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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 15.02.2006
Aktenzeichen: 7 TG 106/06
Rechtsgebiete: AufenthG, EMRK


Vorschriften:

AufenthG § 25 Abs. 3
AufenthG § 25 Abs. 5
AufenthG § 60 Abs. 5
AufenthG § 60a Abs. 2
EMRK Art. 8
1. § 60 Abs. 5 AufenthG verweist auf die EMRK nur insoweit, als sich aus ihr zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote ergeben.

2. Eine durch Art. 8 EMRK begründete rechtliche Unmöglichkeit einer Abschiebung rechtfertigt deren Aussetzung nach § 60a Abs. 2 AufenthG und kann zu einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG - nicht nach § 25 Abs. 3 AufenthG - führen.

3. Eine den weiteren Verbleib eines Ausländers in Deutschland verneinende Entscheidung greift in das durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Recht auf Achtung des Privatlebens grundsätzlich nur ein, wenn der Ausländer ein Privatleben im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK faktisch allein in Deutschland führen kann.


HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF BESCHLUSS

7 TG 106/06

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Ausländerrechts - vorläufiger Rechtsschutz bei versagter Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG -

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 7. Senat - durch

Vizepräsidenten des Hess. VGH Dr. Rothaug, Richter am Hess. VGH Schönstädt, Richterin am Hess. VGH Schäfer,

am 15. Februar 2006 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 21. Dezember 2005 - 8 G 2120/05 (2) - mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung aufgehoben.

Die Anträge der Antragsteller werden abgelehnt.

Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu je einem Fünftel zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 12.500,00 € festgesetzt.

Gründe:

Die gemäß § 146 Abs. 1 VwGO statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde gegen den im Tenor bezeichneten Beschluss des Verwaltungsgerichts Darmstadt ist begründet. Nach dem Erkenntnisstand des Beschwerdeverfahrens bleibt der Aussetzungsantrag der Antragsteller mangels Bestehens eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen erfolglos.

1. Die Antragsteller sind serbisch-montenegrinische Staatsangehörige aus dem Kosovo. Sie sind muslimischen Glaubens und gehören der Bevölkerungsgruppe der ashkalischen Roma (sog. Ashkali) an. Die Antragsteller zu 1. bis 3. reisten 1992 nach Deutschland ein. Die Antragstellerinnen zu 4. und 5. sind in Deutschland geboren.

Der Asylantrag des Antragstellers zu 1. wurde unanfechtbar abgelehnt, nachdem er gegenüber der Ausländerbehörde am 13. November 1996 eine Erklärung unterzeichnet hatte, nach der er freiwillig ausreisen wolle, und er seine Klage vor dem Verwaltungsgericht zurückgenommen hatte. Ein erster Asylfolgeantrag des Antragstellers zu 1. wurde im Mai 1997 bestandskräftig abgelehnt. Im Februar 1998 erklärte der Antragsteller zu 1. erneut seine Bereitschaft, freiwillig in sein Heimatland zurückzukehren. Ein im Mai 1998 gleichwohl gestellter zweiter Asylfolgeantrag wurde Ende 2000 unanfechtbar abgelehnt. Ein dritter Asylfolgeantrag des Antragstellers zu 1. blieb im Jahr 2004 unanfechtbar erfolglos.

Je einem Asyl- sowie einem Asylfolgeantrag der Antragstellerinnen zu 2., 3. und 4. war gleichfalls kein Erfolg beschieden.

In einem Streitverfahren vor dem Verwaltungsgericht Darmstadt über einen am 9. Februar 2002 gestellten Antrag der Antragsteller auf Erteilung von Aufenthaltsbefugnissen wurde ihnen aufgrund eines gerichtlichen Vergleichs am 12. Januar 2005 eine bis zum 12. Juli 2005 befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt.

