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Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 12.03.2002
Aktenzeichen: 4 N 2171/96
Rechtsgebiete: VwGO, BauGB


Vorschriften:

VwGO § 47 Abs. 2
BauGB § 1 Abs. 6
BauGB § 215 a
Die VDI-Richtlinie 3471 ist eine brauchbare Orientierungshilfe zur Berechnung des Abstandes zwischen Tierhaltung und Wohnbebauung. Sie enthält in der Erkenntnis, dass sich Geruchsbelästigungen durch eine räumliche Trennung von Wohnbebauung und Tierhaltung vermeiden oder vermindern lassen, speziell für die besonders intensive Schweinehaltung in Abhängigkeit von der Bestandsgröße und weiteren Einflussfaktoren eine Abstandsregelung, die u. a. danach differenziert, ob eine Wohnbebauung in einem dörflich geprägten Gebiet, im Außenbereich oder in einem sonstigen Gebiet verwirklicht werden soll.

Eine Gemeinde löst die durch eine heranrückende Wohnbebauung entstehende Konfliktsituation zwischen Tierhaltung und Wohnbebauung nicht, sondern verkürzt die privaten Belange des Landwirts in nicht sachgerechter Weise, wenn sie sich über ein Gutachten, das einen bestimmten Mindestabstand fordert, mit dem Argument hinwegsetzt, dass bereits vorhandene Wohnbebauung näher zu dem landwirtschaftlichen Betrieb liege als das ausgewiesene Baugebiet.

Der Verzicht der Erwerber von Wohngrundstücken auf Abwehransprüche gegen Immissionen eines benachbarten landwirtschaftlichen Betriebes ist nicht geeignet, den Konflikt zwischen Landwirtschaft und Wohnbebauung zu bewältigen, weil die Unverträglichkeit der unterschiedlichen Nutzungen durch den Verzicht auf Abwehransprüche nicht behoben wird.

Zur Berücksichtigung betrieblicher Erweiterungsinteressen in der Abwägung.

Das ergänzende Verfahren nach § 215 a Abs. 1 BauGB darf nicht zu einem grundlegend anderen Bebauungsplan als dem zunächst beschlossenen führen. Deshalb muss es von vornherein ausscheiden, wenn der Mangel des Abwägungsvorgangs die Grundzüge der Planung berührt.


Hessischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes Urteil

4. Senat

Verkündet am 12. März 2002

4 N 2171/96

In dem Normenkontrollverfahren

wegen Überprüfung der Gültigkeit des Bebauungsplans Nr. 1.11 "Auf der langen Hohl"

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 4. Senat - durch

Richter am Hess. VGH Koch als Vorsitzenden, Richter am Hess. VGH Eisenberg, Richter am Hess. VGH Dr. Michel, Richter am Hess. VGH Schröder, Richter am Hess. VGH Mogk

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 12. März 2002 für Recht erkannt:

Tenor:

Der Bebauungsplan der Stadt Laubach Nr. 1.11 "Auf der langen Hohl" vom 16. November 1992 ist nichtig.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Das Urteil ist im Kostenausspruch vorläufig vollstreckbar. Die Antragsgegnerin darf die Vollstreckung jedoch durch Sicherheitsleistung in Höhe der vollstreckbaren Kosten abwenden, sofern nicht die Antragsteller vor der Vollstreckung in entsprechender Höhe Sicherheit leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Antragsteller wenden sich im Wege der Normenkontrolle gegen den Bebauungsplan Nr. 1.11 "Auf der langen Hohl" der Antragsgegnerin.

