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Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 05.02.2009
Aktenzeichen: 8 A 1559/07
Rechtsgebiete: GG, IHKG


Vorschriften:

GG Art. 2 Abs. 1
IHKG § 1 Abs. 1
1. Die freiheitssichernde Funktion der Kompetenzabgrenzung für öffentlich-rechtliche Zwangsverbände erfordert eine Präzisierung der allgemeinen Aufgabenzuweisung an Industrie- und Handelskammern für solche Bereiche, in denen Belange der gewerblichen Wirtschaft nur am Rande berührt sind (Fortentwicklung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Urteil vom 19. September 2000 - 1 C 29/99 - BVerwGE 112 S. 69 ff.).

2. Bei nicht zum Kernbereich der Wirtschaftspolitik gehörenden öffentlichen Angelegenheiten wird der zulässige Umfang und das zulässige Gewicht der Betätigung von Industrie- und Handelskammern umso stärker begrenzt und haben sie sich mit Aktivitäten und Stellungnahmen umso mehr zurückzuhalten, je "ressortferner" der fragliche Politikbereich ist und je geringer und mittelbarer gewerbliche Belange am Rande berührt werden.

3. In den für sie "fremden" Bereichen sind die Industrie- und Handelskammern regelmäßig nur befugt, Auswirkungen auf die gewerbliche Wirtschaft geltend zu machen, nicht aber, konkrete und ins Einzelne gehende Lösungsvorschläge zu unterbreiten oder Forderungen zu stellen, die eine Abwägung auch mit anderen als wirtschaftlichen Belangen erfordern.


HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

8 A 1559/07

Verkündet, am 5. Februar 2009

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Rechts der Industrie- und Handelskammern/Abwehranspruch gegen Kompetenzüberschreitung

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 8. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Höllein, Richter am Hess. VGH Jeuthe, Richterin am Hess. VGH Dr. Lambrecht, ehrenamtliche Richterin Reifenberg, ehrenamtliche Richterin Mörchen

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 5. Februar 2009 für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Kassel vom 30. Januar 2007 - 3 E 2253/04 - abgeändert.

Es wird festgestellt, dass die Abgabe der in Nrn. 4, 5, 8, 9 und in Satz 2 der Nr. 6 des Klageantrags wiedergegebenen Erklärungen und Stellungnahmen aus dem Grundsatzpapier "Gewerbe- und Industriestandort Hessen" der Arbeitsgemeinschaft hessischer Industrie- und Handelskammern vom 15. Juli 2004 rechtswidrig gewesen ist.

Die Beklagte und die Klägerin haben jeweils die Hälfte der Kosten des erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der jeweilige Vollstreckungsgläubiger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die klagende GmbH betreibt in A-Stadt ein Reisebüro und ist Mitglied in der beklagten Industrie- und Handelskammer (im Folgenden: IHK) A-Stadt. Sie wendet sich gegen Erklärungen und Stellungnahmen der Beklagten, weil diese damit ein allgemeinpolitisches Mandat für sich in Anspruch nehme.

Bereits mit einer im März 2003 erhobenen Klage hatte die Klägerin die Rechtswidrigkeit einer Beteiligung der Beklagten an der für Ausbau und Betrieb des Verkehrslandeplatzes A-Stadt/C. errichteten Flughafen GmbH A-Stadt geltend gemacht. Nachdem die Beklagte aus der Flughafen GmbH ausgeschieden war, war das Verfahren nach übereinstimmenden Erledigungserklärungen mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Kassel vom 30. Juli 2004 - 3 E 727/03 - eingestellt worden; wegen der Klaglosstellung waren die Verfahrenskosten der Beklagten auferlegt worden.

