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Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 21.12.2006
Aktenzeichen: 5 TG 2329/06
Rechtsgebiete: KAG
Vorschriften:
KAG § 11 Abs. 1 | |
KAG § 11 Abs. 3 |
HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF BESCHLUSS
In dem Verwaltungsstreitverfahren
wegen Heranziehung zu einem Straßenbeitrag;
hier: Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung
hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 5. Senat - durch
Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Dr. Lohmann, Richter am Hess. VGH Dr. Apell, Richter am Hess. VGH Schneider
am 21. Dezember 2006
beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 5. September 2006 - 1 G 880/06 - geändert.
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Vorausleistungsbescheid der Antragsgegnerin vom 11. Oktober 2005 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.481,36 € festgesetzt.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Verwaltungsgericht den Antrag der Antragstellerin, gem. § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Heranziehung zu Vorausleistungen in Höhe von 9.925,44 € auf den Straßenbeitrag für den Um- und Ausbau des A-wegs im Baugebiet C des Ortsteils Hallgarten der Antragsgegnerin anzuordnen, abgelehnt. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig und muss auch in der Sache Erfolg haben. Das Verwaltungsgericht hätte dem Aussetzungsantrag stattgeben müssen, denn an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Heranziehung bestehen nach Maßgabe der von der Antragstellerin dargelegten Gründe, auf die sich die Prüfung des Verwaltungsgerichtshofs im Beschwerdeverfahren zu beschränken hat (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), ernstliche Zweifel, die es nach der im gerichtlichen Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO entsprechend anzuwendenden Vorschrift des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO gebieten, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anzuordnen.
Das Verwaltungsgericht hat das Vorliegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit der streitigen Erhebung von Vorausleistungen verneint und dies damit begründet, dass die objektive Verbesserung, auf die es bei jeder straßenbeitragsfähigen Maßnahme ankomme, im vorliegenden Fall darin zu sehen sei, dass der A-weg einen nach heutigem Stand "frostsicheren Fahrbahnaufbau" erhalten habe. Der "bessere Unterbau" wirke sich positiv auf die Benutzbarkeit der Straße aus und rechtfertige somit die Beitragserhebung.
Soweit das Verwaltungsgericht damit die Möglichkeit der Erhebung von Beiträgen für einen Um- und Ausbau von Straßen gem. § 11 Abs. 1 und 3 des Gesetzes über kommunale Abgaben in Hessen (KAG) auf den Fall der verbessernden Änderung einer Verkehrsanlage beschränkt und die lediglich wiederherstellende - schlichte - Erneuerung einer nach Ablauf der üblichen Lebensdauer umfassend abgenutzten Verkehrsanlage unberücksichtigt lässt, ist das von vorneherein ein zu enger Ansatz, der dem System der Beitragstatbestände nicht gerecht wird. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist bei einem Um- und Ausbau von Straßen beitragstatbestandlich zwischen der schlichten - nicht verändernden - Erneuerung abgenutzter Straßen und einem verändernden Um- und Ausbau mit dem Ziel der verkehrstechnischen Verbesserung zu unterscheiden. So heißt es z. B. in dem Urteil des Senats vom 30. Januar 1991 - 5 UE 2831/88 - NVwZ-RR 1992, 100 = GemHH 1992, 204 = HSGZ 1992, 39):