Die Antragsteller betreiben in Laubach einen landwirtschaftlichen Vollerwerbsbetrieb mit einer Gesamtfläche von 140 ha Land, von der ca. 30 ha Eigenland sind. Das Verhältnis zwischen Acker- und Grünland beträgt etwa 55 zu 45, die Milchquote 550.000 kg. Die Hofreite der Antragsteller befindet sich auf dem Grundstück Gemarkung Laubach, Flur .., Flurstück ....... (..................). Sie besteht aus dem Wohnhaus, einer Scheune, drei Ställen sowie einem Hoch- und einem Fahrsilo. In dem westlich gelegenen Stall ist Rindvieh, hauptsächlich Jungtiere, untergebracht. In einem zweiten Rinderstall hinter dem Wohnhaus werden ebenfalls überwiegend Jungtiere, gehalten. Zwischen dem Wohnhaus und dem westlich gelegenen Rinderstall befindet sich der Schweinestall mit 80 Mastplätzen auf Flüssigmistbasis. In nördlicher Richtung schließt sich an das Hofreitengrundstück - getrennt durch einen Weg - das den Antragstellern gehörende Flurstück 185 an. Auf diesem Grundstück haben die Antragsteller mit Baugenehmigung des Landkreises Gießen vom 18.03.1992 einen Liegenboxenstall mit Güllesilo für 62 Stück Rindvieh errichtet. Insgesamt halten die Antragsteller etwa 160 Stück Rindvieh. In westlicher Richtung schließt sich an die Hofreite der Antragsteller der Bauhof der Antragsgegnerin (........................) sowie Wohnbebauung an (..............). In östlicher Richtung folgen eine Gärtnerei mit Wohnhaus (....................) und ein weiteres Wohnhaus (..................). Das nördlich des Hofreitengrundstücks anschließende Flurstück 181/19 (.....................) ist mit einem Lebensmittelmarkt bebaut.

Der von den Antragstellern angefochtene Bebauungsplan setzt für einen Bereich, der sich südlich der Straße "Lange Hohl" gegenüber dem Grundstück der Antragsteller erstreckt, ein Mischgebiet fest.

Die Bauleitplanung für den von dem Bebauungsplan umfassten Bereich stellt sich wie folgt dar: Der Planbereich ist im Flächennutzungsplan der Antragsgegnerin als gemischte Bauflächen (M) dargestellt, ebenso die Fläche, auf der sich die Hofreite der Antragsteller befindet. Die Stadtverordnetenversammlung der Antragsgegnerin beschloss in ihrer Sitzung vom 16.04.1984 die Aufstellung des Bebauungsplans Nr. 1.11 "Auf der langen Hohl" in der Kernstadt Laubach. Mit dem Bebauungsplan sollte entsprechend den Darstellungen des Flächennutzungsplans, 2. Änderung ein Mischgebiet ausgewiesen werden. Nachdem die Stadtverordnetenversammlung der Antragsgegnerin zunächst die Einstellung dieses Bauleitplanverfahrens beschlossen hatte, beschloss sie am 18.06.1990, das Verfahren fortzusetzen und machte diesen Beschluss am 21.06. 1990 ortsüblich bekannt. Gleichzeitig machte sie bekannt, dass die frühzeitige Bürgerbeteiligung durch Offenlegung des Planentwurfs im Rathaus in der Zeit vom 02.07 bis einschließlich 03.08.1990 erfolge. Der Entwurf des Bebauungsplans lag in der Zeit vom 16.07. bis 24.08.1990 im Rathaus der Antragsgegnerin aus. Die öffentliche Auslegung war zuvor am 05.06.1990 öffentlich bekannt gemacht worden.

In seiner Stellungnahme vom 01.10.1990 zu dem Planentwurf machte das Amt für Landwirtschaft und Landentwicklung (ALL) Gießen unter anderem geltend, dass die Entwicklung des landwirtschaftlichen Betriebes des Antragstellers .................., der als ehemaliger Aussiedler von der Stadtgrenze eingeholt werde, gefährdet sei. Die Existenzbedingungen des Betriebes dürften keinesfalls beeinträchtigt werden. Diese Stellungnahme ergänzte das Amt mit Schreiben vom 05.10.1990 dahingehend, der Ortstermin der vorgesetzten Dienststelle vom 04.10.1990 habe ergeben, dass aus Emissionsgründen ein Mindestabstand von 100 m zwischen dem Stallgebäude auf dem Grundstück S. und der Wohnbebauung erforderlich sei. Bei Einhaltung dieses Abstandes würden die Existenzbedingungen des Betriebes gewahrt und seine Entwicklungsfähigkeit bleibe gewährleistet.

Mit Schreiben vom 20.08.1990 machte der Antragsteller ................................geltend, der von ihm bewirtschaftete landwirtschaftliche Betrieb sei mit ca. 80 Stück Rindvieh und ca. 80 Mastschweinen sehr viehstark ausgerichtet. Wegen der Nähe seines Betriebes zum vorgesehenen Baugebiet seien störende Lärm- und Geruchsemissionen auf die Bewohner und Besucher dieses Gebietes nicht auszuschließen. Die Antragsgegnerin solle dafür Sorge tragen, dass für den Betrieb keine Nachteile entstünden und darauf hinwirken, dass das geplante Gebiet nur als Mischgebiet ausgewiesen werde.

