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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 28.01.2009
Aktenzeichen: 6 E 2458/08
Rechtsgebiete: RVG, VV RVG, VwGO


Vorschriften:

RVG § 2 Abs. 2 Anlage 1
VV RVG Teil 3 Vorbemerkung 3 Abs. 4
VwGO § 162 Abs. 2 S. 2
VwGO § 80 Abs. 4
1. Der Senat geht im Anschluss an die mittlerweile gefestigte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs davon aus, dass Teil 3 Vorbemerkung 3 Absatz 4 Satz 1 VV RVG so zu verstehen ist, dass eine vorprozessual entstandene Geschäftsgebühr teilweise auf spätere wegen desselben Gegenstands entstandene gerichtliche Verfahrensgebühr anzurechnen ist.

2. Die Anrechungsbestimmung betrifft auch das für eine etwaige Kostenerstattung maßgebliche Außenverhältnis zwischen dem Mandanten und seinem Prozessgegner.

3. Für die Anrechnung ist ohne Bedeutung, ob die vorprozessuale Geschäftsgebühr im Verwaltungsprozess gem. § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO erstattungsfähig ist.

4. Eine Entstehung von Gebühren wegen desselben Gegenstands setzt voraus, dass der Streitgegenstand des vorprozessualen Verfahrens mit dem Streitgegenstand des nachfolgenden gerichtlichen Verfahrens identisch ist.


HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF BESCHLUSS

6 E 2458/08

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Finanzdienstleistungsaufsicht

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 6. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Igstadt, Richterin am Hess. VGH Fischer, Richter am Hess. VGH Bodenbender

am 28. Januar 2009 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 15. Oktober 2008 - 1 O 2590/09.F - wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe:

I.

Die Antragsgegnerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen den im Tenor näher bezeichneten Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main, mit dem ihre Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 19. August 2008 - 1 G 755/07 (2), VGH 6 TG 865/07 - zurückgewiesen worden ist.

Grundlage der Kostenfestsetzung war ein Beschluss des Senats vom 13. Juni 2007 (6 TG 865/07), mit dem die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 11. April 2007 (1 G 755/02 (2)) abgeändert und die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 13. September 2006 teilweise angeordnet und teilweise wiederhergestellt worden war. Die Kosten des Verfahrens waren der Antragstellerin zu 15 % und der Antragsgegnerin zu 85 % auferlegt worden.

Der Bevollmächtigte der Antragstellerin beantragte mit Schreiben vom 27. Juni 2008 die Festsetzung von Kosten in Höhe von 1.022,38 € nebst Zinsen und legte seinem Antrag 85 % folgender Gebühren und Auslagen zugrunde:

"I. ERSTINSTANZLICHES VERFAHREN

 GebührentatbestandSatzStreitwert In EURGebühr einfacher Satz in EUREndwert in EUR
Verfahrensgebühr Nr. 3100 VV RVG1,322.000,00646,00839,80
Pauschale für Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen, Nr. 7002 VV RVG   20,00

II BESCHWERDEVERFAHREN

 GebührentatbestandSatzStreitwert In EURGebühr einfacher Satz in EUREndwert in EUR
Verfahrensgebühr Nr. 3500 VV RVG0,522.000,00646,00323,00
Pauschale für Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen, Nr. 7002 VV RVG   20,00

III. ZWISCHENSUMME € 1.202,80"

Gleichzeitig wies er darauf hin, dass ein vorangegangenes Verwaltungsverfahren gemäß § 80 Abs. 4 VwGO nicht stattgefunden habe.

Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main setzte die Kosten mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 19. August 2008 antragsgemäß auf 1.022,38 € nebst Zinsen fest. Die dagegen eingelegte Erinnerung der Antragsgegnerin - mit dem Ziel, eine teilweise Anrechnung der im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren entstandenen Geschäftsgebühr auf die im gerichtlichen Verfahren entstandene Verfahrensgebühr zu erreichen - wies das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main mit Beschluss vom 15. Oktober 2008 (1 O 2590/08.F) zurück. Der Beschluss wurde der Antragsgegnerin (die dort als Antragstellerin bezeichnet wird) am 31. Oktober 2008 zugestellt. Dagegen richtet sich die mit Schriftsatz vom 14. November 2008 - per Telefax - eingereichte und begründete Beschwerde.

II.

Die Beschwerde ist statthaft (§ 146 Abs. 1 und §§ 165, 151 VwGO i.V.m. § 11 Abs. 3 Satz 2 RVG) und auch im Übrigen zulässig. Sie erreicht den in § 146 Abs. 3 VwGO vorgeschriebenen Beschwerdewert von 200,00 € und wurde innerhalb der Frist des § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO eingelegt.

In der Sache hat die Beschwerde allerdings keinen Erfolg.

Das Verwaltungsgericht ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass eine Anrechnung der vorprozessual entstandenen Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 des Vergütungsverzeichnisses in Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG - VV RVG - auf die im gerichtlichen Eilverfahren entstandenen Verfahrensgebühren nach Nr. 3100 und Nr. 3500 VV RVG nicht in Betracht kommt.

