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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 01.03.2004
Aktenzeichen: 6 UZ 2532/02.A
Rechtsgebiete: AsylVfG, GG


Vorschriften:

AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 1
AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 3
GG Art. 103 Abs. 1
Zur ordnungsgemäßen Einführung und Bezeichnung von Erkenntnisquellen in Asylverfahren.

Zur notwendigen Darlegung der Klärungsbedürftigkeit einer Tatsachenfrage in Asylverfahren.


Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss

6 UZ 2532/02.A

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Asylrechts

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 6. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Dr. Schulz, Richterin am Hess. VGH Dyckmans, Richterin am Hess. VGH Fischer

am 1. März 2004 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 12. Juni 2002 wird abgelehnt.

Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsantragsverfahrens zu tragen; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe:

Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg. Die mit der Zulassungsschrift vom 6. September 2002 geltend gemachten Zulassungsgründe der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) führen nicht zur Zulassung der Berufung.

Der Kläger sieht eine Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs zum einen in der Art und Weise der Einführung bzw. Verwertung von Erkenntnisquellen durch das Gericht.

Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verschafft den Verfahrensbeteiligten ein Recht darauf, sich zu allen entscheidungserheblichen Tatsachen zweckentsprechend und erschöpfend zu erklären und Anträge zu stellen, und verpflichtet das Gericht, das Vorbringen und die Anträge der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Gleichzeitig gebietet der Grundsatz des rechtlichen Gehörs den Gerichten, nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse sowie Erkenntnisquellen zu verwerten, die von einem Verfahrensbeteiligten oder vom Gericht im Einzelnen bezeichnet zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden sind und zu denen sich die Beteiligten äußern konnten.

Das Verwaltungsgericht ist diesen Anforderungen - entgegen der Auffassung des Klägers - gerecht geworden. Es hat den Beteiligten mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung die Quellenliste Türkei/Kurden/PKK, Entscheidungen Türkei/Kurden, Quellenliste Türkei/Christen 3/96 und Quellenliste Türkei/Christen 1/01 (vgl. Bl. 27 bis 38 der GA) übersandt, und zudem in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass dem Gericht unter anderem die den Beteiligten in den übersandten Quellenlisten mitgeteilten Unterlagen vorliegen und diese zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht werden (S. 2 der Verhandlungsniederschrift = Bl. 62 R der GA). Das Verwaltungsgericht hat dem Kläger damit die Möglichkeit eröffnet, zu den in den Listen aufgeführten Erkenntnisquellen Stellung zu nehmen. Dem in der mündlichen Verhandlung von dem Bevollmächtigten des Klägers vorgetragenen Wunsch bzw. Antrag auf "Konkretisierung der maßgeblichen Erkenntnisquellen" konnte das Gericht mit dem nochmaligen ausdrücklichen Hinweis auf die Quellenlisten Türkei/Christen 3/96 und 1/01 nachkommen, ohne dass darin eine Verletzung rechtlichen Gehörs zu erkennen ist. Auch der in der Zulassungsantragsschrift angeführten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lässt sich keine weitergehende Verpflichtung des Gerichts entnehmen.

Soweit der Kläger darauf verweist, dass die Quellen ordnungsgemäß "einzuführen" und "zum Gegenstand des Verfahrens zu machen" sind, ist dies durch Übersendung der Quellenliste und ausdrücklicher Erwähnung in der mündlichen Verhandlung geschehen. Das Gericht hat nicht lediglich auf die in der Bücherei bzw. Gerichtsdokumentation vorhandenen Erkenntnisquellen verwiesen. Die von dem Kläger zitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 1993 (- 2 BvR 2075/92 -, AuAS 1993, 153) betrifft jedoch einen solchen Fall, in dem das Gericht keine spezifischen Erkenntnislisten führt, sondern lediglich auf das in der Bücherei vorhandene Erkenntnismaterial verweist.

