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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 05.12.2007
Aktenzeichen: 5 UE 1371/07
Rechtsgebiete: AO, BauGB, HessKAG


Vorschriften:

AO § 42
BauGB § 135 Abs. 5
HessKAG § 4 Abs. 1 Nr. 2b
Fall einer wegen Missbrauchs rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten gem. § 42 AO bei der Verteilung des umlagefähigen Erschließungsaufwands unbeachtlichen Grundstücksteilung.
HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

5 UE 1371/07

Verkündet am 5. Dezember 2007

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof -5. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Dr. Lohmann, Richter am Hess. VGH Dr. Apell, Richter am Hess. VGH Schneider, die ehrenamtliche Richterin Kalbfleisch, die ehrenamtliche Richterin Kienitz-Vollmer

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 5. Dezember 2007

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 8. Juni 2007 - 1 E 2158/06 - geändert. Der Erschließungsbeitragsbescheid der Beklagten vom 13. Juni 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25. August 2006 wird aufgehoben, soweit der festgesetzte Beitrag 16.485,-- € übersteigt. Die Klage im Übrigen wird abgewiesen.

Im Übrigen wird die Berufung gegen das vorgenannte Urteil zurückgewiesen.

Die Kosten beider Verfahrenszüge werden zu 19/20 dem Kläger und zu 1/20 der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Beide Beteiligte können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der vollstreckbaren Kosten abwenden, wenn nicht die jeweilige Gegenseite zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger ist Eigentümer des in der Gemarkung A-Stadt der Beklagten, Flur ..., Flurstück .../4, gelegenen Grundstücks A-Straße. Nach endgültiger Herstellung der A-Straße als Erschließungsanlage im Jahre 2005 wurde er durch Bescheid der Beklagten vom 13. Juni 2006 zu einem Erschließungsbeitrag in Höhe von 17.633,74 € herangezogen. Dagegen erhob er am 16. Juni 2006 Widerspruch. Mit ihm machte er geltend: In einem notariellen Kaufvertrag vom 16. März 1971 habe die Beklagte als Käuferin einer sich an das jetzige Grundstück bis zur C-Straße im Süden anschließenden Teilfläche des damaligen Grundstücks Flur ..., Flurstück ..., die Voreigentümerin - Frau M. A. G. - "verbindlich .... von sämtlichen etwa anfallenden Erschließungs- und Anliegerkosten hinsichtlich des ihr verbleibenden Restgrundstücks freigestellt". In dieser Formulierung sei ein endgültiger Beitragsverzicht zu sehen, der auch für ihn, den Kläger, gelte, da seine Rechtsvorgängerin mit notariellem Schenkungsvertrag vom 22. November 1991 sämtliche Zusicherungen der Beklagten aus dem Grundstückskaufvertrag an ihn abgetreten habe. Davon abgesehen habe die Beklagte bei der Verteilung des umzulegenden Erschließungsaufwands Flächen missbräuchlich geteilter Grundstücke zu Unrecht außer Betracht gelassen. Ein weiterer Mangel der Heranziehung liege schließlich darin, dass Kosten für den Abbau und die Wiedererrichtung eines Zauns auf einem Anliegergrundstück abgerechnet worden seien, obwohl es sich hierbei nicht um beitragsfähigen Erschließungsaufwand handele.

Mit Widerspruchsbescheid vom 25. August 2006 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Dabei gab sie an, dass dem Kläger die Berufung auf die Beitragsfreistellung in dem notariellen Kaufvertrag vom 16. März 1971 schon deshalb versagt sei, weil diese nur der damaligen Grundstückseigentümerin, nicht auch einem Rechtsnachfolger gewährt worden sei. Als Beitragsverzicht verstoße die Erklärung zur Beitragsfreistellung überdies gegen ein gesetzliches Verbot, denn die Stadt sei gemäß § 127 des Baugesetzbuchs (BauGB) zur Beitragserhebung verpflichtet. Die Nichtbeteiligung des durch Teilung neu entstandenen Grundstücks 11/7, welches nicht an die A-Straße angrenze, sei rechtens. Ein in dieser Teilung zu sehender Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten scheide aus, da nach Auskunft des Kreisbauamts auf der neu entstandenen Vorderparzelle 11/6 eine dem Charakter des Baugebiets als Mischgebiet entsprechende bauliche Nutzung grundsätzlich zulässig sei. Die Kosten für den Ab- und Wiederaufbau des Zauns auf den von dem Kläger bezeichneten Anliegergrundstück seien Freilegungskosten und hätten als solche in den umzulegenden Erschließungsaufwand einbezogen werden dürfen.

