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Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 08.08.2001
Aktenzeichen: 12 UZ 2131/01.A
Rechtsgebiete: GG, VwGO, AsylVfG
Vorschriften:
GG Art. 103 Abs. 1 | |
VwGO § 138 Nr. 3 | |
AsylVfG § 78 Abs. 2 Nr. 3 |
Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss
In dem Verwaltungsstreitverfahren
wegen Asylrechts
hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 12. Senat - durch
Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Dr. Renner, Richter am Hess. VGH Kohlstädt, Richter am Hess. VGH Pertek
am 8. August 2001 beschlossen:
Tenor:
Auf den Antrag des Klägers wird die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 7. Juni 2001 hinsichtlich des asylrechtlichen Verfahrensteils und der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG zugelassen. Insoweit wird das Verfahren als Berufungsverfahren unter dem Az. 12 UE 2204/01.A fortgesetzt.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Entscheidung über die Kosten des Antragsverfahren folgt der Kostenentscheidung im Berufungsverfahren.
Gründe:
Der Antrag ist hinsichtlich des asylrechtlichen Verfahrensteils und der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG zulässig, insbesondere ist er fristgerecht gestellt und begründet worden (§ 78 Abs. 4 Sätze 1 bis 4 AsylVfG). Im Übrigen ist der Antrag unzulässig, weil hinsichtlich der Abschiebungsandrohung ein Zulassungsgrund nicht dargetan ist (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG).
Der Antrag ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang auch begründet; denn mit ihm ist insoweit zu Recht geltend gemacht, dass die Berufung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO zuzulassen ist. Der Zulassungsantrag hat Erfolg, soweit mit ihm eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör mit der Begründung geltend gemacht wird, in den Entscheidungsgründen des angegriffenen Urteils werde nicht darauf eingegangen, ob infolge der Asylberechtigung eines Bruders des Klägers und der Fahndung nach einem anderen Bruder des Klägers eine Rückkehrgefährdung von Asylrelevanz drohe.
Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG; vgl. dazu Fritz, ZAR 1984, 189 ff.) verschafft den Verfahrensbeteiligten ein Recht darauf, sich zu allen entscheidungserheblichen Tatsachen zweckentsprechend und erschöpfend zu erklären und Anträge zu stellen (§§ 86 Abs. 2 und 3, 104 Abs. 1, 108 Abs. 2 VwGO; BVerfG, 15.01.1980 - 2 BvR 920/79 -, BVerfGE 53, 109; Kopp, VwGO, 9. Aufl., 1992, Rdnr. 19 zu § 108, m.w.N.), und verpflichtet das Gericht darüber hinaus, das Vorbringen und die Anträge der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und auch in Erwägung zu ziehen (BVerfG, 09.02.1982 - 1 BvR 1379/80 -, BVerfGE 60, 1; Hess. VGH, 10.03.1989 - 12 TE 1580/88 -, InfAuslR 1989, 256). Die Gerichte sind nicht dazu verpflichtet, sich mit jedem Parteivorbringen in der Begründung ausdrücklich zu befassen; alle wesentlichen, der Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung dienenden Tatsachenbehauptungen müssen jedoch in den Entscheidungsgründen verarbeitet werden, damit festgestellt werden kann, dass das Gericht das Urrecht des Menschen auf rechtliches Gehör beachtet und nicht etwa "kurzen Prozess" mit den Beteiligten gemacht hat (vgl. dazu: § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO; BVerfG, 15.04.1980 - 1 BvR 1365/78 -, BVerfGE 54, 43; BVerwG, 15.10.1985 - 9 C 3.85 -, EZAR 630 Nr. 22 = ZfSH/SGB 1986, 505; Hess. VGH, 23.10.1995 - 13 UZ 2713/94 -; Hess. VGH, 17.02.1995 - 12 UZ 328/95 -).
