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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 05.02.2009
Aktenzeichen: 8 A 1194/06
Rechtsgebiete: TierSchG


Vorschriften:

TierSchG § 11 b
Bei der Züchtung der Hausentenrasse "Landenten mit Federhaube" muss damit gerechnet werden, dass bei der Nachzucht erblich bedingt Defekte und Verhaltensauffälligkeiten auftreten, die ein Zuchtverbot rechtfertigen.
HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

8 A 1194/06

Verkündet am 5. Februar 2009

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Tierschutzes

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 8. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Höllein, Richter am Hess. VGH Jeuthe, Richterin am Hess. VGH Dr. Lambrecht, ehrenamtliche Richterin Reifenberg, ehrenamtliche Richterin Mörchen

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 5. Februar 2009 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 26. September 2005 - 10 E 1029/05 - wird zurückgewiesen.

Die in zweiter Instanz entstandenen Kosten hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, sofern nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen das Verbot, Landenten mit Federhaube zu züchten.

Der Kläger züchtete seit 1998 Landenten mit Haube. Mit Bescheid vom 11. November 2002 untersagte der Landrat des Vogelsbergkreises dem Kläger diese Zucht, insbesondere mit den im Besitz des Klägers befindlichen Landenten. Der Sofortvollzug wurde angeordnet. Zur Begründung wurde angeführt, die Voraussetzungen des § 11b Abs. 1 und 2 TierSchG seien erfüllt, da bei der Züchtung von Enten mit dem Merkmal "Federhaube", häufiger als es zufällig zu erwarten wäre, kranio-zerebrale Missbildungen (Schädeldefekte, intrakraniale Lipome, Hirndeformationen, Hirnbrüche) aufträten. Das Gehirn sei in diesen Fällen umgestaltet und nicht mehr tauglich, bestimmungsgemäße Funktionen auszuüben, wodurch den Tieren Leiden und Schmerzen zugefügt würden. Die bei Haubenenten auftretenden körperlichen Defekte seien seit dem allgemein zugänglichen Gutachten des Bundesministeriums für Landwirtschaft (BML) von 1999, insbesondere aber seit dem Vorliegen des Abschlussberichts von Bartels und Kummerfeld zum Forschungsauftrag 96/HS/046/2002, bekannt. Zur weiteren Darstellung wird auf die Begründung des Bescheids vom 11. November 2002 verwiesen.

Gegen den Bescheid hat der Kläger - entsprechend der dem Bescheid beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung - am 11. Dezember 2002 vor dem Verwaltungsgericht Gießen Klage erhoben. Nach einer die Rechtsbehelfsbelehrung korrigierenden Mitteilung des Beklagten wurde das Ruhen des Verfahrens beantragt, um zunächst das Vorverfahren durchzuführen. Mit Beschluss vom 20. März 2003 wurde das Ruhen des Verfahrens angeordnet.

Am 12. Februar 2003 stellte der Kläger einen Antrag auf Gewährung von Eilrechtsschutz. Mit Beschluss vom 14. April 2003 - 10 G 417/03 - lehnte das Verwaltungsgericht Gießen den Antrag ab, die dagegen eingelegte Beschwerde wies der Hessische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 26. Juni 2003 - 11 TG 1262/03 - zurück.

Mit Widerspruchsbescheid vom 25. August 2003 wies das Regierungspräsidium Gießen den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid des Landrates des Vogelsbergkreises vom 11. November 2002 zurück. Mit Schriftsatz vom 15. April 2005 nahm der Kläger das Verfahren wieder auf, welches dann unter dem Az.: 10 E 1029/05 geführt wurde. Mit Urteil vom 26. September 2005, dem Bevollmächtigten des Kläger zugestellt am 21. Oktober 2005, hat das Verwaltungsgericht Gießen die Klage abgewiesen. Auf dieses Urteil wird wegen des erstinstanzlichen Vorbringens der Beteiligten einschließlich ihrer gestellten Anträge und zur Darstellung der Entscheidungsgründe Bezug genommen.