Der Kläger erhob hierauf am 4. September 2006 beim Verwaltungsgericht Gießen Klage. Im Klageverfahren trug er unter Ergänzung und Vertiefung seiner Widerspruchsbegründung vor: Der Erwerb einer Teilfläche des damaligen Grundstücks Flur ..., Flurstück ..., durch die Beklagte sei zu dem Zweck erfolgt, das Sportzentrum des zentralen Stadtteils erweitern zu können. Durch den im notariellen Kaufvertrag festgelegten Beitragsverzicht habe die Eigentümerin dazu bewegt werden sollen, die benötigte Teilfläche für den genannten öffentlichen Zweck zu einem günstigen Kaufpreis abzugeben. Der Kaufpreis von 5,-- DM pro Quadratmeter gemäß Ziff. 7 des Grundstückskaufvertrages habe aus der Sicht beider Vertragsparteien dem objektiven Verkehrswert nicht entsprochen. Die Freistellung von künftigen Erschließungs- und Anliegerkosten für die von dem Verkauf nicht erfasste Restfläche des Grundstücks stelle sich insoweit als Teil der vereinbarten Gegenleistung der Beklagten dar. - Die Teilung des Flurstücks .../5 mit der Folge, dass die Fläche der neuen Parzelle .../7 nicht mehr an die Jahnstraße angrenze, habe im Hinblick auf die bevorstehende Erhebung von Erschließungsbeiträgen für die Herstellung der A-Straße allein der Abgabenvermeidung gedient. Die Eigentümerin der fraglichen Fläche habe sich in einer Eigentümerversammlung öffentlich damit gebrüstet, dass die Stadt von ihr "keinen Pfennig" bekommen werde. Nach erfolgter Grundstücksteilung sei die an die Erschließungsstraße angrenzende neugebildete Parzelle an den Enkel der Grundstückseigentümerin übertragen worden, um die Eigentümeridentität zu verschleiern. Die Teilung verstoße gegen § 27 der Bauordnung (HBO), da sie dazu führe, dass die mit Öffnungen versehene Hauswand des Gebäudes A-Straße 4 auf die Grundstücksgrenze zwischen den neuen Parzellen .../6 und .../7 zu stehen komme. Eine solche Wand müsse aber als "Brandwand" ausgebildet sein. Darüber hinaus sei die Grundstücksteilung wegen Unterschreitung vorgeschriebener Abstandsflächen und Abstände mit § 6 HBO nicht zu vereinbaren. Eine wirtschaftlich sinnvolle Bebauung der neugebildeten Parzelle scheide bei Einhaltung der im Bebauungsplan Nr. 2 der Beklagten vorgesehenen Baugrenze parallel zur A-Straße aus. Mangels vernünftiger Gründe für die Grundstücksteilung sei demnach von einem Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten im Sinne des § 42 AO auszugehen.

Der Kläger beantragte,

den Bescheid der Beklagten vom 13. Juni 2006 über die Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. August 2006 aufzuheben.

Die Beklagte beantragte,

die Klage abzuweisen.

