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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 02.09.2004
Aktenzeichen: 6 TG 1549/04
Rechtsgebiete: VwGO, VwVG


Vorschriften:

VwGO § 123
VwGO § 80 Abs. 5
VwVG § 15 Abs. 3
VwVG § 3 Abs. 3
1. Bei der Durchsetzung von Unterlassungspflichten im Rahmen der Verwaltungsvollstreckung ist der Zweck des Vollzugs dann erreicht, wenn eine Wiederholungsgefahr nicht mehr besteht.

2. Ein von der Verwaltungsbehörde festgesetztes Zwangsgeld, mit dem der Pflichtige angehalten werden soll, eine Handlung zu unterlassen, darf jedenfalls dann nicht mehr festgesetzt oder beigetrieben werden, wenn ein weiterer Verstoß nicht zu erwarten ist.


Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss

6. Senat

6 TG 1549/04

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Wirtschafts- u. Wirtschaftsverwaltungsrechts

hier: Zwangsgeldfestsetzung

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 6. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Dr. Schulz, Richterin am Hess. VGH Dyckmans, Richterin am Hess. VGH Fischer

am 2. September 2004 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 11. Mai 2004 abgeändert und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 6. November 2002 wiederhergestellt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 52.564,59 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die sofortige Vollziehbarkeit einer Verfügung der Antragsgegnerin vom 6. November 2002, mit der diese gegen den Antragsteller ein Zwangsgeld in Höhe von 51.129,18 € festgesetzt und weitere Zwangsgelder in Höhe von 50.000,00 € angedroht hat, sowie über das Begehren des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die am 20. Januar 2004 erfolgte Mahnung zur Zahlung des festgesetzten Zwangsgeldes nebst Gebühren- und Auslagenfestsetzung anzuordnen. Daneben begehrt der Antragsteller im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung.

Der Zwangsvollstreckung liegt eine sofort vollziehbare Verfügung der Antragsgegnerin vom 26. Juni 2001 zugrunde, mit der dem Antragsteller gemäß § 37 KWG untersagt wurde, die Anlagevermittlung im Sinne des § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 1 KWG gewerbsmäßig oder in einem Umfang zu erbringen, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordere; dies umfasse - so der Wortlaut der Grundverfügung - insbesondere auch die Vermittlung einer Beteiligung als GbR-Gesellschafter an der Z. GbR. Gleichzeitig wurde dem Antragsteller gemäß § 37 KWG die Werbung für Geschäfte über die Anschaffung und die Veräußerung von Finanzinstrumenten untersagt.

Mit Beschluss vom 11. Mai 2004 hat das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main den Eilantrag des Antragstellers im Zwangsvollstreckungsverfahren abgelehnt. Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner am 18. Mai 2004 eingelegten und am 17. Juni 2004 begründeten Beschwerde.

II.

Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig (§ 146 Abs. 1 und 4 VwGO). Sie ist auch insoweit begründet, als sich der Antragsteller gegen die Ablehnung der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die Verfügung vom 6. November 2002 wendet. Die nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO maßgeblichen Darlegungen des Antragstellers in der Beschwerdebegründungsschrift vom 17. Juni 2004 lassen den Schluss zu, dass das Verwaltungsgericht den vorbezeichneten Antrag zu Unrecht abgelehnt hat. Im Übrigen geht der Senat bei der Würdigung des Beschwerdevorbringens von dem Inhalt der Prozessakten (3 Bände) und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge (6 Hefter) aus.

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO als solcher auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 13. November 2002 gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 6. November 2002 sowie einer eventuell nachfolgenden Anfechtungsklage zulässig. Bei der Zwangsgeldfestsetzung und Androhung weiterer Zwangsgelder mit Verfügung vom 6. November 2002 handelt es sich um einen vollstreckungsrechtlichen Verwaltungsakt, der vor dem Verwaltungsgericht mit der Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO angreifbar ist, so dass einstweiliger Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO zu gewähren ist (vgl. allgemein zum Vorrang der §§ 42, 43 VwGO vor § 767 ZPO: BVerwG, 26.05.1967 - 7 C 69.65 -, BVerwGE 27, 141; Hess. VGH, 04.05.1988 - 4 TH 3493/86 -, NVwZ-RR 1989, 507).

Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Verfügung vom 6. November 2002 ist auch begründet. Mit seiner Rechtsauffassung, dass die Zwangsvollstreckung mangels Vorliegens einer konkreten Wiederholungsgefahr gemäß § 15 Abs. 3 VwVG einzustellen sei, weist der Antragsteller auf Umstände hin, welche die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Zwangsgeldfestsetzung nebst Androhung weiterer Zwangsgelder in erheblicher Weise infrage stellen.

Es kann zwar zu Gunsten der Antragsgegnerin davon ausgegangen werden, dass die in der Grundverfügung vom 26. Juni 2001 getroffenen Anordnungen als Maßnahmen im Sinne des § 37 Abs. 1 bzw. § 44c Abs. 1 KWG gemäß § 49 KWG kraft Gesetzes sofort vollziehbar sind, so dass es letztlich auch für das Vollstreckungsverfahren auf die Rechtmäßigkeit der Grundverfügung nicht ankommt (vgl. § 6 Abs. 1 VwVG), und dass der Antragsteller jedenfalls in der Zeit nach Bekanntwerden des Beschlusses des OVG Nordrhein-Westfalen vom 27. Mai 2002 bis zum September 2002 gegen die Untersagungsverfügung verstoßen hat.

Unabhängig davon ist eine Festsetzung des Zwangsgeldes rechtswidrig bzw. eine Beitreibung des festgesetzten Zwangsgeldes unzulässig, wenn eine Wiederholungsgefahr nicht mehr besteht (arg. e. § 15 Abs. 3 VwVG, dessen Anwendungsbereich weit auszulegen ist, vgl. dazu: Sadler, Verwaltungs- Vollstreckungsgesetz/Verwaltungszustellungsgesetz, Kommentar, 5. Aufl., 2002, § 15 VwVG Rdnr. 15 und 21). Die Vorschrift des § 15 VwVG regelt die Anwendung der Zwangsmittel und bestimmt in Absatz 3, dass der Vollzug einzustellen ist, sobald sein Zweck erreicht ist. Bei der Durchsetzung von Unterlassungspflichten ist der Zweck des Vollzugs dann erreicht, wenn eine Wiederholungsgefahr nicht mehr besteht (so ausdrücklich: Hess. VGH, 12.04.1995 - 3 TH 2470/94 -, NVwZ-RR 1996, 361; OVG Lüneburg, 14.02.1990 - 4 L 78/89 -, BRS 50 Nr. 217, allerdings zur Sonderregelung des § 45 Abs. 3 SOG ND; OVG Mecklenburg-Vorpommern, 18.06.1996 - 3 M 3/96 -, BRS 58 Nr. 222, allerdings zur Sonderregelung des § 92 Abs. 1 Nr. 5 SOG MV; a. A.: OVG des Saarlandes, 27.11.2001 - 2 R 9/00 -, NVwZ-RR 2003, 87). Das bedeutet, dass ein Zwangsgeld, mit dem der Pflichtige angehalten werden soll, eine Handlung zu unterlassen, jedenfalls dann nicht mehr festgesetzt oder beigetrieben werden darf, wenn ein weiterer Verstoß nicht zu erwarten ist (Dünchheim, Vom Zwangsgeld zurück zur Zwangsstrafe?, NVwZ 1996, 117; OVG Lüneburg, a.a.O.; OVG Rheinland-Pfalz, 20.04.1995 - 8 B 10780/95 -, Jurisdokument; OVG Mecklenburg-Vorpommern, a.a.O.; Sadler, a.a.O., § 15 Rdnr. 21; VGH Baden-Württemberg, 24.02.1994 - 5 S 1411/93 -, NVwZ-RR 1994, 620). Die Gegenmeinung, die eine Festsetzung und Beitreibung des Zwangsgeldes auch dann noch für zulässig erachtet, wenn ein weiterer Verstoß gegen die Grundverfügung nicht mehr droht (so ausdrücklich: Engelhardt/App, Verwaltungs- Vollstreckungsgesetz/Verwaltungszustellungsgesetz, Kommentar, 6. Aufl., 2004, § 15 VwVG Rdnr. 14; OVG des Landes Sachsen-Anhalt, 13.03.1998 - 2 L 60/95 -, Jurisdokument; OVG Nordrhein-Westfalen, 21.12.1988 - 7 A 2555/87 -, NVwZ-RR 1990, 17, und 30.09.1992 - 4 A 3840/91 -, DÖV 1993, 398; OVG des Saarlandes, a.a.O.; einschränkend: OVG Bremen, 25.06.1970 - II A 6/68 - II BA 33/69 -, DVBl. 1971, 282; für den Fall beharrlicher Verstöße Hess. VGH, 30.11.1988 - 8 TH 4246/88 -, NVwZ-RR 1989, 452), verkennt den Charakter des Zwangsgeldes als Beugemittel im Gegensatz zur Strafmaßnahme. Das Zwangsgeld hat seine Beugefunktion erfüllt, sobald der Verpflichtete der Grundverfügung Folge leistet. Dabei mag zwar davon auszugehen sein, dass der vorrangegangene Verstoß gegen ein in der Grundverfügung enthaltenes Unterlassungsgebot in der Regel die Wiederholungsgefahr indiziert (so ausdrücklich: VGH Baden-Württemberg, 24.02.1994, a.a.O.). Es ist jedoch anhand der Umstände des Einzelfalles zu überprüfen, ob ein wiederholter Verstoß gegen das Unterlassungsgebot aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu befürchten ist (Dünchheim, a.a.O.; OVG Mecklenburg-Vorpommern, a.a.O.; VGH Baden-Württemberg, 24.02.1994, a.a.O.).

Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller erneut gegen die Untersagungsverfügung vom 26. Juni 2001 verstoßen wird, hat das Verwaltungsgericht in der angegriffenen Entscheidung nicht aufgezeigt; derartige Anhaltspunkte ergeben sich auch nicht aus dem Vorbringen der Beteiligten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Voraussetzungen des § 2 Abs. 10 Satz 1 i.V.m. § 53b Abs. 1 Satz 1 KWG zwischenzeitlich vorliegen dürften, nachdem die A. im Januar 2003 je einen Versicherungsvertrag mit der L. AG und der M. AG abgeschlossen hat. Eine erneute Anlage- oder Abschlussvermittlung für Rechnung und unter der Haftung der A. würde demzufolge keinen Verstoß gegen die vorbezeichnete Grundverfügung darstellen. Unter dem Datum des 17. Februar 2004 (vgl. Bl. 38 GA [Band I]) hat der Antragsteller an Eides statt versichert, die Vermittlungstätigkeit betreffend Anteile an der Z. GbR sofort und endgültig nach Erhalt des Schreibens der Antragsgegnerin vom 18. September 2002 eingestellt zu haben. Vermittlungstätigkeiten betreffend Anteile an der Y. GbR, der X. und der Y. habe er nicht aufgenommen, geplant oder ausgeübt. Zwischenzeitlich habe er seine Tätigkeit im Bereich Finanzanlagen komplett eingestellt und zum 31. Dezember 2003 sein Gewerbe abgemeldet. Auf den Hinweis des Antragstellers in der Beschwerdebegründung, wonach die Deutsche Bundesbank bei einer Prüfung am 4. September 2003 keine Fortführung der Vermittlungstätigkeit festgestellt und die Antragsgegnerin dies ihm gegenüber mit Schreiben vom 31. Oktober 2003 bestätigt habe, hat die Antragsgegnerin nichts Gegenteiliges erwidert. Soweit die Antragsgegnerin in der Beschwerdeerwiderung an eine angebliche Vermittlungstätigkeit des Antragstellers für die B. anknüpft und zwei Schreiben vom 4. Januar und 13. September 2002 vorlegt, bezieht sie sich auf einen Zeitraum, der nicht ohne weiteres geeignet ist, Anhaltspunkte dafür zu liefern, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt die konkrete Gefahr besteht, der Antragsteller werde außer für Rechnung und unter der Haftung der A. Finanzdienstleistungen erbringen und damit erneut gegen die Grundverfügung vom 26. Juni 2001 verstoßen.

