Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 18.04.2001
Aktenzeichen: 2 Q 1064/01
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 123
Zum einstweiligen Rechtsschutz gegen die Ausweisung von Flugrouten durch Rechtsverordnung.
Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss

2 Q 1064/01

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Untersagung der Einrichtung von Flugrouten

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 2. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Habbe, Richter am Hess. VGH Hassenpflug, Richter am Hess. VGH Dr. Zysk, Richter am Hess. VGH Pabst, Richter am Hess. VGH Heuser

am 18. April 2001 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerinnen haben die Kosten des Verfahrens zu je einem Sechstel zu tragen.

Der Streitwert wird auf 300.000,-- DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerinnen, sechs Städte und Gemeinden im Main-Taunus- und Hochtaunuskreis, wenden sich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gegen die Festsetzung neuer Flugrouten von und zum Flughafen Frankfurt am Main.

Durch 13. Änderungsverordnung zur 177. Durchführungsverordnung zur Luftverkehrs-Ordnung, die am 4. April 2001 im Bundesanzeiger (S. 6077) veröffentlicht worden ist, hat das Luftfahrtbundesamt neue An- und Abflugrouten zum und vom Flughafen Frankfurt am Main festgesetzt (u.a. für Anflüge aus nordwestlicher Richtung vom Einflugpunkt ETARU <Betriebsrichtung 07> und für Nordabflüge zum Abflugpunkt TABUM <Betriebsrichtung 25>). Die Änderungsverordnung tritt am 19. April 2001 in Kraft.

Die Antragstellerinnen, deren Gebiete durch einen Teil der neuen Flugrouten betroffen sind, haben am 10. April 2001 Klage mit dem Ziel erhoben, die Änderungsverordnung aufzuheben, hilfsweise deren Rechtswidrigkeit festzustellen. Gleichzeitig haben sie um einstweiligen gerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.

Die Entscheidung ergeht nach summarischer Prüfung, wie sie im Eilverfahren ohnehin geboten, hier aber angesichts der kurzen, dem Senat für eine Entscheidung zur Verfügung stehenden Zeitspanne auch nur möglich ist. Dem Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung steht das Verbot der Vorwegnahme der Entscheidung in der Hauptsache entgegen. Entsprechend ihrem Wesen als Instrument des einstweiligen Rechtsschutzes darf eine einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO dem jeweils Begünstigten grundsätzlich keine Rechtsposition einräumen, die er sonst nur in einem Klageverfahren erstreiten kann. Mit der hier beantragten einstweiligen Anordnung wollen die Antragstellerinnen eine Aufhebung der streitigen Änderungsverordnung, hilfsweise die Feststellung deren Rechtswidrigkeit erreichen. Eine diesem Begehren entsprechende gerichtliche Entscheidung würde den Antragstellerinnen vollständig und auf Dauer diejenige Rechtsposition verschaffen, die das Ziel ihrer Klage ist. Darüber hinaus bezieht sich der Antrag auf die gesamte Änderungsverordnung und nicht nur auf die die Antragstellerinnen berührenden Flugrouten, wie sich aus der Formulierung "insbesondere" im Antrag ergibt.

Aber auch wenn man das einstweilige Rechtsschutzbegehren der Antragstellerinnen dahingehend interpretiert, dass das In-Kraft-Treten der streitigen Änderungsverordnung hinausgeschoben oder die Verordnung einstweilen nicht vollzogen oder angewendet werden soll, soweit sie sich auf die die Antragstellerinnen tangierenden Flugrouten bezieht, zielt der Antrag dennoch darauf ab, die Entscheidung in der Hauptsache zumindest vorübergehend - nämlich für die Dauer des Hauptsacheverfahrens - vorwegzunehmen. Eine derartige Vorwegnahme der Hauptsache ist - ausnahmsweise - nur dann zulässig, wenn sie zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes zwingend geboten ist und das Rechtsmittel in der Hauptsache mit hoher Wahrscheinlichkeit Erfolg haben wird (vgl. statt vieler: Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl., Rdnr. 13 zu § 123). Das gilt im vorliegenden Verfahren umso mehr, als sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung unmittelbar gegen eine Rechtsnorm und nicht nur gegen eine Einzelfallregelung richtet (vgl. § 47 Abs. 6 VwGO, der für die vorläufige Suspendierung einer Rechtsnorm einen strengeren Maßstab anlegt als § 123 Abs. 1 VwGO).