Die Stadtverordnetenversammlung der Antragsgegnerin beschloss am 12.12.1990 aufgrund der eingegangenen Stellungnahmen des Bebauungsplans Änderungen des Planentwurfs. Sie machte diesen Beschluss gleichzeitig mit der Offenlegung des geänderten Planentwurfs in der Zeit vom 02.01. bis 04.02.1991 im Rathaus der Antragsgegnerin am 20.12.1990 öffentlich bekannt.

Das ALL Gießen bekräftigte mit Schreiben vom 30.01.1991 seine Bedenken hinsichtlich des vorgesehenen Mindestabstandes zwischen dem landwirtschaftlichen Betrieb und der vorgesehenen Bebauung. Der Antragsteller ....................... erhob mit Schreiben vom 04.02.1991 weitere Bedenken gegen die vorgesehene Planung. Er machte geltend, der Mindestabstand von 100 m zwischen den Stallgebäuden seines landwirtschaftlichen Betriebes und der geplanten Wohnbebauung müsse eingehalten werden, damit die aus betriebswirtschaftlichen Gründen erforderliche Entwicklungsfähigkeit seines Betriebes möglich bleibe und die Existenzbedingungen des Betriebes nicht beeinträchtigt würden. Der vorgesehene Abstand zwischen seinem Betrieb und dem geplanten Mischgebiet von 35 m sei keinesfalls ausreichend. Die unvermeidlich auftretenden Emissionen, die von dem Gärfutterbehälter auf dem Flurstück 183/3 ausgingen, ließen sich nicht durch einen Gehölzsaum bzw. die vorhandene Böschung von dem geplanten Baugebiet fernhalten, zumal er, der Antragsteller, eine verstärkte Viehhaltung plane.

Mit Schreiben vom 25.03.1991 beauftragte die Antragsgegnerin Prof. Dr. Ing. S., Darmstadt, ein Gutachten zu erstellen, in dem die Emissionssituation für das Plangebiet durch den landwirtschaftlichen Betrieb des Antragstellers bewertet werden sollte. Der Sachverständige ermittelte in seinem Gutachten vom 10.05.1991 das Emissionspotential aus der VDI-Richtlinie 3471 Tierhaltung Schweine, wobei er das Potential in Großvieheinheiten (GV) ausdrückte, d. h. die Tierplätze wurden auf GV umgerechnet. Dabei setze er 1 GV Schwein = 4 GV Rind. Er errechnete bei einem Tierbestand von 33 Kühen auf Festmist und 50 Stück Nachzucht auf Festmist eine Summe von 74,6 GV : 4 = 18,7 GV Schweineäquivalent für die Ställe 1 und 2 und für Stall 3 mit 80 Schweineplätzen auf Spaltboden mit Flüssigmist nochmals 9,6 GV, zusammen 28,3 GV Schweine. Die Gesamtanlage bewertete er mit 100 Punkten und errechnete danach gemäß der Abstandsregelung von Bild 21 der VDI 3471 einen Richtlinienabstand von etwa 140 m. Der Sachverständige führte weiter aus, dass dieser Abstand gegenüber Wohn- und Mischgebieten eingehalten werden müsse. Vom Emissionsschwerpunkt, der in dem dem Gutachten beigefügten Plan eingezeichnet sei, erfasse ein Radius von 140 m etwa die halbe Bauplanung.

Die Stadtverordnetenversammlung der Antragsgegnerin beschloss in ihrer Sitzung vom 01.06.1992 Änderungen des bisherigen Planentwurfs. Der Geltungsbereich des Plans wurde dahingehend geändert, dass die Böschung vom Baugebiet zur Straße "Lange Hohl" davon erfasst wurde. Der private Pflanzstreifen zur Schottener Straße (L 3481), die geplante Parkanlage sowie die Böschung an der Straße "Lange Hohl" erhielten folgende textlichen Festsetzungen: "Flächen für Maßnahmen zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung von Natur und Landschaft (§ 5 Abs. 2 Nr. 10 und Abs. 4, § 9 Abs. 1 Nr. 20 und Abs. 6 BauGB)." Die Planänderung und die Offenlegung des Entwurfs in der Zeit vom 06.07. bis 14.08.1992 wurden am 25. Juni 1992 öffentlich bekannt gemacht.

