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Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 07.12.2000
Aktenzeichen: 4 UZ 3402/99
Rechtsgebiete: BauGB


Vorschriften:

BauGB § 35 Abs. 1 Nr. 4
Eine Tankstelle, die der überörtliche Verkehr einer Bundesstraße nur durch Nutzung bereits. bestehender Ausfahrten zu zwei Landesstraßen und einer Kreisstraße erreichen kann und die zusätzlich dem örtlichen Verkehr offen steht, kann wegen ihrer Zweckbestimmung nicht nur im Außenbereich, sondern auch in geeigneter Ortsrandlage untergebracht werden. Ein solches Vorhaben ist nicht privilegiert im Sinne von § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB.
Gründe:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das im Tenor dieses Beschlusses näher bezeichnete Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen ist gemäß § 124 Abs. 2 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Der Antrag ist aber nicht begründet. Die vom Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 3 und Nr. 4 sind nicht gegeben.

Das Vorbringen des Klägers rechtfertigt keine Zulassung auf der Grundlage des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine klärungsbedürftige Rechtsfrage aufwirft und zu erwarten ist, dass die Entscheidung im künftigen Berufungsverfahren dazu dienen kann, Sach- und Rechtsfragen zu klären und dadurch die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern. Diesen Anforderungen wird der Antrag des Klägers nicht gerecht. Die vom Kläger aufgeworfene Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Tankstelle, die den Verkehr an einer Bundesfernstraße bedienen soll, als gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 4 Fallgruppe 3 BauGB privilegiertes Vorhaben anzusehen ist, bezeichnet keine konkrete Rechtsfrage. Die vollständige Beantwortung der vom Kläger weit gefassten Frage wäre nur möglich, wenn das Gericht sich mit zahlreichen Einzelfragen auseinandersetzte, die sich aus der unterschiedlichen konkreten Lage, Situation oder Beschaffenheit aller möglichen denkbaren Bauvorhaben der vom Kläger genannten Art ergeben könnten. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern der vorliegende Einzelfall Gelegenheit bietet, über die konkret anstehende Subsumtion hinaus generell allgemeingültige Maßstäbe für die Beurteilung von Tankstellen an Bundesfernstraßen zu formulieren, die nicht schon ohne Weiteres aus dem Gesetz ableitbar wären. Ob das Bauvorhaben des Klägers als privilegiertes Vorhaben im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 4 Fallgruppe 3 BauGB anzusehen ist, ist eine Frage der Rechtsanwendung im Einzelfall. Der Kläger hat in diesem Zusammenhang nicht dargelegt, welche Rechtsfrage durch die konkrete Rechtsanwendung im Einzelfall generell geklärt werden kann.

Die weitere vom Kläger aufgeworfene Frage, ob § 35 Abs. 1 BauGB hinsichtlich der unter Nr. 4 aufgeführten Vorhaben eine Bedarfsprüfung gestattet oder erfordert, lässt sich anhand der gesetzlichen Regelung ohne Weiteres dahingehend beantworten, dass es entscheidend darauf ankommt, ob das jeweilige Vorhaben nach Lage der Dinge wegen seiner besonderen Zweckbestimmung sinnvoll, und zwar notwendigerweise nur im Außenbereich zu errichten ist (BVerwG, Urteil vom 14.05.1969 - IV C 19.68 - BRS 22 Nr. 68). Mithin ist eine überflüssige Inanspruchnahme des Außenbereichs unzulässig. Zur Klärung der Frage, ob die Errichtung und der Betrieb einer Tankstelle an einer Bundesfernstraße im Außenbereich überflüssig ist, kommt es nicht auf eine abstrakt-generelle Bedarfsprüfung, auch nicht auf eine Bedarfsprüfung im betriebswirtschaftlichen Sinn an, sondern darauf, ob und inwiefern das Vorhaben dem Interesse eines ungehinderten Verkehrsflusses auf der Bundesfernstraße im maßgeblichen Streckenabschnitt dient (ebenso die von den Beteiligten zitierte Rechtsprechung des Senats, Urteil vom 27.11.1970 - IV OE 55/69 - ESVGH 21, 116). Zu einer zusätzlichen oder weitergehenden Klärung bietet das vorliegende Verfahren keine Grundlage. Eine Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache ist daher ausgeschlossen.

