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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 04.06.2008
Aktenzeichen: 5 UZ 2623/07
Rechtsgebiete: EWS der Stadt Hungen


Vorschriften:

EWS der Stadt Hungen
Ein als Folge eines schadhaften Leitungsrohrs eingetretener Wasserverlust auf dem an die öffentliche Wasserversorgung angeschlossenen Grundstück vor der Wasserennahme ist kein "Frischwasserverbrauch" und hat deshalb bei der Bemessung der Abwassergebühr nach der Menge des verbrauchten Frischwassers ("Frischwassermaßstab") außer Betracht zu bleiben.
HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF BESCHLUSS

5 UZ 2623/07

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Benutzungsgebühren

hier: Antrag auf Zulassung der Berufung

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 5. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Dr. Lohmann, Richter am Hess. VGH Dr. Apell, Richter am Hess. VGH Schneider

am 4. Juni 2008

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 24. Oktober 2007 - 8 E 1828/06 - wird abgelehnt.

Die Beklagte hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes für das Zulassungsverfahren wird auf 3.994,20 € festgesetzt.

Gründe:

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das im Tenor des vorliegenden Beschlusses näher bezeichnete Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen ist gemäß § 124a Abs. 4 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - statthaft, bleibt in der Sache aber ohne Erfolg.

Die mit Schriftsatz vom 19. Dezember 2007 geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) rechtfertigen die Zulassung der Berufung nicht.

Macht ein die Zulassung der Berufung beantragender Beteiligter die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache geltend, muss er - um den gesetzlichen Darlegungserfordernissen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO Genüge zu tun - zumindest dartun, welche konkrete und in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage oder welche bestimmte und für eine Vielzahl gleich gelagerter Fälle bedeutsame Frage tatsächlicher Art im Berufungsverfahren geklärt werden soll und inwiefern diese Frage einer (weitergehenden) Klärung im Berufungsverfahren bedarf. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne der vorgenannten verfahrensrechtlichen Bestimmung hat ein Rechtsstreit nämlich nur dann, wenn er eine tatsächliche oder rechtliche Frage aufwirft, die für die Berufungsinstanz entscheidungserheblich ist und die über den Einzelfall hinaus im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung einer Klärung bedarf.

Als klärungsbedürftig wirft der Bevollmächtigte der Beklagten die Frage auf,

"ob es sich bei der Antragstellung auf Abänderung eines bestandskräftigen Bescheides um einen Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 HessVwVfG handelt bzw. ob § 51 HessVwVfG überhaupt auf abgabenrechtliche Heranziehungsverfahren nach dem KAG anzuwenden ist",

sowie die weitere Frage,

"ob nach der Bestandskraft eines Bescheides die Festsetzung einer Abwassergebühr nach § 25 Abs. 2 der EWS trotz Ablauf der Antragsfrist auf Herabsetzung der für die Gebührenfestsetzung entscheidungserheblichen Wassermenge noch möglich ist".

