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Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 21.11.2005
Aktenzeichen: 6 TG 1992/05
Rechtsgebiete: InsO, ZPO
Vorschriften:
InsO § 58 | |
InsO § 59 | |
InsO § 60 Abs. 1 | |
InsO § 85 | |
ZPO § 240 |
2. Dies führt auch dann nicht zu verfassungsrechtlich bedenklichen Rechsschutzlücken, wenn die Insolvenzgerichte bei der Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht inzidenter die Rechtmäßigkeit der Abwicklungsanordnung überprüfen.
HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF BESCHLUSS
In dem Verwaltungsstreitverfahren
wegen Wirtschafts- u. Wirtschaftsverwaltungsrechts
hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 6. Senat - durch
Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Dr. Schulz, Richterin am Hess. VGH Fischer, Richter am VG Ehrmanntraut
am 21. November 2005 beschlossen:
Tenor:
Es wird festgestellt, dass das Beschwerdeverfahren im Hinblick auf die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Antragstellerin durch Beschluss des Amtsgerichts A-Stadt vom 12. September 2005 (Geschäftsnummer 67c IN 312/05) seit diesem Zeitpunkt gemäß § 240 Satz 1 ZPO unterbrochen ist.
Gründe:
Der Senat hat über die Frage, ob die gesetzliche Unterbrechungswirkung in § 240 Satz 1 ZPO eingetreten ist, eine förmliche Zwischenentscheidung zu treffen, da diese Frage zwischen den Beteiligten streitig ist und es insbesondere der Antragstellerin möglich sein muss, ihre Auffassung, der vorliegende Verfahrensgegenstand sei durch die Insolvenzeröffnung nicht betroffen und die Unterbrechungswirkung deshalb nicht eingetreten, zum Gegenstand einer gerichtlichen Prüfung und Entscheidung zu machen, weil hiervon abhängt, ob sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Entscheidung des Senats zur Sache erlangen kann.
Es ist festzustellen, dass das Beschwerdeverfahren nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 240 Satz 1 ZPO unterbrochen ist, da durch den Beschluss des Amtsgerichts A-Stadt vom 12. September 2005 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Antragstellerin eröffnet wurde und der Gegenstand dieses Beschwerdeverfahrens insgesamt die Insolvenzmasse betrifft. Ein anhängiges Verfahren betrifft die Insolvenzmasse (§ 35 InsO), wenn es zu ihr in rechtlicher oder wenigstens wirtschaftlicher Beziehung steht. Das im Verfahren für oder gegen den Insolvenzschuldner geltend gemachte Recht muss ganz oder teilweise zu Gunsten oder zu Lasten des zur Insolvenzmasse gehörenden Schuldnervermögens in Anspruch genommen werden. Dies ist nicht nur bei Verfahren der Fall, die unmittelbar eine Insolvenzforderung zum Gegenstand haben, sondern auch bei Klagen, die Voraussetzungen einer Insolvenzforderung oder Rechtsverhältnisse, von denen eine die Insolvenzmasse betreffende Forderung abhängt, klären sollen. Auch bei Klagen, die der Vorbereitung eines aktiv oder passiv die Masse betreffenden Anspruchs dienen, besteht die in § 240 ZPO vorausgesetzte Beziehung zur Insolvenzmasse, so dass der Rechtsstreit unterbrochen wird. Weiterhin ist bei Rechtsstreitigkeiten über Unterlassungsansprüche, die ein Verhalten zu unterbinden suchen, für das der Insolvenzschuldner ein Recht zur Seite zu haben glaubt, das im Falle seines Bestehens zur Insolvenzmasse gehören würde, oder die in anderer Weise die Insolvenzmasse berühren, eine solche ausreichende Beziehung zur Insolvenzmasse und damit der Eintritt der Unterbrechungswirkung anzunehmen. Demgegenüber werden nicht vermögensrechtliche Streitigkeiten, in denen es um höchstpersönliche Rechte geht, nicht unterbrochen, weil sie die Insolvenzmasse weder betreffen noch irgendwelchen Bezug auf die Insolvenzmasse haben (vgl. zum Vorstehenden: Uhlenbruck, Insolvenzordnung, Kommentar, 12. Aufl., § 85, Rdnr. 8 ff., m.w.N.).
