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Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 12.12.2007
Aktenzeichen: 7 TG 2410/07
Rechtsgebiete: AufenthG, VwGO


Vorschriften:

AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
AufenthG § 60a Abs. 2 S. 1
AufenthG § 60a Abs. 2 S. 3
VwGO § 123 Abs. 1 S. 1
1. Posttraumatische Belastungsstörungen und Depressionen sind in Serbien (ohne Kosovo) grundsätzlich in einer Weise behandelbar, die eine wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlechterung der bestehenden Erkrankung und damit ein Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausschließt.

2. Ein dringender humanitärer oder persönlicher Grund im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG liegt nur vor, wenn aufgrund einer umfassenden Würdigung aller Umstände des Einzelfalls dem privaten Interesse des Ausländers an einem vorübergehenden Verbleib im Bundesgebiet ein deutlich höheres Gewicht zukommt als dem öffentlichen Interesse an der Durchsetzung der vollziehbaren Ausreisepflicht des Ausländers.

3. Ärztliche Bescheinigungen einer posttraumatischen Belastungsstörung sind an spezifischen formalen und inhaltlichen Anforderungen zu messen und zudem daraufhin zu überprüfen, ob sie nicht durch externe Faktoren - etwa Tatsachen, die dem bescheinigenden Mediziner nicht bekannt waren oder von ihm nicht berücksichtigt wurden - ernsthaft erschüttert werden.


HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF BESCHLUSS

7 TG 2410/07

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Ausländerrechts - vorläufiger Rechtsschutz gegen aufenthaltsbeendende Maßnahmen -

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 7. Senat - durch

Vizepräsidenten des Hess. VGH Dr. Rothaug, Richter am Hess. VGH Schönstädt, Richterin am Hess. VGH Schäfer

am 12. Dezember 2007

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 17. Oktober 2007 - 7 G 1974/07 (3) - mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung abgeändert.

Der Antrag des Antragstellers wird abgelehnt.

Der Antragsteller hat die Kosten beider Rechtszüge zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 € festgesetzt.

Gründe:

Die gemäß § 146 Abs. 1 VwGO statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den im Tenor bezeichneten Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main ist begründet, da sich dieser Beschluss nach dem Erkenntnisstand des Senats im Zeitpunkt seiner Beschwerdeentscheidung auf der Grundlage des Beschwerdevorbringens der Antragsgegnerin als unzutreffend darstellt. Es fehlt an einem Anordnungsanspruch im Sinne des § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO, da das Vorliegen eines zu sichernden Duldungsanspruchs des Antragstellers nach § 60a Abs. 2 AufenthG nicht überwiegend wahrscheinlich ist.

1. Die Antragsgegnerin lehnte mit Bescheid vom 29. November 2000 den Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung ab und drohte ihm die Abschiebung in die Bundesrepublik Jugoslawien an. In der Folgezeit wurden dem Antragsteller Duldungen erteilt. Eine Verlängerung der letzten - am 17. Januar 2003 abgelaufenen - Duldung des Antragstellers lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 9. Juli 2003 ab. Mit Schreiben vom selben Tag forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller gemäß § 56 Abs. 6 AuslG auf, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen. Das Verfahren über die auf Erteilung einer Duldung gerichtete Verpflichtungsklage stellte das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main mit Beschluss vom 28. März 2006 - 7 E 3388/03 (3) - mangels Betreibens des Verfahrens durch den Antragsteller ein, nachdem es zuvor im zugehörigen Eilverfahren mit Beschluss vom 24. Mai 2004 - 7 G 3889/03 (3) - der Antragsgegnerin aufgegeben hatte, vorläufig von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gegenüber dem Antragsteller abzusehen.

Den Antrag des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 5 AufenthG lehnte die Antragsgegnerin mit Verfügung vom 6. Juni 2007 ab. Der Antragsteller erhob hiergegen Klage und suchte um vorläufigen Rechtsschutz nach.

Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main verpflichte die Antragsgegnerin mit dem im Tenor bezeichneten Beschluss im Wege der einstweiligen Anordnung dazu, bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren 7 E 1975/07 (3) die Abschiebung des Antragstellers auszusetzen. Der Antragsteller habe - so das Verwaltungsgericht - durch Vorlage von privaten ärztlichen Attesten und Bescheinigungen ausreichend glaubhaft gemacht, dass ihm wegen der vollziehbaren Ausreiseaufforderung vom 9. Juli 2003 in die Republik Serbien eine Verschlechterung seines Gesundheitszustandes bis hin zum Suizid drohe. Wegen der existenziellen und überragenden Bedeutung des Schutzes des menschlichen Lebens, welches vorliegend durch die drohenden Vollzugsmaßnahmen der Antragsgegnerin in Mitleidenschaft gezogen würde, könne es offen bleiben, inwieweit die geltend gemachte psychische Erkrankung zugleich ein inlandsbezogenes Abschiebungsverbot darstelle. Der Antragsteller habe insbesondere dargelegt, dass er an einer chronifizierten posttraumatischen Belastungsstörung leide, die jederzeit bei Ausbleiben angemessener ärztlicher Behandlung und Verlust der ihm vertrauten persönlichen Umgebung in eine direkte Lebensgefährdung durch Suizid umschlagen könne. Es sei ferner davon auszugehen, dass der Antragsteller bei einer Rückkehr in sein Heimatland keine angemessene medizinische oder ihn auch persönlich unterstützende Behandlung erfahren werde, so dass er zumutbar nicht auf die Rückkehr in sein Heimatland verwiesen werden könne, da ihm dort die ernsthafte und erhebliche Wahrscheinlichkeit einer Lebensbeendigung durch Suizid drohe. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird im Übrigen auf die Gründe des angegriffenen Beschlusses Bezug genommen.

2. Die gegen die einstweilige Anordnung des Verwaltungsgerichts gerichtete Beschwerde der Antragsgegnerin hat Erfolg. Ein im Wege der einstweiligen Anordnung sicherbarer Anspruch auf vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung) nach § 60a Abs. 2 AufenthG ist nicht überwiegend wahrscheinlich.

a. Nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird.

Das psychische Krankheitsbild, auf das sich der Antragsteller beruft, begründet in seinem Fall weder unter dem Blickwinkel eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG noch unter dem eines inlandsbezogenen Abschiebungshindernisses in Gestalt einer drohenden Verletzung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG auf Leben und körperliche Unversehrtheit eine rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG.

aa. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG setzt voraus, dass für den Ausländer in dem Staat, in den abgeschoben werden soll, eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine bei einem Ausländer bestehende Krankheit begründet ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, wenn die Gefahr besteht, dass sich alsbald nach der Rückkehr des Betroffenen in den Zielstaat der Abschiebung die Krankheit wegen dort gänzlich fehlender oder unzureichender Behandlungsmöglichkeiten wesentlich verschlechtern wird.

Im Hinblick auf die sonach bedeutsame Behandelbarkeit posttraumatischer Belastungsstörungen in Serbien ergibt sich aus den dem Beschwerdegericht vorliegenden Erkenntnisquellen folgendes Bild:

Psychische Krankheiten werden in Serbien aufgrund des dort vorherrschenden medizinischen Ansatzes vorwiegend medikamentös behandelt. In begrenztem Umfang werden auch andere Therapieformen angewendet. Im Rahmen eines aus Mitteln des Auswärtigen Amtes geförderten Pilotprojekts gibt es speziell für kriegsbedingte traumatische Belastungsstörungen (regionale) Therapiemöglichkeiten in einem Zentrum in der Vojvodina (Nordserbien) sowie in Vranje (Südserbien). Weitere Therapiezentren existieren in Südserbien mittlerweile in Leskovac und Bujanovac. Psychiatrische Stationen für die Unterbringung und die Behandlung von Patienten mit chronischen psychischen Erkrankungen gibt es in Serbien in folgenden Einrichtungen: Psychiatrisches Krankenhaus "Dr. Laza Lazarevic" in Belgrad, Neuropsychiatrisches Krankenhaus "Vrsac" in Vrsac, Psychiatrisches Institut "Kovin" in Kovin sowie Psychiatrisches Krankenhaus "Gornja Tuponica" bei Nis. Medizinische Anstalten im serbischen Sandzak, in denen posttraumatische Belastungsstörungen behandelt werden können, sind das Medizinische Zentrum Novi Pazar (Neuropsychiatrische Dienststelle), die Poliklinik Priboj (Neuropsychiatrische Ambulanz) sowie in Prijepolje, dem Geburtsort des Antragstellers, das Allgemeine Krankenhaus (Neuropsychiatrische Abteilung).

