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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 25.07.2001
Aktenzeichen: 12 UZ 2017/01.A
Rechtsgebiete: GG, AsylVfG, VwGO


Vorschriften:

GG Art. 19 Abs. 4
AsylVfG § 78
VwGO § 133
Eine Verfahrensdauer von sechs Jahren in erster Instanz rechtfertigt auch dann nicht die Zulassung der Berufung in Asylstreitverfahren, wenn damit gegen die Garantie wirksamen Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG verstoßen sein sollte.
Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss

12 UZ 2017/01.A

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Asylrechts

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 12. Senat - durch Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Dr. Renner, Richter am Hess. VGH Kohlstädt, Richter am Hess. VGH Pertek

am 25. Juli 2001 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 7. März 2001 wird abgelehnt.

Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe:

Der Antrag ist zulässig, aber nicht begründet; denn mit ihm ist ein Grund, der gemäß § 78 Abs. 3 AsylVfG die Zulassung der Berufung rechtfertigen kann, nicht dargetan.

Der mit dem Zulassungsantrag geltend gemachte wesentliche Verfahrensmangel der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor. Denn das Verwaltungsgericht hat die in seinem Urteil verwerteten Erkenntnisquellen so in das Verfahren eingeführt, dass die Beteiligten ausreichend Gelegenheit hatten, zu diesen Dokumenten und den dort wiedergegebenen Tatsachenschilderungen Stellung zu nehmen. Das Verwaltungsgericht hat jedenfalls die Mindestanforderungen zur Wahrung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs erfüllt, indem es die Unterlagen zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht hat (BVerwG, 29.04.1983 - 9 B 2968.80 -, Buchholz 310 § 108 Nr. 134; vgl. auch BVerwG, 13.07.1982 - 9 C 53.82 -, DVBl. 1983, 34 = EZAR 610 Nr. 19; BVerwG, 23.11.1982 - 9 C 844.80 -, DÖV 1983, 206 = EZAR 610 Nr. 20; Hess. VGH, 22.07.1994 - 12 UZ 1544/94 -; Hess. VGH, 24.02.1994 - 12 UZ 2865/93 -, InfAuslR 1994, 245)). Ob die ordnungsgemäße Kenntnisnahme vom Inhalt der Unterlagen seitens der Beteiligten dadurch gewährleistet war, kann dahinstehen; denn in der Vorinstanz sind die mit dem Zulassungsantrag geltend gemachten Bedenken nicht vorgetragen worden. Selbst wenn mithin rechtliches Gehör nicht in dem gebotenen Umfang gewährt worden sein sollte, wäre dies unerheblich, weil es der Kläger dann versäumt hätte, sich durch Wahrnehmung gegebener prozessualer und faktischer Möglichkeiten Gehör zu verschaffen (BVerwG, 16.10.1984 - 9 C 67.83 -, EZAR 610 Nr. 25 = NVwZ 1985, 337; BVerwG, 23.09.1987 - 1 B 97.87 -, EZAR 124 Nr. 8; Hess. VGH, 12.05.1986 - 10 TE 1702/85 -; Hess. VGH, 31.10.1986 - 10 TE 2382/86 -).

Soweit der Antragsteller anzunehmen scheint, das Verwaltungsgericht habe Erkenntnisquellen überhaupt nicht ordnungsgemäß in das Verfahren eingeführt, ist darauf hinzuweisen, dass der Berichterstatter des Verwaltungsgerichts zusammen mit der Anordnung vom 18. Januar 2001 mehrere "Erkenntnislisten" mit dem Stand vom 15. Januar 2001 den Beteiligten zugesandt und zur Vorbereitung einer Entscheidung darauf hingewiesen hat, dass die dort genannten Auskünfte, Gutachten und sonstigen Informationen beigezogen werden können, und dass in der mündlichen Verhandlung unter anderem die Gerichtsakten und damit der Inhalt der genannten Erkenntnisquellen zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurde. Wenn es am Ende des Tatbestands des angegriffenen Urteils dazu heißt, Gegenstand der mündlichen Verhandlung seien auch die in das Verfahren "aufgrund der Verfügung vom 24.07.2000 eingeführten Erkenntnisquellen" gewesen, so handelt es sich dabei offenbar um ein Formulierungsversehen, weil zwischen dem 21. März 2000 (Bl. 51 der Akten) und dem 18. Januar 2001 (Bl. 52 der Akten) keine weitere richterliche Verfügung in den Akten enthalten ist und mit der letzteren sowohl der Termin zur mündlichen Verhandlung am 7. März 2001 bestimmt als auch die Beifügung der genannten Erkenntnislisten zu den Ladungen an die Prozessbeteiligten angeordnet worden ist.