Mit Schriftsatz vom 17. November 2005, bei dem Verwaltungsgericht eingegangen am 18. November 2005, beantragte der Kläger die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil. Durch Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 15. Mai 2006, dem Bevollmächtigten des Klägers zugestellt am 18. Mai 2006, wurde die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 26. September 2005 zugelassen.

Der Kläger hat die Berufung mit einem am 12. Juni 2006 beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof eingegangenen Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 08. Juni 2006 damit begründet, in dem angegriffenen Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen werde der Gesetzeswortlaut des § 11b TierSchG missachtet, weil die nicht geschlossene Schädeldecke als Schaden im Sinne des Gesetzes eingestuft werde, obwohl weder in dem Forschungsbericht noch sonst belegt sei, dass eine nicht arttypische Beeinträchtigung der Tiere durch die nicht geschlossene Schädeldecke gegeben sei. Vorgefundene Schädigungen könnten auch andere Ursachen haben, als den in dem Gehirn vorhandenen Fettkörper. Außerdem habe das Verwaltungsgericht die quantitative Häufigkeit von genetisch bedingten Fehlbildungen nicht untersucht. Diese Häufigkeit sei nun gerade bei den Landenten mit Haube nicht gegeben. Im Vergleich zu anderen Hausentenrassen seien bei den Landenten mit Haube keine vermehrten Ausfallerscheinungen zu beobachten. Gelegentlich auftretende Gleichgewichtsstörungen ließen sich zurückdrängen, wie neuere Untersuchungen der Dipl.-Biologin Dr. Julia Cnotka ergeben hätten. Sie habe für die Zucht der Landenten mit Haube einen einfachen Umdrehtest entwickelt, der für den Züchter schnelle Anhaltspunkte für die Zusammenstellung einer Zuchtgruppe ergebe. Bei dem Umdrehtest würden halbwüchsige Landenten mit Haube auf den Rücken gelegt. Solche Tiere, die innerhalb von zwei Sekunden wieder "auf die Beine kämen", könnten in die Zuchtgruppe aufgenommen werden. Tiere, die längere Zeit benötigten, seien auszuschließen. Eine erste Brut ohne Umdrehtest habe im Jahre 2004 ein Schlupfergebnis von durchschnittlich 64% ergeben. Die zweite Brut nach dem Umdrehtest habe bereits eine deutliche Steigerung des Schlupfergebnisses auf 86% erbracht. Damit entfalle sogleich das Tatbestandsmerkmal des § 11b TierSchG, wonach mit bestimmten Umständen "gerechnet" werden müsse. Auch könne nicht von einer Beweislastumkehr ausgegangen werden, wie das Verwaltungsgericht Gießen sie zugrunde lege. Der Züchter müsse nicht beweisen, dass die Zucht nicht tatbestandsmäßig im Sinne des Tierschutzgesetzes sei. Eine statistische Auswertung der Ergebnisse des Forschungsauftrags 96 HS 046 sei bislang seitens des Beklagten nicht vorgelegt worden. Gerade der Erbgang der Landenten mit Haube sei nicht publiziert worden. Dass etwaige Anomalien genetisch bedingt seien, sei nicht nachgewiesen. Der Forschungsbericht erschöpfe sich in Vermutungen, statt verlässliche Feststellungen zu treffen. Auch seien die Herangehensweisen im Forschungsbericht mangelhaft. Eine im niedersächsischen Teufelsmoor vorkommende freilebende Entenpopulation mit Haube sei in dem Bericht nicht erwähnt worden. Schließlich seien in der Wissenschaft auch weitere Bedenken gegen die Ergebnisse des Forschungsauftrages 96 HS 046 vorgebracht worden. So sei Prof. Dr. Bessei vom Institut für Tierhaltung und Tierzüchtung der Universität Hohenheim zu dem Ergebnis gekommen, mittels des Forschungsauftrages könne keine Aussage über die hinreichende Wahrscheinlichkeit von Anomalien in der Grundgesamtheit der Haubenenten getroffen werden, da die Vorgehensweise bei den Untersuchungen nicht zu repräsentativen Erkenntnissen habe führen können. Auch Diplompsychologin Kart vom Institut für Physiologische Psychologie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf bemängele die Art und Weise des Vorgehens. Die