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Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 14.12.2001
Aktenzeichen: 6 UE 3681/98.A
Rechtsgebiete: GG, AuslG
Vorschriften:
GG Art. 16a | |
AuslG § 51 Abs. 1 |
2. Die in jüngerer Zeit bekannt gewordenen Fälle, in denen Rückkehrer bei oder nach der Einreise in die Türkei menschenrechtswidrig behandelt worden sind bzw. sein sollen, sind zahlenmäßig so gering, dass eine generelle Rückkehrgefährdung nicht besteht.
3. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass eine etwaige Bestrafung kurdischer Volkszugehöriger wegen Wehrdienstentziehung an ihre Volkszugehörigkeit anknüpfen könnte oder dass kurdische Wehrpflichtige bei der Überprüfung an der Grenze wegen der Nichtableistung des Wehrdienstes einer asylrechtlich erheblichen Behandlung unterzogen werden würden.
Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss
In dem Verwaltungsstreitverfahren
wegen Asylrechts
hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 6. Senat - durch
Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Dr. Schulz, Richterin am Hess. VGH Dyckmans, Richterin am Hess. VGH Fischer
am 14. Dezember 2001 beschlossen:
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 9. Dezember 1997 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Der Beschluss ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Der am in (Provinz Urfa) geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Er verließ - nach eigenen Angaben - am 3. November 1992 sein Heimatland und reiste mit Hilfe einer Schlepperorganisation per Bus von Istanbul kommend am 10. November 1992 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Er ist im Besitz eines auf seinen Namen ausgestellten Nüfus.
Am 27. November 1992 beantragte er bei dem Landrat des Main-Taunus-Kreises die Anerkennung als Asylberechtigter.
Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) in Korbach am 23. November 1993 - die in türkischer Sprache erfolgte - gab der Kläger an, er habe in der Türkei von dem Tierhandel seines Vaters gelebt; seine Eltern, fünf Brüder und drei Schwestern lebten noch in der Türkei. Den Wehrdienst habe er noch nicht geleistet. Er gehöre zu den Zaza-Kurden.
Er sei von den Militärs und von Geheimpolizisten aufgefordert worden, für sie tätig zu werden. Sie hätten ihm Waffen angeboten, mit denen er PKK-Leute erschießen sollte. Er sei nicht Mitglied oder Sympathisant einer Partei, habe aber den kurdischen Kämpfern, unter denen auch PKK-Leute gewesen seien, geholfen. Er habe ihnen z. B. Lebensmittel und Gewehre gegeben; die Gewehre habe er von anderen Leuten erhalten oder gekauft, wenn die kurdischen Kämpfer dies verlangt hätten. Er sei von den militärischen Sicherheitskräften viermal mit zur Wache genommen worden; zuletzt am . Dabei sei er jedes Mal aufgefordert worden, für die militärischen Sicherheitskräfte Dienst zu tun und gegen die PKK tätig zu werden. Er habe dann immer mit "Ja" geantwortet, sei später aber einfach "abgehauen". Den Wehrdienst wolle er eigentlich deswegen nicht leisten, weil er dann möglicherweise sowohl gegen Zaza-Kurden als auch gegen PKK-Leute tätig werden müsste; das wolle er nicht.
Nachdem er letztmalig im für eine Woche in Gewahrsam gewesen sei und sich anschließend versteckte, sei sein Vater zwei Monate in Haft genommen worden. Die Sicherheitskräfte hätten erklärt, dass sie ihn so lange festhalten würden, bis sein Sohn - der Kläger - zurückkehre. Wie er - der Kläger - von hier aus erfahren habe, sei sein Vater am entlassen worden.
Das Bundesamt lehnte den Asylantrag des Klägers mit Bescheid vom 2. Dezember 1993 - dem Bevollmächtigten des Klägers zugestellt am 7. Dezember 1993 - ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorlägen, und forderte den Kläger unter Androhung der Abschiebung zur Ausreise auf. Zur Begründung führte das Bundesamt im Wesentlichen an, eine Gruppenverfolgung der Kurden in der Türkei allein wegen ihrer Volkszugehörigkeit sei nicht gegeben und der Kläger sei auch einer individuellen Verfolgung als Kurde vor dem Verlassen seines Heimatlandes nicht ausgesetzt gewesen. Die drohende Bestrafung wegen untergeordneter Unterstützungsmaßnahmen der PKK nach dem Anti-Terror-Gesetz diene nur der Ahndung kriminellen Unrechts. Die Maßnahmen der türkischen Sicherheitskräfte, wie Umsiedlung, Vertreibung aus angestammten Dörfern, militärische Übergriffe gegen Dorfbewohner oder demonstrierende Kurden und Razzien dienten nur der Bekämpfung gewalttätiger separatistischer Kurdenorganisationen, die in der kurdischen Bevölkerung viel Unterstützung erführen. Im Übrigen bestehe für Kurden grundsätzlich die Möglichkeit, in der Westtürkei - insbesondere in den Großstädten Ankara und Istanbul - verfolgungsfrei zu leben. Auch das Vorbringen des Klägers, in der Türkei seinen Militärdienst nicht ableisten zu wollen, könne nicht zu seiner Anerkennung führen.
Am 8. Dezember 1993 hat der Bevollmächtigte des Klägers Klage erhoben und zur Begründung der Klage auf die Angaben des Klägers vor dem Bundesamt, die bei dem Verwaltungsgericht vorhandenen Erkenntnisquellen sowie eine Vielzahl zusätzlich benannter Erkenntnisquellen Bezug genommen.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 2. Dezember 1993 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen,
und hilfsweise,
dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten hat keinen Antrag gestellt.
Das Verwaltungsgericht hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 9. Dezember 1997 zu seinen Asylgründen informatorisch angehört und Beweis erhoben über die vom Kläger behaupteten Festnahmen in der Türkei durch Vernehmung des Zeugen H. K.. Wegen des Ergebnisses der informatorischen Anhörung sowie der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf den Inhalt der Verhandlungsniederschrift (Bl. 35 ff. der Gerichtsakte).
