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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 12.11.2004
Aktenzeichen: 6 TJ 875/04
Rechtsgebiete: VerpackV, VwGO


Vorschriften:

VerpackV § 9 Abs. 2
VwGO § 65 Abs. 1
VwGO § 65 Abs. 2
1. Das Gericht, an das ein Rechtsstreit zuständigkeitshalber verwiesen worden ist, hat selbst über Gegenvorstellungen gegen Entscheidungen des ursprünglich angerufenen Gerichts zu entscheiden.

2. Ein Beiladungsbeschluss ist aufzuheben, wenn die rechtlichen Voraussetzungen für eine Beiladung nicht vorliegen.

3. Die Festschreibung von Mehrweganteilen in der Verpackungsverordnung dient allein dem öffentlichen Interesse an der Erhaltung bestehender Mehrwegsysteme.


Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss

6 TJ 875/04

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Abfallrechts

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 6. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Dr. Schulz, Richterin am Hess. VGH Dyckmans, Richter am Hess. VGH Schneider

am 12. November 2004 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Beigeladenen zu 3. bis 9 gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen vom 25. Februar 2004 wird zurückgewiesen.

Die Beigeladenen zu 3. bis 9. tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu je 1/7.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 150.000,00 € festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht Gießen hat den Beschluss des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 27. Juni 2002 zurecht aufgehoben und die Anträge auf Beiladung abgelehnt.

Es bestehen keine rechtlichen Bedenken dagegen, dass die auf eine Gegenvorstellung der Klägerin hin erfolgte Aufhebung nicht eine vom Verwaltungsgericht Gießen selbst, sondern von dem Verwaltungsgericht Wiesbaden getroffene Entscheidung betrifft. Zwar ist es richtig, dass die mit der Gegenvorstellung eröffnete Möglichkeit der Selbstkorrektur von Entscheidungen grundsätzlich bei dem Gericht eröffnet ist, das eine fehlerhafte Entscheidung getroffen hat. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu in seinem Beschluss vom 16.05.2002 - 6 B 28.02 u.a. - (DVBl. 2002, 1055) auf das Rügeverfahren bei der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch unanfechtbare Entscheidungen in § 321a ZPO und auf die Abhilfemöglichkeit des Erstgerichts im Beschwerdeverfahren nach § 572 Abs. 1 ZPO hingewiesen, um zu verdeutlichen, dass sich der Gesetzgeber mit den Neuregelungen im Zivilprozessrecht durch das Zivilprozessreformgesetz vom 27. Januar 2001 (BGBl. I S. 1887, 1902 ff.) dafür entschieden habe, bei Entscheidungen, die jeder gesetzlichen Grundlage entbehren, dasjenige Gericht für Abhilfe sorgen zu lassen, dem der Fehler unterlaufen sei. Dabei ist jedoch zu beachten, dass es dem Bundesverwaltungsgericht in dem genannten Beschluss darum ging, den Versuchen entgegenzutreten, neben der Gegenvorstellung einen weiteren außerordentlichen Rechtsbehelf in Gestalt der sogenannten außerordentlichen Beschwerde zuzulassen und damit den Rechtsweg zu eröffnen. Daraus folgt jedoch nicht, dass eine Entscheidung eines zunächst angerufenen örtlich unzuständigen Gerichts nicht nach Verweisung des Rechtsstreits durch das örtlich zuständige Gericht des gleichen Rechtszugs abgeändert werden könnte.

Auch die übrigen rechtlichen Voraussetzungen für eine Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 27. Juni 2002 sind gegeben. Im vorliegenden Fall durfte das Verwaltungsgericht Gießen diesen Beschluss aufheben, obwohl er nicht jeder gesetzlichen Grundlage entbehrte oder inhaltlich dem Gesetz fremd war. Grundsätzlich kommt die Abänderung einer in unanfechtbarer Weise getroffenen rechtlichen Entscheidung zwar nur unter den genannten Bedingungen in Betracht. Für die Aufhebung eines Beiladungsbeschlusses gelten diese Einschränkungen jedoch nicht. Vielmehr kann ein Beschluss, mit dem das Gericht aufgrund des ihm durch § 65 Abs. 1 VwGO eingeräumten Ermessens eine einfache Beiladung ausgesprochen hat, wieder aufgehoben werden, wenn dem Beigeladenen hierdurch keine Kosten entstehen (vgl. hierzu Redeker/ von Oertzen, VwGO, 13. Aufl., § 65, Rdnr. 17). Darüber hinaus ist eine Beiladung aufzuheben wenn die in § 65 Abs. 1 oder 2 VwGO vorgesehenen Voraussetzungen nicht erfüllt sind (vgl. BSG, Beschl. vom 23.01.1980 - 12 RK 53/79 - SozR 1500 § 75 Nr. 27; Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 65, Rdnr. 40). Nur auf diese Weise lassen sich in derartigen Fällen die Nachteile ausräumen, die den übrigen Verfahrensbeteiligten durch die dem Beigeladenen zu Unrecht eingeräumten prozessualen Rechte nach § 60 VwGO entstehen können. Dabei ist insbesondere die einem unterliegenden Verfahrensbeteiligten drohende Gefahr in Betracht zu ziehen, gemäß § 162 Abs. 3 VwGO mit den außergerichtlichen Kosten des zu Unrecht Beigeladenen belastet zu werden.