Diese strengen Voraussetzungen für den Erlass einer die Entscheidung in der Hauptsache zeitweise vorwegnehmenden einstweiligen Anordnung liegen hier nicht vor. Es ist den Antragstellerinnen vielmehr zuzumuten, ihre Rechtspositionen in dem Hauptsacheverfahren zu verteidigen. Ihnen droht weder eine schwerwiegende Rechtsbeeinträchtigung noch der Eintritt irreparabler Schäden, wenn sie den Flugbetrieb für die Dauer des Hauptsacheverfahrens hinnehmen müsse. Das ergibt sich im Einzelnen aus folgenden Erwägungen:

Den Antragstellerinnen, denen selbst hoheitliche Befugnisse zustehen, ist es von vornherein verwehrt, sich auf Grundrechte als Abwehrrechte gegenüber staatlichem Handeln zu berufen (BVerfG, Beschluss vom 8. Juli 1982, BVerfGE 61, 82 <100 ff.>; BVerwG, Beschluss vom 15. April 1999, NVwZ-RR 99, 554). Deshalb ist ihr Einwand, die Einrichtung der Flugrouten verletze ihre Grundrechte aus Art. 14 Abs. 1 GG (Eigentum), nicht begründet. Soweit Einwohnerinnen und Einwohner der Antragstellerinnen durch den zu erwartenden Fluglärm betroffen sein sollten, müssen sie potentielle Immissionsabwehransprüche selbst erheben. Die Kommunen sind nicht befugt, derartige Abwehransprüche für ihre Bürger - nach Art einer Prozessstandschaft - geltend zu machen oder mit anderen Worten "sich zum Sachwalter privater Interessen aufzuschwingen" (BVerwG, Beschluss vom 15. April 1999, a.a.O., S. 554). Denn die Klage- und Antragsbefugnis setzt entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO eine mögliche Verletzung eigener Rechte des Klägers oder Antragstellers voraus. Aus diesem Grund können sich die Antragstellerinnen auch nicht mit Erfolg auf Belange des Natur- und Landschaftsschutzes berufen. Der Schutz von Natur und Landschaft ist keine kommunale, sondern eine staatliche Angelegenheit (vgl. auch hierzu BVerwG, Beschluss vom 15. April 1999, a.a.O., S. 555).

Als abwehrfähige Rechtsposition der Antragstellerinnen kommt allerdings die durch Art. 28 Abs. 2 GG geschützte Planungshoheit in Betracht. Insoweit haben die Antragstellerinnen zwar pauschal behauptet, aber nicht im Einzelnen dargelegt, dass bestimmte Planungen, die sich in einem Stadium hinreichender Verfestigung befinden, durch die Ausweisung der Flugrouten nachhaltig gestört oder gar vereitelt werden. Auch wenn man angesichts der Größe des Gebiets, das durch die Flugrouten tangiert wird, entsprechende Beeinträchtigungen der Planungsmöglichkeiten unterstellen kann, folgt daraus noch nicht die Rechtswidrigkeit der streitigen Rechtsverordnung. Vielmehr können kommunale Planungsinteressen im Rahmen der planerischen Abwägung überwunden werden, zumal vergleichbare kommunale Interessen in der Regel auch alternativen Routenführungen entgegengehalten werden können. Jedenfalls stellt die Beeinträchtigung einer Kommune dadurch, dass sie bestimmte planerische Vorstellungen nicht in der ursprünglich beabsichtigten Weise realisieren kann - ebenso wie mittelbare wirtschaftliche Nachteile infolge des Flugbetriebs - keinen so schwerwiegenden Eingriff dar, dass die einstweilige Suspendierung einer Rechtsnorm gerechtfertigt wäre. Durch die Aufnahme des Flugbetriebs für die Dauer des Hauptsacheverfahrens wird die Verwirklichung einer bestimmten Planung möglicherweise erschwert oder verzögert, aber nicht endgültig vereitelt.