Nach diesen Grundsätzen betreffen die sofort vollziehbaren Regelungen in dem Bescheid der Antragsgegnerin vom 15. Juni 2005, denen gegenüber die Antragstellerin im Rahmen des anhängigen Beschwerdeverfahrens um vorläufigen Rechtsschutz nachsucht, in vollem Umfang die Insolvenzmasse. Dies kann von vornherein für diejenigen Regelungen nicht zweifelhaft sein, mit denen unmittelbar Zahlungspflichten der Antragsstellerin begründet werden (Zwangsgeldandrohungen in den Nrn. VI und IX der Verfügung sowie die Gebührenfestsetzung Nrn. VII der Verfügung).
Auch die Untersagung des von der Antragsgegnerin so eingestuften unerlaubten Finanzkommissionsgeschäfts und die diese Regelung ergänzende Untersagung der Werbung für Finanzkommissionsgeschäfte (Nrn. I und II der Verfügung) betreffen die Insolvenzmasse. Wie bereits das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main in seinem von der Antragsgegnerin in Bezug genommenen Beschluss vom 16. Juli 2004 (Az.: 9 G 7426/03) zutreffend dargelegt hat, entspricht die hoheitliche Untersagung der unerlaubten Geschäfte in Bezug auf die Insolvenzmasse der Situation einer zivilrechtlichen Unterlassungsklage, die den Gewerbebetrieb eines Gemeinschuldners betrifft. Wie bereits ausgeführt ist bei solchen Unterlassungsklagen anerkannt, dass sie die Insolvenzmasse betreffen und eine Unterbrechung nach § 240 Satz 1 ZPO eintritt (Uhlenbruck, § 85 Rdnr. 11; Feiber in Münchener Kommentar zur ZPO, § 240 Rdnr. 17; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 21. Aufl., § 240 Rdnr. 11; jeweils m.w.N.). Des Weiteren trifft es auch für den vorliegenden Fall zu, dass die geforderte Einstellung der unerlaubten Geschäfte den Kern der Geschäftstätigkeit der Antragstellerin betrifft, der das eigentliche Vermögen der Antragstellerin trägt und aus dem sie ihre Gläubiger zu befriedigen hat. Schon deshalb hat die Untersagung (nichts anderes kann für das flankierende Werbungsverbot gelten) unmittelbare Auswirkungen auf das Vermögen der Antragstellerin, weshalb jedenfalls hier anders als nach Ansicht des 8. Senats des beschließenden Gerichtshofs im Falle einer Gewerbeuntersagung (vgl. hierzu Hess. VGH, Beschluss v. 21.11.2002 - 8 UE 3195/01 -, NVwZ 2003, 626) nicht lediglich die berufliche Betätigung des Gewerbetreibenden betroffen ist. Bestätigt wird diese Auffassung durch § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO, wonach im Zusammenhang mit dem Vorliegen einer Überschuldung als Eröffnungsgrund bei der Bewertung des Vermögens des Schuldners die Fortführung des Unternehmens zu Grunde zu legen ist, wenn diese nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich ist. Diese Regelung zeigt, dass es für die Bewertung des Vermögens von maßgeblicher Bedeutung ist, ob das Unternehmen fortgeführt werden kann. Das hoheitliche Verbot des Weiterbetreibens unerlaubter Geschäfte, zumal, wenn sie wie im vorliegenden Fall weitgehend oder sogar ausschließlich die Geschäftstätigkeit des Unternehmens ausmachen, betrifft daher das Vermögen der Antragstellerin und damit auch die Insolvenzmasse.
