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Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 02.04.2009
Aktenzeichen: 8 A 1132/07.A
Rechtsgebiete: Qualifikationsrichtlinie, AufenthG, Genfer Flüchtlingskonvention, Richtlinie 2004/83/EG
Vorschriften:
Qualifikationsrichtlinie Art. 10 Abs. 1 lit. b | |
AufenthG § 60 Abs. 1 | |
Genfer Flüchtlingskonvention | |
Richtlinie 2004/83/EG |
2. Hindus haben gegenwärtig in Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, also ohne Rücksicht auf erlittene Vorverfolgung, als politische Verfolgung i.S.d. § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG anzusehende massive Einschränkungen ihrer Religionsfreiheit durch "nichtstaatliche Akteure" zu erwarten (Anschluss an OVG Sachsen, Urteil vom 26. August 2008 - A 1 B 499/07; entgegen OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 19. Juni 2008 - 20 A 4676/06.A -).
HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Verkündet am 2. April 2009
In dem Verwaltungsstreitverfahren
wegen Asylrechts (Afghanistan, Hindu)
hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 8. Senat - durch
Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Höllein, Richter am Hess. VGH Jeuthe, Richterin am Hess. VGH Dr. Lambrecht, ehrenamtliche Richterin Frau Setton, ehrenamtliche Richterin Frau Albert
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 2. April 2009
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 17. Februar 2006 - 7 E 559/05.A (1) - wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, sofern nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Der am ... 1987 in Kabul/Afghanistan geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger und Hindu. Er begehrt seine Anerkennung als Flüchtling in Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge - Genfer Flüchtlingskonvention - (BGBl. 1953 II Seite 559) i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG.
Der Kläger reiste nach eigenen Angaben am 21. August 2004 als Minderjähriger auf dem Landweg ohne Begleitung in die Bundesrepublik Deutschland ein, nachdem er mit einem Onkel, bei dem er zuvor in Kabul gelebt habe, nach Pakistan ausgereist und von dort aus an einen unbekannten Ort geflogen sei, um dann anschließend mit einem Pkw nach Deutschland gebracht zu werden. In Pakistan habe er den Kontakt zu seinem Onkel verloren, die Flugunterlagen einschließlich der zur Ausreise benutzten pakistanischen Ausweispapiere habe der Fluchthelfer behalten, der die Reise betreut habe.
Am 7. September 2004 stellte der Kläger einen Asylantrag, den er im Rahmen einer Anhörung durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) am 8. September 2004 in Gießen wie folgt begründete: Er sei seit zwölf Jahren von seinen Eltern getrennt und wisse von ihnen nur, dass sie bis vor etwa vier Jahren in Indien gelebt und die Absicht gehabt hätten, weiter zu reisen. Seitdem habe er keine Nachricht mehr von ihnen. In dieser Zeit habe er bei seinem Onkel in Kabul gelebt, der für seinen Unterhalt aufgekommen sei. Er selbst habe in Afghanistan keine Schule oder Universität besucht und keinen Beruf ausgeübt. Er habe Afghanistan verlassen, weil er der religiösen Minderheit der Hindus angehöre, die in Afghanistan von den muslimischen Machthabern bzw. von der muslimischen Bevölkerung sehr intensiv unter Druck gesetzt und beschimpft werde. Man habe von ihnen verlangt, zum Islam überzutreten. Deshalb hätten er und die Ehefrau seines Onkels nicht das Haus verlassen, sondern sich immer zuhause aufhalten müssen. Außerdem sei sein Vater Leiter der Passabteilung in Kabul gewesen und habe daher einige Feinde gehabt. Er selbst sei noch ein kleines Kind gewesen, als sein Vater der Leiter der Passerteilung, zunächst in der Provinz Ghazni und dann in Kabul gewesen sei. Vor etwa fünf bis sechs Monaten seien Mudschaheddin zum Haus seines Onkels gekommen, hätten nach ihm, dem Kläger, gefragt und hätten ihn töten wollen. Als sein Onkel ihn gegenüber diesen Personen als seinen eigenen Sohn ausgegeben hatte, habe man ihm gesagt, der Kläger sähe seinem Vater ausgesprochen ähnlich und deshalb hätten sie ihn ausfindig gemacht. Es sei nicht so, dass er niemals das Haus verlassen habe. Einmal in der Woche, freitags, sei er zum religiösen Zentrum in Kabul gegangen. Auf Nachfrage erklärte der Kläger, die Mudschaheddin hätten sich ständig gemeldet und nachts ans Haus geklopft. Seinem Onkel sei gedroht worden, dass er zusammen mit seiner Familie getötet werde, wenn er nicht bereit sei, den Kläger auszuliefern. Er selbst habe niemanden gesehen, sein Onkel habe aber gesagt, es habe sich um Mudschaheddin gehandelt. Andere Schwierigkeiten hätten sich für ihn nicht ergeben, man habe ein Haus und genug zu essen gehabt. Er sei aber bedroht worden und habe deshalb das Land verlassen müssen. Sein Leben sei in Gefahr und er habe niemanden in Afghanistan, zu dem er gehen könne.