Ähnliche Erwägungen gelten für die Lärmbeeinträchtigung kommunaler Einrichtungen, wie z.B. von Schulen und Kindergärten. Zum einen liegen keine hinreichend sicheren Erkenntnisse vor, welcher konkreten Belastung solche Einrichtungen ausgesetzt sein werden. Denn die Antragstellerinnen haben zwar in einem anderen Zusammenhang Schallpegel genannt, ohne allerdings darzulegen, wie diese ermittelt worden sind und auf welchen Beurteilungszeitraum sie sich beziehen. Zum anderen ist fraglich, welches Gewicht diesem Aspekt bei der generalisierenden und mehr vergleichenden Betrachtungsweise zukommt, die bei der Ausweisung von Flugrouten geboten ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Juni 2000, NJW 2000, 3584 <3586>). Jedenfalls ist derzeit weder dargelegt noch ersichtlich, dass kommunale Einrichtungen für die Dauer des Hauptsacheverfahrens nicht mehr ihren Zweck erfüllen oder nicht mehr ohne Gesundheitsgefährdung besucht werden können. Schließlich ist auch in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass die gestalterische Entscheidung über die Ausweisung von Flugrouten weniger an dem Maß der Zumutbarkeit konkreter Lärmbeeinträchtigungen als an der vergleichenden Betrachtung verschiedener Planungsalternativen auszurichten ist (BVerwG, Urteil vom 28. Juni 2000, a.a.O., S. 3585).

Nach derzeitigem Erkenntnisstand lassen sich auch keine überwiegenden oder gar offensichtlichen Erfolgsaussichten der Klage der Antragstellerinnen erkennen. Ob, wie die Antragstellerinnen meinen, ihre unterlassene oder fehlerhafte Anhörung zu einer Beanstandung der streitigen Rechtsverordnung führt, erscheint äußerst fraglich. Insoweit könnte ein eventueller Verfahrensfehler, wenn er vorgelegen hätte, geheilt worden sein. Die Antragstellerinnen hatten durch die Informationsveranstaltungen der DFS Deutsche Flugsicherung GmbH Anfang März 2001 Kenntnis von der beabsichtigten Einrichtung neuer Flugrouten und somit auch tatsächlich Gelegenheit erhalten, sich vor Erlass der Änderungsverordnung zu diesen Planungsabsichten zu äußern.

Der Senat vermag sich auch nicht ohne weiteres der Argumentation der Antragstellerinnen anzuschließen, die streitige Rechtsverordnung sei deshalb fehlerhaft, weil die Antragsgegnerin gegen die Anpassungspflicht aus § 7 Satz 1 BauGB verstoßen habe. Es ist schon sehr fraglich, ob die Antragsgegnerin als öffentliche Planungsträgerin im Sinne dieser Bestimmung anzusehen ist. § 7 BauGB will Konflikte lösen, die sich aus widerstreitenden raumbeanspruchenden örtlichen und überörtlichen Planungen ergeben. Die Ausweisung einer Flugroute durch Rechtsverordnung erweist sich zwar als planende und deshalb dem Abwägungsgebot unterliegende Maßnahme, tritt aber nicht in eine mit der Fachplanung vergleichbare Konkurrenz der Bodennutzung ein. Darüber hinaus ist im Hauptsacheverfahren zu klären, ob § 7 BauGB überhaupt auf normative Entscheidungen anwendbar ist (zu weiteren Bedenken gegen die Anwendbarkeit des § 7 BauGB vgl. VGH BW, Urteil vom 31. Januar 1997, NVwZ-RR 98, 221 <222 ff.>).

Für die Entscheidung im Hauptsacheverfahren kommt es deshalb maßgeblich darauf an, ob die Ausweisung der streitigen Flugrouten den von der Rechtsprechung (BVerwG, Urteil vom 20. Juni 2000, a.a.O., S. 3586) konkretisierten Anforderungen des Abwägungsgebots genügt. Diese Fragen lassen sich nicht allein anhand der Darlegungen der Antragstellerinnen beurteilen; vielmehr ist zunächst der Antragsgegnerin und der notwendig beizuladenden Betreiberin des Flughafens Frankfurt am Main Gelegenheit zu geben, zu den Einwendungen der Antragstellerinnen Stellung zu nehmen. Erst dann besteht Anlass für eine richterliche Aufklärung des Sachverhalts.

Die Antragstellerinnen haben als unterlegene Beteiligte die Kosten des Verfahrens zu tragen (§§ 154 Abs. 1 und 159 Satz 1 VwGO i.V.m. 100 Abs. 1 ZPO).

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 13 Abs. 1 Satz 1 und 20 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 5 Abs. 2 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

Zurück