung der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erfordert eine qualifizierende Betrachtungsweise, die neben der Eintrittswahrscheinlichkeit auch die zeitliche Nähe des befürchteten Eingriffs berücksichtigt (BVerwG, 14.12.1993 - 9 C 45.92 -, EZAR 200 Nr. 30). Einem Asylbewerber, der bereits einmal politisch verfolgt war, kann eine Rückkehr in seine Heimat nur zugemutet werden, wenn die Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist (BVerfG, 02.07.1980 - 1 BvR 147/80 u.a. -, a.a.O.; BVerwG, 25.09.1984 - 9 C 17.84 -, BVerwGE 70, 169 = EZAR 200 Nr. 12 m.w.N.). Die Asylanerkennung kann wegen anderweitigen Verfolgungsschutzes, insbesondere nach Einreise aus einem sicheren Drittstaat ausgeschlossen sein (Art. 16a Abs. 2 GG; §§ 26a, 27, 29 Abs. 1 und 2 AsylVfG, Anlage I zum AsylVfG; vgl. vor allem BVerfG, 14.09.1996 - 2 BvR 1516/93 -, BVerfGE 94, 49 = EZAR 208 Nr. 7).

Der Asylbewerber ist aufgrund der ihm obliegenden prozessualen Mitwirkungspflicht gehalten, von sich aus umfassend die in seine eigene Sphäre fallenden Ereignisse substantiiert und in sich schlüssig zu schildern sowie eventuelle Widersprüche zu seinem Vorbringen in früheren Verfahrensstadien nachvollziehbar aufzulösen, so dass sein Vortrag insgesamt geeignet ist, den Asylanspruch lückenlos zu tragen (BVerwG, 08.05.1984 - 9 C 141.83 -, EZAR 630 Nr. 13 = NVwZ 1985, 36, 12.11.1985 - 9 C 27.85 -, EZAR 630 Nr. 23 = InfAuslR 1986, 79, u. 23.02.1988 - 9 C 32.87 -, EZAR 630 Nr. 25), und insbesondere auch den politischen Charakter der Verfolgungsmaßnahmen festzustellen (vgl. BVerwG, 22.03.1983 - 9 C 68.81 -, Buchholz 402.24 Nr. 44 zu § 28 AuslG, u. 18.10.1983 - 9 C 473.82 -, EZAR 630 Nr. 8 = ZfSH/SGB 1984, 281). Bei der Darstellung der allgemeinen Umstände im Herkunftsland genügt es dagegen, dass die vorgetragenen Tatsachen die nicht entfernt liegende Möglichkeit politischer Verfolgung ergeben (BVerwG, 23.11.1982 - 9 C 74.81 -, BVerwGE 66, 237 = EZAR 630 Nr. 1). Die Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung kann schließlich nur festgestellt werden, wenn sich das Gericht in vollem Umfang die Überzeugung von der Wahrheit des von dem Asylbewerber behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals verschafft, wobei allerdings der sachtypische Beweisnotstand hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerstaat bei der Auswahl der Beweismittel und bei der Würdigung des Vortrags und der Beweise angemessen zu berücksichtigen ist (BVerwG, 12.11.1985 - 9 C 27.85 -, a.a.O.).

Nach diesen Grundsätzen kann aufgrund der persönlichen Angaben der Klägerin bei der Anhörung durch das Bundesamt am 10. Oktober 1996, ihrer Vernehmung durch die Berichterstatterin im Berufungsverfahren am 16. August 2000, der Anhörung ihres Bruders T. Y. durch das Verwaltungsgericht am 6. Mai 1997, der informatorischen Befragung ihres Bruders B. Y. im Berufungsverfahren durch die Berichterstatterin am 16. August 2000 sowie aufgrund der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen nicht zur Überzeugung des Senats festgestellt werden, dass die Klägerin bis zu ihrer Ausreise aus der Türkei (I.) wegen ihrer Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe (1.) - trotz der Verfolgungslage in ihrer Heimatregion (a) -landesweit (b) oder aus individuellen Gründen (2.) politisch verfolgt war, dass sie bei einer Rückkehr in die Türkei (II.) die trotz der weiterhin in den Notstandsgebieten festzustellenden Gruppenverfolgung (1.) bestehende Möglichkeit des verfolgungsfreien Lebens in ihrer Heimat (2.) nicht wahrnehmen (a, b) und erreichen kann (c) oder dass sie bei einer Rückkehr aus individuellen Gründen politische Verfolgung zu befürchten hat (3.).

I.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Klägerin, an deren kurdischer Volkszugehörigkeit der Senat keinen Zweifel hat, bis zu ihrer Ausreise im Oktober 1994 einer landesweiten politischen Verfolgung als kurdische Volkszugehörige oder aus individuellen Gründen ausgesetzt war.

1. Die Klägerin unterlag zwar im Zeitpunkt ihrer Ausreise wegen ihrer Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe einer Gruppenverfolgung, da ihre Heimatprovinz Sirnak unter Notstandsrecht stand. Es stand ihr damals aber wie allgemein kurdischen Volkszugehörigen aus den Notstandsgebieten eine Möglichkeit verfolgungsfreien Lebens außerhalb der dem Notstandsrecht unterliegenden Regionen zur Verfügung.

Nach den Feststellungen des Senats ist die Bevölkerungsgruppe der Kurden seit etwa Mitte 1993 in den unter Notstandsrecht stehenden Provinzen der Türkei allgemein dem türkischen Staat zurechenbarer politischer Verfolgung ausgesetzt (st. Rspr. Hess. VGH, 07.08.1986 - X OE 109/82 -; zuletzt 27.03.2000 - 12 UE 583/99.A -), die als örtlich begrenzte und nicht als regionale Verfolgung zu qualifizieren ist.

Asylrelevante politische Verfolgung kann sich nicht nur gegen Einzelpersonen, sondern auch gegen eine durch gemeinsame Merkmale verbundene Gruppe von Menschen richten mit der Folge, dass dann jedes Gruppenmitglied als von dem Gruppenschicksal mitbetroffen anzusehen ist (BVerfG, 02.07.1980 - 1 BvR 147/80 u. a. -, a.a.O., 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 u. a. -, a.a.O., und 23.01.1991 - 2 BvR 902/85 u. a. -, BVerfGE 83, 216 = EZAR 202 Nr. 20, 531; BVerwG, 02.08.1983 - 9 C 599.81 -, BVerwGE 67, 314 = EZAR 203 Nr. 1 und 23.02.1988 - 9 C 85.87 -, a.a.O.). Die Gefahr eigener politischer Verfolgung eines Asylbewerbers kann sich deshalb auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen ergeben, wenn diese wegen eines asylerheblichen, auch bei ihm vorliegenden Merkmals verfolgt werden und er sich in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsgefahr vergleichbaren Lage befindet. Gilt die Verfolgung unabhängig von individuellen Umständen allein einer durch ein asylerhebliches Merkmal gekennzeichneten Gruppe als solcher und damit grundsätzlich allen Gruppenmitgliedern, so kann eine solche Gruppengerichtetheit der Verfolgung dazu führen, dass jedes Mitglied der Gruppe im Verfolgerstaat jederzeit der Gefahr eigener Verfolgung ausgesetzt ist (BVerfG, 23.01.1991 - 2 BvR 902/85 u. a. -, a.a.O.). Die Annahme einer Gruppenverfolgung setzt eine Verfolgungsdichte voraus, die in quantitativer Hinsicht die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen aufweist, dass ohne weiteres von einer aktuellen Gefahr eigener Betroffenheit jedes Gruppenmitglieds gesprochen werden kann (BVerwG, 08.02.1989 - 9 C 33.87 -, EZAR 202 Nr. 15 = NVwZ-RR 1989, 502, 23.07.1991 - 9 C 154.90 -, EZAR 202 Nr. 21 = DVBl. 1991, 1089 = InfAuslR 1991, 363, 24.09.1992 - 9 B 130.92 -, EZAR 202 Nr. 23 = NVwZ 1993, 192, 05.07.1994 - 9 C 158.94 -, EZAR 202 Nr. 25 = NVwZ 1995, 175). Mit dem Begriff der Gruppenverfolgung werden derartige Fallkonstellationen schlagwortartig zusammengefasst (BVerwG, 05.11.1991 - 9 C 118.90 -, BVerwGE 89, 162 = EZAR 202 Nr. 22). Eine mittelbare Gruppenverfolgung setzt nicht unbedingt Pogrome oder vergleichbare Massenausschreitungen voraus (BVerwG, 24.09.1992 - 9 B 130.92 -, a.a.O.). Übergriffe Privater sind dem Staat aber nur zuzurechnen, wenn er dagegen grundsätzlich keinen effektiven Schutz gewährt (BVerwG, 05.07.1994 - 9 C 1.94 -, EZAR 202 Nr. 24 = InfAuslR 1995, 24). Allerdings erfüllt nicht erst eine (physische) Vernichtung einer Volksgruppe den Tatbestand einer Gruppenverfolgung (BVerfG - Kammer -, 11.05.1993 - 2 BvR 2245/92 -; BVerfG - Kammer -, 09.12.1993 - 2 BvR 1916/93 -, InfAuslR 1994, 156). Um zu beurteilen, ob eine ausreichende Verfolgungsdichte vorliegt, müssen Intensität und Anzahl aller Verfolgungshandlungen auch zur Größe der Gruppe in Beziehung gesetzt werden (BVerwG, 05.07.1994 - 9 C 158.94 -, a.a.O.). Als nicht vorverfolgt ist nur derjenige Gruppenangehörige anzusehen, für den die Verfolgungsvermutung widerlegt werden kann (BVerwG, 03.10.1984 - 9 C 24.84 -, EZAR 202 Nr. 3); es kommt nicht darauf an, ob sich die Verfolgungsmaßnahmen schon in seiner Person verwirklicht haben (BVerwG, 23.02.1988 - 9 C 85.87 -, a.a.O.).

Bei der Prüfung, ob die kurdische Minderheit in der Türkei seinerzeit asylrechtlich relevante Beeinträchtigungen zu erleiden oder zu befürchten hatte, ist zunächst von der Befugnis eines Mehrvölkerstaates auszugehen, seine staatliche Einheit und seinen Gebietsstand zu sichern und dieses Selbsterhaltungsinteresse auch durchzusetzen. Dieser Grundsatz verbietet es, die von solchen Maßnahmen Betroffenen notwendigerweise als politisch Verfolgte anzusehen. Eine andere Beurteilung könnte Platz greifen, wenn ein Mehrvölkerstaat nach seiner Verfassung oder in der Staatswirklichkeit von der Vorherrschaft einer Volksgruppe über andere ausgeht, die ethnischen, kulturellen oder religiösen Eigenarten bestimmter Volksgruppen überhaupt leugnet und diese an einer ihrer Eigenart entsprechenden Existenzweise hindert (BVerwG, 17.05.1983 - 9 C 36.83 -, BVerwGE 67, 184, und - 9 C 874.82 -, a.a.O.), wenn er also insbesondere eine Zwangsassimilierung betreibt. Deshalb bedarf es vor allem der Untersuchung, wie der türkische Staat die Kurden in seiner Rechts- und Wirtschaftsordnung bis zum Ausreisezeitpunkt behandelt hat, wie sich deren Lebensverhältnisse im Vergleich zu denen der türkischen Mehrheit in der Wirklichkeit darstellten und ob dabei etwa Unterschiede je nach der soziologischen Herkunft, den regionalen Strukturen und dem Maß der Assimilation der Minderheit an die Mehrheit festzustellen sind. Dabei genügt nicht eine isolierte Untersuchung einzelner Ausschnitte des individuellen Schicksals des Asylsuchenden; es kommt vielmehr auf eine umfassende Gesamtbetrachtung der innenpolitischen Lage in dem angeblichen Verfolgerstaat und aller irgendwie relevanten Lebensumstände der Betroffenen an. Hierfür sollen sowohl allgemein- oder gerichtsbekannte geschichtliche Vorgänge als auch Tatsachenbekundungen aus den oben aufgeführten Unterlagen verwertet werden.

a) Die im Gebiet des ehemaligen Osmanischen Reiches siedelnden Kurden erlebten nach dessen Zerfall eine wechselvolle Geschichte. Nach der Aufteilung ihrer angestammten Heimat auf Syrien, den Irak und die Türkei und der Zusicherung einer lokalen Autonomie und eines späteren Volksentscheids über die volle Selbstständigkeit in dem Friedensvertrag von Sèvres vom August 1920 waren im Vertrag von Lausanne vom 21. Juli 1923 für ethnische Minderheiten wie Kurden keinerlei Sonderrechte mehr vorgesehen. Nach der Proklamation der Türkischen Republik im Oktober 1923 und der Wahl von Mustafa Kemal - "Atatürk" - zum Staatspräsidenten wurden verstärkt Türkisierungsversuche unternommen. So wurden etwa kurdische Dorfnamen und kurdische Vornamen geändert, die kurdische Sprache als Amts- und Unterrichtssprache verboten und die Türkei in drei ethnisch abgegrenzte Regionen aufgeteilt. Die erste war das Gebiet, in dem die türkische Kultur in der Bevölkerung sehr stark verankert war; die zweite war diejenige, in der die Bevölkerung angesiedelt werden sollte, die zu türkisieren war; bei der dritten handelte es sich um Gebiete, die aus gesundheitlichen, ökonomischen, kulturellen, militärischen und sicherheitstechnischen Gründen entvölkert werden sollten und in denen sich niemand mehr ansiedeln durfte. Es kam zu großangelegten Umsiedlungsaktionen, die teilweise in Zwangsdeportationen ausarteten. Die auf Atatürk zurückgehenden sechs kemalistischen Grundprinzipien des türkischen Staats-Nationalismus, Säkularismus, Republikanismus, Populismus, Etatismus und Reformismus - wurden auch nach dem Zweiten Weltkrieg nicht aufgegeben. Nach anfänglichen Erfolgen bei Demokratisierungsbestrebungen unter den Ministerpräsidenten Inönü (CHP) und Menderes (DP) kam es im Mai 1960 zu einem Militärputsch und im Juli 1961 zu einer neuen Verfassung, die wiederum vom Kemalismus geprägt war. In den nachfolgenden zwei Jahrzehnten gab es in der Türkei verschiedene Koalitions- und Minderheitsregierungen, bis im Dezember 1978 von Ecevit das Kriegsrecht vor allem über ostanatolische Provinzen verhängt und später auf weitere Provinzen ausgedehnt und verlängert wurde. Nach dem Militärputsch im Jahre 1980 kam es zunächst zu einer Verschärfung und gesetzlichen Absicherung der Restriktionen und Diskriminierungen der kurdischen Volksgruppe durch Maßnahmen, mit denen der Gebrauch der kurdischen Sprache behindert, die Kurden in der Pflege ihrer kulturellen Eigenheiten eingeschränkt und in den kurdischen Provinzen massiert Sicherheitskräfte eingesetzt wurden. Seit Beginn der 90er Jahre verschärften sich die Auseinandersetzungen mit der PKK (Partiya Karkeren Kurdistan - Arbeiterpartei Kurdistans) insbesondere in den südöstlichen Landesteilen.

Trotz einer Vielzahl von Restriktionen und Diskriminierungen der kurdischen Volksgruppe vermag der Senat nicht zu der Überzeugung zu gelangen, dass in der Vergangenheit bis zum Jahr 1992/93 eine staatliche Verfolgung der ethnischen Minderheit der Kurden erfolgt ist. Obwohl der türkische Staat den Gebrauch der kurdischen Sprache behinderte, die kurdische Volksgruppe in der Pflege ihrer kulturellen Eigenheiten einschränkte und der wirtschaftlichen und kulturellen Unterentwicklung in kurdischen Provinzen nicht effektiv entgegentrat, lässt sich nach Auffassung des Senats für diesen Zeitraum nicht der Schluss ziehen, der türkische Staat unterdrücke und verfolge die Kurden bewusst mit dem Ziel, sie zu assimilieren, zu vertreiben oder zu vernichten.

Anzeichen für eine asylerhebliche Zwangsassimilierung der Kurden ergeben sich zunächst nicht aus dem Leugnen ihrer Existenz als eigenständige Volksgruppe. Die Kurden wurden in der Vergangenheit nach dem historisch gewachsenen Selbstverständnis der Türkischen Republik offiziell als nicht vorhanden angesehen und damit von Staats wegen als ethnische Gruppe schlechthin ignoriert. Diese Einstellung gegenüber den Kurden kam unter anderem in der in den letzten Jahrzehnten offiziell verwandten Bezeichnung als "Bergtürken" zum Ausdruck (I 3, 6.). Selbst wenn indessen die Kurden in der Türkei aufgrund dieser Umstände auf Dauer gesehen der Assimilierung nicht entgehen sollten, ließe sich daraus ein asylrelevanter Umstand nicht herleiten. Denn das Asylrecht schützt nicht vor langfristigen und allmählichen Anpassungsprozessen aufgrund veränderter Lebensbedingungen (BVerwG, 15.02.1984 - 9 CB 191.83 -, EZAR 203 Nr. 2 = InfAuslR 1984, 152).

Von allen legislativen und administrativen Mitteln, die zum Zwecke der Verdrängung oder vollständigen Angleichung gegen eine ethnische Minderheit eingesetzt werden können, kommt einem Verbot der eigenen Sprache eine wesentliche Bedeutung zu. Soweit es das Primat der türkischen Sprache und den Ausschluss jeder anderen - und damit vor allem der kurdischen - Sprache angeht, lässt sich eine eindeutige Rechtslage und Rechtswirklichkeit seit Bestehen der Türkischen Republik nicht erkennen. Andererseits kann aber auch nicht festgestellt werden, der Gebrauch der kurdischen Sprache sei im hier maßgeblichen Zeitraum in der Türkei praktisch verboten gewesen.

Staatspräsident Atatürk soll bereits einige Monate nach Unterzeichnung des Lausanner Friedensvertrages vom Juli 1923, nach dessen Art. 39 keinem türkischen Staatsbürger irgendwelche Beschränkungen beim Gebrauch einer Sprache auferlegt werden können, Kurdisch als Amtssprache verboten haben (I 3, 17). Anderen Angaben zufolge soll der Gebrauch der kurdischen Sprache jedenfalls in der Zeit von 1924 bis 1929 gesetzlich verboten worden sein. Dieses Verbot ist aber danach staatlicherseits im Laufe der Zeit nicht mehr durchgesetzt worden (I 5). Im Jahre 1967 machte sodann der Ministerrat von einer im Pressegesetz von 1950 enthaltenen Ermächtigung Gebrauch und verbot die Einfuhr und die Verteilung sämtlicher in kurdischer Sprache im Ausland herausgegebenen Druckerzeugnisse, Schallplatten, Tonbänder und dergleichen. Damit war die Verbreitung von im Ausland hergestellten Erzeugnissen dieser Art unter Strafe gestellt (I 5, 14). Wenn demgegenüber teilweise ohne nähere Erläuterung und ohne Schilderung nachprüfbarer Beispiele angegeben wird, allgemein seien der Besitz (I 2, 12) oder die Herausgabe und nicht nur die Einfuhr kurdischer Schriften und Tonträger verboten und strafbar gewesen (I 3, 8), so kann dies durchaus auf Missverständnissen und Ungenauigkeiten bei der Einholung und Wiedergabe von Informationen beruhen. Denn nach den glaubhaften Angaben von anderen Sachverständigen (I 14, 15) wurde die Herausgabe kurdischer Zeitschriften - teilweise mit Beiträgen in türkischer Sprache - nur dann und nur deswegen verboten und strafrechtlich verfolgt, weil deren Inhalt als autonomistisch oder separatistisch angesehen wurde.

Nach dem Militärputsch von 1980 wurden die Kurden zunehmend stärker in der Pflege ihrer Kultur und Sprache behindert. Nach der neuen Verfassung vom 9. November 1982 ist die Türkische Republik als Einheitsstaat konzipiert (Präambel) und als dem Nationalismus Atatürks verbundener Staat bezeichnet (Art. 2). Gemäß Art. 3 stellt sie in ihrem Staatsgebiet und Staatsvolk ein unteilbares Ganzes dar, dessen Sprache Türkisch ist. Die auch in der Verfassung von 1982 zum Ausdruck gelangte Negierung der Existenz der kurdischen Volksgruppe durch den türkischen Staat rechtfertigt indessen nicht den Schluss auf eine staatlich bezweckte asylerhebliche Zwangsassimilierung.

Im Umgang mit Behörden und anderen staatlichen Stellen sowie im Militärdienst wurde seit jeher auf den Gebrauch der türkischen Sprache Wert gelegt. Darüber hinaus war wegen der Türkisierung der Vor-, Familien- und Ortsnamen die Registrierung kurdischer Namen nicht erlaubt (vgl. I 8). Anders als in der Schule, im Rundfunk und im amtlichen Verkehr war der Gebrauch des Kurdischen jedoch bei privaten Unterhaltungen und im geschäftlichen Verkehr in den von Kurden bewohnten Siedlungsgebieten im hier maßgeblichen Zeitraum allgemein üblich und weder verboten noch gar strafbar (I 5, 9, 13, 15). Am 19. Oktober 1983 erging das Gesetz Nr. 2932 über "Veröffentlichungen in einer anderen als der türkischen Sprache" - Sprachenverbotsgesetz - (I 22), das die Grundlagen und Verfahren regelte, "die auf Veröffentlichungen in nicht zugelassenen Sprachen Anwendung finden" (Art. 1). Gemäß Art. 2 Abs. 2 dieses Gesetzes waren die Erklärung, Verbreitung und Veröffentlichung von Meinungen in jeder Sprache verboten, die nicht die erste offizielle Sprache eines von der Türkei anerkannten Staats war. Obwohl das Gesetz nach seiner Überschrift und der Beschreibung seines Gegenstandes in Art. 1 nur "Veröffentlichungen" betraf und nur auf die allein für die Presse geltende Bestimmung des Art. 28 Abs. 2 der Verfassung Bezug zu nehmen schien, ging der Wortlaut der Vorschriften der Art. 2 und 3 darüber hinaus und erfasste auch andere als veröffentlichte schriftliche Meinungsäußerungen. Eine entsprechende verfassungsrechtliche Grundlage befindet sich in Art. 26 Abs. 3 der Verfassung, der lautet: "Bei der Äußerung oder Verbreitung von Meinungen darf keine durch Gesetz verbotene Sprache verwendet werden ...". Deshalb bestanden gewichtige Bedenken gegen die Auffassung, nur der "öffentliche" Gebrauch der kurdischen Sprache sei untersagt und der private Bereich "nicht berührt" (I 21). Allerdings wurde das Monopol der türkischen Sprache seit dem Militärputsch lediglich im Umgang mit Behörden und anderen staatlichen Stellen sowie im Militärdienst durchgesetzt (I 8, 9, 12). Gegen den Gebrauch des Kurdischen bei privaten Unterhaltungen und im geschäftlichen Verkehr wurde dagegen nicht eingeschritten, und es war im eigentlichen Siedlungsgebiet der Kurden, im Südosten der Türkei, jedenfalls faktisch möglich, sich des Kurdischen als Umgangssprache zu bedienen (I 5, 7, 13, 15, 16, 18, 19, 23, 24).

Neben dem Gebrauch der Sprache ist für den Bestand und die Erhaltung einer eigenständigen Nationalkultur die Pflege von Brauchtum und Sitte wichtig und letztlich unerlässlich. Auch in dieser Hinsicht unterliegen die Kurden gewissen Beschränkungen. Sie konnten allerdings im hier maßgeblichen Zeitraum grundsätzlich ungehindert ihre Nationaltracht tragen, kurdische Volkslieder singen und ihr Newroz-Fest sowie andere bäuerliche Feste feiern und sich auch sonst als Kurden zu erkennen geben - angesichts ihrer kurdischen Sprache können sie ihre Herkunft ohnehin kaum verbergen. Man kann für diesen Zeitraum im Vergleich zu der Zeit bis 1950 von einer relativen Liberalisierung sprechen (I 9).