Soweit der Kläger die Verwertung von Berichten des Auswärtigen Amtes vom 20. Juni 2000 und 6. Januar 1999 sowie eines Gutachtens von Oberdiek beanstandet, betrifft dies offensichtlich die Ausführungen über die Gefahr bei einer Rückkehr nach politischen Aktivitäten in Deutschland (S. 10 unten des Urteilsabdrucks). Auch insoweit ist ein Formulierungsfehler des Verwaltungsgerichts festzustellen, da der Lagebericht des Auswärtigen Amtes der Erkenntnisliste "Türkei - Liste 0" zufolge vom 22. und nicht vom 20. Juni 2000 stammt. Entgegen der Auffassung des Klägers ist ein Gutachten von Oberdiek an das VG Gießen vom 18. März 1999 in das Verfahren eingeführt worden; es ist nämlich in der Erkenntnisliste "Türkei - Liste 3" enthalten. Die Auskunft des Auswärtigen Amts vom 8. Januar 1999 an das VG Stuttgart ist ebenfalls in das Verfahren eingeführt, und zwar anhand der Erkenntnisliste "Türkei - Liste 1 allgemein". Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang die Entscheidungsfindung insoweit beanstandet, als das Verwaltungsgericht Gutachten von Rumpf und Kaya nicht berücksichtigt habe, kommt es nicht darauf an, ob diese Gutachten tatsächlich nicht eingeführt und nicht verwertet worden sind; denn das Verwaltungsgericht hat seiner Entscheidung lediglich zugrundegelegt, dass der Antragsteller als Zuschauer Fragen an die bei einer Sendung im Med-TV zugeschalteten PKK-Kämpfer gerichtet habe, und dass nicht vorgetragen sei, dass dem Kläger insoweit eine über das normale Maß hinausgehende exponierte Position zugekommen sei. Damit wendet sich der Kläger in Wahrheit gegen die Bewertung tatsächlicher Vorgänge durch das Verwaltungsgericht und greift im Grunde genommen die Beweiswürdigung als solche an, obwohl der Kläger genau dies abstreitet. Nachdem das Verwaltungsgericht die Einführung zahlreicher Erkenntnisquellen angekündigt hatte, von denen sich ein großer Teil mit der Gefährdung aufgrund exilpolitischer Betätigung befasst, wäre es Sache des anwaltlich vertretenen Klägers gewesen, in der mündlichen Verhandlung die Auskunfts- und Beweislage aus seiner Sicht darzustellen und sich insbesondere auf diejenigen Quellen zu berufen, deren ausreichende Berücksichtigung durch das Verwaltungsgericht er jetzt im Zulassungsverfahren bezweifelt. Letztlich hat es der Kläger damit versäumt, sich in den von der Prozessordnung zur Verfügung gehaltenen Formen rechtliches Gehör zu verschaffen.

Dies gilt auch, soweit er die Überzeugung des Verwaltungsgerichts beanstandet, die Konterguerilla, die Ursache seiner Verhaftung gewesen sei, werde nach den neuesten dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen vom türkischen Staat nicht mehr unterstützt, sondern vielmehr von diesem massiv bekämpft (S. 8 des Urteilsabdrucks). Das Verwaltungsgericht hat diese Frage nur im Zusammenhang damit erörtert, dass das Vorbringen des Klägers hierzu unter zahlreichenden Widersprüchen und Ungereimtheiten leide und deswegen wahlweise anzunehmen sei, dass er entweder von einer heute nicht mehr existierenden Macht in der Türkei verhaftet worden sei oder aber seine Freilassung sowieso bevorgestanden habe und nur die Möglichkeit genutzt worden sei, ein Schmiergeld zu kassieren, und dass in beiden Fällen ein Interesse am Kläger seitens des türkischen Staats nicht bestanden habe und im gegenwärtigen Zeitpunkt eine Verfolgung des Klägers in der Türkei auszuschließen sei. Daher könnte die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs durch den Kläger nur dann als substantiiert angesehen werden, wenn er zumindest im Zulassungsverfahren klargestellt hätte, dass er tatsächlich von einer nichtstaatlichen Organisation festgenommen war; an einer derartigen schlüssigen Darstellung im Zulassungsverfahren fehlt es jedoch.