Zugang zur Gesundheitsversorgung im öffentlichen Sektor haben die Bewohner Serbiens aufgrund gesetzlichen Krankenversicherungsschutzes in einer Pflichtversicherung. Flüchtlinge und Vertriebene werden grundsätzlich kostenfrei und ohne Zahlung eines eigenen Beitrags behandelt. Psychosen zählen zudem zu den Krankheiten, die auch unabhängig vom Status des Patienten grundsätzlich kostenfrei behandelt werden. Darüber hinaus sind lebensrettende und lebenserhaltende Maßnahmen für alle Patienten kostenlos (vgl. zu Vorstehendem: Auskunft der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Belgrad an VG Kassel vom 1. September 2004; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Informationszentrum Asyl und Migration, Serbien und Montenegro [ohne Kosovo], Gesundheitswesen, März 2006; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Serbien, Stand: März 2007).

Vor diesem tatsächlichen Hintergrund geht der Senat in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass posttraumatische Belastungsstörungen und Depressionen in Serbien (ohne Kosovo) grundsätzlich in einer Weise behandelbar sind, die eine wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlechterung der bestehenden psychischen Erkrankung und damit ein Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausschließt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 10. November 2005 - 7 TG 2566/05 -, vom 2. März 2006 - 7 TG 426/06 -, vom 25. April 2006 - 7 TG 618/06 -, vom 22. Mai 2006 - 7 TG 1098/06 -, vom 12. Juli 2006 - 7 TG 1253/06 - sowie vom 4. August 2006 - 7 TG 1454/06 -).

Nach dem Vorbringen des Antragstellers ist es nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Inanspruchnahme der in Serbien bestehenden Gesundheitsversorgung in seinem Fall nicht geeignet wäre, einer konkreten und erheblichen Gefahr für Leib oder Leben im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wirksam zu begegnen.

Der am 14. Mai 2000 in die Bundesrepublik Deutschland eingereiste Antragsteller berief sich nach Ablauf ihm zuvor erteilter Duldungen erstmalig am 11. Januar 2002 auf das Vorliegen einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung in seiner Person. Er legte hierzu eine auf den 17. Dezember 2001 datierende Bescheinigung des "Wehramtes U., Abteilung P." vor, wonach er seine Militärdienstzeit in der Armee Jugoslawiens in der Zeit vom 23. Juni 1998 bis zum 8. Juni 1999 absolviert habe und auf dem Kriegsschauplatz von 24. März bis zum 26. Juni 1999 bei der Feldpost Sombor anwesend gewesen sei. Ein psychiatrisches Gutachten des Dr. med. K. S. vom 21. Dezember 2001 bescheinigte dem Antragsteller nach Explorationen am 13. und 19. Dezember 2001 eine posttraumatische Belastungsstörung und führte zu deren Begründung u. a. aus, nach Auszug des 16-jährigen Antragstellers aus dem elterlichen Haus habe sich dessen Furcht besonders 1998 durch die Kämpfe im Kosovo, an welchen sein Bruder als Soldat teilgenommen habe, gesteigert. Behandelt werde der Antragsteller mit einem Antidepressivum (Fluoxetin 20), zudem hätten monatliche therapeutische Gespräche stattgefunden. Nach Übernahme der Behandlung des Antragstellers durch Dr. S. P. bescheinigte dieser dem Antragsteller mit ärztlichem Gutachten vom 28. Januar 2003 eine posttraumatische Belastungsstörung infolge eines Kriegstraumas und seiner aktiven Teilnahme an Kriegshandlungen in den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens in den Jahren 1998 und 1999.

Im Zeitraum zwischen dem 24. Juni 2003 und dem 15. Februar 2007 erfolgte keine traumaspezifische medizinische Behandlung der psychischen Erkrankung des Antragstellers. Im Mai 2006 teilte der Antragsteller der Antragsgegnerin mit, er beabsichtige in sein Heimatland zurückzukehren und habe zu diesem Zweck beim Generalkonsulat einen Antrag auf Erteilung eines Reisepasses gestellt.