inzwischen veröffentlichte Dissertation von Frau Dr. Cnotka könne nicht zum Beweis für die erbliche Bedingtheit bestimmter Anomalien herangezogen werden. Eine solche Beweisführung sei gar nicht Ziel der Dissertation gewesen. Vielmehr sollte ein Testverfahren entwickelt werden, welches die Auswahl von Zuchttieren ohne Verhaltensauffälligkeiten oder -störungen erleichtere. Soweit in die Untersuchung auch im Ei abgestorbene Embryonen einbezogen worden seien, erfüllten diese bereits nicht den Tatbestand des § 11b TierSchG. Die Arbeit komme zu dem Ergebnis, dass ein im Gehirn vorhandener Fettkörper an sich keine Beeinträchtigung für das Tier auslöse. Erst ab einer bestimmten Größe des Fettkörpervolumens müsse von Problemen für die Tiere ausgegangen werden. Fettkörper verschiedenster Größe seien sowohl bei haubentragenden als auch bei glattköpfigen Tieren gefunden worden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 26. September 2005 - 10 E 1029/05 - und den Bescheid des Berufungsbeklagten vom 11. November 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Gießen vom 25. August 2003 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Mit Schriftsatz vom 30. August 2006 wird ausgeführt, es sei die Rechtsfrage zu klären, was unter dem Tatbestandsmerkmal des § 11b Abs. 1 TierSchG "wenn damit gerechnet werden muss" zu verstehen sei. Das Verwaltungsgericht Gießen habe in seinem Beschluss vom 14. April 2003 - 10 G 417/03 - ausgeführt, eine Qualzucht sei gegeben, wenn für das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen eine hinreichende Wahrscheinlichkeit bestehe. Außerdem könnten auch die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil vom 16. März 2004 (NVwZ 2004, 597,602 f.) für das vorliegende Verfahren nutzbar gemacht werden. Die hinreichende Wahrscheinlichkeit tierschutzwidriger Folgen sei im Zusammenhang mit der Züchtung von Landenten mit Hauben in wissenschaftlich fundierter Weise nachgewiesen worden. Daher sei es Aufgabe des Klägers als Züchter, diese hinreichende Wahrscheinlichkeit durch fachlich qualifizierte Belege zu entkräften oder zu erschüttern. Die von dem Kläger herangezogenen wissenschaftlichen Nachweise genügten dazu nicht. Hingegen sei das Ergebnis des Forschungsauftrages 96 HS 046 vor der Annahme durch das Fachministerium von einem unabhängigen Gremium in der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung ausdrücklich geprüft und für gut befunden worden, was sich aus der Stellungnahme der hessischen Landesbeauftragten für Angelegenheiten des Tierschutzes vom 19. Juli 2006 ergebe. Das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft gehe in seinem Erlass vom 31.01.2002 unter anderem davon aus, dass sich die Schadwirkung des Haubengens nicht durch geeignete züchterische Maßnahmen wie einer Verpaarung von Merkmalsträgern mit Nichtmerkmalsträgern eliminieren lasse. Die Liste der einschlägigen Veröffentlichungen reiche von 1910 bis 2006 und belege, dass es sich bei den diagnostizierten Fehlbildungen keineswegs um seltene Ausnahmeerscheinungen handele, sondern um Defekte, mit denen die Züchter rechnen müssten. Die Einschätzung des 11. Senats in dem Zulassungsbeschluss vom 15. Mai 2006, verschiedene wissenschaftliche Sachverständige stünden sich auf gleicher "Augenhöhe" gegenüber, bedürfe der inhaltlichen Überprüfung und der Korrektur. Der Forschungsauftrag habe mit seinen wissenschaftlichen Ergebnissen den jahrzehntealten Befund bestätigt, dass die Züchter von Haubenenten mit Defekten rechnen müssten. Zu diesem Ergebnis komme letztlich auch die Dissertation von Frau Dr. Cnotka. Sie weise unter anderem darauf hin, ihre Untersuchungen hätten ergeben, dass bei den nicht geschlüpften Küken der Grund des Steckenbleibens im Ei durch die beobachteten Missbildungen in den meisten Fällen offensichtlich gewesen sei und nicht auf äußere Umstände zurückgeführt werden könne.