Sowohl das ALL Gießen (Schreiben vom 09.07.1992) als auch der Antragsteller (Schreiben vom 13.08.1992) hielten ihre geltend gemachten Bedenken aufrecht.

Am 16.11.1992 beschloss die Stadtverordnetenversammlung der Antragsgegnerin den Bebauungsplan Nr. 1.11 "Auf der langen Hohl" in der Kernstadt Laubach als Satzung und teilte unter anderem dem Antragsteller ....................... und dem ALL Gießen mit, dass ihren Einwendungen nicht habe entsprochen werden können.

In der Begründung zum Bebauungsplan ist ausgeführt, der Plan enthalte gegenüber der vorangegangenen Fassung durch das Entfallen der Reithalle und die Absicht, ca. 50 Wohneinheiten für altengerechtes Wohnen herzustellen, einen anderen Inhalt. Das Gebiet im Nordwesten solle im Wesentlichen als Kleingartengebiet beibehalten werden.

Mit Verfügung vom 24.05.1993 teilte das Regierungspräsidium Gießen der Antragsgegnerin mit, die Durchführung des Anzeigeverfahrens (§ 11 Abs. 3 BauGB) könne gemäß § 12 BauGB bekannt gemacht werden.

Die Antragsgegnerin machte am 01.07.1993 die Durchführung des Anzeigeverfahrens öffentlich bekannt.

Am 29.05.1996 haben die Antragsteller Normenkontrollantrag gestellt. Sie sind der Auffassung, sie hätten durch das ausgewiesene Baugebiet schwere Nachteile für ihren landwirtschaftlichen Betrieb zu erwarten. Der Abstand zwischen dem ersten Rindviehstall und der vorgesehenen ersten Baureihe des Bebauungsplans betrage nur 35 m. Der Abstand zu den anderen Stallgebäuden sei nur wenig geringer. Von ihrem landwirtschaftlichen Betrieb gingen nicht zu vermeidende Lärm- und Geruchsemissionen aus. Das Baugebiet sei zwar als Mischgebiet ausgewiesen, es sei jedoch tatsächlich als Wohngebiet einzustufen. Die Antragsgegnerin habe hier eine falsche Bezeichnung vorgenommen. Wegen der von ihrem landwirtschaftlichen Betrieb ausgehenden Emissionen seien die zukünftigen Konflikte mit Bewohnern in dem neuen Baugebiet zu erwarten. Ihr Betrieb genieße Bestandsschutz. Die Antragsgegnerin habe sich über die von ihnen und dem ALL Gießen im Bauleitplanverfahren erhobenen Einwendungen, insbesondere über die Einhaltung eines Mindestabstandes der Bebauung von 100 m von ihrem landwirtschaftlichen Betrieb zu Unrecht hinweggesetzt. Das von der Antragsgegnerin selbst eingeholte Gutachten von Prof. Dr. Ing. S. komme zu dem Ergebnis, dass ein Richtlinienabstand von 140 m eingehalten werden müsse, damit es nicht zu Geruchsbelästigungen komme. Schließlich habe die Antragsgegnerin bei den Planfestsetzungen nicht die weiteren Entwicklungsmöglichkeiten und -chancen ihres Betriebes, für den die Nachfolge gesichert sei, berücksichtigt.

Die Antragsteller beantragen,

den Bebauungsplan Nr. 1.11 "Auf der langen Hohl" für nichtig zu erklären.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzuweisen.

Sie trägt vor, dass derzeit noch keine Bauanträge für das Baugebiet vorlägen und die Stadtverordnetenversammlung am 23.02.1994 die Durchführung eines Umlegungsverfahrens für den Bereich "Auf der langen Hohl" beschlossen habe. Erschließungsmaßnahmen würden erst nach Abschluss des Baulandumlegungsverfahrens durchgeführt werden. Sie meint, bei Einhaltung des vom ALL Gießen geforderten Mindestabstandes von 100 m zwischen dem Stallgebäude des Hofreitengrundstücks der Antragsteller und dem Baugebiet komme nur eine Teilnichtigkeit des Bebauungsplans in Betracht.

