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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 19.07.2000
Aktenzeichen: 5 UZ 2128/96.A
Rechtsgebiete: AsylVfG


Vorschriften:

AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 2
Kommt das Verwaltungsgericht aufgrund neuer, vom Oberverwaltungsgericht nicht verwendeter Erkenntnismittel hinsichtlich der Verfolgungssituation zu einem im Ergebnis anderen tatsächlichen Grundsatz als das Oberverwaltungsgericht, kommt eine Zulassung wegen Divergenz gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG nicht in Betracht. Möglich ist die Rüge der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG.
Gründe:

Der Antrag des Klägers - des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten - auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 9. Mai 1996, der allein auf den Zulassungsgrund der Divergenz gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 2 Asylverfahrensgesetz - AsylVfG - gestützt ist, bleibt ohne Erfolg.

Der geltend gemachte Zulassungsgrund der Abweichung des angefochtenen Urteils von einem in mehreren genannten Entscheidungen des ursprünglich für Asylstreitverfahren srilankischer Asylbewerber zuständigen 12. Senats des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs ergibt sich aus den Ausführungen des Klägers nicht. Eine Divergenz im oben genannten Sinn setzt voraus, dass das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung einen abstrakten Grundsatz rechtlicher oder tatsächlicher Natur zugrunde gelegt hat, der mit einem von einem der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG genannten Gerichte aufgestellten Grundsatz nicht übereinstimmt (vgl. Marx, AsylVfG, 4. Aufl., § 78 Rdnr. 64, m. w. N.). Dabei genügt es nicht, wenn das Verwaltungsgericht einen von einem der genannten Gerichte aufgestellten Grundsatz falsch anwendet, da der Zweck der Zulassung wegen Divergenz nicht in der Herstellung von Einzelfallgerechtigkeit, sondern in der Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung besteht. Diese Voraussetzungen hat der Zulassungsantragsteller gemäß § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG darzulegen.

Hier benennt der Kläger als vom 12. Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs in seinen Urteilen vom 26. Juli 1993 - 12 UE 2439/89 - und vom 11. Oktober 1995 - 12 UE 2018/95 und 12 UE 2021/95 - aufgestellten abstrakten Grundsatz tatsächlicher Natur, von dem das Verwaltungsgericht abgewichen sei, dass auch unter Anwendung des für Vorverfolgte geltenden herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes eine inländische Fluchtalternative im Südwesten des Landes für alle Tamilen (alters- und geschlechtsunabhängig) zu bejahen sei. Darüber hinaus sei ausdrücklich festgestellt, dass auch Tamilen ohne familiären Rückhalt keine existenzielle Gefährdung insbesondere aufgrund eines Dahinvegetierens unter dem wirtschaftlichen Existenzminimum, die so in der Heimatregion nicht bestanden hätte, drohe (Hess. VGH, Urteil vom 10.10.1994 - 12 UE 363/94 - und Urteil vom 13.11.1995 - 12 UE 2014/95 -). In der Tat kommt das Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung zu dem Ergebnis, dass dem Beigeladenen im Zeitpunkt der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung keine inländische Fluchtalternative zur Verfügung stehe, da nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden könne, dass es rückkehrenden Tamilen grundsätzlich möglich sei, sich im Großraum Colombo eine menschenwürdige Existenz aufzubauen. Eine die Zulassung der Berufung rechtfertigende Divergenz liegt dennoch nicht vor, weil das Verwaltungsgericht ausdrücklich aufgrund einer anderen, neueren tatsächlichen Grundlage zu seiner Schlussfolgerung gekommen ist. In Abgrenzung zu den Entscheidungen des 12. Senats des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (ausdrücklich bezogen auf das Urteil vom 11.10.1995 - 12 UE 2018/95 -) hat das Verwaltungsgericht sein abweichendes Ergebnis ausdrücklich auf neue Erkenntnismittel, nämlich das Sachverständigengutachten von Keller-Kirchhoff für das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 4. Januar 1996 gestützt und dieses mit einer Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 16. Januar 1996 an dasselbe Gericht abgewogen.

Bei Tatsachenfragen kommt eine Divergenzzulassung dann nicht mehr in Betracht, wenn sich seit der obergerichtlichen Entscheidung, die einen bestimmten Grundsatz aufgestellt hat, die tatsächlichen Verhältnisse nicht nur unwesentlich geändert haben und das Verwaltungsgericht seine abweichende Bewertung der Verfolgungslage unter Bezeichnung der neu herangezogenen Erkenntnismittel auf diese Veränderungen ausdrücklich stützt. Im Bereich von Tatsachenfragen ist nämlich zu berücksichtigen, dass die Verbindlichkeit einer grundsätzlichen Aussage unter dem Vorbehalt der Änderung der Sachlage steht, der Grundsatz also Geltung nur für die ihm zugrunde gelegte tatsächliche Erkenntnislage beansprucht (vgl. Hess. VGH, Beschlüsse vom 06.07.1998 - 13 UZ 3218/97.A - und vom 12.03.1999 - 9 UZ 969/98.A -, NVwZ 1999 Beilage Nr. 9, 96; Berlit in: GK-AsylVfG, Stand: Mai 2000, § 78 Rdnr. 171). Diese Ausgangslage ist gleichzusetzen mit der Lage bei der Rüge einer Divergenz hinsichtlich eines Rechtssatzes, wenn die im Ergebnis abweichende Entscheidung des Verwaltungsgerichts aufgrund einer anderen - neueren - Rechtsgrundlage erfolgt ist, als sie der obergerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegen hat.

In diesen Fällen kommt bei entsprechender Rüge und hinreichender Darlegung allein eine Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG zur Klärung der neu aufgeworfenen tatsächlichen oder rechtlichen Frage in Betracht. Eine derartige Grundsatzrüge hat der Kläger jedoch nicht erhoben. Der Senat weist allerdings darauf hin, dass er die diesbezüglichen Streitfragen in seinem Grundsatzurteil vom 3. Mai 2000 - 5 UE 4657/96.A - für die gegenwärtige Tatsachenlage geklärt hat und zu dem Ergebnis gekommen ist, dass unabhängig von der Frage einer Vorverfolgung aus Deutschland zurückkehrenden Tamilen im Großraum Colombo grundsätzlich eine inländische Fluchtalternative mit hinreichender Sicherheit offen steht.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Erstattungsfähigkeit der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen entspricht der Billigkeit, da er ohne sein eigenes Zutun in das Zulassungsverfahren hineingezogen worden ist. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b Abs. 1 AsylVfG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).

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