Am 12. Juli 2005 beantragten die Antragsteller die Verlängerung der ihnen erteilten Aufenthaltserlaubnisse, was der Antragsgegner mit Bescheid vom 28. September 2005 ablehnte. Über die hiergegen erhobenen Widersprüche der Antragsteller ist noch nicht entschieden.

Das Verwaltungsgericht Darmstadt ordnete im angegriffenen Beschluss die aufschiebende Wirkung der Widersprüche der Antragsteller vom 7. Oktober 2005 gegen die Bescheide des Antragsgegners vom 28. September 2005 an.

Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht Darmstadt aus, die Antragsteller dürften einen Anspruch auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 3 AufenthG i. V. m. § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 8 EMRK haben.

Die am 10. Juli 1987 geborene Antragstellerin zu 3. könne sich mit Erfolg auf ihren Anspruch aus Art. 8 EMRK auf Achtung ihres Privatlebens berufen, da sie sog. faktische Inländerin geworden sei. Die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts sei zwar möglicherweise nicht für den Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK, jedenfalls aber für dessen in Art. 8 Abs. 2 EMRK aufgeführte Schranken bedeutsam. Für die Antragstellerin zu 3. sei in Anbetracht ihres Schulabschlusses sowie der Aufnahme einer auf eine Ausbildung gerichteten berufsvorbereitenden Maßnahme davon auszugehen, dass sie die deutsche Sprache beherrsche und sich darüber hinaus in den 14 Jahren ihres Aufenthaltes auch sozial in ihr Umfeld integriert habe. Auch hinsichtlich der am - 7. Januar 1994 geborenen - Antragstellerin zu 4. erscheine es nicht ausgeschlossen, dass die Voraussetzungen des Schutzes des Privatlebens erfüllt seien. Beide Antragstellerinnen seien zudem im Hinblick auf die Erlasslage für Minderheiten im Kosovo über lange Jahre willentlich im Bundesgebiet geduldet und ihr Aufenthalt aufgrund eines gerichtlichen Vergleichsvorschlags im Januar 2005 legalisiert worden. Vor diesem Hintergrund bedürfe eine Aufenthaltsbeendigung einer - im Fall der Antragstellerinnen nicht erkennbaren - besonderen Rechtfertigung.

Den Antragstellern zu 1. und 2. stehe zwar nicht das Recht auf Achtung des Privatlebens zur Seite, sie könnten sich aber mit Erfolg auf ihr in Art. 8 Abs. 1 EMRK verankertes Recht auf Achtung ihres Familienlebens berufen, da die bleibeberechtigten Antragstellerinnen zu 3. und 4. auf den Aufenthalt ihrer Eltern in Deutschland angewiesen seien.

Der am 7. April 2001 geborenen Antragstellerin zu 5. stehe das Recht auf Achtung ihres Familienlebens zu, da sie nicht ohne ihre Eltern - die Antragsteller zu 1. und 2. - in ihr Heimatland zurückkehren könne. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird im Übrigen auf die Begründung des angegriffenen Beschlusses Bezug genommen.

2. Gegen den ihm am 29. Dezember 2005 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner am 10. Januar 2006 Beschwerde eingelegt, die er mit am 19. Januar 2006 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz vom 16. Januar 2006 begründet hat.

Zunächst könne sich - so der Antragsgegner - ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen, soweit es - wie hier - um das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens aus Art. 8 EMRK gehe, lediglich aus § 25 Abs. 5 AufenthG ergeben. Der in § 25 Abs. 3 AufenthG aufgeführte § 60 Abs. 5 AufenthG erfasse wie dessen wortgleiche Vorgängernorm des § 53 Abs. 4 AuslG nicht die Garantien des Art. 8 EMRK.