Sie machte in Bezug auf die Freistellung von Erschließungskosten im notariellen Kaufvertrag vom 16. März 1971 geltend, dass die Voraussetzungen für einen Billigkeitserlass gegenüber der Rechtsvorgängerin des Klägers nicht vorgelegen hätten, da die verkaufte Grundstücksfläche in erster Linie für die Anlegung der Erschließungsstraße erforderlich gewesen sei. Aus einer Niederschrift des Grundstücksgutachterausschusses vom 12. Dezember 1974 ergäben sich Quadratmeterpreise zwischen 8,50 DM und 16,-- DM für sogenanntes fertiges Bauland im Bereich A-Stadt. Bei der veräußerten Grundstücksfläche habe es sich nach dem Bebauungsplan von 1968 aber teils um Grünfläche, teils um Verkehrsfläche gehandelt. Hiernach sei der vereinbarte Kaufpreis nicht unangemessen niedrig gewesen. Was die von dem Kläger beanstandete Grundstücksteilung angehe, so könne ein missbräuchliches Abgabenvermeidungsgeschäft deshalb nicht angenommen werden, weil sich auch das an die A-Straße angrenzende neue Grundstück einer sinnvollen baulichen Nutzung zuführen lasse.

Mit Urteil vom 8. Juni 2007 hob das Verwaltungsgericht den angefochtenen Beitragsbescheid in Höhe des 17.405,50 € übersteigenden Betrages auf und wies im Übrigen die Klage ab. In den Entscheidungsgründen heißt es: Die zulässige Klage könne lediglich insoweit Erfolg haben, als die Umlegung der Kosten für den Ab- und Wiederaufbau des Zauns nicht zu rechtfertigen sei; denn es handele sich bei diesen Arbeiten nicht mehr um Freilegung des Geländes der Erschließungsanlage, sondern um eine Folgemaßnahme auf einem angrenzenden Grundstück, die der Grundstückseigentümer auf eigene Kosten vorzunehmen habe. Die Klage im Übrigen sei dagegen unbegründet. Aus dem notariellen Kaufvertrag vom 16. März 1971 lasse sich eine Verpflichtung der Beklagten zum Beitragserlass oder zum Verzicht auf Beitragserhebung nicht herleiten. Eine von der gesetzlichen Verpflichtung zur Abgabenerhebung abweichende Vereinbarung verstoße gegen ein gesetzliches Verbot und sei daher unwirksam. Soweit ein Beitragsverzicht auf der Grundlage des § 135 Abs. 5 BauGB möglich sei, fehle es dafür im vorliegenden Fall an der Erfüllung der diesbezüglichen Voraussetzungen. Die mit dem damaligen Flächenerwerb verfolgten Zwecke der Anlegung des unteren Teils der A-Straße und der Erweiterung des Sportzentrums lieferten keine ausreichende Rechtfertigung für einen Billigkeitserlass bei einer künftigen Beitragserhebung für die von dem Verkauf nicht mit umfasste Restfläche des Grundstücks. Auf den Gesichtspunkt der Förderung des freihändigen Grundstückserwerbs könne nicht abgestellt werden, da Grunderwerbskosten zu den Kosten des Erschließungsaufwands zählten und somit auch bei Verschaffung der für den Straßenbau benötigten Fläche durch ein Enteignungsverfahren in den beitragsfähigen Aufwand eingingen. Allein das Interesse an der Vermeidung der mit einer förmlichen Enteignung verbundenen Schwierigkeiten reiche als Begründung für einen Beitragsverzicht nicht aus. Gleiches gelte für die Förderung des Interesses an der Realisierung der Sportplatzerweiterung auf dem Gelände nördlich der C-Straße. Eine atypische Fallgestaltung, der mit einem Billigkeitserlass nach § 135 Abs. 5 BauGB habe Rechnung getragen werden können, sei insgesamt nicht zu erkennen. Die Beklagte habe bei der Berechnung des Erschließungsbeitrags auch die korrekte Verteilungsfläche zugrunde gelegt. Die Teilung des früheren Flurstücks .../5 stelle keinen Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten im Sinne des § 42 AO dar, denn sie habe zur Bildung eines zusätzlichen Grundstücks geführt, welches als solches bebaubar sei. Damit gebe es einen wirtschaftlich einleuchtenden Grund für die Grundstücksteilung, der es ausschließe, von einem reinen Abgabenvermeidungsgeschäft auszugehen.