Zwei Ordner Verfahrensakten betreffend den Bebauungsplan Nr. 1.11 "Auf der langen Hohl", ein Ordner Verfahrensakten betreffend den Flächennutzungsplan der Antragsgegnerin sowie die Bauakten des Landkreises Gießen Nr. 1240/61; 814/64; 1271/68; 404/71; 982/73; 22/256/79; 9.1.881.601.1; 9.1.902.4; 9.1.912.587.1; A/0901/99/2408 betreffend Bauvorhaben auf den Grundstücken der Antragsteller Gemarkung Laubach, Flur 5, Flurstücke 183 und 185 waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Der Normenkontrollantrag ist statthaft. Die Antragsteller wenden sich gegen einen Bebauungsplan und damit gegen eine im Rang unter dem Landesgesetz stehende Rechtsvorschrift, deren Gültigkeit von dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof gemäß §§ 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO, 15 Abs. 1 HessAGVwGO überprüft werden kann.

Die Antragsteller sind auch antragsbefugt im Sinne des hier zur Anwendung kommenden § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO in der bis zum 31.12.1996 geltenden Fassung, der für Normenkontrollanträge gilt, die vor dem 01.01.1997 gestellt worden sind (BVerwG, Urteil vom 12.03.1998 - 4 CN 12.97 -, BauR 1998, 637). Danach ist jede natürliche oder juristische Person antragsbefugt, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung einen Nachteil erlitten oder in absehbarer Zeit zu erwarten hat. Nach feststehender höchstrichterlicher Rechtsprechung ist ein Nachteil gegeben, wenn der Antragsteller durch den angegriffenen Bebauungsplan oder dessen Anwendung in einem Interesse negativ getroffen wird, das im Rahmen der planerischen Abwägung gemäß § 1 Abs. 6 BauGB zu berücksichtigen war (grundlegend BVerwG, Beschluss vom 09.11.1979 - 4 N 1.78 u. a. -, BVerwGE 59, 87 <99 ff.>). Abwägungsrelevant kann nicht nur ein durch die Planung berührtes subjektives Recht, sondern auch jedes mehr als geringfügige private Interesse sein, soweit es schutzwürdig ist (BVerwG, Urteil vom 21.10.1999 - 4 CN 1.98 - BauR 2000, 848 <850>). Zu den abwägungserheblichen Belangen gehört auch das Interesse eines emittierenden landwirtschaftlichen Betriebes, dass in seiner unmittelbaren Nähe keine Wohnbebauung entsteht, bei deren Verwirklichung mit immissionsschutzrechtlichen Anordnungen gerechnet werden muss (vgl. Dürr, in Brügelmann, BauGB, Stand: Januar 1998, § 10 RN 572, Stichwort: Landwirt, m. w. N.).

In formeller Hinsicht begegnet der Bebauungsplan keinen Bedenken. Derartige Mängel sind weder geltend gemacht worden noch sonst ersichtlich.