Mit Bescheid vom 5. April 2005 - 5117674-423 - lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Asylantrag ab und stellte fest, dass weder die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG noch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. S. 2 bis 7 AufenthG vorlägen. Zu den Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG enthält die Begründung des Bescheids u.a. folgende Erwägungen: Das Vorbringen des Antragsteller sei völlig unglaubhaft. Es gleiche nach den Erfahrungen des Bundesamts in seinem Kern stereotypen Mustern des Vorbringens einer Vielzahl aus Afghanistan eingereister gleichaltriger Antragsteller. Aus dem Gesamtbild der Lage in Afghanistan ergebe sich keine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Verfolgung von Hindus oder Sikhs im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan. Eine Wiederholung der Zustände, die in den Jahren des Bürgerkriegs in Kabul für Hindus und Sikhs geherrscht hätten, sei nicht abzusehen. Nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amts habe sich die Lage der ethnischen Minderheiten in den jeweiligen Regionen seit dem Ende der Taliban-Herrschaft insgesamt verbessert. Den vorliegenden Auskünften könne nicht entnommen werden, dass Hindus und Sikhs in Afghanistan gezielt verfolgt würden. Einschüchterungen und Übergriffe verschiedener Milizen konnten jedem afghanischen Staatsangehörigen, insbesondere außerhalb Kabuls, drohen. Dass Hindus und Sikhs gegenwärtig keine eigenen Schulen besuchen könnten, könne damit zusammenhängen, dass ihre Einrichtungen in den zurückliegenden Jahren weitgehend zerstört worden seien. Hieraus folge aber nicht, dass Hindus oder Sikhs aufgrund ihrer Volks- bzw. Religionszugehörigkeit vom Schulbesuch ausgeschlossen seien. Ebenso wenig lasse sich den genannten Einschränkungen entnehmen, dass die Hindus ihres religiösen Existenzminimums beraubt würden. Aufgrund des unglaubhaften Sachvortrags des Klägers könne mit größter Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass nach wie vor Verwandte in Kabul lebten und sich ihm die Möglichkeit biete, in vertrauter Umgebung, der Sprache mächtig, die im Aufbau befindliche Region Kabul als Niederlassungsalternative zu sehen. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Bescheid vom 5. April 2005 Bezug genommen, der dem Kläger am 13. April 2005 zugestellt worden ist.
Der am 22. April 2005 erhobenen Klage gegen diesen Bescheid hat das Verwaltungsgericht Wiesbaden mit Urteil vom 17. Februar 2006 - 7 E 559/05.A (1) - bezüglich des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG stattgegeben mit der Begründung, der Kläger habe zwar nicht glaubhaft gemacht, schon vor seiner Ausreise aus Afghanistan dort gravierenden Übergriffen wegen seines religiösen Bekenntnisses ausgesetzt gewesen zu sein, jedoch habe er mit solche Übergriffen aus Teilen der muslimischen Bevölkerung im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan zu rechnen, ohne dass staatliche Stellen voraussichtlich etwas gegen solche Drangsalierungen unternehmen würden. Wegen weiterer Einzelheiten der Begründung und zur Darstellung des Vorbringens der Beteiligten in erster Instanz, insbesondere wegen ihrer dort gestellten Anträge, wird auf das Urteil vom 17. Februar 2006 Bezug genommen.
Ihre mit Beschluss des Senats vom 30. Mai 2007 - 8 UZ 739/06.A - zugelassene Berufung gegen dieses Urteil hat die Beklagte mit einem am 25. Juni 2007 beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof eingegangenen Schriftsatz des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 18. Juni 2007 unter ausschließlicher Bezugnahme auf ihren angefochtenen Bescheid und ihr Vorbringen im Zulassungsantrag vom 6. März 2006 (Bl. 178 ff. GA), auf den verwiesen wird, begründet.
Die Beklagte beantragt,
die Klage unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 17. Februar 2006 - 7 E 559/05.A (1) - in vollem Umfang abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise,
festzustellen, dass in der Person des Klägers Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG gegeben sind.
Er verteidigt das angefochtene Urteil und vertritt unter Bezugnahme auf ein vom Verwaltungsgericht verwertetes Sachverständigengutachten von Herrn Dr. Danesch vom 23. Juni 2006 die Ansicht, Hindus drohe in Afghanistan aus religiösen und damit politischen Gründen Verfolgung. Sie seien in Afghanistan aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit von der katastrophalen Sicherheits- und Versorgungslage besonders hart betroffen und als Minderheit neben der allgemeinen Gefahrenlage auch Diskriminierungen und Übergriffen der moslemischen Bevölkerungsmehrheit ausgesetzt. Im übrigen bezieht sich der Kläger auf einen mit beglaubigter Übersetzung vorgelegten Brief eines in Kabul lebenden "Onkels" vom 25. April 2007 (Bl. 216 ff. GA), aus dem sich ergibt, dass das Haus und das Geschäft des Onkels des Klägers von fremden Personen in Besitz genommen worden seien.