Damit ist eine Klärungsbedürftigkeit im oben genannten Sinne nicht dargelegt, denn es fehlt an der Entscheidungserheblichkeit, da sich die Fragen unschwer unmittelbar aus dem Gesetz bzw. aus der Entwässerungssatzung der Beklagten beantworten lassen. Die Abänderung eines bestandskräftigen abgabenrechtlichen Heranziehungsbescheides kann nicht auf die Vorschrift über das Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 51 Abs. 1 HessVwVfG gestützt werden, da das Verwaltungsverfahrensgesetz gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 HessVwVfG nicht für Verwaltungsverfahren gilt, in denen Vorschriften der Abgabenordnung anzuwenden sind. Für die hier im Streit stehende Gebührenforderung nach Maßgabe des Hessischen Kommunalabgabengesetzes - KAG - werden gemäß § 4 KAG die dort genannten Vorschriften der Abgabenordnung für entsprechend anwendbar erklärt, nach § 4 Abs. 1 Nr. 3b KHG insbesondere die §§ 130 , 131 AO, die dem Pflichtigen einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Rücknahme bzw. den Widerruf auch eines bestandskräftigen Heranziehungsbescheides zubilligen. Auch die weitere Frage nach der Herabsetzung der maßgeblichen Wassermenge trotz Ablaufs der Antragsfrist lässt sich unschwer aus § 25 EWS beantworten. § 25 Abs. 1 EWS der Beklagten legt den Frischwasser v e r b r a u c h als Wahrscheinlichkeitsmaßstab für die gebührenpflichtigen Abwassermengen fest. Mit dem Begriff des Frischwasserverbrauchs ist die bewusste, willentlich gesteuerte Inanspruchnahme von Frischwasser aus den unter Nr. 1 lit. a und b genannten Quellen gemeint. Werden Teile dieser Wassermengen nicht als Abwasser der Abwasseranlage zugeführt, so sind sie nach Maßgabe entsprechender Messergebnisse bei der Berechnung der Abwassergebühren unberücksichtigt zu lassen. Insoweit bestimmt § 25 Nr. 3 EWS, dass Anträge auf Absetzung nicht zugeführter Wassermengen spätestens innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Gebührenbescheides zu stellen sind. Vom Wahrscheinlichkeitsmaßstab für die Abwassergebühren nach dieser Vorschrift nicht erfasst ist ein Wasser v e r l u s t. Dabei handelt es sich um Wassermengen, die ohne Wissen und Wollen des Versorgungsnehmers anfallen wie etwa Wasser, das infolge eines Rohrbruchs oder eines Lecks aus der Versorgungsleitung austritt, ohne von einer Messeinrichtung erfasst zu werden. Dementsprechend unterliegen Absetzungsanträge für Wassermengen, die als Folge eines solchen Wasserverlustes nicht der Abwasseranlage zugeführt wurden, nicht der Monatsfrist des § 25 Abs. 3 EWS.

Erhält die Gemeinde Kenntnis von einem derartigen Wasserverlust, kann sie zur Bestimmung der Abwassergebührenhöhe nicht ohne weiteres auf den oben bezeichneten Wahrscheinlichkeitsmaßstab des nach dem Wasserzähler ermittelten Frischwassers abstellen. Sie hat vielmehr Ermittlungen zur Höhe des Wasserverlustes anzustellen und die hierauf entfallende Menge unberücksichtigt zu lassen. Ist eine Bestimmung der genauen Menge nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich, hat sie die Menge des verloren gegangenen Wassers zu schätzen. Die grundsätzliche Möglichkeit einer Schätzung wird z.B. in § 25 Abs. 6 der Entwässerungssatzung der Beklagten zum Ausdruck gebracht. Im vorliegenden Fall war die Abwassergebühr in Unkenntnis des eingetretenen Wasserverlusts in der Höhe festgesetzt worden, die der Menge der tatsächlich gemessenen Frischwassermenge entsprach. Diese Festsetzung ist dann in formelle Bestandskraft erwachsen. Der erst später - auf Grund der Erkenntnis des Wasserverlusts - gestellte Antrag der Kläger "auf Herabsetzung der Abwassergebühren" stellt bei dieser Ausgangslage keinen Antrag auf Absetzung nicht zugeführter Wassermengen im Sinne des § 25 Nr. 2 und 3 EWS dar, sondern er enthält in Wahrheit das Begehren, die Gemeinde möge von ihrer Rücknahmebefugnis nach § 130 Abs. 1 AO Gebrauch machen und die - bestandskräftige - Gebührenfestsetzung in Höhe des Betrages aufheben, der auf die Menge des Wasserverlustes entfällt. Ein dahingehendes Rücknahmeermessen hat die Beklagte bislang noch nicht ausgeübt. Sie ist von daher - wenigstens im Ergebnis zu Recht - in dem von ihr angegriffenen erstinstanzlichen Urteil zur Neubescheidung des Antrages der Kläger verpflichtet worden. Eine Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils scheidet insoweit ebenfalls aus.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die Höhe des Streitwerts ergibt sich aus §§ 52 Abs. 3, 47 Gerichtskostengesetz - GKG -, wobei Senat im Hinblick auf den Bescheidungsantrag der Kläger die Hälfte des begehrten Absetzungsbetrages zu Grunde legt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO und § 68 Abs. 1 Satz 4 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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