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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 17.04.2007
Aktenzeichen: 5 UZ 584/07
Rechtsgebiete: AO 1977


Vorschriften:

AO 1977 § 171 Abs. 10
AO 1977 § 184 Abs. 3
AO 1977 § 191 Abs. 3
1.) Die Festsetzungsfrist gemäß § 171 Abs. 10 Satz 1 AO beginnt mit der Bekanntgabe des Grundlagenbescheids an den/die Steuerpflichtigen.

2.) Eine Anfechtung des Grundlagenbescheids führt nicht zu einer Hemmung der Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 10 Satz 1 AO (beides wie BFH, Urteil vom 19. Januar 2005 - X R 14/04 -, BFHE 208, 410).


HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF BESCHLUSS

5 UZ 584/07

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Haftungsbescheid für Gewerbesteuer hier: Antrag auf Zulassung der Berufung

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 5. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Dr. Lohmann, Richter am Hess. VGH Dr. Apell, Richter am Hess. VGH Schneider

am 17. April 2007 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 15. Februar 2007 - 8 E 4140/05 - wird abgelehnt.

Die Beklagte hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Zulassungsverfahren auf einen Betrag von 4.379,31 € festgesetzt.

Gründe:

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 15. Februar 2007 bleibt ohne Erfolg.

Der Kläger wandte sich mit seiner - in erster Instanz erfolgreichen - Anfechtungsklage gegen seine Inanspruchnahme durch Haftungsbescheid der beklagten Gemeinde für rückständige Gewerbesteuern einer inzwischen aufgelösten Gesellschaft bürgerlichen Rechts, deren Gesellschafter er gemeinsam mit einer weiteren Person gewesen war. Das Verwaltungsgericht hat den Haftungsbescheid der Beklagten aufgehoben, da für die zu Grunde liegende Gewerbesteuerschuld zum Zeitpunkt des Erlasses des Haftungsbescheides bereits Festsetzungsverjährung gemäß § 191 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit § 171 Abs. 10 Satz 1 Abgabenordnung - AO - eingetreten gewesen sei, weil nach Bekanntgabe der geänderten Gewerbesteuermessbescheide bei Erlass der geänderten Gewerbesteuerbescheide gegenüber der GbR bereits mehr als zwei Jahre vergangen gewesen waren. Die geänderten Gewerbesteuermessbescheide seien gegenüber den Gesellschaftern der GbR mit Schreiben vom 27. Juli 2001 - und damit erst nach Ablauf der zweijährigen Festsetzungsfrist - bekannt gegeben worden. Durch die fehlerhafte Bekanntgabe des Grundlagenbescheids an die nicht hebeberechtigte Stadt Alsfeld sei die Festsetzungsfrist dennoch in Lauf gesetzt worden (vgl. die Wiedergabe des verwaltungsgerichtlichen Urteils in: GemHH 2007, 66).

Dem hält der Bevollmächtigte der Beklagten in seinen Ausführungen zum Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -) entgegen, ausweislich einer Mitteilung des Finanzamts vom 12. Januar 2005 seien die Gewerbesteuermessbescheide für die Jahre 1996 und 1997 von 27. Juli 2001 durch Einspruch angefochten worden. Aufgrund dieses Einspruchs sei die Festsetzungsfrist mit Wirkung für und gegen den Kläger zum Zeitpunkt des Erlasses des Steuerbescheides durch die Beklagte am 25. August 2004 noch gehemmt gewesen. Auch sei der Haftungsbescheid innerhalb der Festsetzungsverjährungsfrist erlassen worden. Die Festsetzungsfrist sei durch die erstmalige Bekanntgabe des Messbescheids an die nicht hebeberechtigte Stadt Alsfeld nicht in Lauf gesetzt worden, da § 184 Abs. 3 AO die Bekanntgabe an die hebeberechtigte Gemeinde aufgrund der Vorgaben höherrangigen Rechts verlange. Zum anderen beginne nach § 191 Abs. 3 Satz 3 AO die Festsetzungsfrist für den Erlass eines Haftungsbescheides in dem Jahr, in dem der Tatbestand verwirklicht worden sei, an den das Gesetz die Haftungsfolge knüpfe. § 191 Abs. 3 Satz 4 AO bestimme, dass die Festsetzungsfrist für den Erlass eines Haftungsbescheides nicht vor Ablauf der für die Steuerfestsetzung geltenden Frist ende.