Im Übrigen sei der Schutzbereich des Art. 8 EMRK für keinen der Antragsteller eröffnet. Denn Voraussetzung hierfür sei ein langjähriger erlaubter Aufenthalt in Deutschland, an dem es bei den Antragstellern fehle. Lasse man hingegen einen rechtlich ungesicherten Aufenthalt für die Annahme eines nach § 8 Abs. 1 EMRK schutzwürdigen Privatlebens genügen, müsse die daraus folgende Rechtsposition der Antragsteller mit dem Recht des Vertragsstaates zur Einwanderungskontrolle als Schranke im Sinne des § 8 Abs. 2 EMRK abgewogen werden. Dies führe dazu, dass durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Positionen der Antragsteller zurückstehen müssten. Bei einer gemeinsamen Rückkehr der Antragsteller als Familie sei ihnen eine Integration bzw. Reintegration im Heimatland möglich und zumutbar. Ferner sei zu berücksichtigen, dass den Antragsteller zu 1. im Hinblick auf dessen Erklärungen, Deutschland freiwillig verlassen zu wollen, und die gleichwohl gestellten Asylanträge der Vorwurf fehlender Integrationsleistungen treffe, was sich die Antragstellerinnen zu 3. und 4. zurechnen lassen müssten. Wegen der Einzelheiten der Beschwerdebegründung wird auf den Schriftsatz des Antragsgegners vom 16. Januar 2006 Bezug genommen.

3. Die nach § 80 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. VwGO ergangene Entscheidung des Verwaltungsgerichts, die aufschiebende Wirkung der Widersprüche der Antragsteller gegen die Ablehnung der Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnisse in den Bescheiden des Antragsgegners vom 28. September 2005 anzuordnen, stellt sich nach dem Erkenntnisstand des Senats im Zeitpunkt seiner Entscheidung im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen des Antragsgegners als unzutreffend dar.

a. Ein Anspruch der Antragsteller auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Ab. 3 i. V. m. § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 8 EMRK scheidet - wie der Antragsgegner zu Recht beanstandet - aus.

Nach § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG soll eine Aufenthaltserlaubnis u. a. erteilt werden, wenn die Voraussetzungen für die Aussetzung der Abschiebung nach § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegen. § 60 Abs. 5 AufenthG sieht vor, dass ein Ausländer nicht abgeschoben werden darf, soweit sich aus der Anwendung der EMRK ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

Seinem Wortlaut nach verweist § 60 Abs. 5 AufenthG uneingeschränkt auf die EMRK. In systematischer Hinsicht ist indes zu berücksichtigen, dass die von § 60 AufenthG erfassten Abschiebungsverbote zielstaatsbezogen sind, was auch der auf sie zugeschnittene § 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG belegt. Wie die wortgleiche Vorgängernorm des § 53 Abs. 4 AuslG verweist § 60 Abs. 5 AufenthG mithin auf die EMRK nur insoweit, als sich aus ihr zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote ergeben. Inlandsbezogene Tatbestände - zu denen namentlich die Frage zählt, ob der Anspruch auf Achtung des Privat- und Familienlebens aus Art. 8 EMRK den Verbleib des Ausländers in Deutschland gebietet - fallen demgemäß nicht in seinen Anwendungsbereich, sondern in den des § 60a AufenthG. Die Zuordnung inlandsbezogener Tatbestände zu § 60a AufenthG, zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote zu § 60 AufenthG ist zudem auch insofern sachgerecht, als sie der Zuständigkeitsverteilung zwischen den Ausländerbehörden und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Asylverfahren entspricht. Da ferner weder höherrangiges Recht noch Art. 8 EMRK dem deutschen Gesetzgeber vorgeben, wie er diese Gewährleistung der EMRK im nationalen Ausländerrecht verwirklicht, hat es beim Ausschluss dieses inlandsbezogenen Tatbestandes aus dem Geltungsbereich des § 60 Abs. 5 AufenthG sein Bewenden (vgl. zu Vorstehendem: BVerwG, Urteil vom 11. November 1997 - 9 C 13.96 - BverwGE 105, 322 [zu § 53 Abs. 4 AuslG]; Renner, AuslR, 8. Aufl. 2005, § 60 AufenthG Rdnr. 47; Benassi, InfAuslR 2005, 357, 360 f.). Hieraus folgt zugleich, dass die von Art. 8 EMRK erfassten Fälle nicht zu einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 3 AufenthG, sondern lediglich zu einer solchen nach § 25 Abs. 5 AufenthG führen können.

b. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG an die Antragsteller kommt indes nach dem Erkenntnisstand des Senats im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung gleichfalls nicht in Betracht. Insbesondere ist es nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Ausreise der Antragstellerinnen zu 3. und 4. im Hinblick auf ihr Recht auf Achtung ihres Privatlebens aus Art. 8 Abs. 1 EMRK aus rechtlichen Gründen unmöglich ist.

§ 25 Abs. 5 AufenthG enthält besondere Erteilungsvoraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen. Nach Satz 1 dieser Vorschrift kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, abweichend von § 11 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist.

Eine rechtliche Unmöglichkeit im Sinne dieser Vorschrift kann sich u. a. aus Art. 8 EMRK ergeben.

Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jeder Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Art. 8 Abs. 2 EMRK regelt, dass der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft ist, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Die EMRK und damit auch die Garantien des Art. 8 Abs. 1 EMRK beinhalten nicht das Recht eines Ausländers, in einen bestimmten Staat einzureisen oder sich dort aufzuhalten und nicht ausgewiesen zu werden (st. Rspr. des EGMR, vgl. etwa Entscheidungen vom 16. September 2004 - 11103/03 - [Ghiban/Deutschland], NVwZ 2005, 1046, sowie vom 16. Juni 2005 - 60654/00 - [Sisojeva/Lettland, InfAuslR 2005, 349). Über die Einreise, den Aufenthalt und die Abschiebung fremder Staatsangehöriger zu entscheiden, ist nach allgemein anerkannten völkerrechtlichen Grundsätzen vielmehr das Recht der Vertragsstaaten (st. Rspr. des EGMR, vgl. nur EGMR, Entscheidungen vom 16. September 2004, a. a. O., sowie vom 7. Oktober 2004 - 33743/03 - [Dragan u. a./Deutschland], NVwZ 2005, 1043).

Aufenthaltsrechtliche Entscheidungen eines Vertragsstaats greifen demgemäß nicht regelmäßig, sondern nur (ausnahmsweise) bei Hinzutreten bestimmter Umstände in das Recht auf Achtung des Familien- und des Privatlebens ein (st. Rspr. des EGMR, vgl. etwa Entscheidung vom 7. Oktober 2004, a. a. O.). Dies folgt daraus, dass aufenthaltsrechtliche Entscheidungen eines Vertragsstaats keine zielgerichtete und unmittelbare Regelung des Familien- oder Privatlebens darstellen, sondern diese Schutzgüter des Art. 8 Abs. 1 EMRK lediglich mittelbar und faktisch berühren. Eingriffsqualität erreichen aufenthaltsrechtliche Entscheidungen im Hinblick auf Art. 8 Abs. 1 EMRK - vergleichbar der im nationalen deutschen Recht bestehenden Situation bei nicht zielgerichteten, mittelbaren Beeinträchtigungen von Grundrechten - nur, wenn der durch sie bewirkten Einwirkung auf Familien- oder Privatleben eine bestimmte Intensität zukommt. Vor dem Hintergrund der durch die EMRK nicht berührten Kompetenz der Vertragsstaaten, das Aufenthaltsrecht für fremde Staatsangehörige zu regeln, lässt sich ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Familien- oder des Privatlebens daher nicht schon mit dem Argument bejahen, ein Ausländer halte sich bereits seit geraumer Zeit im Vertragsstaat auf und wolle dort sein Leben führen (st. Rspr. des EGMR, vgl. etwa Entscheidung vom 7. Oktober 2004, a. a. O., die eine Familie betraf, die seit 14 Jahren ihren Aufenthalt in Deutschland hatte).

