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Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 28.01.2009
Aktenzeichen: 4 B 2166/08
Rechtsgebiete: BauGB, BauNVO, GG, HENatG, HV


Vorschriften:

BauGB § 35
BauNVO § 11
GG Art. 3 Abs. 1
HENatG § 12
HENatG § 19
HV Art. 1
Auch im Bereich der gebundenen Eingriffsverwaltung, in dem die Behörde an sich zum Eingriff verpflichtet ist, hat diese neben der Verpflichtung nach einfachem Gesetzesrecht auch den Gleichbehandlungsgrundsatz anzuwenden.

Die Behörde verletzt den Bürger in seinen Rechten, wenn sie nur in seinem Fall dem Gesetz Geltung verschafft und lediglich ihm gegenüber eine hoheitliche Maßnahme erlässt, während in anderen vergleichbaren Fällen ohne sachlichen Grund der behördliche Eingriff ausbleibt und dadurch höherrangiges Recht - der Gleichbehandlungsgrundsatz - missachtet wird. Dies schließt es nicht aus, dass auch ein zunächst isoliertes Vorgehen der Behörde nach Lage des Einzelfalls sachgerecht und willkürfrei erscheinen kann, wenn die Behörde nicht von sich aus einen Fall herausgreift, sondern ohnehin mit ihm befasst ist und auf die illegale Bautätigkeit zeitnah reagiert.

Aus dem verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz ergibt sich keine allgemein gültige zeitliche Grenze für ein unterschiedliches Vorgehen gegen baurechtswidrige Zustände.

Dies eröffnet der Aufsichtsbehörde aber in der Regel nicht die Möglichkeit, nur gegen neue Vorhaben einzuschreiten und bestehende Nutzungen bis zu deren (freiwilliger) Aufgabe zu dulden.


HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF

BESCHLUSS

4 B 2166/08

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Baurechts (hier: Beseitigungsverfügung betreffend drei Gartenhütten)

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 4. Senat - durch

Vorsitzende Richterin am Hess. VGH Dr. Rudolph, Richter am Hess. VGH Dr. Dittmann, Richter am Hess. VGH Heuser

am 28. Januar 2009 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 22. September 2008 - 4 L 2216/08.F(2) - mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung aufgehoben. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid vom 3. Juli 2008 wird wiederhergestellt.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird zugleich unter Abänderung der erstinstanzlichen Wertfestsetzung für beide Rechtszüge auf jeweils 6.910,-- € festgesetzt.

Gründe:

Die gemäß §§ 146 Abs. 1 und 4, 147 VwGO zulässige Beschwerde des Antragstellers ist auch begründet.

Die von dem Antragsteller dargelegten Gründe, auf die das Oberverwaltungsgericht gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO bei der Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung beschränkt ist, geben dem Senat Anlass, unter Abänderung des erstinstanzlichen Beschlusses die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den angegriffenen Bescheid der Antragsgegnerin vom 3. Juli 2008 wiederherzustellen, mit dem diese dem Antragsteller aufgegeben hat, drei Gartenhütten auf dem Grundstück in C-Stadt, X.-Y., Flur ... Flurstück ... zu beseitigen.

Die angegriffene Beseitigungsverfügung ist mit überwiegender Wahrscheinlichkeit rechtswidrig.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass der Beseitigungsverfügung liegen gemäß § 19 Abs. 1 HENatG i. V. m. § 12 Abs. 2 Nr. 1 HENatG allerdings vor. Denn es handelt es sich bei den drei nebeneinander gestellten Gartenhütten um ein nicht privilegiertes Außenbereichsvorhaben im Sinne des § 35 Abs. 1 BauGB, das baurechtlich genehmigungspflichtig, aber ungenehmigt ist und nicht gemäß § 35 Abs. 2 BauGB genehmigt werden kann, weil es öffentliche Belange beeinträchtigt. Eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange liegt gemäß § 35 Abs. 3 Nr. 1 BauGB deshalb vor, weil das Vorhaben den Darstellungen des Flächennutzungsplans widerspricht, der im hier maßgeblichen Bereich - entgegen der Meinung des Antragstellers - ein Sondergebiet gemäß § 11 BauNVO mit den Zweckbestimmungen Vereinsanlage und Sportanlage darstellt.

