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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 06.06.2002
Aktenzeichen: 3 TG 1056/02
Rechtsgebiete: HBO, HSOG, VwGO


Vorschriften:

HBO § 62
HBO § 63 Abs. 1 Nr. 10 b
HBO § 70 Abs. 5
HBO § 78 Abs. 1
HSOG § 5 Abs. 2
VwGO § 80 Abs. 2 Nr. 4
Auch unter der Geltung des § 78 Abs. 1 HBO 1993 rechtfertigt allein die formelle Illegalität einer Werbeanlage eine sofort vollziehbare Beseitigungsverfügung, wenn die Beseitigung einem Nutzungsverbot gleichsteht, weil sie ohne Substanzverlust und andere hohe Kosten zu bewerkstelligen ist (st. Rspr.)
Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss

3. Senat

3 TG 1056/02

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Baurechts

hier: Beseitigungsanordnung für Mega-Poster

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 3. Senat - durch Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Blume, Richter am Hess. VGH Eisenberg, Richterin am Hess. VGH Schott

am 6. Juni 2002 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 22. März 2002 - 8 G 536/02 (1) - wird abgelehnt.

Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 86.150,00 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin betreibt an der Fassade des Gebäudes T. /Ecke Sch. in Frankfurt am Main, an der nordöstlichen Gebäudeseite sowie der westlichen Gebäudeseite zur T.__________ hin, jeweils ein Mega-Spanntransparent. Eine Baugenehmigung wurde unter dem 09.10.1997 befristet erteilt und die Genehmigung auf Antrag mehrfach befristet verlängert.

Mit Bescheid vom 05.02.2002 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag der Antragstellerin auf Genehmigung der Anbringung zweier Mega-Poster ab. Der Widerspruch der Antragstellerin ist noch nicht beschieden.

Gegenstand des Verfahrens ist die Verfügung der Antragsgegnerin vom 05.02.2002, mit der der Antragstellerin unter Anordnung des Sofortvollzuges aufgegeben wurde, die beiden ungenehmigten Mega-Poster wegen eines Verstoßes gegen formelles Baurecht zu beseitigen bzw. beseitigen zu lassen.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Beseitigungsanordnung mit Beschluss vom 22.03.2002 abgelehnt.

Die Antragstellerin hat gegen den Beschluss rechtzeitig Beschwerde eingelegt, der die Antragsgegnerin entgegengetreten ist.

II.

Die zulässige Beschwerde kann aus keinem der in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe Erfolg haben.

Die Antragstellerin trägt mit näherer Begründung vor, weder für den Ausspruch einer Nutzungsuntersagung noch für eine Beseitigungsverfügung sei die formelle Rechtswidrigkeit einer Anlage ausreichend. Bereits der Wortlaut des § 78 Abs. 1 HBO 1993 - HBO - stütze eine solche Auslegung nicht. Die verfassungsmäßig durch Art. 14 Abs. 1 GG garantierte Baufreiheit verbiete eine dem Wortlaut des § 78 Abs. 1 HBO entgegenstehende Auslegung. Auch bei Werbeanlagen sei die formelle Illegalität nicht deshalb ausreichend, weil die Beseitigungsanordnung einer Nutzungsuntersagung gleich käme. Vielmehr liege eine nicht unwesentliche Beeinträchtigung der Vermögensinteressen der Beschwerdeführerin vor. Einerseits sei das verwendete Material erheblichen Abnutzungen durch An- und Abbau unterworfen. Andererseits leide die Montagefläche erheblich unter mehrfachen Anbringungen. Durch die Prüfung der materiell-rechtlichen Zulässigkeit der Werbeanlage werde das Verwaltungsgericht auch nicht entgegen der Gewaltenteilung in die Rolle der Bauaufsicht gedrängt.

Jedenfalls müsse die materielle zur formellen Illegalität hinzutreten, wenn die Nutzung erst nach ihrer Aufnahme unzulässig geworden sei. Im Übrigen macht die Beschwerdeführerin Ausführungen zur materiellen Legalität der Werbeanlagen.