Anfang September 2004 veröffentlichte die "Arbeitsgemeinschaft hessischer Industrie- und Handelskammern" (im Folgenden: AG IHKn), in der auch die Beklagte Mitglied ist, das in der Plenarversammlung der AG IHKn vom 15. Juni 2004 von den Präsidenten und Hauptgeschäftsführern der Industrie- und Handelskammern (im Folgenden: IHKn) verabschiedete Grundsatzpapier "Gewerbe- und Industriestandort Hessen", das sich nach dem Vorwort mit konkreten Forderungen in sechs Handlungsfeldern, nämlich in der Bildungs- und Forschungspolitik, der Umwelt- und Energiepolitik, der Verkehrspolitik sowie der Raumordnungs- und Planungspolitik, an die hessische Landesregierung richtete und dem die sog. "Limburger Erklärung" als thesenartige Zusammenfassung vorangestellt war.

Die Veröffentlichung des Grundsatzpapiers teilte die Beklagte dem Geschäftsführer der Klägerin unter dem 2. September 2004 mit u.a. folgenden Anmerkungen mit: In diesem Papier bezögen die hessischen IHKn zu sechs Handlungsfeldern deutlich Position. Daraus ergäben sich konkrete Forderungen an die hessische Landesregierung. Bewusst sei von Bezügen auf tagesaktuelle Diskussionsthemen abgesehen worden, damit das Grundsätzliche der Aussagen deutlicher herausgestellt werde und sie auch als Prüfsteine für spätere Regierungen benutzt werden könnten. Auch für das politische Handeln auf regionaler und kommunaler Ebene sowie an den Handlungsorten Berlin und Brüssel seien die Aussagen von Bedeutung. Die hessischen IHKn würden die zu den einzelnen Handlungsfeldern gemachten Aussagen zukünftig immer wieder an konkreten Vorgängen aufgreifen.

Der Geschäftsführer der Klägerin wandte sich gegen diese "allgemeinpolitischen Äußerungen", die zudem ohne kammerinterne Legitimation erfolgten und die "Bandbreite der unterschiedlichen Interessen der in der IHK zwangsvereinigten Mitgliedsunternehmen" nicht abdeckten, und forderte die Unterlassung jeder Aktivität und Finanzierung im Zusammenhang mit dem Grundsatzpapier sowie die Tilgung von Hinweisen auf die IHK A-Stadt.

Nachdem die Beklagte dies abgelehnt hatte, hat die Klägerin am 15. September 2004 die vorliegende Klage erhoben, die zunächst auf die Feststellung gerichtet war, dass die Veröffentlichung und Verbreitung der "Limburger Erklärung" und insbesondere des Grundsatzpapiers "Gewerbe- und Industriestandort Hessen" die Rechte der Klägerin als Mitglied der Beklagten und die Rechte ihres Geschäftsführers als Mitglied der Vollversammlung der Beklagten verletzten und daher zu unterlassen seien.

Zur Begründung hat sie geltend gemacht, dass es sich um allgemeinpolitische Äußerungen handele, ein Vertretungsrecht der AG IHKn für die Beklagte nicht bestehe und die Vollversammlung der Beklagten mit diesen Erklärungen nicht befasst worden sei.

In der Vollversammlung der Beklagten am 12. Oktober 2004 ist das mit der Einladung übersandte Grundsatzpapier "Gewerbe- und Industriestandort Hessen" und dessen Zustandekommen behandelt und zustimmend zur Kenntnis genommen worden.