Nach einer erfolglosen Petition des Antragstellers und dessen Wechsel zum jetzigen Verfahrensbevollmächtigten bescheinigte Dr. S. P. dem Antragsteller nach einer ambulanten Nachuntersuchung am 15. Februar 2007 mit ärztlichem Gutachten vom 16. Februar 2007 eine ausgeprägte posttraumatische Belastungsstörung sowie eine latente Suizidalität. In der Anamnese führte Dr. S. P. u. a. aus, durch eine unwiderrufliche Einberufung im Juni 1998 sei der Antragsteller aus seinem Studium gerissen worden. Er habe seine reguläre Militärdienstzeit für die Dauer von zwölf Monaten geleistet und - nachdem der Dienst zunächst auf unbestimmte Zeit verlängert worden sei - noch weitere drei Monate als Soldat verbracht. Nach einem Eignungstest und da er früher Karate trainiert habe, sei der Antragsteller bei der Militärpolizei aufgenommen worden. Er sei während des Kosovo-Krieges dreimal jeweils für einen Monat in dem Kriegsgebiet im Kosovo eingesetzt gewesen. Die schlimmsten Todesängste habe der Antragsteller erlebt, als er mit einer kleinen Einheit in seiner Kaserne in Sombor im Norden Serbiens "als lebende Köder" habe bleiben müssen. Er habe mehrere Bombenangriffe auf die Kaserne erlebt, was zu einer tiefen Erschütterung seiner Seele geführt habe. Vor allem das Gefühl des Ausgeliefertseins, während die anderen Einheiten abgezogen worden seien, habe ihn jeglichen Glauben ans Überleben verlieren lassen. In weiteren ärztlichen Stellungnahmen des Dr. S. P. vom 28. Mai 2007 und vom 28. Juni 2007 wird dem Antragsteller zum einen eine relativ stabile seelische Verfassung dank langjähriger Bleibe und gelungener Integration in der neuen Heimat bescheinigt, zum anderen, dass bei Rückkehr in seine ehemalige Heimat durch die reale Konfrontation mit den Menschen und den Orten der Traumatisierung sowie dem gleichzeitigen Wegfall der Halt gebenden Umgebung und der psychosozialen Unterstützung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit einer suizidalen Krise gerechnet werden müsse. Von einer Reisefähigkeit im Sinne einer dauerhaften Überlebensfähigkeit des Antragstellers in der alten Heimat oder einem anderen Land könne keine Rede sein. Auf Anfrage des erstinstanzlichen Gerichts vom 16. August 2007 teilte Dr. S. P. mit ärztlichen Attest vom 23. August 2007 mit, der Antragsteller melde sich bei Bedarf zu einem stützenden psychosomatischen Gespräch bzw. wenn er dringend eine Medikamentenverschreibung benötige. Der Antragsteller nehme nach ärztlichem Rat unregelmäßig und so wenig wie möglich Bromazanil 6 mg-Tabletten ein, wobei die Dosis nach Möglichkeit als eine 1/4 bis 1/2 Tablette pro Anwendung angestrebt werde. Mit dieser Dosis sei es möglich, die Intrusions- und Angsterlebnisse einigermaßen unter Kontrolle zu halten.

Die Sachlage, die sich aus dem Vorbringen des Antragstellers einschließlich der vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen ergibt, begründet nach dem Erkenntnisstand des Senats im Zeitpunkt seiner Beschwerdeentscheidung kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Die Diagnose einer (schwerwiegenden) posttraumatischen Belastungsstörung in den beigebrachten ärztlichen Stellungnahmen unterliegt durchgreifenden Zweifeln.

Die posttraumatische Belastungsstörung, auf die sich der Antragsteller beruft, ist eine verzögerte akute oder chronische psychische Störung nach einem extrem belastenden Ereignis oder einer Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmaßes, die mit starker Furcht und Hilflosigkeit einhergeht. Von einem Antragsteller zum Beleg eines derartigen Krankheitsbildes beigebrachte ärztliche Bescheinigungen sind als Parteivorbringen vom Gericht auf ihren Aussagegehalt und ihre Überzeugungskraft hin zu würdigen. Diese Bewertung setzt zum einen eine ärztliche Bescheinigung der Traumatisierung voraus, die bestimmten formalen und inhaltlichen Anforderungen genügen muss. Zum anderen ist ein ärztlich bescheinigter Befund gerichtlich daraufhin zu überprüfen, ob er nicht durch externe Faktoren - etwa Tatsachen, die dem bescheinigenden Mediziner nicht bekannt waren oder von ihm nicht berücksichtigt wurden - ernsthaft erschüttert wird.

