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Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 22.08.2007
Aktenzeichen: 5 UE 1466/06
Rechtsgebiete: BauGB, EBS der Stadt Geisenheim


Vorschriften:

BauGB § 127
EBS der Stadt Geisenheim
Ist eine in ihrer räumlichen Ausdehnung fehlerfrei als Erschließungsanlage abgegrenzte Straße endgültig fertiggestellt und liegen auch die sonstigen Voraussetzungen der Beitragsentstehung für diese Anlage vor, so kann deren spätere Verlängerung nicht bewirken, dass nunmehr von einer aus beiden Straßenstrecken zusammengesetzten einzigen Erschließungsanlage auszugehen ist, für die der Beitragsanspruch erst mit Fertigstellung auch der Verlängerungsstrecke entsteht.
HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

5 UE 1466/06

Verkündet am 22. August 2007

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Erschließungsbeiträgen

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 5. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Dr. Lohmann, Richter am Hess. VGH Dr. Apell, Richter am Hess. VGH Schneider, ehrenamtlichen Richter Weber, ehrenamtlichen Richter Wissgott

auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 22. August 2007 für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 1. März 2005 - 6 E 2514/02 (V) - abgeändert.

Der Erschließungsbeitragsbescheid der Beklagten vom 23. November 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13. November 2002 wird aufgehoben.

Die Beklagte hat die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen.

Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger verfolgt mit seiner Berufung die in erster Instanz erfolglos gebliebene Klage gegen die Heranziehung zu Erschließungsbeiträgen als Miteigentümer des Grundstücks Gemarkung A-Stadt, Flur ..., Flurstück .../1, A-Straße weiter. Gegenstand der Klage ist der Heranziehungsbescheid der Beklagten vom 23. November 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13. November 2002 für eine Erschließungsanlage "A-Straße/D-Straße" im Gemeindegebiet der Beklagten.

Die Straße "D-Straße" liegt auf dem Gebiet der ehemaligen selbstständigen Gemeinde Johannisberg. In diesem Bereich wurden 1966 die ersten Baugenehmigungen für Landarbeiterstellen erteilt. Die Straße " A-Straße " liegt teilweise in der Gemarkung der ehemaligen selbstständigen Gemeinde A-Stadt. Im Rahmen der Gebietsreform wurden beide Gemeinden zur politischen Gemeinde A-Stadt vereint. Die einseitige Bebauung an der Straße " A-Straße " war in den 70-er Jahren des letzten Jahrhunderts im Wesentlichen abgeschlossen. In den Jahren 1976 bis 1977 wurde die Straße " A-Straße " (zwischen "Hütte" und " D-Straße") ausgebaut. Sie erhielt eine Breite von 5 m, ohne dass - entgegen der damaligen Erschließungsbeitragssatzung - ein beidseitiger Gehweg hergestellt wurde. Am 25. August 1982 beschloss die Beklagte eine Abweichungssatzung zur Satzung über das Erheben von Erschließungsbeiträgen vom 17. Oktober 1977, wonach gemäß § 1 Abs. 1 in Abweichung von § 9 Abs. 1 der Erschließungsbeitragssatzung für die endgültige Herstellung der Erschließungsanlage " A-Straße " (von "Hütte" bis " D-Straße ") das Herstellungsmerkmal "beidseitige Gehwege" entfällt.

Am 6. Oktober 1982 fasste der Magistrat der Beklagten einen Beschluss über die Herstellung der Erschließungsanlage " A-Straße" (zwischen "Hütte" und D-Straße"), die Ermittlung und Festsetzung des Erschließungsbeitrages sowie die Abrechnung im Wege der Kostenspaltung. Hieran anknüpfend erließ die Beklagte unter dem 6. Dezember 1982 einen Heranziehungsbescheid gegenüber dem Kläger. Auf Empfehlung des Widerspruchsausschusses des Rheingau-Taunus-Kreises hob sie diesen Bescheid wieder auf. Maßgeblich dafür war die Überlegung, dass ein Teil der Erschließungsanlage " A-Straße " (Flur 60, Flurstück 35) in das Flurbereinigungsverfahren A-Stadt - Johannisberg einbezogen sei, eine Umwidmung zu einer öffentlichen Straße somit nicht durch einfachen Widmungsakt erfolgen könne und es im Übrigen an der Zustimmung zur Straßenherstellung gemäß § 125 Abs. 2 BauGB fehle.

Mit Schreiben des Amtes für Landwirtschaft und Landesentwicklung vom 5. Januar 1984 wurde der Beklagten bestätigt, dass die Erschließungsanlage " A-Straße " im Flurbereinigungsplan als Ortsstraße ausgewiesen und dem öffentlichen Verkehr gewidmet werde; mit diesen Ausweisungen wurde der Flurbereinigungsplan 1993 veröffentlicht. Die grundbuchrechtliche Eintragung der entsprechenden Straßenflächen als Eigentum der Beklagten erfolgte im Oktober 1996.

Nachdem das Regierungspräsidium Darmstadt die Zustimmung zur Herstellung der Erschließungsanlage " A-Straße " versagt hatte, wurde es durch rechtskräftiges Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 21. August 1985 - III/2 E 980/84 - zur Erteilung dieser Zustimmung verpflichtet; die Zustimmung durch das Regierungspräsidium erfolgte am 10. Januar 1986.

Am 11. Juni 1987 beschloss die Stadtverordnetenversammlung der Beklagten eine neue Satzung über das Erheben von Erschließungsbeiträgen, die gemäß § 16 Satz 1 der Satzung am 1. Juli 1987 in Kraft trat. Nach Satz 2 dieser Vorschrift traten gleichzeitig die Satzung vom 17. Oktober 1977 sowie die Änderungssatzungen vom 18. Juli 1978, 16. September 1981 und 25. März 1983 außer Kraft. An die Stelle der Erschließungsbeitragssatzung 1987 trat später die Erschließungsbeitragssatzung 1991, die am 5. Dezember 1991 im Rheingau-Echo veröffentlicht wurde.

