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Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 16.12.2005
Aktenzeichen: 2 TG 2511/05
Rechtsgebiete: FeV, Richtlinie 91/439
Vorschriften:
FeV § 28 Abs. 1 | |
FeV § 28 Abs. 4 Nr. 3 | |
FeV § 28 Abs. 4 Nr. 4 | |
FeV § 28 Abs. 5 | |
Richtlinie 91/439 des Rates vom 29.07.1991 über den Führerschein Art. 1 Abs. 2 | |
Richtlinie 91/439 des Rates vom 29.07.1991 über den Führerschein Art. 8 Abs. 2 | |
Richtlinie 91/439 des Rates vom 29.07.1991 über den Führerschein Art. 8 Abs. 4 |
2) Die bisherige Rechtsprechung des EuGH kann angesichts des Verkehrsgefährdungspotenzials von Personen, bei denen eine schwerwiegende Alkoholproblematik bestand und möglicherweise weiterhin besteht, nur solche Sachverhalte betreffen, die in ihrem tatsächlichen Verlauf im Zeitpunkt der Erteilung einer Fahrerlaubnis im EU-Ausland bereits abgeschlossen waren, also nicht als Fahreignungsmangel über diesen Zeitpunkt hinaus bis in die Gegenwart fortwirken (Anschluss an Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 11. Oktober 2005 - 12 ME 288/05 -).
HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF BESCHLUSS
In dem Verwaltungsstreitverfahren
wegen Fahrerlaubnisrechts (Aberkennung des Rechts, von einer tschechischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen);
hier: Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs
hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 2. Senat - durch
Richter am Hess. VGH Hassenpflug als Vorsitzenden, Richter am Hess. VGH Dr. Bark, Richter am Hess. VGH Pabst
am 16. Dezember 2005 beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 1. September 2005 - 6 G 2273/05 (2) - mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung abgeändert.
Der Antrag wird abgelehnt, soweit nicht durch Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 5. August 2005 - 6 G 2474/05 (1) - bereits eine einstweilige Anordnung hinsichtlich der mit Bescheid vom 11. Juli 2005 geforderten Ablieferung bzw. Übersendung des tschechischen Führerscheins des Antragstellers an die Fahrerlaubnisbehörde erlassen worden ist.
Der Antragsteller hat die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 € festgesetzt.
Gründe:
Die fristgerecht eingelegte und begründete Beschwerde des Antragsgegners ist auch im Übrigen zulässig (§§ 146 Abs. 1 und 4, 147 Abs. 1 VwGO); sie führt nach näherer Maßgabe der Entscheidungsformel zur Abänderung des erstinstanzlichen Beschlusses und zur Ablehnung des am 18. Juli 2005 gestellten Antrags, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 11. Juli 2005 wiederherzustellen, durch den dem Antragsteller das Recht aberkannt wurde, von seiner tschechischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen.
Das Verwaltungsgericht hat diesem Antrag im Wesentlichen mit der Begründung entsprochen, die von dem Antragsteller am 28. Februar 2005 erlangte tschechische Fahrerlaubnis müsse nach Ablauf der für die Wiedererteilung festgesetzten Sperrfrist von den deutschen Behörden ohne inhaltliche Überprüfung anerkannt werden. Zwar bestimme § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV, dass die Berechtigung nach Abs. 1 Satz 1 Inhaber einer gültigen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz im Sinne des § 7 Abs. 1 oder 2 in der Bundesrepublik Deutschland haben, dürfen - vorbehaltlich der Einschränkungen nach den Absätzen 2 bis 4 - im Umfang ihrer Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland führen u.a. nicht für Personen gelte, denen - wie unstreitig dem Antragsteller durch Strafbefehl vom 28. Oktober 2002 wegen einer fahrlässigen Trunkenheitsfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 3,26 Promille - die Fahrerlaubnis im Inland rechtskräftig von einem Gericht entzogen worden sei. Der auf die (Neuerteilungs-)Vorschriften des § 20 Abs. 1 und 3 FeV verweisende Abs. 5 dieser Bestimmung wonach das Recht, von einer EU-Fahrerlaubnis nach einer der in Abs. 4 Nr. 3 genannten Entscheidungen im Inland Gebrauch zu machen, auf Antrag erteilt wird, wenn die Gründe für die Entziehung oder die Sperre nicht mehr bestehen (sog. Zuerteilungsverfahren), könne aber im Hinblick auf die den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von EU-Führerscheinen hervorhebende Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 29. April 2004 - C-476/01 -, NJW 2004, 1725 ff.) in Fällen der vorliegenden Art keine Anwendung finden, in denen einem Bewerber die EU-Fahrerlaubnis im Ausland erst nach Ablauf der im Inland festgesetzten Sperrfrist erteilt worden sei. Demzufolge habe der Antragsgegner von dem Antragsteller nach Erlangung der tschechischen Fahrerlaubnis nicht mehr die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens verlangen und in Anwendung des § 11 Abs. 8 FeV auf seine Nichteignung schließen dürfen.
Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass deshalb die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den für sofort vollziehbar erklärten Bescheid vom 11. Juli 2005 gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO wiederherzustellen sei, vermag das Beschwerdegericht auch unter Berücksichtigung seiner auf den Inhalt des Schriftsatzes vom 12. Oktober 2005 beschränkten Prüfungsbefugnis (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) nach Maßgabe folgender Erwägungen nicht zu teilen:
Soweit der Antragsgegner zunächst darlegt, das Verwaltungsgericht habe den Antrag bereits wegen Wegfalls des Rechtsschutzinteresses des Antragstellers als unzulässig ablehnen müssen, kann dem allerdings nicht gefolgt werden. Zwar hat der Antragsteller in seiner Führerscheinangelegenheit bereits eine durch verwaltungsgerichtlichen Beschluss vom 5. August 2005 erlassene einstweilige Anordnung erwirkt; diese betrifft aber nur - statt der vom Antragsgegner geforderten "Ablieferung" bzw. "Übersendung" - die "Herausgabe" des tschechischen Führerscheins an den Antragsteller, nachdem in diesem ein Sperrvermerk des Inhalts angebracht ist, das von ihm innerhalb Deutschlands kein Gebrauch gemacht werden darf (vgl. hierzu Beschluss des VGH München vom 6. Oktober 2005 - 11 CS 05.1505 -, JURIS). Gegenstand des vorliegenden Rechtsschutzverfahrens ist aber bei sachgerechter Auslegung des von dem Antragsteller weiterhin verfolgten Begehrens (§ 86 Abs. 3 VwGO) gerade die Frage, ob der Antragsteller als Inhaber einer EU-Fahrerlaubnis im Inland Kraftfahrzeuge führen darf, obwohl ihm die Wiedererteilung der deutschen Fahrerlaubnis nach Ablauf der Sperrfrist durch Bescheide vom 15. März und 10. November 2004 - jeweils bestandskräftig - versagt wurde, weil er das von der Fahrerlaubnisbehörde geforderte positive medizinisch-psychologische Eignungsgutachten nicht beigebracht hatte.
Das deshalb fortbestehende Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers entfällt auch nicht im Hinblick darauf, dass der vorbezeichnete Sperrvermerk tatsächlich bereits auf dem tschechischen Führerschein des Antragstellers angebracht ist, wie der Antragsgegner unwidersprochen vorträgt. Insoweit handelt es sich um eine Frage der unter Umständen gebotenen Aufhebung bzw. Rückgängigmachung der Vollziehung (§ 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO), die sich hier jedoch nicht stellt, weil der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des gegen den Bescheid vom 11. Juli 2005 erhobenen Widerspruchs jedenfalls unbegründet ist. Deswegen kann auch offen bleiben, ob es an der Zulässigkeit dieses Antrags mangels Rechtsschutzbedürfnisses fehlt, weil dem Antragsteller bei ausschließlicher Anwendung des innerstaatlichen Rechts, nämlich des § 28 Abs. 5 i.V.m. Abs. 4 Nr. 3 FeV, trotz der zwischenzeitlichen Erlangung einer tschechischen Fahrerlaubnis keine Berechtigung zum Führen von Kraftfahrzeugen im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zustünde, so dass der angefochtene Bescheid möglicherweise ins Leere ginge und eine Aussetzung seiner Vollziehung die Rechtsstellung des Antragstellers nicht verbessern könnte (vgl. Beschlüsse des OVG Nordrhein-Westfalen vom 4. November 2005 - 16 B 736/05 - sowie des VGH Baden-Württemberg vom 19. September 2005 - 10 S 1194/05 -, JURIS). Dass er inzwischen in einem Zuerteilungsverfahren nach § 28 Abs. 5 FeV das Recht erworben habe, von seiner tschechischen Fahrerlaubnis (auch) im Inland Gebrauch zu machen, weil die Gründe für die Entziehung oder die Sperre nicht mehr bestehen, behauptet der Antragsteller selbst nicht.