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 9. Dezember 1997 abgewiesen und zur Begründung darauf abgestellt, dass dem Kläger eine Rückkehr in die Türkei trotz einer dort in den Notstandsprovinzen festzustellenden Gruppenverfolgung der Kurden zumutbar sei, weil ihm eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung stehe, die er sicher erreichen könne und wo er auch hinreichend sicher vor politischer Verfolgung sei. Nach Überzeugung des Gerichts sei gegenwärtig und auf absehbare Zeit eine inländische Fluchtalternative für Kurden in den westlichen Landesteilen der Türkei - insbesondere in den dortigen Großstädten wie etwa Istanbul, Izmir und Ankara - gegeben. Die inländische Fluchtalternative stehe auch dem Kläger zur Verfügung. Die vom Kläger geschilderten Festnahmen seien nicht glaubhaft; sie seien vage und unsubstantiiert, so dass das Gericht sich nicht davon habe überzeugen können, der Kläger berichte von ihm tatsächlich Widerfahrenem. Auch soweit der Zeuge K. Festnahmen des Klägers in der Türkei bestätigte, habe sich das Gericht nicht von der Richtigkeit dieser Angaben überzeugen können. Die Bekundungen des Zeugen seien in sich widersprüchlich und ständen auch in Widerspruch zu den Angaben des Klägers. Der Wahrheitsgehalt der vom Kläger vorgetragenen Festnahmen könne aber auch dahingestellt bleiben, weil sich der Kläger vor etwaigen Übergriffen der von ihm geschilderten Art jedenfalls durch einen Weggang in den Westen der Türkei hätte in Sicherheit bringen können. Er habe selbst ausgeführt, dass das Interesse der Sicherheitskräfte nicht gezielt seiner Person, sondern allen Jugendlichen im Alter von 17 und 18 Jahren gegolten habe. Auch der Umstand, dass der Kläger den Militärdienst noch nicht abgeleistet habe, begründe für ihn im Falle der Rückkehr nicht die Gefahr politischer Verfolgung.
Der Bevollmächtigte des Klägers hat gegen das ihm am 9. Februar 1998 zugestellte Urteil die Zulassung der Berufung beantragt.
Mit Beschluss vom 5. Oktober 1998 - dem Bevollmächtigten des Klägers zugestellt am 12. Oktober 1998 - hat der Senat die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts hinsichtlich des asylrechtlichen Verfahrensteils mit der Begründung zugelassen, das Verwaltungsgericht habe in den tragenden Gründen des angegriffenen Urteils diverse Erkenntnisquellen jüngeren Datums verwendet, ohne diese zuvor in das Verfahren eingeführt zu haben, und damit das rechtliche Gehör des Klägers verletzt. Im Übrigen hat der Senat den Zulassungsantrag abgelehnt.
Am 12. November 1998 hat der Bevollmächtigte des Klägers die Berufung damit begründet, dass der Kläger sein individuelles Verfolgungsschicksal durchgehend und widerspruchsfrei geschildert habe, und beantragt, den Kläger zu seinem Verfolgungsschicksal als Partei zu vernehmen. Dass die Aussage des Zeugen K. - der zwischenzeitlich in die Türkei abgeschoben worden sei und deshalb als Zeuge nicht mehr zur Verfügung stehe - den Vortrag des Klägers nur partiell bestätige, führe nicht zur Unglaubhaftigkeit. Soweit das Verwaltungsgericht den Vortrag des Klägers als wahr unterstellt habe, wäre es zur Annahme einer inländischen Fluchtalternative entsprechend dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 1997 - 2 BvR 1024/95 - erforderlich gewesen festzustellen, dass der Kläger an einem angenommenen Ort der inländischen Fluchtalternative vor politischer Verfolgung hinreichend sicher gewesen wäre. Dies wäre aufgrund der weitgehenden Registrierungspraxis entsprechend dem Gutachten von Rumpf an das OVG Bremen vom 2. April 1997 nicht der Fall gewesen. Aufgrund dessen bestehe für den Kläger auch im Fall der Rückkehr die Gefahr erneuter politischer Verfolgung. Mit asylerheblicher Verfolgung habe der Kläger auch deshalb zu rechnen, weil er sich dem Wehrdienst entzogen habe; insoweit werde auf das Gutachten von Oberdiek an das VG Hannover vom 15. Juli 1993 verwiesen.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Gießen vom 9. Dezember 1997 den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 2. Dezember 1993 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen.
Die Beklagte und der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten haben sich im Berufungsverfahren nicht zur Sache geäußert und keine Anträge gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf die Gerichtsakte 6 UE 3681/98.A (VG Gießen 8 E 16830/93.A), die Behördenakten des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (D 1543861-163) und der Ausländerbehörde des Lahn-Dill-Kreises, die Grundsatzentscheidungen des Senats vom 14. Oktober 1998 (6 UE 214/98.A) und vom 4. März 1999 (6 UE 4380/97.A) einschließlich der dort verwerteten und in den Entscheidungen abgedruckten Erkenntnisquellen sowie die folgenden Unterlagen, die sämtlich Gegenstand der Beratung gewesen sind:
1. 01.02.1998 Rumpf an VG Berlin (PKK, Sicherheitskräfte, Dorfschützer, Binnenmigration, Provinz Sanli Urfa)
2. 18.03.1998 Klee, Bericht über eine Informationsreise einer Ärztinnengruppe in die Türkei vom 11. - 18.03.1998 (Situation der inländischen Flüchtlinge, engagierte Oppositionelle)
3. 31.03.1998 Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei
4. 31.03.1998 GefAA, Bericht über eine Informationsreise nach Istanbul vom 27. bis 31.03.1998 (Information über ausländer- und asylrechtliche Aspekte der gegenwärtigen Situation in der Türkei)
5. 15.04.1998 a. i. an VG Hamburg (PKK, Sicherheitskräfte, Minderjährige, Existenzminimum, Provinz Bingöl)
6. 16.06.1998 Kaya an VG Stuttgart (MED-TV)
7. 08.07.1998 Auswärtiges Amt an VG Mainz (Frauen, Migration allgemein, Existenzsicherung)
8. 24.07.1998 a. i. an VG Wiesbaden (Wehrpflicht)
9. 24.07.1998 Rumpf an VG Berlin (PKK, Sippenhaft, Rückkehrgefährdung)
10. 29.07.1998 GfbV an VG Freiburg (Strafnachrichtenaustausch, Exilpolitik, Autobahnblockade)
11. 18.08.1998 Kaya an VG Würzburg (Dorfschützer)
12. 18.09.1998 AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei
13. 22.09.1998 Oberdiek an VG Sigmaringen (Abschiebungsfälle)
14. 07.10.1998 a. i. an VG Freiburg (Strafnachrichtenaustausch, Exilpolitik)
15. 20.10.1998 Oberdiek an VG Sigmaringen - Ergänzung - (Abschiebungsfälle)
16. 22.10.1998 Rumpf an VG Stuttgart (MED-TV)
17. 22.12.1998 AA an VG Sigmaringen (Abschiebungsfälle)
18. 07.01.1999 AA an VG Freiburg (Fisleme)
19. 08.01.1999 AA an VG Stuttgart (MED-TV)
20. 12.01.1999 Rumpf an VG Berlin (Exilpolitik)
21. 15.01.1999 Kaya an VG Sigmaringen (Abschiebungsfälle)
22. 03.02.1999 a. i., Gefährdung von Kurden im Falle ihrer Rückkehr in die Türkei
23. 03.02.1999 a. i., an VG Sigmaringen (Abschiebungsfälle)
24. 12.02.1999 Rumpf an VG Ansbach (Wehrpflicht)
25. 18.02.1999 Rumpf an VG Ansbach (Exilpolitik)
26. 25.02.1999 AA, ad hoc-Bericht zur aktuellen Lageentwicklung in der Türkei nach Festnahme Öcalans
27. 04.03.1999 Rumpf an VG Sigmaringen (Abschiebungsfälle)
28. 22.04.1999 Kaya an VG Stuttgart (Dorfschützer, Özel Tims)
29. 29.04.1999 Oberdiek an VG Berlin (Rückkehrgefährdung nach der Verhaftung Öcalans)
30. 30.04.1999 a. i. an VG Aachen (Exilpolitik)
31. 30.04.1999 Graf, Türkei Lageanalyse - November 1998 bis April 1999
32. 07.09.1999 AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei
33. 27.09.1999 Rumpf an VG Freiburg (Fisleme)
34. 20.12.1999 Max-Planck-Institut an VG Kassel (Wehrpflicht)
35. 28.12.1999 Kaya an OVG Mecklenburg-Vorpommern (Sippenhaft)
36. 30.03.2000 Isernhinke, Bericht zur Reise in die Türkei vom 10. - 16.03.2000
37. 27.04.2000 Oberdiek an OVG Hamburg (Frauen, Existenzminimum)
38. 29.04.2000 Kaya an OVG Hamburg (Frauen, Existenzminimum)
39. 13.05.2000 Taylan an OVG Hamburg (Frauen, Existenzminimum)
40. 19.06.2000 Rumpf an VG Darmstadt (Sicherheitslage nach der Festnahme Öcalans)
41. 22.06.2000 Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei
42. 29.09.2000 Kaya an VG Sigmaringen (Exilpolitik)
43. 23.11.2000 a. i. an VG Augsburg (Fisleme)
44. 30.11.2000 Auswärtiges Amt, ad hoc-Bericht zu aktuellen Abschiebungsfällen in die Türkei
45. 12.12.2000 Oberdiek an VG Sigmaringen (Dorfschützer, Öcalan)
46. 22.12.2000 Kaya an VG Sigmaringen (Dorfschützer)
47. 16.01.2001 Taylan an VG Oldenburg (MED-TV jetzt Medya-TV)
48. 19.01.2001 a. i., Willkürliche Inhaftierung/Unfaires Gerichtsverfahren/Misshandlung
49. 23.01.2001 Rumpf an VG Augsburg (Dorfschützer, Wehrdienstentzug, inländische Fluchtalternative)
50. 10.03.2001 Kaya an VG Sigmaringen (Notstandsprovinzen, PKK, Rückkehrgefährdung, Öcalan)
51. 05.05.2001 Kaya an VG Schleswig (Exilpolitik)
52. 28.05.2001 Oberdiek an VG Sigmaringen (Exilpolitik)
53. 01.06.2001 Schweizerische Flüchtlingshilfe, Türkei im Mai 2001
54. 06.07.2001 Rumpf an VG Gießen (Wehrdienstentziehung, Ausbürgerung)
55. 24.07.2001 Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei
Mit gerichtlichem Schreiben vom 30. Oktober 2001 ist den Beteiligten je eine Fotokopie der Grundsatzentscheidungen des Senats vom 14. Oktober 1998 (6 UE 214/98.A) und vom 4. März 1999 (6 UE 4380/97.A) sowie eine Liste der Erkenntnisquellen jüngeren Datums übersandt worden.
II.
Der Senat entscheidet nach entsprechender Anhörung der Beteiligten (§ 130a Satz 2 i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO) über die Berufung durch Beschluss, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 130a Satz 1 VwGO).
Die nur hinsichtlich des asylrechtlichen Verfahrensteils (Asylanerkennung und Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG) zugelassene und auch sonst zulässige Berufung (§ 78 Abs. 2 Satz 1, Abs. 5 Satz 3 AsylVfG; § 124a Abs. 3 VwGO) ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die auf die Verpflichtung zur Asylanerkennung und Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG gerichtete Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der Asylantrag des Klägers wurde durch den Bescheid des Bundesamtes vom 2. Dezember 1993 zu Recht abgelehnt. Der Kläger kann in dem nach § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der Berufungsentscheidung nicht verlangen, dass die Beklagte ihn als Asylberechtigten nach Art. 16a Abs. 1 GG anerkennt (A.) und feststellt, dass in seiner Person die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen (B.). Über Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG ist nicht zu entscheiden, da insoweit die Berufung nicht zugelassen ist und hierzu auch keine Anträge gestellt sind. Hieraus ergeben sich die zu treffenden Nebenentscheidungen (C.).
A.