Dem Senat liegen die den Kläger betreffenden Akten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vor. Diese Akten und die den Beteiligten zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung übersandte Liste von Erkenntnisquellen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zugelassene Berufung ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht begründet worden. Dass die Berufungsbegründung im wesentlichen auf die Begründung des erfolgreichen Zulassungsantrags der Beklagten beschränkt ist, ist in Asylsachen als zulässig anerkannt (BVerwG, Beschlüsse vom 23. September 1999 - 9 B 372.99 - , NVwZ 2000, 67 = juris Rdnrn 4 ff., und vom 18. August 2008 - 10 B 34.08 -, juris Rdnrn. 4 f.).
Die Berufung ist jedoch nicht begründet.
In Übereinstimmung mit dem angefochtenen Urteil ist davon auszugehen, dass der Kläger zwar unverfolgt aus Afghanistan ausgereist ist, im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland aber mit Verfolgung rechnen muss, weil er der Religionsgemeinschaft der Hindus angehört.
Was die Frage der Vorverfolgung angeht, teilt der erkennende Senat die Ansicht des Bundesamts und des Verwaltungsgerichts, dass der Kläger Afghanistan nicht aufgrund politischer Verfolgung verlassen hat. Er hat (auch) bei seinen informatorischen Anhörungen durch das Verwaltungsgericht und in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht plausibel machen können, warum Mudschaheddin zum Haus seines Onkels gekommen sein sollen, um ihn, den Kläger, abzuholen, in irgendeiner Weise zu drangsalieren oder gar zu töten, wie er es gegenüber dem Bundesamt erklärt hatte. Nach seiner Aussage in der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts lebte er im Hause seines Onkels in Kabul, in dem auch dessen Frau wohnte und das ebenso wie das Geschäft des Onkels gepachtet war. Er habe nicht gearbeitet, keine Schule besucht und sei wöchentlich einmal mit dem Taxi in ein Gebetshaus gefahren, das in einem anderen Stadtteil gelegen habe. Wie der Kläger als Minderjähriger bei solch zurückgezogener Lebensweise ins Visier fundamentalistischer Moslems geraten sein soll, ist schlichtweg nicht nachvollziehbar. Nach der Schilderung des Klägers in der mündlichen Verhandlung dürfte es sich bei der Ausreise zusammen mit seinem Onkel und seiner Tante nach Pakistan um eine geordnete, wohl vorbereitete Reise mit dem Ziel einer Ansiedlung im Ausland gehandelt haben, die nicht auf akuten Drangsalierungen und Übergriffen beruhte, wie sie Hindus derzeit in Afghanistan zu erwarten haben. Dass das Haus des Onkels inzwischen durch Fremde in Besitz genommen worden ist, wie der Kläger durch den im Berufungsverfahren vorgelegten Brief eines offenbar noch in Kabul lebenden Freundes seines Vaters glaubhaft gemacht hat, ist angesichts der Tatsache, dass das verlassene Haus lediglich gemietet war, nicht verwunderlich und deutet nicht darauf hin, dass diese Inbesitznahme - möglicherweise durch Eigentümer des Hauses - etwas mit der Ethnie bzw. der Religionszugehörigkeit des Klägers und seiner Familie zu tun haben könnte.
Der Kläger hätte jedoch im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit einer Hindus dort als Religionsgemeinschaft und als Ethnie kollektiv treffenden Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (AufenthG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), zuletzt geändert durch Art. 2 Abs. 3 des Gesetzes zur Ergänzung des Rechts zur Anfechtung der Vaterschaft vom 13. März 2008 (BGBl. I S. 313) zu rechnen; eine vom aufenthaltsrechtlichen Schutzbereich dieser Norm umfasste öffentlichkeitswirksame religiöse Betätigung wäre ihm nicht ohne konkrete Gefahr für Leib und Leben möglich (OVG Sachsen, Urteil vom 26. August 2008 - A 1 B 499/07 -, juris).
Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die Prüfungsmaßstäbe für die Gefahr politischer Verfolgung aus religiösen Gründen - jedenfalls im Anwendungsbereich des § 60 Abs. 1 AufenthG - durch Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I Seite 1970) wesentlich geändert haben, weil § 60 Abs. 1 S. 5 AufenthG nunmehr ausdrücklich die Anwendung der Art. 7 bis 10 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes vom 29. April 2004 (ABl. L 304 vom 30. September 2004, S. 12) - künftig: Qualifikationsrichtlinie (QRL) - anordnet.