Es kann schließlich nicht festgestellt werden, dass der türkische Staat eine gezielte Assimilierungspolitik durch bewusste Vernachlässigung kurdischer Siedlungsgebiete in kultureller und wirtschaftlicher Hinsicht betrieben hat. Während Industrie und Wirtschaft der Türkei hauptsächlich in den westlichen Teilen des Landes, vorzugsweise in den Ballungsgebieten um die großen Städte angesiedelt und konzentriert sind, sind die überwiegend von Kurden bewohnten 18 Provinzen in Ostanatolien von der Agrarwirtschaft geprägt, und deren Strukturen und Arbeitsweisen sind zudem durch die Herrschaft von Großgrundbesitzern gekennzeichnet (I 2, 3). Aufgrund unsicherer Besitzverhältnisse, Streitigkeiten um Weideland und Ackerboden und wegen der Hoffnung auf bessere Verdienstmöglichkeiten im Westen der Türkei und den Industrieländern Mittel- und Westeuropas haben im Hinblick auf die eklatante Unterentwicklung der östlichen Gebiete im Laufe der letzten 30 Jahre immer mehr kurdische Bauern ihre Dörfer verlassen. Diese Landflucht hat das Ungleichgewicht zwischen den östlichen und westlichen Provinzen der Türkei noch verstärkt. Das Einkommensgefälle hat auch in den letzten Jahren weiter zugenommen (I 148, III 10). Die Bodenschätze des Ostens wurden zur Industrialisierung des Westens genutzt. Gesundheitswesen und Schulen sind wesentlich schlechter ausgestattet als allgemein in der Türkei. Es sind jedoch keine konkreten Tatsachen festzustellen, die den Vorwurf rechtfertigen, die türkische Regierung hätte die kurdischen Provinzen in der Absicht vernachlässigt, die dort lebenden Kurden ihres Volkstums wegen zu benachteiligen, oder in ihrer Politik habe dieses Ziel zumindest eine nicht unwesentliche Rolle gespielt (so aber etwa I 10, 18). Gegen eine solche Annahme spricht, dass von den im Osten der Türkei herrschenden Lebensbedingungen auch andere Bevölkerungsgruppen wie etwa Christen, Jeziden und Muslime betroffen waren und sind. Für die Benachteiligung der kurdischen Regionen scheinen insgesamt gesehen ganz unterschiedliche Faktoren verantwortlich zu sein, etwa die ungünstigen Boden-, Klima- und Verkehrsverhältnisse. Das Fehlen besonderer Erschließungs- und Entwicklungsprogramme dürfte auf den desolaten Zustand der Staatsfinanzen der Türkei zurückzuführen gewesen sein.

Ungeachtet dessen bestand für Kurden, die ihre Volkszugehörigkeit im gesellschaftlichen Bereich verbunden mit der Forderung nach politischer Autonomie oder Unabhängigkeit vom türkischen Staat ostentativ bekundeten, die Gefahr, durch staatliche Organe des Separatismus bezichtigt zu werden (I 3, 6, 7, 9, 11, 15 bis 20). Insoweit war aber auch eine deutliche Liberalisierung und Zurückhaltung der Sicherheitskräfte gegenüber friedlichen Meinungsäußerungen für ein eigenständiges Kurdistan erkennbar. Wegen des schlichten Bekenntnisses zu ihrer Volkszugehörigkeit waren Kurden nicht von staatlicher Verfolgung bedroht (I 4, 5). Eine sich in diesem Rahmen haltende Pflege kurdischen Brauchtums war legal möglich (I 19, 24).

In engem Zusammenhang mit Ermittlungen und Verfolgungen wegen Verdachts des Separatismus standen die nach dem Militärputsch verstärkt unternommenen Razzien, die der Suche nach Waffen und dem Aufspüren Krimineller dienten, die aber in der Regel pauschal alle Bewohner von Grenzdörfern oder bestimmten Gecekondu-Bereichen erfassten und diese oft einer erniedrigenden, brutalen oder sonst menschenrechtswidrigen Behandlung unterzogen (I 2, 10, 11, 17, 23, 24). Im Zuge der Verfolgung kurdischer Separatisten kam es dabei im Herbst 1984 ("Operation Sonne") auch zu türkischen militärischen Aktionen auf irakischem Gebiet (I 23). Während teilweise angenommen wird, diese Aktionen richteten sich systematisch gegen die kurdische Bevölkerung und sollten deren Einschüchterung bewirken (I 2, 11, 12), wird in anderen Berichten betont, kurdische Siedlungsgebiete seien nur wegen der dort festzustellenden Häufigkeit von anarchistischen, extremistischen und separatistischen Untergrundorganisationen besonders oft und hart betroffen (I 1, 4, 7, 13, 23, 24). Aufgrund der Vielzahl terroristischer Aktionen in den kurdischen Siedlungsgebieten kam es nach und nach zu einer stärkeren Konzentration von Sicherheitskräften in diesen Gebieten und im Zusammenhang damit zu vielen militärischen Aktionen gegen die PKK, die das Ziel der Gründung eines unabhängigen kurdischen Staats in den von Kurden besiedelten Gebieten des türkischen Staatsgebiets verfolgen. Zur Durchsetzung dieses Ziels führte die PKK in den südöstlichen Landesteilen der Türkei einen bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat; bei ihren Operationen bediente sie sich der Guerillataktik (I 25).

Zu Beginn der 90er Jahre trat zunächst eine gewisse Entspannung der Lage der Kurden ein. Durch Art. 23e des "Gesetzes über die Bekämpfung des Terrors" (Nr. 3713) - Anti-Terror-Gesetz (ATG) - vom 12. April 1991 wurde das Sprachenverbotsgesetz ersatzlos aufgehoben (I 28). Daraus kann angesichts des in Art. 1 normierten Zwecks des Sprachenverbotsgesetzes entnommen werden, dass der Gebrauch einer anderen als der türkischen Sprache, insbesondere der Sprache der Kurden als größter nichttürkischer Volksgruppe im Staatsverband der Türkei, nicht mehr als separatistische, gegen die Einheit des türkischen Staats gerichtete Handlung qualifiziert wird. Zudem wird mit der Aufhebung der bisherigen Feststellung des Art. 3 Abs. 1 des Sprachenverbotsgesetzes, die Muttersprache der türkischen Staatsbürger sei türkisch, für die türkischen Staatsbürger auch der Besitz einer anderen Muttersprache eingeräumt und damit mittelbar auch die Existenz anderer ethnischen Gruppen neben den Türken anerkannt. Die Aufgabe der Leugnung der Existenz einer kurdischen Volksgruppe in der Türkei kommt im Übrigen in der Anfang 1991 getroffenen Feststellung des damaligen Staatspräsidenten Özal zum Ausdruck, in der Türkei lebten 10 bis 12 Millionen Kurden (I 26 ). Insgesamt wurde durch die Aufhebung des Sprachenverbotsgesetzes vor allem der öffentliche Gebrauch der kurdischen Sprache erheblich erleichtert. So ist es nicht mehr gesetzlich verboten, auf Versammlungen und Demonstrationen Plakate in einer anderen als der türkischen Sprache zu zeigen und dort in diesen Sprachen Schallplatten und ähnliches abzuspielen oder kurdischsprachige Lieder zu singen (I 27). Wenngleich für bestimmte Bereiche das Verbot der Verwendung anderer Sprachen als der türkischen, wie etwa im Parteiengesetz und Vereinsgesetz (I 22), weiter fortbesteht, hat dennoch die Aufhebung des Sprachenverbotsgesetzes zunächst in einer wesentlichen Frage zu einer Abnahme der Beeinträchtigungen der kurdischen Volksgruppe in der Türkei geführt. So wurde vom Kultusministerium die Freigabe von ungefähr 25.000 früher verbotenen Buchtiteln bestätigt (I 26 ). Dies führte zum Beispiel auch Ende 1991/Anfang 1992 zur Herausgabe zweier kurdischsprachiger Wochenzeitungen (I 32), von denen allerdings eine später ihr Erscheinen - möglicherweise aufgrund behördlicher Schikanen - wieder eingestellt hat (I 42). Die Zeitung Özgür Gündem wurde seit ihrem Erscheinen von den türkischen Behörden belästigt (I 60), ein Verbot dieser Zeitung war letztlich nur eine Frage der Zeit (I 68), und auch die Nachfolgezeitung Özgür Ülke hatte von Anfang an mit Schwierigkeiten gegenüber den Behörden zu kämpfen (vgl. I 81). Darüber hinaus wurde im Jahre 1993 durch den Nationalen Sicherheitsrat das Anti-Terror-Gesetz (ATG) wieder verschärft. Danach wurden kurdische Musik, kurdische Reden und das Bekenntnis, Kurde zu sein, mit der Strafandrohung des Art. 8 ATG verfolgt (I 71); auch Demonstrationen und Märsche gegen die nationale und territoriale Einheit der Türkei sowie gegen die laizistische Grundordnung auf der Basis einer strikten Trennung von Staatsführung und Religion sollten schwerer als früher geahndet werden (I 73).

Die von Dezember 1991 an amtierende Regierungskoalition von DYP und SHP setzte die zuvor begonnene Liberalisierung in der Kurdenpolitik verstärkt fort, indem sie mehrfach ausdrücklich bekundete, dass sie die Kurden als eine eigenständige ethnische Minderheit anerkenne und grundsätzlich ein friedvolles Zusammenleben von Kurden und Türken anstrebe (I 30, 31, 40). In dem Regierungsprogramm war vorrangig die Fortsetzung des Demokratisierungsprozesses und die Verbesserung der Menschenrechtssituation, wozu vor allem eine Normalisierung der Situation in den Notstandsgebieten zählt, aufgenommen worden (I 32). Das Versprechen für mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit konnte die Regierungskoalition allerdings nicht einlösen (I 41). Nach einem im April 1992 von der türkischen Regierung gefassten Beschluss sollte die soziale und wirtschaftliche Lage der Kurden dadurch verbessert werden, dass in den zehn südöstlichen Provinzen der Türkei, also in den Siedlungsgebieten der Kurden, 10.000 neue Arbeitsplätze geschaffen und das Erziehungs- und Gesundheitswesen ausgebaut werden sollten (I 34). Auf dieser Linie lag auch die Ankündigung des damaligen türkischen Staatspräsidenten Özal, in Zukunft könnten auch Unterricht sowie Rundfunk- und Fernsehsendungen in kurdischer Sprache erlaubt werden (I 39). Da die PKK - bei ihr handelt es sich um eine stalinistische Organisation, die blutigen Terror für ein legitimes Mittel hält (I 25) - offensichtlich die "Gefahr" sah, dass es auf der Grundlage dieses Öffnungsprozesses zu einer geregelten Autonomie der kurdischen Siedlungsgebiete innerhalb des türkischen Staatsverbands kommen könnte, versuchte sie seit dem Frühjahr 1992 mit umfangreichen militärischen Aktionen, den türkischen Staat und insbesondere das Militär zum Rückzug aus den kurdischen Siedlungsgebieten sowie zur Aufgabe staatlicher Hoheitsgewalt in diesem Gebiet zu zwingen. Durch Gegenaktionen der türkischen Armee wurde auch die kurdische Zivilbevölkerung zum Teil erheblich in Mitleidenschaft gezogen. Erster Höhepunkt waren die schweren Zusammenstöße zwischen türkischen Sicherheitskräften und kurdischen Guerillas aus Anlass des kurdischen Neujahrsfestes (Newroz) am 21. März 1992. Es kam zu zahlreichen Toten und Verwundeten, wobei diese Unruhen in Cizre begannen und danach unter anderem noch Sirnak, Nusaybin, Batman erfassten. In Sirnak kam es Mitte August 1992 zu weiteren heftigen Kämpfen, in deren Folge die Stadt von ihren Bewohnern weitgehend verlassen wurde, wobei allerdings die PKK eine Verwicklung ihrer Mitglieder in die Vorfälle leugnete und sich im weiteren Verlauf die Anzeichen mehrten, dass es sich allein um eine von den Sicherheitskräften zu verantwortende Aktion gegen die Bevölkerung handelte (I 40). Gegen die unter Einsatz von militärischen Mitteln - mit Bomben, Mörsern und Raketenwaffen - zum Teil mit Hunderten von Guerillakämpfern durchgeführten Überfälle der PKK, Anschläge in zahlreichen Städten und Ortschaften des südöstlichen Grenzgebiets der Türkei und Angriffe auf öffentliche Gebäude wie Bankfilialen und insbesondere Einrichtungen des Militärs, der Gendarmas und der Polizei setzte der türkische Staat große Einheiten von Sicherheitskräften - zunehmend die paramilitärisch ausgerüsteten Gendarmas (Landpolizei) und die in gleicher Weise ausgerüsteten Sicherheitseinheiten des Innenministeriums - ein, die in Gegenschlägen in kurdischen Siedlungsgebieten selbst und im nördlichen Irak - dem Rückzugsgebiet der PKK - PKK-Kämpfer aufspüren und bekämpfen sollen (I 36). Durch Umsiedlungsaktionen im Kampfgebiet der PKK sollte der PKK auch die in diesem Gebiet mögliche logistische Unterstützung durch die örtliche Bevölkerung entzogen werden (I 43).

Die Maßnahmen des türkischen Staates in den kurdischen Siedlungsgebieten, insbesondere in den Notstandsgebieten im südöstlichen Grenzgebiet, richteten sich zunächst im wesentlichen gegen die Kampfaktionen der PKK. Der Senat hat dazu schon früher festgestellt, dass anlässlich dieser Maßnahmen gehäuft vorkommende illegale oder sogar menschenrechtswidrige Übergriffe auf Zivilpersonen nicht zu der Annahme einer allgemeinen und landesweiten Verfolgung der Kurden in Anknüpfung an ihre Volkszugehörigkeit führten (vgl. Hess. VGH, 23.11.1992 - 12 UE 2590/89 -). Erkenntnisse, die Anlass geben könnten, diese Einschätzung neu zu überdenken, liegen für den hier maßgeblichen Zeitraum nicht vor (vgl. Hess. VGH, 24.01.1994 - 12 UE 200/91 -; 19.01.1998 - 12 UE 1624/95 -; zuletzt 27.03.2000 - 12 UE 583/99.A -).

Im Jahr 1993 standen sich im Südosten der Türkei ungefähr 140.000 türkische Soldaten und etwa 10.000 PKK-Kämpfer gegenüber (I 55). Damit wurden dort etwa zwei Drittel der Streitkräfte der türkischen Armee stationiert, dazu zählen auch 80 % der Panzer- und Helikoptereinheiten (I 64). Die Situation in der Südosttürkei wurde mittlerweile als Krieg (I 55, 64) oder doch jedenfalls als bürgerkriegsähnlich charakterisiert (I 47), wobei die PKK in bestimmten Bergregionen im Südosten und Osten der Türkei sogar schon effektive Gewalt ausübte (I 74). In dieser insgesamt angespannten Situation entschloss sich die Führung der PKK am 20. März 1993 - auch um für eine geplante Frühjahrsoffensive der türkischen Streitkräfte nicht den Grund zu liefern, wobei der Newroz-Enthusiasmus des kurdischen Volkes als Vorwand für eine Provokation genutzt werden sollte (I 61) -, dem türkischen Staat zunächst bis zum 15. April 1993 und alsdann bis auf weiteres einen einseitigen Waffenstillstand und die Bereitschaft zu Verhandlungen anzubieten (I 56). Eine offizielle Reaktion gab es darauf nicht. Der damalige Staatschef Özal hatte für die dritte Aprilwoche den Nationalen Sicherheitsrat zu einer Sondersitzung geladen, bei der er seine Kurdeninitiative erläutern wollte. Dazu kam es jedoch nicht mehr, da der Staatschef eine Woche vor dieser Sitzung verstarb (I 59). Nach der Aufkündigung des von der PKK einseitig erklärten Waffenstillstandes am 24. Mai 1993 (I 69) kündigten die türkische Regierung und der Generalstabschef eine Großoffensive mit dem Ziel der endgültigen Vernichtung der PKK an (I 53). Der Generalstabschef Güres erklärte, wenn man die PKK bis zum Winterbeginn nicht ausgerottet habe, müsse über die Türkei das Kriegsrecht verhängt werden (I 59). Staatspräsident Demirel sprach sich dagegen aus, der kurdischen Minderheit das Recht auf Schulunterricht in ihrer Muttersprache einzuräumen, und schloss "jeden Kuhhandel und jedes Zugeständnis" an die PKK aus (I 67). Die damalige Ministerpräsidentin Ciller lehnte kurdischen Schulunterricht ab und sprach anlässlich einer Informationsreise durch die Südostprovinzen davon, dass es gar keine Kurdenfrage gebe (I 59). Die Armeeführung kündigte einen "Vernichtungskrieg" unter Einsatz von moderneren und wirksameren Waffen an (I 67). Bereits vorher hatte der Führer der PKK, Abdullah Öcalan, der Türkei den Vernichtungskrieg erklärt, nachdem er den türkischen Streitkräften vorgeworfen hatte, bei ihren Aktionen chemische Waffen und Napalmbomben gegen die Kurden einzusetzen (I 63; vgl. auch I 61).

Im Zuge der präventiven Bekämpfung von PKK-Einheiten durch türkische Sicherheitskräfte wurden zunehmend unbeteiligte Bewohner in terrorgefährdeten Gebieten der Südosttürkei erheblich in Mitleidenschaft gezogen. Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung geschahen häufig bei Dorf- und Räumungsaktionen. Dabei kam es auch zu zahlreichen Misshandlungen von Zivilpersonen durch Sicherheitskräfte (I 75). Insgesamt verbesserte sich die Menschenrechtslage in den kurdischen Provinzen der Türkei unter der Regierung Ciller nicht, sie wurde eher verschärft. Die Verschleppung und Ermordung von Menschen, teils durch uniformiert auftretende offizielle Sicherheitskräfte, aber auch durch die PKK nahm erschreckende Ausmaße an (I 76). Die Regierung setzte entgegen einer im Koalitionsprotokoll vom 24. Juni 1993 erklärten Absicht einseitig auf eine militärische Lösung. Die staatlichen Handlungen in den Notstandsprovinzen des Südostens und Ostens der Türkei haben in der Folge insgesamt den Charakter eines Guerilla-Bürgerkriegs angenommen. Übergriffe der Sicherheitskräfte in Form von Eigentumszerstörung, Freiheitsberaubung, Misshandlung und Tötung auch gegenüber Unbeteiligten kamen verbreitet vor; die Aktionen gingen zum Teil in ihrer Intensität auch über das für die Wiederherstellung der staatlichen Friedensordnung erforderliche Maß erheblich hinaus (I 77).

Die Auseinandersetzungen zwischen den türkischen Sicherheitskräften und der PKK verschärften sich Mitte 1993 erheblich und erhöhten die damit verbundenen Gefahren für die in diesen Provinzen lebende Bevölkerung (I 47, 56). Im Zusammenhang mit der Eskalation der Gewalt im Südosten wurde der über zehn Provinzen (Batman, Bingöl, Bitlis, Diyarbakir, Hakkari, Mardin, Siirt, Sirnak, Tunceli, Van) verhängte Ausnahmezustand mehrmals verlängert (I 73, 87, 89). Die Maßnahmen der türkischen Sicherheitskräfte richteten sich seit den verschärften Kämpfen mit der PKK auch gegen die Zivilbevölkerung. Früher waren die Maßnahmen der türkischen Sicherheitskräfte durchgehend dadurch gekennzeichnet, dass sie aus Anlass und zum Zweck der Eindämmung des bewaffneten Kampfes der PKK in der Südosttürkei durchgeführt wurden. So erfolgten zum Beispiel Umsiedlungsaktionen (I 36) zielgerichtet unter militärisch-strategischen Gesichtspunkten der Bekämpfung der PKK und noch nicht wahllos unter Anknüpfung an die kurdische Volkszugehörigkeit, sondern veranlasst durch Operationen der PKK vor allem in Gebieten, in denen die PKK besondere Unterstützung genoss (I 36). Dazu zählten auch - bedingt durch die Guerilla-Taktik der PKK - Durchsuchungen und vorläufige Festnahmen der Einwohner ganzer Dörfer (vgl. Hess. VGH, 23.11.1992 - 12 UE 2590/89 -).

Dagegen kann bei den Maßnahmen der Sicherheitskräfte seit etwa Mitte 1993 nicht mehr davon gesprochen werden, sie würden nur dem aktiven Terroristen, dem Teilnehmer im strafrechtlichen Sinn oder demjenigen gelten, der im Vorfeld Unterstützungshandlungen zugunsten terroristischer Aktivitäten vornimmt, ohne sich an diesen Aktivitäten unmittelbar zu beteiligen. Die Maßnahmen der türkischen Sicherheitskräfte gegen die Zivilbevölkerung sowohl nach Angriffen der PKK als auch nach legalen oder illegalen Demonstrationen erscheinen seit Mitte 1993 als Strafaktionen gegen die kurdische Bevölkerung; für den türkischen Staat gelten seitdem offenbar alle Kurden als potentielle Unterstützer der PKK. Dies zeigt sich unter anderem darin, dass als Reaktion auf PKK-Aktivitäten Sicherheitskräfte nicht die Guerillakämpfer verfolgten, sondern ganze Ortschaften im kurdischen Osten zusammenschossen (I 49, 61). Zwar wurde von der türkischen Staatsführung angekündigt, sie werde die Rebellen der verbotenen PKK ausrotten (I 67). Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, von etwaigen Maßnahmen der Sicherheitskräfte sei die Zivilbevölkerung nicht betroffen. Vielmehr kam es tatsächlich in einer Vielzahl von Fällen zu Angriffen auf die Zivilbevölkerung in den Notstandsgebieten, wobei sogar zunehmend Massaker an kurdischen Zivilisten vom Militär in Kauf genommen wurden (I 68).

Beispielsweise wurde die hauptsächlich von Kurden bewohnte Stadt Lice von der türkischen Armee angegriffen. Dabei wurden aus Hubschraubern und Panzern Brandsätze eingesetzt; anschließend wurden die Bewohner von Soldaten aus ihren Wohnungen geholt und diese dann in Brand geschossen (I 70). Während nach offiziellen Angaben dabei 34 Menschen ums Leben kamen, berichteten Einwohner von Hunderten von Toten und Vermissten (I 68). Danach gab es Befürchtungen, dass die Regierungstruppen auch in der nahegelegenen Kleinstadt Kulp ein Massaker anrichten würden, nachdem diese Stadt belagert und angegriffen worden war (I 66). Die ungefähr 950 Einwohner des Dorfes Kursunlu bei Dicle wurden vom Militär aufgefordert, ihre Siedlung zu verlassen; gleichzeitig wurde ihnen angedroht, nach Ablauf des Ultimatums werde das Dorf beschossen, auch wenn Einwohner dort bleiben würden (I 72). In Lice war kurze Zeit vorher der Kommandeur der Militärpolizei dieser Region erschossen worden (I 65). Im Frühjahr und Sommer 1993 wurden 108 Siedlungen zerstört (I 54); nach einer in der Zeitung Özgür Gündem veröffentlichten Liste wurden vom 20. März bis 30. August 1993 117 Dörfer verbrannt und deren Bewohner vertrieben (I 61; vgl. auch I 59). Zwar steht den Betroffenen eine Entschädigung zu; zu Entschädigungsleistungen ist es bisher aber nachweislich nicht gekommen (I 69). Bei diesen Aktionen trieben die Sicherheitskräfte regelmäßig zunächst alle Dorfbewohner auf dem Dorfplatz zusammen, durchsuchten danach die Häuser, raubten das Geld und die Wertsachen der Bewohner und setzten die Häuser einschließlich der darin befindlichen Gegenstände und die Ställe mit den Tieren in Brand. Teilweise wurden die Dorfbewohner noch misshandelt und geschlagen (I 61). Dabei wurden in der Region um Lice, Kulb und Bingöl innerhalb von drei Tagen neun Dörfer von Soldaten niedergebrannt. In der Provinz Bitlis wurden drei Dörfer - Kovanis, Sap und Kutlu - von Soldaten und Dorfschützern unter Einsatz von Artillerie angegriffen und innerhalb von vier Stunden vernichtet (I 61). Am 14. August 1993 richteten Sondereinheiten der türkischen Armee in der Kreisstadt Digor während eines Schweigemarsches von über 4.000 Kurden aus Anlass des 9. Jahrestages des Beginns des bewaffneten Kampfes der PKK ein Blutbad an (I 58). Als sich einen Tag später Tausende von Menschen am Kreuzungspunkt Dolabas im Kreis Malazgirt (Provinz Mus) versammelten, um zu demonstrieren, wurden sie von Militäreinheiten umstellt und unter anderem von Panzern und Helikoptern unter Beschuss genommen; dabei gab es drei Tote und über 70 Verletzte (I 64). Darüber hinaus waren noch zahlreiche weitere Dörfer von Militäraktionen betroffen (I 53, 61, 64). In der Provinz Mardin wurden fünf Dörfer geräumt, weil die Bewohner nicht Dorfwächter werden wollten (I 60), obwohl das Dorfschützeramt nicht zwangsweise übertragen und eine Weigerung nicht strafrechtlich geahndet wird (I 114, 141). Auch nach den Angaben des Auswärtigen Amtes leidet die Bevölkerung in den unter Notstandsrecht stehenden Gebieten seither unter den oft unverhältnismäßigen Aktionen der Sicherheitskräfte und unter anderem den blutigen Anschlägen der PKK (I 47, 130, 144, 151), wobei aufgrund der in den Notstandsgebieten nicht gewährleisteten Pressefreiheit (I 32) davon ausgegangen werden kann, dass nicht alle dort vorkommenden schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen bekannt werden. Die Übergriffe der Sicherheitskräfte im Südosten in Form von Eigentumszerstörung, Freiheitsberaubung, Misshandlung oder Tötung ereignen sich meistens - und damit nicht immer - im Zusammenhang mit militärischen Einsätzen als Antwort auf bewaffnete Angriffe der PKK, im Zusammenhang mit polizeilichen Maßnahmen zur Strafverfolgung von Staatsschutzdelikten sowie zur Gefahrenabwehr oder auch im Zusammenhang mit notstandsrechtlich sanktionierten Zwangsevakuierungen von Dörfern (I 73), wobei die Grenze zwischen Terrorismusbekämpfung und individuellen und/oder kollektiven Maßnahmen der Sicherheitskräfte gegen die Zivilbevölkerung immer schwerer zu ziehen ist (I 69). Bei Straßenkämpfen in den größeren Ortschaften der Region verschwimmen die Grenzen zwischen gezieltem Vorgehen gegen PKK-Militante und willkürlichem Beschuss ganzer Stadtteile. Als Beispiel wird in diesem Zusammenhang angeführt, dass die Stadt Sirnak im August 1992 noch lange nach dem Rückzug angreifender PKK-Militanter vom türkischen Militär zum Teil mit Artillerie unter Beschuss genommen und schwer beschädigt wurde (I 69). Nach Angaben der pro-kurdischen Zeitung "Özgür Gündem" wurde Anfang 1993 über die Ortschaft Beytüssebap ein Nahrungsmittelembargo verhängt, das seit August 1993 auf die Städte Uludere, Sirnak und umliegende Dörfer ausgeweitet wurde, wobei zur Begründung angegeben wurde, dass die Bewohner die PKK mit Lebensmitteln versorgten (I 69). Das Lebensmittelembargo wurde dann auf die im Dreieck der Kreise Lice, Kulp und Genc liegenden Kreisstädte und Dörfer sowie auf die auf den Bergen Agri und Tendürek gelegenen Dörfer ausgedehnt (I 61). Die türkische Regierung selbst hat auf eine parlamentarische Anfrage eines DEP-Abgeordneten bestätigt, dass bis Ende 1993 über 870 Dörfer zwangsweise geräumt wurden; ein großer Teil dieser Dörfer wurde niedergebrannt (I 79). Dabei kam es zu zahlreichen Übergriffen, zu "standrechtlichen" Erschießungen und Folterungen an Dorfbevölkerungen, die eindeutig nicht mehr durch Notstandsrecht zu rechtfertigen sind (I 79, 89). Bis zum Herbst 1994 waren etwa 1.300 Dörfer (I 78, 87, 89) evakuiert und teilweise ganz zerstört worden.