Asylrecht als politisch Verfolgter im Sinne des mit dem früheren Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG übereinstimmenden Art. 16a Abs. 1 GG genießt, wer bei einer Rückkehr in seine Heimat aus politischen Gründen Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib und Leben oder Beeinträchtigungen seiner persönlichen Freiheit zu erwarten hat (BVerfG, 02.07.1980 - 1 BvR 147/80 u.a. -, BVerfGE 54, 341 = EZAR 200 Nr. 1). Wer unverfolgt seinen Heimatstaat verlassen hat, ist nur dann als Asylberechtigter anzuerkennen, wenn ihm aufgrund eines beachtlichen Nachfluchttatbestandes politische Verfolgung droht (§ 28 AsylVfG; BVerfG, 26.11.1986 - 2 BvR 1058/85 -, BVerfGE 74, 51 = EZAR 200 Nr. 18; BVerwG, 20.11.1990 - 9 C 74.90 -, BVerwGE 87, 152 = EZAR 201 Nr. 22). Eine Verfolgung ist in Anlehnung an den Flüchtlingsbegriff des Art. 1 Abschn. A Nr. 2 GK als politisch im Sinne von Art. 16a Abs. 1 GG anzusehen, wenn sie auf die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder die politische Überzeugung des Betroffenen zielt (BVerfG, 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 u.a. -, BVerfGE 76, 143 = EZAR 200 Nr. 20; BVerwG, 17.05.1983 - 9 C 874.82 -, BVerwGE 67, 195 = EZAR 201 Nr. 5, u. 26.06.1984 - 9 C 185.83 -, BVerwGE 69, 320 = EZAR 201 Nr. 8). Diese spezifische Zielrichtung ist anhand des inhaltlichen Charakters der Verfolgung nach deren erkennbarem Zweck und nicht nach den subjektiven Motiven des Verfolgenden zu ermitteln (BVerfG, 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE 80, 315, 344 = EZAR 201 Nr. 20; zur Motivation vgl. BVerwG, 19.05.1987 - 9 C 184.86 -, BVerwGE 77, 258 = EZAR 200 Nr. 19). Werden nicht Leib, Leben oder physische Freiheit gefährdet, sondern andere Grundfreiheiten wie etwa die Religionsausübung oder die berufliche und wirtschaftliche Betätigung, so sind allerdings nur solche Beeinträchtigungen asylrelevant, die nach Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die Bewohner des Heimatstaats aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen haben (BVerfG, 02.07.1980 - 1 BvR 147/80 u.a. -, a.a.O., u. 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 u.a. -, a.a.O.; BVerwG, 18.02.1986 - 9 C 16.85 -, BVerwGE 74, 31 = EZAR 202 Nr. 7). Die Gefahr einer derartigen Verfolgung ist gegeben, wenn dem Asylsuchenden bei verständiger Würdigung aller Umstände seines Falles politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, wobei die insoweit erforderliche Zukunftsprognose auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung abgestellt und auf einen absehbaren Zeitraum ausgerichtet sein muss (BVerwG, 03.12.1985 - 9 C 22.85 -, EZAR 202 Nr. 6 = NVwZ 1986, 760 m.w.N.). Die Prüfung der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erfordert eine qualifizierende Betrachtungsweise, die neben der Eintrittswahrscheinlichkeit auch die zeitliche Nähe des befürchteten Eingriffs berücksichtigt (BVerwG, 14.12.1993 - 9 C 45.92 -, EZAR 200 Nr. 30). Einem Asylbewerber, der bereits einmal politisch verfolgt war, kann eine Rückkehr in seine Heimat nur zugemutet werden, wenn die Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist (BVerfG, 02.07.1980 - 1 BvR 147/80 u.a. -, a.a.O.; BVerwG, 25.09.1984 - 9 C 17.84 -, BVerwGE 70, 169 = EZAR 200 Nr. 12 m.w.N.). Die Asylanerkennung kann wegen anderweitigen Verfolgungsschutzes, insbesondere nach Einreise aus einem sicheren Drittstaat ausgeschlossen sein (Art. 16a Abs. 2 GG; §§ 26a, 27, 29 Abs. 1 und 2 AsylVfG, Anlage I zum AsylVfG; vgl. vor allem BVerfG, 14.09.1996 - 2 BvR 1516/93 -, BVerfGE 94, 49 = EZAR 208 Nr. 7).
Der Asylbewerber ist aufgrund der ihm obliegenden prozessualen Mitwirkungspflicht gehalten, von sich aus umfassend die in seine eigene Sphäre fallenden Ereignisse substantiiert und in sich schlüssig zu schildern sowie eventuelle Widersprüche zu seinem Vorbringen in früheren Verfahrensstadien nachvollziehbar aufzulösen, so dass sein Vortrag insgesamt geeignet ist, den Asylanspruch lückenlos zu tragen (BVerwG, 08.05.1984 - 9 C 141.83 -, EZAR 630 Nr. 13 = NVwZ 1985, 36, 12.11.1985 - 9 C 27.85 -, EZAR 630 Nr. 23 = InfAuslR 1986, 79, u. 23.02.1988 - 9 C 32.87 -, EZAR 630 Nr. 25), und insbesondere auch den politischen Charakter der Verfolgungsmaßnahmen festzustellen (vgl. BVerwG, 22.03.1983 - 9 C 68.81 -, Buchholz 402.24 Nr. 44 zu § 28 AuslG, u. 18.10.1983 - 9 C 473.82 -, EZAR 630 Nr. 8 = ZfSH/SGB 1984, 281). Bei der Darstellung der allgemeinen Umstände im Herkunftsland genügt es dagegen, dass die vorgetragenen Tatsachen die nicht entfernt liegende Möglichkeit politischer Verfolgung ergeben (BVerwG, 23.11.1982 - 9 C 74.81 -, BVerwGE 66, 237 = EZAR 630 Nr. 1). Die Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung kann schließlich nur festgestellt werden, wenn sich das Gericht in vollem Umfang die Überzeugung von der Wahrheit des von dem Asylbewerber behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals verschafft, wobei allerdings der sachtypische Beweisnotstand hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerstaat bei der Auswahl der Beweismittel und bei der Würdigung des Vortrags und der Beweise angemessen zu berücksichtigen ist (BVerwG, 12.11.1985 - 9 C 27.85 -, a.a.O.).