In der Sitzung vom 7. Juni 2000 beschloss der Magistrat der Beklagten das Bauprogramm für die Straße "D-Straße" und erteilte den Auftrag zur Durchführung der Straßenbauarbeiten. Nach der Bereitstellung der Mittel im Haushalt erfolgte der Ausbau der Straße "D-Straße" in den Jahren 2000/2001. Am 14. November 2001 fasste der Magistrat der Beklagten einen Fertigstellungsbeschluss bezüglich der Gesamt-Erschließungsanlage "A-Straße/D-Straße", der am 22. November 2001 im Rheingau-Echo veröffentlicht wurde.

Am 16. November 2001 beschloss die Stadtverordnetenversammlung der Beklagten eine Abweichungssatzung zur Erschließungsbeitragssatzung 1991, die am 22. November 2001 im Rheingau-Echo veröffentlicht wurde. Dort heißt es in § 2 Satz 2 bis 4: "Bei der Straße " A-Straße" wurde auf die Anlegung von Gehwegen gänzlich verzichtet. Es wurden lediglich im nordöstlichen Bereich der Fahrbahn (vor der Häuserzeile) Schrammborde errichtet. Bei der Straße "D-Straße" wurde auf die Anlegung beidseitiger Gehwege verzichtet. Es wurde lediglich im südwestlichen Bereich der Fahrbahn (vor der Häuserzeile) ein einseitiger Gehweg errichtet, der nicht durch einen Bordstein von der Fahrbahn abgegrenzt ist."

Mit Bescheid vom 23. November 2001 zog die Beklagte den Kläger zu einem Erschließungsbeitrag für die Erschließungsanlage " A-Straße /D-Straße" in Höhe von 11.756,46 € heran. Der Kläger erhob dagegen Widerspruch mit der Begründung, dass es sich bei der Straße " A-Straße " um eine selbstständige Erschließungsanlage handele, die bereits 1978 fertig gestellt worden sei, so dass die Frist für die Festsetzung des Erschließungsbeitrags abgelaufen sei.

Der Empfehlung in einer Magistratsvorlage vom 9. Oktober 2002 folgend wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 13. November 2002 als unbegründet zurück. In der genannten Magistratsvorlage wird darauf hingewiesen, dass der Hessische Städte- und Gemeindebund dem Magistrat seinerzeit eine Beschlussfassung und Veröffentlichung des Inhalts empfohlen habe, dass die Straße " A-Straße" erst nach Ausbau der Straße " D-Straße" nach Baugesetzbuch abgerechnet werden könne, da beide Straßen "eine Gesamt-Erschließungsanlage" bildeten. Daraufhin sei unter dem 8. April 1998 ein entsprechender Magistratsbeschluss gefasst und im Rheingau-Echo vom 7. Mai 1998 öffentlich bekannt gemacht worden. Der Hessische Städte- und Gemeindebund habe sich schon in seiner Stellungnahme vom 7. Mai 1986 für die Annahme einer einzigen Erschließungsanlage ausgesprochen und Zweifel an der Zulässigkeit einer auf die Straße " A-Straße " als Abschnitt dieser Erschließungsanlage beschränkten Abrechnung geäußert.

Nach Zustellung des Widerspruchsbescheides am 18. November 2002 hat der Kläger mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 13. Dezember 2002 - bei dem Verwaltungsgericht Wiesbaden am 16. Dezember 2002 eingegangen - Klage erhoben.

Zur Begründung hat er ausgeführt: Die Beitragspflicht sei spätestens am 31. Dezember 1990 verjährt. Bei den Straßen " A-Straße " und " D-Straße " handele es sich um jeweils selbstständige Erschließungsanlagen. Die Erschließungsanlage " A-Straße " sei bereits in den Jahren 1976/1977 ausgebaut worden; die entsprechenden Gelder seien in den Haushaltsplänen der Beklagten von 1975 bis 1978 zur Verfügung gestellt worden. Seit dieser Zeit habe sich das Erscheinungsbild dieser Straße nicht verändert. Wäre von Seiten der Beklagten in jenem Zeitpunkt auch bereits der Ausbau der Straße " D-Straße " vorgesehen gewesen, hätten die entsprechenden Haushaltstitel " A-Straße / D-Straße, erster Bauabschnitt" lauten müssen. Bereits am 8. Oktober 1982 sei die Widmung der Straße erfolgt. Die Beitragspflicht für die Erschließungsanlage " A-Straße " sei am 10. Januar 1986 entstanden, nachdem das Regierungspräsidium Darmstadt unter diesem Datum die Straßenbaugenehmigung nach § 125 Abs. 2 S. 1 BauGB a.F. aufgrund der Verpflichtung durch das Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden erteilt habe. Bis zu der Bekanntgabe des Magistratsbeschlusses vom 8. April 1998 habe die Beklagte nicht die Absicht gehabt, die Straßen " A-Straße " und " D-Straße " als eine einzige Erschließungsanlage herzustellen. Eine entsprechende Willensbekundung habe es bis zu diesem Zeitpunkt nicht gegeben.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 23. November 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. November 2002 aufzuheben und die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, es handele sich bei den Straßen " A-Straße " und " D-Straße " um eine - einzige - Erschließungsanlage, auch wenn verschiedene Teile zu unterschiedlichen Zeitpunkten erstellt worden seien. Maßgeblich sei insoweit der Gesamteindruck, den die tatsächlichen Verhältnisse im maßgeblichen Zeitpunkt einem unbefangenen Betrachter bei "natürlicher Betrachtungsweise" vermittelten. Im vorliegenden Fall sei die Bebauung an der gesamten Erschließungsanlage bereits vorhanden und die Straße in ihrem tatsächlichen Erscheinungsbild zu erkennen gewesen. Es habe lediglich noch an einem den Herstellungsmerkmalen des Erschließungsbeitragsrechts entsprechenden Ausbau der Gesamtstrecke gefehlt. Eine Verjährung habe nicht eintreten können, da die sachliche Beitragspflicht für die Gesamtanlage mangels Herstellung noch nicht entstanden sei. Für eine getrennte Abrechnung hätte es eines Abschnittsbildungsbeschlusses bedurft, den die Beklagte jedoch nicht gefasst habe. Im Übrigen wäre ein derartiger Beschluss auch nicht möglich gewesen, da ein Anknüpfungspunkt für die Bildung eines Abschnittes nach örtlich erkennbaren Merkmalen nicht vorhanden sei. Zudem wäre eine Abschnittsbildung auch unzulässig, da die Gegenüberstellung der aufwandsbedingten Kosten für beide Bereiche zeige, dass die vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellte 1/3-Grenze überschritten werde. Soweit der Kläger auf die Abweichungssatzung vom 25. August 1982 zur Erschließungsbeitragssatzung 1977 Bezug nehme, die die Herstellungsmerkmale für die endgültige Herstellung der Erschließungsanlage " A-Straße (von "Hütte" bis " D-Straße ")" ändere, sei darauf hinzuweisen, dass mit einer Abweichungssatzung nicht die räumliche Ausdehnung einer Erschließungsanlage bestimmt werden könne. Diese bestimme sich nach der natürlichen Betrachtungsweise und knüpfe demgemäß an das Erscheinungsbild (Straßenführung, Straßenbreite, Straßenlänge, Straßenausstattung usw.) an.