Während in dem Klageschriftsatz vom 19. Mai 1999 die Klage nicht weiter begründet wurde, ist mit Schriftsatz vom 14. Oktober 1999 ausgeführt, der Kläger beziehe sich zur Begründung seines Asylanspruchs auch auf den Gesichtspunkt der Sippenhaft und ein Verwandter des Klägers, dessen Name und Asylverfahren beim Bundesamt bezeichnet wurden, sei mit Bescheid vom 23. März 1994 als Asylberechtigter anerkannt. Sodann wurde nach Bestimmung des Termins zur mündlichen Verhandlung in dem Schriftsatz vom 30. April 2001 ergänzend vorgetragen, der Bruder Mehmet des Klägers sei an einem Strafverfahren vor der 2. Kammer des Staatssicherheitsgerichts Diyarbakir unter einem anderen Namen beteiligt gewesen und wegen Unterstützung einer verbotenen Organisation, nämlich der PKK, zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt worden, ein weiterer Bruder des Klägers sei einer vorgelegten schriftlichen Bescheinigung der Oberstaatsanwaltschaft beim Staatssicherheitsgericht Diyarbakir zufolge ebenfalls unter einem anderen Namen angeklagt und aus der Asylanerkennung seines Bruders Nayif ergebe sich im Zusammenhang mit dem vorgelegten Urteil, dass die Familie des Klägers in der Türkei als politisch aktive Familie registriert sei und daraus eine erhöhte Wachsamkeit der türkischen Behörden gegenüber der Familie des Klägers und damit auch gegenüber dem Kläger resultiere. In der mündlichen Verhandlung am 7. Juni 2001 erklärte der Kläger zunächst, seine bisherigen Angaben gegenüber dem Bundesamt und über seinen Bevollmächtigten in dem Klageverfahren seien vollständig und zutreffend und er bleibe dabei; danach wurde er durch den Einzelrichter gezielt befragt und gab jeweils hierzu Erklärungen ab. In diesem Zusammenhang erwähnte er, dass ein Bruder öfters mal bei ihm anrufe und - auf Nachfrage - das sei natürlich nicht der Bruder, nach dem gefahndet werde, sondern der andere in der Türkei verbliebene Bruder. In dem Tatbestand des angegriffenen Urteils ist unter anderem der ergänzende Vortrag des Klägers wiedergegeben, er sei auch wegen seines auffälligen familiären Umfeldes im Falle seiner Rückkehr gefährdet, ein Bruder sei in Deutschland als Asylberechtigter anerkannt und ein weiterer Bruder in der Türkei wegen Unterstützung der PKK verurteilt und zur Fahndung ausgeschrieben, obwohl er eigens seinen Namen geändert habe. In den Entscheidungsgründen sind diese Angaben über eine mögliche Gefährdung wegen des Verhaltens und der politischen Betätigung von Verwandten des Klägers in der Türkei mit keinem Wort erwähnt.
Aus alledem wird, wie der Kläger zu Recht geltend macht, deutlich, dass das Verwaltungsgericht das Vorbringen des Klägers über eine sippenhaftähnliche Gefährdung bei einer Rückkehr in die Türkei im Hinblick auf mehrere Verwandte letztlich nicht zur Kenntnis genommen und nicht bei seiner Entscheidung berücksichtigt hat. Da mit dem wiedergegebenen Vortrag des Klägers schlüssig asylrelevante Tatsachen substantiiert dargelegt sind und dieses Vorbringen auch nicht aus Rechtsgründen als unerheblich angesehen und aus diesem Grund unberücksichtigt gelassen werden konnte, hat das Verwaltungsgericht damit den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt (zu jeweils unterschiedlichen Fällen in den Jahren 2000 und 2001 in der Praxis des 12. Senats vgl. z. B. Hess. VGH, 27.07.2001 - 12 UZ 2472/99.A -, 04.05.2001 - 12 UZ 1797/99.A -, 17.04.2001 - 12 UZ 478/99.A -, 29.03.2001 - 12 UZ 1752/98.A -, 23.03.2001 - 12 UZ 958/99.A -, 02.02.2001 - 12 UZ 1700/99.A -, 20.11.2000 - 12 UZ 2818/00.A -, 31.08.2000 - 12 UZ 3873/98.A -, 21.08.2000 - 12 UZ 3815/98.A -, 02.08.2000 - 12 UZ 2792/98.A -, 27.07.2000 - 12 UZ 2691/98.A - und 20.07.2000 - 12 UZ 2061/98.A -.).
Das Verfahren wird gemäß § 78 Abs. 5 Satz 3 AsylVfG hinsichtlich des asylrechtlichen Verfahrensteils und der Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG als Berufungsverfahren fortgesetzt, ohne dass es der Einlegung einer Berufung bedarf. Innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses ist die Berufung bei dem Hess. Verwaltungsgerichtshof zu begründen; die Begründung muss einen bestimmten Antrag und die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung enthalten (§ 124a Abs. 3 Sätze 1, 2 und 4 VwGO). Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden (§ 124a Abs. 2 Satz 3 VwGO).
Die Entscheidung über die Kosten des Antragsverfahrens folgt der künftigen Kostenentscheidung im Berufungsverfahren hinsichtlich der Abschiebungsandrohung beruht sie auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG; § 152 Abs. 1 VwGO).
Ende der Entscheidung
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