Trotz Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen für ein Einschreiten ist die Beseitigungsverfügung rechtswidrig, weil sie unter Verletzung des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 1 Hessische Verfassung) erlassen worden ist. Auch im Bereich der gebundenen Eingriffsverwaltung, in dem die Behörde an sich zum Eingriff verpflichtet ist, hat diese neben der Verpflichtung nach einfachem Gesetzesrecht auch den Gleichbehandlungsgrundsatz anzuwenden. Im Bereich der ordnungsbehördlichen Ermessensausübung hat der Gleichbehandlungsgrundsatz für die Frage, ob und wie gegen illegal errichtete bauliche Anlagen vorzugehen ist, einen hohen Stellenwert. Ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (Beschluss vom 12. Juli 1985 - 4 TH 530/85 - BRS 44 Nr. 198 m. w. N. und Urteil vom 4. März 1999 - 4 UE 3309/94 - BRS 62 Nr. 209) vor, wenn eine Behörde ohne erkennbaren Grund die Beseitigung nur einer oder weniger baulicher Anlagen fordert und gegen andere vergleichbare Vorhaben nicht einschreitet. Bei einer Vielzahl illegaler Bauwerke in einem bestimmten Gebiet im Außenbereich ist es notwendig, dass die Behörde planmäßig vorgeht und weder in ihrem Plan, noch bei seiner Ausführung willkürliche Ausnahmen macht. Gemäß Art. 20 Abs. 3 GG ist die vollziehende Gewalt an Gesetz und Recht, insbesondere auch an die Grundrechte gebunden. Der herkömmlich für die Eingriffsverwaltung geltende Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung hat insoweit Verfassungsrang. Für den Bereich der gesetzesakzessorischen Eingriffsverwaltung bedeutet dies, dass das Gebot der gleichen Rechtsanwendung durch das Gebot der richtigen und in Bezug auf vergleichbare Tatbestände vollständigen Rechtsanwendung erfüllt wird. In einem entsprechenden Fall handelt die Behörde daher rechtswidrig und verletzt den Bürger in seinen Rechten, wenn sie nur in seinem Fall dem Gesetz Geltung verschafft und lediglich ihm gegenüber eine hoheitliche Maßnahme erlässt, während in anderen vergleichbaren Fällen ohne sachlichen Grund der behördliche Eingriff ausbleibt und dadurch höherrangiges Recht - der Gleichbehandlungsgrundsatz - missachtet wird.

Die Anwendung des Gleichheitssatzes scheitert nicht an dem Grundsatz, dass es keinen Anspruch auf Beibehaltung rechtswidrigen Verwaltungshandelns gibt. Dieser Grundsatz bedeutet, dass rechtswidriges Verwaltungshandeln nicht verlangt werden kann. Dementsprechend besteht kein Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung, wenn die einfach - gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen, auch wenn in vergleichbaren Fällen die Behörde zu Unrecht eine Genehmigung erteilt hat; das Verfassungsrecht gebietet in einem solchen Fall keine Gleichbehandlung unter Verstoß gegen niederrangiges Recht. Eine Gleichbehandlung im Unrecht hätte in einem solchen Fall die rechtsstaatswidrige Folge, dass die Gesetzesbindung der Verwaltung bereichsweise durch rechtswidriges Verwaltungshandeln im Einzelfall aufgehoben würde.