Die von der Antragsgegnerin auf die formelle Illegalität der streitgegenständlichen Werbeanlagen gestützte Verfügung vom 05.02.2002 ist rechtmäßig. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug und weist ergänzend auf Folgendes hin: Nach der von den Bausenaten des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs für formell illegale bauliche Anlagen entwickelten Rechtsprechung ist die sofortige Vollziehung einer formell begründeten Beseitigungsanordnung eilbedürftig und deshalb zulässig, wenn die Beseitigung einem Nutzungsverbot gleichgestellt werden kann, weil sie ohne Substanzverlust und andere hohe Kosten zu bewerkstelligen ist. Das gilt zur Sicherung des Systems der präventiven Bau- und Nutzungskontrolle insbesondere für genehmigungsbedürftige Werbeanlagen (Hess. VGH, B. v. 29.06.1995 - 4 TG 703/95 - m.w.N.). Aus der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Baufreiheit ergibt sich, dass die Genehmigungspflicht, also das Verbot des Bauens ohne Genehmigung nur im Interesse der Überprüfung von Bauvorhaben aufgestellt wird und den Charakter eines sogenannten präventiven Verbots mit Erlaubnisvorbehalt hat (so Finkelnburg/Ortloff, Öffentliches Baurecht, Bd. 2, 4. Aufl. 1998, § 13 III, S. 169, beschränkt auf den Eingriff der Baueinstellung bei rechtswidrigen Bauarbeiten, § 12 II, S. 159). Auch unter Geltung des § 78 Abs. 1 HBO rechtfertigt allein die formelle Illegalität einer baulichen Anlage ein Nutzungsverbot. So hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof in jüngster Zeit Nutzungsuntersagungen für Mobilfunkanlagen (Funksendeanlagen) aus formellen Gründen als offensichtlich rechtmäßig angesehen (B. v. 02.04.2002 - 4 TG 575/02 -; B. v. 08.02.2002 - 9 TZ 515/02 -; vgl. auch B. v. 26.07.1994 - 4 TH 1779/93 -). Das gleiche galt bereits unter der Geltung der HBO 1977 (§ 83 i. V. m. § 96 Abs. 7 HBO 1977; Hess. VGH, B. v. 13.09.1982 - IV TH 60/82 - HessVGRspr. 1983 S. 10) und gilt heute auf der Grundlage des § 78 Abs. 1 HBO auch für die Anordnung der Beseitigung eines Werbetransparentes nach Ablauf der befristet erteilten Baugenehmigung. In dieser Entscheidung hat das Gericht auch darauf hingewiesen, dass sich der Bauherr bei einer befristet erteilten Baugenehmigung damit zufrieden gegeben hat und deshalb von Anfang an mit einer Beseitigung der Werbeanlage nach Ablauf der Frist rechnen musste. Eine in etwa vergleichbare Rechtsprechung auf der Grundlage des jeweiligen Landesrechts hat sich auch in anderen Bundesländern entwickelt (vgl. Schmaltz in Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, Niedersächsische Bauordnung, Kommentar, 6. Aufl. 1996, § 75 Rdnr. 69; Sächs. OVG, B. v. 02.06.1998 - 1 S 275/98 - BRS 60 Nr. 134; Thüringer OVG, B. v. 20.12.1994 - 1 EO 112/94 - BRS 57 Nr. 247; OVG Nordrhein-Westfalen, B. v. 17.05.2000 - 7 B 723/00 - BRS 63 Nr. 214). Das Vorbringen des Beschwerdeführers gibt dem Senat nach alledem keine Veranlassung, die von den Bausenaten des Hess. VGH übereinstimmend vertretene Auffassung zu ändern, wonach ein Verstoß gegen formelles Baurecht regelmäßig die Anordnung der Beseitigung einer Werbeanlage rechtfertigt. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist es auch nicht Aufgabe des Gerichts, bei einer auf die formelle Illegalität der baulichen Werbeanlage gestützten Beseitigungsverfügung die Genehmigungsfähigkeit der Anlage zu überprüfen. § 70 Abs. 5 HBO, wonach vor Zugang der Baugenehmigung nicht mit der Ausführung begonnen werden darf, enthält zugleich bei der hier gegebenen Fallgestaltung ein Verbot der Nutzung ohne Baugenehmigung bzw. das besondere Vollzugsinteresse an der Beseitigung einer Anlage unter den oben näher dargelegten Voraussetzungen zur Sicherung des Systems der präventiven Bau- und Nutzungskontrolle. Vom Gericht ist - wie geschehen - in diesem Zusammenhang lediglich zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die getroffene Anordnung vorliegen. Es kann dahingestellt bleiben, ob im Hinblick auf eine mögliche Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit etwas anderes gelten sollte, wenn der Bauherr zwischenzeitlich einen Bauantrag gestellt hat, der auch nach Auffassung der Bauaufsichtsbehörde genehmigungsfähig ist. Der Senat braucht die Frage vorliegend schon deshalb nicht zu beantworten, weil die Antragsgegnerin den Bauantrag der Beschwerdeführerin mit Bescheid vom 06.02.2002 abgelehnt hat.

Eine Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass die Antragsgegnerin davon abgesehen hat, ein Nutzungsverbot zu verhängen. Das Verwaltungsgericht hat dargelegt, welcher Aufwand mit einer derartigen Maßnahme im vorliegenden Fall konkret verbunden wäre (S. 3 der Beschlussausfertigung). Der Beschwerdeführer hat auch seinerseits davon abgesehen, von der sogenannten Austausch- bzw. Abänderungsbefugnis des § 5 Abs. 2 HSOG Gebrauch zu machen. (vgl. dazu Hornmann, Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung, Kommentar, § 5 Rdnr. 33; vgl. bereits zur früheren Rechtslage Hess. VGH, U. v. 07.11.1973 - IV OE 6/73 - BRS 27 Nr. 201).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf den §§ 20 Abs. 3, 14 Abs. 1, 13 Abs. 1 GKG.

Hinweis: Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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