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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 13.08.2007
Aktenzeichen: 3 UZ 522/07
Rechtsgebiete: HBO, HVwVfG


Vorschriften:

HBO § 57 Abs. 2
HVwVfG § 10
HVwVfG § 3a
1. Auf den Eintritt der Fiktionswirkung des § 57 Abs. 2 Satz 3 HBO kann die Bauherrschaft aufgrund der ihr zustehenden Dispositionsbefugnis wirksam verzichten, obgleich es sich um eine gesetzliche Frist handelt.

2. Ist ein Schriftformerfordernis gesetzlich nicht angeordnet, kann im nicht förmlichen Verwaltungsverfahren gemäß § 10 HVwVfG eine Erklärung/ein Antrag auch ohne die Einschränkungen des § 3a Abs. 2 HVwVfG durch E-Mail zu den Akten gereicht werden.

3. Stellt weder die Behörde in Abrede, eine E-Mail erhalten zu haben, noch der Antragsteller, diese willentlich an die Behörde abgesandt zu haben, bestehen im Verwaltungsverfahren nach § 10 HVwVfG keine Bedenken an der Wirksamkeit einer derartigen Erklärung. Rechtsfragen des Nachweises über den Zugang einer derartigen Erklärung bleiben hiervon unberührt.


HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF BESCHLUSS

3 UZ 522/07

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Baurechts

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 3. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Blume, Richter am Hess. VGH Dr. Michel, Richterin am Hess. VGH Lehmann

am 13. August 2007 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 5. Februar 2007 - 1 E 3865/06 - wird abgelehnt.

Die Klägerin hat auch die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.

Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 5.000,- € festgesetzt.

Gründe:

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das im Tenor dieser Entscheidung bezeichnete Urteil bleibt ohne Erfolg, weil die Klägerin Zulassungsgründe nicht hinreichend dargelegt hat.

Der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ist nicht hinreichend dargelegt.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen dann, wenn gegen dessen Richtigkeit nach summarischer Prüfung gewichtige Gesichtspunkte sprechen, wovon immer dann auszugehen ist, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und sich ohne nähere Prüfung die Frage nicht beantworten lässt, ob die Entscheidung möglicherweise im Ergebnis aus einem anderen Grund richtig ist (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 14. Aufl. 2005, § 124 Rdnr. 7 m.w.N.). Dabei müssen die ernstlichen Zweifel am Ergebnis der Entscheidung bestehen. An der Zulassung einer Berufung, die aller Voraussicht nach keinen Erfolg haben wird, kann kein Interesse bestehen (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 124 Rdnr. 7a m.w.N.).

Die Klägerin, die eine von der Beklagten erlassene Anordnung zur Beseitigung einer von ihr errichteten Werbeanlage angreift, trägt zur Begründung ihres Zulassungsantrags im Wesentlichen vor, die Annahme des Verwaltungsgerichts, sie habe durch ihre per E-Mail übersandte Nachricht vom 17. März 2005 wirksam auf den Eintritt der Fiktionswirkung des § 57 Abs. 2 Satz 3 Hessische Bauordnung vom 18. Juni 2002 - HBO - verzichtet, sei ebenso rechtsfehlerhaft wie die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass es sich bei ihrer Bitte um Erteilung eines rechtsmittelfähigen Bescheides vom 10. Mai 2005 um einen neuen Bauantrag gehandelt habe. Gleichfalls rechtsfehlerhaft sei die Annahme des Verwaltungsgerichts, ein Verzicht auf Eintritt der Fiktionswirkung könne wirksam durch eine E-Mail erklärt werden. Durch E-Mail übermittelte Erklärungen könnten im Verwaltungsverfahren keine wirksamen Rechtsfolgen auslösen, so könne auch ein Widerspruch nicht wirksam per E-Mail erklärt werden. Wenn Rechte nicht wirksam per E-Mail wahrgenommen werden könnten, müsse dies auch für den Verzicht auf Rechte gelten.

Dem kann im Ergebnis nicht gefolgt werden.

