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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 28.11.2007
Aktenzeichen: 5 TG 1044/07
Rechtsgebiete: WVG


Vorschriften:

WVG § 6 Abs. 2 Nr. 6
WVG § 28
WVG § 30
Ändert sich Satzungsrecht zu einem Zeitpunkt, in dem in einem verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren die Begründungsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO bereits abgelaufen ist, hat das Beschwerdegericht diese Änderung in seine Prüfung einzubeziehen.

Regelt ein Wasser- und Bodenverband in seiner Verbandssatzung die Grundsätze der Beitragsbemessung und behält er die Konkretisierung dieser Grundsätze einer durch die Verbandsversammlung zu beschließenden Beitragsordnung vor, so bedarf auch die Beitragsordnung als abstrakt-generelle Regelung zu ihrer Wirksamkeit der öffentlichen Bekanntmachung.


HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF BESCHLUSS

5 TG 1044/07

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Verbandsbeiträgen

hier: Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 5. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Dr. Lohmann, Richter am Hess. VGH Dr. Apell, Richter am Hess. VGH Schneider

am 28. November 2007

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen vom 2. Mai 2007 - 8 G 524/07 - wird abgelehnt.

Der Antragsgegner hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdeverfahren wird auf 265,42 € festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen vom 2. Mai 2007 ist zulässig, aber nicht begründet.

Das Verwaltungsgericht hat die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 11. Januar 2006 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 29. Dezember 2005 angeordnet und zur Begründung ausgeführt, der Beitragserhebung fehle es an einer den Anforderungen des § 6 Abs. 2 Nr. 6 Wasserverbandsgesetz - WVG - entsprechenden satzungsrechtlichen Grundlage. Die Regelung des § 30 der Verbandssatzung erschöpfe sich in einer bloßen Wiederholung des Gesetzeswortlauts des § 30 WVG. Eine solche Wiederholung der gesetzlichen Vorgaben sei aber keine hinreichende Bestimmung der "Grundsätze der Beitragsbemessung", da andernfalls die ausdrückliche Anordnung des § 6 Abs. 2 Nr. 6 WVG ihren Sinn verlöre. Ungeachtet dessen bestünden ernstliche Zweifel an der Beitragserhebung auch im Hinblick auf den gewählten Flächenmaßstab.

Zur Begründung der gegen diesen Beschluss erhobenen Beschwerde führt der Bevollmächtigte des Antragsgegners aus, § 28 Abs. 1 der Verbandssatzung regele über den Wortlaut des § 28 Abs. 1 WVG hinaus, dass Beiträge zu leisten seien, "die zur Erfüllung seiner Aufgaben und Verbindlichkeiten und zu einer ordentlichen Wirtschaftsführung erforderlich sind". Zudem sehe § 30 Nr. 2 Verbandssatzung vor, dass die Höhe und der Zeitraum der von den Mitgliedern zu zahlenden Beiträge und Kosten in der Beitrags- und Kostenordnung im Einzelnen festgelegt würden. Diese Aufgabe sei gemäß § 9 Nr. 6 der Verbandssatzung der Verbandsversammlung zugewiesen und stelle eine wesentliche Entscheidung der Verbandsselbstverwaltung dar. Die Satzung bilde daher gemeinsam mit dem Beschluss der Verbandsversammlung sowie der Beitragsordnung eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Beitragserhebung. Bezüglich des gewählten Flächenmaßstabes sei darauf hinzuweisen, dass die von den einzelnen Mitgliedern gemeldeten Mitgliedsflächen als einheitlich anzusehen seien. Der Verband diene der Bewirtschaftung der von den Mitgliedern genutzten landwirtschaftlichen Flächen durch Maschinenbereitstellung und Dienstleistungen, so dass die gleichmäßige Bewertung der Grundstücke im Hinblick auf die Beachtung des Gleichheitsgrundsatzes nach Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu beanstanden sei. Nach Ablauf der Begründungsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - hat der Antragsgegner am 2. Juli 2007 eine neue Satzung des Wasser- und Bodenverbandes "Lahn-Dill und Umgebung" rückwirkend zum 1. Januar 2005 in Kraft gesetzt.

Auch unter Berücksichtigung der Verbandssatzung vom 2. Juli 2007 hat die Beschwerde des Antragsgegners keinen Erfolg. Der Senat ist zunächst nicht gehindert, die rückwirkend zum 1. Januar 2005 in Kraft gesetzte Verbandssatzung des Antragsgegners vom 2. Juli 2007 in seine Prüfung einzubeziehen, obwohl diese Änderung der Rechtslage erst nach Ablauf der Monatsfrist des § 146 Abs. 4 S. 1 VwGO eingetreten ist. In Fällen, in denen zum einen der Beschwerdeführer diesen Beschwerdegrund noch nicht innerhalb der Begründungsfrist vortragen konnte, zum anderen aber das der Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu Grunde liegende Satzungsrecht (rückwirkend) ersetzt worden ist, gebietet es der Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes, den Prüfungsumfang des Oberverwaltungsgerichts - hier des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs - entsprechend auszudehnen. Unabdingbar ist die Berücksichtigung einer nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist eingetretenen Veränderung der Sach- oder Rechtslage auf jeden Fall, wenn die angefochtene Entscheidung aufgrund dieser Veränderung nunmehr offensichtlich unrichtig ist (vergleiche dazu Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 15. Auflage 2007, § 146 Rn. 43). Verfahrensökonomisch nicht vertretbar wäre es, den Beschwerdeführer mit diesen Einwendungen - nach einer inhaltlichen Befassung durch den Senat - auf den Weg des § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO zu verweisen, wenn die Prüfung des Senats auch unter Berücksichtigung des neuen Satzungsrechts nicht zu dem Ergebnis einer (offensichtlichen) Unrichtigkeit der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung führt.