Nach diesen Grundsätzen kann aufgrund der persönlichen Angaben des Klägers vor dem Bundesamt am 23. November 1993 und vor dem Verwaltungsgericht am 9. Dezember 1997, der Aussage des Zeugen H. K. vor dem Verwaltungsgericht an demselben Tag sowie aufgrund der in das Verfahren eingeführten Entscheidungen und Erkenntnisquellen nicht zur Überzeugung des Senats festgestellt werden, dass der Kläger bis zu seiner Ausreise aus der Türkei wegen seiner Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe (1.) oder aus individuellen Gründen (2.) politisch verfolgt war und ihm bei einer Rückkehr in die Türkei politische Verfolgung droht (3.).
1.
Der Kläger hat in der Türkei bis zu seiner Ausreise im November 1992 wegen seiner Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe keine politische Verfolgung erlitten. Nach den Feststellungen des beschließenden Senats war die Bevölkerungsgruppe der Kurden in der Türkei bis zu diesem Zeitpunkt allgemein dem türkischen Staat zuzurechnender politischer Verfolgung (noch) nicht ausgesetzt (Hess. VGH, 14.10.1998 - 6 UE 214/98.A -); insoweit wird insbesondere auf die Seiten 17 bis 29 des vorgenannten Urteils Bezug genommen. Die Beteiligten sind auf das vorgenannte Urteil, insbesondere auf die darin verwerteten Erkenntnisquellen (S. 6 bis 9 des Urteilsabdrucks) ausdrücklich hingewiesen worden. Erkenntnisse, die Anlass geben könnten, die Frage der Gruppenverfolgung von Kurden in der Türkei vor Mitte des Jahres 1993 neu zu überdenken, liegen nicht vor.
2.
Es kann aufgrund der Angaben des Klägers vor dem Bundesamt und vor dem Verwaltungsgericht, der Aussage des Zeugen H. K. vor dem Verwaltungsgericht sowie des schriftlichen Vortrags des Klägers im erstinstanzlichen Verfahren und im Berufungsverfahren auch nicht festgestellt werden, dass der Kläger aus individuellen Gründen politische Verfolgung erlitten hat oder ihm eine solche vor der Ausreise unmittelbar bevorstand.
Der Kläger hat zwar im Wesentlichen widerspruchsfrei vorgetragen, dass er in S. insgesamt viermal von Sicherheitskräften mitgenommen und jeweils ein bis zwei Wochen festgehalten worden sei, um dazu bewogen zu werden, gegen die PKK zu arbeiten und zu kämpfen; letztmalig sei er am 11. September 1992 festgenommen worden. Dass er anlässlich der Festnahmen geschlagen und misshandelt worden sei, hat der Kläger erstmals bei seiner Anhörung vor dem Verwaltungsgericht am 9. Dezember 1997 erwähnt. Misshandlungen bei derartigen Inhaftierungen gehörten (und gehören) allerdings zu der durch zahlreiche Erkenntnisquellen belegten Praxis der Sicherheitskräfte (vgl. dazu: AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei vom 24.07.2001, S. 26 f.). Die Frage, ob der Vortrag des Klägers glaubhaft ist oder ob das Verwaltungsgericht - insbesondere im Hinblick auf die Widersprüche zu der Aussage des Zeugen H. K. - zu Recht davon ausgegangen ist, dass den Ausführungen des Klägers insgesamt kein Glauben geschenkt werden könne, kann dahingestellt bleiben.
Asylrecht genießt grundsätzlich nur, wer sich landesweit in einer ausweglosen Lage befindet (BVerfG, 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE 80, 315). Selbst wenn die Angaben des Klägers zutreffen sollten, war er keinen von Anfang an individuell und landesweit reichenden auf ihn persönlich gezielten Maßnahmen ausgesetzt, und es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Festnahmen allein die begründete Furcht vor weiteren gezielt gegen seine Person gerichteten landesweiten Maßnahmen auslösen konnten. Der Kläger selbst hat angegeben, weder Mitglied noch Sympathisant einer Partei gewesen zu sein. Er hat zwar auch vorgetragen, den kurdischen Kämpfern - unter denen auch PKK-Leute gewesen seien - geholfen zu haben, indem er ihnen z. B. Lebensmittel und Gewehre besorgte. Demgegenüber lassen sich seinem Vortrag keine tatsächlichen Umstände oder Ereignisse entnehmen, die darauf hindeuten, dass er persönlich als Unterstützer der PKK in das Blickfeld der Sicherheitskräfte geraten sei. Dass das Interesse der Sicherheitskräfte nicht konkret seiner Person galt, hat der Kläger selbst bei seiner Anhörung vor dem Verwaltungsgericht bestätigt, indem er auf Befragen des Einzelrichters angab, das Interesse der Sicherheitskräfte habe allen Jugendlichen im Alter zwischen 17 und 18 Jahren gegolten. Auch die behauptete Festnahme des Vaters des Klägers ist nicht zwangsläufig ein Indiz dafür, dass die Sicherheitskräfte bereits zuvor einen konkreten Verdacht gegen den Kläger hegten; sie ließe sich auch damit erklären, dass die Sicherheitskräfte im Allgemeinen vermuten, ein seit längerer Zeit verschwundener Jugendlicher könnte sich der PKK angeschlossen haben.
Einer ihm etwa drohenden Gefahr der Beeinträchtigung durch weitere Maßnahmen der Sicherheitskräfte hätte der Kläger dadurch entgehen können, dass er seine Heimatregion zumindest vorübergehend verließ und im Westen der Türkei - jedenfalls außerhalb der Gebiete, die von Auseinandersetzungen zwischen der PKK und den Sicherheitskräften betroffen waren - Zuflucht suchte. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger an einem solchen Ort bei der polizeilichen Anmeldung durch Nachfrage in seinem Heimatort in die Gefahr geraten wäre, den dortigen Sicherheitskräften überstellt zu werden, liegen nicht vor. Derartige Anhaltspunkte ergeben sich insbesondere nicht aus dem in der Berufungsbegründung zitierten Gutachten von Rumpf an das OVG Bremen vom 2. April 1997. Rumpf schildert in dem vorbezeichneten Gutachten die Praxis der "fisleme"-Registrierungen vor dem Hintergrund einer weitgehenden Verselbstständigung des türkischen Polizeiapparates gegenüber der Kontrolle der Verfassungsorgane und der Regierung unter dem Gesichtspunkt polizeilicher Effizienz (S. 10 f.). Registriert werde jede Vernehmung und jeder sonstige Vorgang auf der Wache (S. 12 f.). Die Polizeibehörden bemühten sich darum, Angaben über all diejenigen Personen zu sammeln und zu archivieren, mit denen sie in Berührung gekommen seien und die im Verdacht ständen, etwas mit extremen politischen Organisationen zu tun zu haben (S. 13). Eine landesweit zugriffsbereite zentrale Datenbank existiere allerdings wohl (noch) nicht (S. 14).
