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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 03.02.2005
Aktenzeichen: 6 UZ 2010/03.A
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 108 Abs. 1 S. 1
VwGO § 138 Nr. 3
VwGO § 80
VwGO § 86 Abs. 1 S. 1
Die Annahme eines Verfahrensbeteiligten, das Verwaltungsgericht werde den Streitstoff im Klageverfahren genauso bewerten wie im vorangegangenen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist angesichts der Unterschiede zwischen beiden Verfahrensarten nicht gerechtfertigt. Ein das rechtliche Gehör verletztendes Überraschungsurteil lässt sich allein aus der unterschiedlichen Bewertung des Streitstoffs nicht herleiten.
Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss

6 UZ 2010/03.A

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Asylrechts

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 6. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Dr. Schulz, Richterin am Hess. VGH Dyckmans, Richterin am Hess. VGH Fischer

am 3. Februar 2005 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 5. Juni 2003 wird abgelehnt.

Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsantragsverfahrens zu tragen; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe:

Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg. Die von dem Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.

Auf eine Versagung des rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO) kann sich der Kläger nicht berufen. Es trifft zwar zu, dass sich das erstinstanzliche Gericht unter anderem auf eine Auskunft des Auswärtigen Amts an das Verwaltungsgericht Bremen vom 21. September 2001, auf den Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 9. Oktober 2002 und auf eine Reihe gerichtlicher Entscheidungen, die der Kläger in der Zulassungsantragsschrift aufführt, gestützt hat, ohne dass diese Erkenntnisquellen in das Verfahren eingeführt worden wären. Jedoch lässt sich der Zulassungsantragsschrift nicht entnehmen, was der Kläger vorgetragen hätte, wenn er vor Erlass des erstinstanzlichen Urteils gewusst hätte, dass das Verwaltungsgericht die genannten Quellen in einer für ihn überraschenden Weise und zu seinem Nachteil auswerten würde.

Auch kann sich der Kläger nicht darauf berufen, dass ihm im ersten Rechtszug das rechtliche Gehör versagt worden sei, indem das Verwaltungsgericht eine Quellenliste vom 4. April 2003 einführte, die ihm nicht übersandt worden sei. Zwar lässt sich die Übersendung dieser Liste, die sich in der Gerichtsakte befindet (Bl. ...), an den Kläger tatsächlich nicht feststellen. Wie sich aus der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 5. Juni 2003 ergibt, ist sie jedoch ausdrücklich zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden. Dagegen lässt sich der Niederschrift nicht entnehmen, dass der Kläger die fehlende Übersendung dieser Quellenliste in der mündlichen Verhandlung beanstandet hätte. Damit hat er es versäumt, sich schon vor der Urteilsverkündung durch das Verwaltungsgericht rechtliches Gehör zu verschaffen, obwohl ihm dies möglich gewesen wäre.

Schließlich versucht der Kläger vergeblich, aus der gerichtlichen Bewertung seines Vortrages im ersten Rechtszug eine Versagung des rechtlichen Gehörs herzuleiten. Bei der Gewährung des rechtlichen Gehörs handelt es sich um einen auf der Anwendung des Verfahrensrechts beruhenden Vorgang. Dagegen stellt sich die Bewertung des Vorbringens eines Verfahrensbeteiligten in der Entscheidung des Gerichts, die gem. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nach dessen freier, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnener Überzeugung zu erfolgen hat, als eine Anwendung des einschlägigen materiellen Rechts dar, die mit der Rüge nach § 138 Nr. 3 VwGO nicht angegriffen werden kann.

Die weitere Rüge des Klägers, das angefochtene Urteil sei nicht mit Gründen versehen (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i. V. m. § 138 Nr. 6 VwGO), findet in den Akten keine Stütze. Das Verwaltungsgericht hat sich in den Entscheidungsgründen auf sieben Seiten eingehend und in ohne weiteres verständlicher Weise mit dem Streitstoff auseinandergesetzt. Aus der Sicht des Klägers mangelnde Ausführlichkeit und fehlerhafte Bewertung seines Vorbringens sind nicht geeignet, davon zu sprechen, dass die Entscheidung nicht mit Gründen versehen sei.