Aufgrund dieser Entwicklung im Südosten der Türkei ergibt sich zur Überzeugung des Senats seit Mitte 1993 und damit für den hier maßgeblichen Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin eine gegen die Kurden als Gruppe in den Notstandsprovinzen gerichtete staatliche Verfolgung, die an ihre Volkszugehörigkeit und damit an ein asylerhebliches Merkmal anknüpft. Die die kurdische Zivilbevölkerung in diesen Gebieten betreffenden Maßnahmen und Übergriffe der türkischen Sicherheitskräfte stellen sich nach den oben aufgeführten Grundsätzen als eine Gruppenverfolgung der Kurden in diesen Gebieten dar. Es ist nämlich festzustellen, dass die türkischen Sicherheitskräfte die Angehörigen der kurdischen Bevölkerung unter Anknüpfung an ihre Volkszugehörigkeit durch schwerwiegende Rechtsverletzungen verfolgen, die gerade auch darauf ausgerichtet sind, die dort lebenden Kurden wegen ihrer Volkszugehörigkeit zu treffen. Die staatlichen Kräfte führen den Kampf gegen die PKK in einer Weise, die auch auf die physische Vernichtung der durch asylerhebliche Merkmale bestimmten Personengruppe der Kurden gerichtet ist, obwohl diese keinen Widerstand leisten oder nicht am militärischen Geschehen beteiligt sind. Diese Voraussetzungen sind nach Einschätzung des Senats seit etwa Mitte 1993 festzustellen und für die voraussehbare Zukunft angesichts der Art und Weise des militärischen Handelns der türkischen Sicherheitskräfte in den Notstandsgebieten mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Deren Aktionen sind jedenfalls seit dieser Zeit bei einer Vielzahl von Angriffen bewusst auch gegen die kurdische Zivilbevölkerung in diesen Gebieten gerichtet und gehen über das hinaus, was im Interesse der Wiederherstellung der staatlichen Friedensordnung notwendig ist. Dabei ist für das Vorliegen einer asylrelevanten Intensität des Eingriffs maßgebend, ob sich dieser nicht nur als Beeinträchtigung, sondern als ausgrenzende Verfolgung darstellt (BVerfG - Kammer -, 04.04.1991 - 2 BvR 1497/90 -). Die Maßnahmen der Sicherheitskräfte in den Notstandsprovinzen sind, soweit sie die Zivilbevölkerung betreffen, seither als Aktionen eines bloßen Gegenterrors zu werten, die zwar auch der Bekämpfung des Terrorismus und seines ihn aktiv unterstützenden Umfelds gelten mögen, aber gleichzeitig darauf ausgerichtet sind, die an dem bestehenden Konflikt nicht unmittelbar beteiligte Zivilbevölkerung unter den Druck brutaler Gewalt zu setzen (vgl. BVerfG, 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 u. a. -, a.a.O.), so dass daraus auf eine allgemeine Gefährdung der in diesem Gebiet lebenden durch die Volkszugehörigkeit gekennzeichneten Gruppe der Kurden zu schließen ist. Dabei ist auch zugrundezulegen, dass - wie für die Annahme einer unmittelbar staatlichen Gruppenverfolgung erforderlich - mit diesem Handeln eigene staatliche Ziele des türkischen Staates durchgesetzt werden sollen, wozu sich der Staat der Sicherheitskräfte - wie Gendarmas und Polizei - sowie der Armee bedient (vgl. grundsätzlich zu diesem Erfordernis für eine "unmittelbare" staatliche Gruppenverfolgung im Unterschied zu einer mittelbaren Gruppenverfolgung: BVerwG, 05.07.1994 - 9 C 158.94 -, a.a.O.). Wie aus den dargelegten Maßnahmen der Sicherheitskräfte und der Streitkräfte ersichtlich, wird damit eine Konzeption der türkischen Regierung zur "Befriedung" der kurdischen Siedlungsgebiete im Südosten der Türkei durchgesetzt, die auch auf politische Verfolgung der kurdischen Bevölkerungsgruppe setzt. Dabei unterstellen die Sicherheits- und Streitkräfte ganz überwiegend pauschal eine Nähe oder Unterstützung separatistischer Aktivitäten der PKK und knüpfen insoweit an die kurdische Volkszugehörigkeit der Bewohner dieses Gebietes an (vgl. zu diesen Kriterien für die Gerichtetheit von Verfolgungsmaßnahmen bei unmittelbarer staatlicher Gruppenverfolgung: BVerfG - Kammer -, 09.12.1993 - 2 BvR 1638/93 -, a.a.O.; BVerwG, 05.07.1994 - 9 C 158.94 -, a.a.O.). Obwohl der eigentliche Grund für das Eingreifen der Sicherheitskräfte in dem pauschalen Terrorismusverdacht zu sehen ist, handelt es sich um ethnische Verfolgung; denn sie richtet sich allgemein gegen Angehörige der kurdischen Volksgruppe in den dem Notstandsrecht unterworfenen Gebieten, die fast ausschließlich von Kurden bewohnt sind. Gegen eine derartig zielgerichtete Verfolgung spricht auch nicht der Umstand, dass bisweilen bei Razzien und ähnlichen Maßnahmen zwischen Verdächtigen und Unverdächtigen unterschieden wird; denn in aller Regel werden zunächst alle in den Notstandsgebieten Lebenden pauschal verdächtigt, festgehalten und misshandelt. Insbesondere die zahlreichen Fälle von Zwangsevakuierungen und vollständiger oder teilweiser Zerstörung von Dörfern mit den damit einhergehenden massiven Eingriffen in die Freiheit und körperliche Unversehrtheit der Dorfbewohner verdeutlichen, dass die Sicherheitskräfte verstärkt zu einer Strategie übergegangen sind, die neben dem unmittelbaren militärischen Kampf gegen die PKK auch auf eine politische Verfolgung der kurdischen Bevölkerungsgruppe setzt, um so der PKK Ressourcen und eine breitere Unterstützung in der Bevölkerung zu entziehen. Welche Dimensionen die Aktivitäten der Sicherheitskräfte in Anwendung dieser Strategie hat, zeigen die bekannt gewordenen Zahlen eindrucksvoll.

Insgesamt ist bei Abwägung und Einbeziehung aller genannten Berichte festzustellen, dass die Aktionen der Sicherheitskräfte in den Notstandsprovinzen seither nicht allein unmittelbar auf die Bekämpfung der PKK gerichtet sind, sondern dass bewusst und in einer Vielzahl von Fällen zielgerichtet die Verletzung und Tötung von Personen der Zivilbevölkerung in Kauf genommen wird, um dadurch jedenfalls auch mittelbar - durch Abschreckung und Einschüchterung der kurdischen Zivilbevölkerung - den militärischen Kampf gegen die PKK zu erleichtern, ohne einen konkreten Anlass dafür zu haben, dass es sich bei den jeweiligen Personen um Anhänger oder Unterstützer der PKK handelt. Dabei ist es für die Asylrelevanz dieser Maßnahmen nicht erforderlich, dass sie auf die Zerstörung der Identität der gesamten der Gegenseite zugerechneten Zivilbevölkerung ausgerichtet sind. Es ist insoweit schon asylrechtlich erheblich, wenn von solchen Aktionen nur Teile dieser Zivilbevölkerung betroffen sind, die - wie hier - nach asylerheblichen Merkmalen bestimmt sind (BVerwG, 27.01.1993 - 9 B 95.92 -). Für diese Beurteilung maßgeblich sind nicht die subjektiven Gründe oder Motive der handelnden Sicherheitskräfte, sondern die nach ihrem inhaltlichen Charakter erkennbare Gerichtetheit der von ihnen durchgeführten Aktionen. Damit ist eine objektivierte Betrachtung der grundsätzlichen Zielrichtung der Aktionen der türkischen Sicherheitskräfte erforderlich. Aus der Sicht eines objektiven Dritten stellen sich die Aktionen der türkischen Sicherheitskräfte als in erheblichem Umfange auch gegen die kurdische Zivilbevölkerung gerichtet dar. Die bewusst auch gegen die Zivilbevölkerung gerichteten Aktionen stellen eine seit etwa Mitte 1993 erweiterte Dimension der Kampfführung der türkischen Sicherheitskräfte gegen die PKK dar, durch die als flankierende Maßnahmen zu dem direkten Kampf gegen die PKK die kurdische Zivilbevölkerung mit brutaler Gewalt unter Druck gesetzt werden soll, den PKK-Aktivisten keinen Schutz zu gewähren und sie nicht zu unterstützen.

Der Senat hat auch die Überzeugung gewonnen, dass aufgrund der geschilderten zahlreichen und durchgehenden Vorkommnisse während der kriegerischen Handlungen im Südosten der Türkei, insbesondere auch in Anbetracht der Tatsache, dass in den letzten Jahren über dreitausend kurdische Dörfer durch Sicherheits- und Streitkräfte zwangsweise geräumt und Dorfbewohner dabei regelmäßig Eingriffen in Leben, körperliche Unversehrtheit und Freiheit ihrer Person ausgesetzt waren, eine derartige Verfolgungsdichte besteht, dass jedem kurdischen Volkszugehörigen im Südosten der Türkei akut ein den genannten Vergleichsfällen entsprechendes Verfolgungsschicksal droht (zum Kriterium der Verfolgungsdichte vgl. insbesondere BVerwG, 05.07.1994 - 9 C 158.94 -, a.a.O.). Dabei kann schon angesichts der in Rede stehenden Schwere der Rechtsgutverletzungen nicht auf eine statistische Ermittlung der bereits schwer Geschädigten, der eher leicht Betroffenen, der latent Gefährdeten und der noch unbehelligt Gebliebenen abgestellt werden. Gerade die Vielfalt der Eingriffe erlaubt keine selektive Betrachtung je nach Ort, Art und Folgen der Eingriffe. Insbesondere hängt die Feststellung der erforderlichen Verfolgungsdichte nicht davon ab, dass die ansässige kurdische Bevölkerung mehrheitlich oder zu einem bestimmten Anteil getötet, gefoltert, verletzt oder vertrieben und der Heimat beraubt ist. Im Hinblick auf die Unberechenbarkeit der Verfolgungshandlungen, die von der wechselnden Taktik der PKK ebenso abhängen wie von den innenpolitisch und militärisch bestimmten Gegenaktionen der Sicherheitskräfte, hat sich das Risiko in so vielen Fällen verwirklicht, dass es für einen kurdischen Bewohner der Notstandsprovinzen seither nur eine Frage der Zeit war, wann er selbst betroffen wurde. Daher kann gegen die Annahme der erforderlichen Verfolgungsdichte nicht ins Feld geführt werden, dass nicht bereits die gesamte kurdische Bevölkerung in den Notstandsgebieten aktuell politische Verfolgung erlitten hat. Zudem ist es für die Annahme einer örtlich begrenzten Gruppenverfolgung unerheblich, dass einige ostentativ staatsloyale Bewohner wie beispielsweise Dorfschützer und Großgrundbesitzer ebenso wenig durch Maßnahmen der Sicherheitskräfte beeinträchtigt werden wie Inhaber hervorgehobener politischer Stellen wie Parlamentsabgeordnete und Bürgermeister. Sie bilden nämlich wegen ihrer besonderen persönlichen Eigenschaften eine fast jeder Gruppenverfolgung eigene Ausnahme.

Der Senat hält es deshalb im Ergebnis für beachtlich wahrscheinlich, dass durchaus jeder noch in seinem angestammten Siedlungsgebiet im Südosten der Türkei lebende Kurde von an seine Volkszugehörigkeit anknüpfenden, oben beschriebenen Verfolgungsmaßnahmen staatlicher Organe in der Türkei betroffen sein kann. Der Senat weist insoweit darauf hin, dass er zur Begründung und Herleitung dieses Ergebnisses nur die wesentlichen Gründe angegeben hat, die für die richterliche Überzeugungsbildung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO leitend gewesen sind, und nicht alle Einzelheiten von Gutachten und Berichten, die er in seine Entscheidungsfindung einbezogen hat, hier ausdrücklich wiedergegeben und bewertet hat. Aus der Nichterwähnung einzelner Umstände ist deshalb nicht zu schließen, dass der Senat diese bei seiner Entscheidung unberücksichtigt gelassen hätte; insbesondere der Umstand, dass bestimmte verfolgungsrelevante Situationen in einem Bericht nicht erwähnt sind, kann im vorliegenden Rahmen nicht jeweils ausdrücklich dargestellt und bewertet werden (vgl. zu diesen Erfordernissen grundsätzlich: BVerwG, 05.07.1994 - 9 C 158.94 -, a.a.O.). Dies bedeutet aber nicht, dass der Senat bei der Gewichtung der vorhandenen Dokumente dies nicht im Blick gehabt und etwa nicht in seine Betrachtung einbezogen hätte. Soweit der Senat hinsichtlich der Feststellung oder Bewertung von Verfolgungstatsachen von der Rechtsprechung anderer Tatsachengerichte abweicht, hat er dies bei seiner Überzeugungsbildung beachtet. Vor allem hat er alle divergierenden Tatsachenfeststellungen, soweit sie ihm bekannt sind, in die Beweiswürdigung einbezogen, auch soweit dies nicht ausdrücklich vermerkt ist.

Zusammenfassend ist danach festzustellen, dass einem kurdischen Volkszugehörigen, der in dem hier maßgeblichen Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin in den Notstandsprovinzen des Südostens der Türkei lebte, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung durch Aktionen der türkischen Sicherheitskräfte drohte, da Angriffe der Sicherheitskräfte gezielt auch die Zivilbevölkerung in Anknüpfung an ihre kurdische Volkszugehörigkeit wahllos trafen, um diese von einer gerade aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit für möglich gehaltenen Unterstützung der PKK abzuhalten (a.A. z.B. VGH Baden-Württemberg, 22.07.1999 - A 12 S 1891/97 -; OVG Nordrhein-Westfalen, 25.10.2000 - 8 A 1292/96.A -; offengelassen z. B. von OVG Hamburg, 01.09.1999 - 5 Bf 2/92.A - und Niedersächsisches OVG, 28.01.1999 - 11 L 2551/96 -). Gegen diese Annahme spricht nicht, dass sich die Lage in städtischen Gebieten anders darstellte als auf dem Lande und insbesondere in Grenznähe. Schon wegen der stärkeren Präsenz der Sicherheitskräfte und der Anwesenheit nichtkurdischer Bewohner erübrigen und verbieten sich dort militärische Aktionen größeren Stils; dafür waren dort vermehrt repressive Maßnahmen wie willkürliche Festnahmen festzustellen. Wie bereits ausgeführt, ist es auch unerheblich, dass es in der hier maßgebenden Region einzelne Kurden geben wird, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen und sozialen Stellung oder ihrer Einbindung in den Staat von diesen Aktionen nicht betroffen waren und im wesentlichen unbehelligt leben konnten; denn für diese wäre dann gegebenenfalls die Verfolgungsvermutung als widerlegt anzusehen.

Aus diesen Feststellungen zum Kreis der von der Gruppenverfolgung betroffenen Personen folgt, dass es sich hier nicht um eine regionale, sondern um eine örtlich begrenzte Gruppenverfolgung im Sinne der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts handelt (dazu BVerwG, 09.09.1997 - 9 C 43.96 -, a.a.O.; BVerwG, 30.04.1996 - 9 C 171.95 -, a.a.O.). Nach den obigen Feststellungen sind die Verfolgungsmaßnahmen strikt auf die Notstandsprovinzen begrenzt, und im Zusammenhang mit der nachfolgenden Prüfung wird deutlich, dass der türkische Staat die Bevölkerungsgruppe der Kurden nicht landesweit in den Blick genommen hat und verfolgt, obwohl es auch gelegentlich außerhalb der Notstandsprovinzen zu asylrelevanten Übergriffen kommt. Der türkische Staat stellt sich nicht als mehrgesichtiger Staat dar, der sich insgesamt als Verfolgerstaat erweist und nur beispielsweise aus Gründen politischer Opportunität die Kurden nicht oder jedenfalls derzeit nicht landesweit verfolgt. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass er lediglich aus politischem Kalkül oder aus ähnlichen Gründen Kurden außerhalb der Notstandsprovinzen unbehelligt leben lässt, obwohl er sie allgemein als gefährliche Sympathisanten und mögliche Unterstützer der PKK und damit aus seiner Sicht als staatsgefährdende Terroristen einschätzt. Nach den vom Senat getroffenen Feststellungen hegt der türkische Staat den seine Verfolgungshandlungen auslösenden pauschalen Separatismusverdacht nur gegenüber denjenigen kurdischen Volkszugehörigen, die in den Notstandsprovinzen der Türkei leben. Nur ihnen gegenüber kommt es insbesondere aufgrund der besonderen Bedingungen des Notstandsrechts zu Übergriffen durch Sicherheitskräfte, gegen die weder die militärische noch die politische Führung vorgeht, die im Gegenteil einen wichtigen strategischen Teil des Kampfes gegen die PKK darstellen.

b) Ein kurdischer Volkszugehöriger konnte in der Türkei in dem hier maßgeblichen Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin leben, ohne dass ihm politische Verfolgung drohte, wenn er sich außerhalb der Notstandsprovinzen, vor allem in den Großstädten Ankara und Istanbul, niederließ (vgl. Hess. VGH, 23.11.1992 - 12 UE 2590/89 -, 24.01.1994 - 12 UE 200/91 -, zuletzt 27.03.2000 - 12 UE 583/99.A und 12 UE 1562/99.A -).

Im Falle einer örtlich begrenzten Gruppenverfolgung stellt sich anders als bei einer regionalen Gruppenverfolgung nicht die Frage nach einer zumutbaren inländischen Fluchtalternative (vgl. BVerwG, 30.04.1996 - 9 C 171.95 -, BVerwGE 101, 134 = EZAR 203 Nr. 8; BVerwG, 09.09.1997 - 9 C 43.96 -, BVerwGE 105, 204 = EZAR 203 Nr. 11; BVerwG, 08.03.2000 - 9 B 620.99 -). Da Grundlage für die Relevanz einer inländischen Fluchtalternative und deren Voraussetzungen die Überlegung ist, dass ein von regionaler politischer Verfolgung betroffener Bürger eines Staats erst dann politisch Verfolgter ist, wenn er dadurch landesweit in eine ausweglose Lage gerät, weil er in anderen Teilen seines Heimatlandes eine zumutbare Zuflucht nicht finden kann, ist im Unterschied zur regionalen Verfolgung bei örtlich begrenzter Verfolgung die Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung außerhalb des örtlich begrenzten Verfolgungsgebiets schon dem Begriff nach nahezu ausgeschlossen. Da nämlich die Verfolgung von vornherein strikt auf bestimmte Gebiete begrenzt ist und der Verfolgerstaat nicht nur aufgrund von Praktikabilitätsüberlegungen von der Verfolgung in einem anderen Gebiet absieht, sind Verfolgungen dort nicht wahrscheinlich; denn anders als bei regionaler Verfolgung hat der Staat die verfolgte Gruppe nicht landesweit in den Blick genommen und lässt sie nicht nur aus opportunistischen oder ähnlichen Gründen im übrigen Staatsgebiet unbehelligt. Bei einer Person, die zwar der ethnisch, religiös oder sonst abgegrenzten Gruppe angehört, jedoch nicht zu der Personengruppe zu rechnen ist, die örtlich begrenzt verfolgt wird, kann deshalb von vornherein angenommen werden, dass sie ohne Gefahr kollektiver Verfolgung in ihrer Heimatregion oder sonst außerhalb des Verfolgungsgebiets leben kann. Auf die Möglichkeit eines nicht von existenziellen Risiken anderer Art bedrohten Lebens kommt es für sie nicht an (grundsätzlich hierzu: Hess. VGH, 07.12.1998 - 12 UE 2091/98.A -; vgl. auch Hess. VGH, 27.01.1999 - 6 UE 1253/96.A -). Offenbleiben kann dabei, ob es für die aus dem Verfolgungsgebiet stammenden und daher der Gruppenverfolgung unterliegende Personen ebenfalls nicht hierauf ankommt (ebenso schon Hess. VGH, 07.12.1998 - 12 UE 232/97.A -; Hess. VGH, 31.01.2000 - 12 UE 176/99.A -; Hess. VGH, 27.03.2000 - 12 UE 1562/99.A -), da zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin Kurden, soweit sie in ihrer Heimat allenfalls der marginalen Unterstützung der PKK verdächtig waren, ohne sich aktiv und hervorgehoben für separatistische Bestrebungen einzusetzen, insbesondere in der Westtürkei grundsätzlich unbehelligt leben und dort auch eine hinreichende Existenzmöglichkeit finden konnten.

Mit der Verschärfung der Auseinandersetzung zwischen Sicherheitskräften und PKK im Südosten der Türkei sollen auch in der Westtürkei Repressionen gegen Kurden zugenommen haben (I 44, 52, 62). Die kurdischen Zuwanderer sollen bei Razzien und Fahndungen in erster Linie von Festnahmen betroffen worden sein, da sie bereits allein aufgrund ihrer kurdischen Herkunft als verdächtig galten (I 45, 62). Dies soll sich mit der Andauer des Kampfes im Südosten weiter verschlimmert haben, wobei gleichgültig gewesen sein soll, welche konkreten Verdachtsmomente in Bezug auf die Verwandtschaft oder Bekanntschaft mit PKK-Rebellen vorlagen. Des Weiteren wird der Verdacht geäußert, dass Kurden in den west-, süd- und nordtürkischen Regionen von der Polizei drangsaliert wurden, ohne dass auch nur der Versuch gemacht worden sei, den Vorwurf einer tatsächlich vorhandenen radikalen kurdischen Einstellung oder Aktivität nachzuweisen. Allein die Zugehörigkeit zur ethnischen Gruppe der Kurden habe den Vorwurf einer separatistischen Einstellung nach sich gezogen (I 67, 90). Demgegenüber wird in anderen Berichten darauf verwiesen, dass nichts davon bekannt sei, dass Kurden in den westlichen türkischen Großstädten allein wegen ihrer Volkszugehörigkeit verhaftet würden (I 42). Selbst in Zeitschriften, die in kurdischer Sprache erscheinen, sei nicht von willkürlichen Festnahmen von Kurden, nur weil sie Kurden seien, berichtet worden.

