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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 24.07.2007
Aktenzeichen: 6 UE 3108/05.A
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 60 Abs. 1
Zur Verfolgungsgefährdung von Mitgliedern und Anhängern der Komala nach Rückkehr in den Iran auf Grund exilpolitischer Aktivitäten in Deutschland.
HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF BESCHLUSS

6 UE 3108/05.A

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Asylrechts

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 6. Senat - durch

Richter am Hess. VGH Igstadt, Richterin am Hess. VGH Fischer, Richter am Hess. VGH Schneider,,

am 24. Juli 2007 beschlossen:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Kassel vom 17. August 2005 abgeändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 11. März 2004 verpflichtet festzustellen, dass für den Kläger die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG für den Iran vorliegen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens haben der Kläger und die Beklagte je zur Hälfte zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, falls nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der am 23. September 1969 in S. geborene Kläger ist iranischer Staatsangehöriger.

Er reiste nach eigenen Angaben am 17. Dezember 1997 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 19. Dezember 1997 meldete er sich als Asylbewerber und gab zur Begründung seines Asylbegehrens an, er habe am 16. November 1997 seinen Wohnort im Iran verlassen und habe einige Tage später die Grenze zur Türkei überschritten. Am 17. Dezember 1997 sei er mit einem Flugzeug nach Frankfurt am Main geflogen. Von dem Flug selbst habe er keinerlei Unterlagen mehr. Sämtliche Belege habe der Schleuser bei seiner Ankunft in Frankfurt am Main an sich genommen.

Seinen in der Sache mit der Tätigkeit für die Partei Komala im Iran begründeten Asylantrag lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 27. März 1998 ab. Zugleich wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Der Kläger wurde unter Androhung der Abschiebung aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Ablehnungsbescheides, im Falle der Klageerhebung innerhalb eines Monats nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Kassel mit Urteil vom 5. Februar 2003 ab. In der Urteilsbegründung wurde u.a. ausgeführt, der Kläger könne seine Anerkennung als Asylberechtigter schon deshalb nicht verlangen, weil er seine Einreise in die Bundesrepublik Deutschland auf dem Luftweg nicht habe belegen können und folglich nach Art. 16 a Abs. 2 GG vom Asylrecht des Grundgesetzes ausgeschlossen sei. Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG könne der unverfolgt aus dem Iran ausgereiste Kläger deshalb nicht beanspruchen, weil ihm aufgrund seiner in Deutschland entwickelten Nachfluchtaktivitäten bei einer Rückkehr in den Iran nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung drohe. Der Kläger habe vorgetragen, er sei Vertreter der Organisation Komala in Deutschland und organisiere Treffen, verteilte Flugblätter und nehme an Kundgebungen und Demonstrationen teil. Auch sei er Verfasser einer Broschüre, die an Büchertischen zu bestellen sei. Zudem sei er Mitglied in der internationalen Förderation iranischer Flüchtlings- und Emmigrantenräte. Es sei aufgrund der zur Verfügung stehenden Erkenntnisse davon auszugehen, dass dem Kläger im Hinblick auf diese Aktivitäten keine Rückkehrverfolgung drohe.

Den Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das vorgenannte Urteil vom 5. Februar 2003 lehnte der Hessische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 2. September 2003 ab.

Am 29. September 2003 stellte der Kläger einen Asylfolgeantrag und berief sich zur Begründung auf einen Schriftsatz seiner früheren Prozessbevollmächtigten vom 23. September 2003, in dem zur Antragsbegründung u.a. ausgeführt wird, der Kläger sei seit 1987 Mitglied der Komala. Am 1. Mai 2003 habe er an einem großen Kulturfest des DGB Nordhessen und am 23. Februar 2003 am Parteitag der Organisation in Köln teilgenommen. In der Ausgabe der Zeitschrift "Khabar Nameh" vom 10. Mai 2003 habe er einen Artikel veröffentlicht, in dem über eine Veranstaltung der Organisation zum 1. Mai berichtet werde.

Mit Bescheid vom 11. März 2004 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Antrag des Klägers auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ab. Zugleich wurde der Antrag auf Abänderung des Bescheides vom 27. März 1998 bezüglich der Feststellung zu § 53 AuslG abgelehnt. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens seien nicht erfüllt. Hierfür erforderliche Wiederaufgreifensgründe nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG seien nicht gegeben. Eine Sachverhaltsänderung im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG liege nicht vor, denn die behaupteten exilpolitischen Aktivitäten wie auch die bloße Mitgliedschaft in einer Exilorganisation in der Bundesrepublik Deutschland seien bereits Gegenstand des Vorverfahrens gewesen. Der Sachvortrag des Klägers im Asylfolgeverfahren beschränke sich darauf, die bereits früher vorgebrachten Gründe zu wiederholen. Diesem Vorbringen sei nicht zu entnehmen, dass sich die Sachlage nachträglich zu seinen Gunsten geändert habe. Überdies gehöre der Kläger mit den von ihm vorgebrachten Aktivitäten nicht zu dem Personenkreis, der nach außen hin in exponierter Weise für eine regimefeindliche Organisation aufgetreten sei und der den iranischen Sicherheitsbehörden als ernsthafte Gefahr für den Bestand der islamischen Republik Iran erscheinen müsse. Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen der Entscheidung zu § 53 AuslG seien ebenfalls nicht gegeben.