Soweit der Kläger seinen Zulassungsantrag darüber hinaus auf eine Verletzung des Anspruchs auf wirksamen Rechtsschutz stützt und geltend macht, die mündliche Verhandlung über die Klage vom 13. April 1995 habe unter Verletzung der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG erst am 7. März 2001 und damit knapp sechs Jahre nach Klageerhebung stattgefunden, ist eine Berufungszulassung ausgeschlossen, weil diese nur auf die in § 78 Abs. 3 AsylVfG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe gestützt werden kann und diese Rüge des Klägers insbesondere auch keine Grundlage in den in § 138 VwGO bezeichneten Verfahrensmängeln findet. Selbst wenn nach der vom Kläger angeführten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesfinanzhofs bei einer Verfahrensdauer von sechs oder gar von acht Jahren, falls man die Dauer des Verwaltungsverfahrens hinzurechnet, ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip oder die Rechtsschutzgarantie angenommen werden müsste, könnte hierin ein Grund für die Zulassung der Berufung nicht gesehen werden. Wie der Kläger zu Recht annimmt, kann eine überlange Verfahrensdauer den Anspruch des Bürgers auf wirksamen Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzen; gleichwohl kann er eine Zulassung der Berufung auch dann nicht verlangen, wenn die Verfahrensdauer im vorliegenden Klageverfahren als unverhältnismäßig angesehen werden könnte.

Überlange Verfahrensdauern können das Beschleunigungsgebot nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK verletzen und auch dem rechtsstaatlichen Beschleunigungsgrundsatz (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) sowie der Garantie des Art. 19 Abs. 4 zuwiderlaufen (vgl. dazu Lansnicker/Schwirtzek, NJW 2001, 1969 mit Nachweisen der Rechtsprechung des EGMR, des BVerfG und der Oberen Bundesgerichte); sie rechtfertigen aber nicht die Zulassung der Berufung in Asylstreitverfahren. Dabei kann hier offenbleiben, ob die Garantie des Art. 6 EMRK auch für öffentlich-rechtliche Streitverfahren wie die um die Asylanerkennung gilt.

Der deutsche Gesetzgeber hat für das allgemeine Verwaltungsverfahren keine besonderen Beschleunigungsbestimmungen erlassen und insbesondere für die Bearbeitung und Erledigung von Verwaltungsverfahren keine bestimmten Fristen festgelegt. Er hat allerdings durch die Bestimmungen des § 75 VwGO über die Untätigkeitsklage dafür Sorge getragen, dass im Falle der Untätigkeit der Verwaltung ohne zureichenden Grund nach Ablauf von drei Monaten die Verwaltungsgerichte angerufen werden können. Für das Asylverwaltungsverfahren ist zudem durch die Vorschriften über die Verpflichtung zum Aufenthalt in Aufnahmeeinrichtungen mittelbar darauf hingewirkt, dass das Verfahren vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge jedenfalls im Regelfall möglichst innerhalb von sechs Wochen oder zumindest innerhalb von drei Monaten abgeschlossen ist (vgl. § 47 AsylVfG). Nur im Flughafenverfahren ist das Bundesamt gesetzlich verpflichtet, innerhalb von zwei Tagen nach Stellung des Asylantrags über diesen zu entscheiden, und sonst ist dem asylsuchenden Ausländer die Einreise zu gestatten (§ 18a Abs. 6 Nr. 2 AsylVfG). Für den allgemeinen Asylprozess besteht bislang keine Verpflichtung der Gerichte zur Bearbeitung oder Entscheidung innerhalb festgelegter Fristen. Die besondere Beschleunigungsbedürftigkeit von Asylgerichtsverfahren kommt allerdings dadurch zum Ausdruck, dass Antrags- und Klagefrist verkürzt sind (vgl. §§ 36 Abs. 3 Satz 1, 74 Abs. 1 AsylVfG), in der Regel der Einzelrichter tätig wird (§ 76 AsylVfG) und der Zugang zur Berufungsinstanz gegenüber dem allgemeinen Verwaltungsprozess eingeschränkt ist (vgl. § 78 AsylVfG). Besonderheiten bestehen allerdings insoweit, als dem Ausländer im Flughafenverfahren die Einreise zu gestatten ist, wenn das Gericht nicht innerhalb von 14 Tagen über einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes entschieden hat (§ 18a Abs. 6 Nr. 3 i.V.m. Abs. 4 AsylVfG) und das Verwaltungsgericht verpflichtet ist, über einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz im Falle der Unbeachtlichkeit oder offensichtlichen Unbegründetheit eines Asylantrags innerhalb einer Woche nach Ablauf der Antragsfrist zu entscheiden, und diese Frist nur in Ausnahmefällen verlängern darf (§ 36 Abs. 3 Sätze 5 bis 7 AsylVfG).