"In Hessen hat das Merkmal der Verbesserung die Bedeutung einer vom Gesetz vorausgesetzten - ungeschriebenen - qualitativen Anforderung bei der Beitragserhebung für Um- und Ausbaumaßnahmen, durch die die Verkehrsanlage, verglichen mit ihrem ursprünglichen Zustand, baulich verändert - umgestaltet oder erweitert - wird. Das ungeschriebene Merkmal der Verbesserung stellt sicher, dass nur solche verändernden Baumaßnahmen die Beitragspflicht begründen können, von denen ein positiver Effekt für die Benutzbarkeit der Verkehrsanlage ausgeht (in diesem Sinne, bezogen auf den Fall der baulichen Umgestaltung einer Straße zur Fußgängerzone, erstmals: Senatsurteil vom 31. Mai 1979 - V OE 19/78 - ESVGH 29, 238 = HSGZ 1980, 22). Zu unterscheiden ist hiervon der Fall des Umbaus in der Erscheinungsform der schlichten Erneuerung, bei dem ohne wesentliche bauliche Änderung oder Umgestaltung des ursprünglichen Zustandes lediglich der alte abgenutzte Straßenbestand - soweit noch vorhanden - weggeräumt und durch neuwertigen Bestand ersetzt wird. Hier besteht der die Beitragserhebung rechtfertigende positive Effekt in der Wiederherstellung der Neuwertigkeit der Straßenanlage. Die Beitragserhebung für eine derartige Erneuerung erfordert keine über die Wiederherstellung der Neuwertigkeit hinausgehende Verbesserung, setzt jedoch - im Unterschied zu verbessernden Um- und Ausbaumaßnahmen - die grundlegende Erneuerungsbedürftigkeit der Verkehrsanlage und den Ablauf einer der normalen Nutzungsdauer entsprechenden Zeitspanne voraus (vgl. OVG Münster, Urteil vom 21. April 1975 - 2 A 1112/72 - KStZ 1976, 16, Urteil vom 3. September 1980 - 2 A 698/79 - KStZ 1981, 72, 74; OVG Koblenz, Urteil vom 11. Dezember 1980 - VI A 19/78 - KStZ 1981, 233; VG Kassel, Urteil vom 4. Februar 1977 - II E 390/75 - HSGZ 1977, 71). Den Gesetzesmaterialien zum hessischen Kommunalabgabengesetz ist zu entnehmen, dass mit der von der Formulierung der Beitragstatbestände in §11 Abs. 1 KAG abweichenden Formulierung in § 11 Abs. 3 KAG ("Um- und Ausbau von Straßen, Wegen und Plätzen, der über die Straßenunterhaltung und die Straßeninstandsetzung hinausgeht") nicht etwa beabsichtigt war, die grundlegende schlichte Erneuerung als Beitragstatbestand bei Verkehrsanlagen auszuklammern, es sollte hiermit vielmehr nur die Beitragsfreiheit bloßer Unterhaltungs- und Instandsetzungsarbeiten klargestellt werden (vgl. etwa LT-Drs. Nr. 2654/VI, sowie die zweite Lesung des Gesetzesentwurfs, LT-Protokoll Nr. 67/VI, S. 3479)."
Bei summarischer Überprüfung, wie sie im Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO nur möglich ist, lässt sich die streitige Beitragserhebung weder auf eine abnutzungsbedingte schlichte Erneuerung noch auf eine verbessernde Veränderung der Verkehrsanlage stützen, denn es fehlt an der Erfüllung der Merkmale, von denen bei dem jeweiligen Beitragstatbestand die Beitragsfähigkeit der Straßenbaumaßnahme abhängt.
So ist zum einen nicht erkennbar, dass der A-weg, für den die Antragsgegnerin die hier streitige Vorausleistung erhebt, nach jahrzehntelanger bestimmungsgemäßer Nutzung tatsächlich so abgenutzt war, dass er im Sinne des Beitragstatbestandes der schlichten Erneuerung als grundlegend erneuerungsbedürftig angesehen werden konnte. Auf den von der Antragsgegnerin vorgelegten Fotos vom A-weg v o r seinem Ausbau präsentiert sich die Straße mit einem insgesamt intakten Oberflächenbelag ohne sichtbare Schäden. Während die den Untersuchungsberichten des Ingenieurbüros Simon und Partner beigefügten Fotos von den anderen Straßen im Wohngebiet C (B-weg, D-weg, Am E-berg) zum Teil gravierende Straßenschäden wie Risse, Ausbrüche, Setzungen, lose Rinnenplatten, Substanzverlust, Verformungen, Schlaglochbildung