Nach der früheren, dadurch jedenfalls im Anwendungsbereich des § 60 Abs. 1 S. 1 AufenthG überholten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist religiöse oder religiös motivierte Verfolgung nur unter besonderen Voraussetzungen als politische Verfolgung im Sinne des Asylgrundrechts aufzufassen (BVerfG, Beschluss vom 1. Juli 1987 - 2 BvR 478/86 u.a., BVerfGE 76, 143 [158 f.] = juris Rdnrn. 33 f.):
"...Sie ist dies allerdings nicht schon dann, wenn die Religionsfreiheit, gemessen an der umfassenden Gewährleistung, wie sie Art. 4 Abs. 1 und 2 GG enthält (vgl. dazu BVerfGE 24, 236 (245 f., 248)) Eingriffen und Beeinträchtigungen ausgesetzt ist. Vielmehr müssen die Eingriffe und Beeinträchtigungen eine Schwere und Intensität aufweisen, die die Menschenwürde verletzt (vgl. BVerfGE 54, 341 (357). Sie müssen ein solches Gewicht haben, dass sie in den elementaren Bereich der sittlichen Person eingreifen, in dem für ein menschenwürdiges Dasein die Selbstbestimmung möglich bleiben muss, sollen nicht die metaphysischen Grundlagen menschlicher Existenz zerstört werden (vgl. auch BVerfGE 74, 31 (40). Diese Eingrenzung widerstreitet nicht, sondern entspricht der humanitären Intention des Asylrechts; diese ist darauf gerichtet, demjenigen Aufnahme und Schutz zu gewähren, der sich in einer für ihn ausweglosen Lage befindet (BVerfGE 74, 51 (64).
...Politische Verfolgung ist demnach etwa dann gegeben, wenn vom Heimat- oder Aufenthaltsstaat des Verfolgten ergriffene oder ihm zurechenbare Maßnahmen darauf gerichtet sind, die Angehörigen einer religiösen Gruppe sei es physisch zu vernichten oder mit vergleichbar schweren Sanktionen (etwa Austreibung oder Vorenthaltung elementarer Lebensgrundlagen) zu bedrohen, sei es ihrer religiösen Identität zu berauben, indem ihnen z. B. unter Androhung von Strafen an Leib, Leben oder persönlicher Freiheit eine Verleugnung oder gar Preisgabe tragender inhaltlicher Religionsüberzeugung zugemutet wird oder sie daran gehindert werden, ihren eigenen Glauben, so wie sie ihn verstehen, im privaten Bereich und unter sich zu bekennen. Ihre Religionsausübung im häuslich-privaten Bereich, wie etwa der häusliche Gottesdienst, aber auch die Möglichkeit zum Reden über den eigenen Glauben und zum religiösen Bekenntnis im nachbarschaftlich-kommunikativen Bereich, ferner das Gebet und der Gottesdienst abseits der Öffentlichkeit in persönlicher Gemeinschaft mit anderen Gläubigen dort, wo man sich nach Treu und Glauben unter sich wissen darf, gehören unter dem Gesichtspunkt der Menschenwürde wie nach internationalem Standard zu dem elementaren Bereich, den der Mensch als ,religiöses Existenzminimum' zu seinem Leben- und Bestehenkönnen als sittliche Person benötigt (vgl. BVerwGE 74, 31 (38, 40); vgl. auch BVerwG DVBl. 1986, S., 834 (836...); sie gehören zu dem unentziehbaren Kern seiner Privatsphäre ('privacy'), gehen aber nicht darüber hinaus. Eine Befugnis des Staates zu Eingriffen in diese religiösen Betätigungsformen könnte nur angenommen werden, sofern etwa die besondere Art und Weise des Bekenntnisses oder der Glaubensbekundung in erheblich friedensstörender Weise in die Lebenssphäre anderer Bürger hinübergriffe oder mit dem Grundbestand des ordre public nicht vereinbar wäre (z. B. Witwenverbrennungen oder Kindesopfer). Weitergehende Verbote oder sonst eingreifende Maßnahmen würden die Grenze zur politischen Verfolgung grundsätzlich überschreiten; das gilt jedenfalls dann, wenn sie mit Strafsanktionen für Leib, Leben oder die persönliche Freiheit verbunden sind."
Das Bundesverwaltungsgericht hat - daran anknüpfend - den asylrechtlich geschützten Bereich der Religionsfreiheit in seinem Urteil vom 25. Januar 1995 - 9 C 279.94 -, (Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 176 = juris Rdnr. 13) wie folgt definiert:
"Soweit das Berufungsgericht den von ihm verwerteten Erkenntnismitteln allerdings entnehmen will, daß ,das Schwergewicht des bestraften Verhaltens im nachbarschaftlich-kommunikativen Bereich' gelegen und somit das asylrechtlich geschützte ,forum internum' betroffen habe, liegt dieser Einschätzung offensichtlich eine rechtlich fehlerhafte Abgrenzung des asylrechtlich geschützten Innenbereichs privater Glaubensausübung gegenüber der zwar ebenfalls zur Religionsfreiheit gehörenden, asylrechtlich aber nicht geschützten Außensphäre öffentlicher Glaubensbetätigung zugrunde. So hat etwa das Tragen des Kalima-Abzeichens und das Anbringen der Kalima in einem - jedermann zugänglichen - Geschäft entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Öffentlichkeitsbezug. Das Gleiche gilt für religiöse Diskussionen am Arbeitsplatz, für die Verwendung von Hochzeitskarten - ebenso wie beispielsweise von Geschäftseröffnungsanzeigen - oder für die geschäftliche Benutzung eines Quittungsblocks mit islamischen Aufschriften sowie für die Benutzung des Friedensgrußes, soweit diese Verhaltensweisen - wozu Feststellungen fehlen - nicht ausnahmsweise ausschließlich unter Glaubensgenossen erfolgen..."
