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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 25.08.2008
Aktenzeichen: 4 B 1320/08
Rechtsgebiete: BauGB, BauNVO


Vorschriften:

BauGB § 31
BauGB § 34
BauNVO § 15
Nachbarschutz gegen Abweichungen von nicht nachbarschützenden Vorschriften eines Bebauungsplanes über das Maß der baulichen Nutzung bietet das drittschützende Rücksichtnahmegebot des § 31 Abs. 2 BauGB; im unbeplanten Innenbereich geht der Nachbarschutz nicht weiter als im beplanten Bereich.

Überschreitet ein Bauvorhaben im nicht beplanten Innenbereich im Maß der baulichen Nutzung den aus der Umgebung ableitbaren Rahmen, so kann es sich trotz der feststellbaren Nutzungsintensivierung in seine Umgebung einfügen, wenn es keine bodenrechtlichen Spannungen erzeugt und insbesondere gegenüber der Bebauung in seiner unmittelbaren Nähe die gebotene Rücksicht wahrt.


HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF BESCHLUSS

Az.: 4 B 1320/08

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Baurechts

hier: Nachbareilantrag gegen die Baugenehmigung für den Neubau eines Doppelhauses

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 4. Senat - durch

Vorsitzende Richterin am Hess. VGH Dr. Rudolph, Richter am Hess. VGH Dr. Dittmann, Richter am Hess. VGH Heuser

am 25. August 2008 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 30. Mai 2008 - 3 L 429/08.WI(2) - wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu je einem Drittel mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 11.250,-- € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragsteller wenden sich als Eigentümer der jeweils mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücke H-Straße 13a, E-Straße und C-Straße gegen zwei Baugenehmigungen, die die Beklagte dem Beigeladenen im Wege des vereinfachten Genehmigungsverfahrens nach § 57 HBO für die Errichtung eines Doppelhauses auf den Grundstücken H-Straße 15 und H-Straße 15 a erteilt hat. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 30. Mai 2008 abgelehnt. Hiergegen wenden sich die Antragsteller mit der Beschwerde.

II.

Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Die von den Antragstellern dargelegten Beschwerdegründe, auf deren Prüfung der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gemäß den §§ 80, 80 a VwGO gebotenen summarischen Prüfung verletzen die dem Beigeladenen erteilten Baugenehmigungen Nachbarrechte der Antragsteller nicht.

Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass sich die Bauvorhaben des Beigeladenen bauplanungsrechtlich nach § 34 BauGB beurteilen, weil sie im unbeplanten Innenbereich ausgeführt werden sollen. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht die hier allein relevanten Maßstäbe dieser Vorschrift, nämlich zum Maß der baulichen Nutzung, nicht abschließend geprüft, sondern mit der Begründung offengelassen hat, eine Verletzung des im Begriff des Einfügens aufgehenden Gebots der Rücksichtnahme sei nicht gegeben. Festsetzungen des Maßes der baulichen Nutzung oder der überbaubaren Grundstücksfläche haben in Plangebieten - anders als die Festsetzung der Art der baulichen Nutzung - nicht schlechthin nachbarschützende Wirkung, weil durch sie nach den in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Maßstäben die Planbetroffenen nicht in gleicher Weise wie durch Festsetzungen der Nutzungsart zu einer Schicksalsgemeinschaft verbunden werden. Das Bundesverwaltungsgericht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. Juni 1995 - 4 B 52/95 - NVwZ 1996, 170 <171>) geht davon aus, dass Abweichungen vom festgesetzten Maß der Nutzung in der Regel den Gebietscharakter nicht berühren und nur Auswirkungen auf das Baugrundstück und die unmittelbaren Nachbargrundstücke haben und insoweit das drittschützende Rücksichtnahmegebot dem Nachbarn ausreichenden Schutz bietet. Im unbeplanten Innenbereich geht der Nachbarschutz nicht weiter als im beplanten Bereich. Selbst bei einer durch die Verletzung von § 34 Abs. 1 BauGB vorliegenden objektiven Rechtswidrigkeit des Vorhabens wäre kein nachbarlicher Abwehranspruch der Antragsteller gegeben, weil es das Vorhaben des Beigeladenen nicht an der gebotenen Rücksicht auf die Bebauung der Antragsteller fehlen lässt. Nach der Rechtsprechung des Senats werden für die Gewährung von Drittschutz im unbeplanten Bereich folgende Anforderungen gestellt: Die schutzwürdige Position des Nachbarn im Rahmen des § 34 BauGB muss ein privates Interesse sein, das städtebaulich auch im Rahmen der Bauleitplanung beachtlich sein könnte. Sie muss ferner eine Position sein, die in einem vergleichbaren Planbereich durch eine Festsetzung eines Bebauungsplans oder die ergänzende Geltung des § 15 BauNVO ebenso geschützt werden könnte wie durch das Gebot der Rücksichtnahme im unbeplanten Bereich. Die Position muss schließlich so schutzwürdig sein, dass sie auch im Falle der Beplanung des betreffenden Gebiets mit einem Bebauungsplan bei rechtmäßiger Ausübung des planerischen Ermessens, nämlich bei sachgerechter Abwägung aller einschlägigen Belange sich im Ergebnis durchsetzen müsste, also nicht - oder in Sonderfällen jedenfalls nicht entschädigungslos -entzogen werden könnte (Beschluss des Senats vom 10. Juni 1997 - 4 TG 301/97 -).

