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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 14.10.2002
Aktenzeichen: 3 UZ 3104/00.A
Rechtsgebiete: VwGO, AsylVfG


Vorschriften:

VwGO § 87 b
VwGO § 138 Nr. 3
AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 3
Ein Beteiligter, dessen Beweisantrag vom Gericht als verspäteter Vortrag nach § 87 b Abs. 2 VwGO zurückgewiesen wurde, muss versuchen, sich rechtliches Gehör zu verschaffen. Sofern der Vortrag seiner Ansicht nach nicht verspätet ist, muss er dies daher dem Gericht gegenüber dartun.
Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss

3. Senat

3 UZ 3104/00.A

In dem Verwaltungsstreitverfahren

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 3. Senat - durch Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Blume, Richter am Hess. VGH Dr. Michel, Richterin am Hess. VGH Schott

am 14. Oktober 2002 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 8. Juni 2000 - 11 E 30513/95.A (1) - wird ebenso wie der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.

Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu je 1/6 zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe:

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das im Tenor dieser Entscheidung bezeichnete Urteil bleibt ohne Erfolg, weil die Kläger Zulassungsgründe nicht dargelegt haben. Da der Zulassungsantrag keine hinreichende Erfolgsaussicht aufweist, ist auch der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abzulehnen, § 166 VwGO i. V. m. den §§ 114 ff ZPO.

Die Gehörsrüge der Kläger bleibt ohne Erfolg. Allerdings verbürgt Art. 103 Abs. 1 GG den Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens ein Recht darauf, sich vor Erlass einer Entscheidung zu dem zu Grunde liegenden Sachverhalt äußern zu können. Das Gericht ist demgegenüber verpflichtet, Anträge und Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Insbesondere müssen erhebliche Beweisanträge vom Gericht berücksichtigt werden (vgl. z. B. BVerfG, Beschluss vom 30.01.1985 - 1 BvR 876/84 - BVerfGE 69, 145). Allerdings steht dem Gesetzgeber das Recht zu, im Interesse einer Verfahrensbeschleunigung das rechtliche Gehör durch Präklusionsvorschriften zu begrenzen (BVerfG, B. v. 30.01.1985 a. a. O.). Die Präklusionsvorschrift des § 87 b Abs. 3 Satz 1 VwGO genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen.

Soweit die Kläger sich zunächst auf den Seiten 2 bis 7 ihres Zulassungsantrags darauf berufen, die Zurückweisung des in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrages stelle eine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar, bleiben sie ohne Erfolg. Zwar ist den Klägern zuzugeben, dass der in der mündlichen Verhandlung gestellte Beweisantrag auf Vernehmung bestimmter, z. T. in der Sitzung anwesender Personen nicht hätte unter Verweis auf § 87 b Abs. 3 VwGO als verspätet zurückgewiesen werden dürfen. Denn es sind in dem ablehnenden Beschluss nicht sämtliche gesetzliche Voraussetzungen für eine Präklusion ohne Weiteres erkennbar und nachvollziehbar dargelegt, wie es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erforderlich ist (BVerwG, B. v. 27. 03. 2000 - 9 B 518/99 - NVwZ 2000, Beil. Nr. 9 S. 99). Dazu gehören regelmäßig die Angabe, auf welchen Tatbestand die Präklusion gestützt wird (§ 87 b Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2 VwGO), sowie Ausführungen zur Verspätung, zur Verzögerung, zum Fehlen von Entschuldigungsgründen und zur Ausübung des Präklusionsermessens (ebenda).

Das Gericht hat sich nicht mit der Frage auseinander gesetzt, ob die Kläger die verspätete Benennung des Beweismittels i. S. d. § 87 b Abs. 3 Nr. 2 VwGO genügend entschuldigt haben bzw. ob überhaupt eine Verspätung vorlag. Voraussetzung für eine Verspätung wäre, dass die Kläger aufgrund der konkreten Prozesssituation nach Ergehen der Aufforderung Anlass gehabt hätten, weitere Beweismittel zu benennen (vgl. BVerwG, B. v. 19.12.1996 - 9 B 320/96 - BVerwGE 51,188). Nach dem damaligen Stand des Verfahrens hatten sie jedoch keinen Anlass, ein weiteres Beweismittel für die Behauptung anzubieten, der Kläger zu 1. habe sich im Jahr 1995 nicht in den Libanon zurückbegeben. Denn sie hatten dazu bereits den Brief eines libanesischen Rechtsanwalts vorgelegt, dem die Auffassung zu entnehmen war, dass der Kläger zu 1. zu den in den vorgelegten Urkunden dokumentierten Terminen nicht selbst im Libanon gewesen, sondern von einem Bevollmächtigten vertreten worden sei. Sie konnten deshalb den ihrem Vortrag zuwiderlaufenden, vom Gericht aus den vorgelegten Urkunden gezogenen Schluss, sie hätten sich 1995 im Libanon aufgehalten, erst im Rahmen der mündlichen Verhandlung erkennen und sich erst in diesem Zeitpunkt durch Stellung eines Beweisantrages darauf einstellen. Dass die Kläger bereits zuvor diese Wertung des Gerichts hätten erkennen müssen, hat das Gericht zumindest in seinen Ausführungen zur Begründung des ablehnenden Beschlusses nicht dargelegt.