Der hier gem. § 60 Abs. 1 S. 5 AufenthG entsprechend anzuwendende Artikel 10 Abs. 1 lit. b QRL hat hingegen folgenden Wortlaut:
"Der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme beziehungsweise Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind".
Aufgrund der vom Gesetzgeber angeordneten entsprechenden Anwendung dieser nach ihrem Wortlaut eindeutigen Bestimmung im Anwendungsbereich des § 60 Abs. 1 S. 1 AufenthG steht zur Überzeugung des erkennenden Senats fest, dass die Flüchtlingseigenschaft nach der Genfer Flüchtlingskonvention nunmehr auch dann zuerkannt werden muss, wenn im Herkunftsland des Flüchtlings zu besorgen ist, dass dessen Religionsausübung (lediglich) im Bereich des "forum externum" ernsthaft beeinträchtigt wird. Dies ist beim Kläger aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten.
Eine direkt vom afghanischen Staat ausgehende oder ihm unmittelbar zurechenbare Verfolgung von Hindus findet allerdings zur Zeit im Herkunftsland des Klägers offenbar nicht statt.
Nach Angaben des Auswärtigen Amts (Lagebericht vom 3. Februar 2009, S. 17) besteht die afghanische Bevölkerung zu 99 % aus Muslimen (84% Sunniten und 15% Schiiten), während die anderen dort vertretenen Glaubensgemeinschaften einschließlich der Christen zusammen nicht mehr als 1% der Bevölkerung ausmachen. Art. 2 der afghanischen Verfassung bestimmt in Abs. 1, dass der Islam Staatsreligion Afghanistans ist. Die in Abs. 2 dieser Bestimmung verankerte Glaubensfreiheit kommt nach dem Wortlaut allerdings nur für die "Anhänger anderer Religionen" (als des Islam) zum Tragen, so dass Glaubensfreiheit, die auch die freie Religionswahl beinhaltet, nicht für Muslime gilt, also für die Bevölkerung insgesamt nur äußerst geringe Bedeutung hat. Den übrigen Glaubensgemeinschaften ist die Religionsausübung auch nur "im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen" erlaubt. Berichte über konkrete staatliche Repressalien gegenüber den im Land verbliebenen wenigen Hindus liegen dem Senat nicht vor. Zwar können Kinder aus Hindu-Familien aus dem nachfolgend noch darzustellenden Gründen staatliche Schulen zur Zeit aus begründeter Angst vor Repressalien muslimischer Mitschüler und Lehrer de facto nicht besuchen und haben dadurch erheblich verminderte Lebenschancen, jedoch kann nicht festgestellt werden, dass dies von staatlichen Stellen initiiert oder gesteuert ist (vgl. hierzu OVG Sachsen, Urteil vom 26. August 2008 - A 1 B 499/07, juris Rdnr. 32 m.w.N.).
Hindus müssen jedoch in Afghanistan derzeit höchstwahrscheinlich mit politischer Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure im Sinne des § 60 Abs. 1 S. 4 lit. c rechnen, ohne dass eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht.
Die wenigen noch in Afghanistan lebenden Hindus sind ihrer wirtschaftlichen Grundlage beraubt und haben keine Möglichkeit, wirtschaftlich auch nur in geringem Umfang Fuß zu fassen. Nach den vorliegenden Auskünften stellt sich die Lage für die dort früher privilegierten Hindus schon seit Anfang der 1990er Jahre als bedroht dar. Damals war nach der Machtübernahme der Mudschaheddin der überwiegende Teil der Hindus aus Afghanistan ausgereist, weil es damals zu Übergriffen gekommen war. So wird von der Tötung zahlreicher Hindus, Geiselnahmen zum Zwecke der Lösegelderpressung, Vergewaltigungen von Frauen, Beschlagnahme von Häusern und sonstigem Eigentum und der Zerstörung von Häusern und Tempeln berichtet (vgl. dazu u.a. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 19. Juni 2008 - 20 A 4676/06.A -, juris Rdnrn. 19 ff.). Überwiegende Ursache dafür war der wirtschaftliche Wohlstand afghanischer Hindus. Die wohlhabenden Hindu-Familien - darunter wohl auch die Eltern und vier Geschwister des Klägers - verließen in dieser Zeit das Land.
Aufgrund der vorliegenden Auskünfte bestehen keine Zweifel an der zutreffenden Einschätzung der derzeitigen Verfolgungssituation durch das Verwaltungsgericht Wiesbaden.