Gegen den Ablehnungsbescheid vom 11. März 2004, der am 16. März 2004 als Einschreiben zur Post aufgegeben wurde, erhob der Kläger am 18. März 2004 bei dem Verwaltungsgericht Kassel Klage.

Zur Begründung der Klage nahm der Kläger auf die Gründe seines Asylfolgeantrages Bezug und trug ergänzend vor, er habe in der Ausgabe Nr. 153 der Zeitschrift "Khabar Nameh" vom April 2004 einen weiteren Artikel unter seinem Namen veröffentlicht, in dem er sich zu Menschenrechtsfragen im Iran geäußert habe.

Mit einem am 1. August 2005 bei dem Verwaltungsgericht Kassel eingegangenen Schriftsatz trug der Kläger weiterhin vor, er habe an einer u.a. von der Komala organisierten Demonstration zum 1. Mai 2005 in Hannover teilgenommen. Bei dieser Veranstaltung habe er mit seinem Namen und in seiner Funktion als Sprecher der Komala angekündigt, einen Redebeitrag gehalten. An der Kundgebung hätten sich ca. 500 Personen überwiegend iranischer Abstammung beteiligt. Sein schriftlicher Beitrag in der Zeitschrift "Khabar Nameh" vom April 2004 und sein Redebeitrag seien auch im Internet unter der Webseite der Organisation Komala abrufbar.

Der Kläger beantragte,

den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 11. März 2004 aufzuheben und dieses zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen sowie festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG und Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.

Die Beklagte beantragte,

die Klage abzuweisen.

Das Verwaltungsgericht Kassel wies die Klage mit Urteil vom 17. August 2005 ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Beklagte habe es zu Recht abgelehnt, das Asylverfahren des Klägers wiederaufzugreifen und ihn als Asylberechtigten anzuerkennen bzw. das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 AufenthG zu seinen Gunsten festzustellen. Mit der Berufung auf sein exilpolitisches Engagement als Mitglied und Regionalvertreter der Komala und auf die Verfassung eines Artikels in der iranischen Zeitschrift "Khabar Nameh" mache der Kläger keine relevante nachträgliche Änderung der im Erstverfahren zu Grunde liegenden Sachlage geltend. Auch soweit der Kläger seinen Antrag auf das Verlesen eines von ihm verfassten Beitrages auf einer Veranstaltung seiner Partei am 1. Mai 2005 in Hannover und auf die Veröffentlichung im Internet stütze, habe sein Begehren keinen Erfolg. Auch insoweit seien die Anforderungen des Art. 16 a Abs. 1 GG bzw. des § 60 Abs. 1, Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht erfüllt. Weder das Verlesen des Beitrages auf der Maikundgebung im Jahre 2005 noch dessen Veröffentlichung im Internet setze den Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungsgefahr für den Fall der Rückkehr in den Iran aus. Bei diesen Aktivitäten handele es sich nicht um solche, die aus Sicht der iranischen Machthaber als den Bestand des Staates gefährdende oppositionelle Aktivitäten einzustufen seien. Auch der Veröffentlichung des Beitrages im Internet werde von dem iranischen Staat kein besonderes Interesse entgegengebracht. Auch durch das Verlesen des Beitrages auf der Maikundgebung in Hannover habe sich der Kläger nicht in solch einer Weise exponiert, dass er im Falle der Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr politischer Verfolgung ausgesetzt wäre.

Mit Beschluss vom 6. Dezember 2005 wurde auf den Antrag des Klägers die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Kassel vom 17. August 2005 zugelassen. In dem Zulassungsbeschluss wurde darauf hingewiesen, dass die Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung zu begründen ist. Der Beschluss vom 6. Dezember 2005 wurde den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 9. Dezember 2005 zugestellt.

Mit Schriftsatz vom 14. Januar 2006, der am gleichen Tag eingegangen ist, haben die Prozessbevollmächtigten des Klägers die Kopie eines Schriftsatzes vom 26. Dezember 2005 vorgelegt, in dem die Berufung begründet wird. Im Schriftsatz vom 14. Januar 2006 wird unter Beantragung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die Berufungsbegründungsfrist vorgetragen, der Schriftsatz vom 26. Dezember 2005 sei von Rechtsanwalt Selbert am vorgenannten Tag gefertigt, kuvertiert, frankiert und danach in einen Postbriefkasten im Eingang des IC- Bahnhofs B-Stadt-W. eingeworfen worden. Weshalb dieser Schriftsatz nicht angekommen sei, sei nicht bekannt. Ein Postrücklauf sei nicht zu verzeichnen. Das Schreiben müsse auf dem Postweg verloren gegangen sein.