Nach Zustellung des Urteils am 14. Juni 2007 hat der Kläger am 2. Juli 2007 die durch das Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt. Zu deren Begründung trägt er in seiner am 2. Juli 2007 eingegangenen Berufungsbegründungsschrift vor: Der notarielle Kaufvertrag von 1971 habe ausschließlich dem Ausbau der Sportanlage, nicht aber dem Erwerb von Fläche für die Herstellung der A-Straße gedient, denn eine Fortsetzung der A-Straße zur C-Straße gebe es nicht. Es bestehe lediglich eine feldwegemäßige Verbindung zwischen der noch nicht ausgebauten Berliner Straße und dem im Süden gelegenen Schul- und Sportbereich, die von einigen wenigen Landwirten als Zufahrt zu Bewirtschaftungsflächen im südwestlichen Gemeindebereich genutzt werde. Bei der Freistellung von Erschließungs- und Anliegerkosten in Ziff. 6 des notariellen Kaufvertrages handele es sich nicht um einen rechtswidrigen Verzicht auf Abgaben, sondern diese Freistellung sei in einen ordnungsgemäßen Austausch von Leistungen eingebettet. Die Stadt habe für den Grundstückserwerb zum Zweck der Entwicklung des Sport- und Schulbereichs momentan nicht den vollen Kaufpreis entrichten wollen und deshalb als Teil ihrer Gegenleistung die Freistellung von künftigen Beiträgen für die Restparzelle zugesagt. Es handele sich insoweit um ein vernünftiges Austauschgeschäft. Von einer offenkundigen Fehlerhaftigkeit der damaligen vertraglichen Regelung könne keine Rede sein. Nicht gefolgt werden könne auch den Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur beitragsrechtlichen Unbeachtlichkeit der Teilung der früheren Parzelle .../5. Die Teilung verstoße aus den bereits im erstinstanzlichen Verfahren dargelegten Gründen gegen Bauordnungsrecht. Der damit verbundene Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten sei offensichtlich.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 8. Juni 2007 - 1 E 2158/06 - abzuändern und den Bescheid der Beklagten vom 13. Juni 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. August 2006 insgesamt aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

In ihrer Berufungserwiderung führt sie aus, dass die Vereinbarung über die Beitragsfreiheit im notariellen Kaufvertrag vom 16. März 1971 nicht im Zusammenhang mit dem Sportstättenbau, sondern mit der bereits im Bebauungsplan von 1968 vorgesehenen alternativen Trassenführung mit straßenmäßiger Anbindung an die C-Straße getroffen worden sei. Eine Rechtfertigung des Beitragserlasses durch den Zweck der Förderung öffentlicher Interessen der Gemeinden scheide damit aus. Bei der fraglichen Vereinbarung habe es sich um einen "Alleingang" des damaligen Bürgermeisters gehandelt. Der in der Berufungsbegründung angesprochene "Feldwegeabschnitt" im Bereich des südlich gelegenen Schul- und Sportgeländes sei ein Teil der Berliner Straße, die in diesem Bereich noch nicht endgültig fertig gestellt sei. Die Berliner Straße einschließlich der Weiterführung zur C-Straße werde in Zukunft entsprechend der alternativen Straßenplanung dem öffentlichen Verkehr gewidmet werden können.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der zum Verfahren beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten (1 Hefter) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig, kann aber in der Sache nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen geringen Umfang Erfolg haben.