Soweit der Antragsgegner in seiner Beschwerdebegründung weiterhin die Auffassung vertritt, das Verwaltungsgericht habe dem Urteil des EuGH vom 29. April 2004 eine zu weit reichende Bedeutung hinsichtlich der durch das Gemeinschaftsrecht gebotenen gegenseitigen Anerkennung von EU- oder EWR-Führerscheinen im Inland beigemessen, ist ihm jedenfalls im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes beizupflichten. Insbesondere vermag sich der beschließende Senat für dieses Verfahren nicht der vom OVG Rheinland-Pfalz (Beschluss vom 15. August 2005 - 7 B 11021/05.OVG -, NJW 2005, 3228 ff. = DAR 2005, 650 ff. = NZV 2005, 605 ff.) vertretenen, von dem Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss geteilten Ansicht anzuschließen, eine Anwendung des § 28 Abs. 5 FeV scheide in den Fällen des Abs. 4 Nr. 3 und 4 wegen des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts aus, wenn die EU-Fahrerlaubnis - wie hier - erst nach Ablauf einer im Inland festgesetzten Sperrfrist erteilt wurde.
Zwar hat der EuGH den zweiten Teil der ihm von dem Amtsgericht Frankenthal zur Vorabentscheidung vorgelegten Frage in seinem Urteil vom 29. April 2004 (Nr. 78) dahin beantwortet, dass Art. 1 Abs. 2 i.V.m. Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439 des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein (Amtsblatt EG Nr. L 237, Seite 1) in der Fassung der Richtlinie vom 2. Juni 1997 (Amtsblatt EG Nr. L 150, Seite 41) so auszulegen ist, dass ein Mitgliedstaat die Anerkennung der Gültigkeit eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins nicht deshalb ablehnen darf, weil im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats auf den Inhaber des Führerscheins eine Maßnahme des Entzugs oder der Aufhebung einer von diesem Staat erteilten Fahrerlaubnis angewendet wurde, wenn die zusammen mit dieser Maßnahme angeordnete Sperrfrist für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis in diesem Mitgliedstaat abgelaufen war, bevor der Führerschein von dem anderen Mitgliedstaat ausgestellt worden ist.
Es erscheint aber in hohem Maße zweifelhaft, ob diese Auslegung der genannten Führerschein-Richtlinie entsprechend der Auffassung des Verwaltungsgerichts auch in Fällen der vorliegenden Art dem Anerkennungsstaat gebietet, (ohne eigene Überprüfungsbefugnis) "das Ergebnis einer Eignungsprüfung beim Verfahren der Erteilung der Fahrerlaubnis im Ausstellungsstaat hinzunehmen" und erst ein erneutes Auffälligwerden nach Erteilung der EU-Fahrerlaubnis zum Anlass dafür zu nehmen, die nach innerstaatlichem Recht vorgesehenen Maßnahmen auf der Grundlage des Art. 8 Abs. 2 der Führerschein-Richtlinie
Vorbehaltlich der Einhaltung des straf- und polizeirechtlichen Territorialitätsprinzips kann der Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes auf den Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins seine innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis anwenden und zu diesem Zweck den betreffenden Führerschein erforderlichenfalls umtauschen.
