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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 17.01.2003
Aktenzeichen: 3 UZ 484/01.A
Rechtsgebiete: AsylVfG, VwGO, ZPO


Vorschriften:

AsylVfG § 78 Abs. 3 Satz 3
VwGO § 138 Nr. 3
ZPO § 295
Um sich Gehör zu verschaffen, muss der Kläger ihm erkennbare Fehler bei der Ablehnung von Beweisanträgen durch das Gericht in der nächsten mündlichen Verhandlung rügen und auf eine erneute Beschlussfassung über die Beweisanträge hinwirken, wenn die Zeitspanne zwischen den beiden Verhandlungen genügend Zeit zur Vorbereitung der Rügen lässt.
3. Senat 3 UZ 484/01.A

Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Asylrechts

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 3. Senat - durch Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Blume, Richter am Hess. VGH Dr. Michel, Richterin am Hess. VGH Schott

am 17. Januar 2003 beschlossen:

Tenor:

Die Anträge des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 15. Januar 2001 werden abgelehnt.

Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe:

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das im Tenor dieser Entscheidung bezeichnete Urteil bleibt ohne Erfolg, da der Kläger Zulassungsgründe nicht in einer dem Darlegungserfordernis genügenden Art und Weise vorzutragen vermochte. Da dem Zulassungsantrag somit die Erfolgsaussicht fehlt, ist auch der Prozesskostenhilfeantrag abzulehnen, §§ 114 ff. ZPO, 166 VwGO.

Der Kläger bleibt ohne Erfolg, soweit er sich auf eine Verletzung des rechtlichen Gehörs gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO beruft und vorträgt, sein in der ersten mündlichen Verhandlung vom 19. Juni 2000 gestellter Beweisantrag Nr. 2 sei zu Unrecht abgelehnt worden. Er hatte beantragt, Beweis zu erheben über seine Behauptungen, Angehörige der Hindu-Religion seien nach wie vor schutzlos der Verfolgung durch Dritte und durch staatliche Sicherheitskräfte ausgeliefert. Dies gelte besonders für Personen, die als Funktionäre in den Organisationen der Hindu-Gemeinde tätig seien. Unabhängig davon seien Mitglieder und Funktionäre der BHCOP schutzlos Übergriffen Privater und staatlicher Stellen ausgeliefert. Die Sicherheitsbehörden in Bangladesch seien nicht Willens und unabhängig davon nicht in der Lage, den Betroffenen Schutz zu gewähren. Er hatte dazu beantragt, Beweis durch Stellungnahme des Südasieninstituts und des UNHCR, durch Auskunft von amnesty international, durch Sachverständigengutachten und durch Zeugnis von vier weiteren Personen zu erheben. Das Gericht hatte diesen Antrag sowie weitere Anträge in der mündlichen Verhandlung abgelehnt und zu dem Beweisantrag Nr. 2 ausgeführt, es dränge sich für das Gericht keine weitere Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens auf, weil es aufgrund der vorhandenen Erkenntnisquellen in der Lage sei, die aufgestellten Behauptungen des Klägers zu prüfen und darüber zu entscheiden. Die zu diesem Beweisthema angebotenen Zeugen seien ungeeignete Beweismittel. Diese könnten allenfalls über Einzelschicksale Auskunft geben. In der nächsten mündlichen Verhandlung vom 15. Januar 2001 wiederholte der Kläger seine in der mündlichen Verhandlung vom 19. Juni 2000 gestellten Anträge als Hilfsbeweisanträge.

Zur Begründung der Verletzung des rechtlichen Gehörs macht der Kläger geltend, dem Gericht habe kein Ermessen zugestanden, um die Einholung sachverständiger Stellungnahmen im Beweiswege abzulehnen, da bisher noch keinerlei gutachterliche Stellungnahmen dazu vorlägen. Soweit sich in den Erkenntnisquellen Stellungnahmen befänden, enthielten diese nicht Aussagen oder Angaben dazu, der genannte Personenkreis sei vor einer erneuten mittelbaren Verfolgung sicher. Die Beweiserhebung hätte sich auch aufgedrängt.

Mit diesen Ausführungen ist eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht dargetan. Eine solche liegt vor, wenn das Gericht Beweisanträge mit Gründen ablehnt, die im Prozessrecht keine Stütze mehr finden. Auf einen Gehörsverstoß kann sich der Betroffene jedoch nur berufen, wenn er zuvor alle prozessualen und faktischen Möglichkeiten wahrgenommen hat, um sich Gehör zu verschaffen (vgl. BVerwG, B. v. 8.12.1988, NJW 1989 S. 1233, OVG Münster, Beschluss vom 20.04.1995, NVwZ Beilage 1995 S. 59; OVG Lüneburg, Beschluss vom 08.01.1998, AuAS 1998 S. 141, Hamburgisches OVG, Beschluss vom 23.09.1998 - BS 129/96 -, zitiert nach JURIS; Hess. VGH, Beschluss vom 07.02.2001 - 6 UZ 695/99.A -). Im vorliegenden Fall hat der Kläger es unterlassen, sich selbst Gehör zu verschaffen.