Dem Senat liegen die Beiakten des Beklagten (3 Hefter), die im erstinstanzlichen Urteil verwerteten Sachverständigengutachten sowie die Dissertation von Frau Dr. Cnotka zum Thema "Hirnveränderungen bei domestizierten Landenten" vor, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden sind.

Entscheidungsgründe:

Die mit Beschluss vom 15. Mai 2006 - 11 UZ 3030/05 - zugelassene Berufung ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht begründet worden (§§ 124a Abs. 3 Satz 3 bis 5, Abs. 6 VwGO).

Die Berufung ist jedoch nicht begründet, denn das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Nach den dem Senat vorliegenden Untersuchungsberichten zur Zucht von Landenten mit Haube muss damit gerechnet werden, dass bei der Nachzucht erblich bedingt Körperteile oder Organe für den artgemäßen Gebrauch fehlen oder untauglich oder umgestaltet sind und hierdurch Schäden auftreten (§ 11b Abs. 1 TierSchG) und dass bei den Nachkommen mit Leiden verbundene erblich bedingte Verhaltensstörungen auftreten (§ 11b Abs. 2 TierSchG). Das in § 11 b Abs. 1 und 2 TierSchG normierte Zuchtverbot für Wirbeltiere ergreift unter den in den Vorschriften geregelten Voraussetzungen auch natürlich entstandene körperliche Anomalien und Merkmale, die früher als anerkannte Art- oder Rassemerkmale angesehen und deshalb in Züchtungen angestrebt worden sind. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die Verbotstatbestände Ausdruck eines gewandelten Verständnisses über die Bedeutung des Tierschutzes sind, wonach die den Tieren in Rassezuchten zugemuteten körperlichen Belastungen nicht mehr hingenommen werden sollen. Diese Sichtweise wird durch die verfassungsrechtliche Verankerung des Tierschutzes in Art. 20a GG nachhaltig untermauert. Ein Vertrauenstatbestand, der es Züchtern ermöglichen könnte, jedenfalls seit langem unbeanstandet praktizierte Zuchtformen weiterzuführen, besteht unter diesen Umständen nicht (vgl. den im vom Kläger betriebenen Eilverfahren ergangenen Beschluss des Hess. VGH vom 26. Juni 2003, - 11 TG 1262/03 -, RdL 2003, 277).