Diese Ausführungen wecken beim erkennenden Senat keine ernstlichen Zweifel am Ergebnis der erstinstanzlichen Entscheidung. Nach dem Wortlaut des Gesetzes und der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, der auch der Senat folgt, ist für den Fristbeginn gemäß § 171 Abs. 10 Satz 1 AO maßgebend die Bekanntgabe des Grundlagenbescheides (§ 122 AO) an den oder die Adressaten, d.h. den Steuerpflichtigen (BFH, Urteil vom 19. Januar 2005 - X R 14/04 -, BFHE 208, 410; Rüsken in: Klein, AO, 9. Aufl., § 171 Rdn 98). Diese ist hier nach den unwidersprochenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts am 30. Juli 2001 gegenüber den Gesellschaftern der GbR geschehen. Damit war zum Zeitpunkt des Erlasses der geänderten Gewerbesteuerbescheide durch die Beklagte gegenüber den Gesellschaftern der GbR am 25. August 2004 die Festsetzungsfrist von zwei Jahren bereits abgelaufen. Nicht erheblich für den Beginn und Ablauf der Festsetzungsverjährungsfrist nach § 171 Abs. 10 Satz 1 AO ist dagegen der Zeitpunkt der Mitteilung des Inhalts des Steuermessbescheids durch die Finanzbehörde an die Gemeinde gemäß § 184 Abs. 3 AO. Dabei handelt es sich nicht um die Bekanntgabe des Grundlagenbescheides im Sinne von § 171 Abs. 10 Satz 1 AO, der die Festsetzungsfrist in Gang setzt. Deshalb liegt hier auch - entgegen der Ansicht des Beklagtenbevollmächtigten - kein Fall der Anwendung des § 191 Abs. 3 Satz 4 AO vor. Nach dieser Vorschrift endet die Festsetzungsfrist für den Haftungsbescheid nicht vor Ablauf der für die Steuerfestsetzung geltenden Festsetzungsfrist, wenn die Steuer, für die gehaftet wird, noch nicht festgesetzt worden ist. Im vorliegenden Fall war jedoch zum Zeitpunkt des Erlasses des Haftungsbescheides die Festsetzungsfrist für die zu Grunde liegende Steuer bereits abgelaufen, diese im Übrigen gegenüber der GbR auch schon festgesetzt.

Unerheblich ist letztlich auch, ob der Einspruch des oder der Gesellschafter der GbR gegen den geänderten Gewerbesteuermessbescheid für die Jahre 1996 und 1997 zum Zeitpunkt des Erlasses des Gewerbesteuerbescheides bereits beschieden war -wie es der Klägerbevollmächtigte vorträgt - oder nicht, wovon offensichtlich der Beklagtenbevollmächtigte ohne nähere Begründung ausgeht. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs führt nämlich die Anfechtung eines Grundlagenbescheides mit Einspruch oder Klage nicht dazu, dass die für die Festsetzung der Folgesteuer maßgebende Festsetzungsfrist bis zur Unanfechtbarkeit des (geänderten) Feststellungsbescheides gehemmt wird. Deshalb kann die Anpassung des Folgebescheids an den Grundlagenbescheid nur innerhalb von zwei Jahren nach dessen Bekanntgabe erfolgen (BFH, Urteil vom 19. Januar 2005, a.a.O., unter Aufgabe der früheren Rechtsprechung).

Auch die Ausführungen des Klägerbevollmächtigten zum Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) führen nicht zur Zulassung der Berufung.

Gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO ist es Sache des die Berufungszulassung erstrebenden Beteiligten, die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zuzulassen ist. Wird die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO geltend gemacht, so muss, um dem gesetzlichen Darlegungserfordernis zu genügen, dargetan werden, welche konkrete und in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausreichende Rechtsfrage oder welche bestimmte und für eine Vielzahl gleichgelagerter Fälle bedeutsame Frage tatsächlicher Art im Berufungsverfahren geklärt werden soll und inwieweit diese Frage einer (weitergehenden) Klärung im Berufungsverfahren bedarf. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne der vorgenannten verfahrensrechtlichen Bestimmung hat ein Verwaltungsstreitverfahren nur dann, wenn es eine tatsächliche oder rechtliche Frage aufwirft, die für die Berufungsinstanz entscheidungserheblich ist und über den Einzelfall hinaus im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung bedarf.

Hier benennt der Bevollmächtigte der Beklagten die Frage, ob die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Auslegung des § 184 Abs. 3 AO dahin, dass auch die fehlerhafte Bekanntgabe des Grundlagenbescheides an eine nicht hebeberechtigte Gemeinde die Festsetzungsfrist in Lauf setze, mit der höherrangigen Vorschrift des Art. 106 Abs. 6 Satz 1 Grundgesetz - GG - und der darin enthaltenen Garantie der vollständigen Ertragshoheit über die Gewerbesteuer zu Gunsten der nach Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG hebeberechtigten Gemeinden vereinbar sei.

Diese Rechtsfrage ist bereits aus verschiedenen Gründen nicht entscheidungserheblich. Zum einen setzt - wie oben ausgeführt - nicht die Mitteilung des Inhalts des Steuermessbescheids an die hebeberechtigte Gemeinde die Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 10 Satz 1 AO in Gang, sondern die Bekanntgabe an den Steuerpflichtigen. Zum anderen hat das Verwaltungsgericht diese Auslegung auch nicht vorgenommen. Letztlich ist aber auch nicht erkennbar, inwiefern hierbei die Ertragshoheit der Gemeinden durch den Ablauf der Festsetzungsfrist betroffen sein könnte. Selbst wenn durch einen Fehler der Finanzbehörden einer Gemeinde durch Ablauf der Festsetzungsfrist die Möglichkeit des rechtzeitigen Erlasses eines Steuerbescheides genommen würde, betrifft dies nicht die Ertragshoheit der Gemeinde. Ob insofern Ersatzansprüche der Gemeinde gegen die Finanzverwaltung in Betracht kommen, muss hier nicht entschieden werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über die Höhe des Streitwerts auf den §§ 52 Abs. 3, 47 Gerichtskostengesetz - GKG -.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar § 68 Abs. 1 Satz 4 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG.

Ende der Entscheidung

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