Mit Urteil vom 1. März 2005 hat das Verwaltungsgericht die Klage des Klägers abgewiesen. In den Gründen heißt es, dass der Bescheid vom 23. November 2001 mit der Heranziehung des Klägers zu einem Erschließungsbeitrag in Höhe von 11.756,46 € nicht zu beanstanden sei. Bei der Verkehrsanlage " A-Straße / D-Straße " handele es sich um eine einheitliche Erschließungsanlage, welche nunmehr fertig gestellt worden sei. Ausgehend von einer natürlichen Betrachtungsweise ergebe sich dies aus dem Protokoll über den Ortstermin vom 13. Mai 2004, auch wenn die Straße " D-Straße " in anderer Weise ausgebaut worden sei als die Straße " A-Straße ". Der Vertreter der Beklagten habe bereits in seiner Stellungnahme vom 7. Mai 1986 darauf hingewiesen, dass eine abschnittsweise Abrechnung einer verwaltungsgerichtlichen Nachprüfung nicht standhalte. Selbst wenn man von der Eigenständigkeit der Erschließungsanlage " A-Straße " ausgehe, sei der Erschließungsbeitrag für diese Anlage nicht verjährt, da die Erschließungsbeitragssatzung vom 17. Oktober 1977 durch die Satzung vom 16. Juni 1987 außer Kraft gesetzt worden sei. Eine Abrechnung habe deshalb nur nach dieser Satzung erfolgen können. In ihr sei als Merkmal der endgültigen Herstellung der Ausbau mit beidseitigen Gehwegen und einer Abgrenzung gegen die Fahrbahn vorgesehen. Diesen Ausbauzustand habe die Straße " A-Straße " nicht aufgewiesen. Eine Abweichung von den Herstellungsmerkmalen der Erschließungsbeitragssatzung 1987 sei aber nicht erlassen worden. Eine Abweichungssatzung mit einem Verzicht auf die beiderseitigen Gehwege habe die Stadtverordnetenversammlung der Beklagten erst am 16. Dezember 2001 zur Erschließungsbeitragssatzung vom 3. Dezember 1991 beschlossen.

Mit Beschluss vom 13. Juni 2006 - 5 UZ 1152/05 - hat der Senat auf Antrag des Klägers die Berufung gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil zugelassen.