Dem Grunde nach begegnet die Heranziehung des Klägers zu einem Erschließungsbeitrag für sein durch die A-Straße erschlossenes Baugrundstück keinen Bedenken. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, kann in der "Freistellungserklärung" in Ziff. 6 des notariellen Kaufvertrages vom 16. März 1971 kein wirksamer Beitragsvorausverzicht im Sinne des § 135 Abs. 5 Satz 2 des Baugesetzbuchs - BauGB - gesehen werden, auf den sich der Kläger als Rechtsnachfolger der damaligen Verkäuferin berufen könnte. Von der Erhebung des Erschließungsbeitrags kann nach § 135 Abs. 5 BauGB nur dann - ganz oder teilweise - abgesehen werden, wenn dies "im öffentlichen Interesse oder zur Vermeidung unbilliger Härten geboten ist". Keine dieser Voraussetzungen trifft hier zu. Soweit in der Rechtsprechung anerkannt ist, dass zwecks Förderung der Realisierung eines bestimmten Projekts im öffentlichen Interesse ein Billigkeitserlass nach § 135 Abs. 5 1. Alternative BauGB in Betracht kommt, liegt dem die Konstellation eines von der Gemeinde im öffentlichen Interesse erwünschten oder sogar für erforderlich gehaltenen Vorhabens des Beitragspflichtigen auf der zu veranlagenden Fläche zugrunde. Durch Beitragserlass oder Beitragsermäßigung soll dem Beitragsschuldner ein finanzieller Anreiz geboten werden, das Projekt tatsächlich zu betreiben und auszuführen. So hat das Bundesverwaltungsgericht die Voraussetzungen für einen im öffentlichen Interesse gebotenen Billigkeitserlass als erfüllt angesehen bei einem kirchlichen Friedhof, durch den die Gemeinde von eigener Aufgabenwahrnehmung entlastet wird (BVerwG, U. v. 04.05.1979 - 4 C 25.76 -, DVBl. 1979, 784). Andere Beispiele wären etwa die Ansiedlung eines Industriebetriebes, die Verwirklichung von Vorhaben des sozialen Wohnungsbaus, die Errichtung eines Krankenhauses, eines Kindergartens oder einer Bildungsstätte (BVerwG, a.a.O.). Um einen Fall dieser Art geht es hier jedoch nicht. Mit der Freistellungserklärung im notariellen Kaufvertrag vom 16. März 1971 wollte die Beklagte nicht die Realisierung eines ihr erwünschten Projekts durch die künftig beitragspflichtige Verkäuferin fördern, sondern es ging ihr darum, dieser einen Anreiz für die freiwillige Veräußerung der nach den Ausweisungen des einschlägigen Bebauungsplans für den Straßenbau und die Erweiterung eines Schul- und Sportzentrums benötigten Fläche zu schaffen. Das Interesse an einem freihändigen Erwerb solcher Fläche vermag, wie sich aus der vom Verwaltungsgericht genannten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ergibt (Urteil vom 18.11.1977 - IV C 104.74 - DÖV 1978, 611), einen Billigkeitserlass aus Gründen des öffentlichen Interesses gem. § 135 Abs. 5 S. 1 und 2 BauGB nicht zu rechtfertigen. Die Gemeinde ist auf einen freihändigen Erwerb nicht angewiesen, sondern sie kann, falls es an der Bereitschaft des Grundstückseigentümers zum Verkauf fehlt, auch ein förmliches Enteignungsverfahren durchführen. Dass der freihändige Erwerb einfacher als die förmliche Enteignung zu bewerkstelligen ist und dass der förmlichen Enteignung stets der Versuch des freihändigen Erwerbs vorauszugehen hat, rechtfertigt es nicht, dem Grundstückseigentümer von vornherein über den Kaufpreis hinaus einen Beitragsverzicht anzubieten, um damit eine sonst notwendige förmliche Enteignung zu umgehen (BVerwG, U. v. 18.11.1977, a.a.O., S. 612).