1992 und 1993 kam es in verschiedenen Orten der West- und Südtürkei zu Zwischenfällen gegenüber kurdischen Volkszugehörigen (I 62, 67). Im Rahmen von Beerdigungen und Trauerfeiern von türkischen Trauergemeinden gab es nicht nur gegen die PKK, sondern gegen die Kurden gerichtete Ausschreitungen, die teilweise mehrere Tage andauerten, beispielsweise Ende Oktober 1992 in Alanya in der Nähe von Antalya (I 43, 49, 52) und in Fethiye (Provinz Mugla; I 43, 62). Anfang Dezember 1992 entstanden in Antalya nach einem Feuerüberfall auf einen Polizeiwagen Spannungen zwischen türkischer und kurdischer Bevölkerung, die in Ausschreitungen gegen kurdische Geschäfte mündeten (I 53). Auch alltägliche Streitereien zwischen Bürgern türkischer und kurdischer Herkunft wurden häufig zum Anlass gewalttätiger Auseinandersetzungen genommen, wie in der Nacht vom 12. zum 13. Juli 1993 in Ezine (Provinz Canakkale) zwischen kurdischen Hotelangestellten und Gästen aus dem Nachbardorf (I 67). Darüber hinaus trugen auch öffentliche diskriminierende Äußerungen von Politikern zur Verschlechterung des Verhältnisses zwischen Türken und Kurden bei (I 67). Mit dem Andauern der Kämpfe im Südosten der Türkei und weiterer Flüchtlingswellen aus diesen Gebieten insbesondere in die Großstädte im Westen der Türkei verbesserte sich die Lage vor allem in den überwiegend von Kurden bewohnten Vierteln nicht. Dort vermehrte sich die Häufigkeit von Razzien und Überprüfungen einschließlich Festnahmen eher noch, da die Sicherheitskräfte unter den neu aus den östlichen Provinzen hinzugezogenen Kurden einen hohen Anteil von PKK-Anhängern vermuteten (I 83, 90, 95, 104). Nach auf Informationen von türkischen Menschenrechtsvereinen beruhenden Berichten kam es im Jahre 1994 zu 14.473 Festnahmen (I 95); in der gesamten Türkei soll es sich um eine Million Festnahmen pro Jahr gehandelt haben (I 96). Oberdiek ermittelte aus Zeitungsberichten oder Informationen von Menschenrechtsvereinen für Istanbul, Adana, Izmir und andere Orte insgesamt etwa 118 Razzien und Verhaftungen im Zeitraum Oktober 1994 bis Mai 1995; daneben kam es in diesem Zeitraum zu mehreren ungeklärten Fällen Ermordeter und Verschwundener sowie zu Bombenanschlägen, deren Täter vielfach nicht zu ermitteln waren, so beispielsweise in Adana und Mersin im März 1995 (I 104).

Es lässt sich jedoch nicht feststellen, dass in dem hier maßgeblichen Zeitraum bis zur Ausreise der Klägerin Kurden allein wegen ihrer Volkszugehörigkeit verhaftet, verhört und gefoltert wurden. Zwar ergibt sich aus den recherchierten Fällen, dass die kurdische Volkszugehörigkeit und der Zuzug aus dem Südosten vor kürzerer Zeit schon als Anknüpfungspunkt für die Durchführung einer Razzia oder Durchsuchung ausreichen konnten, da unter diesen Personen ein hoher Anteil von PKK-Anhängern vermutet wurde (I 83). Jedoch sind solche, noch der Bekämpfung terroristischer Anschläge und Täter dienende Maßnahmen für sich allein nicht als asylrechtlich relevante Beeinträchtigung zu bewerten. Zu längerdauernder Verhaftung kam es - von einzelnen Fällen abgesehen - in aller Regel nur bei Vorliegen entsprechender Verdachtsmomente, auch wenn diese häufig als vage und willkürlich erscheinen oder auf nicht rechtsstaatliche Weise erlangt wurden. So ist auch in den ermittelten Fällen (I 78, 80) festzustellen, dass bei den länger Inhaftierten Verdachtsmomente dieser Art vorlagen, wenn es sich beispielsweise um HADEP-Mitglieder handelte oder die Verwendung kurdischer Farben und/oder Symbole, das Singen kurdischer Lieder und ähnliche Begebenheiten Anlass für die Maßnahme waren.

Es fehlen auch genügende Anhaltspunkte dafür, dass Ausschreitungen und Übergriffe Privater vom türkischen Staat veranlasst oder geduldet wurden. Insoweit ist vielmehr festzustellen, dass die türkischen Sicherheitskräfte grundsätzlich schutzbereit waren. Soweit es zu spontanen und häufig emotional wegen der türkischen Opfer der bewaffneten Auseinandersetzungen mit der PKK begründeten Übergriffen Privater gegenüber kurdischen Volkszugehörigen in der Westtürkei kam blieb die Polizei nicht völlig untätig, sondern forderte beispielsweise die kurdische Bevölkerung auf, zu ihrem Schutz vorübergehend die Häuser nicht zu verlassen, oder verhinderte weitere Ausschreitungen (I 62). Auch die berichteten Einzelfälle von Übergriffen staatlicher Sicherheitskräfte nach Festnahmen von Kurden in Adana (I 78) können insbesondere unter Berücksichtigung der großen Zahl der im Westen der Türkei lebenden sechs bis acht Millionen Kurden nicht zu der Feststellung führen, dass Kurden dort generell wegen ihrer Volkszugehörigkeit politische Verfolgung droht. Aus Berichten türkischer Menschenrechtsvereine gehen ca. 1.000 Folterfälle in den Jahren 1994 und 1995, 298 Todesfälle in Polizeihaft oder bei Polizeirazzien und 328 Fälle vermuteten Verschwindenlassens innerhalb eines Jahres hervor (I 96). Diesen Zahlen von Folterfällen, Todesfällen in Polizeihaft oder bei Polizeirazzien und Fällen vermuteten Verschwindenlassens steht eine (geschätzte) Zahl von etwa 3,5 Millionen Kurden in Istanbul (von etwa 8,5 Millionen Einwohnern; 1997: etwa 3 Millionen Kurden, I 89) und 800.000 Kurden in Izmir (von über drei Millionen Einwohnern; I 94) gegenüber. Die Zahl der Binnenflüchtlinge aus dem Südosten, die sich im Westen niedergelassen haben, wird auf zwei bis drei Millionen geschätzt; etwa die Hälfte bis annähernd zwei Drittel der kurdischstämmigen Bevölkerung lebte damit im Westen der Türkei (I 89). Der Zunahme bei der Zahl von Verhaftungen und auch Übergriffen steht die noch deutlichere Zunahme der Zahl der kurdisch-stämmigen, insbesondere auch aus dem Südosten neu zugezogenen Bevölkerung gegenüber.

Kurdische Volkszugehörige hatten zum Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin insbesondere in der Westtürkei, vor allem in den Großstädten Istanbul und Ankara auch grundsätzlich die Möglichkeit, sich jedenfalls für eine bescheidene Lebensführung eine ausreichende wirtschaftliche und finanzielle Grundlage zu schaffen. Es drohte ihnen bei der gebotenen generalisierenden Betrachtung (BVerwG, 08.02.1989 - 9 C 30.87 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 104) nicht auf Dauer ein Leben unter dem Existenzminimum mit der Gefahr von Verelendung und Hungertod. Etwa die Hälfte bis annähernd zwei Drittel der kurdischen Bevölkerung (I 74, 89), deren Gesamtzahl auf etwa 12 oder 13 Millionen geschätzt wurde (I 80), lebte mittlerweile außerhalb der ursprünglichen Siedlungsgebiete im Osten der Türkei. In der übrigen Türkei, insbesondere in den Großstädten Istanbul, Izmir und Ankara, lebten zwischen sechs und zehn Millionen türkischer Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit (I 47, 89). Die Zahl der Zuwanderer belief sich dort zwischenzeitlich auf etwa ein Fünftel bis ein Drittel der Gesamteinwohnerzahl (I 28, 62). In Istanbul wohnten etwa 3,5 Millionen Kurden unter einer Gesamtbevölkerung von jedenfalls über acht Millionen (III 1, 4, I 89) und damit mehr als in den meistumkämpften Kurdenprovinzen (I 49). Im Großraum Izmir lebte etwa eine Million Kurden bei einer Gesamteinwohnerzahl von etwas über drei Millionen (I 42). Ein Teil der Kurden lebte schon seit Generationen und assimiliert im Einvernehmen mit den jeweiligen Nachbarn im Westen, während andere erst in neuerer Zeit zugewandert waren, wobei sich die Zuwanderung aus einem bestimmten Dorf an dem Ort konzentrierte, an dem der erste Abwanderer aus diesem Dorf sich niedergelassen hatte (I 28, 29). Das Gros der im Westen lebenden kurdischstämmigen Bevölkerung befand sich im Familienverbund und wurde dadurch auch in die Lage versetzt, sich gegenseitig zu unterstützen (III 5). Ursachen für diese "Auswanderung" in den Westen der Türkei waren oft auch wirtschaftliche Gründe, da sich die wirtschaftliche Lage insbesondere in den städtischen Gebieten der Westtürkei in der Regel besser als im Heimatdorf der Kurden in ihrem Siedlungsgebiet darstellte (I 32), wobei die wirtschaftliche Situation der in der Westtürkei lebenden kurdischstämmigen Bevölkerung tatsächlich nicht von ihrer Volkszugehörigkeit, sondern überwiegend von ihrem Bildungs- und Ausbildungsstand abhing (I 29). Auch Kurden aus dem ländlichen Bereich der kurdischen Siedlungsgebiete im Südosten der Türkei, die mangels ausreichenden Schulbesuchs oft nicht einmal lesen oder schreiben konnten und vor allem in der Landwirtschaft tätig waren, fanden in den Großstädten durchaus Möglichkeiten, sich insbesondere als Hilfskräfte im Dienstleistungsbereich ein bescheidenes Auskommen zu sichern. Da die Schulpflicht auch unter den in den Gecekondus der Großstädte lebenden Zuwanderern zu einem hohen Prozentsatz erfüllt wurde, waren die wirtschaftlichen Möglichkeiten dort heranwachsender Kurden bereits erheblich besser und unterschieden sich nicht von denen vergleichbarer angestammter Einwohner dieser Städte (I 29). Kurdischstämmige Türken wurden hier in die Gesellschaft gut integriert und waren entsprechend ihrer Qualifikation auch in höchsten Positionen der Wirtschaft, beim Militär und bei der Regierung vertreten (I 29); der Präsident der Istanbuler Handelskammer etwa war Kurde (I 80). Kurden konnten insbesondere in westtürkischen Großstädten, vor allem in Istanbul, genauso wie die dort angestammten Einwohner Arbeit finden. Es lässt sich nicht erkennen, dass Kurden in den Städten von Arbeitslosigkeit verhältnismäßig stärker betroffen waren als andere Gruppen (I 40). Länger ansässige Kurden hatten im Westen der Türkei ohne Anzeichen für irgendeine Diskriminierung ihren festen Platz in der Geschäftswelt (I 40), etwa in der Gastronomie, im Gemüse- und Obstgroßhandel, im Transportwesen oder der Industrie. Ein Großteil des Kleinhandels, aber auch des Handwerks, befand sich fest in kurdischer Hand. Aus dem Südosten zuwandernden Kurden war es nicht schwerer gefallen als anderen Zuwanderern, auf dem Arbeitsmarkt unterzukommen. Gerade in der türkischen Bauwirtschaft, die insbesondere an den Küsten einen Boom erlebte, gehörten Kurden zu den beliebtesten Arbeitskräften (I 40). Tatsächlich sind aus diesem Grunde Hunderttausende aus den Kurdenprovinzen, die auch unter dem Einfluss der zwischen der PKK und türkischen Sicherheitskräften geführten bewaffneten Auseinandersetzungen wirtschaftlich ausgeblutet waren, aus ihren heimatlichen Siedlungsgebieten in den Westen der Türkei abgewandert (III 2). In den städtischen Ballungszentren war für sie immer noch besser Arbeit zu finden als im mehr und mehr verödenden Südosten (I 47). Neben der allgemein herrschenden Arbeitslosigkeit führte allerdings eine zunehmend feindliche Haltung der Türken in der Westtürkei gegenüber Kurden dazu, dass diese zum Teil bewusst nicht mehr beschäftigt wurden. Kurden, die oft ihre einzige Möglichkeit, Geld zu verdienen, in einer Tätigkeit als Straßenhändler sahen, wurde diese Tätigkeit zunehmend durch polizeiliche Maßnahmen wie Verbote, Festnahmen und Misshandlungen erschwert (I 76, III 4), z. B. durch Umwerfen der Wagen, so dass die Waren kaum mehr zu verkaufen waren. Männer konnten durch Gelegenheitsarbeiten zunehmend nur das Notwendigste verdienen; angesichts einer hohen Arbeitslosigkeit blieben ihnen auch in den Großstädten nur schlecht bezahlte Arbeiten am Bau und in der Kanalisation (III 4). Andererseits ist festzustellen, dass kurdische Arbeitnehmer auch auf dem Hintergrund der sehr angespannten Arbeitsmarktsituation im Westen der Türkei dort und an der Südküste immer noch eher Arbeit fanden als in ihrem südöstlichen Heimatgebiet. Denn die Lebensverhältnisse in der Türkei wurden durch ein starkes West-Ost-Gefälle geprägt; das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf belief sich in der Osttürkei nur auf ein Zehntel des Wertes in der Westtürkei. Unter der hohen Arbeitslosigkeit hatten Kurden und Türken in der jeweiligen Region gleichermaßen zu leiden (I 79, 89). Kurdische Flüchtlinge mussten im Westen der Türkei oft auf engerem Raum zusammenleben als in ihren Heimatdörfern; zudem waren sie zusätzlich belastet durch hohe Mieten und mangelnde Wasserversorgung. Einnahmen konnten sie sich als ungelernte Arbeitskräfte nur durch eine Beschäftigung in der Landwirtschaft, im Baugewerbe, als Lastenträger oder als Straßenhändler verschaffen (I 62, 76). Auch wenn derartige existentielle Schwierigkeiten für Kurden an ihrem Herkunftsort im Südosten in Friedenszeiten so nicht bestanden haben (I 40), ist zu beachten, dass angesichts der kriegerischen Auseinandersetzungen in ihrem Heimatgebiet die Sicherheits- und Wirtschaftslage in der Regel im Westen, jedenfalls in den Großstädten, gesicherter war, worauf auch die ganz erhebliche Binnenwanderung vom Südosten nach Westen wegen der dort insgesamt besseren materiellen Lebensumstände (I 79) hinweist.

Insgesamt lässt sich demnach aber feststellen, dass für Kurden außerhalb der Notstandsprovinzen, jedenfalls aber in der Westtürkei, sowohl unter Sicherheitsaspekten als auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten eine Existenzmöglichkeit zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin bestand (z.B.: VGH Baden-Württemberg, 22.07.1999 - A 12 S 1891/97 -; OVG des Saarlandes, 18.08.1999 - 9 Q 66/98 -; OVG Nordrhein-Westfalen, 25.01.2000, a.a.O.; Niedersächsisches OVG, 28.01.1999, a.a.O.; OVG Hamburg, 01.09.1999, a.a.O.; 23.11.1995 - 11 L 6076/91 -; OVG Rheinland-Pfalz, 04.12.1995 - 10 A 12970/95 -).

2. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Klägerin in der Türkei vor ihrer Ausreise aus individuellen Gründen politische Verfolgung erlitten hat.

Die von ihr als für die Ausreise relevant geschilderten Ereignisse beschreiben die zum damaligen Zeitpunkt in ihrer Heimatregion herrschenden Verhältnisse, die, wie oben ausgeführt, die Gruppenverfolgungssituation charakterisieren. Es ist nichts dafür erkennbar oder sonst vorgetragen, dass es sich um individuell auf die Klägerin oder auf einen ihrer Brüder gerichtete Maßnahmen handelte, sondern offensichtlich war ihr Heimatort als generell vermuteter Unterschlupf für Unterstützer der PKK von razziaähnlichen Maßnahmen betroffen, ohne dass erkennbar gezielt nach bestimmten Personen gefahndet wurde. Selbst wenn man trotz deutlicher Zweifel an den diesbezüglichen Bekundungen ihres Bruders T. davon ausgeht, dass später noch eine weitere Razzia mit gezielter Suche nach diesem stattgefunden hat, bei der der Großvater der Klägerin erheblich misshandelt wurde, lassen sich hieraus zum damaligen Zeitpunkt landesweit drohende asylerhebliche Verfolgungsmaßnahmen nicht folgern. Zweifel gründen sich darauf, dass das Vorbringen hierzu in zentralen Punkten widersprüchlich und es der Klägerin bzw. ihrem Bruder T. im Lauf des Verfahrens nicht gelungen ist, diesen Widerspruch überzeugend aufzulösen. Während nämlich zunächst davon die Rede war, der Großvater sei bei dieser Razzia so geschlagen worden, dass er starb, bekundete der Bruder und Vormund der Klägerin in der informatorischen Anhörung vor dem Verwaltungsgericht, der Großvater sei bei dieser Razzia misshandelt worden und er sei während der Zeit ihres Aufenthaltes bei dem Onkel - also offenbar ein bis zwei Wochen später - gestorben; der Grund hierfür seien mutmaßlich die Misshandlungen. Auch wenn man davon ausgeht, dass dieser Widerspruch auf einem möglicherweise durch das Alter der Klägerin von damals etwa neun Jahren bedingten Missverständnis, einer Ungenauigkeit bei der Anhörung vor dem Bundesamt oder ihrem aufgrund des Zeitablaufs von zwei Jahren seit der Ausreise und durch die Ereignisse an sich eingeschränkten Erinnerungsvermögen beruht, kann ein Zusammenhang zwischen den vom Großvater erlittenen Misshandlungen und einer gezielten Suche nach dem Bruder und jetzigen Vormund der Klägerin hieraus nicht gefolgert werden. Vielmehr spricht alles dafür, dass die Klägerin wie ihre Familie von einer pauschalen, in Zusammenhang mit der Bekämpfung der PKK stehenden Razzia betroffen war, dass sie jedoch darüber hinaus weder individuell auf sie selbst noch auf ihren Bruder T. gerichtete, über das örtliche Umfeld hinausreichende und die Klägerin einbeziehende Maßnahmen erlitten oder zu befürchten hatte. Es gibt keine weiteren Anhaltspunkte dafür, dass sie oder ihr Bruder T. über die allgemein angewandten Drangsalierungen hinaus vor ihrer Ausreise derart in das Visier der Sicherheitskräfte geraten waren, dass landesweit nach ihnen gefahndet worden wäre, insbesondere wurden offensichtlich keine landesweit wirksamen Verfahren gegen ihren Bruder T. eingeleitet, die Gefahren auch für die neunjährige Klägerin bedeutet hätten. Der Umstand, dass ihr Bruder T. in seinem Heimatort seit der letzten Razzia nicht mehr angetroffen wurde, hat die Sicherheitskräfte möglicherweise pauschal auf einen PKK-Zusammenhang schließen lassen und eine örtliche Suche veranlasst, ohne dass dies landesweite Maßnahmen ausgelöst hat, wie auch in den von ihm angestrengten und ohne Asylanerkennung zwischenzeitlich rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahren zugrunde gelegt wurde.

Im Übrigen wäre es der Klägerin ohne weiteres möglich gewesen, entweder gemeinsam mit ihrem Bruder T. vor im heimatlichen Bereich möglicherweise drohenden weiteren, auch sie selbst betreffenden Maßnahmen in den Westen der Türkei auszuweichen, wo sie vor allem unter Berücksichtigung der Unterstützung, die sie durch Verwandte zur Finanzierung und Durchführung der Ausreise erhalten haben, offensichtlich die Möglichkeit gehabt hätten, eine Existenzmöglichkeit zu finden. Auch wenn man keinen gemeinsamen Verbleib im Westen der Türkei berücksichtigt, da der Bruder T. notfalls auch allein ausgereist wäre, und des weiteren davon ausgeht, dass die Eltern und übrigen Geschwister zum damaligen Zeitpunkt nicht auffindbar waren, hätte sie, sofern ihre Eltern oder Verwandte nicht ermittelbar gewesen sein sollten, durch Aufnahme in einem Waisenhaus eine Existenzmöglichkeit bis zur Volljährigkeit finden können (s. unten S. 77 f.).

II.