Spezifische formale und inhaltliche Anforderungen an ärztliche Bescheinigungen einer posttraumatischen Belastungsstörung resultieren daraus, dass es sich bei ihr um ein komplexes Krankheitsbild handelt, bei dem weniger äußerlich feststellbare objektive Befundtatsachen im Mittelpunkt stehen, als vielmehr ein inneres Erleben. Die - für das Gericht maßgebliche - Glaubhaftigkeit und Nachvollziehbarkeit dieses inneren Erlebens und der ihm zu Grunde liegenden äußeren Erlebnistatsachen verlangen ein besonderes ärztliches Vorgehen, namentlich bei der ärztlichen Diagnose, das in ärztlichen Bescheinigungen über eine posttraumatische Belastungsstörung auch darzustellen ist. Gerichtstaugliche ärztliche Bescheinigungen, insbesondere Gutachten zur Traumatisierung, müssen von einem Arzt stammen, der über eine spezielle fachwissenschaftliche/fachärztliche Ausbildung verfügt. Die Begutachtung selbst sollte auf einer zeitlich ausreichenden Basis von mindestens drei bis vier Sitzungen beruhen. Die verwendeten Testverfahren und Explorationsmethoden sollten genau bezeichnet werden. Die Anknüpfungstatsachen sind sorgfältig und getrennt von Diagnoseäußerungen darzustellen. Mitzuteilen sind die Diagnose sowie mögliche Therapieformen und eine Prognose. Zu Besonderheiten in bzw. bei der Schilderung der Vorgeschichte der Erkrankung durch den Patienten - etwa dem Fehlen von Realitätskennzeichen (Konkretheit, Schlüssigkeit und Widerspruchsfreiheit), dem Vorliegen von Fantasiesignalen (Detailarmut oder Abstraktheit der Aussagen) oder einer später als sechs Monate nach dem traumatischen Ereignis eintretenden und damit jedenfalls nicht dem regelmäßigen Verlauf entsprechenden Störung - ist in der ärztlichen Bescheinigung Stellung zu nehmen. Gegebenenfalls bedarf es zusätzlich einer fachärztlichen Glaubhaftigkeitsanalyse, etwa wenn es an einer hinreichende konkreten und detaillierten Darlegung eines erlittenen traumatischen Ereignisses durch den Ausländer fehlt (vgl. zu den dargestellten Anforderungen an ärztliche Bescheinigungen einer posttraumatischen Belastungsstörung: Hess. VGH, Beschlüsse vom 19. April 2004 - 9 TG 639/04 - und vom 30. Mai 2005 - 9 TG 1274/05 -; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 6. September 2004 - 18 B 2661/03 - InfAuslR 2004, 438; VG Düsseldorf, Urteil vom 24. Mai 2006 - 5 K 1970/06.A. - Juris).

Die vom Antragsteller zur Unterstützung seines Vorbringens vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen werden diesen Anforderungen nicht gerecht. Dies gilt auch für das aktuelle und umfangreiche ärztliche Gutachten des Dr. S. P. vom 16. Februar 2007 nebst dessen Ergänzungen vom 28. Mai 2007, 28. Juni 2007 und 22. August 2007. Dieses Gutachten wurde nach einer mehr als dreieinhalbjährigen Behandlungsunterbrechung aufgrund einer am 15. Februar 2007 erfolgten ambulanten Nachuntersuchung binnen eines Tages erstellt. Das Gutachten nimmt Bezug auf frühere ärztliche Stellungnahmen und legt gleichwohl seiner Beurteilung eine Vorgeschichte des Antragstellers zugrunde, die nicht unerhebliche Abweichungen von dessen Vorbringen aufweist, auf dem die früheren ärztlichen Stellungnahmen basieren. So will der Antragsteller - nach der Bescheinigung des Wehramts U. vom 17. Dezember 2001 "auf dem Kriegsschauplatz anwesend vom 24. März bis zum 26. Juni 1999 bei der Feldpost Sombor", also im Norden Serbiens - nunmehr auch als Militärpolizist während des Kosovo-Krieges dreimal jeweils für einen Monat in dem Kriegsgebiet im Kosovo eingesetzt gewesen sein und dort Kämpfe und Massaker an der aufständischen albanischen Bevölkerung erlebt haben. Nach dem Bekunden des Antragstellers gegenüber Dr. med. K. S., auf dessen psychiatrisches Gutachten vom 21. Dezember 2001 im Gutachten des Dr. S. P. vom 16. Februar 2007 ausdrücklich verwiesen wird, hat indes der Bruder des Antragstellers als Soldat im Kosovo gedient. Zu dieser Ungereimtheit verhalten sich die ärztlichen Stellungnahmen des Dr. S. P. vom 16. Februar 2007, 28. Mai 2007, 28. Juni 2007 und 23. August 2007 ebenso wenig wie sie nachvollziehbar die Besonderheit erläutern, dass der Antragsteller seine psychische Erkrankung über einen mehr als dreieinhalb Jahre währenden Zeitraum ohne traumaspezifische medizinische Behandlung ertragen konnte und überdies im Mai 2006 zur Rückkehr in sein Heimatland bereit war.