Die Voraussetzungen für eine Beiladung nach § 65 Abs. 1 VwGO liegen nicht vor. Die Beschwerdeführer sind nämlich nicht in ihren rechtlichen, sondern lediglich in ihren wirtschaftlichen Interessen betroffen. Die Angriffe, die die Beschwerdeführer gegen die entsprechenden Erwägungen in dem angefochtenen Beschluss richten, können dem Rechtsmittel nicht zum Erfolg verhelfen. Vielmehr ist daran festzuhalten, dass die dem Rechtsstreit zugrunde liegende Bekanntgabe der wiederholten Unterschreitung der Mehrwegquote im Sinne des § 9 Abs. 2 Satz 2 der Verpackungsverordnung - VerpackV - zwar zu einer rechtlichen Betroffenheit der Hersteller und Vertreiber von Einweg-Getränkeverpackungen geführt hat, weil die Rücknahme - und Pfandpflichten aus § 6 Abs. 1 und 2 VerpackV wieder aufleben, dass jedoch die Stellung der Hersteller und Vertreiber von Mehrwegverpackungen rechtlich unverändert bleibt, weil sie den Vertrieb ihrer Ware unverändert fortsetzen dürfen. Soweit sie vorbringen, dass die von der Klägerin in dem Ausgangsverfahren angestrebte Befugnis, Getränke in Einwegverpackungen ohne Rücksicht auf die Unterschreitung der Mehrwegquote weiter vertreiben zu dürfen, Investitionsfehlschläge in großem Umfang und erhebliche Umsatzeinbrüche, unter Umständen sogar die Aufgabe des Geschäftsbetriebs zur Folge hätte, so handelt es sich dabei um wirtschaftliche Folgen, die durch den Wegfall günstiger rechtlicher Voraussetzungen für die Herstellung und den Vertrieb von Getränken in Mehrwegverpackungen entstünden. Bei der Festschreibung von Mehrweganteilen handelt es sich jedoch im Verhältnis zu den Beschwerdeführern lediglich um Rahmenbedingungen, die nicht zur rechtlichen Sicherung der Teilnahme der einzelnen Unternehmen am Wirtschaftsleben, sondern wegen des öffentlichen Interesses an der Erhaltung bestehender Mehrwegsysteme als solcher geschaffenen worden sind. In diesem Sinne sind auch die amtlichen Begründungen zu den verschiedenen Fassungen der Verordnung zu verstehen, wonach die in der Bundesrepublik Deutschland bestehenden Mehrwegsysteme für Massengetränke nicht über die Einrichtung dualer Systeme destabilisiert werden sollen (BR-Drucksache 817/90 Seite 57; BT-Drucksache 13/5999 Seite 22).

Aus den vorstehenden Gründen liegen auch die Voraussetzungen für eine notwendige Beiladung im Sinne des § 65 Abs. 2 VwGO nicht vor.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung richtet sich gemäß § 72 Nr. 1 GKG noch nach den Bestimmungen des Gerichtskostengesetzes in der bis zum 30.06.2004 geltenden Fassung. Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG a. F. ist der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Da es sich bei dem vorliegenden Beschwerdeverfahren lediglich um ein Nebenverfahren handelt, das die von den Beschwerdeführern erstrebte Beigeladenenstellung betrifft, hält es der Senat für angemessen, insoweit lediglich einen Bruchteil des für den Streitwert des Klageverfahrens als solchen anzusetzenden Werts festzusetzen. Dabei hält der Senat einen Betrag von 150.000,00 € für angemessen. Ausgangspunkt hierfür ist die im Wege der Schätzung gewonnene Annahme, dass die wirtschaftliche Bedeutung der Fortführung eines nicht von Pfand- und Rücknahmepflichten belasteten Handels mit Getränken in Einwegverpackungen für die Klägerin bundesweit im Bereich von 10.000.000,00 € liegen dürfte. Bei einem auf das Land Hessen entfallenden Anteil von 7,37 % ergibt sich insoweit ein Betrag von 737.000,00 €. Es erscheint dem Senat angebracht, hiervon etwa 1/5, also 147.000,00 € der Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren zugrunde zulegen und diesen Betrag auf 150.000,00 € aufzurunden.

Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.



Ende der Entscheidung

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