Die somit unverfolgt ausgereiste Klägerin kann die Feststellung des Abschiebungshindernisses nach § 51 Abs. 1 AuslG nur bei nachträglichem Eintritt eines Verfolgungstatbestands erreichen. Hierfür sind nicht die strengen Voraussetzungen wie für die Anerkennung als Asylberechtigter (vgl. dazu § 28 AsylVfG und BVerfG, 26.11.1986 - 2 BvR 1058/85 -, a.a.O.) zu erfüllen (vgl. dazu BVerwG, 29.11.1977 - I C 33.71 -, BVerwGE 59, 82 = EZAR 201 Nr. 3; UNHCR, Handbuch über das Verfahren und die Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gemäß dem Abkommen von 1951 und dem Protokoll von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, 1979, Nrn. 94 - 96; Nr. 3 Gemeinsamer Standpunkt des EU-Rats vom 04.03.1996 betreffend die harmonisierte Anwendung der Definition des Begriffs "Flüchtling" in Art. 1 GK, Abl. EG Nr. 263/2 vom 13.03.1996). Vielmehr setzt ein Nachfluchtgrund im Rahmen des § 51 Abs. 1 AuslG nur voraus, dass dem Asylbewerber aufgrund von Umständen, die nach seiner Ausreise aus seinem Heimatland eingetreten sind, für den Fall seiner Rückkehr dort gegenwärtig und in absehbarer Zeit politische Verfolgung droht. Für die Prognose der Verfolgungsgefahr ist der Maßstab anzulegen, ob dem unverfolgt ausgereisten Asylbewerber politische Verfolgung bei einer Rückkehr in sein Heimatland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (zur Asylanerkennung: BVerwG, 31.03.1981 - 9 C 286.80 -, EZAR 200 Nr. 3, 25.09.1984 - 9 C 17.84 -, a.a.O., 03.12.1985 - 9 C 22.85 -, a.a.O.). 1. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass der Klägerin als Angehöriger der Volksgruppe der Kurden in ihrer Heimatregion, die zu den Notstandsprovinzen zählt, nach wie vor politische Verfolgung in der Form der örtlich begrenzten Gruppenverfolgung droht. Die unter A I 1. beschriebene Verfolgungssituation hat sich in den letzten sechs Jahren nach ihrer Ausreise nicht verändert. Danach ist festzustellen, dass die Klägerin aber nach der Sachlage im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats in sonstige Gebiete außerhalb der Notstandsprovinzen zurückkehren kann, ohne dort politischer Verfolgung ausgesetzt zu sein, und dass sie dort auch das notwendige Existenzminimum erreichen kann. Auch nach 1994 wurden die Kämpfe zwischen den Sicherheitskräften und den Angehörigen der PKK in den Notstandsgebieten mit unveränderter Härte fortgesetzt. Nachdem die PKK im Januar 1995 gegenüber dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes die Genfer Konvention und das Zusatzprotokoll von 1977 anerkannt und sich insbesondere zur Schonung von Zivilisten bei Kampfhandlungen und zur korrekten Behandlung von Gefangenen verpflichtet hatte (I 90), haben sowohl die Sicherheitskräfte als auch die PKK ihre Aktivitäten nach Anzahl und Umfang im Laufe des Jahres 1995 noch verstärkt. Seit September 1994 konzentrierte die Armee ihre Streitkräfte in der Provinz Tunceli, die seit Ende 1994/Anfang 1995 unter Notstandsrecht steht (I 86) und 1995 zunehmend zum wichtigsten Schauplatz der Kämpfe wurde; die Zahl der dort stationierten Streitkräfte wurde erheblich verstärkt. Nachdem im März 1995 die PKK ihre Übergriffe erstmals auf die südtürkische Provinz Hatay ausdehnte (I 108), marschierten 35.000 türkische Soldaten mit Panzern und Artillerie in die Kurdengebiete im Nordirak ein und gingen, bis Mai 1995 unterstützt von mit der PKK rivalisierenden irakischen Kurdengruppen, gegen PKK-Lager vor. Die türkischen Sicherheitskräfte wurden für zahlreiche Übergriffe gegen die kurdische Zivilbevölkerung im Irak sowie die Zerstörung etlicher Dörfer verantwortlich gemacht (I 99, 101). Bis zum Herbst 1995 kam es in allen Notstandsprovinzen wiederum zu zahlreichen Auseinandersetzungen (vgl. z. B. I 103, 104, 111, 121, 127), auch nach einem von dem PKK-Führer Öcalan am 15. Dezember 1995 wegen der am 24. Dezember bevorstehenden Parlamentswahlen verkündeten einseitigen Waffenstillstand (I 131, 132, 134, 135). Militäraktionen fanden auch weiterhin seit 1995 in verschiedenen Provinzen statt (I 97, 113, 128), wobei zu berücksichtigen ist, dass während des gesamten Jahres 1995 bei etlichen Überfällen der PKK auf Dörfer sowohl in der Notstandsregion als auch in angrenzenden Provinzen zahlreiche vor allem kurdische Zivilisten ums Leben kamen, so bei einem Angriff von PKK-Kämpfern auf das Dorf Hamzali in der Provinz Diyarbakir und auf das Dorf Naliza in der Nähe der Stadt Kulp (vgl. z. B. I 86, 121). Die Anschläge der PKK richteten sich vor allem gegen Lehrer, die von ihr als türkische Agenten und damit der gegnerischen Kriegspartei zugehörig bezeichnet werden (I 91). Auch in den an die Notstandsregionen angrenzenden Provinzen kam es zu mehreren Überfällen der PKK auf Bergdörfer, vor allem in der Provinz Karamanmaras (I 96, 123), über welche bis zum Jahr 1995 ebenfalls der Ausnahmezustand verhängt war (I 105). Nach Beendigung eines Waffenstillstands im Juni 1996 (I 145) gab es im Rahmen der Frühjahrsoffensive 1996 auf beiden Seiten wieder zahlreiche Tote und Verwundete (I 143), wobei es auch zu Auseinandersetzungen mit der PKK im Nordirak kam. Im Juli 1996 griff auch die türkische Luftwaffe PKK-Lager im Nordirak an (I 146).Die türkischen Sicherheitskräfte, die sich aus Armeeangehörigen, Polizei- und Gendarmaeinheiten sowie Spezialeinheiten, sogenannte Özel Tims, zusammensetzen, setzten im Zuge der gesteigerten Aktivitäten zur Bekämpfung der PKK in den Notstandsgebieten die massiven Übergriffe gegen die kurdische Zivilbevölkerung fort, zunehmend unter Berücksichtigung der seitdem verstärkt verfolgten Strategie, Dorfbewohner, bisweilen sogar ganze Dorfgemeinschaften zur Übernahme des Dorfschützeramtes zu pressen und im Weigerungsfall die Dorfbewohner zu schlagen, die Häuser zu verwüsten und Haushaltsgegenstände zu zerstören (I 113). Seit November 1994 kommt es zu systematischen Zwangsevakuierungen, die mit völliger Zerstörung der Dörfer einschließlich des Viehbestandes, der landwirtschaftlichen Geräte, Ernte und noch nicht geernteter Feldfrüchte einhergehen (I 125). Die Dörfer werden entvölkert; es kommt zu willkürlichen Verhaftungen (I 107). Oft lassen die Soldaten den Dorfbewohnern nur Zeit, das Nötigste zusammenzupacken, und zerstören dann ihre Häuser. Die Stadt Tunceli selbst war im April 1995 infolge der Vertreibungen in der Region in kurzer Zeit von 25.000 auf 40.000 Einwohner angewachsen (I 102). Der Bundestagsabgeordnete Özdemir berichtete nach einer Türkeireise Anfang August 1995, dass zwei Drittel der Dörfer um die Hauptstadt Tunceli entvölkert und die Bewohner in die Flucht getrieben worden seien; rechtsextreme Sondereinheiten hätten einen Staat im Staate errichtet und versuchten, mit Ausgangssperren und Nahrungsmittelrationierungen jegliche Unterstützung für die PKK zu verhindern (I 115). Nach den Parlamentswahlen am 24. Dezember 1995 sollen die Sicherheitskräfte in kurdischen Dörfern der Notstandsgebiete Strafaktionen gegen die Zivilbevölkerung durchgeführt haben, weil diese die HADEP gewählt hätten; 34 Einwohner des Dorfes Kurtepe bei Diyarbakir sollen verhaftet worden sein, ebenso drei Dorfschützer aus einem anderen Dorf der Region. In dem Dorf Narike sollen die Einwohner gezwungen worden sein, sich auf dem Dorfplatz zu versammeln, und gefoltert worden sein (I 134). In den Provinzen, über die der Notstand verhängt ist, kommt es seither im Rahmen von Zwangsevakuierungen von Dörfern sowie bei sonstigen großangelegten Aktionen der Sicherheitskräfte zu Übergriffen gegenüber Zivilpersonen, insbesondere wenn diese verdächtigt werden, mit der PKK zusammenzuarbeiten (I 144, 147, 151, 152, 153, 155, 158, 241). Im Jahr 1999 kam es nach Feststellungen des IHD zu 30 zwangsgeräumten und niedergebrannten Dörfern sowie 341 Bombenangriffen und Razzien (I 189). Seit der Verhaftung und Verurteilung des PKK-Führers Öcalan im Jahr 1999, dessen Kapitualitionsappellen und verschiedener Offensiven der türkischen Sicherheitskräfte ist die PKK nur noch in wenigen Bergregionen im Südosten und Osten der Türkei präsent. Mindestens ein Dutzend örtlicher PKK-Kommandeure soll sich den Kapitulationsappellen Öcalans verweigert haben (I 196), etwa 500 Guerilleros werden noch auf türkischem Territorium vermutet während sich die ca. 5000 Mann starke Hauptmacht nach Nordirak, Syrien und Iran zurückgezogen haben soll (I 196, 221). Die Drangsalierung der kurdischen Bevölkerung, wenn diese die Unterstützung verweigert oder gar den türkischen Staat aktiv unterstützt (I 144, 147, 151, 167) und von der Dorfschützer sowie ihre Familien, Sicherheitsbeamte, Staatsanwälte, Richter und Lehrer besonders betroffen (I 167) waren, hat offenbar nachgelassen. Dissidenten innerhalb der PKK oder diejenigen, die als Verräter angesehen werden, werden nach wie vor von der PKK gemaßregelt. So sollen 40 Dissidenten in einem verminten Gebiet an der iranischen Grenze gefangen gehalten werden; andere wurden gewaltsam daran gehindert, die Guerilla zu verlassen (I 232). Seit Beginn der bewaffneten Auseinandersetzungen mit der PKK im Jahre 1984 in der Kurdenregion bis zum Zeitpunkt der Entscheidung wurden nach Angaben des Auswärtigen Amtes (I 147, 151, 167, 226) etwa 3.428 Dörfer evakuiert und ganz oder teilweise zerstört, wobei die Gesamtzahl der Dörfer im Notstandsgebiet mit 12.000 angegeben wird. Die Evakuierungen betrafen nach unterschiedlichen Quellen demnach bisher 300.000 bis 2.000.000 Menschen (I 167, 226), wobei aufgrund der verschiedenen anderen Maßnahmen wie der Räumung der Häuser von Familien, die keine Dorfschützer stellen wollen, von Verhören und Misshandlungen Verdächtiger und ihrer Angehörigen, Razzien und Kampfhandlungen Orte häufig auch freiwillig aufgegeben werden.

Insbesondere seit der Verhaftung und Verurteilung Öcalans zeichnen sich zwar einige Veränderungen in der Kurdenpolitik ab, deren Auswirkungen sind allerdings bisher geringfügig . So wurde das seit 1993 in zehn Provinzen bestehende Notstandsrecht (I 130, 144, 147) für die Provinz Mardin am 28. November 1996 (I 151), für die Provinzen Bitlis, Batman und Bingöl zum 6. Oktober 1997 und zum 1. Dezember 1999 in der Provinz Siirt aufgehoben. Die Provinzen Diyarbakir, Hakkari, Sirnak, Tunceli und Van sind unter Notstandsrecht verblieben (I 167, 226), obwohl die Aufhebung nach Angaben des türkischen Ministerpräsidenten infolge der Veränderung der Situation möglichst bald geplant war (I 238). Nach ähnlichen Fortschritten schon im Jahr 1995 und einer Stagnation 1996 (I 154) war es im Jahr 1997 erneut zu Attentaten der PKK einerseits und militärischen Offensiven in der Türkei und im Nordirak andererseits gekommen (I 155), die im Frühjahr 1998 in der Provinz Sirnak mit heftigen Kämpfen auch unter Beteiligung der türkischen Luftwaffe, 40.000 Soldaten sowie 3.000 Dorfwächtern in einem Gebiet von 16.000 Quadratkilometern fortgesetzt wurden (I 156). Im Sommer 1998 gab es Gefechte in Sirnak, Hakkari und Diyarbakir (I 156) sowie nach verstärkten Aktivitäten der PKK Offensiven des türkischen Militärs gegen die PKK im Grenzgebiet zum Irak (I 167); dabei sollen 170 Menschen getötet worden sein. Schon während des Aufenthalts von Öcalan in Rom im November 1998, nachdem er auf Druck der türkischen Regierung hin seinen bisherigen Aufenthaltsort in Syrien verlassen hatte, kam es zu verschiedenen Verhaftungswellen von etwa 3.000 Mitgliedern der HADEP, wobei zwei Personen im Polizeigewahrsam ums Leben kamen und Freigelassene von Folter berichteten; 200 Personen sollen sich Anfang Januar 1999 noch in Untersuchungshaft befunden haben (I 163). Nach der Verhaftung Öcalans am 16. Februar 1999 und seiner Verbringung in die Türkei (I 167) kam es erneut zu Massenverhaftungen (1.400 HADEP-Mitglieder, I 163). Büros von HADEP-Mitgliedern wurden ebenso wie diejenigen des Mesopotamischen Kulturvereins und anderer Vereinigungen durchsucht (I 164), und sowohl das Newroz-Fest am 21. März als auch die Parlamentswahlen am 18. April boten weitere Anlässe für verschiedene Aktionen seitens der Sicherheitskräfte, unter anderem als Reaktion auf das Bombenattentat auf das Einkaufszentrum "Blauer Basar" sowie weiterer Selbstmordattentate (I 164). Öcalan wurde wegen Hochverrats von dem Staatssicherheitsgericht am 29. Juni 1999 gem. § 125 tStGB zum Tode verurteilt, das Urteil wurde am 25. November 1999 vom Kassationsgerichtshof bestätigt. Am 12. Januar 2000 beschloss die Regierung, das Todesurteil vorerst nicht dem Parlament zur Beschlussfassung über die Vollstreckung vorzulegen, sondern zunächst den Ausgang des von Öcalan angestrengten Verfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte abzuwarten (I 226). Öcalans Bruder Osman wurde trotz unbekannten Aufenthalts im April 2000 des Hochverrats angeschuldigt und für ihn ebenfalls die Todesstrafe gefordert (I 209), und am 13. Juli 2000 wurde der PKK-Funktionär Soysal aus Moldawien in die Türkei entführt, dort wegen Hochverrats angeklagt und wiederum die Todesstrafe gefordert (I 223). Nach der Eröffnung des Prozesses gegen Öcalan kam es zu erneuten Massenverhaftungen im Südosten; so wurden in den Dörfern Tilkiler, Törolar, Cöcenler, Salliusagi und Musolar (Kreis Pazarcik) etwa 50 Personen festgenommen, von denen am 17. Juni 1999 17 Personen freigelassen wurden (I 166). Der Aufruf Öcalans zum Rückzug der PKK und der Aufgabe des bewaffneten Kampfes im September 1999 hat zwar dazu geführt, dass zumindest Teile der PKK den Rückzug angetreten haben (I 226); immer wieder wurde und wird aber die Aufgabe des Kampfes zumindest von einem Teil der PKK in Frage gestellt (I 180), von Zugeständnissen und mehr Freiheiten für Kurden abhängig gemacht oder gar als Verrat und Unterwerfung abgelehnt (I 225, 234). Auch Kaya (I 168) berichtet von einem Rückzug der PKK seit September 1999, fügte aber hinzu, dass seither die kurdischen Bewohner der Dörfer in den Provinzen Diyarbakir, Bingöl, Bitlis, Mus und Batman von Sicherheitskräften aufgesucht worden seien, um sie einzuschüchtern. Auch das Auswärtige Amt bestätigt (I 167, 226), dass sich im Herbst 1999 zwei Gruppen von PKK-Mitgliedern in Istanbul und Hakkari den Sicherheitskräften gestellt hätten; gegen sie wurden derzeit noch andauernde Verfahren eingeleitet. Es sei aber weiterhin zu Übergriffen auf die Zivilbevölkerung gekommen, wobei als Grund für das Vorgehen gegen Zivilisten regelmäßig der Verdacht der Zusammenarbeit mit der PKK angegeben werde. Zwangsevakuierungen beträfen in der Regel weiterhin Dörfer am Rande der Rückzugsgebiete der PKK, die von dieser als Operations- oder Versorgungsbasen genutzt werden. Der türkische Generalstabschef forderte die Rebellen auf, sich zu stellen (I 177); der von Öcalan empfohlene Abzug der PKK wurde als taktische Finte angesehen (I 178). Das türkische Militär führt weiterhin Offensiven gegen die PKK durch und verfolgt PKK-Kämpfer regelmäßig auch außerhalb der Türkei im Nordirak. So marschierten in einer Offensive Ende September 1999 5.000 türkische Soldaten im Nordirak ein und griffen Stellungen der PKK an (I 172). Eine neue, großangelegte und grenzüberschreitende Aktion fand Anfang April 2000 statt (I 226) und dauerte bis Mai an (I 212, 216); es kamen auch Kampfflugzeuge zum Einsatz (I 207). Bei Zusammenstößen zwischen PKK und Militär im Südosten der Türkei wurden noch im Jahr 1999 15 bis 20 PKK-Rebellen getötet (I 170, 182), unter anderem in Sirnak (I ). Erstmals im Januar 2000 gab der türkische Ministerpräsident an, dass die Aktivitäten der PKK fast auf Null zurückgegangen seien (I 187); dennoch fanden weiterhin Auseinandersetzungen statt. So wurden bei Zusammenstößen zwischen PKK-Rebellen und Soldaten in der Provinz Tunceli im Januar sechs Rebellen und sechs Soldaten getötet (I 188). Auch nach der Erklärung der PKK, den Kampf aufgeben zu wollen (I 195) fanden in Mardin und Sirnak weitere Kämpfe statt, bei denen 6 PKK-Aktivisten und 3 Soldaten getötet worden sein sollen (I 198). Kurz darauf kamen 9 Rebellen und 2 Sicherheitskräfte bei Kämpfen im Südosten ums Leben (I 201) und im April/Mai insgesamt 5 Personen (I 210). Auch im Oktober/November 2000 kam es erneut zu Kämpfen (I 242).

Seit der Verschärfung der Auseinandersetzungen mit der PKK ist die Situation in der Türkei immer wieder von dem verschärften Vorgehen staatlicher Organe gegen Oppositionelle und insbesondere Kritiker der Kurdenpolitik der Regierung geprägt. Hiervon betroffen sind in erster Linie Menschenrechtsaktivisten, türkische und ausländische Journalisten sowie Politiker von Parteien, die sich für die Kurden einsetzen, insbesondere der HADEP bzw. DEP. So wurde nach dem Verbot der pro-kurdischen Zeitung Özgür Gündem im April 1994 auch das Nachfolgeorgan Özgür Ülke nach Beschlagnahme ihrer Ausgaben jeweils noch vor der Auslieferung im Februar 1995 eingestellt (I 88, 117), und im August 1995 wurde die Nachfolgezeitung Yeni Politika mit der Begründung verboten, die Zeitung sei im wesentlichen eine Fortsetzung der Özgür Ülke gewesen (I 117). Die Tageszeitung Ülkede Gündem musste Ende 1998 schließen; das Nachfolgeblatt Özgür Bakyp konnte noch einige Zeit ungehindert erscheinen, wurde aber Anfang Mai 2000 zusammen mit einigen anderen Zeitungen jedenfalls im Notstandsgebiet im Südosten des Landes verboten (I 226). Insgesamt 13 Medien wurden in neuerer Zeit verboten, darunter das prokurdische Blatt Yeni Gundem (in fünf Provinzen; I 222). 21 Radiosender und 20 Fernsehanstalten sollen in diesem Jahr mit zeitweiligen Sendeverboten belegt worden sein (I 231). Insbesondere Menschenrechtsaktivisten müssen auch weiterhin mit Verhaftungen rechnen. In Izmir wurde am 19. Oktober 1999 ein Arzt, der ehrenamtlich im Behandlungs- und Rehabilitierungszentrum der Türkischen Stiftung für Menschenrechte (HRFT) mitarbeitet, unter dem Vorwurf verhaftet, zwei Patienten behandelt zu haben, obwohl er Kenntnis von ihrer Mitgliedschaft in einer illegalen Organisation hatte; in einem ärztlichen Attest wurden Folterspuren bestätigt. Zwei andere Mitarbeiter wurden im Oktober 1999 bei dem Besuch des Begräbnisses eines Folteropfers wegen Teilnahme an einer illegalen Demonstration festgenommen, und ein international anerkannter Experte für Fälle von Folter und Behandlung von Folteropfern wurde nach dem Pressegesetz angeklagt, nachdem er sich über die zuvor beschriebenen Ereignisse öffentlich geäußert hat (I 189). In jüngster Zeit häufen sich auch wieder Maßnahmen gegen führende HADEP-Mitglieder. So wurden am 13. März 2000 der stellvertretende Vorsitzende der Partei sowie am 18. und 19. Februar 2000 drei Bürgermeister festgenommen; am 24. April 2000 begann der Prozess gegen diese und neunzehn weitere HADEP-Mitglieder vor dem Staatssicherheitsgericht in Diyarbakir (I 226). Der Vorsitzende der HADEP, Demir, wurde Ende Mai 2000 wegen einer im Oktober 1999 gehaltenen Rede zur "Lösung der Kurdenfrage" zu einem Jahr Haft und Geldstrafe verurteilt (I 220). Ende Juni wurden 30 HADEP-Mitglieder, darunter der Istanbuler Vorsitzende und sein Stellvertreter, festgenommen, die Büros durchsucht und Dokumente beschlagnahmt (I 228). Im September wurde gegen die der HADEP angehörige Bürgermeisterin von Kiziltepe ein Verfahren nach einem Interview eröffnet (I 236). Ein im März geplanter Empfang zum kurdischen Neujahrsfest Newroz wurde vom Istanbuler Gouverneur wegen der kurdischen Schreibweise untersagt (I 205); ansonsten konnten im Unterschied zu früheren Jahren die Feiern vor allem in Diyarbakir, Batman und anderen kurdischen Orten unbehelligt ablaufen und es kam nur am Rande zu einzelnen Verhaftungen (I 206).

Das massive Vorgehen der türkischen Behörden gegen Kritiker der staatlichen Kurdenpolitik wird aus den Angaben verschiedener Quellen über die im Zusammenhang mit Art. 8 ATG Inhaftierten und Verurteilten deutlich. So sollen im Juli 1995 171 Personen im Zusammenhang mit einer Verletzung des Art. 8 ATG inhaftiert gewesen sein (I 118), andere Quellen sprechen von fast 200 türkischen Journalisten, Schriftstellern und Intellektuellen, die sich in Haft befanden (I 149). Am 27. Oktober 1995 wurden die Vorschriften der Art. 8 und 13 ATG reformiert. Dies führte zwar zu einer Einengung sowohl des objektiven als auch des subjektiven "Separatismus"-Tatbestandes; der Strafrahmen sieht nunmehr statt Zuchthaus von zwei bis fünf Jahren und schwerer Geldstrafe von 50 bis 100 Millionen türkische Lira Gefängnisstrafe von einem bis drei Jahre und schwere Geldstrafen von 100 bis 300 Millionen TL vor und lässt die Umwandlung von Freiheitsstrafen in Geldstrafen oder eine Maßnahme sowie die Aussetzung der Strafen zur Bewährung zu (I 130). Die Reform des Art. 8 ATG führte unmittelbar zum Freispruch des türkischen Schriftstellers Yasar Kemal sowie der amerikanischen Journalistin Eliza Marcus, denen Separatismus vorgeworfen wurde. Bis April 1996 wurden von etwa 150 bis 180 nach Art. 8 ATG Verurteilten über 140 freigelassen (I 144), unter ihnen auch prominente Menschenrechtler (I 129, 130: 111 von insgesamt 146 nach Art. 8 ATG Verurteilten). Da das türkische Parlament die Wiederaufnahme der bis dahin nach Art. 8 ATG durchgeführten Verfahren auch nach Eintritt der Rechtskraft innerhalb eines Monats nach Inkrafttreten der gesetzlichen Regelung unter Beurteilung der Strafbarkeit nach neuem Recht beschloss (I 130), mussten die bisher nach Art. 8 ATG Verurteilten jedoch mit einer erneuten Verurteilung rechnen. Das Staatssicherheitsgericht in Istanbul verurteilte am 21. Dezember 1995 einen türkischen Journalisten, der im April 1994 in der Zeitung Özgür Ülke einen Artikel über den PKK-Führer Öcalan veröffentlicht hatte, wegen separatistischer Propaganda zu 10 Monaten Haft und einer Geldstrafe in Höhe von umgerechnet 8.300 DM (I 133). Am 9. Januar 1996 wurde ein früherer kurdischer Abgeordneter der Partei der Ministerpräsidentin Ciller, der zwei Jahre zuvor aus Protest gegen die Kurdenpolitik der Regierung aus der Partei ausgetreten war, unter dem Vorwurf der Unterstützung der PKK festgenommen, wobei den Behörden politische Motivationen wegen der deutlichen Kritik des Festgenommenen an der Kurdenpolitik der Regierung vorgeworfen wurde (I 139). Im Dezember 1999 sollen etwa 100 Journalisten inhaftiert gewesen sein (I 184); ein geplantes Symposium zum Thema Demokratie und multikulturelle Entwicklung in Istanbul wurde wegen der Gefahr separatistischer Propaganda verboten (I 218). Insgesamt ist festzustellen, dass auch nach der Reform des Art. 8 ATG die bisher geübte Strafverfolgungspraxis gegenüber kritischen türkischen und türkisch-kurdischen aber auch ausländischen Journalisten, Mitgliedern von Menschenrechtsvereinen und den die Kurdenpolitik kritisierenden Politikern keine grundlegende Veränderung erfahren hat, da die türkische Justiz zunehmend von Art. 8 ATG auf andere Straftatbestände ausweicht (I 167). So wurde beispielsweise Esber Yagmurdereli am 19. Oktober 1997 zur Verbüßung einer 1991 zur Bewährung ausgesetzten 36-jährigen Haftstrafe aus dem Jahr 1978 wegen kritischer Meinungsäußerungen zur Unterdrückung des kurdischen Volkes verhaftet; die mit Haftentlassung am 9. November 1997 gewährte Haftverschonung wurde wiederum ausgesetzt und er befindet sich seit dem 1. Juni 1998 erneut in Haft (I 226). Die Büros des IHD in Diyarbakir und Van wurden unter dem Vorwurf, die öffentliche Ordnung zu stören, im Mai 2000 geschlossen (I 215). Auch der Außenminister selbst geriet in die Kritik als er vorschlug, kurdische Radio- und Fernsehsender zuzulassen (I 183); ein auf Privatanzeige hin eingeleitetes Strafverfahren wurde allerdings eingestellt (I 186). Seitens der Regierung wurde ein hartes Vorgehen gegenüber Journalisten angekündigt, die Erklärungen Öcalans veröffentlichten; auch dessen Anwälte wurden beschuldigt (I 190). Der türkische CNN wurde nach einem Interview mit Öcalan mit einem eintägigen Sendeverbot belegt (I 197). Der Generalsekretär des türkischen Menschenrechtsvereins IHD wurde wegen eines Artikels zum Weltfriedenstag angeklagt, vom Gericht jedoch freigesprochen (I 192). Vor dem Staatssicherheitsgericht in Izmir läuft ein Prozess gegen mehrere Ärzte, die sich in Zusammenhang mit Todesfällen bei der Niederschlagung der Gefängnismeuterei im September 1999 geäußert haben (I 226), und eine Dolmetscherin wurde allein wegen ihrer Übersetzung in die kurdische Sprache bei einer öffentlichen Veranstaltung zu 10 Monaten Haft verurteilt (I 179). Reformen wie der am 6. März 1997 verabschiedete Gesetzesentwurf über die Verkürzung der maximal zulässigen Dauer des Polizeigewahrsams sowie eine Beschneidung der Kompetenzen der Staatssicherheit, wobei allerdings während der ersten vier Tage des Polizeigewahrsams das Recht anwaltlichen Beistandes nicht gewahrt wird (I 151), zeigen ebenso wie die unter dem Eindruck des Öcalan-Prozesses nach einer Verfassungsänderung eilig vom Parlament verabschiedeten Anpassungsgesetze, wonach die Staatssicherheitsgerichte in Zukunft lediglich aus zivilen Richtern zusammengesetzt sind (I 167), noch keine besondere Wirkung. Zu einer von Ministerpräsident Ecevit im März 2000 angekündigten Abschwächung des Gesetzes gegen Aufwiegelung kam es bisher ebenfalls noch nicht (I 203). Auch die beabsichtigte Diskussion über eine grundlegende Reform des § 312 TStGB, der hohe Haftstrafen für diejenigen vorsieht, die "Hass unter Ausnutzung von Unterschieden in Gesellschaftsklassen, Religionen, Rassen oder Regionen verbreiten" und regelmäßig die Grundlage für Verfahren gegen HADEP-Mitglieder darstellt, ist bisher ausgeblieben (I 204). Am 1. September 1999 verweigerte Staatspräsident Demirel allerdings die Ausfertigung eines vom Parlament am 27. August 1999 verabschiedeten Amnestiegesetzes, das auch prominente Häftlinge begünstigen sollte, die als Mitglieder des organisierten Verbrechens oder wegen Korruption verurteilt worden waren, während politische Straftaten ausgenommen werden sollten (I 167, S. 20).