Im Übrigen stellen sich die Folgen einer überlangen Dauer des Verwaltungs- oder des Gerichtsverfahrens wie folgt dar: Eine überlange Dauer des Verwaltungsverfahrens kann rechtsstaatlichen Grundsätzen zuwiderlaufen, sie rechtfertigt aber allein noch nicht eine der gesetzlichen Regelung widersprechende Beweislastverteilung (BVerwG, 01.12.1994 - 3 B 66.94 -, Buchholz 427.2 § 35 FG Nr. 9; BVerwG, 12.12.2000 - 11 B 76.00 -, NJW 2001, 841). Eine Verzögerung des gerichtlichen Verfahrens ohne ersichtlichen Grund kann gegen das Gebot wirksamen Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG verstoßen, dies führt aber grundsätzlich weder zur Verwirkung des staatlichen Steueranspruchs noch zu einer Umkehr der Feststellungslast; Versäumnisse bei der Sachaufklärung des Gerichts dürfen allerdings im Rahmen der Beweiswürdigung nicht dem Steuerpflichtigen angelastet werden (BFH, 23.02.1999 - IX R 19/98 -, BFHE 188, 264 = NJW 1999, 2614). Dauert ein Disziplinarverfahren unverhältnismäßig lange, so kann die bereits angeordnete Disziplinarmaßnahme der teilweisen Einbehaltung des Ruhegehalts gegen den im Rechtsstaatsprinzip verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen (BVerfG, 04.10.1977 - 2 BvR 80/77 -, BVerfGE 46, 17; BVerfG-Kammer, 08.09.1993 - 2 BvR 1517/92 -, NVwZ 1994, 574 = BayVBl. 1993, 749). Eine unterhalb der Entfernung aus dem Dienst gebotenen Disziplinarmaßnahme kann auch in der Maßnahmenart milde ausfallen, wenn das Straf- und/oder das Disziplinarverfahren übermäßig lange gedauert und der Beamte dies nicht zu vertreten hat (BVerwG, 24.06.1998 - 1 D 23.97 -, BVerwGE 113, 229 = NVwZ 1999, 658). Das Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG kann verletzt sein, wenn die Fortdauer der Auslieferungshaft unter Verkennung des Beschleunigungsgebots und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes angeordnet wird (BVerfG, 27.07.1999 - 2 BvR 898/99 -, EZAR 054 Nr. 4 = NJW 2000, 1252). Die Abschiebehaftanordnung kann wegen Unverhältnismäßigkeit der Haftfortdauer wegen einer behördlicherseits zu vertretenden Verfahrensverzögerung bei der Beschaffung von Passersatzpapieren aufzuheben sein (BayObLG, 21.02.2001 - 3 ZBR 60/01 -, EZAR 048 Nr. 55; OLG Düsseldorf, 05.05.1995 - 3 Wx 148/95 -, InfAuslR 1995, 367; vgl. auch BVerfG -Kammer-, 15.12.2000 - 2 BvR 347/00 -, EZAR 048 NR. 53 = NVwZ-Beil. 2001, 26). Die verzögerliche Behandlung eines Ausweisungsverfahrens durch die Ausländerbehörde kann darauf hindeuten, dass ein zwingendes öffentliches Interesse an der sofortigen Abschiebung eines Ausländers nicht besteht (BVerfG - Kammer -, 12.09.1995 - 2 BvR 1179/95 -, EZAR 622 Nr. 25 = NVwZ 1996, 58 = InfAuslR 1995, 397).