Im Hinblick auf die - noch im Jahre 1997 - faktisch nur begrenzten Möglichkeiten der Registrierung und Vorhaltung der Daten festgenommener Personen erscheint eine "fisleme"-Registrierung mit landesweitem Zugriff bei einer Person wie dem Kläger, dessen Festnahme bereits im Jahre 1992 erfolgt und nicht durch konkrete Ereignisse unter dem begründeten Vorwurf der Unterstützung von PKK-Aktivitäten veranlasst war, nahezu ausgeschlossen. Der Kläger wäre demzufolge nach der Einschätzung des Senats bei einem vorübergehenden Aufenthalt außerhalb seiner Heimatregion - jedenfalls außerhalb der Gebiete, die von Auseinandersetzungen zwischen der PKK und den Sicherheitskräften betroffen waren - vor politischer Verfolgung hinreichend sicher gewesen.
Aus den vorgenannten Erwägungen folgt, dass der Vortrag des Klägers zu seinem Vorverfolgungsschicksal - den das Verwaltungsgericht als insgesamt unglaubhaft erachtet hat - nach der Auffassung des beschließenden Senats rechtlich nicht erheblich ist, da der Kläger - selbst wenn seine Angaben zutreffen sollten - jedenfalls nicht landesweit in eine ausweglose Lage geraten wäre. Der Senat brauchte daher dem in der Berufungsbegründung enthaltenen Antrag, den Kläger zu seinem Vorverfolgungsschicksal als Partei zu vernehmen, nicht nachzugehen. Der Senat geht nach alledem davon aus, dass der Kläger aus individuellen Gründen keine politische Verfolgung erlitten hat und dass ihm eine solche vor der Ausreise auch nicht unmittelbar bevorstand.
3.
Der somit unverfolgt ausgereiste Kläger kann seine Anerkennung als Asylberechtigter auch nicht aufgrund eines im Sinne von § 28 AsylVfG beachtlichen Nachfluchtgrundes verlangen.
Ein Nachfluchtgrund setzt voraus, dass dem Asylbewerber aufgrund von Umständen, die nach seiner Ausreise aus seinem Heimatland eingetreten sind, für den Fall seiner Rückkehr dort gegenwärtig und in absehbarer Zeit politische Verfolgung droht. Dabei ist zu unterscheiden zwischen objektiven Nachfluchtgründen, die durch Vorgänge im Heimatland des Asylbewerbers unabhängig von seiner Person ausgelöst wurden, und subjektiven Nachfluchtgründen, die der Asylbewerber nach Verlassen des Heimatstaates aus eigenem Entschluss geschaffen hat (§ 28 AsylVfG; BVerfG, 26.11.1986 - 2 BvR 1058/85 -, a.a.O.). Für die Prognose der Verfolgungsgefahr ist der Maßstab anzulegen, ob dem unverfolgt ausgereisten Asylbewerber politische Verfolgung bei einer Rückkehr in sein Heimatland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (BVerwG, 31.03.1981 - 9 C 286.80 -, EZAR 200 Nr. 3, 25.09.1984 - 9 C 17.84 -, a.a.O., 03.12.1985 - 9 C 22.85 -, a.a.O.).
Bei Anlegung dieses Maßstabs ist festzustellen, dass der Kläger nach der Sachlage im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats in sonstige Gebiete außerhalb der Notstandsprovinzen - zwischenzeitlich nur noch Diyarbakir, Hakkari, Sirnak und Tunceli (vgl. dazu: AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei vom 24.07.2001, Seite 9 f.) - zurückkehren kann, ohne dort von politischer Verfolgung im Sinne von Art. 16a Abs. 1 GG bedroht zu sein.
Dabei ist zwar zu berücksichtigen, dass nach den Feststellungen des beschließenden Senats Kurden in den Notstandsprovinzen der Türkei seit Mitte des Jahres 1993 einer Gruppenverfolgung ausgesetzt sind, ihnen aber generell sowohl unter Sicherheitsaspekten als auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung steht, die sie auch bei einer erzwungenen Rückkehr in die Türkei ohne Gefahr politischer Verfolgung erreichen können (Hess. VGH, 14.10.1998 - 6 UE 214/98.A -); insoweit wird insbesondere auf die Seiten 35 bis 77 des vorgenannten Urteils Bezug genommen. Mit Beschluss vom 4. März 1999 (6 UE 4380/97.A) hat der Senat ausgeführt, dass es sich bei der Gruppenverfolgung von Kurden in den Notstandsprovinzen der Türkei um eine so genannte örtlich begrenzte Gruppenverfolgung im Sinne der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts handelt. Das hat zur Folge, dass sich derjenige Kurde, welcher sich im Zeitpunkt des Einsetzens der Gruppenverfolgung - Mitte des Jahres 1993 - nicht in dem verfolgungsbetroffenen Gebiet aufgehalten hat und damit unverfolgt ausgereist ist, auf eine örtlich begrenzte Gruppenverfolgung als objektiven Nachfluchtgrund nicht berufen kann (BVerwG, 09.09.1997 - 9 C 43.96 -, EZAR 203 Nr. 11); insoweit wird insbesondere auf die Seiten 19 bis 22 des vorgenannten Beschlusses vom 4. März 1999 Bezug genommen. Der Senat hält an der Einschätzung, dass außerhalb der strikt auf die Notstandsprovinzen beschränkten örtlichen Gruppenverfolgung eine politische Verfolgung der Gruppe der Kurden nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, auch weiterhin fest, da die seither bekannt gewordenen neueren Erkenntnisquellen jedenfalls in ihrer Gesamtheit die in den vorbezeichneten Entscheidungen getroffenen Feststellungen nicht erschüttern, sondern vielmehr bestätigen. Mit seiner diesbezüglichen Auffassung befindet sich der Senat in Übereinstimmung mit der aktuellen Beurteilung zum Bestehen einer so genannten inländischen Fluchtalternative für Kurden im Westen der Türkei durch eine Vielzahl von Oberverwaltungsgerichten (vgl. dazu: VGH Baden-Württemberg, 17.07.2001 - A 12 S 199/00 -; OVG Bremen, 18.03.1998 - 2 BA 30/96 -; Hamburgisches OVG, 01.09.1999 - 5 Bf 2/92.A -; Hess. VGH, 04.12.2000 - 12 UE 2931/99.A -; OVG Mecklenburg-Vorpommern, 22.04.1999 - 3 L 3/95 -; Niedersächsisches OVG, 30.08.2000 - 11 L 1255/00 -; OVG Nordrhein-Westfalen, 25.01.2000 - 8 A 1292/96.A -; OVG Rheinland-Pfalz, 26.01.2001 - 10 A 11907/00.OVG -; OVG Saarland, 29.03.2000 - 9 R 3/99 -; OVG Sachsen-Anhalt, 29.04.1999 - A 1 S 155/97 -; Sächsisches OVG, 27.02.1997 - A 4 S 293/96 sowie A 4 S 434/96 -; OVG Thüringen, 25.11.1999 - 3 KO 165/96 -).