sowie Flickstellen mit Rissbildung zeigen, ist derartiges beim A-weg nicht festzustellen. Soweit auch hier - im Bereich des Wendehammers - Reparaturstellen zu sehen sind, handelt es sich augenscheinlich um im Zuge der Straßenwiederherstellung nach Leitungsverlegung sauber eingefügte Asphaltstreifen, die - jedenfalls in diesem Zustand - nicht den Eindruck grundlegender Schadhaftigkeit und Erneuerungsbedürftigkeit der Anlage vermitteln. Die Antragstellerin weist ausdrücklich darauf hin, dass der von ihr beauftragte Sachverständige Schäden am A-weg nicht festgestellt und deshalb bei dieser Straße auch keine Bilder zur Dokumentation von Schadensstellen gefertigt hat. Dass der A-weg vor seinem Ausbau einen deutlich besseren Erhaltungszustand aufwies als die anderen Straßen im Baugebiet C, lässt sich nachvollziehbar mit einem für die Straßenbautechnik in den 1970-er Jahren relativ soliden - nämlich insgesamt 56 cm starken - Aufbau sowie mit der relativ schwachen verkehrlichen Inanspruchnahme als Sackgasse mit Wendehammeranschluss erklären. Auch dem Verwaltungsgericht ist die stärkere Abnutzung der anderen Straßen im fraglichen Baugebiet aufgefallen. Soweit das Gericht bei dieser Ausgangslage eine Rechtfertigung für den Um- und Ausbau auch des A-wegs auf Kosten der Anlieger in dem "Gesamtpaket" der Sanierungsmaßnahmen und der dadurch ermöglichten "Ausnutzung von Synergieeffekten" in wirtschaftlich sinnvoller Vorgehensweise gesehen hat, überzeugt das den Senat nicht. Ob eine Straße grundlegend erneuerungsbedürftig ist und aus diesem Grunde beitragsfähig um- und ausgebaut werden kann, richtet sich nach den konkreten Verhältnissen bei gerade dieser Straße. Haben sich die Dinge in einem Baugebiet, was Erhaltungszustand und Erneuerungsbedürftigkeit der hier verlaufenden Straßen angeht, unterschiedlich entwickelt, so muss das Interesse der Gemeinde an einem gemeinsamen Um- und Ausbau mit anschließender Beitragserhebung für sämtliche Straßen gegebenenfalls zurückstehen.
Sollte aufgrund des zeitlichen Abstandes zur Erstherstellung des A-wegs als Erschließungsanlage die "übliche Lebensdauer" abgelaufen gewesen sein, vermag dies allein die Beitragserhebung für eine wiederherstellende (schlichte) Erneuerung noch nicht zu rechtfertigen. Unabhängig von der üblichen Lebensdauer und deren Ablauf kommt es nämlich für die Beitragsfähigkeit einer abnutzungsbedingten schlichten Erneuerung maßgeblich darauf an, ob die Verkehrsanlage auch t a t s ä c h l i c h umfassend abgenutzt war und somit den Zustand der grundlegenden Erneuerungsbedürftigkeit erreicht hatte. Der Ablauf der üblichen Lebensdauer stellt, wie der Senat in einem Beschluss vom 4. April 1995 (5 TH 1264/93, NVwZ-RR 1995, 599 = HSGZ 1995, 459 = GemHH 1996, 169) ausgeführt hat, nur ein Indiz dar, welches durch die Feststellung eines tatsächlich noch intakten Zustandes der Anlage entkräftet werden kann. Die eigentliche Bedeutung dieses Kriteriums liegt darin, zu verhindern, dass Straßen, die nur aufgrund der Vernachlässigung der Verpflichtung des Straßenbaulastträgers zur laufenden Instandsetzung und Unterhaltung erneuerungsbedürftig geworden sind, "vorzeitig" auf Kosten der Anlieger saniert werden können. Der nach den vorgelegten Fotos noch relativ gute Erhaltungszustands des A-wegs vor dem streitigen Ausbau mag mit dem bereits beschriebenen Zusammentreffen der insoweit "günstigen" Umstände zu erklären seien, dass die Straße schon bei ihrer Erstherstellung einen starken Unterbau erhalten hatte und zudem als Sackgasse mit geringem Verkehrsaufkommen einer nur schwachen Verkehrsbelastung ausgesetzt war.