Auch gegen missliebige Journalisten gehen die Sicherheitskräfte brutal vor. So ist im August 1995 ein kurdischer Journalist offensichtlich im türkischen Polizeigewahrsam in Bitlis ums Leben gekommen; nach Erklärungen der Polizei hatte er sich in seiner Zelle erhängt. Nach Angaben von Familienangehörigen wies die Leiche aber Folterspuren auf (I 120). Am 8. Januar 1996 wurde der türkische Journalist Metin Göktepe in Istanbul tot aufgefunden, nachdem er während der Beerdigung zweier während des Gefängnisaufstandes Ende Dezember 1995 in Istanbul getöteter Häftlinge abgeführt worden war (I 138). Später räumte die Regierung ein, dass er im Polizeigewahrsam umgebracht wurde (I 140). Mindestens 20 kritische Journalisten sollen in dem Zeitraum von 1991 bis Ende 1996 ermordet worden sein (I 149). Von dem Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen missliebige Journalisten oder sonstige Kritik äußernde Personen blieben auch ausländische Beobachtergruppen, Aktivisten und Journalisten nicht verschont (I 100, 108, 109, 116, 164). Der türkische Menschenrechtler Akin Birdal wurde zu einer einjährigen Haftstrafe wegen "separatistischer Äußerungen" verurteilt und musste diese im Juni 1999 trotz der nach einem Attentat verbliebenen erheblichen Gesundheitsschäden antreten. Ende September 1999 wurde der Vollzug aus gesundheitlichen Gründen ausgesetzt; am 28. März 2000 wurde er erneut verhaftet (I 226) und verbüßte die restliche Haftstrafe im Zentralgefängnis Ankara bis Ende September 2000 (I 239). Die erforderliche medizinische Betreuung soll trotz vorheriger Zusage nicht gewährt worden sein (I 208), und seit Juni 2000 muss Birdal sich wegen Beleidigung des Staates erneut vor Gericht verantworten (I 224); es sollen noch rund 20 weitere Strafverfahren wegen Meinungsäußerungen gegen ihn anhängig sein (I 239). Die Autorin und der Herausgeber eines Buches über die Erfahrungen türkischer Soldaten im Kampf gegen PKK-Rebellen wurden in einem Gerichtsverfahren wegen des Vorwurfs der Herabsetzung der Streitkräfte (I 169) zwar freigesprochen, die Anklage will allerdings Revision einlegen (I 240). Im August 2000 wurden sechs als prokurdisch bzw. linksgerichtet bezeichnete Journalisten verhaftet und Sendesperren über drei Radiosender sowie eine Fernsehstation verhängt (I 235). Seit August 1999 werden wegen schriftlicher Meinungsäußerungen verhängte Strafen sowie laufende Verfahren zwar für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt und nach erfolgreichem Ablauf der Frist werden die Verfahren eingestellt sowie ergangene Verurteilungen als nie geschehen behandelt (I 226). Bis Dezember 1999 wurden allerdings erst sechs Journalisten auf dieser Grundlage aus Gefängnissen freigelassen (I 184).

2. Ein kurdischer Volkszugehöriger kann in der Türkei aber auch zum heutigen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats leben, ohne dass ihm politische Verfolgung droht, wenn er sich außerhalb der Notstandsprovinzen, vor allem in den Großstädten Ankara und Istanbul, niederlässt (vgl. Hess. VGH, 23.11.1992 - 12 UE 2590/89 -, 24.01.1994 - 12 UE 200/91 -, 07.12.1998 - 12 UE 232/97.A und 17.03.1999 - 12 UE 463/94 - sowie 30.01.2000 - 12 UE 176/99.A -; zuletzt 27.03.2000 - 12 UE 583/99.A).

Im Fall derjenigen, die sich bei Einsetzen der örtlich begrenzten Gruppenverfolgung nicht in dem von Verfolgung betroffenen Gebiet aufgehalten haben und die daher von vornherein ohne Gefahr kollektiver Verfolgung in ihrer Heimatregion leben konnten, stellt sich - wie oben festgestellt - bei einer örtlich begrenzten Gruppenverfolgung anders als bei einer regionalen Gruppenverfolgung nicht die Frage nach einer zumutbaren inländischen Fluchtalternative. Diese Personen sind unverfolgt ausgereist und können sich auch nicht auf eine örtlich begrenzte Gruppenverfolgung als objektiven Nachfluchtgrund berufen (Hess. VGH, 27.01.1999 - 6 UE 1253/96.A-). Auf die Möglichkeit eines nicht von existenziellen Risiken anderer Art bedrohten Lebens kommt es in diesem Fall nicht an, da diese Personen nicht gezwungen sind, in ein von örtlich begrenzter Verfolgung betroffenes Gebiet zurückzukehren, sondern in solche Gebiete ausweichen können, in denen ihnen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keine politische Verfolgung droht (vgl. Hess. VGH, 17.03.1999 - 12 UE 3035/97.A -; 27.03.2000 - 12 UE 1562/99.A). Offenbleiben kann, ob demgegenüber für die Gefährdungsprognose im Falle einer örtlich begrenzten Gruppenverfolgung im Bereich des (ursprünglichen) Heimatortes des Asylbewerbers in jedem Fall eine Rückkehr in die nunmehr von Gruppenverfolgung betroffene Heimatregion zugrundegelegt werden kann oder ob insoweit die räumliche Beziehung des Asylbewerbers infolge der Ausreise aufgehoben ist (vgl. dazu Niedersächsisches OVG, 22.10.1998 - 12 L 1448/98 -), da der Heimatstaat seiner Schutzverpflichtung gegenüber den Staatsangehörigen nachzukommen vermag, indem er ihnen jedenfalls in einem Teil des Staatsgebiets ein verfolgungsfreies Leben ermöglicht, und deswegen bei einem aus dem Ausland zurückkehrenden Asylbewerber, der aus einem Gruppenverfolgungsgebiet stammt, grundsätzlich zumindest nicht zusätzlich festgestellt werden muss, er sei außerhalb der Gruppenverfolgungsregion auch frei von existenziellen Bedrohungen anderer als politischer (oder ethnischer) Art. Kurden, die in ihrer Heimat allenfalls der marginalen Unterstützung der PKK verdächtig waren, ohne sich aktiv und herausgehoben für separatistische Bestrebungen einzusetzen, können nämlich nach wie vor außerhalb der unter Notstandsrecht stehenden Provinzen, insbesondere in der Westtürkei grundsätzlich unbehelligt leben und das erforderliche Existenzminimum erzielen.

a) In Zusammenhang mit den Verhaftungswellen nach der Ankunft Öcalans in Rom im November 1998 stellte Oberdiek (I 164) bei einem Aufenthalt in der Türkei zwar fest, dass selbst alt eingesessene Kurden befürchteten, jederzeit auf der Straße festgenommen zu werden, konkrete Fälle einer signifikant erhöhten Gefahr der Festnahme und Inhaftierung über längere Zeit wurden jedoch nicht benannt.

Es fehlen auch weiterhin genügende Anhaltspunkte dafür, dass Ausschreitungen und Übergriffe Privater vom türkischen Staat veranlasst oder geduldet werden. Insoweit ist nach wie vor festzustellen, dass die türkischen Sicherheitskräfte grundsätzlich schutzbereit sind. Nach den durch unbekannte Täter verübten Anschlägen und Morden führte die Polizei Ermittlungsmaßnahmen beispielsweise durch Hausdurchsuchungen durch (I 106, S. 27); teilweise war die Polizei auch selbst betroffen von solchen Anschlägen (I 106, S. 25). Zwei Morde an Journalisten wurden unlängst aufgeklärt und führten zu Verhaftungen (I 214).

Es lässt sich auch nach wie vor nicht feststellen, dass Kurden allein wegen ihrer Volkszugehörigkeit verhaftet, verhört und gefoltert werden. Aus den zwischenzeitlich recherchierten Fällen ergibt sich zwar weiterhin, dass die kurdische Volkszugehörigkeit und der Zuzug aus dem Südosten vor kürzerer Zeit schon als Anknüpfungspunkt für die Durchführung einer Razzia oder Durchsuchung ausreichen können. Nach wie vor jedoch sind solche, noch der Bekämpfung terroristischer Anschläge und Täter dienende Maßnahmen für sich allein nicht als asylrechtlich relevante Beeinträchtigung zu bewerten. Zu längerdauernder Verhaftung kommt es - von einzelnen Fällen abgesehen - in aller Regel nur bei Vorliegen entsprechender Verdachtsmomente, auch wenn diese bis heute häufig als vage und willkürlich erscheinen oder auf nicht rechtsstaatliche Weise erlangt wurden. In der weiter angestiegenen Zahl der zwischenzeitlich ermittelten Fälle (I 106, 152, 164) ist auch heute festzustellen, dass bei den länger Inhaftierten Verdachtsmomente dieser Art vorlagen, wie beispielsweise die HADEP-Mitgliedschaft oder bei Verwendung kurdischer Farben und/oder Symbole, dem Singen kurdischer Lieder und ähnliche Begebenheiten, die immer wieder Anlass für Maßnahmen sind, wie beispielsweise das Spielen einer kurdischen Musikgruppe (I 213). Ein Zusammenhang besteht oft auch mit früheren Verhaftungen von Freunden, Bekannten oder Verwandten, so dass - möglicherweise unter Folter erzwungene - Denunziationen der Anlass hierfür sein können.

Mit dem Andauern der Kämpfe im Südosten der Türkei und weiterer Flüchtlingswellen aus diesen Gebieten insbesondere in die Großstädte im Westen der Türkei sowie aufgrund der Verurteilung Öcalans hat sich die Lage vor allem in den überwiegend von Kurden bewohnten Vierteln nicht verbessert, die Häufigkeit von Razzien und Überprüfungen einschließlich Festnahmen hat sich eher noch vermehrt, da die Sicherheitskräfte unter den neu aus den östlichen Provinzen zugezogenen Kurden nach wie vor einen hohen Anteil von PKK-Anhängern vermuten (I 106, 167). Laut Taylan verschwanden nach einer Aufstellung von amnesty international allein 1995 mindestens 35 Personen; in den ersten 11 Monaten des Jahres 1996 sollen es schon 179 gewesen sein (I 149). Auch nach dem Vorfall in einer Teestube in Istanbul im März 1995, bei dem mehrere Aleviten von Unbekannten erschossen wurden und es in der Folge zu Demonstrationen und schweren Unruhen mit etlichen Toten kam, nachdem die Polizei in die demonstrierende Menge geschossen hatte (I 97, 106), normalisierte sich die Lage in Istanbul nach mehrtägigen Unruhen jedoch wieder. Gegen die an den Todesfällen beteiligten Polizisten wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet, zwanzig Polizisten wurden vor Gericht gestellt (I 98, 119), zwei von ihnen wurden schließlich wegen Totschlags verurteilt (I 199). Eine in diesem Zusammenhang durchgeführte Demonstration war Anlass zu einer Großrazzia, bei der etwa 350 Personen festgenommen wurden (I 202). Nach der Verhaftung Öcalans am 15./16. Februar 1999 und seiner Inhaftierung in der Türkei kam es zu einer Welle von Festnahmen im ganzen Land. Nach Auskunft des Auswärtigen Amts (I 167) geht der IHD von 3.000 vorübergehend in Gewahrsam genommenen Personen aus. Dabei werden solche Razzien in den Siedlungen von Türken kurdischer Volkszugehörigkeit überdurchschnittlich häufig vorgenommen, da dies Teil der Suche der Sicherheitskräfte nach PKK-Mitgliedern und Sympathisanten ist (I 167, S. 19).

In den Großstädten im westlichen Teil der Türkei sowie in Städten im Süden des Landes, zum Beispiel Adana und Mersin, kommt es nach Angaben des Auswärtigen Amtes deshalb in den dortigen Kurdensiedlungen überdurchschnittlich häufig zu Polizeirazzien mit zahlreichen vorläufigen Festnahmen bei der Suche der Sicherheitskräfte nach PKK-Mitgliedern und Sympathisanten und dabei häufiger zu Übergriffen seitens der Sicherheitskräfte (I 130, 144, 167). Der türkische Menschenrechtsverein IHD gab im Juni 1995 die Zahl der nach Festnahmen durch die Sicherheitskräfte verschwundenen Menschen für die ersten drei Monate des Jahres 1995 mit 77 an, während in einer anderen Studie von 30 bis 40 "Verschwundenen" im Monat gegenüber 328 Menschen im Jahre 1994 die Rede ist. Diesen Angaben zufolge verschwinden die meisten Opfer im Polizeigewahrsam, andere werden auf offener Straße von Unbekannten verschleppt. Die meisten bleiben spurlos verschwunden, in anderen Fällen sind die Leichen Verschwundener nach Tagen oder Wochen meist mit schweren Folterspuren tot aufgefunden worden. Es wird vermutet, dass es sich bei den Opfern in vielen Fällen um unter der Folter im Polizeigewahrsam gestorbene Menschen handelt, deren Leichen zur Verwischung der Spuren beseitigt wurden (I 112). Der IHD wies auf 21 im Polizeigewahrsam umgekommene oder von Unbekannten getötete Menschen im August 1995 sowie auf 22 Fälle von Folter durch die türkische Polizei hin (I 122). Nach einem Bericht von amnesty international vom September 1995 konnten 80 politische Morde von Januar bis August 1995 festgestellt werden (I 119). Der türkische Menschenrechtsverein Human Rights Association (HRA) gab im Oktober 1995 die Zahl der bis dahin Verschwundenen mit 158 an (I 124). In einer im Januar 1996 veröffentlichten Jahresbilanz für 1995 zählt der türkische Menschenrechtsverein IHD 99 Tote und 136 Verletzte, die offenbar politisch motivierten Anschlägen zum Opfer fielen; dem Bericht zufolge starben 122 Personen durch extralegale Hinrichtungen oder Folter im Polizeigewahrsam, 231 Personen verschwanden, 251 wurden im Gefängnis gefoltert, 14.473 Personen wurden vorläufig und 2.101 dauernd festgenommen (I 142). Der im Juli 1998 erschienene Jahresbericht der Türkischen Menschenrechtsstiftung (TIHV) von 1997 wies insgesamt 518 Fälle von Folter aus; das Auswärtige Amt zitiert den Jahresbericht 1999 von amnesty international, in dem die Zahl der 1998 "Verschwundenen", durch Folter zu Tode gekommenen oder außergerichtlich hingerichteten Menschen mit mindestens 30 angegeben worden sein soll (I 167, S. 22), nach Angaben des Vereins zeitgenössischer Rechtsanwälte der Türkei belief sich die Zahl der Folteropfer auf 324, dabei 17 Todesfälle sowie 17 in oder aus Polizeigewahrsam Verschwundene (I 184). Der IHD hat im Januar 2000 48.095 in Polizeigewahrsam genommene Personen festgestellt sowie 523 Fälle von Folter und 199 Todesfälle (I 189). Im ersten Halbjahr 2000 sind zwar deutlich weniger Menschenrechtsverletzungen festgestellt worden, da die Zahl unaufgeklärter Morde aus politischen Motiven auf 73 gegenüber 130 im Vorjahr zurückging und es noch 6 Fälle von "Verschwindenlassen" gegenüber 12 im Vorjahr gab. Die Zahl der Folterungen ist nach den Feststellungen des IHD aber immer noch sehr hoch mit 263 gegenüber 334 im Vorjahreszeitraum (I 237). Nach einem Bericht des IHD vom Januar 2000 sind in den letzten zehn Jahren insgesamt 1964 Menschen von unbekannten Tätern ermordet worden, 80 % von ihnen in den kurdischen Provinzen im Südosten (I 191).

An dem schon oben (S. 40f) dargestellten Verhältnis zwischen den ermittelten Zahlen von Folterfällen, Todesfällen in Polizeihaft oder bei Razzien sowie Fällen vermuteten Verschwindenlassens einerseits und der zunehmenden kurdischen Zuwanderer aus dem Südosten hat sich bis zum Zeitpunkt der Entscheidung nichts Wesentliches verändert ( I 153, 226). Nach Oberdiek (I 164) kam es im Jahr 1998 zu 3.200 Festnahmen; im Februar 1999 sollen es insgesamt (landesweit) 3.400 Festnahmen und zum Newroz-Fest 8.000 Festnahmen gewesen sein. Auch bei den nach der Verhaftung Öcalans, der Prozesseröffnung und der Verurteilung festzustellenden Verhaftungswellen handelt es sich um - wenn auch sehr weitgehend - anlassbezogene Maßnahmen gegen Personen, die bestimmte Verdachtsmomente aufwiesen, auch wenn es sich dabei nur um die HADEP-Mitgliedschaft handelte. Nach einem Bericht der türkischen Menschenrechtsstiftung TIHV wird die Folter von den türkischen Sicherheitskräften weit verbreitet als systematische Verhörmethode sowie als Mittel zur Bestrafung und Abschreckung angewandt. Danach wird am häufigsten, nämlich mit ca. 78 % aller bekannt gewordenen Fälle, in Polizeihauptquartieren gefoltert; der Erhebung zufolge werden von den Folteropfern, die bei der TIHV, die medizinische Zentren zur Behandlung von Folteropfern unterhält, um Hilfe nachsuchten, ca. 85 % aus politischen Gründen, 2 % wegen gewöhnlicher Kriminalität und ca. 13 % ohne ersichtliche Gründe gefoltert (I 126). Ein Grund für diese Übergriffe liegt dem Auswärtigen Amt zufolge darin, dass die Beweisführung türkischer Sicherheitskräfte in hohem Maße auf Geständnissen beruht, denen traditionell von den Gerichten hoher Beweiswert zugemessen wird. Generell bestreiten die türkischen Behörden die erhobenen Foltervorwürfe und räumen nur Übergriffe in Einzelfällen ein (I 167, S. 22, 226). Die Veröffentlichung des Berichts der von der türkischen Regierung Anfang 1994 eingesetzten Menschenrechtskommission wurde verweigert, und mehrere Mitglieder der eingesetzten Kommission traten aus Protest dagegen zurück. Ihren Angaben zufolge kam die Kommission zu dem Ergebnis, dass in türkischen Polizeiwachen systematisch gefoltert wird, die daran beteiligten Beamten aber überhaupt nicht oder nur unzureichend belangt werden (I 92). Auch nach den zwischenzeitlichen Reformen wie der Erhöhung des Strafmaßes für Folter in Polizeihaft aufgrund eines am 10. August 1999 vom Rechtsausschuss des türkischen Parlaments verabschiedeten Gesetzes gewinnt die strafrechtliche Aufklärung und Ahndung von Übergriffen nur langsam an Konsequenz. Neben der unklaren Beweislage liegt ein Grund hierfür darin, dass Staatsbedienstete bisher nur dann gerichtlich belangt werden konnten, wenn der zuständige Provinzverwaltungsrat dem zugestimmt hat (I 167, 226). Seit einer Novellierung des einschlägigen Gesetzes sind Zuständigkeiten und Verfahren bei der Freigabe der Einleitung eines Strafverfahrens zwar präziser bestimmt, es bleibt allerdings bei der Notwendigkeit der Genehmigung durch einen Vorgesetzten; gegen deren Verweigerung kann aber nunmehr der Rechtsweg beschritten werden. Auch eine infolge der EU-Beitrittsbemühungen tätig gewordene Parlamentskommission hat festgestellt, Folter sei bei der türkischen Polizei gängige Praxis (I 211, 217), der Parlamentspräsident bezeichnete dies hingegen als Problem isolierter Einzelfälle (I 219). Erst nach konkreten Foltervorwürfen in türkischen Zeitungen im Zusammenhang mit dem Gefängnisaufstand im Juli 1999 wurden Ermittlungen eingeleitet (I 230). Nach einem tödlichen Polizeieinsatz in Adana wurde gegen sechs Beamte, die Anfang Oktober 1999 auf der Suche nach einem Mitglied der linksextremen DHKPC ein falsches Haus gestürmt und einen unschuldigen Menschen erschossen haben, zwar Haftbefehl erlassen (I 175), fünf von ihnen wurden einen Tag später aber wieder entlassen (I 176). Zehn Polizisten sind in Manisa zu fünf bis zehn Jahren Haft verurteilt worden, weil sie 1995 elf Teenager gefoltert hatten, die Graffiti an die Wände gesprüht hatten (I 244).

Für die ungeklärten politischen Morde werden von Menschenrechtsorganisationen und kurdennahen Oppositionskreisen Todesschwadronen verantwortlich gemacht, bezeichnet als "Kontra-Guerilla" oder "Hisbollah", die über enge Verbindungen zum staatlichen Sicherheitsapparat verfügen sollen. Seitens türkischer Menschenrechtsgruppen wird den Strafverfolgern eine bewusste Verschleppung der Ermittlungen vorgeworfen, ein zur Aufklärung dieser Morde eingesetzter parlamentarischer Untersuchungsausschuss beendete seine Arbeiten jedoch ergebnislos. Der Abschlussbericht soll sich ungewöhnlich kritisch mit der Aufklärungsarbeit örtlicher Sicherheitskräfte und mit dem einschlägigen politischen Umfeld befassen (I 93, 130, 159). Nach einem Verkehrsunfall in der Nähe von Susurluk mit tödlichem Ausgang für einen in dem Auto befindlichen steckbrieflich gesuchten Mafiaführer und einen hohen Polizeioffizier neben dem einzigen Überlebenden, einem Parlamentsabgeordneten der DYP, wurde in der türkischen Öffentlichkeit über Verbindungen zwischen Staatsapparat und dem organisierten Verbrechen erneut diskutiert (I 159, 167). Diese Diskussion wurde wieder angefacht, als Anfang 2000 eine erhebliche Zahl von Mordopfern der Hisbollah entdeckt wurden, bei denen es sich vor allem um vormals "Verschwundene" handelte und die zum Teil noch eindeutige Folterspuren aufwiesen (I 193). Von staatlicher Seite wurde jegliche Verbindung zur Hisbollah verneint und deren unerbittliche Verfolgung angekündigt. Hunderte von Hisbollah-Mitgliedern wurden verhaftet, darunter soll auch ein im Premierministeramt angestellter Computerfachmann sein (I 193).