Der Senat geht zwar im Anschluss an die mittlerweile gefestigte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (zuletzt im Beschluss vom 25. September 2008 - IX ZR 133/07 -, NJW 2008, 3641) davon aus, dass Teil 3 Vorbemerkung 3 Absatz 4 Satz 1 VV RVG aufgrund des eindeutigen Wortlauts so zu verstehen ist, dass eine vorprozessual entstandene Geschäftsgebühr - unter der Voraussetzung, dass es sich um denselben Gegenstand handelt - teilweise auf die spätere gerichtliche Verfahrensgebühr anzurechnen ist. Dadurch verringert sich die erst später angefallene gerichtliche Verfahrensgebühr, während die vorprozessual bereits entstandene Geschäftsgebühr unangetastet bleibt.

Die Anrechnungsbestimmung in Teil 3 Vorbemerkung 3 Absatz 4 VV RVG betrifft nicht nur das Rechtsverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant, sondern auch das für eine etwaige Kostenerstattung maßgebliche Außenverhältnis zwischen dem Mandanten und seinem Prozessgegner. Entsteht die Verfahrensgebühr wegen der in Teil 3 Vorbemerkung 3 Absatz 4 VV RVG vorgesehenen Anrechnung eines Teils der bereits vorher entstandenen Geschäftsgebühr von vornherein nur in gekürzter Höhe, so kann im Rahmen der Kostenfestsetzung auch keine darüber hinausgehende Erstattung in Betracht kommen. Für die Anrechnung nach dieser Vorschrift ist einzig und allein entscheidend, ob und in welcher Höhe eine Geschäftsgebühr - bei vorausgesetzter Identität des Streitgegenstandes - entstanden ist, der Rechtsanwalt zum Zeitpunkt des Entstehens der Verfahrensgebühr also schon einen Anspruch auf eine Geschäftsgebühr aus seinem vorprozessualen Tätigwerden erlangt hatte (so ausdrücklich: BGH, Beschluss vom 22. Januar 2008 - VIII ZB 57/07 -, NJW 2008, 1323 mit Hinweisen auf die kontrovers diskutierten Fragen in Rechtsprechung und Literatur; Hess. VGH, Beschluss vom 8. Juni 2007 - 3 TJ 966/07 -, NJW 2008, 678; Streppel, Die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr, in: MDR 2007, S. 929 ff.).

Aus dieser Argumentation folgt zwangsläufig, dass es nicht von Bedeutung ist, ob die vom Prozessgegner auf materiell-rechtlicher Grundlage zu erstattende Geschäftsgebühr unstreitig, geltend gemacht, tituliert oder sogar schon beglichen ist (BGH, a.a.O.), und auch nicht darauf ankommt, ob die vorprozessuale Geschäftsgebühr im Verwaltungsprozess gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO erstattungsfähig ist (Ostermeier, Die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren, in: JurBüro 2008, S. 6 ff. [8 f.]).

Gleichwohl hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle in dem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 19. August 2008 eine teilweise Anrechnung der vorprozessualen Geschäftsgebühr auf die gerichtliche Verfahrensgebühr zu Recht nicht vorgenommen, denn die Gebühren sind nicht wegen desselben Gegenstands entstanden.

Eine Entstehung von Gebühren "wegen desselben Gegenstands" im Sinne von Teil 3 Vorbemerkung 3 Absatz 4 VV RVG setzt voraus, dass der Streitgegenstand des vorprozessualen Verfahrens mit dem Streitgegenstand des nachfolgenden gerichtlichen Verfahrens identisch ist (so ausdrücklich: BGH, Beschluss vom 22. Januar 2008, a.a.O.).

Maßgeblich für die Bestimmung des Streitgegenstandes im Verwaltungsprozess ist der prozessuale Anspruch, der seinerseits gekennzeichnet ist durch die erstrebte Rechtsfolge sowie den Sachverhalt, aus dem sich die Rechtsfolge ergeben soll (BVerwG, Urteil vom 10. Mai 1994 - 9 C 501.93 -, BVerwGE 96, 24).

Danach ist eine Identität des Streitgegenstandes des vorprozessualen Verfahrens und des gerichtlichen Eilverfahrens im vorliegenden Fall nicht gegeben. Das vorprozessuale Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren war auf Aufhebung der die Antragstellerin belastenden Untersagungsverfügung der Antragsgegnerin vom 13. September 2008 gerichtet. Ein anschließendes gerichtliches Hauptsacheverfahren mit identischem Streitgegenstand in Form der Anfechtungsklage hat nicht mehr stattgefunden, da die Antragsgegnerin im Anschluss an das gerichtliche Eilverfahren dem Widerspruch der Antragstellerin mit Bescheid vom 13. August 2007 abgeholfen hat. Demgegenüber ist der prozessuale Anspruch des teilweise auf § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO und teilweise auf § 123 Abs. 1 VwGO gestützten gerichtlichen Eilverfahrens nicht mit dem vorprozessualen Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren identisch. Die Antragstellerin hat im gerichtlichen Eilverfahren lediglich eine zeitweise Außervollzugsetzung des belastenden Verwaltungsakts begehrt, über die das Gericht unter Berücksichtigung der öffentlichen und privaten Interessen sowie die Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu entscheiden hat. Der Streitgegenstand eines solchen gerichtlichen Eilverfahrens wäre allenfalls mit dem Streitgegenstand eines - gegebenenfalls zusätzlich - vorausgegangenen Verwaltungsverfahrens auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO identisch; ein derartiges Verfahren hat aber nach den Angaben des Bevollmächtigten der Antragstellerin im Kostenfestsetzungsantrag vom 27. Juni 2008 nicht stattgefunden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, da für das Beschwerdeverfahren gemäß Nr. 5502 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG eine Festgebühr von 50,00 € anfällt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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