Unabhängig von den den ärztlichen Stellungnahmen anhaftenden formalen und inhaltlichen Defiziten stehen der Annahme einer psychischen Erkrankung des Antragstellers, die einen solchen Schweregrad hat, dass sie in Serbien nicht in einer eine wesentliche Verschlechterung ausschließenden Weise behandelt werden kann, folgende weiteren Umstände entgegen: Die Erkrankung des Antragstellers wurde in Deutschland im Wesentlichen medikamentös mit dem Antidepressivum Fluoxetin (Dr. med. K. S.) sowie dem Anxiolytikum Bromazanil (Dr. S. P.) behandelt. Entsprechende Medikamente stehen in Serbien auf der Positivliste von Medikamenten, die kostenlos auf Rezept eines Arztes aus einer staatlichen Ambulanz und ausschließlich in staatlichen Apotheken abgegeben werden (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Informationszentrum Asyl und Migration, Serbien und Montenegro [ohne Kosovo], Gesundheitswesen, März 2006, Seite 28). Ferner hatte der Antragsteller selbst im Mai 2006 die Absicht, nach Serbien zurückzukehren und hatte zu diesem Zweck bereits beim Generalkonsulat seiner Heimat vorgesprochen. Der Antragsteller ist schließlich nach einer Rückkehr nicht gänzlich auf sich allein gestellt, da sowohl seine Mutter als auch zumindest ein Bruder in Serbien leben.

bb. Das Vorliegen eines inlandsbezogenen Abschiebungshindernisses in Gestalt einer drohenden Verletzung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG auf Leben und körperliche Unversehrtheit ist gleichfalls nicht überwiegend wahrscheinlich. An der in den ärztlichen Stellungnahmen des Dr. S. P. attestierten Auslösung einer suizidalen Krise durch eine zwangsweise Durchsetzung der Ausreisepflicht des Antragstellers bestehen aus den dargelegten Erwägungen gleichfalls durchgreifende Zweifel. Zudem ist nicht glaubhaft, dass durch eine ärztlich begleitete Rückführung des Antragstellers und dessen Übergabe in die Obhut des in seinem Heimatland bestehenden staatlichen Gesundheitswesens einer abschiebungsbedingten Suizidgefahr nicht wirksam begegnet werden kann.

b. Auch ein Duldungsanspruch des Antragstellers nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG ist nicht überwiegend wahrscheinlich. Nach dieser Vorschrift kann einem Ausländer eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern.

Nach dem Erkenntnisstand des Senats im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung fehlt es zum einen an einem dringenden humanitären oder persönlichen Grund im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG. Ein solcher liegt nur vor, wenn aufgrund einer umfassenden Würdigung aller Umstände des Einzelfalls dem privaten Interesse des Ausländers an einem vorübergehenden Verbleib im Bundesgebiet ein deutlich höheres Gewicht zukommt als dem öffentlichen Interesse an der Durchsetzung der vollziehbaren Ausreisepflicht des Ausländers. Im Hinblick auf das sich dem Senat darbietende Krankheitsbild des Antragstellers und die in Serbien bestehenden medizinischen Behandlungsmöglichkeiten sind die Umstände im Fall des Antragstellers nicht so außergewöhnlich gelagert, dass ein vorübergehender weiterer Aufenthalt des Antragstellers in Deutschland dringend geboten oder gar zwingend erforderlich erscheint.

Zum anderen steht einem Duldungsanspruch des Antragstellers aus § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG entgegen, dass sich aus seinem Vorbringen ergibt, dass er unter Berufung auf seine psychische Erkrankung einen Daueraufenthalt anstrebt, nicht - wie es § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG vorsieht - einen nur vorübergehenden Aufenthalt zur Bewältigung einer Notsituation.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 3 Nr. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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