Obwohl das Problem überlanger Dauer von Verwaltungs- und Gerichtsverfahren allgemein und auch dem Gesetzgeber bekannt ist und es deshalb immer wieder zu Streitigkeiten um die Reihenfolge der Bearbeitung kommt (vgl. dazu etwa BVerfG - Kammer -, 06.02.1995 - 1 BvR 54/94 -; betreffend PKH-Verfahren OVG Münster, 03.12.1997 - 24 E 921/97 -, NVwZ-RR 1998, 340 = JZ 1998, 947; betreffend Befangenheit eines Richters OVG Münster, 16.12.1992 - 18 A 130/89 -, NJW 1993, 2259; betreffend Rückstellung der Terminierung OVG Saarlouis, 13.10.1997 - 2 Y 4/97 -), hat der Gesetzgeber bisher keine Veranlassung gesehen, über die oben erwähnten Einzelfallbestimmungen hinaus entweder verfahrensrechtliche oder materiell-rechtliche Konsequenzen an das Überschreiten einer bestimmten Verfahrensdauer zu knüpfen. Rechtsfolgen können für den Rechtsschutz ungeachtet dessen beispielsweise in der Weise gezogen werden, dass vorläufiger Rechtsschutz auch durch teilweise Vorwegnahme der Hauptsache gewährt wird, wenn der Rechtsschutz in der Hauptsache nicht rechtzeitig erlangt werden kann und dies zu schlechthin unzumutbaren, anders nicht abwendbaren Nachteilen für den Bürger führt, die sich auch bei einem späteren Erfolg in der Hauptsache nicht mehr ausgleichen lassen (vgl. z. B. BVerfG, 25.10.1988 - 2 BvR 745/88 -, NJW 1989, 827; OVG Schleswig-Holstein, 06.12.1996 - 3 M 104/96 -, IÖD 1997, 211). Die Dauer eines gerichtlichen Eilverfahrens ist aber ebensowenig wie Art und Umfang der in einem solchen Verfahren vorgenommenen Sachverhaltsaufklärung geeignet, die besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeit eines Verfahrens zu indizieren und damit die Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zu rechtfertigen (OVG Lüneburg, 28.01.1998 - 12 M 5696/97 -). Die Gerichte könnten jedoch unter Umständen gesetzlich dazu verpflichtet werden, beispielsweise Asylklageverfahren innerhalb von sechs Monaten mündlich zu verhandeln und möglichst auch zu entscheiden (vgl. dazu und zu den in den Bundesländern signifikant unterschiedlichen Dauern der Asylstreitverfahren Bericht der Unabhängigen Kommission "Zuwanderung", 04.07.2001, S. 131, 138; vgl. dazu Renner, ZAR 2001, 147, 152). Ungeachtet dessen zählt das Überschreiten einer angemessenen Dauer des gerichtlichen Verfahrens weder zu den absoluten Revisionsgründen des § 133 VwGO noch zu den speziellen Zulassungsgründen des § 78 Abs. 3 AsylVfG. Daher kann hier auch offen bleiben, ob sich ein Beteiligter nur dann auf eine überlange Verfahrensdauer berufen könnte, falls seine Klage bei rechtzeitiger Entscheidung erfolgreich hätte sein müssen.

Entgegen der Auffassung des Klägers kann die Berufung auch nicht wegen einer Abweichung von der oben zitierten Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 23. Februar 1999 zugelassen werden. Der Bundesfinanzhof zählt nicht zu den Gerichten, die in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG genannt sind, und das Verwaltungsgericht ist weder ausdrücklich noch stillschweigend von einem Rechtssatz des Bundesfinanzhofs abgewichen, indem es trotz einer langen Verfahrensdauer gleichwohl über die vorliegende Klage entschieden hat.

Wie sich aus den obigen Erwägungen über die Folgen einer überlangen Verfahrensdauer entnehmen lässt, bedarf es auch keiner grundsätzlichen Klärung, "unter welchen Voraussetzungen eine nicht sachlich in dem Verfahren begründete und vom Gericht zu vertretende erstinstanzliche Verfahrensdauer in Asylverfahren den Anspruch auf wirksamen Rechtsschutz beeinträchtigen kann und welche verfahrensrechtlichen Konsequenzen sich daraus ergeben".