Derzeit leben nur noch sehr wenige Hindus in Afghanistan, und zwar unter Umständen, die der Gutachter Dr. Danesch in einem Schreiben an das Verwaltungsgericht Wiesbaden vom 13. Januar 2006 wie folgt darstellt: "Die Hindus und Sikhs in Afghanistan sind heute in der Tat einer expliziten religiösen Diskriminierung ausgesetzt, die eindeutig zum Ziel hat, sie als religiöse und kulturelle Minderheit innerhalb kürzester Zeit auszulöschen. Ihre Schulen sind geschlossen. Hindus berichteten mir, sie hätten sich nach dem Antritt der Regierung Karsai an das Bildungsministerium gewandt und gebeten, wieder eigene Schulen für ihre Kinder einzurichten und mit Finanzen und Lehrern auszustatten; jedoch ohne die geringste Reaktion".
Die aktuellen wirtschaftlichen und sozialen Lebensverhältnisse der Hindus in Afghanistan sind außerordentlich schwierig.
Dr. Danesch ist in der öffentlichen Sitzung des Hess. VGH am 27. April 2006 in den Verfahren 8 UE 811/05.A und 8 UE 1263/05.A als Sachverständiger vernommen worden und hat dabei dem Senat die Lage der Hindus wie folgt beschrieben: Aufgrund persönlicher Besuche gehe er davon aus, dass in ganz Afghanistan höchstens noch 2.000 Hindus und Sikhs leben, davon ca. 1.000 bis 1.300 in Kabul, und zwar ausschließlich in ihren Tempeln. Dabei handele es sich um zerstörte Anlagen, in denen die Bewohner bei Temperaturen von bis zu minus 15 Grad Celsius im Winter ohne baulichen Schutz leben müssten. Die in den Tempeln lebenden Kinder besuchten keine Schule und würden als Analphabeten aufgezogen, weil sie in den Schulen von Lehrern und Mitschülern geschlagen würden. Auch würde man dort versuchen, sie zum Islam zu bekehren. Ihm seien in letzter Zeit Zwangsverheiratungen junger Mädchen unter 16 Jahren bekannt geworden, die in drei Fällen auch vom obersten Gericht Afghanistans bestätigt worden seien. Ihm sei bekannt, dass einige Hindus nach Afghanistan abgeschoben worden seien und dort in einem der Tempel lebten. Nach seiner Kenntnis erhielten sie keinerlei Unterstützung von irgendwelcher Seite. Nach seiner Einschätzung sei die Situation der Hindus in Afghanistan noch weitaus schlechter als die ebenfalls schwierige Lage der übrigen Bewohner Afghanistans. Sie seien völlig isoliert und hätten keinen Zugang zur Öffentlichkeit. Dies gelte auch für die medizinische Versorgung. Auch ein regulärer Zugang zum Arbeitsmarkt bestehe für sie nicht, es bestehe allenfalls die Möglichkeit, als Tagelöhner am Bau tätig zu sein (Protokoll der öffentlichen Sitzung des Hess. VGH vom 27. April 2006, Vernehmung des Sachverständigen Dr. Danesch).
Im jüngsten Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 03. Februar 2009 heißt es: "Die früher in Kabul lebende Hindu- und Sikh-Minderheit (zusammen deutlich unter ein Prozent der Bevölkerung) gibt sich gegenwärtig praktisch nicht zu erkennen". Weiter wird ausgeführt, nach Angaben des "Dachverbandes der afghanischen Hindus und Sikhs in Deutschland e.V." litten die Gemeinden der Hindus und Sikhs in Afghanistan unter wirtschaftlicher und kultureller Diskriminierung. Im Falle der Zwangsverheiratung von Mädchen und Frauen mit muslimischen Männern sei damit eine automatische Konversion zum Islam verbunden. Solche Fälle seien nicht auszuschließen, zumal von einer allgemeinen gesellschaftlichen Diskriminierung durch die muslimische Mehrheitsbevölkerung auszugehen sei (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 03. Februar 2009, S. 18).
Dr. Danesch stellt in seinem bereits zitierten Schreiben vom 13. Januar 2006 dar, nur in einem Kabuler Stadtteil, im Kart-e Parwan-Tempel, könnten noch religiöse Zeremonien durchgeführt werden, allerdings möglichst verstohlen, um nicht die Aufmerksamkeit der muslimischen Umgebung auf sich zu ziehen (S. 26 ff.). Dieser Tempel sei eine Zuflucht für die Ärmsten geworden. Inmitten des Hofes habe er eine Verbrennungsstätte für die Toten entdeckt, was eigentlich die religiösen Bräuche der Hindus verletze. Ihre traditionellen Verbrennungsplätze außerhalb von Kabul dürften die Hindus aber nicht mehr benutzen. An mehreren Beispielen legt das Gutachten dar, dass - anders, als die Hindus nach dem Amtsantritt der Karsai-Regierung gehofft hatten - auch die heutige Regierung nicht bereit ist, die Enteignungen der Mudschaheddin- und Taliban-Zeit rückgängig zu machen.