Der Kläger, der im November 1992 - also vor Einsetzen der Gruppenverfolgung - ausgereist ist und in der Provinz Urfa gelebt hat, die zwar an die Notstandsprovinzen angrenzt, aber zu keinem Zeitpunkt selbst unter Notstandsrecht stand (vgl. zu den damaligen Notstandsprovinzen: AA, Lagebericht Türkei vom 16.11.1993, S. 1), kann sich nach alledem nicht auf eine örtlich begrenzte Gruppenverfolgung der Kurden in den Notstandsprovinzen als objektiven Nachfluchtgrund berufen.
Der Kläger ist auch unter Berücksichtigung seiner persönlichen Verhältnisse bei einer Rückkehr in die Türkei politischer Verfolgung nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt. Er weist keine individuellen Besonderheiten auf, welche die Annahme rechtfertigten, dass er anders als kurdische Volkszugehörige im Allgemeinen nicht außerhalb der Notstandsprovinzen verfolgungsfrei leben oder diese Gebiete bei einer erzwungenen Rückkehr nicht ohne Gefahr politischer Verfolgung erreichen könnte.
Der Senat geht davon aus, dass - insbesondere nach der Festnahme und Verurteilung des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan - türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit nach wie vor in den Gebieten außerhalb der Notstandsprovinzen verfolgungsfrei leben und diese auch bei einer erzwungenen Rückkehr in die Türkei ohne Gefahr politischer Verfolgung erreichen können. Das Auswärtige Amt hat zwar im unmittelbaren Anschluss an die Festnahme des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan am 15. bzw. 16. Februar 1999 angesichts der (damals) hochemotionalisierten Atmosphäre zu bedenken gegeben, dass ein erhöhtes Risiko einer besonderen Gefährdung für abzuschiebende Türken kurdischer Volkszugehörigkeit bestehe (AA, ad hoc-Bericht zur aktuellen Lageentwicklung in der Türkei nach der Festnahme Öcalans vom 25.02.1999). In der Folgezeit hat das Auswärtige Amt seine Einschätzung allerdings dahin gehend revidiert, dass ein erhöhtes Risiko einer besonderen Gefährdung nur für solche abzuschiebenden Personen bestehe, die sich bereits zuvor in der Kurdenfrage engagiert hätten (AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei vom 07.09.1999, S. 21 f.). Anhaltspunkte dafür, dass seit der Festnahme und Verurteilung Öcalans eine erhöhte Rückkehrgefährdung für türkische Staatsangehörige allein aufgrund ihrer kurdischen Volkszugehörigkeit bestände, lassen sich auch den übrigen Erkenntnisquellen jüngeren Datums - insbesondere den Gutachten von Oberdiek an das VG Berlin vom 29.04.1999, von Rumpf an das VG Darmstadt vom 21.06.2000 und von Kaya an das VG Sigmaringen vom 10.03.2001 - nicht entnehmen.
Auch die in jüngerer Zeit bekannt gewordenen Fälle, in denen Rückkehrer bei oder nach der Einreise in die Türkei menschenrechtswidrig behandelt worden sind bzw. sein sollen, geben dem Senat keine Veranlassung, von seiner bisherigen Rechtsprechung abzurücken oder diese auch nur zu modifizieren. Die so genannten Referenzfälle, die insbesondere in den Gutachten von Oberdiek, Kaya, amnesty international und Rumpf an das VG Sigmaringen aus den Jahren 1998 und 1999 sowie den Lageberichten des Auswärtigen Amtes seit 1998 angeführt werden, sind nicht geeignet, eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür zu begründen, dass türkische Staatsangehörige allein wegen ihrer kurdischen Volkszugehörigkeit mit politischer Verfolgung bei oder nach der Einreise in die Türkei zu rechnen haben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die Gründe, aus denen die betreffenden Rückkehrer bei oder nach der Einreise in die Türkei menschenrechtswidrig behandelt worden sind bzw. sein sollen, oft nur schwer recherchieren und verifizieren lassen; in einer Vielzahl der Fälle sind Art und Ausmaß der behaupteten Misshandlung nicht bekannt bzw. ist der Wahrheitsgehalt der gemachten Angaben zweifelhaft. Bei einem Teil der genannten Fälle wird lediglich vermutet, dass die jeweiligen Rückkehrer verschwunden sind, ohne dass nähere Einzelheiten bekannt sind. Nicht aussagekräftig sind auch diejenigen Fälle, in denen Besonderheiten in der Person bzw. im Verhalten des jeweiligen Rückkehrers vorliegen, die zur Festnahme und gegebenenfalls Misshandlung oder Folter geführt haben können. Selbst wenn man die verbleibenden Referenzfälle für aussagekräftig hält und eine Dunkelziffer berücksichtigt, lässt sich eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass jeder Kurde mit politischer Verfolgung bei oder nach der Einreise in die Türkei zu rechnen habe, nicht begründen. Dabei ist davon auszugehen, dass die einzukalkulierende Dunkelziffer entsprechend den Ausführungen von Oberdiek in seinem Gutachten an das VG Sigmaringen vom 22. September 1998 (S. 39 f.) etwa bei 50 % anzusiedeln sein dürfte; die Angaben von Kaya in seinem Gutachten an das VG Sigmaringen vom 15. Januar 1999 (S. 2) - wonach etwa 80 % aller abgeschobenen, aus Kurdistan stammenden Asylbewerber festgehalten, verhört und misshandelt würden - sind demgegenüber nicht belegt. Die Zahl der verbleibenden Referenzfälle einschließlich einer einzukalkulierenden Dunkelziffer von etwa 50 % ist indessen im Verhältnis zur Gesamtzahl der abgeschobenen Rückkehrer - nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. September 1999 (S. 36) im Jahr 1998 6.640 Personen und nach dem Lagebericht vom 24. Juli 2001 (S. 42) im Jahr 1999 6.083 Personen und im Jahr 2000 5.003 Personen - derart gering, dass eine asyl- und abschiebungsrechtlich relevante Rückkehrgefährdung jedenfalls nicht bei allen Türken kurdischer Volkszugehörigkeit besteht.