Der angefochtene Bebauungsplan leidet jedoch an einem Abwägungsmangel. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der der Senat folgt, ist das Gebot gerechter Abwägung verletzt, wenn eine sachgerechte Abwägung überhaupt nicht stattfindet. Es ist ferner verletzt, wenn in die Abwägung nicht eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss, sowie ferner dann, wenn die Bedeutung der betroffenen privaten Belange verkannt oder der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten öffentlichen Belangen in einer Weise vorgenommen wird, der zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht (BVerwG, Urteil vom 12.12.1969 - 4 C 105.66 - BVerwGE 34, 301 <304 ff.>). Im vorliegenden Fall hat die Antragsgegnerin eine Abwägungsentscheidung getroffen und sie hat auch den der Abwägungsentscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt ausreichend ermittelt, indem sie ein Sachverständigengutachten zu der Frage eingeholt hat, welche Immissionen für das Plangebiet durch den landwirtschaftlichen Betrieb der Antragsteller zu erwarten seien. Sie hat jedoch die Bedeutung der privaten Belange der Antragsteller verkannt, indem sie sich ohne zureichenden Grund über die Empfehlungen des Sachverständigengutachtens hinweggesetzt hat. Der Sachverständige Prof. Dr. Ing. S. kommt in seinem Gutachten vom 10.06.1991 unter Anwendung der VDI-Richtlinie 3471 "Emissionsminderung Tierhaltung - Schweine" zu dem Ergebnis, dass ein Richtlinienabstand von ca. 140 m zwischen dem Stallgebäude und dem im Bebauungsplan festgesetzten Mischgebiet geboten sei. Die VDI-Richtlinie 3471 kann als brauchbare Orientierungshilfe herangezogen werden. Sie enthält in der Erkenntnis, dass sich Geruchsbelästigungen durch eine räumliche Trennung von Wohnbebauung und Tierhaltung vermeiden oder vermindern lassen, speziell für die besonders intensive Schweinehaltung in Abhängigkeit von Bestandsgröße und weiteren Einflussfaktoren eine Abstandsregelung, die u. a. danach differenziert, ob ein Wohnbauvorhaben in einem dörflich geprägten Gebiet, im Außenbereich oder in einem sonstigen Gebiet verwirklicht werden soll (BVerwG, Urteil vom 14.01.1993 - 4 C 19.90 -, BauR 1993, 445 <447>; BGH, Urteil vom 30.10.1998 - V ZR 64/98 -, NJW 1999, 356 ff.). Den Abständen der VDI-Richtlinie 3471 liegen die Geruchsschwellenabstände zugrunde, die aus Gründen der Vorsorge verdoppelt worden sind. Für das durch den Bebauungsplan festgesetzte Mischgebiet (MI) gemäß § 6 BauNVO hat das Sachverständigengutachten zutreffend einen Abstand von ca. 140 m zwischen der nächstgelegenen Stallanlage auf dem Grundstück der Antragsteller und dem festgesetzten Baugebiet ermittelt. Zu Unrecht hat sich die Antragsgegnerin über dieses Ergebnis mit der Begründung hinweggesetzt, dass die bereits vorhandene Wohnbebauung näher zu dem landwirtschaftlichen Betrieb liege als das ausgewiesene Baugebiet. Damit hat sie die durch den landwirtschaftlichen Betrieb und die heranrückende Wohnbebauung entstehende Konfliktsituation nicht gelöst, sondern die privaten Belange der Antragsteller in nicht sachgerechter Weise verkürzt. Das Gebot der Konfliktbewältigung richtet keine selbständige Planungsschranke auf, sondern ihm kommt vielmehr lediglich insofern Bedeutung zu, als ihm neben anderen Abwägungskriterien im Rahmen des § 1 Abs. 6 BauGB nach Maßgabe des Abwägungsgebots Rechnung zu tragen ist. Das im Abwägungsgebot enthaltene Gebot der Konfliktbewältigung ist erst dann verletzt, wenn dem Betroffenen dadurch, dass ein durch die Planung hervorgerufenes Probleme zu seinen Lasten ungelöst bleibt, ein nach Lage der Dinge unzumutbares Opfer abverlangt wird (BVerwG, Beschluss vom 01.09.1999 - 4 BN 25.99 -, BRS 62 Nr. 3). Dies ist hier der Fall. Die Eigentümer oder Mieter der in der Nähe des landwirtschaftlichen Betriebes der Antragsteller vorhandenen Wohnhäuser haben die den Antragstellern erteilten Baugenehmigungen für ihren landwirtschaftlichen Betrieb nicht angefochten, so dass der Betrieb Bestandsschutz genießt. Durch das Hinzutreten weiterer Wohnnutzungen in unmittelbarer Nähe des Betriebes der Antragsteller wird jedoch eine neue Konfliktsituation geschaffen, die die Antragsteller nicht hinzunehmen brauchen. Die Antragsgegnerin konnte sich zur Lösung dieser Konfliktsituation und für die Verkürzung des nach der VDI-Richtlinie 3471 vorgesehenen Mindestabstandes zwischen Stallgebäude und der festgesetzten Mischgebietsfläche nicht auf das Gutachten von Prof. Dr. Ing. S. stützen. In seiner zusammenfassenden Beurteilung führt der Sachverständige aus, dass die Festsetzung eines Mischgebiets nur dann realisierbar erscheine, wenn im Bereich der nördlichen Bebauungsreihe im Plangebiet sichergestellt sei, dass sich keiner der künftigen Bewohner wegen der jetzt vorhandenen nicht erheblich belästigenden, aber doch vorkommenden Geräusch- und Geruchsemissionen beschwere oder klage. Es stellt jedoch keine planerische Bewältigung einer Konfliktsituation dar, wenn sie einer privatrechtlichen Regelung überlassen wird. So wird allgemein der Verzicht der Erwerber von Wohngrundstücken im Plangebiet auf Abwehransprüche gegen Immissionen eines benachbarten landwirtschaftlichen Betriebes als nicht geeignet angesehen, den Konflikt zwischen Landwirtschaft und Wohnbebauung zu bewältigen, weil die Unverträglichkeit der unterschiedlichen Nutzungen durch den Verzicht auf Abwehransprüche nicht behoben wird (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 16.03.1995 - 3 TG 50/95 - HessVGRspr. 1996, 23 <24>; Bay. VGH, Urteil vom 11.07.1994 - 14 N 92.2397 -, BayVBl. 1995, 150 <156>; Krautzberger, in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 8. Aufl., § 1 RN 116).