Die Situation in der Türkei ist seit der zweiten Hälfte des Jahres 1995 bis zum Entscheidungszeitpunkt durch Regierungskrisen geprägt, die von unterschiedlichen Auffassungen zur Lösung des Kurdenproblems sowie insbesondere durch die gravierende Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation ausgelöst wurden. Aus den Neuwahlen vom 24. Dezember 1995 ging die islamistische Wohlfahrtspartei (RP) mit 158 von 550 Sitzen als Sieger hervor, gefolgt von der Mutterlandspartei (ANAP) mit 126 Sitzen und der Partei des Rechten Weges von Ministerpräsidentin Ciller (DYP), die dicht unter 20 % der Stimmen blieben (I 150). Die neue Regierung wurde aus einer Koalition von RP und DYP gebildet. Am 28. Juni 1996 wurde Erbakan zum Ministerpräsidenten gewählt (I 153), am 18. Juni 1997 trat er zurück, nachdem die Koalitionsregierung der islamisch orientierten Wohlfahrtspartei und der Partei des Richtigen Weges (DYP) unter erheblichen innenpolitischen Druck geraten war. Am 30. Juni 1997 wurde Mesut Yilmaz zum Ministerpräsidenten ernannt (I 159) und am 16. Januar 1998 wurde die Wohlfahrtspartei verboten (I 167). Nach den Parlamentswahlen am 18. April 1999 hat die neue Regierung unter Ministerpräsident Ecevit einige Reformvorhaben eingeleitet und nach Angaben des Auswärtigen Amts bereits verwirklicht (I 226). Die Polizistenausbildung soll verlängert und um das Fach Menschenrechte erweitert werden, Folter soll härter bestraft und Beamte sowie öffentlich Bedienstete sollen für Vergehen leichter zur Verantwortung gezogen werden können (I 167). Allerdings sollen die Mitglieder des Höchsten Bildungsrats, Richter, Staatsanwälte und Soldaten hiervon ausgenommen sein (I 179). Diese und andere neuere Entwicklungen wie auch die Gefängnisrevolten und die Todesfastenaktion im Sommer 1996 sowie im September 1999 haben jedoch zu keiner entscheidenden Änderung der Vorgehensweise der Sicherheitskräfte geführt (I 153, 171, 172, 173, 174). Der Vorsitzende einer vom Ministerpräsidenten eingesetzten Hohen Kommission für Menschenrechte musste nach Vorlage seines Kataloges über notwendige Änderungen im türkischen Rechtssystem zurücktreten. Auch die von einer Parlamentskommission vorgelegte Dokumentation über Menschenrechtsverstöße in Polizeistationen wurde bislang nicht debattiert; auch der Minister für Menschenrechte trat im April 2000 zurück (I 227). Die nach wie vor auch im Westen feststellbaren Übergriffe (I 148, 149) rechtfertigen aber weiterhin nicht die Annahme, Kurden seien in der Westtürkei generell von asylrechtsrelevanten staatlichen Verfolgungsmaßnahmen bedroht. So erfolgten die anlässlich der Beerdigung zweier politischer Häftlinge von der Polizei in Istanbul vorgenommenen vorläufigen Festnahmen von zumindest 500 bis 800 Trauergästen offensichtlich zur Feststellung der Personalien (I 137, vgl. auch I 136) und um befürchtete Ausschreitungen zu verhindern; diese lassen allein eine verschärfte Vorgehensweise der Sicherheitskräfte gegenüber den Kurden nicht erkennen. Bei der den Sicherheitskräften vorgeworfenen Ermordung des türkischen Journalisten Göktepe handelt es sich um einen der mittlerweile zahlreichen Fälle exzessiven Vorgehens der türkischen Polizei gegen missliebige Journalisten, der zudem ein Strafverfahren gegen die beschuldigten Polizisten nach sich zog. Am 19. März 1998 wurden fünf der elf Angeklagten zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, dieses Urteil wurde im Januar 2000 rechtskräftig (I 167, 226). Im Dezember 1999 wurden elf Angeklagte im Zusammenhang mit dem Mordanschlag auf Birdal rechtskräftig zu Haftstrafen von 10 Monaten bis 19 Jahren verurteilt; sechs weitere wurden freigesprochen (I 185). Ebenso wie die von PKK-Chef Öcalan im Dezember 1995 angebotene und von der türkischen Regierung postwendend zurückgewiesenen Feuerpause (I 131) bewirkte die Festnahme und Verurteilung Öcalans sowie der Aufruf zum Rückzug der PKK im September 1999 keine grundsätzliche Änderung der Situation. Die Auseinandersetzungen zwischen den türkischen Sicherheitskräften und der PKK wurden sowohl nach dem später wieder aufgekündigten Waffenstillstandsangebot als auch nach dem Rückzugsangebot 1999 fortgesetzt (I 132, 135, 145, 170, 172). Rückwirkungen auf das allgemeine Verhältnis zu der kurdischen Bevölkerung außerhalb der Notstandsgebiete lassen sich aber insoweit nicht feststellen. Zwar kam es schon, nachdem Öcalan Syrien verlassen musste und in Rom auftauchte, zu ersten Verhaftungswellen im Westen der Türkei, ebenso nach seiner Festnahme und Überstellung in die Türkei. Hiervon waren jedoch insbesondere Mitglieder der HADEP betroffen (I 164, 165,166), nach deren Angaben kam es schon im November 1998 zu ca. 2000 in Polizeigewahrsam verbrachten Mitgliedern (I 226). Sonst handelte es sich meist um Verhaftungen anlässlich des kurdischen Neujahrsfestes Newroz bzw. im Vorfeld der türkischen Parlaments- und Kommunalwahlen vom 18. April 1999 (I 165).

Die schon für die Vergangenheit festgestellte (s. o. S. 37 ff.) Möglichkeit, im Bereich außerhalb der unter Notstandsrecht stehenden Provinzen die für eine bescheidene Lebensführung ausreichende wirtschaftliche und finanzielle Grundlage zu schaffen, hat sich trotz der weiter zunehmenden Zuwanderung nicht wesentlich verändert. Nach wie vor gibt es im Westen weder Hungersnot noch sonstige Existenzbedrohungen; die überwiegende Mehrheit findet dort immer noch ihr Auskommen (I 89). Wenn die Rahmenbedingungen sich auch weiter verschlechtert haben, so bestehen doch immer noch Möglichkeiten, einen Lebensstandard zu erreichen, der dem Existenzminimum entspricht, so als Straßenverkäufer, Schuhputzer oder ähnliches; trotz der auch dort sich verschlechternden Lage kommen auch das Schwarzmeer- und das Mittelmeergebiet mit der Tourismusbranche immer noch als attraktives Fluchtgebiet in Frage (I 88). Aus einer Umfrage des Menschenrechtsvereins in Istanbul geht hervor, dass 62,5 % der befragten Kurden Einkünfte durch Arbeit erzielen, wenn diese auch bei der Mehrzahl äußerst niedrig sind und bei 44,6 % bis umgerechnet 100 DM pro Monat und bei 38 % bis maximal 300 DM im Monat betragen (I 97).Die wirtschaftliche Situation in der Türkei hat sich seither zwar weiter verschlechtert; nach Angaben des Gewerkschaftsverbandes im Jahr 1995 mussten 40 % aller Beschäftigten mit einem Mindestlohn von umgerechnet ca. 150 DM im Monat auskommen, die Mehrheit davon in den Städten. Nach dieser Einschätzung handelte es sich um die schwerste soziale Krise der Türkei seit ihrer Gründung (I 125). Seit nunmehr zwanzig Jahren liegt die Inflationsrate zwischen 30 und 100 Prozent (III 13), im Jahr 2000 wird sie bei 67,9% liegen, falls Lohn- und Gehaltserhöhungen unter 25% bleiben sollten (III 16). Nach neueren Angaben des Auswärtigen Amtes beträgt das Pro-Kopf-Einkommen in der Türkei im Jahr etwa 2.200 $, wobei ein großes West-Ost-Gefälle besteht (III 10: 4.500 $/Jahr in Izmir; 500 $/Jahr in Diyarbakir, 170 $/Jahr in Hakkari). Allerdings besteht nach wie vor die Möglichkeit, in der verstärkt ausgebildeten Schatten- und Nischenwirtschaft ein Auskommen zu finden, die in der Türkei mittlerweile etwa die Hälfte des Bruttoinlandsproduktes ausmacht (I 125). Zwar haben die Möglichkeiten, in der Nischenwirtschaft ein Auskommen zu finden, mit der wachsenden Zuwanderung vor allem in die Großstädte insgesamt weiter abgenommen (III 10: die Bevölkerung Diyarbakirs wuchs von 381.000 im Jahr 1990 auf 1,5 Mio. im Jahr 1996; vgl. auch I 148 S. 102), eine Arbeitslosenversicherung oder Sozialhilfe gibt es nicht (III 7, 8, 10, 17); erst neuerdings wird aufgrund der seit dem Jahr 2000 geltenden neuen Arbeitslosengeldverordnung nach 3 Jahren Tätigkeit max. 10 Monate lang Arbeitslosengeld i.H.v. 50% des letzten Nettoeinkommens bezahlt (III 16). Es lässt sich jedoch nicht feststellen, dass es für Kurden im Westen der Türkei generell unmöglich ist, ein - wenn auch bescheidenes - Auskommen zu finden. Jedenfalls ist bis auf wenige Einzelfälle eine soziale Verelendung der Kurden bis hin zum Verhungern in der Türkei nicht feststellbar (III 7, 10; I 130, 144). Maßgebend für die Frage, ob und inwieweit zurückkehrende Kurden im Westen der Türkei unterkommen, dort auf dem regulären Arbeitsmarkt Fuß fassen, in der Schattenwirtschaft ein Auskommen finden oder sonst versorgt werden können, sind nach wie vor das Bestehen von familiären Kontakten zu Eingesessenen, die allgemeinen Marktgegebenheiten sowie die beruflichen und sonstigen Qualifikationen des Rückkehrers (III 6, I 95). Allerdings soll auch nicht verkannt werden, dass die Existenzmöglichkeiten im Westen insbesondere außerhalb der Großstädte immer schwieriger werden, weil gerade dort Kurden - dies gilt gerade auch in den touristischen Gebieten - besonders argwöhnisch beobachtet werden, so dass der Zuwanderungsdruck auf die Gecekondu-Viertel der Großstädte weiter zunehmen dürfte (III 7, 9; I 148, 150). Weiterhin bieten der Tourismus in verschiedenen Teilen des Landes, die Baubranche, der in Großstädten weit verbreitete Klein- oder Straßenhandel, Handwerk und Dienstleistungen Verdienstmöglichkeiten - auch für Jugendliche, die beispielsweise in Gastronomie- und Handwerksbetrieben beschäftigt werden (III 7, 8, 9, 10). Frauen, die aus dem Südosten zuwandern, leiden zwar unter noch größeren Schwierigkeiten, da sie deutlich weniger häufig die türkische Sprache beherrschen und die Analphabeten-Quote unter ihnen höher ist; auch sie können jedoch im Bereich der Reinigung von Wohn- und Arbeitsstätten, als Abwäscherin in Restaurants und Kasinos, in der Wäscherei, der Landwirtschaft und in ähnlichen Bereichen Arbeit finden (III 17), wenn auch zumeist vorübergehend, nicht abgesichert und in der Regel für Einkommen in einer Höhe, die zur Existenzsicherung nur bei Erlangen mehrerer solcher Arbeitsstellen ausreicht (III 9, 14). Dass beispielsweise in Antalya im Bereich der Tourismusbranche die Nachfrage das Arbeitsplatzangebot um ein zwanzigfaches übersteigt und Bewerber mit Sprachkenntnissen bevorzugt werden (III 15), trifft kurdische und türkische Bewerber grundsätzlich in gleichem Maß (III 17). Auch bei höherer Qualifizierung ergeben sich für Rückkehrerinnen Schwierigkeiten, gelungene Fälle von "Re"-Integration konnten aber bisher jedenfalls bei männlichen Personen festgestellt werden. Existierende Arbeitsplätze werden in der Regel von männlichen Bewerbern besetzt; in der Industrieproduktion beträgt der Frauenanteil beispielsweise 13,3%; in der Landwirtschaft hingegen 65,4% (III 16). Frauen können jedoch bei zusätzlichen Kenntnissen z.B. im Bürobereich mit einem Posten als Fremdsprachensekretärin rechnen (III 14).

c) Ein kurdischer Volkszugehöriger hat grundsätzlich die Möglichkeit, die Orte außerhalb der Notstandsgebiete, insbesondere in der Westtürkei zu erreichen, ohne dass ihm die Gefahr droht, an der Landesgrenze oder am Flughafen asylrelevanten Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt zu sein.

Nach verschiedenen Gutachten und Auskünften müssen ehemalige Asylbewerber, die in die Türkei abgeschoben werden oder freiwillig einreisen, an der Grenze mit längerfristiger Polizeihaft rechnen, während von den türkischen Behörden geprüft wird, ob sich der Betreffende politisch gegen den türkischen Staat betätigt hat oder Informationen über exilpolitische Organisationen geben kann. Amnesty international nimmt an, dass bei diesen während der Haft stattfindenden Verhören bei Personen kurdischer Volkszugehörigkeit auch Folter angewandt wird (I 56, 83, 162), und stützt dies auf Berichte, die jedoch vor allem wegen der Angst der Betroffenen vor weiteren Verfolgungsmaßnahmen schwer zu recherchieren seien. In neuerer Zeit werde zunehmend berichtet, dass die betroffenen Rückkehrer nach der routinemäßigen Eingangskontrolle am Flughafen zunächst freigelassen, später jedoch auf ihrer Weiterreise in ihre Heimatregion oder in ihrem Heimatort erneut festgenommen worden seien, wobei es mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Anwendung von Folter und Misshandlungen komme (I 162). Eine diese Gefahr mit sich bringende Überstellung zu weiteren Verhören erfolge häufig, wenn im Verlauf der Routinekontrolle Verdachtsmomente einer oppositionellen politischen Tätigkeit aufkämen; insbesondere, wenn Betroffene keine Personaldokumente mit sich führten oder solche Dokumente, die auf ein Asylverfahren im Ausland hinweisen (I 162).

Rumpf (I 46, 80) stuft eine Festnahme bei der Einreise als wahrscheinlich ein; zurückgewiesene Asylbewerber müssten, wenn sie als solche von den türkischen Behörden erkannt worden seien, mit Festnahme und genauerer Untersuchung der persönlichen Verhältnisse und, wenn es sich um einen Kurden handele, mit verschärften sonstigen Maßnahmen, wozu die körperliche Misshandlung zähle, rechnen, wobei diese Gefahr erst nach Weiterleitung an die politische Abteilung bestehen soll (I 38, 46). Dabei ist seinen Angaben zufolge davon auszugehen, dass das abgefragte Fahndungsregister alle Personen ausweist, die mit staatsanwaltschaftlichen Festnahmeanordnungen gesucht werden, die ihrerseits auf der Grundlage eines Haftbefehls ergehen. Gleiches nimmt er auch für solche Personen an, die ohne Haftbefehl aufgrund staatsanwaltschaftlicher oder polizeilicher Festnahmeanordnung gesucht werden, allerdings bildeten diese die Ausnahme. Als Personengruppen kommen insoweit entflohene Strafhäftlinge oder Personen in Betracht, die bereits, unabhängig auf welcher Grundlage, festgenommen worden waren und den Bewachern entkommen sind. Auf frischer Tat ertappte Täter oder sonstige Täter, für deren Ergreifung Staatsanwaltschaften oder Polizeiorgane wegen Fluchtgefahr oder Gefahr im Verzuge unmittelbar zur Festnahme befugt sind, werden dem Sachverständigen zufolge nicht im Fahndungsregister geführt. Danach ist davon auszugehen, dass es zu einem Eintrag im Fahndungsregister auch einen vollziehbaren Haftbefehl gibt (I 95).

Auch die Gesellschaft für bedrohte Völker (I 62, 157 mit Hinweis auf ein Gutachten von März 1995) kann das Risiko einer Festnahme und anschließende Folterung von abgeschobenen kurdischen Asylbewerbern nur schwer beurteilen und letztlich keine konkreten Fälle nennen mit Ausnahme von Einzelfällen, die auf Erkenntnissen aus Pressemeldungen beruhen, nicht jedoch auf eigenen Recherchen (Auskunft an VGH Baden-Württemberg v. 05.06.97 in I 160). Die Gefahr sei erhöht, wenn der Betreffende auf Fahndungslisten stehe, insbesondere bei Kurden, die irgendwann einmal für die PKK tätig gewesen seien. Ein erhöhtes Risiko treffe noch denjenigen, der mit einem gefälschten Pass in die Türkei einreise. Die Asylantragstellung gelte als verdächtig, da davon ausgegangen werde, dass im Rahmen der Begründung des Asylgesuchs "separatistische Aktivitäten" und entsprechende Reaktionen des türkischen Staats geltend gemacht würden. Auch Aktivitäten kurdischer Asylbewerber im Ausland würden den türkischen Sicherheitsbehörden durchaus bekannt, jedoch werde von den Behörden regelmäßig bestritten, dass es zu solchen Maßnahmen komme. Zwischen den regierungsamtlichen Äußerungen und der Realität bestehe aber eine große Diskrepanz, so dass es nicht als abwegig angesehen werden könne, dass Vorwände gefunden würden, um Abgeschobene auch dann, wenn ihre ausländischen Aktivitäten in der Türkei nicht strafbar seien, gleichwohl zur Rechenschaft zu ziehen (I 157).

Kaya berichtet, dass Folter in der Türkei bei Verhören durch alle Sicherheitskräfte als gängige Methode angewandt werde (I 37, 161). Flüchtlinge, die nach Ablehnung ihres Asylantrages in die Türkei zurückkehren müssten, würden unterschiedlich behandelt. Dabei spiele es eine Rolle, ob man türkischer oder kurdischer Abstammung sei, einen gültigen Reisepass habe oder durch die Polizei abgeschoben werde. Personen mit einem gültigen Reisepass könnten, wenn nicht nach ihnen gefahndet werde, nach Durchlaufen der für alle anderen Reisenden üblichen Kontrollen wieder in die Türkei zurückkehren. Kurden, die mit einem vorläufigen Reisedokument einreisten, würden von den Sicherheitskräften zwecks Feststellung ihrer Personalien und ihrer rechtlichen Lage eine Zeitlang festgehalten. Sie würden nach ihren Kontakten im Ausland und nach dem Grund ihres Asylantrages befragt. Abgeschobene ehemalige Asylbewerber würden ohne Ausnahme direkt der türkischen Polizei überstellt; gegen sie werde ausführlich ermittelt. Gegen Personen, die bereits früher aufgrund ihrer politischen Aktivitäten verfolgt oder verurteilt, von der politischen Abteilung der Polizei erfasst worden oder vorbestraft seien, werde genauer und sorgfältiger ermittelt (I 50). Seinen Angaben zufolge wird vor allem gegen Kurden, die längere Zeit im Ausland waren, besonders ermittelt, da ihnen unterstellt wird, dass sie sich für die kurdische Sache eingesetzt haben. Liegen keine Beweise vor, werde die betreffende Person freigelassen, müsse aber damit rechnen, beschattet zu werden (I 110). Die aus dem Osten oder Südosten stammenden Personen würden schon aufgrund des generellen Verdachts, in Verbindung mit der PKK zu stehen, eine Zeitlang festgehalten und verhört. Gewalt werde auch dann angewandt, wenn nichts gegen die Betroffenen vorliege, schon um sie einzuschüchtern. Dies sei in 80 % der Fälle von in die Türkei abgeschobenen Asylbewerbern zu beobachten gewesen; etwa die Hälfte davon sei länger als drei Tage festgehalten worden, und gegen einige seien Strafverfolgungsmaßnahmen eingeleitet worden (I 161). Er beschreibt 13 Fälle von Verhaftungen nach Abschiebungen seit 1995 im Einzelnen, wobei allerdings in drei Fällen keine weitere Klarheit über das anschließende Schicksal der Betroffenen erlangt werden konnte. Darüber hinaus werden sieben Fälle aus dem Bericht des Menschenrechtsvereins für den Zeitraum 1997 und 1998 angegeben sowie ein Bericht aus der Zeitung Özgür Politica vom Dezember 1998 (I 161). Auch Kaya räumt ein, dass ein kurdischstämmiger Bewohner eines Dorfes oder einer Stadt beispielsweise in Erzincan, der vor seiner Ausreise noch nicht in das Blickfeld der Sicherheitskräfte geraten ist, im Hinblick auf den Vorfall Öcalan nicht mit Schwierigkeiten zu rechnen hat, wenn er sich nicht an Aktionen gegen die Festnahme Öcalans beteiligt oder entsprechende Kampagnen unterstützt hat (I 168).

Taylan (I 35, II 25) zufolge kann demgegenüber davon ausgegangen werden, dass zurückkehrende Asylbewerber im allgemeinen unbehelligt die Grenze passieren können. Zu Schwierigkeiten kommt es, wenn die betreffenden Personen in den Computern registriert sind, weil sie als PKK-Aktivisten bekannt sind oder ihnen beispielsweise die Einreise verweigert wurde (II 25). Ihm sei kein Fall dazu bekannt geworden, dass diese generell an der türkischen Grenze misshandelt würden. Zu Schlägen bei Verhören könne es immer kommen; das hänge vor allem von dem vernehmenden Beamten ab (II 25).

Nach Berichten des Auswärtigen Amts liegen keine definitiven Nachweise darüber vor, dass aus Deutschland zurückkehrende Kurden lediglich aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit Opfer von Maßnahmen der türkischen Sicherheitskräfte geworden sind (I 159). Bei der Einreise in die Türkei hat sich jedermann einer Personenkontrolle zu unterziehen (I 47, 87, 130, 144, 153, 159, 167, 233). Sofern abgelehnte Asylbewerber freiwillig und mit einem gültigen Reisepass in die Türkei zurückkehrten, hätten sie in der Regel nicht mit Repressalien zu rechnen. Ebenso verhalte es sich, wenn türkische Asylbewerber im Wege der Abschiebung einreisten und dies den türkischen Behörden bekannt sei. Es werde dann allerdings bei der Grenzpolizei eine eingehendere Befragung durchgeführt, vor allem nach einer eventuellen politischen Tätigkeit im Ausland, die jedoch nicht generell unterstellt werde (I 87, 89). Ein solches Verhör finde in jedem Fall dann statt, wenn die Einreisenden nicht über ein gültiges türkisches Reisedokument verfügten (I 74, 87, 144, 167, 233). Dann müsse zunächst eine Personenfeststellung durchgeführt werden, die in den meisten Fällen eine Rückfrage bei den Sicherheitsbehörden am Heimatort und bei den dortigen Personenstandsbehörden umfasse. Insbesondere werde in diesem Zusammenhang der Geburtseintrag der Betreffenden überprüft. Dies könne bei Einreisen am Wochenende und in den Fällen, in denen die Personenstandsunterlagen in einer kleinen Kreisstadt in Ostanatolien geführt würden, ein bis drei Tage dauern (I 74, 144,159). Während dieser Zeit werde die betreffende Person bei der Grenzpolizei am Flughafen in Polizeigewahrsam genommen (I 51). Würden keine belastenden Erkenntnisse herausgefunden, könne der Betreffende seine Reise fortsetzen (I 33). Schwierigkeiten für Abgeschobene könnten eintreten, wenn Befragung, Durchsuchung des Gepäcks oder Recherchen bei den Heimatbehörden den Verdacht der Mitgliedschaft in oder der Unterstützung der PKK oder anderer illegaler Organisationen begründe (I 159, 241). Konkrete Erkenntnisse, dass ein aus Deutschland Abgeschobener der Folter unterworfen worden sei, lägen nur in einem Fall vor, während Recherchen aufgrund von Hinweisen auf Folter in anderen Fällen nicht oder noch nicht zu einer Bestätigung geführt hätten (I 159, S. 18; 167, S. 25, S. 29f). In zwei weiteren Fällen sei es nicht infolge der Abschiebung, sondern aufgrund später in der Türkei vorgefallener Geschehnisse zu Verhaftungen wegen angeblicher PKK-Aktivitäten gekommen. Von den aus Berichten türkischer Menschenrechtsvereine für das Jahr 1994 bekannt gewordenen 22 Fällen sei kein Fall belegt. In 21 dieser Fälle sei eine Freilassung am Einreisetag oder dem darauffolgenden Tag erfolgt. Es könne auch nicht bestätigt werden, dass während einer Festnahme grundsätzlich eine menschenrechtswidrige Behandlung zu erwarten sei und dass türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit eher als andere türkische Staatsangehörige Gefahr liefen, menschenunwürdig behandelt zu werden (I 48). Es gebe auch keine gesicherten Erkenntnisse über eine Erhöhung der Gefährdung für Abgeschobene aufgrund des Öcalan-Prozesses; wenn auch aufgrund der hochemotionalisierten Situation von einem erhöhten Risiko für bisher schon in der Kurdenfrage engagierte Personen auszugehen sei (I 167). Das Auswärtige Amt berichtet, es seien vier Fälle von Verhaftungen und angeblicher Folter aus dem Zeitraum bis Juli 1999 bekannt geworden, in denen teilweise jedoch die Recherchen noch nicht abgeschlossen seien. Ein Betroffener sei vor dem Staatssicherheitsgericht Ankara des Verstoßes gegen Art. 8 ATG angeklagt, im Verfahren dann freigesprochen worden, während ein anderer nach Art. 125 tStGB wegen "Separatismus" angeklagt worden sei. Ein weiterer Betroffener konnte erneut nach Deutschland einreisen (I 167 S. 27, 29, 30). Seit November 1999 seien 2 Fälle bekannt geworden; Ermittlungen ergaben, dass einer der Betroffenen nach Rumänien geflohen sei, nachdem er im Januar 2000 bei einem Verwandtenbesuch in Izmir erneut festgenommen und gefoltert worden sei. In dem zweiten Fall sei Anzeige bei der Oberstaatsanwaltschaft Izmir erstattet, jedoch bisher noch keine Klage erhoben worden (I 226).