Das Verwaltungsgericht hatte die in der Sitzung vom 15. Juni 2000 vom Kläger gestellten Beweisanträge durch einen begründeten Beschluss abgelehnt. Bei dieser Sachlage hätte der Kläger in der nächsten mündlichen Verhandlung am 15. Januar 2001 das Verwaltungsgericht auf die seiner Ansicht nach gehörsverletzende Ablehnung der Beweisanträge hinweisen müssen, um eine erneute Beschlussfassung unter Berücksichtigung der von ihm nunmehr im Zulassungsverfahren im Einzelnen dargelegten Gesichtspunkte zu erreichen. Dem Kläger war aufgrund der Quellenliste, die das Verwaltungsgericht zur Grundlage seiner Entscheidung heranzuziehen beabsichtigte, klar, welche Quellen zur Situation der Hindus dort vorlagen (vgl. die Quellenliste, die auf S. 2 die Überschrift "Situation der Hindus" trägt). Er hätte daher bereits in der mündlichen Verhandlung vom 15. Januar 2001 ein seiner Ansicht nach fehlendes Sachverständigengutachten zur Situation der Hindus rügen können und müssen. Gleiches gilt entsprechend für die Rüge, dem Gericht habe für die Entscheidung dieser Frage kein Ermessen zugestanden und es habe die erforderliche Sachkunde nicht dargelegt. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger diese Ausführungen erst im Zulassungsverfahren hat machen können. Seine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ablehnung des Beweisantrags unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs waren allein durch die Verhandlung vom 15. Juni 2000 begründet, ohne dass in der Verhandlung vom 15. Januar 2001 neue Gesichtspunkte hinzugetreten wären, die eine Auseinandersetzung erst im Zulassungsverfahren notwendig gemacht hätten.

Der Rechtsgedanke, wonach der Kläger in einer zweiten mündlichen Verhandlung Gehörsrügen, die ihm in diesem Zeitpunkt bereits erkennbar sein müssen, auch vorbringen muss, findet sich auch in § 173 VwGO i.V.m. § 295 ZPO wieder. Nach § 295 Abs. 1 ZPO kann die Verletzung einer das Verfahren betreffenden Vorschrift nicht mehr gerügt werden, wenn die Partei bei der nächsten mündlichen Verhandlung in dem betreffenden Verfahren den Mangel nicht gerügt hat, obgleich sie erschienen ist und ihr der Mangel bekannt war oder hätte bekannt sein müssen. Die Rügeanforderungen sind zwar unterschiedlich je nachdem, ob der Beteiligte sich eines Anwalts bedient hat oder nicht. Im vorliegenden Verfahren hat der Kläger sich jedoch eines Anwalts bedient, sodass Kenntnis der Rechtsprechung zur Verletzung des rechtlichen Gehörs vorausgesetzt werden muss. Der Rechtsgedanke des § 295 ZPO findet im Verwaltungsprozess Anwendung (vgl. BVerwG, U. v. 12. Februar 1959 - III C 133.57 -, BVerwGE 5, 149 f.; BVerwG, B. v. 30.09.1988 - 9 CB 47/88 -, NJW 89, 678; Kohlndorfer, Die Anwendung von § 295 ZPO in verwaltungsgerichtlichen Verfahren, DVBl. 1988, 474 jeweils m.w.N.). Auch dieser Vorschrift liegt der Gedanke zugrunde, dass der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren das Seine dazu tun muss, eine Verwendung der auf einem Fehler beruhenden Entscheidungsgrundlage zu verhindern (BVerwG, U. v. 12. 02.1959, a.a.O.). Zwar wird dem Kläger bzw. seinem Bevollmächtigten nicht zuzumuten sein, in der mündlichen Verhandlung selbst, in der er einen Beweisantrag stellt, die Begründung des Gerichts für die Ablehnung des Beweisantrags daraufhin zu überprüfen, wie weit sie mit dem Prozessrecht übereinstimmt. Sofern jedoch zwischen erster und folgender mündlicher Verhandlung eine solche Zeitspanne wie im vorliegenden Verfahren eingeräumt ist, ist dem Bevollmächtigten des Klägers eine Überprüfung der den Beweisantrag ablehnenden Entscheidung des Gerichts durchaus zuzumuten.

Der Rechtsgedanke des § 295 Abs. 1 ZPO ist auch nicht wegen § 295 Abs. 2 ZPO hier ausgeschlossen, wie es der Fall wäre, wenn Vorschriften verletzt wären, auf deren Befolgung eine Partei nicht wirksam verzichten kann. Dies trifft hier nicht zu, denn grundsätzlich ist der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verzichtbar (vgl. Kohlndorfer, a.a.O.).