Es kann insoweit dahinstehen, ob die sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen für eine Präklusion gegeben waren. Daran bestehen Zweifel. Angesichts des bereits in der Akte befindlichen Sachvortrages der Kläger im Zeitpunkt der Anordnung nach § 87 b VwGO dürfte allein die Aufforderung, innerhalb von 2 Wochen "die Tatsachen und entsprechenden Beweismittel anzugeben, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung sie sich beschwert fühlen", nicht deutlich machen, welche weiteren Tatsachen die Kläger noch hätten angeben sollen. Die Aufforderung ist zumindest missverständlich, denn die Kläger hatten eine Klagebegründung bereits abgegeben, so dass für eine allgemeine Aufforderung nach § 87 b Abs. 1 VwGO, wie sie hier erfolgt ist, kein Raum mehr gewesen sein dürfte. Die Aufforderung könnte daher nur dahin zu interpretieren sein, dass eventuelle neue Tatsachen und Beweismittel vorgetragen werden sollten. Eine differenzierte Aufforderung nach § 87 b Abs. 2 VwGO ist hier jedenfalls nicht ergangen, denn die Kläger sind nicht aufgefordert worden, zu bestimmten, vom Gericht näher bezeichneten Vorgängen ergänzend vorzutragen.

Darüber hinaus dürfte es an der Ausübung des Präklusionsermessens gemäß § 87 b Abs. 3 Satz 1 und 3 VwGO fehlen. Das Gericht stellt auf S. 9 seiner Urteilsgründe dazu lediglich fest, dass seiner Auffassung zufolge die beantragte Beweiserhebung durch Vernehmung bestimmter Personen die Anberaumung eines neuen Termins notwendig gemacht hätte, sodass die Erledigung des Rechtsstreits sich verzögert hätte. Es fehlt jedoch an einer Ermessensentscheidung dazu, aus welchen Gründen sich das Gericht bei der Abwägung zwischen dem Gebot beschleunigter Erledigung und dem Gebot weitestmöglicher Aufklärung angesichts der durch die Präklusion drohenden Rechtsnachteile hier zugunsten der Beschleunigung entschieden hat. Auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes, dass wegen des auf Verfahrensbeschleunigung gerichteten Zwecks des § 87 b VwGO nur bei Vorliegen besonderer Anhaltspunkte darauf geschlossen werden kann, dass das durch die Vorschrift eröffnete Ermessen in einer dem Sinn und Zweck der Vorschrift widersprechenden Weise ausgeübt worden ist (vgl. BVerwG, B. v. 06.04.2000 - 9 B 50/00 - NVwZ 2000,1042; Hess. VGH, B. v.09.06.1995 - 13 UZ 1015/95 - NVwZ-RR 1996,364), hätte hier angesichts der damals bereits erreichten Dauer des bereits seit 1995 anhängigen Verfahrens und der im Vergleich dazu nicht ohne weiteres als erheblich erkennbaren Verzögerung durch Anberaumung eines neuen Verhandlungstermins Anlass bestanden, die Ermessensausübung zu erläutern. Diese Fragen können jedoch letztlich dahinstehen, denn die Rüge der Gehörsverletzung bleibt aus anderen Gründen ohne Erfolg.

Sie ist nur dann begründet, wenn die Kläger sich nicht hätten Gehör verschaffen können und wenn die Ablehnung der Beweisanträge nicht aus (weiteren) prozessualen oder materiellrechtlichen Gründen gerechtfertigt gewesen wäre (vgl. BVerwG, B. v. 19.12.1996 - 9 B 320/96 - a. a. O.). An beiden Voraussetzungen fehlt es hier jedoch.

Zum einen haben die Kläger nicht den Versuch gemacht, sich selbst Gehör zu verschaffen. Dies ist aber Voraussetzung dafür, dass ein Beteiligter sich auf die Gehörsverletzung berufen kann. Im Fall der Anwendung der Präklusionsvorschriften durch ein Gericht muss der davon seiner Auffassung nach zu Unrecht betroffene Beteiligte entweder dartun, dass und aus welchen Gründen er zuvor nicht in der Lage war, rechtzeitig gegenüber dem Gericht die eingetretene Verzögerung zu entschuldigen (vgl. BVerwG, B. v. 06.04.2000 - 1 B 50/00 - a. a. O.), oder dartun, dass eine Verspätung nicht vorliegt. An letzterem fehlt es hier jedoch. Ein von einem Präklusionsbeschluss betroffener Beteiligter kann zwar möglicherweise nicht bereits in der mündlichen Verhandlung erkennen, ob das Gericht die Vorschrift in jeder Hinsicht in zulässiger Weise angewandt hat. Er kann jedoch erkennen und überprüfen, ob sein Vortrag tatsächlich verspätet war. Denn dies betrifft sein eigenes bisheriges prozessuales Verhalten. Die Kläger haben sofort in der mündlichen Verhandlung erkennen können, dass die Annahme des Gerichts, sie seien 1995 im Libanon gewesen, für sie neu war und sie erst aufgrund dieser neuen Situation und damit erst in der mündlichen Verhandlung einen Beweisantrag stellen konnten. Nach ihrer Ansicht war der Beweisantrag deshalb nicht verspätet. Auf diesen Umstand hätten sie hinweisen und sich damit rechtliches Gehör verschaffen müssen. Dies ist ausweislich der Sitzungsniederschrift jedoch nicht geschehen.