In der Freistellungserklärung der Beklagten in Ziff. 6 des notariellen Kaufvertrages vom 16. März 1971 lässt sich auch keine auf den Austausch von Leistung und Gegenleistung bezogene "Abgeltungsvereinbarung" des Inhalts sehen, dass die Freistellung von den künftig anfallenden Erschließungskosten zusammen mit den in Ziff. 7 des Kaufvertrages festgelegten Kaufpreis (5,-- DM je Quadratmeter verkaufter Fläche) das "Gesamtentgelt" bilden solle. Bei einem in eine Abgeltungsvereinbarung eingebetteten Beitragsverzicht wird der Beitrag "wirtschaftlich vereinnahmt", so dass materiell kein "Verzicht" vorliegt, der an den Voraussetzungen des § 135 Abs. 5 BauGB zu messen wäre. Nach der Rechtsprechung ist eine Abgeltung durch "Beitragsanrechnung" grundsätzlich möglich (vgl. etwa BayVGH, U. v. 28.05.1975 - 100 IV 70 - DVBl. 1977, 394; HessVGH, U. v. 29.03.1979 - 5 UE 55/76 - KStZ 1980, 111; OVG Saarland, U. v. 18.08.1982 - 3 R 67/80 - KStZ 1983, 76; OVG Münster, U. v. 19.03.2002 - 15 A 4043/00 - NVwZ-RR 2003, 147). Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass (1.) die Leistung, die die Gemeinde auf diese Weise erbringt, sich nicht als im Verhältnis zur Gegenleistung des Beitragspflichtigen "unangemessen" darstellt, (2.) die Freistellung vom Beitrag in einem sachlichen Zusammenhang zur Leistung des Beitragspflichtigen steht und (3.) im Zeitpunkt des Vertragsschlusses die Höhe des Beitrags nicht völlig ungewiss ist (OVG Münster, a.a.O.). Im vorliegenden Fall scheitert die Annahme einer gültigen Abgeltungsvereinbarung bereits an der ersten Voraussetzung. Die Bildung eines aus dem Kaufpreis in Höhe von 5,-- DM je Quadratmeter gem. Ziff. 7 des notariellen Kaufvertrags und dem späteren Erschließungsbeitrag in Höhe von 17.633,74 € (etwa 35.000,-- DM) zusammengesetzten Entgelts der Beklagten ergäbe einen Betrag von etwa 51.500,-- DM, was wiederum einen Quadratmeterpreis von 15,60 DM entspräche. Dies läge um ein Vielfaches über den Kaufpreisen, die die Beklagte ausweislich der von ihr vorgelegten Kaufverträge aus den Jahren 1970, 1971 und 1972 seinerzeit für baulich nutzbare Flächen gezahlt hat (z.B. Kaufvertrag vom 09.02.1972: 3,50 DM, vom 22.09.1971: 4,-- DM, vom 18.01.1971: 3,50 DM, vom 21.10.1970: 3,-- DM, vom 09.07.1970: 3,50 DM. Hiervon ausgehend wäre die Leistung der Stadt der Gegenleistung der damaligen Verkäuferin nicht mehr "angemessen" gewesen. Daran vermag auch der in der Niederschrift zur Sitzung des Gutachterausschusses vom 12. Dezember 1974 genannte Richtwertrahmen von 8,50 DM bis 16,-- DM für Grundstücke in allgemeinen Wohngebieten im Gemarkungsgebiet A-Stadt nichts zu ändern, denn zum einen bezieht sich diese Bewertung auf eine spätere Zeit, und zum anderen läge ein Quadratmeterpreis von insgesamt 15,60 DM ohne erkennbaren rechtfertigenden Grund am oberen Rande dieses Rahmens. Unabhängig von der Frage der Angemessenheit des Entgelts scheitert die Annahme einer gültigen Abgeltungsvereinbarung überdies - und jedenfalls - daran, dass im Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages noch völlig ungewiss war, mit welcher Belastungshöhe bei einer künftigen Heranziehung zum Erschließungsbeitrag für das ihr verbliebene Restgrundstück die Eigentümerin und Verkäuferin zu rechnen hatte. Zwischen dem Grundstückskaufvertrag im Jahre 1971 und der endgültigen Herstellung der A-Straße im Jahre 2005 liegt eine Zeitspanne von immerhin 34 Jahren. Dem damaligen Kaufvertrag ist nichts zu entnehmen, was auf bereits bestehende Vorstellungen der Vertragsparteien zur Höhe einer künftigen Beitragsbelastung der Verkäuferin und einen daran anknüpfenden Abgeltungscharakter der Freistellungszusage hindeuten könnte.