Schließlich droht dem Kläger bei einer Rückkehr in die Türkei auch nicht deshalb mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung, weil er während seines Aufenthalts in Deutschland wehrpflichtig geworden und seiner Dienstpflicht bisher nicht nachgekommen ist.
Weder die Heranziehung zum Wehrdienst als solche noch die Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung für sich allein betrachtet ist asylrelevant, und zwar auch dann nicht, wenn diese von weltanschaulich autoritären Staaten ausgehen (vgl. zur ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts: BVerwG, 06.12.1988 - 9 C 22.88 -, BVerwGE 81, 41 = EZAR 201 Nr. 17). Eine politische Verfolgung im Zusammenhang mit der Heranziehung zum Wehrdienst kann nur dann angenommen werden, wenn besondere Umstände hinzutreten, aus denen sich ergibt, dass mit der Heranziehung zum Wehrdienst auch beabsichtigt ist, Wehrpflichtige wegen asylerheblicher Merkmale, insbesondere wegen einer wirklichen oder vermuteten, von der herrschenden Staatsdoktrin abweichenden politischen Überzeugung zu treffen, z. B. durch politische Disziplinierung, Umerziehung oder Einschüchterung (BVerwG, a.a.O.).
Der Wehrpflicht unterliegt jeder männliche türkische Staatsangehörige. Die Wehrpflicht beginnt nach dem türkischen Wehrpflichtgesetz (Gesetz Nr. 1111 vom 21.06.1927) am 1. Januar des Jahres, in dem das 20. Lebensjahr vollendet wird. Ein Recht zur Verweigerung des Wehrdienstes besteht nicht. Nach Art. 63 des Militärstrafgesetzbuchs ist Wehrdienstentziehung mit Freiheitsstrafe von einem Monat bis zu drei Jahren bedroht; Art. 66 des Militärstrafgesetzbuchs sieht für Fahnenflucht Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu drei Jahren vor; bei Flucht ins Ausland beträgt das Strafmaß nach Art. 67 des Militärstrafgesetzbuchs drei bis fünf Jahre Freiheitsentzug (AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei vom 24.07.2001, S. 20 f.). Die Gerichte orientieren sich in der Praxis - die sich durch öffentliche Zustellung entsprechender Urteile über das Türkische Amtsblatt verfolgen lässt - am unteren Bereich des Strafrahmens. Die Verurteilungen schwanken zwischen sieben Tagen und fünf Monaten; darüber hinaus - bis zu 15 Monaten - gehen die Strafen nur bei Anwendung von Art. 66 Militärstrafgesetzbuch, der voraussetzt, dass der Wehrdienst bereits angetreten wurde. Die Urteile weisen überwiegend die Umwandlung der Freiheitsstrafen in Geldstrafen aus, die umgerechnet - inflationsbedingt - nur geringe DM-Beträge ergeben (Rumpf an VG Augsburg vom 23.01.2001).
Danach kann zwar nicht ausgeschlossen werden, dass der zwischenzeitlich 26 Jahre alte Kläger einen im Zusammenhang mit der Erfüllung der Wehrpflicht stehenden Straftatbestand verwirklicht hat. Anhaltspunkte dafür, dass eine etwaige Bestrafung des Klägers an seine kurdische Volkszugehörigkeit anknüpfen könnte oder dass er bei der Überprüfung an der Grenze wegen der Nichtableistung des Wehrdienstes einer asylrechtlich relevanten Behandlung unterzogen werden würde, lassen sich den vorliegenden Erkenntnisquellen nicht entnehmen; insbesondere sind einschlägige Präzedenzfälle nicht belegt. Dem Kläger droht auch durch die bevorstehende Einberufung zum Wehrdienst keine politische Verfolgung. Das türkische Militär hat zwar seine frühere Praxis geändert und setzt mittlerweile türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit während des Wehrdienstes auch in ihrer Herkunftsregion ein (AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei vom 07.09.1999, S. 14). Es bestehen allerdings keine Anhaltspunkte dafür, dass kurdische Wehrpflichtige gerade wegen ihrer Volkszugehörigkeit im aktiven Kampf zwischen dem türkischen Militär und der PKK im Südosten der Türkei eingesetzt werden.
B.
Für den Kläger sind auch die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG nicht festzustellen, da diese in dem hier maßgeblichen Umfang mit denen des Art. 16a GG übereinstimmen (vgl. dazu: BVerwG, 26.10.1993 - 9 C 50.92 u. a. -, EZAR 203 Nr. 2 und 18.01.1995 - 9 C 48.92 -, EZAR 230 Nr. 3).
C.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der Kosten des Berufungszulassungsverfahrens zu tragen, da die Berufung keinen Erfolg hat (§ 154 Abs. 2 VwGO); Gerichtskosten werden gemäß § 83b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 708 Nr. 11 und des § 711 Satz 1 ZPO i.V.m. § 167 VwGO.
Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.
Ende der Entscheidung
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