Zum anderen führt ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs nur dann zur Zulassung der Berufung, wenn das Gericht dem Beweisantrag nachgehen musste. Einem Beweisantrag, der unzulässig ist, muss ein Gericht jedoch nicht nachgehen. Die Grundsätze der Prozessordnung gebieten nur die Berücksichtigung erheblicher, d. h. nach den Vorschriften und Grundsätzen der jeweiligen Prozessordnung zulässiger und ordnungsgemäß gestellter Beweisanträge. Im Falle eines unzulässigen Beweisantritts kann folglich auch dann, wenn das Gericht den Antrag fälschlich als zulässig angesehen und mit einer unzulässigen Begründung abgelehnt hat, keine Gehörsverletzung eintreten (vgl. BVerwG, B. v. 19.12.1996 - 9 B 320/96 - a. a. O.; Hess. VGH, B. v. 08.07.1999 - 9 UZ 177/98.A - m. w. N.). Die Stellung eines unsubstantiierten Beweisantrags ist dem Unterlassen einer Beweisantragstellung durch die anwaltlich vertretene Partei gleichzusetzen (vgl. BVerwG, U. v. 26.04.1988 - 9C 271/86 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 155). Zur Substantiierung eines Beweisantrags muss im Einzelnen dargelegt werden, welche rechtlich erheblichen Beweistatsachen von dem angeführten Beweismittel zu erwarten sind, so dass das Gericht in die Lage versetzt wird, die Tauglichkeit des Beweismittels zu beurteilen (vgl. BVerwG, ebenda; B. v. 28.07.1977 -III C 17.74- MDR 1978, 76; B. v. 08.02.1993 -9 C 598/82- InfAuslR 1983, 185). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze stellt sich der von den Klägern in der mündlichen Verhandlung gestellte Beweisantrag als unzulässig dar. Dies folgt daraus, dass im Beweisantrag nicht, wie es gemäß § 98 VwGO i. V. m. § 373 ZPO erforderlich ist, angegeben wurde, welche rechtlich erheblichen Wahrnehmungen von den darin benannten Personen im Einzelnen zu erwarten sind. Dazu gehört, dass dargetan wird, aufgrund welcher Zusammenhänge, Tatsachen, Vorkommnisse etc. die benannten Personen über die behaupteten Erkenntnisse verfügen. Ein solcher Vortrag ist hier nicht erfolgt.

Soweit die Kläger einen weiteren Verstoß gegen das Gebot die Gewährung rechtlichen Gehörs wegen der Ablehnung der Hilfsbeweisanträge auf den S. 7 bis 12 ihres Zulassungsantrags rügen, bleiben sie damit bereits deshalb ohne Erfolg, weil die Ablehnung eines Hilfsbeweisantrags unter keinen Umständen zur Verletzung des rechtlichen Gehörs führen kann (Hess. VGH, B. v. 07.02.2002 - 6 UZ 695/99.A -). Begibt sich ein Verfahrensbeteiligter der Möglichkeit, im Falle der Ablehnung eines Beweisantrags ergänzend vorzutragen und weitere Beweisanträge zu stellen, indem er einen Beweisantrag nur hilfsweise stellt, kann er sich auf eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht mehr berufen.

Soweit die Kläger darüber hinaus die Frage aufwerfen, ob "eine unentschuldigte Nichtteilnahme an der mündlichen Verhandlung zugleich den wirksamen Verzicht auf Parteiöffentlichkeit hinsichtlich der Verwertung solcher Beweis- und Erkenntnismittel im Termin der mündlichen Verhandlung darstellt, mit der die nichterschienene Partei rechnen konnte", ist diese Frage, soweit sie der Interpretation zugänglich ist, jedenfalls nicht im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG grundsätzlich klärungsbedürftig. Dies folgt bereits daraus, dass die damit offenbar angesprochene Frage bereits im Sinne der Ausführungen der ersten Instanz durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich der Senat anschließt, geklärt ist (vgl. BVerwG, B. v. 28.07.2000 - 7 B 48/00 - Buchholz 310 § 97 VwGO Nr. 4). Aus dieser Rechtsprechung folgt, dass das Gericht einen Gehörsverstoß begeht, wenn es sich zu einer für die nicht anwesenden Beteiligten nicht vorhersehbaren Beweisaufnahme während der mündlichen Verhandlung entschließt, diese sodann durchführt und zu einer abschließenden Entscheidung gelangt, ohne dass der nicht anwesende Beteiligte nochmals Stellung nehmen konnte.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2, 159 VwGO i. V. m. § 100 Abs. 1 ZPO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83 b Abs. 1 AsylVfG.

Der Beschluss ist unanfechtbar, § 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG.

Ende der Entscheidung

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