Zur Begründung der zugelassenen Berufung wiederholt und vertieft der Kläger im Wesentlichen sein Vorbringen im erstinstanzlichen Verfahren.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Kassel vom 17. August 2005 den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 11. März 2004 aufzuheben und dieses zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen sowie festzustellen, dass für ihn die Voraussetzungen des Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG und Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.

Die Beklagte und der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten haben sich im vorliegenden Berufungsverfahren nicht zur Sache geäußert und haben auch keinen Antrag gestellt.

Der Kläger wurde am 20. Juni 2006 durch den Berichterstatter des Senats ergänzend zu den Gründen seines Asylgesuchs und zu etwaigen seiner Abschiebung in den Iran entgegenstehenden Gründen als Beteiligter vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Blatt 227 bis 229 der Gerichtsakten Bezug genommen.

Mit Verfügung des Berichterstatters des Senats vom 21. Juni 2006 wurden das Deutsche Orient-Institut und das Auswärtige Amt um Stellungnahme zu folgenden Fragen gebeten:

"1. Wie ist die politische, gesellschaftliche und militärische Bedeutung der Komala im Iran einzuschätzen? Trifft es zu, dass die Komala über Stützpunkte im Irak verfügt, von denen aus sie politisch und ggf. auch militärisch in den Iran einwirken kann? Liegen Ihnen Informationen über bewaffnete oder sonstige Aktionen der Komala im Iran mit dem Ziel des Sturzes der dortigen Regierung vor?

2. Liegen Ihnen Informationen über die Ergreifung von Verfolgungsmaßnahmen gegen im Iran lebende Mitglieder oder Anhänger der Komala vor? Trifft es zu, dass auch mehrere führende Persönlichkeiten der Komala im Iran (der Kläger hat in diesem Zusammenhang folgende Namen genannt: Sedigh Kamanghar, Dr. Javar Shafii und Gholam Kheshavarz) durch staatliche Verfolgung zu Tode gekommen sind?

3. Wie schätzen Sie den politischen und gesellschaftlichen Einfluss der Exilorganisationen der Komala im westlichen Ausland unter den derzeitigen Verhältnissen im Iran ein? Welche Bedeutung wird den regierungsfeindlichen Aktivitäten der Komala im Exil seitens der iranischen Regierung beigemessen?

4. Ist davon auszugehen, dass die von dem Kläger dargestellten politischen Aktivitäten durch geheimdienstliche Überwachung am Ort der Veranstaltungen und durch Auswertung der Publikationen und der Internetseite der Komala durch Mitarbeiter des iranischen Geheimdienstes bekannt geworden sind?

5. Hat der Kläger aus Ihrer Sicht wegen seines politischen Engagements für die Komala in Deutschland nach Rückkehr in den Iran eine Strafverfolgung oder die Ergreifung sonstiger staatlicher Maßnahmen, ggf. welcher?, zu erwarten?"

Wegen des Inhalts der auf diese Verfügung hin erstatteten Stellungnahmen des Deutschen Orient-Instituts vom 25. Januar 2007 und des Auswärtigen Amtes vom 4. April 2007 wird auf Blatt 265 bis 285 und 289 bis 291 der Gerichtsakten Bezug genommen.

Den Beteiligten ist durch Verfügung vom 29. Juni 2007 die Absicht des Senats mitgeteilt worden, über die Berufung gemäß § 130 a VwGO zu entscheiden. Die Beteiligten haben Gelegenheit erhalten, zu der beabsichtigten Verfahrensweise Stellung zu nehmen.

Dem Senat liegen die das vorangegangene Asylverfahren des Klägers betreffenden Akten und die das vorliegende Asylfolgeverfahren betreffenden Akten - 5051252-439 - des Bundesamtes vor. Diese Akten waren Gegenstand der Beratung.

II.

Der Senat entscheidet über die Berufung nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss nach § 130a VwGO, weil er die Berufung - in Bezug auf die von dem Kläger erstrebte Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Abs. 1 GG - einstimmig für unbegründet, im Übrigen einstimmig für begründet erachtet. Eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung und Beteiligung der ehrenamtlichen Richter ist deshalb möglich und sachgerecht, weil der Sachverhalt und die maßgebliche Erkenntnislage durch die im Berufungsverfahren durchgeführte Beweisaufnahme geklärt und schwierige Rechtsfragen nicht zu beantworten sind.

Die Berufung ist zulässig.

Allerdings ist die Begründung für die mit Beschluss des vormals zuständigen 11. Senats vom 6. Dezember 2005 zugelassene Berufung erst am 24. Januar 2006 und damit erst nach Ablauf der mit Zustellung des Zulassungsbeschlusses an den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 9. Dezember 2005 in Gang gesetzten und am 9. Januar 2006 (einem Donnerstag) abgelaufenen Begründungsfrist (§ 124 Abs. 6 Satz 1 VwGO) eingegangen. Dem Kläger ist aber gemäß § 60 Abs. 1 VwGO Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist zu gewähren.