Eine geordnete, ungestörte Religionsausübung ist Hindus in Afghanistan, insbesondere in Kabul, nicht mehr möglich. Die wenigen in Afghanistan verbliebenen Hindus reagieren darauf mit "ausgeprägten Vermeidungsstrategien" (OVG Sachsen, a.a.O.), die in dessen zitiertem Urteil vom 26. August 2008 zutreffend beschrieben werden und folgende Auswirkungen für die religiöse Identität der Glaubensgemeinschaft haben (juris Rdnrn. 35 ff.).:
"Die Auskünfte gehen übereinstimmend davon aus, dass die noch in Afghanistan verbliebenen Hindus versuchen, sich nicht als solche zu erkennen zu geben (...). Die meisten Hindu-Mitglieder verzichteten auf das Anbringen des roten Punktes auf der Stirn, damit sie auf der Straße nicht sofort als Personen hinduistischer Religions- und Volkszugehörigkeit erkennbar sind. Zudem verzichteten sie in der Öffentlichkeit aus eben diesem Grund auf den Gebrauch ihrer Sprache (..). Diese Vermeidungsstrategie ist insoweit erfolgreich, als es in den letzten Jahren zu keinen allein an die Ethnie anknüpfenden Übergriffen der muslimischen Bevölkerung gekommen sein soll.
Eine Vermeidungsstrategie afghanischer Hindus wird auch für die Feier von religiösen Festen berichtet. Von dem formalen Recht zur Religionsausübung wird wegen fehlender Toleranz der überwältigenden Mehrheit von Moslems und mangels erreichbarem staatlichen Schutz vor Übergriffen kein Gebrauch gemacht (...). Dies wird damit erklärt, dass es bei größeren Feierlichkeiten zu Ausschreitungen gegenüber den Hindus kam (...). Sofern religiöse Feste in der Öffentlichkeit durchgeführt werden, beschränken sich auf ein Minimum. So hätten in dem Jahr 2005 und 2006 ein oder zwei religiöse Feiern im öffentlichen Raum stattgefunden. Die Feierlichkeiten hätten sich aber dabei auf einen kurzen Straßenabschnitt beschränkt. Eine gemeinsame Durchführung des Visak-Festes in Jalalabad ist heute aus Sicherheitsgründen und aus Angst vor Übergriffen nicht mehr möglich. Es wird daher in jeder Provinz für sich gefeiert. Dabei werden die Feierlichkeiten zudem aus Angst vor Übergriffen zeitlich von 15 Tagen auf einen Tag reduziert. Das Divolifest wird nichtöffentlich begangen (...). Die Durchführung dieser Feste mag im Einzelnen gewissen Variationen unterliegen. Sie werden jedoch traditionell öffentlich begangen und sind ein zentraler Bestandteil der Religionsausübung (...). Der von der moslemischen Mehrheitsgesellschaft faktisch erzwungene Verzicht auf ihre (öffentliche) Durchführung oder auch die massive räumliche und zeitliche Beschränkung dieser Feste als Ausdruck einer Vermeidungsstrategie einer Minderheit stellt eine schwerwiegende Verletzung der afghanischen Hindus in ihrem Recht auf eine freie öffentliche Religionsausübung dar, weil hierdurch massiv in ihr religiöses Selbstverständnis eingegriffen wird (...). Ihre Religionsausübung wird im Wesentlichen nur soweit geduldet, als sie für die moslemische Mehrheitsgesellschaft nicht wahrnehmbar ist."
Demgegenüber bewertet das OVG Nordrhein-Westfalen in seinem Urteil vom 19. Juni 2008 (a.a.O.) bei im Wesentlichen gleicher Tatsachen und- Erkenntnisgrundlage die Situation der Hindus in Afghanistan aufenthaltsrechtlich anders, weil eine durch systematische Vermeidungsstrategien verhinderte politische Verfolgung der potentiellen Opfer nicht relevant sei:
"Derartige Vermeidungstechniken einer Minderheit mit dem Ziel, keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, erreichen nicht ohne Weiteres das Gewicht einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte... (juris, Rdnr. 33).
Die weiterhin aufgezeigten Beeinträchtigungen und Erschwernisse für Hindus stellen sich... als eine dem Minderheitenstatus entsprechende Steigerung der allgemeinen Notlagen dar, bei der schon eine klare Zuordnung zu den Verfolgungsgründen sei es über Rasse, Religion oder soziale Gruppe nicht mehr verlässlich möglich ist. Jedenfalls kann auch unter Berücksichtigung der Möglichkeit einer Verfolgungshandlung durch Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, Art. 9 Abs. 1 Buchst. b) der Qualifikationsrichtlinie, vor dem Hintergrund der insgesamt sehr unsicheren und unzulänglichen Verhältnisse in Afghanistan noch nicht mit dem erforderlichen Grad der Überzeugungsbildung von einer jeden Hindu wegen dieser seiner Eigenschaft treffenden Bedrohung ausgegangen werden. Dabei ist nochmals auf die obigen Ausführungen zum Auf und Ab der Lebensumstände der afghanischen Hindus im Lauf der Jahrzehnte hinzuweisen. Sie haben sich, wenn auch in wechselnder Stärke, aber jedenfalls durchweg als Minderheit unter unterschiedlichsten Bedingungen im Lande gehalten und als solche selbst die Zeit der vollsten Machtentfaltung der Taliban noch überstanden. Die Rahmenbedingungen sind derzeit jedenfalls nicht belastbar schlechter. Das gilt eindeutig für die Behandlung von Regierungsseite. Aber auch für den Bereich der Übergriffe von Privatpersonen, die im Rahmen der Feststellung der Flüchtlingseigenschaft beachtlich sind, ist eine einschneidende Verschlechterung gegenüber den früheren Verhältnissen nicht festzustellen. Zwar mag zu erwägen sein, dass zahlreiche Afghanen, die ins benachbarte Ausland geflohen waren und sich nach ihrer Rückkehr in Kabul niedergelassen haben, nicht aus Kabul stammten und die städtischen Üblichkeiten einschließlich des Zusammenlebens mit Hindus nicht kennen und von daher eher zu einer Verachtung der Hindus und Übergriffen gegen sie geneigt sein könnten; Anhaltspunkte für ein solches Gefährdungspotential wegen Auflösung alter nachbarschaftliches Strukturen ergeben sich aus dem Informationsmaterial aber nicht." (juris Rdnr. 34).