Für das - im Fall der Antragstellerinnen zu 3. und 4. allein in Rede stehende - Recht auf Achtung des Privatlebens folgt aus diesen Grundsätzen, dass die mit einem längeren Aufenthalt regelmäßig einhergehende Gewöhnung an die Verhältnisse im Aufenthaltsstaat für sich genommen nicht dazu führt, eine einen weiteren Verbleib verneinende Entscheidung als Eingriff zu werten, der der Rechtfertigung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK bedarf. Eingriffsqualität kommt einer derartigen aufenthaltsrechtlichen Entscheidung vielmehr grundsätzlich nur zu, wenn der Ausländer ein Privatleben im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK, das durch persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen charakterisiert ist, faktisch nurmehr im Aufenthaltsstaat als Vertragsstaat der EMRK führen kann.

Ob eine solche Fallkonstellation für einen Ausländer in Deutschland vorliegt, hängt zum einen von der Integration des Ausländers in Deutschland ab, zum anderen von seiner Möglichkeit zur Integration bzw. Reintegration in seinem Heimatland. Gesichtspunkte für die Integration des Ausländers in Deutschland sind dabei - wie das Verwaltungsgericht im angegriffenen Beschluss zutreffend ausgeführt hat - eine zumindest mehrjährige Dauer des Aufenthalts in Deutschland, gute deutsche Sprachkenntnisse und eine soziale Eingebundenheit in die hiesigen Lebensverhältnisse, wie sie etwa in der Innehabung eines Arbeits- oder Ausbildungsplatzes, in einem festen Wohnsitz, ausreichenden Mitteln, um den Lebensunterhalt einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten zu können, und fehlender Straffälligkeit zum Ausdruck kommt. In diesem Zusammenhang ist auch die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts zu würdigen: Denn ein unerlaubter Aufenthalt und die damit verbundene Unsicherheit des Aufenthaltsstatus stehen zumindest in der Regel der Führung eines schutzwürdigen Privatlebens im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK entgegen (so tendenziell auch EGMR, Entscheidungen vom 16. September 2004 und vom 7. Oktober 2004, a. a. O.; vgl. ferner VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 2. November 2005 - 1 S 3023/04 - InfAuslR 2006, 70; OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 23. Februar 1999 - 4 L 195/98 - NordÖR 2000, 124). Die Entscheidung des EGMR vom 16. Juni 2005 - 60654/00 - (Sisojeva/Lettland, a. a. O.), in der ein schutzwürdiges Privatleben im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK auch ohne rechtmäßigen Aufenthalt aufgrund intensiver persönlicher und familiärer Bindungen bejaht wurde, steht dem Regelerfordernis eines erlaubten Aufenthalts nicht entgegen. Denn dieser Fall war - worauf der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg im Beschluss vom 2. November 2005, a. a. O., zu Recht hingewiesen hat - durch die Atypik geprägt, dass die Beschwerdeführer zum einen lange Zeit ordnungsgemäß im Vertragsstaat gewohnt hatten und ihr aufenthaltsrechtlicher Status erst im Anschluss an politische Umwälzungen - die Auflösung der Sowjetunion und die Unabhängigkeit Lettlands - aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit in Frage gestellt worden ist, und ihnen zum anderen jedenfalls die rechtliche Möglichkeit eröffnet war, einen befristeten legalen Aufenthaltsstatus zu erlangen.

Die für die Bejahung eines Eingriffs in das Recht auf Achtung des Privatlebens durch eine aufenthaltsrechtliche Entscheidung relevante weitere Frage, ob für den Ausländer eine (Re)Integration in seinem Heimatland und damit das Führen eines Privatlebens dort möglich ist, bemisst sich nach Kriterien wie der Kenntnis der dortigen Sprache, der Existenz dort lebender Angehöriger sowie sonstiger Bindungen an das Heimatland. Geht es - wie hier - um die Rückführung einer gesamten Familie mit Kindern, sind dabei auch Fertigkeiten und mögliche Unterstützungsleistungen der Eltern sowie deren Verbindungen im Heimatland in Rechnung zu stellen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 2. November 2005, a. a. O.).