Ein Abwägungsmangel ist jedoch nicht gegeben, soweit die Antragsteller geltend machen, die Antragsgegnerin habe ihre Interessen hinsichtlich einer Erweiterung des landwirtschaftlichen Betriebes unzutreffend abgewogen. Allerdings ist in die Abwägung als privater Belang nicht nur das Interesse eines Betriebsinhabers einzustellen, den vorhandenen Betrieb weiter zu nutzen, sondern auch ein betriebliches Erweiterungsinteresse (BVerwG, Urteil vom 05.11.1999 - 4 CN 3.99 -, BauR 2000, 689 <690>; OVG NW, Urteil vom 22.05.2000 - 10a D 139/98.NE - BRS 63 Nr. 9). Die Gemeinde braucht jedoch nicht jede künftige, noch ungewisse wesentliche Erweiterung in ihre Abwägung einzustellen. Damit sie die Erweiterungsabsichten hinsichtlich eines landwirtschaftlichen Betriebes in ihre Abwägung einstellen kann, bedarf es deren hinreichender Konkretisierung. Denn nur was für die planende Stelle bei der Entscheidung über den Plan als abwägungserheblich erkennbar ist, kann von ihr in die Abwägung eingestellt werden. Was sie nicht "sieht" und was sie nicht zu "sehen" braucht, kann von ihr und braucht von ihr bei der Abwägung nicht berücksichtigt zu werden. Die Antragsteller haben ihre Erweiterungsabsichten gegenüber der Antragsgegnerin nicht näher konkretisiert, sondern sich auf den allgemeinen Hinweis beschränkt, weitere Entwicklungsmöglichkeiten und -chancen für den Betrieb hätten von der Antragsgegnerin berücksichtigt werden müssen. Damit haben die Antragsteller die Antragsgegnerin mit unklaren Erweiterungsmöglichkeiten konfrontiert, mit denen sich die Antragsteller jede Möglichkeit offen halten wollten, ihre Grundstücke zu nutzen.

Der Abwägungsmangel, an dem die von der Gemeindevertretung der Antragsgegnerin getroffene Abwägungsentscheidung leidet, führt dazu, dass der angegriffene Bebauungsplan für nichtig zu erklären ist. Ein ergänzendes Verfahren nach § 215 a BauGB mit der Folge, dass die angegriffene Satzung bis zur Behebung des Mangels (nur) für nicht wirksam zu erklären wäre, ist nicht möglich. Das ergänzende Verfahren nach § 215 a Abs. 1 BauGB kann von einer Gemeinde zur Heilung von solchen materiellen Fehlern städtebaulicher Satzungen angewendet werden, die einerseits die Unbeachtlichkeitsschwelle der §§ 214 und 215 BauGB überschreiten, andererseits aber noch nicht eine solche Qualität erreichen, dass eine Heilungsmöglichkeit von vornherein ausscheiden muss. Das ergänzende Verfahren darf nicht zu einem grundlegend anderen Bebauungsplan als dem zunächst beschlossenen führen. Deshalb muss es von vornherein ausscheiden, wenn der Mangel des Abwägungsvorgangs die Grundzüge der Planung berührt. Einem ergänzenden Verfahren zugänglich sind hingegen beispielsweise kleinere Abwägungsfehler, die die Grundzüge der Planung unberührt lassen (Beschluss des Senats vom 17.06.1996 - 4 N 1045/97 -). Die auf dem Fehler der Nichtberücksichtigung der hier gebotenen Abstandsfläche von 140 m zwischen dem Stallgebäude des Betriebes der Antragsteller und der Mischgebietsfläche erfasst etwa die Hälfte der ausgewiesenen Mischgebietsfläche und ist daher für die Antragsgegnerin von derartiger Bedeutung, dass der dargestellte Mangel des Abwägungsvorgangs die Grundzüge der vorliegenden Planung betrifft. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass die gebotene Berücksichtigung des geforderten Mindestabstandes zu einer Aufgabe der Planungsabsichten der Antragsgegnerin an dieser Stelle führt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO sind nicht erfüllt.

Ende der Entscheidung

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