Der Wiedereinsetzungsantrag wurde bereits einen Tag nach dem Hinweis des Berichterstatters des 11. Senats vom 23. Januar 2006 auf das Ausbleiben der Berufungsbegründung mit Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 24. Januar 2006 und damit rechtzeitig gestellt (vgl. § 60 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbsatz VwGO). Die Voraussetzungen für die Gewährung der beantragten Wiedereinsetzung liegen vor, denn der Kläger war ohne sein Verschulden an der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist gehindert.

Nach den von dem Prozessbevollmächtigten im Schriftsatz vom 24. Januar 2006 dargelegten Gründen für das Wiedereinsetzungsgesuch ist davon auszugehen, dass ein von dem Prozessbevollmächtigten am 26. Dezember 2005 verfasster und am nachfolgenden Tag zur Post aufgegebener Schriftsatz mit Berufungsantrag und Berufungsbegründung ohne sein Zutun auf dem Postweg verlorengegangen ist. Nach den - hinsichtlich der Einzelheiten des Zustandekommens des Schriftsatzes und der Postaufgabe näher erläuterten - Ausführungen des Prozessbevollmächtigten hat er den (am 24. Januar 2006 in Kopie vorgelegten) Schriftsatz vom 26. Dezember 2005 nach seiner sicheren Erinnerung an diesem Tag selbst gefertigt und nach Erledigung weiterer Schreiben und Sammlung des angefallenen Schriftgutes in den frühen Morgenstunden des 27. Dezember 2005 in einen nahe gelegenen Briefkasten eingeworfen. Von der parallelen Einreichung per Telefax sei - so der Prozessbevollmächtigte des Klägers - angesichts des ausreichenden Zeitraums bis zum Fristablauf abgesehen worden. Nach Absendung der Post sei die Berufungsbegründungsfrist im Fristenkalender gestrichen worden. Weshalb der Schriftsatz nicht angekommen sei, könne er nicht erklären. Ein Rücklauf sei nicht zu verzeichnen. Das Schriftstück sei offenbar bei der Post verlorengegangen.

Angesichts dieses inhaltlich nicht zu bezweifelnden und vom Prozessbevollmächtigten hinsichtlich seiner Richtigkeit anwaltlich versicherten Vortrags liegt ein dem Kläger nach § 173 VwGO in Verbindung mit § 60 VwGO zurechenbares Verschulden seines Prozessbevollmächtigten nicht vor. Weitere Nachweise für den Ausgang der Berufungsbegründung an dem besagten Tag (etwa Auszug aus dem Ausgangsbuch) sind in Anbetracht der glaubhaften Darstellung des Prozessbevollmächtigten nicht erforderlich (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. Februar 2002 - BVerwG 5 B 44.01 -, zitiert nach Juris).

Die zulässige Berufung ist unbegründet, soweit sich der Kläger gegen die Abweisung seiner auf Anerkennung als Asylberechtigter gerichteten Klage wendet. Hinsichtlich dieses Teils des Streitgegenstandes ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass dem Kläger durch den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 11. März 2004 die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens rechtsfehlerfrei versagt worden ist. Bezüglich der vom Kläger beanspruchten Asylanerkennung nach Art. 16a Abs. 1 GG liegen die für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG notwendigen Voraussetzungen für das Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vor.

Das Verwaltungsgericht Kassel hatte in seinem das Erstverfahren betreffenden Urteil vom 5. Februar 2003 - 5 E 1215/98.A - festgestellt, dass dem Kläger eine Berufung auf das Asylgrundrecht gemäß Art. 16a Abs. 1 GG nach Art. 16a Abs. 2 GG deshalb versagt sei, weil er den erforderlichen Nachweis, auf dem Luftweg und nicht über Land aus einem sicheren Drittstaat in die Bundesrepublik Deutschland eingereist zu sein, nicht zur Überzeugung des Gerichtes habe erbringen können. Diesbezüglich hat der Kläger in seinem Asylfolgeantrag vom 23. September 2003 keine Gründe vorgetragen, aus denen sich eine maßgebliche Änderung des Sachverhalts oder der Rechtslage im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG ergeben könnte. Ebenso wenig hat er im vorliegenden Asylfolgeverfahren neue Beweismittel im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG vorgelegt, die zu einer für ihn günstigen Entscheidung über die Asylanerkennung hätten führen können.

Erfolg hat die Berufung aber in Bezug auf die vom Kläger beantragte Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 1 AufenthG. Insoweit hätte das (damalige) Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nicht ablehnen dürfen, denn der Asylfolgeantrag des Klägers stellt sich, was den oben genannten Anspruch auf Gewährung von Abschiebungsschutz für politische Verfolgte anbelangt, wegen des Vorliegens der Voraussetzungen nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 und § 51 Abs. 2 und Abs. 3 VwVfG als beachtlich dar. Überdies hätte dem Folgeantrag hinsichtlich des Abschiebungsverbots nach § 61 Abs. 1 AufenthG auch entsprochen werden müssen, so dass der ablehnende Bescheid des Bundesamtes vom 11. März 2004 rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt.