Anders ist der Fall zu beurteilen, wenn die Verwaltung in die Rechte des Bürgers eingreift. Die Verfassung steht hier der einfachgesetzlich begründeten Verpflichtung der Behörde zum Tätigwerden nicht entgegen. Sie fordert lediglich eine gleichmäßige Handhabung. Der Betroffene kann sich also auch unter Berufung auf die Verfassung der Anwendung des einfachen Rechts grundsätzlich nicht entziehen. Er kann sich aber gegen ein Verwaltungshandeln wehren, das einfaches Recht beachtet, jedoch Verfassungsrecht missachtet. Solange die Behörde nicht unter Beachtung des Gleichheitsgrundsatzes einschreitet, ist jedes einseitige Vorgehen nach dem Gesetz diskriminierend und damit rechtswidrig. Ein solcher Eingriff kann abgewehrt werden. Zwar führt eine gerichtliche Aufhebung eines solchen wegen Verfassungsverstoßes rechtswidrigen Verwaltungsakts dazu, dass dann das einfache Gesetz in diesem Fall nicht vollzogen werden kann. Dieser Zustand ist jedoch verfassungsrechtlich hinnehmbar, denn er betrifft nur einen Einzelfall und ist vorläufiger Natur. Die Behörde bleibt nämlich von Verfassungs wegen und auch im Übrigen nach ihrem einfachgesetzlichen Auftrag verpflichtet, das Gesetz in allein vergleichbaren Fällen unverzüglich zur Anwendung zu bringen (Hess. VGH, Beschluss vom 12. Juli 1985 a. a. O.). Dies schließt es nicht aus, dass auch ein zunächst isoliertes Vorgehen der Behörde nach Lage des Einzelfalls sachgerecht und willkürfrei erscheinen kann, wenn die Behörde nicht von sich aus einen Fall herausgreift, sondern ohnehin mit ihm befasst ist und auf die illegale Bautätigkeit zeitnah reagiert (Hess. VGH, Urteil vom 4. Juli 1991 - 4 UE 721/87 - BRS 52 Nr. 221). Dementsprechend war es der Antragsgegnerin nicht verwehrt, das streitige Vorhaben des Antragstellers als erstes aufzugreifen, weil sie damit auf die nach dem Brand erfolgte Neuerrichtung der streitigen Hütten zeitnah reagiert hat. Im vorliegenden Fall spricht aber nach Lage der Akten viel dafür, dass die Antragsgegnerin nicht in allen vergleichbaren Fällen in gleicher Art und Weise verfährt und nicht konsequent und gleichmäßig anhand eines Konzepts die Beseitigung der Vielzahl der im maßgeblichen Gebiet vorhandenen illegalen Gebäude betreibt. So ist aus der vom Antragsteller am 29. Januar 2008 zu den Behördenakten gereichten Fotodokumentation zu ersehen, dass auf dem Flurstück ..., auf dem sich die streitgegenständlichen Hütten befinden, weitere, augenscheinlich neue Gebäude stehen (Bl. 47 Behördenakte), ohne dass die Antragsgegnerin dargelegt hätte, wann sie hiergegen einzuschreiten beabsichtigt. Entsprechendes gilt für mehrere Bauten auf dem sogenannten Delphin-Gelände (Bl. 51 f. Behördenakte). Von entscheidender Bedeutung ist aber, dass die Antragsgegnerin als Eigentümerin des benachbarten Flurstücks .../2 mit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts Marinekameradschaft C-Stadt und Umgebung von 1953 e. V. Admiral S. und Reservistenkameradschaft C-Stadt einen Mietvertrag geschlossen hat, in dem zwar vordergründig in § 3 der Rückbau der nicht genehmigten Baulichkeiten als gemeinsames Ziel der Vertragsparteien benannt wird. Eine konkrete Frist für den Rückbau wird jedoch nicht bestimmt, sondern vereinbart, dass dieser "unverzüglich nach Beendigung der Nutzung durch den bisherigen Nutzer" zu erfolgen hat. Da im Vertrag keine Begrenzung der Nutzungsdauer enthalten ist (lediglich die Überlassung einer Folgenutzung auch an Verwandte ist ausgeschlossen) bringt die Antragsgegnerin durch den Vertrag zum Ausdruck, dass sie bereit ist, die vorhandenen illegalen Nutzungen im Landschaftsschutzgebiet unter Umständen noch auf Jahrzehnte zu dulden. Hinzu kommt, dass die Antragsgegnerin in ihrer Antragserwiderung vor dem Verwaltungsgericht ihre Bereitschaft bekundet hat, auch mit zwei weiteren Vereinen bezüglich benachbarter Flächen gleichartige Vereinbarungen zu treffen. Eine derartige Verfahrensweise wird durch den von der Antragsgegnerin angeführten Personalmangel nicht gerechtfertigt. Denn ein solcher Personalmangel kann lediglich dazu führen, dass die Behörde nicht alle illegalen Bauten gleichzeitig aufgreift, sondern dies im Rahmen ihrer personellen Möglichkeiten nach und nach tut. Die Antragsgegnerin hat jedoch nicht dargetan, dass sie überhaupt gegen ein weiteres Vorhaben - außer dem hier streitigen - eingeschritten ist. Ein solches Vorgehen wäre nur dann hinzunehmen, wenn es sich um eine rechtlich komplexe Situation handeln würde, in der es sachlich gerechtfertigt wäre, in einem "Musterfall" eine grundsätzliche Klärung der Rechtsfrage herbeizuführen (BVerwG, Beschluss vom 19. Februar 1992 - 7 B 106/91 - NVwZ-RR 1992, 360). Hiervon kann in der vorliegenden Situation jedoch keine Rede sein. Aus dem verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz ergibt sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 18. April 1996 - 4 B 38/96 - BRS 58 Nr. 209) keine allgemein gültige zeitliche Grenze für ein unterschiedliches Vorgehen gegen baurechtswidrige Zustände. Dies eröffnet der Aufsichtsbehörde aber in der Regel nicht die Möglichkeit, nur gegen neue Vorhaben einzuschreiten und bestehende Nutzungen bis zu deren (freiwilliger) Aufgabe zu dulden. Vielmehr ist es erforderlich, dass die Behörde ein systematisches Konzept verwirklicht, das sicherstellt, dass andere Bauherren nicht besser gestellt werden als der Antragsteller.

