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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 30.04.2001
Aktenzeichen: 3 TZ 757/01.A
Rechtsgebiete: GG, VwGO, AuslG


Vorschriften:

GG Art. 6 Abs. 1
GG Art. 6 Abs. 2
VwGO § 123
AuslG § 55
Einzelfall der rechtlichen Zulässigkeit der getrennten Abschiebung von Familienmitgliedern einer syrischen Familie.
Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss

3 TZ 757/01.A

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Asylrechts

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 3. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Blume, Richter am Hess. VGH Eisenberg, Richterin am Hess. VGH Schott

am 30. April 2001 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Antragsteller zu 1. und 2. auf Zulassung der Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Kassel vom 25. Dezember 2000 - 4 G 2072/00 (5) - wird verworfen. Der auf dasselbe Ziel gerichtete Antrag der Antragsteller zu 3. bis 5. wird abgelehnt.

Die Antragsteller haben die Kosten des Zulassungsverfahrens zu je 1/5 zu tragen.

Hinsichtlich der Antragsteller zu 1. und 2. ist das Verfahren gerichtsgebührenfrei. Hinsichtlich der Antragsteller zu 3. bis 5. wird der Streitwert auf 6.000,00 DM festgesetzt.

Gründe:

Der Antrag der Antragsteller zu 1. und 2. auf Zulassung der Beschwerde gegen den im Tenor der Entscheidung bezeichneten Beschluss ist zu verwerfen, denn er ist nach § 80 AsylVfG unzulässig. Bei dem auf vorläufigen Rechtsschutz gerichteten Antrag der Antragsteller zu 1. und 2. gegen die ablehnende Entscheidung über die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung durch den Antragsgegner handelt es sich um eine Rechtsstreitigkeit nach dem Asylverfahrensgesetz, für die gemäß § 80 AsylVfG der Ausschluss der Beschwerde vorgesehen ist. Um eine Rechtsstreitigkeit nach den Vorschriften des Asylverfahrensgesetzes handelt es sich, sofern sich das einstweilige Rechtsschutzbegehren der Sache nach gegen den Vollzug einer Abschiebungsandrohung aus einem Asylverfahren richtet. So liegt es hier. Die Antragsteller führten erfolglos ein Asylverfahren durch, wurden rechtskräftig zur Ausreise aufgefordert und ihnen wurde die Abschiebung angedroht. Die von den Antragstellern durch den Antrag auf Aussetzung der Abschiebung letztlich angestrebte Rechtsfolge berührt unmittelbar die Durchsetzung der durch den rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens begründeten Ausreisepflicht so, dass sie hinsichtlich des Rechtsmittelausschlusses nicht anders behandelt werden kann als Streitigkeiten um den asylverfahrensrechtlichen Grundverwaltungsakt und die darauf beruhenden Vollstreckungsmaßnahmen. An dieser Rechtsprechung hält der Senat trotz der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. September 1997 (DÖV 1998, 389) fest, soweit es sich um Eilverfahren handelt (vgl. Hess. VGH, B. v. 20.01.1998 - 13 TZ 3765/95 -, DÖV 1998, 391).

Im Übrigen ist der Antrag abzulehnen. Der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Beschlusses, § 146 Abs. 4 VwGO i.V.m. § 124 Abs. 2 VwGO, liegt nicht vor. Ernstliche Zweifel sind gegeben, wenn bei summarischer Prüfung der Erfolg des Rechtsmittels wahrscheinlicher ist als dessen Misserfolg. Die Antragsteller konnten jedoch nicht dartun, dass die angefochtene Entscheidung im Ergebnis unrichtig ist. Sie tragen dazu vor, die beabsichtigte Abschiebung der Mutter, der Antragstellerin zu 2., gemeinsam mit zwei älteren Kindern, die nicht Beteiligte dieses Verfahrens sind, berühre entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ihre Rechte aus Art. 6 GG, auch wenn für sie selbst nicht unmittelbar die Abschiebung drohe, da bisher die Eintragung der Antragsteller zu 3. bis 5. in den Pass der Eltern gescheitert sei und ihre Abschiebung deshalb nicht bevorstehe.

Zwar trifft es entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts zu, dass die Rechte der Antragsteller zu 1. sowie 3. bis 5. durch die bevorstehende Abschiebung der Antragstellerin zu 2. berührt sind, denn der Schutz von Art. 6 Abs. 1 GG zu Gunsten der Familiengemeinschaft erfasst alle ihre Mitglieder, auch wenn eine Maßnahme öffentlicher Gewalt nur an ein einzelnes Mitglied adressiert ist (vgl. BVerfG, B. v. 12. Mai 1987, 2 BvR 1226/83 u.a., BVerfGE 76, 1 ff.). Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, dass bei der angedrohten Abschiebung eines Familienmitgliedes sich alle anderen Mitglieder auf ihren Schutz nach Art. 6 Abs. 1 GG berufen können.