Ein das Bundesamt gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens zwingender beachtlicher Folgeantrag liegt im Falle einer geltend gemachten Sachverhaltsänderung im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG dann vor, wenn sich der Asylbewerber substantiiert und widerspruchsfrei auf einen nachträglich eingetretenen Sachverhalt beruft, aus dem sich die nicht gänzlich fern liegende Möglichkeit ergibt, dass auf seiner Grundlage dem Begehren nunmehr zu entsprechen ist (vgl. BVerwG, Urteile vom 23. Juni 1987 - BVerwG 9 C 251.86 -, BVerwGE 77, 323 [326], und vom 25. Juni 1991 - BVerwG 9 C 33.90 -, Buchholz 402.25 § 14 AsylVfG Nr. 10). Diesen Anforderungen hat der Kläger mit seinem Vortrag zur Begründung des Folgeantrags vom 23. September 2003 genügt.

In diesem hat er unter Beifügung entsprechender Dokumente in deutscher Übersetzung dargelegt, er habe am 10. Mai 2003 unter seinem Namen einen Bericht in der von der kurdisch-kommunistischen Organisation Komala herausgegebenen Publikation " Khabar Nameh" veröffentlicht, in dem über eine Veranstaltung der Organisation zum 1. Mai berichtet werde.

Mit diesem Vortrag wird ein gegenüber dem Erstverfahren neuer Sachverhalt geltend gemacht. Die in dem vorangegangenen Asylverfahren durch das Verwaltungsgericht Kassel in seinem Urteil vom 5. Februar 2003 abgehandelten exilpolitischen Aktivitäten des Klägers für die Komala beschränkten sich über die Mitgliedschaft in der erwähnten Organisation hinaus auf die Anmeldung von Büchertischen und Demonstrationen der Komala und auf die Teilnahme an diesen Veranstaltungen.

Mit diesem Vorbringen ist der Kläger nicht etwa deshalb ausgeschlossen, weil er sich auf den erwähnten neuen Sachverhalt nicht innerhalb einer Frist von drei Monaten nach dessen Entstehen berufen hat. Zwar ist der Grund für das Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG in Verbindung mit § 51 Abs. 3 VwVfG grundsätzlich innerhalb von drei Monaten nach Kenntniserlangung der hierfür maßgeblichen Tatsachen geltend zu machen. Dies gilt jedoch nicht, wenn der Asylbewerber - wie im vorliegenden Fall der Kläger - von einer Sachverhaltsänderung zu einem Zeitpunkt Kenntnis erlangt, in dem nach Abweisung seiner Asylklage in erster Instanz über einen von ihm gestellten Antrag auf Zulassung der Berufung gemäß § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG noch nicht mit der Folge der Rechtskraft der Klageabweisung (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG) entschieden worden ist. Den neuen Sachverhalt zum Gegenstand eines Asylfolgeantrags zu machen, ist dem Asylbewerber in diesem Fall verwehrt, denn ein solcher ist nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG erst nach unanfechtbarer Ablehnung des früheren Asylantrags statthaft. Wegen der auf die Tatbestände nach § 78 Abs. 3 AsylVfG beschränkten Gründe für die Zulassung der Berufung kann der Asylkläger den neuen Sachverhalt mit Erfolg auch nicht in dem noch laufenden Zulassungsverfahren einbringen und hierauf gestützt rügen, dass durch das Verwaltungsgericht unrichtig entschieden worden sei. Mit Rücksicht auf diese prozessualen Besonderheiten ist der Beginn der Drei-Monats-Frist gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, § 51 Abs. 3 VwVfG bis zum Eintritt der Rechtskraft des Urteils erster Instanz (hier durch den Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 2. September 2003 - 11 UZ 570/03.A -) in entsprechender Anwendung von § 209 BGB gehemmt (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 18. Februar 2000 - 10 A 11821/98 -, NVwZ 2000, Beil. Nr. 7, 84; Funke-Kaiser in: Gemeinschaftskommentar zum AsylVfG, Stand: September 2003, Rdnr. 170 zu § 71 AsylVfG, jeweils mit weiteren Nachweisen). Die danach erst ab Rechtskraft des Urteils vom 5. Februar 2003 laufende Frist gemäß § 51 Abs. 3 VwVfG hat der Kläger eingehalten.

Aus den dargelegten Gründen war der Kläger auch im Sinne von § 51 Abs. 2 VwVfG ohne grobes Verschulden außer Stande, den Wiederaufgreifensgrund im früheren Verfahren geltend zu machen.

Mit der hierfür gegebenen Begründung ist der Asylfolgeantrag des Klägers auch beachtlich, denn durch die Veröffentlichung eines namentlich gekennzeichneten Beitrags in dem Organ der offen für einen Sturz des iranischen Regimes eintretenden Komala haben sich zumindest neue Ansätze für eine dem Kläger in seiner Heimat drohende politische Verfolgung ergeben.