Eine die Berufung eröffnende Divergenz im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO hat der Kläger ebenfalls nicht dargelegt, denn er hat keinen inhaltlich bestimmten, die Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benannt, mit dem das Verwaltungsgericht einem tragenden obergerichtlichen Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Der Kläger trägt in diesem Zusammenhang vor, eine Abweichung liege in Bezug auf das oben genannte Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 27.11.1970 - 4 OE 55/69 - vor. Im Gegensatz zu den Vorgaben im zitierten Urteil bestimme das erstinstanzliche Gericht den Bedarf für Tankstellen nicht räumlich in einer Zone von etwa 10 km, sondern stelle auf das Tankverhalten von LKW-Fahrern ab. Weiterhin habe das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung auf eine Einzelbetrachtung verschiedener Verkehrsströme abgestellt, während der Hessische Verwaltungsgerichtshof ausschließlich den Fernstraßenverkehr berücksichtigt habe. Schließlich habe das Verwaltungsgericht die Überlegung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs zur Funktion von Umgehungsstraßen und deren im Rahmen von § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB gebotene Absicherung negiert. Das Verwaltungsgericht habe eine Fahrstrecke von 500 m (von der Bundesstraße zur geplanten Tankstelle) und eine Fahrtstrecke von 5 km (zur nächsten Tankstelle in Kirchhain) gleich bewertet. Mit diesem Vorbringen macht der Kläger keine Divergenz im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO geltend. Von entscheidender Bedeutung ist in diesem Zusammenhang zunächst, dass die in dem zitierten Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs enthaltenen Ausführungen im Zusammenhang mit § 35 Abs. 1 Nr. 4 BBauG, auf die sich der Kläger bezieht, die Entscheidung nicht tragen. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat mit seiner Entscheidung vom 27.11.1970 der Klage auf Erteilung eines Bauvorbescheides für eine Tankstelle an einer Bundesfernstraße auch im Berufungsverfahren nämlich den Erfolg versagt, da dem Vorhaben öffentliche Belange entgegenstanden. Dass der Hessische Verwaltungsgerichtshof die Vorfrage der Privilegierung des Vorhabens nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BBauG für den damaligen Kläger zunächst günstig beantwortet hat, hat sich auf das Ergebnis der Sache nicht ausgewirkt. Hätte der Senat die Privilegierung verneint, so wäre die Berufung ebenfalls zurückzuweisen gewesen.

Eine Divergenz im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO liegt aber auch deshalb nicht vor, weil die drei vom Kläger geltend gemachten Abweichungen gar keine Rechtssätze betreffen, sondern die Rechtsanwendung im konkreten Einzelfall. Die Frage, ob Bedarf für eine Tankstelle bereits gegeben ist, wenn die nächste nahezu 10 km entfernt ist, ob bei einer "Bedarfsprüfung" Verkehrsströme einer oder mehrerer Straßen zu beurteilen sind und wie die räumliche Distanz von 500 m zwischen einer Bundesstraße und einer Tankstelle zu würdigen ist, betreffen keine Rechtssätze, sondern die Bewertung von Tatsachenfragen im Einzelfall, die je nach örtlicher Situation, technischer Entwicklung und geographischem Zusammenhängen jeweils unterschiedlich beantwortet werden können, ohne dass dies die Abweichung von einem früher aufgestellten Rechtssatz darstellen würde.