Diese Ausführungen des OVG Nordrhein-Westfalen überzeugen nicht. Sie verwechseln Ursache und Wirkung. Zudem gehen sie ungeprüft und stillschweigend von der nicht tragfähigen These aus, die als Vermeidungsstrategien erkannten Verhaltensweisen der hier betroffenen religiösen und ethnischen Minderheit seien ihr trotz ihrer identitätsvernichtenden Wirkungen auch unter Geltung des nunmehr maßgebenden Schutzstandards des Art. 10 Abs. 1 lit. b QRL auf Dauer zumutbar. Der erkennende Senat teilt diese Einschätzung nicht und schließt sich deshalb der überzeugend begründeten Auffassung des OVG Sachsen in dessen mehrfach zitierten Urteil vom 26. August 2008 an.
Wie bereits das Verwaltungsgericht Wiesbaden zutreffend dargelegt hat, dürfen afghanische Hindus weder in Kabul noch in anderen Orten die rituellen Vorschriften ihres Glaubens über die Verbrennung der Toten in nennenswertem Umfang befolgen. Darüber hinaus fristen sie ein Leben in unsäglichem Elend, was von Regierung und Behörden durchaus in Kauf genommen wird. Der Kläger wäre deshalb im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auch akut in den Rechtsgütern Leben und Freiheit wegen seiner Religion und seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit bedroht. Hinzu kommt, dass er Analphabet ist und die Amtssprache Dari nur sprechen, aber nicht lesen und schreiben kann. Aufgrund seiner zurückgezogenen Lebensweise im Hause seines Onkels ohne nennenswerte Außenkontakte hat er nicht gelernt, sich in einem schwierigen und wegen seiner Religionszugehörigkeit feindlichen Umfeld zu behaupten und so - weit gehend auf sich allein gestellt - seinen notwendigsten Lebensunterhalt zu verdienen. Für die Annahme des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge im angegriffenen Bescheid, dass noch Angehörige des Klägers in Kabul leben, die ihm bei einer Rückkehr aus dem Ausland beistehen würden, fehlt jeder Anhaltspunkt. Auch der im Berufungsverfahren vorgelegte Brief eines "Onkels" ist kein Indiz für die Anwesenheit von Familienangehörigen des Klägers in Afghanistan. Denn wie der zu dem Brief gehörige, in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Briefumschlag und die darauf befindliche Namensangabe des Absenders zeigt, führt dieser den Titel "Hadschi" und ist damit als Moslem zu identifizieren, der schwerlich zum Familienverband des Klägers gehören kann, zumal auch keine Namensgleichheit besteht.
Es ist daher damit zu rechnen, dass der Kläger auch aus diesen persönlichen Gründen bei einer Rückkehr in sein Heimatland alsbald in existenzielle Not geriete und aufgrund seiner Religionszugehörigkeit keine Chance hätte, die für ein Überleben notwendige Lebenshilfe bei staatlichen oder privaten Stellen zu finden, zumal er auch nach seinem äußeren Erscheinungsbild deutlich als ethnischer Hindu erkennbar ist.
Die in zweiter Instanz entstandenen Kosten hat die Beklagte zu tragen, weil ihr Rechtsmittel erfolglos bleibt (§ 154 Abs. 2 VwGO). Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylVfG)
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit und die Abwendungsbefugnis beruht auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO).
Die Revision ist zuzulassen, denn die Rechtssache hat hinsichtlich der Folgen der Neufassung des § 60 Abs. 1 AufenthG für den Umfang des Schutzbereichs dieser Norm bei drohender Verfolgung aus religiösen Gründen grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), zumal mit den zitierten Urteilen des OVG Nordrhein-Westfalen vom 19. Juni 2008 - 20 A 4676/06.A - und des OVG Sachsen vom 26. August 2008 - A 1 B 499/07 - divergierende Entscheidungen zweier Oberverwaltungsgerichte zur Verfolgungssituation von Hindus in Afghanistan aus jüngerer Zeit vorliegen.
Ende der Entscheidung
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