Bei Landenten mit Federhaube sind über einen langen Zeitraum hinweg Auffälligkeiten beobachtet worden, wie z. B. Bewegungsstörungen in Form von Schwanken, Torkeln oder Niederstürzen. Gerichtetes Geradeausgehen bereitet Probleme, weiterhin das Ausführen von Komfortverhalten wie Schütteln und Putzen (vgl. dazu Cnotka, S. 83). In der Literatur wurde über dieses Thema bereits im Jahre 1910 berichtet (Krautwald, F., Die Haube der Hühner und Enten), weitere Veröffentlichungen erfolgten 1932 (Rüst, W., Lethalfaktoren und unvollkommene Dominanz bei Haubenenten), 1959 (Requate, H., Federhauben bei Vögeln) und in größerer Zahl ab 1998. In neueren Untersuchungen sind Schädeldefekte, Fetteinlagerungen im Gehirn, Hirndeformationen und Hirnbrüche festgestellt worden. Der Beklagte und die Widerspruchsbehörde haben sich in nicht zu beanstandender Weise bei der Verhängung eines Zuchtverbotes gegen den Kläger wesentlich auf die Ergebnisse des Abschlussberichts zum Forschungsauftrag 96 HS 046 gestützt, der die Untersuchung zur Haubenbildung bei Hausenten im Hinblick auf "Anatomie, Morphologie, Merkmalsvererbung und Tierschutzrelevanz" zum Gegenstand hatte, sowie auf das Gutachten zur Auslegung von § 11b TierSchG vom 02. Juni 1999. Der Abschlussbericht zu dem vorgenannten Forschungsauftrag gelangt auf der Grundlage von Untersuchungen, die an Nachkommen von Kreuzungen und Rückkreuzungen von haubentragenden Enten und anderen Enten vorgenommen wurden, zu der abschließenden Feststellung, dass Hausenten mit Federhaube unverhältnismäßig häufig cranio-cerebrale Missbildungen (Calvaria-Defekte, Hirndeformationen infolge intracranialer Fetteinlagerungen, (Meningo)-Enzephalozelen) aufwiesen, die zweifelsfrei als pathologische Organveränderungen und als Schäden im Sinne von § 11b TierSchG anzusehen seien.

Dagegen überzeugen die von dem Kläger geltend gemachten grundlegenden Bedenken gegen die bei den Untersuchungen im Rahmen des Forschungsauftrages angewandte Methodik nicht. Zwar wird in einer Stellungnahme von Prof. Dr. Bessei vom Institut für Tierhaltung und Tierzüchtung der Universität Hohenheim vom 21. Oktober 2004, ergänzt durch Schreiben vom 26. September 2006, und von Diplompsychologin Kart vom Institut für Physiologische Psychologie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf ohne Datum bemängelt, es habe an einer repräsentativen Auswahl der für die Weiterzucht verwendeten Haubenenten gefehlt. Die Tiere seien lediglich aus 4 von insgesamt 43 Beständen von Haubenenten in Deutschland entnommen worden. Überdies seien für die Analyse bewusst Elterntiere ausgewählt worden, bei denen das Auftreten von Schäden bei den Nachkommen zu erwarten gewesen sei. Ferner seien prämierte Ausstellungstiere ersteigert worden, die weder die 4 ausgesuchten Bestände noch etwa die Gesamtpopulation repräsentieren könnten. Allerdings führt weder diese Kritik an der Vorgehensweise noch etwa das von dem Kläger bemängelte fehlende Eingehen auf eine haubentragende Entenpopulation im niedersächsischen Teufelsmoor dazu, dass die Ergebnisse des Abschlussberichts zum Forschungsauftrag 96 HS 046, wonach bei der Nachzucht der Landenten mit Haube Gehirnmissbildungen auftreten können, nicht zur Beurteilung der hier maßgeblichen Frage herangezogen werden könnten.