Auch die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO führen nicht zur Zulassung der Berufung. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend dargelegt, dass das Bauvorhaben nicht geeignet ist, den Verkehr auf der B 62 zu versorgen, weil es nicht direkt an dieser Straße liegt. Die Frage des "Bedarfs" kann daher im vorliegenden Fall offen bleiben. Mit dem die Privilegierung im Sinne von § 35 Abs. 1 BauGB selbständig in Frage stellenden und die Entscheidung des Verwaltungsgerichts selbständig tragenden Gesichtspunkt der fehlenden Eignung des Bauvorhabens zur Versorgung des Verkehrs auf der B 62 setzt sich der Kläger im Rahmen seiner Darlegungen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht auseinander. Im Argumentationszusammenhang der von ihm geltend gemachten Divergenz von einer Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs spricht der Kläger zwar die Entfernung der geplanten Tankstelle zur Bundesstraße und den seiner Meinung nach gleichwohl bestehenden "Effekt der Ortsumgehung Kirchhain über die B 62" an, legt aber nicht dar, dass das Bauvorhaben die eine Privilegierung im Sinne von § 35 Abs. 1 BauGB rechtfertigende Eignung zur Versorgung des Verkehrs auf der B 62 besitzt. Schon deshalb ist der Zulassungsantrag abzulehnen. Ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin: Für privilegierte Vorhaben gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB ist der Nachweis zu führen, dass sie der ihnen zugedachten Aufgabe nicht nur dienen, sondern zu ihrer Erfüllung erforderlich sind, aufgrund ihrer Zweckbestimmung, Funktion oder Auswirkungen auf den konkreten Standort im Außenbereich angewiesen sind, das heißt dort ihren natürlichen Standort besitzen und dort ausgeführt werden sollen (BVerwG, Urteil vom 07.05.1976, Buchholz 406.11 § 35 BBauG, Nr. 127). Tankstellen, die in diesem Sinn geeignet sind, im Interesse eines ungehinderten Verkehrsflusses im Außenbereich den Verkehr an Bundesfernstraßen zu versorgen, liegen unmittelbar an diesen Verkehrswegen. Sie können in der Regel über gesonderte Ausfahrten angefahren werden und nach dem Tankvorgang können sich die Fahrzeuge in der Regel über eine besondere Einfädelspur in den Verkehr auf der Fernstraße eingliedern. Der Tankverkehr wird mithin in der Regel kreuzungsfrei abgewickelt. Tankstellen, die geeignet sind, im Interesse eines ungehinderten Verkehrsflusses den Verkehr an Bundesfernstraßen zu versorgen, werden im Interesse der Leichtigkeit und Sicherheit des Straßenverkehrs nicht im Bereich von Anschlussstellen errichtet. Dementsprechend dürfen diese Tankstellen regelmäßig nicht vom örtlichen Verkehr angefahren werden. Das Bauvorhaben ist dagegen - wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - von der B 62 aus nur über die L 3048 und die K 30 erreichbar. Der Tankverkehr wird nicht über gesonderte Ausfahrten und Einfädelspuren abgewickelt, sondern muss dieselben Ein- und Ausfahrten benutzen, wie der Verkehr von der L 3073, L 3048 und der K 30. Überdies muss der Tankverkehr je nach Fahrtrichtung eine oder zwei Kreuzungen überwinden, um zur Tankstelle zu gelangen. Überdies ist das Bauvorhaben, das an der K 30 liegen soll, nicht auf die Versorgung des Verkehrs auf der B 62 spezialisiert, sondern steht uneingeschränkt auch dem örtlichen Verkehr offen. Eine Tankstelle, die der überörtliche Verkehr einer Bundesfernstraße nur durch Nutzung bereits bestehender Ausfahrten zu zwei Landesstraßen und einer Kreisstraße und nur durch Überqueren von ein oder zwei Kreuzungen erreichen kann und die zusätzlich dem örtlichen Verkehr offen steht, kann wegen ihrer Zweckbestimmung "hier und so" nicht nur im Außenbereich, sondern auch in geeigneter Ortsrandlage untergebracht werden. Ein solches Vorhaben ist nicht privilegiert im Sinne von § 35 Abs. 1 BauGB (vgl. auch den Beschluss des BVerwG vom 06.09.1999 - 4 B 74.99 - NVwZ 2000, S. 678 f., in dem ausgeführt ist, dass die Funktion einer Gaststätte als Versorgungsstützpunkt für Skiläufer und Wanderer es nach den Umständen des Einzelfalls mit sich bringen kann, dass der Betrieb auch in jahreszeitlicher Hinsicht in der Baugenehmigung eingeschränkt wird, um ein Überschreiten dieser Funktion und damit zugleich des Rahmens der privilegierten Zulässigkeit der Anlage im Außenbereich zu vermeiden).

Im Hinblick darauf, dass der Antrag einstimmig abgelehnt wird, sieht der Senat von einer weiteren Begründung ab, § 124a Abs. 2 Satz 2 VwGO.

Der Kläger hat gemäß § 154 Abs. 2 VwGO die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Die Billigkeit gebietet es nicht, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen gemäß § 162 Abs. 3 VwGO für erstattungsfähig zu erklären, zumal diese keinen Antrag gestellt und damit gemäß § 154 Abs. 3 VwGO kein Kostenrisiko auf sich genommen haben.

Die Festsetzung des Streitwertes richtet sich nach der Bedeutung der Sache für den Kläger (§§ 13 Abs. 1, 14 und 25 Abs. 1 GKG).

Der Senat legt im Fall einer Bauvoranfrage für ein Außenbereichsgrundstück das im Vordergrund stehende wirtschaftliche Interesse des Bauherrn an der Bodenwertsteigerung der Streitwertfestsetzung zugrunde. Im vorliegenden Fall bewertet der Senat die Bodenwertsteigerung für das ca. 3.000 qm große Baugrundstück mit 100.000,-- DM.

Die Befugnis zur Abänderung der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung beruht auf § 25 Abs. 2 Satz 2 GKG.

Hinweis: Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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