Zur Begründung der Berufung führt der Bevollmächtigte des Klägers unter Bezugnahme auf sein Vorbringen im Zulassungsverfahren weiter aus: Bis zum Magistratsbeschluss vom 20. April 1998 (gemeint ist wohl der 8. April 1998) habe bei der Beklagten nicht die geringste Absicht bestanden, die Straße " D-Straße " zu verbessern bzw. neu herzustellen und in diesem Zusammenhang die beiden Straßen " A-Straße " und " D-Straße " als eine Erschließungseinheit zu behandeln. Die Straße " A-Straße " sei 1976/1977 baufertig gestellt worden und zwar aufgrund von Haushaltsansätzen und eines Bauprogramms ausschließlich für diese Straße. Nach Entstehen der Beitragspflicht für diese Anlage habe die Möglichkeit der Zusammenfassung mit der Straße " D-Straße " und eine gemeinsame Abrechnung der beiden Straßen nicht mehr bestanden. - Aber auch nach den vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegten Kriterien verbiete sich die Annahme einer aus beiden Straßen zusammengesetzten einheitlichen Erschließungsanlage. In dem Protokoll über den Ortstermin vom 13. Mai 2004, auf das sich das Verwaltungsgericht stütze, sei Konkretes über die Örtlichkeit und den Straßenzustand nicht festgehalten worden. Aus den bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten Lichtbildern und der tabellarischen Gegenüberstellung des tatsächlich vorhandenen Ausbauzustandes ergäben sich deutliche und sichtbare Unterschiede zwischen den beiden Straßen. So differiere die Straßenbreite um ca. 2 m, und die eine Straße verfüge über einen deutlich von der Fahrbahn abgegrenzten gepflasterten Gehweg von 1,50 m, während die andere Straße nur einen Schrammbord zwischen 0,40 und 0,80 m aufweise. Die Straße " D-Straße " verfüge darüber hinaus über einen deutlich abgegrenzten Pkw - Parkstreifen mit einer wassergebundenen nicht asphaltierten und zur Fahrbahn deutlich abgegrenzten Decke. Erhebliche Unterschiede gebe es auch bei der Bauausführung. Ausweislich des Vermerks des Bauamtes der Beklagten vom 7. Oktober 1999 habe die in Planung befindliche Straße " D-Straße " in "einfachster Bauweise" hergestellt werden sollen. Schließlich erfüllten die beiden Straßen auch unterschiedliche Verkehrsfunktionen. Vom Vorliegen zweier Erschließungsanlagen ausgehend sei die Erschließungsbeitragsforderung für die Straße " A-Straße " verjährt, da die Festsetzungsfrist bereits im Jahre 1990 abgelaufen sei. Die Beklagte hätte bereits nach der Erteilung der Zustimmung gemäß § 125 Abs. 2 BauGB durch das Regierungspräsidium Darmstadt am 10. Januar 1986 den Erschließungsbeitrag für die Straße "Im Bienenfang" erheben können. Diese Veranlagung hätte jedenfalls bis zum 1. Juli 1987 erfolgen können, da erst an diesem Tag die Erschließungsbeitragssatzung vom 17. Oktober 1977 außer Kraft getreten sei. Im Übrigen sei darauf hinzuweisen, dass die Abweichungssatzung vom 25. August 1982 fortgegolten habe, da sie durch die Erschließungsbeitragssatzung vom 16. Juni 1987 nicht aufgehoben worden sei. Selbst wenn man die Verjährungsfrist durch das Inkrafttreten der neuen Satzung am 1. Juli 1987 als gehemmt ansehe, sei zwischenzeitlich Verjährung eingetreten, da mit dem Erschließungsbeitragsbescheid vom 23. November 2001 nicht die Erschließungsanlage " A-Straße " abgerechnet worden sei. Im Übrigen habe das Verwaltungsgericht die Einwände des Klägers gegen die Höhe der Kosten, die er bereits in seinem Widerspruchsschreiben vom 3. Januar 2002 erhoben habe, unberücksichtigt gelassen. Dies gelte für die räumliche Erfassung der erschlossenen Grundstücke und die unberechtigte Einbeziehung einer Unternehmerrechnung in Höhe von 1904,-- DM für den Abbruch verschiedener Fundamente in den Kostenaufwand. Unberechtigt eingestellt worden seien auch die Straßenentwässerungskosten, da diese weder nach den "tatsächlich entstandenen Kosten" noch nach Einheitssätzen ermittelt worden seien. Zu Unrecht habe die Beklagte schließlich die beitragspflichtigen Hinterliegergrundstücke der Gemarkung Johannisberg, Flur 1, Flurstück 256/10 und 256/8 nicht in die Verteilung einbezogen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 1. März 2005 - 6 E 2514/02 (V) - abzuändern und den Bescheid der Beklagten vom 23. November 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 13. November 2002 aufzuheben sowie die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung führt sie aus, das Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden gehe zutreffend davon aus, dass es sich bei der Verkehrsanlage " A-Straße / D-Straße " um eine einzige Erschließungsanlage handele. Entgegen der Auffassung des Senats in seinem Zulassungsbeschluss vom 13. Juni 2006 sei die Straße " A-Straße " zum Zeitpunkt der Herstellung der Straße " D-Straße " keine bereits endgültig hergestellte Erschließungsanlage gewesen, da der Zustand der endgültigen Herstellung einer Erschließungsanlage grundsätzlich erst dann erreicht sei, wenn alle in der Satzung festgelegten flächenmäßigen Teileinrichtungen in ihrer gesamten Länge den Anforderungen des satzungsmäßigen Ausbauprogramms entsprechend hergestellt worden seien. Die gesamte Anlage " A-Straße / D-Straße " sei in ihrer Ausdehnung bereits in der Örtlichkeit vorhanden und auch einseitig bebaut gewesen, so dass die Anbaueigenschaft außer Frage stehe. Insoweit könne die sachliche Beitragspflicht für die endgültige Herstellung erst entstehen, wenn die Gesamterschließungsanlage in ihrer gesamten Länge endgültig hergestellt sei, und zwar entsprechend den Herstellungsmerkmalen der Erschließungsbeitragssatzung. Eine Abweichungssatzung, die sich auf einen Teil einer Erschließungsanlage beschränke, könne nicht bewirken, dass die Anlage in ihrer gesamten Länge den Herstellungsmerkmalen entspreche und damit endgültig hergestellt sei. Insoweit komme es nicht darauf an, ob die Abweichungssatzung für den Teilbereich " A-Straße " (von "Hütte" bis " D-Straße ") - und zwar unabhängig von der Frage, ob diese Abweichungssatzung zum maßgeblichen Zeitpunkt überhaupt noch Geltung habe beanspruchen könne - die Herstellungsmerkmale der Erschließungsbeitragssatzung abgeändert habe, denn für den restlichen Teil der Erschließungsanlage hätten diese Herstellungsmerkmale weiterhin Geltung beansprucht, da hierzu keine Abweichungssatzung beschlossen worden sei. Bei einem Teilausbau der Gesamtlänge einer Straße könne dieser nur dann rechtlich verselbstständigt werden, wenn eine Abschnittsbildung vorgenommen werde, was im vorliegenden Fall nicht geschehen sei. Insoweit widerspreche der Zulassungsbeschluss des Senats vom 13. Juni 2006 sowohl der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts als auch dem Zulassungsbeschluss des Senats vom 5. Juli 2006 im Verfahren 5 UZ 2743/05. Dort habe der Senat ausdrücklich gefordert, dass die gesonderte Abrechnung einer Teilstrecke der letztlich geplanten Gesamtanlage einer Abschnittsbildung bedürfe. Stelle man - wie der Senat in seinem Zulassungsbeschluss - ausschließlich auf das "Ausbauprogramm" ab, habe es die Gemeinde in der Hand, eine Straße in beliebig viele verschiedene Erschließungsanlagen aufzuteilen. - Ohne dass es für das Verfahren entscheidungserheblich sei, gehe der Senat auch unzutreffend davon aus, dass die Beitragspflicht aufgrund der Abweichungssatzung vom 25. August 1982 entstanden sei. Im Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der neuen Satzung vom 11. Juni 1987 seien die Merkmale der endgültigen Herstellung nach der Erschließungsbeitragssatzung 1977 in Verbindung mit der Abweichungssatzung noch nicht erfüllt gewesen, denn es habe an dem Eigentumsübergang der Straßenflächen gefehlt. Mit dem In-Kraft-Treten der Erschließungsbeitragssatzung 1987 hätten die Herstellungsmerkmale des § 12 gegolten, von denen nur mit einer erneuten Änderungssatzung hätte abgewichen werden können; eine derartige Abweichungssatzung sei jedoch nicht beschlossen worden. - Zutreffend sei das Verwaltungsgericht unter Beachtung der Grundsätze zur "natürlichen Betrachtungsweise" zu dem Ergebnis gelangt, bei der Verkehrsanlage handele es sich um eine einzige Erschließungsanlage. Diese Vorgehensweise sei nicht zu beanstanden, denn die Beteiligten hätten ausreichend Fotografien zu den Gerichtsakten gereicht, aus denen sich der entsprechende Verlauf der Straße sowie Ausstattung und Breite etc. ergäben, so dass der entscheidende Richter erster Instanz aufgrund des vorgelegten Bildmaterials eindeutig habe entscheiden können, ob es sich bei der abgerechneten Anlage um eine einzige oder um zwei Erschließungsanlagen handele. Ein anderes Ergebnis als die Annahme einer einheitlichen Anlage komme nicht in Betracht, da die Straße weder durch eine Kreuzung noch durch eine andere Straße unterbrochen werde und man daher nur entweder die Möglichkeit habe, auf dem Straßenstück weiterzufahren oder aber umzukehren. Bei einer derart durchgängig verlaufenden Straße spiele es keine Rolle, ob der Gehweg an einem Teilstück etwas schmäler sei als an einem anderen und ob die Straßenbreite geringfügig differiere. Auch sonstige Ausnahmen, die die Annahme von zwei unterschiedlichen Erschließungsanlagen rechtfertigen könnten - etwa dass eine Teilstrecke ausschließlich als Fußgängerzone ausgebaut und gewidmet wäre, der andere Teil dagegen weiterhin dem Fahrverkehr vorbehalten bleibe - kämen nicht in Betracht. Auch die erstmals im Berufungsverfahren vorgebrachten Einwände gegen die Höhe des Erschließungsaufwandes seien unbegründet. Bei der gerügten Position von Stundenlohnarbeiten für den Abbruch verschiedener Fundamente in Höhe von 1.904,-- DM handele es sich um beitragsfähigen Aufwand, denn diese Position betreffe Freilegungskosten. Auch der Anteil der Straßenentwässerungskosten sei entgegen der Auffassung des Klägers nicht "frei" geschätzt, sondern nach den Vorgaben der Rechtsprechung ermittelt worden. Soweit schließlich die Nichtveranlagung von Hinterliegergrundstücken gerügt werde, gehe auch dieser Einwand fehl, denn bei den angesprochenen Grundstücken fehle es an der Eigentümeridentität und einer einheitlichen Nutzung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte (zwei Bände) und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge (drei Hefter und ein Heftstreifen Satzungsrecht) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die mit Beschluss des Senats vom 13. Juni 2006 - 5 UZ 1152/05 - zugelassene Berufung des Klägers ist auch im Übrigen zulässig, sie ist insbesondere innerhalb der Monatsfrist des § 124a Abs. 6 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - nach Zustellung des Zulassungsbeschlusses begründet worden.

Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage des Klägers gegen den Erschließungsbeitragsbescheid der Beklagten zu Unrecht abgewiesen, denn der Bescheid vom 23. November 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13. November 2002 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

Der Erschließungsbeitragsanspruch der Beklagten für das Grundstück Gemarkung A-Stadt, Flur 1, Flurstück 253/1, A-Straße, ist wegen Ablaufs der vier-jährigen Festsetzungsfrist erloschen (Festsetzungsverjährung).

Die Festsetzungsverjährungsfrist beginnt gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 4b Hessisches Kommunalabgabengesetz - KAG - in Verbindung mit §§ 169 Abs. 1, 170 Abs. 1 Abgabenordnung - AO - mit dem Ablauf des Kalenderjahres, in dem die sachlichen Beitragspflichten gemäß § 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB entstehen, also in dem Zeitpunkt, in dem die Erschließungsanlage endgültig im Rechtssinne hergestellt ist und alle weiteren gesetzlichen Voraussetzungen für das Entstehen der Beitragspflichten - das Vorliegen einer gültigen Erschließungsbeitragssatzung, die Rechtmäßigkeit der Herstellung nach § 125 Baugesetzbuch - BauGB - und die Widmung der Straße - erfüllt sind, wobei die Reihenfolge des Eintritts dieser Voraussetzungen unerheblich ist (Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 7. Auflage 2004, § 19 Rn. 4; Senatsurteil vom 22. Juli 1993 - 5 UE 3401/90 -).