Dem angefochtenen Beitragsbescheid des Antragsgegners fehlt es nach wie vor an einer hinreichend bestimmten (satzungsrechtlichen) Grundlage. Gemäß §§ 28 Abs. 1, 30 WVG sind die Verbandsmitglieder verpflichtet, dem Verband Beiträge zu leisten, soweit dies zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich ist. Die Beiträge bemessen sich grundsätzlich nach dem Vorteil, den die Mitglieder/Nutznießer von der Aufgabe des Verbandes haben, sowie nach den Kosten, die der Verband auf sich nimmt, um die ihm obliegenden Leistungen zu erbringen. Die Rechtsverhältnisse des Verbandes und die Rechtsbeziehungen zu den Mitgliedern werden durch eine Satzung geregelt, die im Hinblick auf die Beitragserhebung mindestens Bestimmungen über die Grundsätze für die Beitragsbemessung enthalten muss (§ 6 Abs. 2 Nr. 6 WVG). Diesen Anforderungen entspricht § 8 der Verbandssatzung vom 2. Juli 2007 - VS -, der den Mitgliedern Nutzungs- und Mitgliedsbeiträge auferlegt, die zur Erfüllung der Aufgaben und Verbindlichkeiten des Verbandes und zu einer ordentlichen Haushaltsführung erforderlich sind. § 8 Abs. 3 Sätze 3 bis 9 VS eröffnet die Möglichkeit der Erhebung von Kopfbeiträgen, von Flächenbeiträgen, von umsatzorientierten Beiträgen und von umsatzgestaffelten Stufentarifen. Die Regelung von Beitragsgrundsätzen allein genügt im Hinblick auf den Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes jedoch nicht, um die Anforderungen an eine Ermächtigungsgrundlage für die einzelfallbezogene Beitragserhebung durch Verwaltungsakt zu erfüllen, insbesondere reicht zur Konkretisierung dieser Bemessungsgrundsätze nicht ein schlichter Verbandsbeschluss aus (vgl. dazu Löwer in: Achterberg/Püttner/-Würtenberger, Besonderes Verwaltungsrecht, Band 1, Wasserverbandsrecht, Rn. 115 f.). Da der Verband in seiner Eigenschaft als staatliches Organ bei allen Maßnahmen im Zusammenhang mit der Finanzierung durch Beiträge gegenüber seinen Mitgliedern Hoheitsgewalt ausgeübt (vgl. dazu Rapsch, Wasserverbandsrecht, Rn. 244), müssen die Rechtsgrundlagen den Bestimmtheitsanforderungen genügen. Dem trägt die Verbandssatzung insoweit Rechnung, als sie in § 8 Abs. 1 Satz 2 vorschreibt, dass das Nähere - also die Konkretisierung der Bemessungsgrundsätze - jeweils die gültige Beitragsordnung regelt. Für eine derartige abstrakt-generelle Regelung gilt - wie für jede geschriebene Rechtsnorm - der Rechtsgrundsatz, dass sie zu ihrer Wirksamkeit der Verkündung /Bekanntmachung bedarf. Diesem rechtsstaatlich zwingenden Erfordernis ist Genüge getan, wenn jedermann in der Lage ist, sich über Wortlaut und Inhalt des verbandsautonom gesetzten Rechts an allgemein zugänglicher Stelle unterrichten zu können (vgl. Rapsch, a. a. O., Rn. 391). Bei der von der Verbandsversammlung des Antragsgegners beschlossenen Beitrags- und Gebührenordnung 2005 ist das nicht beachtet worden, denn sie wurde nicht nach der Bekanntmachungsregelung des § 33 Abs. 1 VS öffentlich bekannt gemacht.

Ohne dass es für die Entscheidung darauf ankommt, hegt der Senat darüber hinaus Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Beitrags- und Gebührenordnung, da die Verbandsversammlung diese erst am Ende des Jahres ihrer Gültigkeit erlassen hat. Insoweit stellt sich die Frage, ob die Beiträge und Gebühren rückwirkend mit Geltung ab Beginn des Jahres festgesetzt werden können. Im Übrigen ist es ausgeschlossen, die festgesetzten Beiträge - wie es die Beitragsordnung vorsieht - bereits "im ersten Quartal" des Jahres zu erheben, wenn die Ordnung selbst erst gegen Ende des Jahres erlassen wird.

Gemäß § 154 Abs. 1 VwGO hat der Antragsgegner die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf den §§ 52 Abs. 3, 47, 53 Abs. 3 Nr. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 4 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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