Die Antragstellerin hat mit E-Mail der von ihr als Ansprechpartnerin benannten Frau Iris Schneider vom 17. März 2005 hinsichtlich des am 12. Januar 2005 vollständig eingegangenen und entsprechend von der Bauaufsicht bestätigten Bauantrags zur Errichtung einer großflächigen Werbeanlage in Niddatal, xxxxxxxxxxxxxx der Bauaufsichtsbehörde mitgeteilt, dass sie die Fristen des genannten Bauantrags aussetzen möchte. Diese Mitteilung erfolgte, nachdem die Klägerin von der negativen Stellungnahme des Amtes für Straßen- und Verkehrswesen in Gelnhausen vom 25. Februar 2005 in Kenntnis gesetzt worden war.

Zwar ist der Klägerin zuzustimmen, dass es sich bei der Frist des § 57 Abs. 2 Satz 3 HBO um eine gesetzliche Frist handelt, die grundsätzlich nicht disponibel ist (vgl. Kopp/Raumsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG -, Kommentar, 9. Aufl., 2005, § 31 Rdnr. 6; Allgeier/von Lutzau, Die Bauordnung von Hessen, 7. Aufl., 2003, Erläuterung zu § 57, 57.2, S. 434 unten, die das Aussetzen eines eingeleiteten Verfahrens - auch im Einvernehmen mit der Bauherrschaft - für gesetzlich nicht vorgesehen halten). Demgegenüber vertritt Hornmann die Auffassung, dass der Bauantragsteller, da die Frist des § 57 Abs. 2 Satz 3 HBO vorrangig in seinem Interesse der Beschleunigung des Baugenehmigungsverfahrens diene, auf die gesetzliche Fiktionsfrist verzichten könne , obwohl dies das Gesetz nicht ausdrücklich vorsehe und gesetzliche Fristen durch die Behörde nicht verlängert werden könnten (vgl. Hornmann, Hessische Bauordnung, Kommentar, § 57 Rdnr. 61). Dabei bezieht sich Hornmann auf eine Entscheidung des VGH Baden-Württemberg vom 17. September 1986 (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17.09.1986 - 3 S 2277/85 - BauR 1986, 678 ff.) zu § 19 Abs. 3 BBauG in der Fassung vom 6. Juli 1979, in dessen Abs. 3 Satz 6 eine ähnlich gelagerte Fiktionsregelung wie in § 57 Abs. 2 Satz 3 HBO enthalten war. Der VGH Baden-Württemberg hat in der genannten Entscheidung ausgeführt, die Fristenregelung in § 19 Abs. 3 bis 6 BBauG diene, im Gegensatz zu dem Genehmigungsverfahren selbst, in erster Linie dem Interesse des Antragstellers an einer Beschleunigung des Verfahrens. Daher stehe sie ebenso zu seiner Disposition einschließlich des Verzichts auf die sich für ihn daraus ergebenden Rechte wie beispielsweise die Zurücknahme und - gegebenenfalls nach Ergänzung oder zusätzlicher Begründung - Neueinreichung des Genehmigungsantrags. Der Umstand allein, dass die Beschleunigung des Genehmigungsverfahrens nach § 19 Abs. 3 BBauG - ähnlich wie bei allen Verwaltungsverfahren - daneben auch im öffentlichen Interesse liege, stehe der Verzichtbarkeit noch nicht entgegen, auch nicht die Gefahr einer missbräuchlichen Aushöhlung der Fristenregelung durch die Behörden. Das Übergewicht des Interesses des jeweiligen Antragstellers an der Beschleunigung des Verfahrens sei so groß, dass diese Gesichtspunkte seine Dispositionsbefugnis nicht einschränken könnten (so VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17.09.1986, a.a.O. unter Verweis auf Neuffer, Das neue Baurecht, Band 1, Rdnr. 45 zu § 19 BauGB und unter Nennung der abweichenden Auffassung von Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BBauG, Rdnr. 81 zu § 19).

Dem schließt sich der Senat an. Die Fiktionsregelung des § 57 Abs. 2 Satz 3 HBO ist im Spannungsverhältnis der dem Bauherrn zur Seite stehenden Dispositionsbefugnis einerseits sowie andererseits der Tatsache zu würdigen, dass es sich um eine gesetzlich angeordnete, und damit grundsätzlich nicht zur Disposition der Verfahrensbeteiligten stehende Frist handelt.