Der Senat ist jedoch der Auffassung, dass im vorliegenden Fall durch die Abschiebung der Antragstellerin zu 2. die Schutzpflicht des Staates für Ehe und Familie aus Art. 6 Abs. 1 GG nicht verletzt ist. Eine getrennte Abschiebung der Familienmitglieder in der Form, dass zunächst die Antragstellerin zu 2. gemeinsam mit den beiden älteren Kindern, die nicht Beteiligte dieses Verfahrens sind, abgeschoben werden und die drei jüngeren hier geborenen Kinder, die Antragsteller zu 3. bis 5., gemeinsam mit ihrem Vater zunächst im Bundesgebiet verbleiben, bis die Passformalitäten geregelt sind, ist zulässig.

Art. 6 Abs. 1 GG gebietet nicht in jedem Fall die gemeinsame Abschiebung sämtlicher Familienmitglieder nach erfolglosem Asylverfahren. Zwar handelt es sich bei dem Zusammenleben der antragstellenden Familie um ein Familienleben im Sinne einer Beistandsgemeinschaft. Jedoch hat der Gesetzgeber bereits in § 43 Abs. 3 AsylVfG vorgesehen, dass - unter bestimmten Voraussetzungen - eine getrennte Abschiebung von Familienmitgliedern nach Durchführung eines Asylverfahrens zulässig ist. Dies folgt zunächst daraus, dass der aufenthaltsrechtliche Schutz von rein ausländischen Ehen geringeres Gewicht hat als bei Ehen mit deutschen Familienmitgliedern (BVerwG, U. v. 09.12.1997 - 1 C 19.96 - InfAuslR 1998, 213). Die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, drängt dann öffentliche Belange zurück, wenn ein Familienmitglied auf die Lebenshilfe des anderen Familienmitgliedes angewiesen ist, sich die Hilfe nur im Bundesgebiet erbringen lässt und das Familienmitglied aufenthaltsberechtigt ist (BVerfG, 1. Kammer des 2. Senats, B. v. 01.08.1996, 2 BvR 1119/96, NVwZ 1997, 479). So liegt es im vorliegenden Fall nicht, denn keines der Familienmitglieder besitzt ein Aufenthaltsrecht, und es ist auch nicht dargetan oder ersichtlich, dass sich die Lebenshilfe nur im Bundesgebiet erbringen ließe.

Es handelt sich im vorliegenden Fall lediglich um eine vorübergehende Trennung. Vorübergehende Trennungen von Familienmitgliedern sind nicht ohne Weiteres unzumutbar. Die 1. Kammer des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts hat in seiner Entscheidung vom 24. Juli 1998 (2 BvR 99/97 - NVwZ 1998, Beilage 10, S. 105) offen gelassen, ob Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG Genüge getan ist, wenn minderjährige Kinder sich während des Asylverfahrens jedenfalls bei einem Elternteil aufhalten. In dem dort zu beurteilenden Fall hatte ein Elternteil die Familieneinheit zunächst selbst durch seine Ausreise aus dem Heimatland aufgegeben und ein Asylverfahren in einem anderen europäischen Land eingeleitet, während die Restfamilie später ihr Verfahren in der Bundesrepublik betrieb. In diesem Fall sei die weitere Trennung der Familie für die Dauer des Asylverfahrens zumutbar, stellte das Bundesverfassungsgericht fest.

Sofern nicht zeitlich versetzte Einreisen vorliegen und bereits insofern durch autonome Entscheidung der Betroffenen zeitlich befristete Trennungen in Kauf genommen wurden, können gewichtige Anhaltspunkte für die Gewährung eines vorläufigen Bleiberechts für die betroffenen Familienmitglieder darin zu sehen sein, dass ein Familienmitglied dem anderen Mitglied in besonderer Weise Lebenshilfe leistet oder in überdurchschnittlicher Weise und durch intensive Zuwendung Verantwortung für die Betreuung und Erziehung übernimmt (vgl. OVG Saarlouis, B. v. 22.10.1998 - Az.: 1 V 26/98 -, zitiert nach JURIS). Im vorliegenden Verfahren sind keine Gründe dafür vorgetragen worden, dass der derzeit nicht berufstätige Vater, der Antragsteller zu 1., seine drei Kinder, die Antragsteller zu 3. bis 5., nicht vorübergehend allein betreuen könnte. Eine besondere Betreuungsbedürftigkeit der Kinder, etwa durch Krankheit oder ähnliches, ist nicht bekannt. Die Kinder sind 1987, 1989 und 1994 in Rotenburg geboren; es handelt sich daher nicht mehr um Kleinkinder, die möglicherweise auf mütterliche Betreuung angewiesen wären.

Ein weiterer Umstand, der für die Zumutbarkeit der vorübergehenden Trennung spricht, ist die Tatsache, dass die Antragsteller die Anstrengungen der Behörde zur Ausfertigung der erforderlichen Pässe und Vorbereitung der gemeinsamen Abschiebung bzw. Ausreise der Familie nicht unterstützt haben. Ein eventueller Anspruch auf Ermöglichung einer gemeinsamen Ausreise kommt aber grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Betroffenen ihrerseits alles Zumutbare unternommen haben, um die gemeinsame Ausreise zu gewährleisten (OVG NRW, B. v. 22.02.1994 - 18 B 1127/93 -, zitiert nach JURIS).