Im vorliegenden Fall handelt es sich bei dem Straßenzug, bestehend aus der Straße " A-Straße ", der Wegeparzelle 266/1 und der Straße " D-Straße ", abrechnungsmäßig um zwei selbstständige Erschließungsanlagen, mit der Folge, dass nach der endgültigen Herstellung der Erschließungsanlage " A-Straße " die sachlichen Beitragspflichten für diese Anlage ohne Fertigstellung auch der sich anschließenden Erschließungsanlage "D-Straße" entstehen konnten.

Für die Beantwortung der Frage, ob ein Straßenzug eine einzelne Erschließungsanlage ist oder aus mehreren Anlagen besteht, ist - ausgehend von einer natürlichen Betrachtungsweise - grundsätzlich auf das durch die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt des Entstehens sachlicher Beitragspflichten (§ 133 Abs. 2 BauGB) geprägte Erscheinungsbild abzustellen (BVerwG, Urteil vom 22. März 1996 - 8 C 17.94 - NVwZ 1996, 795). Der Eindruck, den die tatsächlichen Verhältnisse vermitteln, gilt jedoch nur im Grundsatz. Unabhängig von diesem Grundsatz ist eine zum Ausbau bestimmte Straßenstrecke dann als selbstständige Erschließungsanlage einzustufen, wenn sie eine vorhandene Erschließungsanlage nach deren endgültiger Herstellung und dem Entstehen der sachlichen Beitragspflicht verlängert (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 5. Oktober 1984 - VIII C 41.83 -, KStZ 1985,49; Urteil vom 18. Mai 1990 - 8 C 80.88 -, NVwZ 1991, 77 [78]; OVG Münster, Urteil vom 28. August 2001 - 15 A 621/99 -, HSGZ 2002, 261; Driehaus, a.a.O., § 12 Rn. 15).

Maßgeblich ist danach, dass es sich bei der Straße " A-Straße " um eine bereits endgültig hergestellte Erschließungsanlage mit der Folge der Beitragsentstehung handelte, ehe die konkreten Ausbaupläne für die Straße " D-Straße " gefasst wurden. Der Selbstständigkeit der Erschließungsanlage " A-Straße " steht nicht entgegen, dass sich der aus den Straßen " A-Straße ", der Wegeparzelle 266/1 und der Straße " D-Straße " zusammengesetzte Straßenzug h e u t e - also nach Herstellung auch der Straße " D-Straße " - bei natürlicher Betrachtungsweise als eine Erschließungsanlage darstellt; denn dies ist nicht selten der Fall, wenn eine bereits bestehende Anlage verlängert wird. Entscheidend ist vielmehr, dass die Beklagte sich seinerzeit für die Herstellung nur der Straße " A-Straße " einschließlich der nach Nordwesten "verspringenden" Wegeparzelle 266/1 als Erschließungsanlage entschieden hat und diese Entscheidung auf Grund der damals vorgefundenen Wege- und Geländeverhältnisse in fehlerfreier Ausübung des ihr insoweit zustehenden Ermessens auch treffen durfte. Die Bestimmung der räumlichen Ausdehnung einer einzelnen Erschließungsanlage liegt im Planungsermessen der Gemeinde. Soweit ein Bebauungsplan vorliegt, ist die Konkretisierung des Planungswillens der Gemeinde regelmäßig unproblematisch. Die Bestimmung der räumlichen Ausdehnung einer solchen Anlage im unbeplanten Innenbereich ist dagegen anhand von sonstigen, diesen Planungswillen konkretisierenden Handlungen der Gemeinde, etwa des Haushaltsansatzes oder des Bauprogramms, zu ermitteln. Wesentliches Indiz für die Ermittlung des Planungswillens der Gemeinde bzgl. der räumlichen Ausdehnung der Erschließungsanlage im Sinne des § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB ist das konkrete Bauprogramm. Dieses Programm enthält technische Bestimmungen über den Ausbau der Straße im Einzelnen und ist an keine bestimmte Form gebunden. Es kann sich aus Beschlüssen der kommunalen Gremien, derartigen Beschlüssen zu Grunde liegenden Unterlagen oder selbst aus der Auftragsvergabe ergeben. Es kann so lange mit Auswirkungen auf das Erschließungsbeitragsrecht geändert werden, wie die Straße insgesamt noch nicht einem für sie aufgestellten Bauprogramm entspricht, d. h. noch nicht endgültig im Sinne des § 133 Abs. 2 BauGB hergestellt worden ist (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 18. Januar 1991 - 8 C 14.89 - NVwZ 1992, 493).

Das Bauprogramm für die Straße " A-Straße " umfasste den Bereich zwischen den Straßen "Hütte" und der Straße " D-Straße " (Flurstück 1, Flurstücke 251/1 und 266/1 und Flur 60, Flurstück 35). In diesem Umfang sind die Herstellungsarbeiten an die Firma F. erteilt, von dieser durchgeführt und mit Schlussrechnung vom 10. Mai 1978 abgerechnet worden. Bezogen auf dieses Bauprogramm hat die Beklagte im Jahre 1982 versucht, die Anlieger zu Erschließungsbeiträgen für diese Erschließungsanlage heranzuziehen, und zwar im Wege der Kostenspaltung (ohne Grunderwerb), da sich aufgrund der Flurbereinigung Teile der Straßenflächen (die Parzelle Flur 60, Flurstück 35) noch nicht im Eigentum der Beklagten befanden. Auch der Magistratsbeschluss vom 6. Oktober 1982 über die Herstellung der Erschließungsanlage " A-Straße " (zwischen Hütte und D-Straße) macht deutlich, dass die Beklagte die Verkehrsanlage in dieser räumlichen Ausdehnung als selbstständige Erschließungsanlage behandelt hat. Schließlich hat die Beklagte für die Herstellung genau dieser Anlage die Zustimmung des Regierungspräsidiums Darmstadt vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden erstritten.