Soweit der Kläger weiterhin rügt, das Gericht habe den Beweisantrag Nr. 2, soweit mit ihm die tatsächliche Schutzunfähigkeit der Sicherheitskräfte gegenüber Personen, die als Funktionäre in der Hindugemeinde tätig gewesen seien, nicht wahrgenommen, liegt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht vor. Auch insofern hat es der Kläger unterlassen, sich selbst Gehör zu verschaffen. Denn wenn er Anlass hatte, davon auszugehen, das Gericht habe seinen Beweisantrag nicht vollständig wahrgenommen, indem es auf die Schutzbereitschaft und nicht auf die tatsächliche Schutzfähigkeit abgestellt habe, hätte der Kläger dieses Missverständnis spätestens in der zweiten mündlichen Verhandlung vom 15. Januar 2001 aufklären können und müssen. Bei offensichtlichen Missverständnissen ist der Kläger, um der Anforderung des Sich-Gehör-Verschaffens Genüge zu tun, gehalten, das Gericht darauf bereits im weiteren Verlauf der mündlichen Verhandlung hinweisen (vgl. OVG Hamburg, B. v. 23.09.1998 - Bs 1 29/96 - zitiert nach JURIS).

Soweit der Kläger weiterhin rügt, das Urteil beruhe auf der prozessrechtswidrigen Abweisung des in der mündlichen Verhandlung vom 19. Juni 2000 gestellten Beweisantrags Nr. 4, bleibt er ebenfalls ohne Erfolg. Insofern gelten die obigen Ausführungen zum Beweisantrag Nr. 2 entsprechend. Auch insoweit hat der Kläger es unterlassen, sich zumindest in der zweiten mündlichen Verhandlung vom 15. Januar 2001 Gehör zu verschaffen, indem er die seiner Ansicht nach prozessordnungswidrige Abweisung erst mit den nunmehr im Zulassungsverfahren vorgetragenen Argumenten rügt. Dies gilt ebenfalls entsprechend für die nach Ansicht des Klägers prozessrechtswidrige Abweisung des in der mündlichen Verhandlung vom 19. Juni 2000 gestellten Beweisantrags Nr. 5. Es ist auch hier nicht dargetan, dass der Kläger sich nicht hätte zuvor Gehör verschaffen können. Denn die Einwände gegen die ausweislich der Sitzungsniederschrift dokumentierte Ablehnung des Beweisantrags hätten auch bereits in der mündlichen Verhandlung vom 15. Januar 2001 geltend gemacht werden können. Entsprechendes gilt für den nach Ansicht des Klägers prozessordnungswidrig abgewiesenen Beweisantrag Nr. 3.

Soweit der Kläger die Abweisung der Hilfsbeweisanträge im angefochtenen Urteil rügt, ist damit ebenfalls keine Verletzung des rechtlichen Gehörs dargetan. Denn wenn ein Verfahrensbeteiligter in der mündlichen Verhandlung einen Beweisantrag nur hilfsweise stellt, kann er sich auf eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht mehr berufen (Hess. VGH, B. v. 07.02.2001 - 6 UZ 695/99.A -).

Soweit sich der Kläger hinsichtlich der Ablehnung des Beweisantrags Nr. 2 auf eine Divergenz zu der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs bezieht, bleibt er bereits deshalb ohne Erfolg, weil er die seiner Ansicht nach divergierenden Rechtssätze nicht konkret benennt und einander gegenüberstellt. Dies ist jedoch Voraussetzung, um das Darlegungserfordernis im Zulassungsverfahren zu erfüllen (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG). Soweit der Kläger die grundsätzliche Frage aufwirft, ob ein Antrag auf Sachverständigenbeweis im Hinblick auf bereits vorliegende Stellungnahmen aus anderen Verfahren vom Gericht ermessensfehlerfrei mit begründeter Sachkunde abgelehnt werden kann oder ob insoweit wegen des Rechts der Beteiligten zur Anhörung und Befragung des Sachverständigen in der Verhandlung stets eine Bindung an den Antrag besteht, bleibt er ohne Erfolg. Die Frage danach, unter welchen Voraussetzungen ein Antrag auf Sachverständigenbeweis abgelehnt werden kann, sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. z.B. B. v. 11. Februar 1999 - 9 B 381.98 -) ist geklärt, dass das Gericht einen Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens ablehnen kann, wenn es über eigene Sachkunde verfügt, die sich aus der Gerichtspraxis, namentlich der Verwertung von bereits vorliegenden Erkenntnismitteln, ergibt.

Auch soweit der Kläger der Frage grundsätzliche Bedeutung zumisst, ob vorverfolgte Angehörige der Hindu-Religion im Falle einer Rückkehr nach Bangladesch hinreichend sicher vor erneuter Verfolgung sind, bleibt er ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat sich mit dieser Frage eingehend auseinandergesetzt (S. 8 ff. des Urteils), ohne dass der Kläger dem in einer Weise entgegengetreten wäre, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit die Annahme rechtfertigen könnte, in einem Berufungsverfahren würde sich die Ansicht des Klägers zu dieser Frage durchsetzen. Insofern setzt sich der Kläger mit den Ausführungen des Urteils zu dieser Frage nicht ausreichend auseinander.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83 b Abs. 1 AsylVfG.

Der Beschluss ist unanfechtbar, § 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG.

Ende der Entscheidung

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