Die Antragsteller sind ausreisepflichtig, nachdem die Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 10. Mai 1994 über die Nichtzulassung der Berufung gegen die einen Asylanspruch ablehnende Entscheidung des Verwaltungsgerichts Kassel rechtskräftig geworden war. Die Abschiebung der Antragsteller konnte nicht eingeleitet werden, weil die drei in der Bundesrepublik geborenen Kinder bisher - trotz eingehender Bemühungen der Ausländerbehörde - nicht in den Pass der Mutter eingetragen werden konnten. Insoweit ergeben sich die Einzelheiten aus dem angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts Kassel vom 20. Dezember 2000, auf den Bezug genommen wird. Mit Schreiben vom 9. März 1999 teilte die Botschaft der Arabischen Republik Syrien dazu mit, dass eine Eintragung der Kinder stattfinden könne, sofern eine Eheurkunde der Eltern eingereicht werde. Anderenfalls müssten

- beigefügte Formulare vom Vater ausgefüllt werden und von den zuständigen Behörden beglaubigt werden

- Geburtsurkunden

- ein Verpflichtungserklärung des Vaters, wonach er seine Kinder registrieren lassen will

- Passbilder

vorgelegt und eine Gebühr bezahlt werden. Das Verwaltungsgericht hat dazu in seinem Beschluss festgestellt, dass die Pässe der Antragsteller zu 1. und 2. sich seit 1996 bei der Ausländerbehörde befunden und die Eltern keinen Versuch unternommen hätten, die Kinder eintragen zu lassen, da sie dafür die Pässe benötigt hätten. Eine Verpflichtungserklärung des Vaters ist bisher nicht erfolgt.

Soweit die Antragsteller in ihrem Zulassungsantrag dazu vortragen, sie hätten am 9. Januar 2001 bei der Botschaft vorgesprochen und ihnen sei dabei nicht gesagt worden, dass es nur noch einer Verpflichtungserklärung bedürfe, sondern es sei die Heiratsurkunde der Eltern verlangt worden bleiben sie mit diesem Vorbringen ohne Erfolg. Sie machen dieses mit einer Bescheinigung der Botschaft vom 9. Januar 2001 glaubhaft, in der diese wörtlich ausführt: "Ein Kind kann bei der Botschaft und in den Reisepass seiner Mutter eingetragen werden, wenn sein Vater Syrier ist und die Ehe seiner Eltern im Zivilregister in Syrien eintragen ist." Aus dieser Bescheinigung folgt entgegen der Ansicht der Antragsteller bereits vom Wortlaut her nicht, dass eine Eintragung der Kinder nur bei Vorlage der Heiratsurkunde erfolgen kann. Denn es heißt in der Bescheinigung nicht, dass eine Eintragung nur unter den darin genannten Voraussetzungen erfolgen könne. Da nach dem Vortrag der Antragsteller die Eheurkunde auf dem Postweg verloren gegangen sei, bleiben deshalb nur noch andere Möglichkeiten der Eintragung der Kinder in den Pass der Mutter. Diese Möglichkeiten hat die Botschaft in ihrem Schreiben vom 9. März 1999 ausführlich dargestellt. Dass diese Möglichkeiten nicht (mehr) existierten, geht aus der nunmehr vorgelegten Bescheinigung der Botschaft vom 9. Januar 2001 nicht hervor. Es ist auch nicht dargetan, dass die Antragsteller sich ernsthaft um die Ausstellung einer Verpflichtungserklärung bemüht hätten. Allein mit dem Vorbringen im Zulassungsantrag, auf der Botschaft hätte man ihnen nicht gesagt, dass es nur noch der Verpflichtungserklärung bedürfe, wird die Ernsthaftigkeit ihres Bemühens nicht dargetan. Denn die Antragsteller wussten aufgrund des laufenden Verfahrens, dass ihnen die Vorlage der Eheurkunde nicht möglich ist und insofern eine Verpflichtungserkärung des Vaters für die Eintragung der Kinder notwendig ist. Aus welchen Gründen diese nicht abgegeben wurde, wird nicht vorgetragen. Die Antragsteller haben insofern nicht alles Zumutbare unternommen, um eine gemeinsame Ausreise zu ermöglichen. Sie haben daher eine vorübergehende Trennung der Familienmitglieder in Kauf zu nehmen.

Da die Antragsteller mit ihrem Rechtsmittel erfolglos bleiben, haben sie die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen, § 154 Abs. 2 VwGO. Soweit die Entscheidung auf asylverfahrensrechtlicher Grundlage ergeht, bleibt sie gerichtskostenfrei, § 83 b Abs. 1 AsylVfG. Im Übrigen richtet sich die Festsetzung des Streitwertes nach §§ 14 Abs. 1 - analog -, 13 Abs. 1, 20 Abs. 3 GKG. Der Senat legt insoweit pro Person entsprechend dem Streitwertkatalog den hälftigen Auffangwert zugrunde.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, §§ 152 Abs. 1 VwGO, 25 Abs. 3 Satz 2 GKG.

Ende der Entscheidung

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