Für die Annahme der Verbotswidrigkeit einer züchterischen oder bio- oder gentechnischen Maßnahme nach § 11 b Abs. 1 TierSchG bedarf es keiner abschließend gesicherten oder unumstrittenen wissenschaftlichen Erkenntnisse. Allerdings müssen zumindest verlässliche Anhaltspunkte oder Prognosen über das Auftreten nachteiliger organischer Veränderungen als erblich bedingte Folgen der Zucht vorhanden sein. Der Tatbestand des § 11 b TierSchG erfordert, dass mit dem Auftreten der genannten Merkmale "gerechnet werden muss". Das ist der Fall, wenn es sich um nicht fernliegende, sondern realistische Möglichkeiten handelt. Ob die Folge tatsächlich eintritt, ist unerheblich. Maßgeblich sind die objektiven Verhältnisse (Lorz/Metzger, TierSchG, 6. Aufl. 2008, § 11b, Rn. 5; Goetschel, in: Kluge, TierSchG, 1. Aufl. 2002, § 11b, Rn. 15; Hirt, Maisack, Moritz, TierSchG, 2. Aufl. 2007, § 11b, Rn. 6). Bereits aus der Entstehungsgeschichte des § 11b TierSchG ergibt sich, dass mit dem Merkmal "gerechnet werden muss" ein weit auszulegender Begriff gemeint ist, der nicht an wissenschaftlich abschließend gesicherte Erkenntnisse anknüpfen sollte. So lautete § 11b TierSchG in der Gesetzesfassung vom 01. Januar 1987 wie folgt: "Es ist verboten, Wirbeltiere zu züchten, wenn der Züchter damit rechnen muss, dass bei der Nachzucht auf Grund vererbter Merkmale Körperteile oder Organe für den artgemäßen Gebrauch fehlen oder untauglich oder umgestaltet sind und hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten". Zur Begründung des Gesetzentwurfs wurde angeführt, es sei geboten, gegen sogenannte Qualzüchtungen einzuschreiten, bei denen Veränderungen von Körpermerkmalen bestimmter Haustiere bewusst in Kauf genommen oder gar gefördert würden, obwohl sie für die betroffenen Tiere mit Schmerzen, Leiden oder Schäden verbunden sein könnten (vgl. Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 10. April 1985 BT-Drs. 10/3158, S. 27).

Die verschiedenen Defekte und Verhaltensauffälligkeiten bei Landenten mit Haube sind von allen genannten Wissenschaftlern unabhängig voneinander über einen langen Zeitraum hinweg beobachtet worden, so dass von der naheliegenden Möglichkeit des erneuten Auftretens von Defektmerkmalen bei den Nachkommen im Falle der Verpaarung von Tieren auszugehen ist. Auch von einer erblichen Bedingtheit der Merkmale ist auszugehen. Etwa zunächst noch vorhandene Zweifel sieht der Senat als im Berufungsverfahren ausgeräumt an. Die inzwischen vorliegende Dissertation der Dipl.-Biologin Dr. Cnotka mit dem Thema "Hirnveränderungen bei domestizierten Landenten (Anas platyrhynchos f.d.) - morphometrische und ethologische Untersuchungen" kommt zu dem Ergebnis, dass die in früheren Befunden über Landenten ermittelten Aussagen sich teilweise bestätigt hätten. Sowohl motorische Koordinationsschwierigkeiten als auch Hirn- und Schädeldefekte seien beobachtet worden, ebenso intrakraniale Fettkörper und Missbildungen an Küken (Cnotka, S. 103). Die beobachteten pathologischen Veränderungen bei den nichtgeschlüpften Küken könnten nicht auf Technopathien zurückgeführt werden, da sie als genetisch determiniert belegt seien. Der Grund des Steckenbleibens sei durch die beobachteten Missbildungen in den meisten Fällen offensichtlich gewesen und könne nicht auf äußere Faktoren zurückgeführt werden (Cnotka, S. 88,89). Dem Einwand des Klägers, im Ei abgestorbene Embryonen erfüllten bereits nicht den Tatbestand des § 11b TierSchG, kann nicht gefolgt werden. Wie bereits in dem Beschluss des Hess. VGH vom 26. Juni 2003 -11 TG 1262/03- ausgeführt wurde, sind auch ungeborene bzw. noch nicht geschlüpfte Tiere nach Vollendung des Entwicklungsstadiums der Organogenese zu den Nachkommen zu rechnen. Dass es sich bei den nicht geschlüpften Küken um Tiere in diesem Sinne handelt, ergibt sich aus den Ausführungen von Cnotka. Es heißt dort: " Dass sich die von Encephalocelen betroffenen Küken bis zur Schlupfreife entwickelt haben, entspricht den Untersuchungen von Zanata (1997), der sowohl bei Enten als auch bei Hühnern festgestellt hat, dass sich Encephalocelen erst ziemlich spät in der Entwicklungsphase ausbilden und eng mit Entwicklungsstörungen der Schädelknochen verbunden sind" (Cnotka, S. 89).