Unter Berücksichtigung dieses Maßstabes ergibt sich hier, dass durch die geplante Wohnbebauung mit zwei Doppelhaushälften nebst Garagen die Wohnqualität der Grundstücke der Antragsteller in einem ruhigen, städtischen Wohngebiet merklich verändert wird. Denn die Bauvorhaben führen zu einer deutlichen Nachverdichtung in dem bisher großzügig bebauten Wohngebiet. Dementsprechend weisen die Antragsteller in der Beschwerde zutreffend darauf hin, dass die Bauvorhaben sich hinsichtlich der Grundflächenzahl und der Geschossflächenzahl nur deshalb rechnerisch innerhalb des aus der Umgebung ableitbaren Rahmens halten, weil dem Baugrundstück eine 34,58 m lange und 3,51 breite Grundstückszufahrt zugerechnet wird, die dementsprechend als Gartenfläche fehlt. Dies gilt umso mehr, als es sich bei dem Baugrundstück um die frühere Gartenfläche des Wohnhauses H-Straße 17 handelt. Die von dem Beigeladenen vorgesehene Bebauung führt zwar zu einer Verdichtung der Wohnbebauung, verstößt jedoch nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme, das Bestandteil des Einfügens im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB ist.

Der für die Anwendung des § 34 Abs. 1 und 2 BauGB maßgebende Bereich der näheren Umgebung ist von dem Verwaltungsgericht nicht näher bestimmt worden und lässt sich nach den vorliegenden Unterlagen auch nicht in jeder Hinsicht verlässlich abgrenzen. Zu der das Baugrundstück prägenden Umgebung gehört jedenfalls die Bebauung beiderseits der C-Straße sowie die Bebauung auf der Westseite der H-Straße (Nr. 5 bis Nr. 21). Ob die gegenüberliegende Bebauung der H-Straße ebenfalls durch das Baugrundstück geprägt wird und dieses umgekehrt prägt, ist ohne nähere Prüfung nicht zu entscheiden, wobei dem Umstand, dass es sich insoweit um beplante Grundstücke handeln soll, bei der Beurteilung nach § 34 BauGB in der Regel keine maßgebende Bedeutung zukommt.

Bei der Beurteilung, ob sich ein Vorhaben nach dem Maß der baulichen Nutzung im Rahmen der Umgebungsbebauung hält, ist mangels anderer allgemein anerkannter Anhaltspunkte auch auf die in der Baunutzungsverordnung verwandten Begriffsmerkmale zurückzugreifen. Sie sind als Auslegungshilfe heranzuziehen. Allerdings kommt es für das Einfügen nach dem Maß der baulichen Nutzung nicht auf die Feinheiten der Berechnungsregeln der Baunutzungsverordnung für die Geschossfläche an. Dementsprechend ist es bei einem Dachgeschossausbau unerheblich, ob der Ausbau nach landesrechtlichen Berechnungsregeln zu einem weiteren Vollgeschoss führt, ohne dass dies als solches von außen wahrnehmbar ist. Entscheidend ist allein, ob sich das Gebäude als solches in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt (BVerwG, Urteil vom 23. März 1994 - 4 C 18/92, BVerwGE 95, 277 <280>). Es kommt auf die von außen wahrnehmbare Erscheinung des Gebäudes im Verhältnis zu seiner Umgebungsbebauung und nicht auf das Ergebnis komplizierter Berechnungen an (BVerwG, Beschluss vom 21. Juni 1996 - 4 B 84/96 -, BRS 58 Nr. 83). Daher bieten sich nach der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die absolute Größe der Grundfläche, die Geschosszahl und absolute Höhe des Bauvorhabens in erster Linie als Bezugsgrößen zur Ermittlung des zulässigen Maßes der baulichen Nutzung an. Hinsichtlich der absoluten Größe der Grundfläche und hinsichtlich der Höhe halten sich die Bauvorhaben in dem aus der Umgebung ableitbaren Rahmen. Dies ziehen die Antragsteller nicht in Zweifel. Geht man zugunsten der Antragsteller davon aus, dass die teilweise dreigeschossige Bebauung östlich der H-Straße (Nr. 4 und Nr. 6) nicht mehr maßstabbildend für die Bauvorhaben wirkt, so spricht viel dafür, dass die Bauvorhaben insoweit den aus der Umgebung ableitbaren Rahmen mit drei Vollgeschossen überschreiten, da sich in der Umgebung westlich der H-Straße und an der C-Straße bislang lediglich Wohngebäude befinden, die allenfalls zwei Vollgeschosse mit einem ausgebautem Dachgeschoss oder zwei Vollgeschosse mit einem teilseitig hervortretenden Untergeschoss aufweisen. Wie oben dargelegt, kommt es bei der Einordnung dieser Gebäude mit hervortretenden Kellergeschossen oder mit ausgebauten Dachgeschossen nicht auf Feinheiten der landesrechtlichen Regelungen über die Geschossigkeit an, sondern auf die von außen wahrnehmbare Entscheidung der Gebäude im Verhältnis zur Umgebungsbebauung. In dieser Hinsicht erlauben die dem Senat vorliegenden Unterlagen keine abschließende Beurteilung, wie etwa die von der Beklagten herangezogenen Gebäude C-Straße 2 und H-Straße 5 einzuordnen sind. Geht man weiterhin zugunsten der Antragsteller davon aus, dass die genannten Gebäude nicht wie dreigeschossig wirken, so überschreiten die Bauvorhaben in dieser Hinsicht den aus der Umgebung ableitbaren Rahmen. Eine weitere Rahmenüberschreitung im Maß der baulichen Nutzung machen die Antragsteller selbst nicht geltend und liegt nach Lage der Akten auch nicht vor.