Wie die Antragstellerin in ihrer Beschwerdeschrift zurecht geltend macht, kann entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts in dem angefochtenen Beschluss auch nicht angenommen werden, dass mit der streitigen Straßenbaumaßnahme eine Verbesserung einhergeht, die unabhängig vom Vorliegen einer abnutzungsbedingten Erneuerungsbedürftigkeit die Erhebung von Straßenbeiträgen zu rechtfertigen vermag. Das Verwaltungsgericht sieht die Verbesserung in einem neuen Fahrbahnaufbau, der im Unterschied zum früheren Ausbauzustand ausreichenden Schutz vor Forstschäden biete. Die Antragsgegnerin habe - so das Verwaltungsgericht - dargelegt, dass sich Fahrbahn und Fahrbahnunterschichten "gerade auch des A-wegs nach dem derzeitigen Stand der Technik als zu dünn erwiesen hätten und insbesondere nicht frostsicher" gewesen seien. Auch das hält summarischer Überprüfung im vorliegenden Aussetzungsverfahren nicht stand. Nach den Angaben der Antragsgegnerin in ihrer Antragserwiderung im erstinstanzlichen Verfahren bestand der bisherige Straßenaufbau aus bituminös befestigten Oberschichten in einer Dicke von ca. 16 cm und einer "darunter vorgefundenen bis zu 40 cm dicken Tragschicht aus stark sandigem Material", so dass sich eine Gesamtstärke von ca. 56 cm ergab. An die Stelle dieses Straßenkörpers ist ein "Gesamtaufbau mit einer Mindeststärke von insgesamt 60 cm, Schottertragschicht 15 cm dick als Baustraße, Schottertragschicht 31 cm dick, bituminöse Tragschicht 10 cm dick und bituminöse Deckschicht 4 cm dick" getreten. Insgesamt ist damit der Straßenkörper lediglich um 4 cm verstärkt worden. Dass allein damit e r s t m a l s ausreichender Frostschutz erzielt worden sein sollte, ist wenig wahrscheinlich. Mit einer vertikalen Ausdehnung von insgesamt 56 cm, davon 40 cm auf den Unterbau entfallend, wies schon der alte Fahrbahnaufbau eine Stärke auf, mit der den Anforderungen an die Frostsicherheit grundsätzlich genügt werden konnte. Nicht ersichtlich - insbesondere nicht vorgetragen und dargelegt - ist auch, dass unabhängig von der Stärke der Schicht das bislang verwendete "stark sandige" Material ausreichenden Frostschutz nicht sicherstellen konnte und deshalb durch ein für diesen Zweck besser geeignete Schotterschicht ersetzt werden musste. Die Tatsache, dass auf den von der Antragsgegnerin zur Akte gereichten Fotos zum früheren Ausbauzustand des A-wegs Frostschäden bzw. auf Frostschäden zurückgehende Reparaturen trotz Ablaufs von mehr als 30 Jahren seit Erstherstellung nicht zu erkennen sind, deutet vielmehr darauf hin, dass die Straße schon in dem Ausbauzustand der Erstherstellung in dem benötigten Umfang frostsicher angelegt war. Von den Erkenntnismöglichkeiten in vorliegenden Eilverfahren ausgehend lässt sich daher insgesamt nicht sagen, dass der A-weg erst durch die streitige Straßenausbaumaßnahme in einen ausreichende Frostsicherheit gewährleistenden Zustand versetzt und insoweit nach Maßgabe des § 11 Abs. 1 KAG beitragsfähig verbessert worden ist.
Ob auch das sonstige gegen die Annahme einer beitragsfähigen Verbesserung gerichtete Vorbringen der Antragstellerin Anlass geben kann, an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Heranziehung zu Vorausleistungen ernstlich zu zweifeln, ist nicht entscheidungserheblich. Hierzu sei nur soviel gesagt, dass die "Kompensierung" eines etwaigen Verbesserungseffekts durch eine Verschlechterung als Folge des Wegfalls eines bestehenden Gehwegs offensichtlich ausscheidet, denn der A-weg verfügte schon in seinem bisherigen Ausbauzustand allenfalls über "Schrammborde" nicht aber über Gehwege, die den Herstellungsmerkmalen der seinerzeit einschlägigen Erschließungsbeitragssatzung entsprachen. Unbegründet ist auch der gegen das praktizierte Abrechnungsverfahren erhobene Einwand, es hätten - wenn überhaupt - sämtliche Straßen des Baugebiets als "Einheit" abgerechnet werden müssen. Aus § 11 KAG ergibt sich keine Rechtsgrundlage dafür, mehrere Straßen wie im Erschließungsbeitragsrecht zusammengefasst abzurechnen (dazu Senatsurteil vom 10. Oktober 1984 - V OE 101/82 - NVwZ 1985, 365 = GemHH 1986, 18).
Als im Beschwerdeverfahren unterlegener Teil hat die Antragsgegnerin die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf den §§ 50 Abs. 3, 47, 53 Abs. 3 Nr. 2 des Gerichtskostengesetz (GKG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
Ende der Entscheidung
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