Das Verwaltungsgericht hat auch auf bestimmte Erkenntnisquellen hingewiesen und darüber hinaus den Bezug zu dem konkreten Fall dadurch dargetan, dass es zum einen zwei spezielle Erkenntnislisten "Christen" eingeführt hat und zum anderen in der Quellenliste Türkei/Kurden/PKK die einzelnen Erkenntnisquellen mit Stichworten versehen hat. Die Rüge des Klägers, das Gericht dürfe nicht seitenlange Auflistungen ohne Bezug auf den konkreten Fall heranziehen, greift damit nicht. Das Gericht hat gerade durch die Einführung spezieller Erkenntnislisten "Christen" den prozessualen Zusammenhang zum Verfahren des Klägers hergestellt.

Soweit der Kläger sich für seine Ansicht, das Gericht habe über die vorgenommene Offenlegung der maßgeblichen Entscheidungsgrundlagen hinaus eine Auswahl vorzunehmen und die wesentlichen Quellen herauszufiltern, auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beruft, ist den zitierten Entscheidungen eine derartige Verpflichtung nicht zu entnehmen.

Der Beschluss der Ersten Kammer des Bundesverfassungsgerichts vom 24. September 1992 (- 2 BvR 767/92 -, AuAS 1993, 21) betrifft einen Fall, in dem das Gericht sich maßgeblich auf eine in das Verfahren nicht eingeführte Quelle gestützt hat. Damit hat das Gericht den Beteiligten diese Quelle nicht zur Kenntnis gebracht und so den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Im vorliegenden Fall sind die Erkenntnisquellen aber - wie oben ausgeführt - ordnungsgemäß in das Verfahren eingeführt worden.

Der Beschluss der Ersten Kammer des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 1993 (- 2 BvR 2075/92 -, AuAS 1993, 153) betrifft - wie oben bereits dargelegt - den Fall, in dem das Gericht pauschal auf die Gerichtsbücherei verweist und gerade keine Sammlung und Sichtung des vorhandenen Materials durch Anlegen spezieller Quellenlisten vorgenommen hat. Im Falle des Klägers hat das Verwaltungsgericht aber durch die Übersendung und Einführung der Erkenntnisquellenlisten in das Verfahren den Beteiligten die Möglichkeit gegeben, durch Stellen von Anträgen, zum Beispiel auf Beiziehung zusätzlicher Quellen, sachgerecht und effektiv auf die Sammlung und Sichtung der tatsächlichen Grundlagen für die Entscheidung Einfluss zu nehmen. In der Weigerung, eine darüber hinausgehende Eingrenzung der konkret benannten Quellen vorzunehmen, kann eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht gesehen werden.

Eine Verletzung rechtlichen Gehörs kann auch - entgegen der Ansicht des Klägers - nicht darin gesehen werden, dass das Verwaltungsgericht sich mit den von dem Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Entscheidungen anderer Verwaltungsgerichte bzw. Oberverwaltungsgerichte im Urteil nicht ausdrücklich auseinandergesetzt hat. Bei diesen Entscheidungen handelt es sich nicht - wie der Kläger offensichtlich meint - um "Gutachten", aus denen sich Anhaltspunkte für eine Rückkehrgefährdung des Klägers ergeben. Die Entscheidungen belegen vielmehr allein den Vortrag des Klägers, dass andere Spruchkörper davon ausgehen, in der Türkei gebe es eine mittelbare Verfolgung syrisch-orthodoxer Christen, ohne dass eine inländische Fluchtalternative bestehe. Da diese vom Kläger vorgelegten Entscheidungen aus den Jahren 1991, 1996, 1997 und 1999 stammen, das Gericht sich jedoch in seinem Urteil vom 12. Juni 2002 im Wesentlichen auf Dokumente und Erkenntnisquellen aus den Jahren nach Ergehen dieser Entscheidungen, hauptsächlich aus den Jahren 2000 und 2001, stützt, bedurfte es keiner Auseinandersetzung mit diesen auf einer anderen Grundlage ergangenen Entscheidungen.