Was allerdings die streitige Heranziehung der Höhe nach angeht, macht die Klägerin zu Recht geltend, dass die Beklagte auch die durch Grundstücksteilung neu entstandene Parzelle 11/7 in die belastbare Verteilungsfläche hätte einbeziehen müssen. Soweit die Fläche dieser Parzelle als Folge der Teilung nicht an die A-Straße angrenzt, ist das unbeachtlich, da die Teilung wegen Missbrauchs rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten gem. § 42 AO in Verbindung mit § 4 Abs. 1 Nr. 2 b des Hessischen Gesetzes über Kommunale Abgaben (KAG) als beitragsrechtlich unwirksam zu behandeln ist. Der Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass ein Missbrauch deshalb nicht vorliege, weil die unmittelbar an die A-Straße angrenzende Parzelle .../6 mit einer Größe von 331 qm für eine wenn auch eingeschränkte selbstständige Bebauung groß genug sei, kann nicht gefolgt werden. Angesichts des zeitlichen Zusammenhangs der Grundstücksteilung mit der bevorstehenden Beitragsentstehung, den auch das Verwaltungsgericht nicht verkennt, ist von einem Missbrauch schon deshalb auszugehen, weil durch die Teilung unter Verstoß gegen § 7 Abs. 2 der Hessischen Bauordnung (HBO) Verhältnisse geschaffen worden sind, die öffentlich-rechtlichen Vorschriften widersprechen. Die Wand des bestehenden Gebäudes A-Straße 4, die als Folge der Teilung unmittelbar an die Grenze zwischen den neugebildeten Parzellen .../7 und .../6 zu stehen kam, ist entgegen § 27 Abs. 2 Nr. 1 HBO nicht als Brandwand ausgebildet. Es fehlt an der öffentlich-rechtlichen Sicherung eines Abstandes von mindestens fünf Metern zu nach baurechtlichen Vorschriften zulässigen künftigen Gebäuden. Darüber hinaus wird der für eine selbstständige Bebauung der neuen Parzelle .../6 verbleibende Raum auch dadurch eingeschränkt, dass der maßgebliche Bebauungsplan eine Baugrenze parallel zur A-Straße ausweist. Eine wirtschaftlich sinnvolle selbstständige Bebauung der Parzelle .../6 ist unter diesen Umständen kaum vorstellbar. Unter Hinweis auf die einzuhaltende Baugrenze und den bauordnungsrechtlich einzuhaltenden Abstand "von vorhandenen und etwaigen künftigen Außenwänden" hat auch das Kreisbauamt in seiner Auskunft vom 24. April 2006 die Bebaubarkeit als "drastisch eingeschränkt" bezeichnet. In der Gesamtschau deuten somit alle Umstände auf das Vorliegen eines Missbrauchs im Sinne nach § 42 AO hin. Für die streitige Beitragsabrechnung folgt daraus, dass sie so vorgenommen werden muss, als sei die Grundstücksteilung nicht erfolgt. Damit ist auch die Fläche der jetzigen Parzelle .../7 in die Aufwandsverteilung einzubeziehen. Nach der von der Beklagten vorgelegten Vergleichsberechnung führt das zu einer Senkung des Beitragssatzes je Quadratmeter Veranlagungsfläche auf 9,42 €. Das wiederum hat zur Folge, dass sich der auf das Grundstück der Klägerin entfallende Erschließungsbeitrag auf 16.485,-- € (1.750 qm x 9,42 €) ermäßigt.

Unter Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung ist nach allem der angefochtene Erschließungsbeitragsbescheid insoweit aufzuheben, als der festgesetzte Beitrag 16.485,-- € übersteigt. Das erstinstanzliche Urteil ist insoweit abzuändern. Die Berufung des Klägers im Übrigen ist zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und 2, § 155 Abs. 1 VwGO. Mit den jeweiligen Kostenanteilen wird dem Ausmaß des beiderseitigen Obsiegens und Unterliegens der Beteiligten angemessen Rechnung getragen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten ergibt sich aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Ende der Entscheidung

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