zu ergreifen. Abgesehen davon, dass dem Vorlagefall des Amtsgerichts Frankenthal wohl ein anderer Sachverhalt zu Grunde lag als dem vorliegenden Streitfall (- der Antragsteller hat sich nach Ablauf der Sperrfrist zweimal erfolglos um die Wiedererteilung der ihm wegen einer Trunkenheitsfahrt entzogenen Fahrerlaubnis bemüht -), ist jedenfalls nicht auszuschließen, dass dem EuGH bei seiner Entscheidung vom 29. April 2004 die Besonderheiten des deutschen Rechts in Form der "Dualität des Maßnahmensystems" (vgl. Beschluss des OVG Nordrhein-Westfalen vom 4. November 2005 - 16 B 736/05 -) nicht hinreichend vor Augen gestanden haben. Hierfür spricht insbesondere, dass der EuGH dort zwar entscheidend darauf abgestellt hat, ob zur Zeit der Ausstellung der im EU-Ausland erworbenen Fahrerlaubnis eine zuvor vom Strafgericht verhängte Sperre bereits abgelaufen war, demgegenüber aber auf die Besonderheiten im Falle gefahrenabwehrrechtlich relevanter Fahreignungsmängel bzw. nicht ausgeräumter Zweifel an der Fahreignung, wie sie sich gerade aus einer durch bloßen Zeitablauf nicht zu behebenden schwerwiegenden Alkoholproblematik ergeben können, nicht eingegangen ist. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch, dass es ein Mitgliedstaat nach Art. 8 Abs. 4 Satz 1 der genannten Richtlinie ablehnen kann, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, der von einem anderen Mitgliedsstaat einer Person ausgestellt wurde, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine der in Abs. 2 genannten Maßnahmen angewendet wurde. Zwar ist diese Bestimmung als Abweichung von dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von Führerscheinen (Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie) nach der Entscheidung des EuGH (Nr. 76) eng auszulegen. Mit dem OVG Nordrhein-Westfalen (a.a.O.) hält es der beschließende Senat jedoch für zweifelhaft, dass der EuGH die Berücksichtigung von gravierenden Eignungsmängeln bei der Anerkennung ausländischer Führerscheine nach Ablauf einer Sperrfrist generell ausschließen wollte. Zum einen sind nämlich solche Eignungsmängel vielfach zeitlich nicht determiniert, insbesondere dann nicht, wenn sie auf einer Alkohol- oder Drogenproblematik beruhen. Zum anderen fehlt es bislang an einer gemeinschaftsrechtlichen Harmonisierung der materiellen Voraussetzungen für die Fahrerlaubniserteilung durch die einzelnen Mitgliedstaaten sowie an einem zentralen europäischen Register bzw. einer hinlänglichen Vernetzung bereits bestehender nationaler Register, die es rechtfertigen könnten, auf die Einhaltung spezieller nationaler Schutzmechanismen - wie beispielsweise § 28 Abs. 5 i.V.m. Abs. 4 Nr. 3 und 4 FeV - zu verzichten. Eine Interpretation des Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie, wonach diese Vorschrift nur den Tatbestand einer noch laufenden Sperrfrist erfasste, ansonsten aber leer liefe, kann dem EuGH selbst unter Anerkennung der Notwendigkeit einer engen Auslegung nicht ohne weiteres unterstellt werden; deshalb spricht nach Auffassung auch des beschließenden Senats viel für die - von dem Verwaltungsgericht abgelehnte - Auffassung, dass EU-Fahrerlaubnisse außerhalb der erwähnten Sperrfristfälle nur dann automatisch ("ohne jede Formalität") anzuerkennen sind, wenn das jeweilige nationale Fahrerlaubnisrecht keine weiteren - insbesondere materiellen - Anforderungen an die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis stellt (vgl. Beschluss des OVG Nordrhein-Westfalen vom 4. November 2005, a.a.O., m.w.N.).