Steht es dem Bauherrn frei, einen bereits gestellten Bauantrag zur Abwendung einer negativen Behördenentscheidung jederzeit zurückzunehmen und das Baugenehmigungsverfahren, gegebenenfalls unter Vorlage veränderter Unterlagen oder in Auseinandersetzung mit negativen fachbehördlichen Stellungnahmen neu zu stellen, muss es ihm unter dem Gesichtspunkt einer effektiven Verfahrensbetreibung sowie der ihm zustehenden Dispositionsfreiheit möglich sein, auf den Eintritt der Fiktionswirkung des § 57 Abs. 2 Satz 3 HBO zu verzichten, um einen ansonsten unmittelbar drohenden ablehnenden Bescheid der Bauaufsichtsbehörde durch Vorlage neuer Unterlagen abzuwehren oder zumindest auszusetzen, ohne zwingend den für ihn kostenrechtlich belastenderen Weg der Rücknahme seines Bauantrages und ggfs. Neubeantragung des Bauvorhabens gehen zu müssen.

Hierbei kann dahinstehen, welchen rechtlichen Charakter der telefonischen Mitteilung der Klägerin vom 26. April 2005 und ihrem Schreiben vom 10. Mai 2005, mit dem sie um Zustellung eines rechtsmittelfähigen Bescheides bat, zukommt, da selbst dann, wenn hierdurch erneut die Frist des § 57 Abs. 2 Satz 3 in Gang gesetzt worden sein sollte, diese vor Zustellung des Bescheides vom 9. Juni 2005 offensichtlich noch nicht abgelaufen war.

Entgegen der Auffassung der Klägerin konnte sie auf den Eintritt der Genehmigungsfiktion durch die mit E-Mail übermittelte Nachricht vom 17. März 2005 (Bl. 33 der Behördenakte) verzichten. Zwar steht das Baugenehmigungsverfahren hinsichtlich der Vorlage der Bauantragsunterlagen sowie der Erteilung der Baugenehmigung unter dem Schriftlichkeitserfordernis, was sich aus § 60 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 5 HBO in Verbindung mit dem Bauvorhabenerlass vom 22. August 2002 ergibt (vgl. Hornmann, a.a.O., § 60 Rdnr. 13) mit der Folge, dass eine elektronische Übermittlung nur unter Einhaltung der Vorgaben des § 3a Abs. 2 HessVwVfG erfolgen darf (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 3a Rdnr. 2 und 15). Im Übrigen ist das Baugenehmigungsverfahren jedoch nicht an eine bestimmte Form gebunden, so dass sich die Wirksamkeit von Erklärungen Beteiligter nach § 10 HessVwVfG richtet, wonach das Verwaltungsverfahren einfach, zweckmäßig und zügig durchzuführen ist. Stellt jedoch weder der Beklagte in Abrede, die E-Mail vom 17. März 2005 erhalten zu haben, noch die Klägerin, Urheberin der E-Mail zu sein und diese willentlich an den Beklagten abgesandt zu haben, bestehen keine Bedenken, diese als wirksame Erklärung anzusehen. Rechtsfragen des Nachweises über den Zugang einer derartigen Erklärung bleiben hiervon unberührt.

Da sich die Beteiligten nach Eingang der am 17. März 2005 per E-Mail übermittelten Nachricht augenscheinlich darüber einig waren, dass die Fiktionswirkung des § 57 Abs. 2 Satz 3 HBO nicht eintreten soll, der Beklagte mithin auch nicht gehalten sein sollte, unverzüglich, nämlich vor Ablauf der 3-Monatsfrist, einen ablehnenden Baubescheid zu fertigen, erscheint es im Übrigen gegen Treu und Glauben zu verstoßen, sich von Seiten der Klägerin nunmehr auf eine nicht wirksame Übermittlung ihrer Erklärung zu berufen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Bei der Streitwertfestsetzung folgt der Senat der Vorinstanz (§§ 52, 47 GKG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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