Im Übrigen ist die Beschwerde des Antragstellers unbegründet. Soweit sich der Antragsteller gegen die von der Antragsgegnerin ausgesprochene Mahnung vom 20. Januar 2004 wendet, ist das Verwaltungsgericht in dem angegriffenen Beschluss zu Recht davon ausgegangen, dass es sich bei der Mahnung im Sinne des § 3 Abs. 3 VwVG nicht um einen Verwaltungsakt handelt (vgl. dazu: Engelhardt/App, a.a.O., § 3 VwVG Rdnr. 8, m.w.N.; Sadler, a.a.O., § 3 VwVG Rdnr. 31 m.w.N.). Die dort festgesetzten Mahngebühren und Auslagen hat der Antragsteller im Beschwerdeverfahren nicht angegriffen. Soweit der Antragsteller mit der Beschwerde die Auffassung des Verwaltungsgerichts angreift, er könne einstweiligen Rechtsschutz gegen die von der Antragsgegnerin als Vollstreckungsgläubigerin angeordnete und angekündigte Zwangsvollstreckung nicht gemäß § 123 VwGO erlangen, macht das Begehren nur dann einen Sinn, wenn man die vom Antragsteller in der ersten Instanz gestellten Anträge zu 1 und 3 - dies entspricht den in der Beschwerdebegründungsschrift gestellten Anträgen zu 2 und 4 - als Haupt- und Hilfsantrag begreift, da sie in der Sache auf ein und dasselbe Ziel - die vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Bescheid vom 6. November 2002 - gerichtet sind.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, wonach die Kosten einem Beteiligten ganz auferlegt werden können, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist. Da der Antragsteller in der Sache lediglich insoweit unterlegen ist, als er sich dagegen wendet, dass der Mahnung vom 20. Januar 2004 die Verwaltungsaktsqualität abgesprochen wird, erscheint es angemessen, der Antragsgegnerin die gesamten Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1, § 14 Abs. 1 und § 20 Abs. 3 GKG a. F. i. V. m. § 71 Abs. 1 GKG in der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (Kostenrechtsmodernisierungsgesetz - KostRMoG) vom 5. Mai 2004 (BGBl. I S. 718). Dabei legt der Senat im Beschwerdeverfahren für die Zwangsgeldfestsetzung den Betrag des festgesetzten Zwangsgeldes - also 51.129,18 € - zugrunde. Für die weiteren Zwangsgeldandrohungen - in Höhe von je 50.000 € für eine Zuwiderhandlung gegen Nummern I und II der Grundverfügung vom 26. Juni 2001 - wird die Hälfte des jeweils angedrohten Betrages in Ansatz gebracht - also zweimal 25.000 €. Soweit die Beschwerde die Mahnung vom 20. Januar 2004 betrifft, wird der zum damaligen Zeitpunkt maßgebliche Auffangstreitwert von 4.000 € zugrunde gelegt. Im Hinblick auf die Vorläufigkeit der Entscheidung im Eilverfahren ist von der Summe dieser Beträge (105.129,18 €) die Hälfte - also 52.564,59 € - als Streitwert für das Beschwerdeverfahren festzusetzen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO und § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG a. F.).



Ende der Entscheidung

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