Schließlich liegt die mit dem Zulassungsantrag geltend gemachte Divergenz von Entscheidungen des beschließenden Senats nicht vor. Die Divergenzrüge kann im Hinblick auf die Funktion des Rechtsmittels der Berufung und die Aufgaben der Berufungsinstanz gerade in Asylstreitigkeiten - ähnlich wie die grundsätzliche Bedeutung bei der Grundsatzberufung im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG (vgl. dazu: BVerwG, 31.07.1984 - 9 C 46.84 -, BVerwGE 70, 24 = EZAR 633 Nr. 9; Hess. VGH, 27.12.1982 - X TE 29/82 -, EZAR 633 Nr. 4 = NVwZ 1983, 237) - sowohl rechtliche als auch tatsächliche Fragenbereiche betreffen (BVerwG, a.a.O.; Hess. VGH, 18.02.1985 - 10 TE 263/83 -). Dabei setzt eine die Berufungszulassung rechtfertigende Divergenz im rechtlichen Bereich voraus, dass das verwaltungsgerichtliche Urteil bei objektiver Betrachtung von einem Rechtssatz abweicht, den z. B. das Bundesverwaltungsgericht aufgestellt hat. Erforderlich ist hierfür nicht, dass die Abweichung bewusst oder gar vorsätzlich erfolgt; es genügt vielmehr ein Abgehen von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in der Weise, dass das Verwaltungsgericht dem Urteil erkennbar eine Rechtsauffassung zugrunde legt, die einem vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Rechtssatz widerspricht (Hess. VGH, 10.07.1986 - 10 TE 641/86 -; Hess. VGH, 14.10.1987 - 12 TE 1770/84 -, EZAR 633 Nr. 13). Andererseits kann eine zur Berufungszulassung führende Abweichung dann nicht festgestellt werden, wenn das Verwaltungsgericht gegen vom Bundesverwaltungsgericht vertretene Grundsätze verstößt, indem es diese stillschweigend übergeht oder sie übersieht (vgl. dazu BVerwG, 23.08.1976 - III B 2.76 -, Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 147), den Sachverhalt nicht in dem erforderlichen Umfang aufklärt, eine rechtlich gebotene Prüfung tatsächlicher Art unterläßt (Hess. VGH, 15.02.1995 - 12 UZ 191/95 -, EZAR 633 Nr. 25 = AuAS 1995, 127) oder den festgestellten Sachverhalt fehlerhaft würdigt (vgl. dazu BVerwG, 17.01.1975 - VI CB 133.74 -, Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 128) und damit Rechtsgrundsätze des Bundesverwaltungsgerichts unzutreffend auslegt oder anwendet; denn nicht jeder Rechtsverstoß in der Form einer unzutreffenden Auslegung oder Anwendung von Rechtsgrundsätzen gefährdet die Einheit der Rechtsprechung, die durch die Vorschrift des § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG (ähnlich wie durch die Vorschrift des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO über die Divergenzrevision) gesichert werden soll (vgl. Hess. VGH, 14.10.1987 - 12 TE 1770/84 -, EZAR 633 Nr. 13 m.w.N.). Die Divergenzzulassung setzt voraus, dass das erstinstanzliche Urteil auf der festgestellten Abweichung beruht. Sie kann aber nicht mit der Begründung versagt werden, das Urteil erweise sich aus anderen Gründen als richtig (a. A. OVG Nordrhein-Westfalen, 05.11.1991 - 22 A 3120/91 A -, EZAR 633 Nr. 18); für die Berufungszulassung fehlt nämlich eine dem § 144 Abs. 4 VwGO vergleichbare Vorschrift (Hess. VGH, 12.06.1995 - 12 UZ 1178/95 -; Hess. VGH, 20.12.1993 - 12 UZ 1635/93 -; vgl. dazu Kopp, VwGO, 9. Aufl., 1992, Rdnr. 19 zu § 132).

Zu Unrecht meint der Kläger, das Verwaltungsgericht weiche von Entscheidungen des beschließenden Senats über die Asylrelevanz von Bestrafungen nach Art. 140 TStGB und nach Art. 8 Abs. 1 ATG ab. Eine solche Divergenz liegt schon deshalb nicht vor, weil das Verwaltungsgericht einen dahingehenden strafrechtlichen Verstoß des Klägers nicht festgestellt hat; denn es hat angenommen, der Kläger habe eine über das normale Maß hinausgehende exponierte Position nicht vorgetragen.

Die Entscheidungen über die Kosten des Antragsverfahrens beruhen auf § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b Abs. 1 AsylVfG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG).

Ende der Entscheidung

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