Nach diesem Maßstab ist ein Anspruch der Antragstellerinnen zu 3. und 4. auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG, der an eine rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise im Hinblick auf ihr durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschütztes Recht auf Achtung ihres Privatlebens anknüpft, nicht überwiegend wahrscheinlich. Für die Antragstellerinnen zu 3. und 4. stehen ein langjähriger geduldeter sowie ein für sechs Monate legalisierter Aufenthalt in Deutschland fest. Schulbesuch und Ausbildungsvorbereitung legen ein gewisses Maß an Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse nahe. Ob der Vortrag dieser Umstände ohne weitere Darlegungen genügt, um eine tiefe Verwurzelung in Deutschland als erste Voraussetzung eines nur hier möglichen Privatlebens darzutun, ist fraglich, kann aber dahinstehen. Denn es ist jedenfalls nicht glaubhaft gemacht, dass die Antragstellerinnen zu 3. und 4. ihrem Heimatland in einer Weise entfremdet sind, dass eine (Re)Integration für sie dort nicht möglich ist. So ist nicht dargetan, dass die Antragstellerin zu 3., die nahezu ihre ersten fünf Lebensjahre in ihrem Heimatland verbracht hat, über keine Kenntnisse ihrer Muttersprache (mehr) verfügt. Ebenso wenig sind fehlende Sprachkenntnisse der Antragstellerin zu 4. aufgezeigt, die in einer Familie aufgewachsen ist, für die bei lebensnaher Betrachtung davon auszugehen ist, dass dort auch die Muttersprache Verwendung gefunden hat und noch findet. Im Übrigen haben die Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, dass die Antragstellerinnen zu 3. und 4. bei einer - vom Antragsgegner allein ins Auge gefassten - Rückführung der gesamten Familie ins Herkunftsland auf für sie nicht oder kaum zu überschreitende Hürden bei der Führung eines Privatlebens stoßen würden.

Scheitert mithin nach dem Erkenntnisstand der Beschwerdeentscheidung ein Anspruch der Antragstellerinnen zu 3. und 4. auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 8 Abs. 1 EMRK, so gilt im Hinblick auf die Antragsteller zu 1., 2. und 5. nichts anderes. Eine rechtliche Unmöglichkeit ihrer Ausreise im Hinblick auf das Recht auf Achtung des Familienlebens aus Art. 8 Abs. 1 EMRK besteht nicht, da der gesamten Familie ein Aufenthaltsrecht in Deutschland verweigert wird und alle Familienmitglieder in ihr Heimatland zurückkehren sollen (vgl. zu einem insofern parallel gelagerten Fall: VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 2. November 2005 - 1 S 3023/04 - a. a. O.).

Eine Unmöglichkeit der Ausreise aus tatsächlichen Gründen haben die Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Die (rechtliche oder tatsächliche) Unmöglichkeit der Ausreise im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG setzt als Mindestvoraussetzung das Vorliegen eines inlandsbezogenen Abschiebungshindernisses voraus und verlangt zusätzlich, dass dem Ausländer auch die freiwillige Ausreise nicht möglich ist (vgl. Senatsbeschluss vom 7. Dezember 2005 - 7 TG 2857/05 -; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 6. April 2005 - 11 S 2779/04 - VBlBW 2005, 356). Die Antragsteller haben eine tatsächliche Unmöglichkeit der zwangsweisen Rückführung von Angehörigen der Bevölkerungsgruppe der Ashkali nicht dargetan.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 159 Satz 1 VwGO i. V. m. § 100 Abs. 1 ZPO.

Die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG und folgt der Streitwertfestsetzung für das erstinstanzliche Verfahren.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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