Oberdiek (I 106) führt demgegenüber an, dass aus dem Ausland zurückkehrende, insbesondere abgeschobene Kurden den gleichen Risiken ausgesetzt seien wie die Kriegsflüchtlinge. Sie alle würden bei einer Einreise sicherheitsdienstlich erfasst und gälten zumindest im gleichen Maße wie Personen, die sich weigerten, Dorfschützer zu werden, als "unloyale Staatsbürger". Die bisher recherchierten Fälle von Verhaftung aus der Abschiebung ließen allerdings nach seiner Ansicht keinen Rückschluss auf eine erhöhte Gefährdung von abgeschobenen Asylbewerbern nach der Überführung von Öcalan in die Türkei zu; weiterhin bestehe die Rückkehrergefährdung aber nicht nur zum Zeitpunkt der Einreise, wenn die Betroffenen mit Passersatz auf ihre Identität und mögliche gegen sie angestrengte Strafverfahren überprüft würden, sondern viele würden erst später in der Heimat aufgegriffen. Hiervon betroffen seien anscheinend alle Rückkehrer gewesen, die aus dem Südosten stammten, und jüngere, unverheiratete Kurden (I 164 S. 30). Aus verschiedenen Quellen (I 57, 80, 82, 83, 84, 85, 87) sind Fälle von Verhaftungen nach Abschiebung oder Rückreise in die Türkei bekannt geworden; in einem Zeitraum von insgesamt fünf Jahren ließen sich 24 Fälle feststellen, die teilweise noch weiter recherchiert wurden (I 160). Nicht in allen Fällen wurde von längerdauernder Verhaftung, Misshandlungen oder Folter berichtet, sondern in der Mehrzahl der Fälle handelte es sich um eine kurze Verhaftungsdauer, wobei auch zum Teil später erneute Verhaftung erfolgte. Auch die Fälle, in denen Misshandlungen und/oder Folter behauptet wurden, sind nicht alle belegt oder belegbar. In einer Vielzahl von Fällen sind die ehemals Verhafteten nicht mehr ermittelbar, wobei von Seiten der Sicherheitskräfte angegeben wurde, die Betreffenden seien freigelassen worden (I 80 S. 57f in fünf Fällen). Sowohl amnesty international als auch Oberdiek stellen fest, dass die ihnen zur Kenntnis gelangenden Fälle zumeist sehr schwer zu recherchieren seien, da in der Regel nur der Betroffene als Zeuge zur Verfügung stehe. Amnesty international führt insgesamt sieben stimmige und mit den allgemeinen Erkenntnissen übereinstimmende Berichte aus den Jahren 1996 bis 1998 an (I 162). Oberdiek berichtet über die vom IHD Istanbul recherchierten Fälle und weist in diesem Zusammenhang auf die insoweit enorm beschränkten Mittel des IHD hin, der sich hauptsächlich auf Informationen seitens der Flughafenpolizei stützen könne (I 164, S. 17). Er berichtet über sechs einigermaßen gesicherte Fälle Anfang 1999, wobei in einem Fall die Abschiebung 1997 erfolgt war (I 164, S. 18 ff.).

Nach Angaben des IHD im Januar 2000 werden alle Personen, die als abgelehnte Asylbewerber aus Deutschland zurückkehren sofort nach ihrer Abschiebung in Gewahrsam genommen und höchstens 24 Stunden auf den Polizeiwachen der Flughäfen festgehalten. In dieser Zeit werden Nachforschungen über mögliche Haft- und Suchbefehle, Militärdienst und eventuelle Desertion angestellt. Personen, deren polizeiliche Akten Hinweise auf strafbare Handlungen enthalten, werden demnach zur weiteren Vernehmung an die Abteilung zur Terrorismusbekämpfung oder zur zuständigen Militärkommandatur gebracht (I 191).

Daneben gibt es auch in jüngerer Zeit wird immer wieder Berichte über Fälle, in denen Abgeschobene nach ihrer Ankunft festgehalten und misshandelt oder gefoltert wurden. So soll nach Mitteilung des IHD in Izmir im vergangenen Jahr ein aus Deutschland abgeschobener kurdischer Türke gefoltert worden sein; er wurde nach seinen Angaben sieben Tage von der Flughafenpolizei festgehalten und verschiedene Verletzungen wurden durch ein gerichtsmedizinisches Gutachten belegt (I 194, 229). Außerdem wird über zwei weitere Fälle im Januar sowie Februar 2000 in Istanbul berichtet (I 200, 229), einer davon wurde bei der Oberstaatsanwaltschaft Izmir zur Anzeige gebracht (I 226, 229).

Weder aus der Zahl dieser Fälle noch aus weiteren Umständen und Begebenheiten lässt sich jedoch der Schluss ziehen, dass kurdische Volkszugehörige grundsätzlich bei der Überprüfung nach einer Rückkehr menschenunwürdiger Behandlung ausgesetzt sind. Zum einen handelt es sich bei den in den verschiedenen Auskünften dokumentierten Fällen größtenteils um letztlich ungeklärte Fälle, die nach der Verhaftung nicht mehr ermittelbar waren. Selbst wenn man jedoch unterstellen wollte, dass es in allen diesen Fällen zu einer menschenunwürdigen Behandlung gekommen ist, lässt sich angesichts der Gesamtzahl von Abschiebungen hieraus der Schluss einer wenn nicht allen, so jedoch der weitaus größten Zahl kurdischer Volkszugehöriger drohenden Behandlung dieser Art nicht ziehen. Hiergegen spricht schon die vermutlich wesentlich höher liegende Zahl von Rückkehrern türkischer Staatsangehörigkeit und kurdischer Volkszugehörigkeit. Allein für den Zeitraum von Dezember 1994 bis März 1995 liegt die Zahl abgeschobener türkischer Staatsangehöriger - deren kurdische Volkszugehörigkeit nicht immer erkennbar ist oder feststeht - bei etwa 200, obwohl in dieser Zeit in verschiedenen Bundesländern Abschiebestopps galten (BT-Drs. 13/1434). Die Zahl der Rückkehrer im Jahr 1994 und zuvor dürfte insgesamt wesentlich höher gewesen sein. Im Jahre 1995 wurden von der Grenzschutzdirektion Koblenz 2.610 Personen in die Türkei per Flugzeug zurückgeführt, unter denen nach vorläufigen Angaben mindestens 1.234 abgelehnte Asylbewerber waren (I 144). Im Jahr 1996 wurden 4.609 Personen aus Deutschland in die Türkei abgeschoben und 7 Personen ausgeliefert (BT Drucks. 13/7398 in I 160). Insgesamt lassen die bekannt gewordenen Zahlen jedenfalls nicht die Bewertung zu, dass kurdische Volkszugehörige bei einer Rückkehr in die Türkei verfolgungsfreie Regionen nicht ohne die erhebliche Gefahr drohender menschenunwürdiger Behandlung erreichen könnten.

Auch nach neuen Erkenntnissen muss ein als Asylbewerber identifizierter Rückkehrer bei der Einreise regelmäßig damit rechnen, dass er zunächst festgehalten und einer intensiven Überprüfung unterzogen wird (I 80, 87, 89, 144, 151, 159, 167, 233). Dies gilt insbesondere, wenn gültige Reisedokumente nicht vorgewiesen werden können. In diesem Falle erfolgt regelmäßig eine genaue Personalienfeststellung (unter Umständen mit einem Abgleich der Angaben der Personenbestandsbehörde und des Fahndungsregisters) hinsichtlich Grund und Zeitpunkt der Ausreise aus der Türkei, Grund der Abschiebung, eventueller Vorstrafen in Deutschland, Asylantragstellung und Kontakten zu illegalen türkischen Organisationen im In- und Ausland (I 79, 144, 151, 159, 167, 233). Diese Einholung von Auskünften, während der der Rückkehrer meist in den Diensträumen der jeweiligen Polizeiwache festgehalten wird, kann bis zu mehreren Tagen dauern. Da den türkischen Behörden bekannt ist, dass viele türkische Staatsbürger aus wirtschaftlichen Gründen mit dem Mittel der Asylantragstellung versuchen, in Deutschland ein Aufenthaltsrecht zu erlangen, werden Verfolgungsmaßnahmen nicht allein deshalb durchgeführt, weil der Betroffene in Deutschland einen Asylantrag gestellt hat, sondern nur, wenn sich konkrete Anhaltspunkte für eine Mitgliedschaft oder Unterstützung der PKK ergeben (I 79, 144, 151, 159, 167, an VG Gießen, 21.08.00). Liegt gegen den Betroffenen nichts vor, so wird er in der Regel nach spätestens zwei oder drei Tagen wieder freigelassen. Anders ist es, wenn Personen wegen konkreter Anhaltspunkte für die Begehung von Straftaten, insbesondere durch Unterstützung der PKK, durch die politische Abteilung der Polizei in Haft genommen werden; dann besteht die reale Gefahr von asylrelevanten Verfolgungsmaßnahmen bis hin zum Verschwinden von Personen (I 80, vgl. auch I 149, 167).

Die in einem Briefwechsel zwischen dem türkischen Innenminister und dem Bundesinnenminister enthaltene Erklärung der Republik Türkei (Text in BT-Drs. 13/1434, S. 2 bis 4) hat keine Auswirkung auf die Beurteilung der Frage, ob für kurdische Volkszugehörige in der Türkei ein Leben ohne politische Verfolgung möglich ist (vgl. Hess. VGH, 07.12.1998 - 12 UE 2185/97.A -; siehe dazu auch OVG Nordrhein-Westfalen, 03.06.1997 - 25 A 3631/95.A - und 28.10.1998 - 25 A 1284/96.A -).3. Der Klägerin droht auch unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Verhältnisse bei einer Rückkehr in die Türkei nach Überzeugung des Senats nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung.

a) Weder aufgrund der Situation vor der Ausreise der Klägerin, die zum damaligen Zeitpunkt etwa neun Jahre alt war, noch aus dem zwischenzeitlichen Aufenthalt in Deutschland folgen Anhaltspunkte dafür, dass ihr selbst und gegen sie aufgrund ihrer Aktivitäten gerichtete Gefahren drohen, denn sie hat sich auch nicht in der Zwischenzeit in einer Weise erkennbar exilpolitisch betätigt, die sie als exponierte Regimegegnerin oder PKK-Anhängerin hätte auffallen lassen. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass bei den Heimatbehörden etwas gegen sie vorliegt und sie muss daher nicht damit rechnen, dass sie durch die türkischen Behörden irgendwelchen von Misshandlungen begleiteten Befragungen ausgesetzt sein wird. Die zwischenzeitliche Übermittlung ihrer Daten an die Heimatbehörden zur Passausstellung vermag daher ebenfalls keine Anhaltspunkte für konkret drohende Maßnahmen zu begründen, denn für eine konkrete Fahndung nach ihr bestehen keinerlei Anhaltspunkte.

b) Zugunsten der Klägerin kann auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass ihr politische Verfolgung wegen exilpolitischer Betätigung ihres Bruders T. Y. als objektiver Nachfluchtgrund droht. Zwar kann eine aus dem Schutzgedanken des Art. 16a Abs. 1 GG folgende Vermutung dafür wirksam werden, dass auch dem Ehegatten eines politisch Verfolgten, über deren Asylanspruch im konkreten Fall zu entscheiden ist, das gleiche Schicksal mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, wenn nämlich Fälle festgestellt wurden, in denen der Verfolgungsstaat Repressalien gegenüber Ehefrauen im Zusammenhang mit der politischen Verfolgung ihres Ehemannes ergriffen hat (BVerwG, 02.07.1985 - 9 C 35.84 -, EZAR 204 Nr. 2 = InfAuslR 1985, 274; krit. Anm. Bell, ZAR 1986, 188). Zu Gunsten von Ehegatten politisch Verfolgter ist das Eingreifen dieser Vermutungsregel grundsätzlich auch im Fall der Türkei bejaht worden (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, 29.09.1992 - 18 A 10239/90 - InfAuslR 1993, 113), da sich der türkische Staat unter bestimmten Voraussetzungen Repressalien gegenüber diesem Personenkreis bedient. Vorliegend kommt eine derartige Vermutung aber letztlich nicht zum Tragen.

Ein Institut der Sippenhaft gibt es im türkischen Strafrecht, das in seinen wesentlichen Zügen dem italienischen Strafrecht nachgebildet ist, zwar nicht (II 1, 11, 24, 35; I 226), sondern Verfolgungsmaßnahmen sind auch gegenüber Familienangehörigen von Straftätern grundsätzlich unzulässig (II 3). Obwohl die Sippenhaft dem türkischen Recht insgesamt unbekannt ist, spielt der Zugriff auf Angehörige in der Polizeiermittlungspraxis jedoch eine große Rolle, wie zahlreiche Beispiele zeigen (II 12, 20, 26). Unter Umständen werden Verwandte von Gesuchten polizeilich zu deren Aufenthaltsort vernommen (II 13; I 226), sodass es auch möglich erscheint, dass die Ehefrau eines flüchtigen Straftäters in Polizeigewahrsam genommen, verhört und bedroht und auf die eine oder andere Art und Weise genötigt wird (II 6). Insbesondere nach 1990 wurde die Unterdrückung von Angehörigen gesuchter Personen verstärkt, wie zahlreiche Beispiele belegen (II 9, 10). Verwandte von gesuchten Personen müssen bei Razzien zum Zwecke der Festnahme der gesuchten Personen damit rechnen, unter Druck gesetzt, geschlagen und schikaniert zu werden (II 4). Zwar ist das Recht der Aussageverweigerung gewährleistet, andererseits jedoch nicht ausgeschlossen, dass es zu Übergriffen kommt (II 24, 33, 35, I 226). Vermehrt wird darüber berichtet, dass Familienangehörige aktiver PKK-Angehöriger menschenrechtswidrig behandelt werden, da angenommen wird, dass auch sie die PKK unterstützen (II 21, 31). Zu solchen Übergriffen auf Verwandte kommt es vor allem auch deshalb, weil es bei der Fahndung nach Personen, denen Unterstützungshandlungen für die PKK zur Last gelegt werden, durchaus üblich ist, alle bekannten Anschriften des Verdächtigen zu überprüfen (II 19). Nach Kaya (II 30) ergeht bei Personen, die per Haft- oder Festnahmebefehl gesucht werden, alle drei Monate ein Befehl durch die republikanischen Staatsanwaltschaften, nach dem das Haus der betreffenden Person durchsucht wird, sodass dort lebende Angehörige mindestens alle drei Monate einmal Belästigungen durch die Sicherheitskräfte ausgesetzt sind. Besonders betroffen von solchen Maßnahmen sind Verwandte ersten Grades, da sie unter dem Verdacht stehen, den Organisationen der kurdischen nationalen Opposition Unterstützung und Unterschlupf zu gewähren (II 28). Diese Gefahr besteht vor allem, wenn die Angehörigen wegen Unterstützung der Guerilla der Strafverfolgung ausgesetzt waren, in der Regel jedoch nicht, wenn diese nur wie alle anderen kurdischen Familien von den Razzien staatlicher Sicherheitskräfte betroffen waren (II 36). Eine Verbindung zur politischen Vergangenheit des Ehemannes wird dadurch möglich, dass die Personenstandsregistrierung der Ehefrau an den Ort verlegt wird, an dem ihr Ehemann gemeldet ist, und dort auch Informationen über den Ehemann vorhanden sind (II 29); bei den im Zuge der Einreise üblicherweise angestellten Nachforschungen oder bei späteren Routinekontrollen wird hingegen nicht in Erfahrung gebracht, ob Verwandte dieser Person gesucht werden oder nicht (II 37). Bei anderen, weitläufigeren Verwandten (Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen) können hingegen die Verwandtschaftsverhältnisse nicht so leicht über Personenstandsregister in Erfahrung gebracht werden (II 22, 25). Anders ist dies zu beurteilen, wenn die Personen nach der Einreise in ihren Heimatorten wohnen (II 22), vor allem, wenn es sich um kleinere Siedlungsgebiete (Dörfer) handelt (II 25). Auch wenn schon der Verdacht besteht, dass die betroffene Person selbst politische Kontakte pflegt und möglicherweise politische Aktionen durchführen könnte, werden derartige Nachforschungen angestellt und eine solche Person verhört, um Informationen beispielsweise über ihren gesuchten Bruder zu erhalten, insbesondere wenn dieser in Deutschland als asylberechtigt anerkannt ist (II 37). Rumpf (II 27, 32) zufolge erstreckt sich diese Gefahrenlage allerdings auch auf "Bekannte". Grundlage dafür ist die Praxis, durch weit gestreuten Druck an Informationen zu gelangen, die mit rechtsstaatlichen Mitteln nicht zu erlangen sind (II 27, 32). Nach Oberdiek (II 34) kommt es bei weiterer Verwandtschaft wie z. B. Cousins darauf an, ob aus dem Verhalten des Betroffenen zusätzliche Verdachtsmomente in Richtung auf politische Tätigkeiten geschöpft werden können, und inwieweit es zu Denunziationen im Heimatort kommen kann. Es gibt indes keine Erkenntnisse über besondere Verfolgungsmaßnahmen gegen minderjährige Kinder türkischer Staatsangehöriger, die nach türkischem Recht verfolgt werden und sich im Ausland aufhalten (II 2, 5, 34). Auch Familienangehörige von in der Türkei als Terroristen gesuchten Personen wie etwa des Führers der PKK, Öczalan und des Cemil Isik wurden während ihres Aufenthalts in der Türkei nicht behelligt (II 2); allerdings wurde der Bruder des PKK-Führers im September 1990 vorübergehend festgenommen, als er mit gefälschtem Pass zusammen mit seinen sechs Kindern auf eine griechische Ägäisinsel fliehen wollte (II 15). In die Türkei zurückkehrende kurdische Volkszugehörige werden nicht allein deswegen verfolgt, weil Verwandte im Ausland als Asylberechtigte anerkannt sind (II 10, 16) oder dort ein Asylverfahren betreiben (II 11, 17, 33, 35, 37). Es gibt jedoch Berichte darüber, dass der Ehegatte eines in Deutschland politisch aktiven Asylbewerbers bei einer Rückkehr in die Türkei ebenfalls mit menschenrechtswidriger Behandlung rechnen muss (II 7), dass insbesondere gegen Frauen mittels entwürdigender Übergriffe vorgegangen wird (II 8) und dass von derartigen Beeinträchtigungen auch die Familienangehörigen von Verschwundenen (II 14) und von Asylberechtigten (II 18) betroffen sind. Kaya sieht es für denkbar an, dass die Mutter eines in Deutschland als asylberechtigt Anerkannten mit von Zeit zu Zeit erfolgenden Belästigungen durch die Sicherheitskräfte rechnen muss (II 38). Unmittelbar bei der Rückkehr besteht die Gefahr einer Festnahme wegen PKK-Aktivitäten Verwandter nach Auskunft von Kaya (II 23) nicht, da den Grenzstationen keine Listen derjenigen, die sich der Guerilla angeschlossen haben, mitgeteilt werden und dies auch bei den üblichen Nachforschungen nicht bekannt werden dürfte. Allerdings kann dies bei Rückkehr in die Heimatgemeinde durch dortige Nachforschungen bekannt werden und zur Festnahme führen (II 23).

Unter Berücksichtigung dieser Umstände droht der Klägerin bei der Rückkehr in die Türkei schon deshalb keine politische Verfolgung, da sie nicht mit einem politisch Verfolgten eng verwandt ist. Selbst wenn man die grundsätzlich auch auf andere nahe Angehörige anwendbare Vermutungsregel (vgl. hierzu Bell, a.a.O.) auch im Falle von Geschwistern bejahen wollte, ist diese Vermutung widerlegt. Die Klägerin wird unmittelbar bei ihrer Rückkehr oder danach aus diesem Grund nicht der Gefahr einer Befragung ausgesetzt sein, die das Ziel verfolgt, den Aufenthaltsort ihrer Brüder, insbesondere des Bruders T. oder weiterer Personen, die mit diesem in Kontakt standen, zu ermitteln. Allein der Umstand der von ihren Brüdern betriebenen Verfahren zur Asylanerkennung führt nicht dazu, dass diese schon deshalb in der Türkei gesucht werden. Auch die Wehrdienstverweigerung des Bruders T. Y. zieht keine derartigen Folgen nach sich, da dessen Aufenthaltsort aus diesem Grund den türkischen Behörden schon bekannt ist und nicht ersichtlich ist, was darüber hinaus durch eine Befragung der Klägerin noch zu ermitteln sein sollte.

c) Die Klägerin kann bei einer Rückkehr zum hier maßgeblichen Zeitpunkt auch ohne die Gefahr existenzieller Bedrohung in anderen Bereichen der Türkei außerhalb ihrer Heimatregion, insbesondere in den Hauptstädten im Westen der Türkei, leben.

Im Fall einer gemeinsamen Rückkehr mit ihrem Bruder Turhan, dessen Rückkehr aufgrund der bestehenden Ausreisepflicht zu unterstellen ist, kann sie von der ihr grundsätzlich zur Verfügung stehenden wirtschaftlichen Existenzmöglichkeit Gebrauch machen, da sie jedenfalls gemeinsam - insbesondere gilt das für den Bruder im Alter von 26 Jahren - in der Lage sein werden, das für die Existenz Notwendige durch die nach obigen Feststellungen zur Verfügung stehenden Arbeitsmöglichkeiten zu erlangen, und da davon auszugehen ist, dass der hier zum Vormund bestellte Bruder auch weiterhin die persönliche Sorge für die Klägerin übernimmt. Für den Fall, dass ihr Bruder T. nach Rückkehr jedoch alsbald jedenfalls den Wehrdienst ableisten oder aufgrund seiner Wehrdienstentziehung sogar zusätzlich eine Haftstrafe verbüßen muss, so dass ihm die finanzielle und persönliche Sorge für die Klägerin erschwert oder gar unmöglich wird, ist nach Überzeugung des Senats die Unterbringung der Klägerin in einem Waisenhaus bis zu ihrem 18. Lebensjahr möglich und auch praktisch durchführbar, sofern nach wie vor keine anderen Verwandten ermittelt werden oder sich solche nicht um die Klägerin kümmern können.

Für alleinstehende minderjährige Jugendliche bis zum Alter von 18 Jahren gibt es grundsätzlich die Möglichkeit, die Hilfe der SHCEK in Anspruch zu nehmen, die in eigenen Heimen oder bei Pflegeeltern den Grundbedarf von Waisenkindern sicherstellt, wozu auch eine Ausbildung gehört, die unter bestimmten Voraussetzungen auch über das 18. Lebensjahr hinaus sichergestellt wird (III 8, 11). Auch die "Cocuk Esirgeme Kurumu" (Kindesschutzgesellschaft) betreut elternlose Kinder im Alter von 12 bis 18 Jahren in insgesamt 91 Erziehungsheimen (III 10), es gibt sonst nur staatlich betriebene Waisenhäuser, die elternlose Minderjährige auf gerichtliche Anordnung oder Verfügung der Polizei bis zu deren 18. Lebensjahr aufnehmen (III 12), wenn keinerlei Angehörige ermittelt werden können.

B.

Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Klägerin bei einer Rückkehr Beeinträchtigungen ausgesetzt ist, die unter § 53 AuslG fallen. Insbesondere ist nichts dafür dargetan oder ersichtlich, dass ihr die konkrete Gefahr der Folter oder anderer menschenrechtswidriger Behandlung im Sinne von § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK droht.

D.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 VwGO; die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b Abs. 1 AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO, 167 VwGO.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Ende der Entscheidung

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