Die Ausübung des Planungsermessens in dieser Weise ist rechtlich nicht zu beanstanden. Nach den tatsächlichen Verhältnissen konnte die Beklagte zum damaligen Zeitpunkt willkürfrei von der Selbstständigkeit der Erschließungsanlage in der von ihr bestimmten räumlichen Ausdehnung ausgehen und musste nicht - was ihr Bevollmächtigter h e u t e für zwingend geboten hält - die Straße "D-Straße " einbeziehen. Zwar ergibt sich aus den im Erörterungstermin vor dem Verwaltungsgericht am 3. Dezember 2004 vorgelegten Unterlagen, dass die jeweils einseitige Bebauung an der Straße " D-Straße " in den 60-er Jahren und an der Straße " A-Straße " in den 70-er Jahren des letzten Jahrhunderts im Wesentlichen abgeschlossen war. Auch kann unterstellt werden, dass die Wegeparzelle 266/1 bereits befahrbar war. Allein daraus folgt jedoch noch nicht, dass sich die Erstherstellung als Erschließungsanlage zwingend auch auf den Straßenzug " D-Straße " hätte erstrecken müssen. Gegen einen Zwang hierzu spricht bereits die unterschiedliche Straßenbezeichnung, der zumindest Indizfunktion für das Vorliegen mehrerer selbstständiger Erschließungsanlagen zukommt. Zudem bildete zwischen den beiden "versetzt" verlaufenden Straßenzügen die nach Nordwesten verspringende Wegeparzelle 266/1 eine deutliche Zäsur. Bei diesem Weg handelte es sich nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 22. August 2007 zum damaligen Zeitpunkt um einen Grasweg, den die Winzer benutzten, um zu ihren talwärts gelegenen Weinbergen zu gelangen. Die Annahme eines einzigen durchgehenden Straßenzugs, bestehend aus der Straße " A-Straße ", der Wegeparzelle 266/1 und der Straße " D-Straße ", lag von daher eher fern. Des Weiteren ist von Bedeutung, dass die Straße " D-Straße " dazu diente, den Landarbeitern die Erreichbarkeit ihrer Grundstücke von der Elster-Mühle aus zu vermitteln und ihre Befahrbarkeit von den Anliegern bereits in den 60-er Jahren des letzten Jahrhunderts in Eigenregie hergestellt worden war. Unter Berücksichtigung all dieser Umstände ist es nachvollziehbar, dass die Beklagte bei der damaligen Erstherstellung als Erschließungsanlage auf die Einbeziehung der Straße " D-Straße " verzichtet und sich, um dem Eigentümer der Parzelle 256/2 eine Zufahrtsmöglichkeit zu seiner Garage zu vermitteln, auf die Einbeziehung der Wegeparzelle 266/1 beschränkt hat. Sie hat sich damit nicht etwa in einen Widerspruch zu einer natürlichen Betrachtungsweise bei der Anlagenbestimmung begeben.

Vor diesem Hintergrund war der von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung am 22. August 2007 gestellte Beweisantrag, der auf die Tatsachenfeststellung der Befahrbarkeit der Wegeparzelle 266/1 und das Vorhandensein einer tatsächlichen Bebauung sowohl an der Straße " A-Straße " als auch an der Straße " D-Straße " bereits in den 70-er Jahren des letzten Jahrhunderts gerichtet ist, abzulehnen, da diese Tatsachen nicht entscheidungserheblich sind.

Die technische Umsetzung des Bauprogramms für die Straße " A-Straße " wurde in den Jahren 1976 und 1977 verwirklicht, wobei die Straße allerdings - insoweit in Abweichung von § 9 Abs. 1 der Satzung über das Erheben von Erschließungsbeiträgen der Beklagten vom 14. Oktober 1977 (EBS 1977) - keine beidseitige Gehwegeanlage erhielt. Hinsichtlich dieses Merkmals der endgültigen Herstellung hat die Stadtverordnetenversammlung der Beklagten am 25. August 1982 eine Abweichungssatzung zur Erschließungsbeitragssatzung 1977 erlassen, derzufolge in Abweichung von § 9 EBS 1977 für die endgültige Herstellung der Erschließungsanlage " A-Straße " (von Hütte bis D-Straße) das Herstellungsmerkmal "beiderseitige Gehwege" entfällt. Entgegen der Auffassung der Beklagten und des Verwaltungsgerichts ist diese Abweichung nicht als Folge der Aufhebung der Erschließungsbeitragssatzung 1977 durch die Erschließungsbeitragssatzung vom 11. Juni 1987 (EBS 1987) unwirksam geworden. Der Sache nach handelt es sich bei der Regelung vom 25. August 1982 um eine Maßnahmesatzung, die für eine konkrete Erschließungsanlage ("A-Straße ") hinsichtlich eines bestimmten Merkmals der endgültigen Herstellung im Sinne des § 132 Nr. 4 BauGB bzw. BBauG einen von der allgemeinen Regelung der Erschließungsbeitragssatzung abweichenden Willen des Satzungsgebers kundtut. Die Ersetzung der (allgemeinen) Erschließungsbeitragssatzung durch eine - hinsichtlich der Herstellungsmerkmale im Übrigen inhaltsgleiche - neue Regelung lässt diesen abweichenden Willen des Satzungsgebers regelmäßig unberührt. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Satzungsgeber seinen Revisionswillen auch im Hinblick auf die Maßnahmesatzung konkret zum Ausdruck bringt. Die insoweit abweichende Auffassung des OVG Münster im Urteil vom 26. Juli 1991 - 3 A 910/91 - (GemHH 1992, 212) wonach sich eine (unselbstständige) Abweichungssatzung ausschließlich auf die bei ihrem In-Kraft-Treten geltende (allgemeine) Erschließungsbeitragssatzung beziehe und keine Wirkung für zukünftige Satzungen entfalte, überzeugt nicht. Diese formale Begründung, die sich allein auf den Wortlaut der Abweichungssatzung bezieht, wird dem Charakter einer Abweichungssatzung als Ausdruck der Konkretisierung eines bestimmten Planungswillens der Gemeinde nicht gerecht. Zwar muss sich die Abweichungssatzung unter dem Gesichtspunkt der Normenklarheit auf die bei ihrem In-Kraft-Treten geltende allgemeine Erschließungssatzung beziehen, Rückschlüsse über den Umfang des Revisionswillens eines Satzungsgebers im Falle einer Satzungsänderung lassen sich daraus aber nicht ableiten. Ein allgemeiner Rechtssatz dahingehend, dass eine Abweichungssatzung das rechtliche Schicksal der allgemeinen Satzung teilt mit der Folge, dass die Außerkraftsetzung der allgemeinen Satzung auch die Aufhebung der Abweichungssatzung impliziert, besteht nicht. Ein sich im Jahre 1987 manifestierter Revisionswille im Hinblick auf die Abweichungssatzung ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Im Gegenteil: Gemäß § 16 Satz 2 EBS 1987 treten die Satzung vom 17. Oktober 1977 sowie - explizit genannt - die Änderungssatzungen vom 18. Juli 1978, 16. September 1981 und 25. März 1983 am Tag des In-Kraft-Tretens der neuen Satzung außer Kraft. Vom Revisionswillen des Satzungsgebers ausdrücklich ausgenommen ist dementsprechend die Abweichungssatzung vom 25. August 1982. Anders verhielte es sich nur dann, wenn der Satzungsgeber mit der In-Kraft-Setzung der Neuregelung zugleich neue abweichende Merkmale für endgültige Herstellung der Erschließungsanlage geschaffen hätte. Dies ist aber weder durch die Erschließungsbeitragssatzung von 1987 noch durch die Satzung von 1991 erfolgt.