Die Bauvorhaben, die somit den aus der Umgebung ableitbaren Rahmen lediglich allenfalls hinsichtlich der Anzahl der Vollgeschosse geringfügig überschreiten, fügen sich trotz der feststellbaren Nutzungsintensivierung in ihre Umgebung ein, weil sie keine bodenrechtlichen Spannungen erzeugen und insbesondere gegenüber der Bebauung in ihrer unmittelbaren Nähe die gebotene Rücksicht wahren. Es handelt sich um eine nur maßvolle Steigerung des Maßes der baulichen Ausnutzung der Wohngrundstücke der nächsten Umgebung, die das Baugebiet nicht in Bewegung bringt und die im Zug eines sparsamen Umgangs mit Grund und Boden städtebaulich erwünscht sein kann. Die von den Antragstellern beklagte Bebauung der rückwärtigen Grünzone wird nicht erst durch die Bauvorhaben eingeleitet, sondern wird in dem von der C-Straße und H-Straße umschlossenen Baugebiet bereits durch das Wohnhaus der Antragstellerin zu 3) (H-Straße 13 a) sowie durch vier weitere Wohngebäude, die in zweiter oder sogar dritter Reihe stehen, verwirklicht. Eine nennenswerte zusätzliche negative Vorbildwirkung vermögen die Bauvorhaben daher nicht mehr zu entfalten, zumal sich im maßgeblichen Blockinnenbereich nur noch wenige verbliebene Freiflächen befinden. Da die Baugrundstücke über den o. g. nahezu 35 m langen Stichweg zur H-Straße hin erschlossen werden, werden die Antragsteller zu 1) und 2) von dem Zu- und Abfahrtsverkehr gar nicht betroffen. Die Antragstellerin zu 3) wird nur ganz geringfügig tangiert, da ihr Grundstück lediglich auf einer Strecke von wenigen Metern an den Stichweg angrenzt. Auch hinsichtlich der Gesichtspunkte der hinreichenden Belichtung, Besonnung und Belüftung wahrt das Bauvorhaben die bauplanungsrechtlich gebotene Rücksichtnahme. Dies ist nämlich im Regelfall bereits dann gewährleistet, wenn ein Vorhaben die nach Landesrecht zur Sicherung dieser Belange gebotene Abstandsfläche einhält (BVerwG, Urteil vom 11. Januar 1999 - 4 B 128.98 - BRS 62 Nr. 102). Aus den vorliegenden Bauvorlagen ist zu entnehmen, dass die Bauvorhaben die Abstandsvorschriften nicht nur einhalten, sondern insbesondere an ihrer Westseite einen größeren Grenzabstand wahren. Dementsprechend müssten im vorliegenden Verfahren besondere Umstände hinzutreten, die dazu führen könnten, dass die angegriffenen Vorhaben es an der gebotenen Rücksicht fehlen lassen (ebenso OVG Lüneburg, Beschluss vom 4. April 2005 - 1 LA 76/04 - NVwZ-RR 2005, S. 521 f.). Solche besonderen Umstände liegen hier jedoch nicht vor.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2 VwGO, 159 Satz 1 VwGO i. V. m. § 100 Abs 1 ZPO. Da der Beigeladene keinen Sachantrag gestellt hat und mithin kein Kostenrisiko eingegangen ist (§ 154 Abs. 3 VwGO), entspricht es nicht der Billigkeit, die ihm entstandenen Kosten den Antragstellern aufzuerlegen (§ 162 Abs. 3 VwGO).

Die Streitwertfestsetzung richtet sich nach der Bedeutung der Sache für die Antragsteller (§§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1, 47 Abs. 1 Satz 1 GKG) und folgt der Wertfestsetzung durch die erste Instanz.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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