Zwar führt Cnotka weiter aus, nicht bestätigt habe sich, insbesondere in den Versuchsjahren 2005 und 2006, die von Bartels et al. formulierte hohe prä- und postnatale Sterberate, was auf optimale Brutbedingungen zurückgeführt wird. Ebenso wenig könne die Auffassung dieser Autoren geteilt werden, selbst bei adäquater Zuchtauslese sei ein Herauszüchten der negativen Eigenschaften nicht möglich. Allerdings habe Bartels et al. in seinen Untersuchungen nicht ausschließen können, dass beobachtete negative Merkmale nur auf wenige Ausnahmetiere oder sogar die Vergleichstiere zurückzuführen sei. Die mit der Dissertation erhobenen Befunde machten deutlich, dass es starke individuelle Unterschiede zwischen den Tieren geben könne, was die Vererbung negativer Merkmale angehe. Deshalb müsste die genaue Abstammung bekannt sein, um diese Tiere auszuselektieren. Eine Untersuchung des genauen Erbgangs mit der zuständigen Anzahl an verantwortlichen Genen stehe jedoch noch aus (Cnotka, S. 103). Dies führt jedoch nicht zu einer anderen Bewertung durch den Senat, denn derzeit ist mit dem Auftreten von Defektmerkmalen zu rechnen und es gibt keine verlässlichen Anhaltspunkte dafür, dass sich daran in absehbarer Zeit etwas ändern könnte. Der Senat teilt die Ansicht des Klägers nicht, die Dissertation von Frau Dr. Cnotka könne nicht zur richterlichen Überzeugungsbildung für die erbliche Bedingtheit bestimmter Anomalien und die Entbehrlichkeit eines weiteren Sachverständigengutachtens herangezogen werden, da eine solche Beweisführung nicht Ziel der Dissertation gewesen sei. Es handelt sich um eine umfangreiche wissenschaftliche Untersuchung, die sich gerade den beobachteten Hirnveränderungen bei Landenten widmet. Wenn es auch Ziel der Arbeit war, ein Testverfahren für die Auswahl von Zuchttieren ohne Verhaltensauffälligkeiten oder -störungen zu entwickeln, so erfolgte parallel dazu auch eine "anatomisch basierte Kausalanalyse der Verhaltensstörungen" (Cnotka, S. 22). In der Zusammenfassung heißt es: "Die Hausentenrasse "Landente mit und ohne Haube" zeigt regelmäßig hohe prä- und postnatale Sterberaten sowie Schädelanomalien, intrakraniale Fettkörper und motorische Störungen, die insgesamt als tierschutzrelevant angesehen werden ("Qualzucht")" (Cnotka, S. 110). Wenn auch im Rahmen des Versuchs bei der Zucht mit "vorselektierten Tieren" eine Erhöhung der Schlupfrate von 64% auf 86% erreicht wurde und der Anteil an Tieren mit Schädelanomalien von 62% auf 36% zurückging (Cnotka, S. 110), so belegt doch die Dissertation wissenschaftlich eine immer noch hohe Zahl an geschädigten Tieren trotz optimaler Zuchtbedingungen. Diese Ergebnisse können nicht deshalb unbeachtet bleiben, weil ihre Erhebung nicht eigentliches Ziel der Untersuchung war.

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist durch die angefochtene Entscheidung nicht verletzt worden. Den Belangen des Tierschutzes ist der Vorrang einzuräumen gegenüber den Interessen des Klägers an der Verfolgung einer Hobbytierzucht.

Die in zweiter Instanz entstandenen Kosten hat der Kläger zu tragen, weil sein Rechtsmittel erfolglos bleibt (§ 154 Abs. 2 VwGO).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit und die Abwendungsbefugnis ergibt sich aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist zuzulassen wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache (§ 132 Abs. 1, 2 Nr. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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