Erst recht muss dies für die Anordnung der Abwicklung (Nr. III der Verfügung) sowie die deren Durchsetzung dienenden Regelungen (Bestellung eines Abwicklers nebst Übertragung entsprechender Befugnisse, Verpflichtung zur Duldung dieser Maßnahmen sowie Verpflichtung zur Vorlage von Unterlagen und Erteilung von Auskünften, Nrn. III bis V und VIII der Verfügung) gelten; dies schon deshalb, weil die Rückabwicklung notwendigerweise aus dem Vermögen der Antragstellerin zu erfolgen hat und damit unmittelbar die Insolvenzmasse betroffen ist.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den Ausführungen des Amtsgerichts A-Stadt und des Landgerichts A-Stadt im Rahmen der Beschwerde der Antragstellerin gegen die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Davon abgesehen, dass es sich bei den Ausführungen zur Unterbrechungswirkung nur um unverbindliche obiter dicta handelt und über diese Frage der Senat selbst verbindlich zu entscheiden hat, vermögen die dort angestellten Überlegungen schon deshalb nicht zu überzeugen, weil offenbar der Streitgegenstand des hier anhängigen Beschwerdeverfahrens nicht zutreffend erfasst wurde. Es geht keineswegs um die abstrakte Rechtsfrage, ob die Antragstellerin unerlaubte Bank- oder Finanzdienstleistungsgeschäfte betreibt. Dies stellt lediglich eine inzident zu prüfende Tatbestandsvoraussetzung für das Einschreiten der Antragsgegnerin, keineswegs aber den Verfahrensgegenstand selbst dar. Die von der Antragsgegnerin getroffenen Regelungen, deren Suspendierung die Antragstellerin in dem vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes begehrt, betreffen nach den vorstehenden Ausführungen vielmehr insgesamt die Insolvenzmasse.
Auch die von der Antragstellerin für verfassungsrechtlich bedenklich gehaltene "Rechtsschutzlücke" rechtfertigt keine andere Sichtweise. Es trifft bereits nicht zu, dass allein durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und die dadurch ausgelöste Unterbrechungswirkung in § 240 Satz 1 ZPO die Inanspruchnahme von Rechtsschutz gegenüber der Untersagung der unerlaubten Geschäfte und den Regelungen zu deren Abwicklung unmöglich gemacht wird. Die Unterbrechungswirkung des § 240 Satz 1 ZPO gilt nur bis zur Aufnahme des Verfahrens nach § 85 InsO. Danach besteht zunächst die Möglichkeit, dass der Insolvenzverwalter das Verfahren aufnimmt und ggfs. auch im Sinne der Antragstellerin fortführt (§ 85 Abs. 1 InsO). Lehnt der Insolvenzverwalter hingegen die Aufnahme des Rechtsstreits ab, so kann die Antragstellerin nach § 85 Abs. 2 InsO den Rechtsstreit in eigenem Namen aufnehmen und eine Entscheidung des Senats zur Sache erlangen, sofern in der Nichtaufnahme durch den Insolvenzverwalter zugleich eine (zulässige) Freigabe aus der Insolvenzmasse zu erblicken ist, was ggf. noch zu klären wäre.
Soweit die vorgenannten Regelungen eine gewisse Beschränkung der Rechte der Gemeinschuldnerin beinhalten, ist dies eine zwangsläufige Folge der Insolvenz als solche und wird durch den legitimen Zweck gerechtfertigt, die Vermögensverwaltungs- und Prozessführungsbefugnis im Sinne des Gläubigerschutzes der Gemeinschuldnerin zu entziehen. Der Senat vermag daher nicht zu erkennen, dass der Eintritt der sich aus diesen Regelungen ergebenden gesetzlichen Folgen von Verfassungs wegen Bedenken begegnen könnte.
Im Übrigen ist die Antragstellerin auch für den Fall, dass der Insolvenzverwalter ihr gegenüber seine Pflichten verletzen sollte, indem er im Zusammenhang mit der (Nicht)Aufnahme und Fortführung des anhängigen Beschwerdeverfahrens sachwidrige und für die Antragstellerin nachteilige Entscheidungen trifft, nicht schutzlos, da der Insolvenzverwalter der Aufsicht des Insolvenzgerichts untersteht (§ 58 und § 59 InsO) und sich im Übrigen auch schadensersatzpflichtig machen würde (§ 60 Abs. 1 InsO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
Ende der Entscheidung
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