Das Verwaltungsgericht hat auch nicht das individuelle Verfolgungsschicksal des Klägers aus dem Blick verloren und dadurch das rechtliche Gehörs des Klägers verletzt. Zwar hat sich das Verwaltungsgericht mit dem Vorverfolgungsschicksal (Schutzgelderpressung) des Klägers in den Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich auseinandergesetzt. Mit der Anwendung des Prognosemaßstabs der "hinreichenden Sicherheit vor Verfolgung" bei Rückkehr (S. 5 des Urteilsabdrucks) hat es jedoch zum Ausdruck gebracht, dass es von einer Vorverfolgung ausgegangen ist. Weiterer Ausführungen zum Vorverfolgungsschicksal des Klägers bedurfte es insoweit nicht. Mit den individuellen Besonderheiten des klägerischen Vortrags hat sich das Gericht sodann im Rahmen des Bestehens einer inländischen Fluchtalternative bei Rückkehr des Klägers (S. 12 des Urteilsabdrucks) befasst, ohne dass eine Verletzung des rechtlichen Gehörs erkennbar ist. Soweit der Kläger sich gegen die Ausführungen im Urteil wendet, dass seine Angaben "zu unsubstantiiert und zu vage" seien, wendet er sich gegen die rechtliche Bewertung seines Vortrags durch das Gericht, die jedoch nicht Gegenstand der Gehörsrüge sein kann. Im Übrigen hat sowohl das Gericht als auch insbesondere der Prozessbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung die Gelegenheit zur Nachfrage und damit Ergänzung des klägerischen Vortrags ausgiebig wahrgenommen.

Eine Zulassung der Berufung kommt auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache in Betracht.

Einen grundsätzlichen Klärungsbedarf hinsichtlich der in der Zulassungsschrift aufgeworfenen Frage, "ob Angehörige der syrisch-orthodoxen Christen in Tur Abdin einer mittelbaren gruppengerichteten Verfolgung ausgesetzt sind und es für sie im Westen der Türkei keine inländische zumutbare Fluchtalternative gibt", hat der Kläger nicht den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG entsprechend dargelegt.

Zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit der genannten Tatsachenfrage genügt es nicht, dass der Kläger ausführt, es gebe andere gerichtliche Entscheidungen, die von einer mittelbaren Verfolgung syrisch-orthodoxer Christen ausgehen und eine inländische Fluchtalternative im Westen der Türkei verneinen, und der Hessische Verwaltungsgerichtshof habe sich zuletzt 1994 mit dieser Frage auseinandergesetzt. Gem. § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG ist es Sache des Antragstellers, die Gründe, aus denen nach seiner Ansicht die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zuzulassen ist, darzulegen und in rechtlicher sowie tatsächlicher Hinsicht zu erläutern. Dazu genügt es nicht, bloße Zweifel an den Feststellungen des Verwaltungsgerichts über die politische, soziale oder gesellschaftliche Lage im Herkunftsland zu äußern und schlicht gegenteilige Behauptungen aufzustellen; es ist vielmehr erforderlich, durch Benennung bestimmter begründeter Informationen, Auskünfte, Presseberichte oder sonstiger Erkenntnisquellen zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür darzulegen, dass nicht die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts, sondern die gegenteiligen Behauptungen in der Antragsschrift zutreffend sind, so dass es zur Klärung der sich dann stellenden Fragen der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf (s. dazu auch: Hess. VGH, 07.02.2003, 12 UZ 710/02.A). Hat das Verwaltungsgericht Feststellungen zu einer Tatsachenfrage auf einzelne Erkenntnisquellen gestützt, muss sich der Rechtsmittelführer zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit der Tatsachenfrage mit dem Inhalt dieser Erkenntnisquellen und den darauf bezogenen Urteilsgründen auseinandersetzen. Der bloße Hinweis auf unterschiedliche Ergebnisse in alten Entscheidungen anderer Spruchkörper sowie der früheren Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs genügen diesen Anforderungen nicht. Der Kläger hat insbesondere es versäumt, zu den ausführlich in dem angegriffenen Urteil wiedergegebenen neuen Auskünften und Gutachten und zu den daraus vom Verwaltungsgericht gezogenen Schlussfolgerungen Stellung zu nehmen, sich damit auseinander zusetzen und substantiiert und nachvollziehbar darzulegen, weshalb diese sachlich unrichtig sind und damit ein grundsätzlicher Klärungsbedarf vorliegt.

Die Entscheidung über die Kosten des Antragsverfahrens beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und § 83b Abs. 1 AsylVfG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG).

Ende der Entscheidung

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