Entgegen den Ausführungen in der Zulassungsantragsschrift kommt auch eine Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) nicht in Betracht. Die von dem Kläger aufgeworfene Frage, ob jedenfalls in Fällen, in denen bereits eine positive gerichtliche Wertung über die Glaubhaftigkeit des Vortrages eines Asylbewerbers vorliegt, ein richterlicher Hinweis erfolgen muss, wenn das Gericht bei gleichem Vortrag von dieser Bewertung abzuweichen gedenkt, wäre nach Zulassung des Rechtsmittels in einem Berufungsverfahren nicht klärungsfähig; denn es ist nicht erkennbar, dass die sodann allein erhebliche Frage, ob die zugelassene Berufung auch im Übrigen zulässig und begründet wäre, von der Beantwortung der aufgeworfenen prozessrechtlichen Frage abhinge.

Soweit der Kläger in dem selben Zusammenhang eine Versagung des rechtlichen Gehörs geltend macht, bleibt auch diese Rüge ohne Erfolg. Es ist allerdings richtig, dass das Verwaltungsgericht das Vorbringen des Klägers zu der von ihm angeblich erlittenen individuellen politischen Verfolgung als sogenannte Verfolgungslegende bezeichnet hat und damit von der Bewertung der Sach- und Rechtslage im vorausgegangen Eilverfahren, die durch den Beschluss vom 20. Oktober 1999 - 7 G 30899/99.A - (Bl. ... f. der Gerichtsakte) zum Abschluss gelangt war, abgewichen ist. Zu Unrecht meint der Kläger jedoch, er sei hierdurch in einer die Gewährung des rechtlichen Gehörs im ersten Rechtszug infrage stellenden Art und Weise überrascht worden. Hiermit verkennt der Kläger, der schon vor dem Verwaltungsgericht anwaltlich vertreten war, den Unterschied zwischen einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 VwGO und dem Klageverfahren. Die Entscheidung nach § 80 VwGO beruht auf einer vom Gericht nach seinem Ermessen vorzunehmenden Interessenabwägung. In die Interessenabwägung können auch Erwägungen zur Rechtmäßigkeit des streitbefangenen Verwaltungsakts einfließen. Jedoch ist es oftmals nicht möglich und im Übrigen nicht geboten, den dem Rechtsstreit zugrunde liegenden Sachverhalt abschließend zu klären. Dagegen hat das Verwaltungsgericht im Klageverfahren den Sachverhalt von Amts wegen umfassend zu erforschen (vgl. § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) und - wenn nötig - Beweis zu erheben (§§ 96 bis 98 VwGO) oder amtliche Auskünfte einzuholen (§ 99 VwGO). Die Entscheidung in dem Klageverfahren hat das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu treffen (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Angesichts der unterschiedlichen rechtlichen Ausgestaltung beider Verfahrensarten ist es grundsätzlich nicht gerechtfertigt, wenn ein Verfahrensbeteiligter ohne nähere Anhaltspunkte davon ausgeht, das zuständige Gericht werde den Streitstoff im Klageverfahren ebenso bewerten wie in einem vorangegangenen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes. Der vorliegende Fall weist auch keine Besonderheiten auf, die ausnahmsweise eine andere Betrachtungsweise rechtfertigen könnten und die Annahme zuließen, dass der Kläger durch das angefochtene Urteil überrascht worden wäre. In dem genannten Beschluss des Verwaltungsgericht vom 20. Oktober 1999 heißt es ausdrücklich, dass der dort als "insoweit glaubhaft und substantiiert" bezeichnete Vortrag des Klägers nicht von vornherein nach jeder vertretbaren Betrachtungsweise ungeeignet sei, zum Schutz vor Abschiebung oder einer sonstigen Rückführung zu verhelfen. Schon hieraus wird deutlich, dass sich das Verwaltungsgericht eine abschließende Betrachtung vorbehalten wollte, wie dies nach den geschilderten gesetzlichen Vorgaben für das Klageverfahren geboten war. Dementsprechend ist es in der mündlichen Verhandlung vom 5. Juni 2003 zu einer eingehenden Befragung des Klägers gekommen, aus der für ihn deutlich werden musste, dass das Gericht nunmehr zu der in § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO vorgeschriebenen Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen schritt, um erst auf diese Weise eine gesicherte Urteilsgrundlage zu gewinnen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; Gerichtskosten werden nach § 83b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben.

Dieser Beschluss ist nach § 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG unanfechtbar.



Ende der Entscheidung

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