Die Zustimmung des Regierungspräsidiums Darmstadt zur Herstellung der Erschließungsanlage " A-Straße " erfolgte am 10. Januar 1986 aufgrund der Verpflichtung durch das rechtskräftige Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 21. August 1985 im Verfahren III/2 E 980/84. Nachdem der im Jahre 1993 veröffentlichte Flurbereinigungsplan, der die Erschließungsanlage " A-Straße " als Ortsstraße ausweist und dem öffentlichen Verkehr widmet, Rechtskraft erlangte und seine Ausführung angeordnet war, trat die Widmung in Kraft, denn insoweit hat die Festsetzung des Flurbereinigungsplans gemäß § 58 Abs. 4 Satz 1 Flurbereinigungsgesetz - FlurbG - die Wirkung einer Gemeindesatzung. Des Weiteren ging auch das Eigentum der sich im Flurbereinigungsverfahren befindlichen Wegeparzelle Flur 60, Flurstück 35 gemäß § 61 FlurbG in das Eigentum der Beklagten über. Die deklaratorische grundbuchrechtliche Eintragung der entsprechenden Straßenflächen als Eigentum der Beklagten erfolgte im Oktober 1996. Spätestens in diesem Zeitpunkt waren alle Voraussetzungen für das Entstehen der sachlichen Beitragspflichten erfüllt, so dass die Festsetzungsverjährungsfrist des § 4 Abs. 1 Nr. 4b KAG in Verbindung mit §§ 169 Abs. 1, 170 Abs. 1 AO am 31. Dezember 1996 zu laufen begann. Ab diesem Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflichten war auch eine Veränderung des Bauprogramms etwa im Hinblick auf die flächenmäßige Ausdehnung der Erschließungsanlage nicht mehr möglich. Die erste Willensbekundung über die Zusammenfassung und die gemeinsame Abrechung der Straßen " A-Straße " und " D-Straße " als eine Erschließungsanlage findet sich aber erst im Beschluss des Magistrats der Beklagten vom 8. April 1998. Da das Bauprogramm für die Straße " D-Straße " vom Magistrat erst am 7. Juni 2000 beschlossen wurde und die Herstellung im Anschluss daran in den Jahren 2000/2001 erfolgte, handelt es sich bei dieser Straße, mag sie sich jetzt auch bei natürlicher Betrachtungsweise als abknickende Verlängerung der Straße " A-Straße " darstellen, um eine weitere, selbstständige Erschließungsanlage. Vor dem Hintergrund der spätestens 1996 entstandenen sachlichen Beitragspflichten für die Erschließungsanlage " A-Straße " konnte der Magistratsbeschluss vom 8. April 1998 auch eine wirksame Beschlussfassung über die Bildung einer Erschließungseinheit nicht mehr herbeiführen. Dabei kann dahinstehen, ob dem Wortlaut des Magistratsbeschlusses ein dahingehender Wille überhaupt entnommen werden kann.

Da die vierjährige Festsetzungsverjährungsfrist § 4 Abs. 1 Nr. 4b KAG in Verbindung mit §§ 169 Abs. 1, 170 Abs. 1 AO spätestens am 31. Dezember 2000 endete, war der Erschließungsbeitragsanspruch der Beklagten für das Grundstück des Klägers im Zeitpunkt des Erlasses des Beitragsbescheides am 23. November 2001 bereits erloschen, so dass die Heranziehung des Klägers rechtswidrig ist und ihn in seinen Rechten verletzt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten aus § 167 VwGO in Verbindung mit den §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung - ZPO -.

Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren ist gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO für notwendig zu erklären, da es dem Kläger angesichts der im Raum stehenden Rechtsfragen nicht zumutbar war, das Vorverfahren selbst zu betreiben.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren auf 11.756,46 € festgesetzt

Gründe:

Die Entscheidung über die Höhe des Streitwertes beruht auf §§ 52 Abs. 3, 47 Gerichtskostengesetz - GKG -.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 68 Abs. 1 Satz 4 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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