Der Kläger hat auf Grund seines Asylfolgeantrags Anspruch darauf, dass zu seinen Gunsten ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 AufenthG festgestellt wird. Ihm droht bei Rückkehr in den Iran wegen seines exilpolitischen Engagements für die Komala in Deutschland politische Verfolgung. Die Beklagte ist - da die Verwaltungsgerichte bei von ihnen als beachtlich angesehenen Asylfolgeanträgen Spruchreife herzustellen und auf der Grundlage der zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung gegebenen Sach- und Rechtslage gemäß § 77 AsylVfG in der Sache zu entscheiden haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Februar 1998 - BVerwG 9 C 28.97 -, BVerwGE 106, 171) - unter Abänderung des Urteils erster Instanz zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 1 AufenthG zu verpflichten.

Da das Verwaltungsgericht Kassel in seinem das Erstverfahren betreffenden Urteil vom 5. Februar 2003 eine Vorverfolgung des Klägers verneint und im vorliegenden Asylfolgeverfahren keine neuen Tatsachen vorgetragen oder Beweismittel vorgelegt sind, die eine andere Einschätzung rechtfertigen, ist für die anzustellende Gefährdungsprognose der für nicht vorverfolgte Asylbewerber geltende "normale" Wahrscheinlichkeitsmaßstab anzulegen. Danach bedarf es zur Feststellung einer begründeten Furcht vor politischer Verfolgung einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Schadenseinritts in dem Sinne, dass die für eine Lebensgefährdung oder einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit oder einen Freiheitsentzug sprechenden Umstände größeres Gewicht haben müssen als die dagegen sprechenden Gesichtspunkte (vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 21. Februar 1997 - BVerwG 9 B 701.96 - und vom 24. März 1998 - BVerwG 9 B 995.97 -, jeweils Juris). Eine solche überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger wegen seines Eintretens für die Komala in Deutschland nach Rückkehr in den Iran mit Mitteln der politischen Verfolgung zur Rechenschaft gezogen wird, besteht jedenfalls unter Berücksichtigung der (weiteren) politischen Aktivitäten innerhalb der vorgenannten Gruppierung, auf die sich der Kläger im Verlaufe des vorliegenden Asylfolgeverfahrens berufen hat.

Der Kläger hat hierzu mit Schriftsatz seiner früheren Prozessbevollmächtigten vom 10. Mai 2004 einen weiteren von ihm verfassten, in der Ausgabe Nr. 153 der "Khabar Nameh" vom 24. April 2004 unter seinem Namen veröffentlichten und im Internet im Archiv der Website "www.komala.org" hinterlegten Beitrag mit dem Titel "Das Islamische Regime und die Menschenrechte in einem kurzen Überblick" vorgelegt. Mit am 1. August 2005 bei dem Verwaltungsgericht Kassel eingegangenem Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom gleichen Tag hat der Kläger vorgetragen, er habe bei einer von verschiedenen politischen Gruppen in Hannover veranstalteten Maikundgebung im Namen der Komala vor etwa 500 Personen eine (dem erwähnten Schriftsatz in deutscher Sprache beigefügte) politische Erklärung vorgelesen.

Diese Aktivitäten sind in die asylrechtliche Verfolgungsprognose mit einzubeziehen. Es bedarf hierbei keiner Entscheidung darüber, ob mit diesem im erstinstanzlichen Verfahren nachgeschobenen Vortrag weitere eigenständig zu betrachtende Gründe nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 VwVfG geltend gemacht werden, für die jeweils die Frist nach § 51 Abs. 3 VwVfG einzuhalten ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Dezember 1989 - BVerwG 9 B 320.89 -, Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 24), oder ob diese Tatsachen den im Folgeantrag geltend gemachten Wiederaufgreifensgrund lediglich bestätigen, erläutern oder konkretisieren und deshalb ohne Beachtung der Frist nach § 51 Abs. 3 VwVfG nachträglich dargelegt werden können (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Februar 1998 - BVerwG 9 C 28.97 -, BVerwGE 106, 171). Selbst wenn man von dem Vorliegen eigenständiger Wiederaufnahmegründe ausginge, wäre jeweils die Drei-Monats-Frist nach § 51 Abs. 3 VwVfG gewahrt.

Nach Überzeugung des Senats hat sich der Kläger jedenfalls durch seinen Auftritt bei der Maikundgebung in Hannover im Jahre 2005 der ernsthaften Gefahr politischer Verfolgung bei Rückkehr in den Iran ausgesetzt.

Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass dieser Auftritt den Sicherheitsbehörden im Iran bekannt geworden ist. Wie bereits in den Grundsatzentscheidungen der vormals zuständigen Senate des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (etwa Urteile vom 23. November 2005 - 11 UE 3311/04.A - und vom 3. November 1998 - 9 UE 1492/95 -) unter Bezug auf zahlreiche Erkenntnisquellen umfassend dargelegt wurde, entfaltet der iranische Staat über seine Auslandsvertretungen und andere Stellen (z.B. hier ansässige iranische Wirtschaftsunternehmen) eine breit angelegte geheimdienstliche Tätigkeit zur Überwachung letztlich aller im westlichen Ausland und deshalb auch in Deutschland aktiven politischen Gruppierungen, die in offener Gegnerschaft zum Regime in ihrem Heimatland stehen. Hieran hat sich erkennbar nichts geändert (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 21. September 2006, Seite 30; Bundesamt für Verfassungsschutz, Auskunft vom 30. August 2006 an das Verwaltungsgericht Osnabrück). Die Exilorganisation der Komala in Deutschland, der der Kläger angehört, steht dabei nach der überzeugenden Einschätzung des Deutschen Orient-Instituts in seiner vom Senat eingeholten Auskunft vom 25. Januar 2007 (Seite 17) in besonderer Weise im Blickpunkt der iranischen Stellen und ihrer zur Ausspähung exilpolitischer Aktivitäten eingesetzten Hilfspersonen. Dieses besondere Interesse der iranischen Machthaber an der Überwachung der Aktivitäten der Komala in Deutschland und der Identifizierung der hier für sie aktiven Iraner resultiert aus der weit überdurchschnittlichen Bedeutung, die dieser Gruppierung in den Augen des iranischen Regimes im Spektrum der im In- und Ausland operierenden Opposition zukommt. Nach dem Inhalt der erwähnten Auskunft des Deutschen Orient-Instituts vom 25. Januar 2007 ergibt sich diese besondere Bedeutung aus folgendem geschichtlich-politischen Hintergrund:

Die Komala ist eine der beiden großen und innenpolitisch bedeutsamen Organisationen der iranischen Kurden. Es handelt sich bei ihr um eine 1969 gegründete linksrevolutionäre marxistisch-leninistisch orientierte Bewegung. In ihr sammelten sich vor allem junge Kurden aus gebildeten Kreisen mit der Vorstellung einer revolutionären Umgestaltung im kommunistischen Sinne als Gegengewicht zur KDP-Iran als bekanntester politischer Gruppierung der iranischen Kurden mit einer sozialdemokratisch-nationalistischen Ausrichtung. Im Zuge der seit 1978 zu beobachtenden revolutionären Strömungen, die dem Sturz des Schah im Jahre 1979 vorausgingen, trat die bis dahin politisch und militärisch unbedeutende Komala unter dem Namen "Revolutionäre Organisation der Arbeiter in Kurdistan" als Guerillagruppe durch bewaffnete Aktionen mit dem Ziel der Erkämpfung einer weit reichenden Autonomie der Kurden im Iran in Erscheinung. Im Jahre 1983 schloss sich die Komala mit der maoistischen "Peykar" zur "Kommunistischen Partei Iran" zusammen und fungierte unter dem Namen "Kurdistan-Organisation der Kommunistischen Partei Iran (Komala)" als Untergruppierung der "Kommunistischen Partei Iran". Als solche war die Komala mit den anderen linksextremistisch ausgerichteten Kurdenorganisationen in schwere militärische Auseinandersetzungen mit den Revolutionsgarden verwickelt, die diese im Jahre 1984 zu ihren Gunsten entschieden. Im Sommer 1991 spalteten sich Mitglieder der Komala von der "Kommunistischen Partei Iran" ab und gründeten die "Arbeiterkommunistische Partei Iran". Bei einem Kongress der weiter existierenden "Kommunistischen Partei Iran" im Jahre 2000 wurde der Wiederaufbau der Komala beschlossen. Die Organisation tritt seither wieder unter ihrem ursprünglichen Namen auf.

Den - angesichts der herrschenden Verhältnisse aussichtslosen - bewaffneten Kampf gegen das herrschende Regime hat die Komala aufgegeben. Auch ihr innenpolitischer Einfluss ist vergleichsweise gering, da die im Iran verbotene Organisation nur im Untergrund und ohne ein offen hervortretendes organisatorisches Netz arbeiten kann. Gleichwohl ist die Komala als eine Verbindung Gleichgesinnter im Spektrum der linksgerichteten sozialistisch-kommunistisch eingestellten Kurden im Land präsent und stellt die letztlich allein übrig gebliebene politische Struktur innerhalb der kurdischen Opposition dar. Darüber hinaus hat die Komala auch als strategisches Element eine gewisse politische Bedeutung. Wegen der engen Stammes- oder Familienbeziehungen zu im Irak lebenden Kurden und dort bestehender gleichgesinnter Organisationen werden von irakischer Seite die Wirkungsmöglichkeiten der Komala im Iran dazu genutzt, um den iranischen Einfluss im Irak zurückzudrängen.