Die abschließende Klärung der Frage, inwieweit die Mitgliedstaaten auf Grund von Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie befugt sind, einem im EU-Ausland - unter Umständen ohne jegliche Eignungsüberprüfung - ausgestellten Führerschein die Anerkennung zu versagen, muss auch unter Berücksichtigung des Urteils vom 29. April 2004 dem EuGH selbst überlassen bleiben. Der in Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie niedergelegte Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von EU-Führerscheinen zielt auf die Erleichterung der Freizügigkeit von Personen ab, die sich in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen niederlassen, in dem sie die Fahrerlaubnisprüfung abgelegt haben. Es erscheint nicht zuletzt im Hinblick auf die gebotene Aufrechterhaltung der Verkehrssicherheit zweifelhaft, ob das von dem EuGH betonte Regel-Ausnahme-Verhältnis auf Fälle der vorliegenden Art Anwendung finden kann. Die Rückkehr des Antragstellers aus der Tschechischen Republik in die Bundesrepublik Deutschland nach der Ausstellung eines tschechischen Führerscheins stellt sich nach derzeitigem Erkenntnisstand nämlich nicht als Ausübung der Grundfreiheit der Freizügigkeit der Arbeitnehmer, der Niederlassungsfreiheit oder der Dienstleistungsfreiheit dar. Vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller in Tschechien, ohne dort einen Wohnsitz zu begründen und ohne sich einer Eignungsprüfung unterziehen zu müssen, antragsgemäß einen EU-Führerschein erlangt hat, um ihn in Deutschland, wo ihm die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis bestandskräftig versagt ist, zu nutzen.
Zur Klärung der durch die Vorgehensweise des Antragstellers aufgeworfenen Fragen bedarf es der erneuten Vorabentscheidung des EuGH in einem Vorlageverfahren nach Art. 234 EG-Vertrag. Dies setzt eine vollständige Darlegung der innerstaatlichen Rechtslage sowie die Aufarbeitung und Darstellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts, insbesondere die Beschreibung der Schritte des Antragstellers zur Überwindung der bei ihm nach seinen eigenen Angaben ursprünglich bestehenden schwerwiegenden Alkoholproblematik und schließlich wohl auch eine Klärung voraus, welche Angaben der Antragsteller gegenüber der seinen tschechischen Führerschein ausstellenden Behörde gemacht hat. Die Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts kann nicht im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens erfolgen, sondern muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben; auch insoweit teilt der beschließende Senat die Auffassung des VGH Baden-Württemberg in dessen bereits zitiertem Beschluss vom 19. September 2005.
Von der auch im Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO eröffneten Möglichkeit zur Vorlage an den EuGH macht der Senat hier keinen Gebrauch. Abgesehen davon, dass die vorstehend angesprochenen Fragen bereits Gegenstand eines Vorlagebeschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 4. Mai 2005 (- M 6aK 04.1 -, NJW 2005, 2800 = NZV 2005, 552 [nur Leitsätze]) sind, könnte nämlich auch dann, wenn die Anwendbarkeit der nationalen Eignungsüberprüfungs- und Fahrerlaubnisentziehungsvorschriften im Hinblick auf den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine in der Auslegung durch den EuGH auf solche Umstände beschränkt sein sollte, die nach Erteilung einer EU-Fahrerlaubnis aufgetreten sind, eine solche Auslegung des Gemeinschaftsrechts in dem vorliegenden Eilverfahren nicht zu einem für den Antragsteller günstigeren Ergebnis führen. Denn auch unter dieser Prämisse könnten nur solche Sachverhalte als Grundlage für Überprüfungsmaßnahmen und gegebenenfalls Fahrerlaubnisentziehungen ausgeschlossen sein, die zum Zeitpunkt der Erteilung der EU-Fahrerlaubnis in ihrem tatsächlichen Verlauf bereits abgeschlossen waren. Insoweit schließt sich der beschließende Senat der Auffassung des Niedersächsischen OVG (Beschluss vom 11. Oktober 2005 - 12 ME 288/05 -, JURIS) an, dass etwas anderes bei Vorliegen solcher Eignungsmängel zu gelten hat, die - wie insbesondere eine noch nicht dauerhaft bewältigte Alkohol- oder Drogenproblematik - typischerweise geeignet sind, über den Ablauf einer gegebenenfalls festgesetzten Sperrfrist hinaus bis in die Gegenwart fortzuwirken, die sich also mit ihrem Verkehrsgefährdungspotenzial ständig - auch noch nach Ausstellung eines EU-Führerscheins in einem anderen Mitgliedstaat - neu aktualisieren können. Die bei dem Antragsteller jedenfalls früher - unstreitig bis zu der Trunkenheitsfahrt am 21. Juni 2002 - bestehende, durch die erreichte Blutalkoholkonzentration von mindestens 3,26 Promille als besonders schwerwiegend gekennzeichnete Alkoholproblematik hat sich nach den hier zugrunde zu legenden allgemein anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht allein durch Zeitablauf erledigt.