Allein auf den Grundstücken, die im Eigentum der Antragstellerin stehen, sind mehr als 20 illegale Hütten vorhanden, wie sich aus den Lichtbildern in der Behördenakte entnehmen lässt. Es handelt sich mithin um Baulichkeiten, die nicht versteckt in der Landschaft stehen oder bei denen aufwendig der verantwortliche Grundstückseigentümer ermittelt werden müsste. Im Hinblick darauf, dass die Antragsgegnerin gemäß § 19 Abs. 1 HENatG verpflichtet ist, diese ungenehmigten Nutzungen im Landschaftsschutzgebiet "unverzüglich zu untersagen", stellt die im Mietvertrag mit der Marinekameradschaft und der Reservistenkameradschaft zum Ausdruck gekommene Bereitschaft der Antragstellerin diese Nutzungen des städtischen Grundstücks langfristig zu dulden, in einem unauflösbaren Widerspruch zu der streitigen sofort vollziehbaren Beseitigungsverfügung.

Im Hinblick darauf, dass die angefochtene Beseitigungsverfügung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit rechtswidrig ist, ergibt die vom Gericht nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung ein überwiegendes privates Interesse des Antragstellers, von einer sofortigen Vollziehung der Beseitigungsverfügung vorläuft verschont zu bleiben gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer sofortigen Vollziehung dieser Verfügung. Entsprechendes gilt für die Androhung der Ersatzvornahme.

Die Antragsgegnerin hat gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen.

Die Streitwertfestsetzung richtet sich nach der Bedeutung der Sache für den Antragsteller als Rechtsmittelführer (§§ 47, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 3 Nr. 1 GKG). Dabei bewertet der Senat abweichend von der erstinstanzlichen Festsetzung die Bedeutung der Beseitigungsverfügung für den Antragsteller mit dem Substanzwert der Gebäude, den der Senat mit einem Betrag von 100,-- € je m³ umbauten Raumes schätzt. Bei einem umbauten Raum von ca. 100 m³ ergibt sich somit ein Wert von 10.000,-- €. Hinzu kommt die Hälfte des veranschlagten Betrages der angedrohten Ersatzvornahme (3.000,-- €) sowie die festgesetzte Verwaltungsgebühr in Höhe von 820,-- €. Von der Summe (13.820,-- €) wird im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Hälfte in Ansatz gebracht. Die Befugnis zur Abänderung des erstinstanzlich festsetzten Streitwerts ergibt sich aus § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG.

Dieser Beschluss ist gemäß §§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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