Soweit Aktivitäten von Mitgliedern und Aktivisten der Komala im Iran bekannt werden, sind die Betreffenden unnachsichtiger staatlicher Verfolgung ausgesetzt. Das Auswärtige Amt berichtet in seiner Auskunft vom 4. April 2007 an den Senat davon, dass die Regierung seit Herbst 2002 wieder verschärft gegen die Komala vorgehe. Zwischen Oktober 2002 und Januar 2003 seien hohe Gefängnisstrafen gegen angeblich radikale Mitglieder der Komala verhängt worden. In mindestens zwei Fällen seien Todesstrafen vollstreckt worden. Das Deutsche Orient-Institut weist in seiner im vorliegenden Verfahren erstellten Auskunft darauf hin, dass im September 2005 ein Mitglied der Organisation, das bereits in den 80-er Jahren als Aktivist der Komala aufgefallen und inhaftiert gewesen war, zum Tode verurteilt und gehängt worden sei. In anderen Fällen seien - teilweise nur im Umfeld der Komala - der Mitgliedschaft in der Organisation verdächtigte Personen zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt worden. Mehrere im Ausland lebende prominente Vertreter der Komala seien Anschlägen iranischer Agenten zum Opfer gefallen.

Auf dem Hintergrund dieser Erkenntnisse ist mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass das Auftreten des Klägers bei der Kundgebung zum 1. Mai in Hannover zur Kenntnis der iranischen Sicherheitsbehörden gelangt ist, da sich unter der Vielzahl von Teilnehmern oder Zuhörern bei dieser Veranstaltung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch Agenten der iranischen Geheimdienste befunden haben werden.

Weiterhin ist nach den im Gutachten des Deutschen Orient-Instituts wiedergegeben Informationen anzunehmen, dass sich der Kläger durch seinen öffentlichen Beitrag bei der Veranstaltung als Mitglied der Komala einem ernsthaften Verfolgungsrisiko bei Rückkehr in den Iran ausgesetzt hat.

Die Komala gehört zu den im Iran (sämtlich) verbotenen politischen Organisationen, die wegen ihrer antiklerikalen und separatistischen Ausrichtung in besonders schroffem Gegensatz zur Politik der Regierung stehen und die - wie der Gutachter des Deutschen Orient-Instituts ausdrücklich bestätigt hat - wegen dieser unvereinbaren Gegensätze, ihrer Bedeutung als einzig verbliebener Repräsentantin der kurdischen Linksopposition und wegen der von ihr ausgehenden Bedrohung durch ihre Operationsbasis im Irak einem besonders großen Verfolgungsdruck ausgesetzt sind. Diese Umstände und die bekannt gewordenen Referenzfälle von Verfolgungen von Komala-Mitgliedern im Iran rechtfertigen die Einschätzung, dass im Iran auch solche Personen gezielter politischer Repression ausgesetzt sind, die sich - wie der Kläger - im westlichen Ausland lediglich als überzeugte und aktive Mitglieder der Komala offenbart haben. Für diesen Personenkreis geht auch der Gutachter des Deutschen Orient-Instituts von der Gefahr der Verhängung einer langjährigen Haftstrafe aus.

Der Grad der Gefährdung wegen exilpolitischer Betätigung übersteigt damit für Mitglieder der Komala denjenigen, der für Mitglieder und Anhänger anderer Exilorganisationen, wie etwa der der Monarchisten angenommen wurde. Für Angehörige dieser Gruppierungen wurde in der Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs eine beachtliche Verfolgungsgefährdung nur für besonders hervorgehobene Funktionäre angenommen (vgl. zuletzt Urteil vom 23. November 2005 - 11 UE 3311/04.A -). Die Übertragung dieser Grundsätze auf Mitglieder der Komala ist aus den genannten Gründen nicht gerechtfertigt. Anders als die in ihrem Wirkungskreis auf das Ausland beschränkten Exilgruppierungen wirkt die Komala durch die politischen Bindungen im Iran und Irak durchaus auf die Verhältnisse im Iran ein und stellt folglich aus der Sicht der iranischen Machthaber eine ungleich höhere Bedrohung dar. Der von dem Auswärtigen Amt in seiner Auskunft vom 4. April 2007 hervorgehobene Umstand, dass den iranischen Stellen bekannt sei, dass exilpolitische Aktivitäten zur Schaffung von Nachfluchtgründen entwickelt würden und Personen wegen ihres niedrigen politischen Niveaus nicht in den Fokus der geheimdienstlichen Überwachung gerieten, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Eine solche nachsichtige Behandlung kann - wenn überhaupt - nur bei bloßen Mitläufern der Komala in Betracht gezogen werden, bei denen die Absicht zur Schaffung von Nachfluchtgründen deutlich erkennbar ist. Bei der Entfaltung darüber hinaus gehender Aktivitäten der hier vorliegenden Art ist dagegen von einer ernstlichen Gefährdung von bekannt gewordenen Komala-Aktivisten auszugehen.

Mit Rücksicht auf die sich für den Kläger schon aus seinem öffentlichen Auftritt als Komala-Aktivist bei der Maikundgebung im Jahre 2005 ergebende ernsthafte Verfolgungsgefahr bedarf es keiner weiteren Betrachtung, ob ein Verfolgungsrisiko auch wegen der im Archiv der Internetseite der Komala hinterlegten Beiträge besteht (die Gefahr der Aufdeckung durch den iranischen Geheimdienst wird durch den Gutachter des Deutschen Orient-Instituts als eher gering eingeschätzt).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b AsylVfG nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO, § 167 VwGO.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Ende der Entscheidung

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