Die Gründe, die den Antragsgegner veranlasst haben, von dem Antragsteller die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gemäß § 13 Nr. 2 lit. d i.V.m. lit. c FeV zu verlangen, bestehen auch nach Ablauf der durch Strafbefehl vom 28. Oktober 2002 festgesetzten Sperrfrist sowie nach Erteilung einer tschechischen Fahrerlaubnis fort. Ein am 10. März 2004 erstelltes medizinisch-psychologisches Eignungsgutachten geht auf der Grundlage einer festgestellten neuerlichen Leberwerterhöhung davon aus, dass sich der Antragsteller in seiner als "lebenslang notwendig" bezeichneten Alkoholabstinenz noch nicht ausreichend stabilisieren konnte. Ein weiteres Gutachten, mit dessen Erstellung sich der Antragsteller am 30. Juni 2004 ausdrücklich einverstanden erklärt hatte, legte er der Fahrerlaubnisbehörde nicht vor. Deren Bescheid vom 10. November 2004, mit dem die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis aus diesem Grund abgelehnt wurde, hat er bestandskräftig werden lassen. Am 16. März 2005 wurde der Antragsteller in seinem Wohnort als Führer eines Kraftfahrzeugs angetroffen und des Fahrens ohne Fahrerlaubnis verdächtigt; daraufhin legte er seinen am 28. Februar 2005 ausgestellten tschechischen Führerschein vor. Der Antragsteller hat im vorliegenden Verfahren selbst nichts vorgetragen, was eine tragfähige Grundlage für die Annahme bilden könnte, dass die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer weggefallen sein könnte, die aus seiner mit überwiegender Wahrscheinlichkeit weiterhin bestehenden Alkoholproblematik resultiert.
Können demnach die Erfolgsaussichten seines Widerspruchs insgesamt als allenfalls offen angesehen werden, führt die in diesem Fall vorzunehmende Interessenabwägung zur Ablehnung des Rechtsschutzantrags. Die von dem Antragsgegner angeführten öffentlichen Belange, die dem überragenden Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit im motorisierten Straßenverkehr Rechnung tragen und somit dem Schutz besonders wichtiger Rechtsgüter dienen, überwiegen - eindeutig - das persönliche Interesse des Antragstellers daran, vorläufig weiterhin als Inhaber einer tschechischen Fahrerlaubnis Kraftfahrzeuge in der Bundesrepublik Deutschland führen zu dürfen (im Ergebnis ebenso das OVG Nordrhein-Westfalen, das Niedersächsische OVG und der VGH Baden-Württemberg in den vorstehend zitierten Beschlüssen); dieses Interesse steht mit der gemeinschaftsrechtlich gebotenen Gewährleistung von Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union in keinem relevanten Zusammenhang. Vielmehr geht es auch dem Antragsteller - ebenso wie zahlreichen weiteren in Deutschland lebenden Personen, die sich in jüngster Vergangenheit einen tschechischen Führerschein haben ausstellen lassen - ersichtlich darum, unter gegenüber dem deutschen Fahrerlaubnisrecht erheblich erleichterten Voraussetzungen eine Fahrerlaubnis im EU-Ausland zu erlangen, die ihm im Inland wegen noch nicht hinreichend ausgeräumter Eignungsbedenken versagt geblieben ist. Dieses persönliche Interesse hat hinter das Interesse der Allgemeinheit am sofortigen Ausschluss ungeeigneter Personen von der Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr zurückzutreten, wie sich aus der Gesamtheit vorstehender Erwägungen ergibt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; danach hat der Antragsteller die Kosten des Verfahrens zu tragen, da er unterlegen ist.
Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf den §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47, 53 Abs. 3 Nr. 2 und 52 Abs. 2 GKG i.V.m. den Nrn. 1.5 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom 7./8. Juli 2004 (NVwZ 2004, 1327).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
Ende der Entscheidung
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