Die Klägerin hat ergänzend u.a. vorgetragen, das Grundsatzpapier sei von der AG IHKn ohne Ermächtigung der Vollversammlung der Beklagten veröffentlich worden. Die Beklagte entfalte in unzulässiger Weise allgemeinpolitische Aktivitäten ohne regionalen Bezug, die sie auch zukünftig fortzusetzen gedenke. Sie überschreite damit ihre in § 1 des Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern (im Folgenden: IHKG) geregelten Kompetenzen. Politische Äußerungen und Aktivitäten seien davon nicht umfasst, insbesondere Themen wie Bildungs- und Umweltpolitik hätten bundespolitischen Charakter und wiesen keinen Bezug zu den regionalen Aufgaben der Beklagten auf. Sie müsse sich vor dem Hintergrund der Zwangsmitgliedschaft auf die gesetzlich formulierten Aufgaben beschränken, weil sie andernfalls das Recht ihrer Mitglieder auf Handlungsfreiheit verletze. Die in der "Limburger Erklärung" beschriebenen Handlungsfelder deckten sich nicht mit ihrer gesetzlichen Aufgabenstellung. Es fehle an einem nachvollziehbaren und unmittelbaren Bezug zu den von ihr vertretenen Wirtschaftszweigen. Eine Wiederholungsgefahr ergebe sich schon aus der uneinsichtigen Argumentation der Beklagten im vorliegenden Verfahren.

Die Klägerin hat sinngemäß beantragt,

der Beklagten bei Vermeidung eines Ordnungsgeldes die Abgabe bestimmter, von der Klägerin im Einzelnen aufgeführter Erklärungen und Stellungnahmen aus dem Grundsatzpapier "Gewerbe- und Industriestandort Hessen" vom 15. Juni 2004 zu untersagen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen,

und hat zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen, sie habe bei Abgabe und Verbreitung der "Limburger Erklärung" im Rahmen ihres Aufgabenbereichs gehandelt, zu dem auch die Mitwirkung an der politischen Willensbildung in wirtschaftlichen Angelegenheiten gehöre. Die dort getroffenen Aussagen seien nicht allgemeinpolitischer Natur, sie bezweckten vielmehr allesamt die Förderung der gewerblichen Wirtschaft. Selbst wenn einzelne Aussagen Aspekte beträfen, die bei isolierter Betrachtung außerhalb des Bereichs der wirtschaftlichen Entwicklung lägen, sei dies deshalb unschädlich, weil der wirtschaftliche Kontext entscheidend sei. Das von ihr zu berücksichtigende Gesamtinteresse könne auch den Interessen einzelner Mitglieder entgegenlaufen. Es sei nicht zu beanstanden, dass die "Limburger Erklärung" von der AG IHKn veröffentlicht worden sei, weil die Positionen die gewerbliche Wirtschaft des gesamten Landes Hessen beträfen. Es stehe ihr frei, sich für eine Interessenvertretung auf Landesebene bezirksübergreifender Organisationen zu bedienen, wenn diesen keine Aufgaben übertragen würden, die über die Aufgaben der Kammern hinausgingen. Die Mitwirkung bei der Willensbildung zur Förderung der gewerblichen Wirtschaft sei ein Akt der Geschäftsführung, der in die Kompetenz ihres Hauptgeschäftsführers und ihres Präsidenten falle. Die Aufgaben der Vollversammlung beträfen demgegenüber nur Angelegenheiten von struktureller Bedeutung. Zudem sei das Grundsatzpapier in der Vollversammlung vom 12. Oktober 2004 auch zustimmend zur Kenntnis genommen worden.

Das Verwaltungsgericht Kassel hat mit Urteil vom 30. Januar 2007 - 3 E 2253/04 - die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:

Die Unterlassungsklage sei zwar zulässig, weil sich einzelne Kammerzugehörige nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dagegen wehren könnten, dass eine IHK über die ihr zugewiesenen Aufgaben hinaus tätig werde. Denn dann werde ohne Rechtfertigung in das Grundrecht der Zwangsmitglieder aus Art. 2 Abs. 1 GG eingegriffen.

Die Klage sei jedoch nicht begründet, weil die Beklagten ihren gesetzlich zugewiesenen Aufgabenbereich nicht überschritten habe. Nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. September 2000 lasse sich die in § 1 Abs. 1 IHKG genannte Aufgabe als Vertretung der Interessen der gewerblichen Wirtschaft im weitesten Sinne umschreiben. Da sehr viele öffentliche und staatliche Aufgaben die gewerbliche Wirtschaft berührten, sei diese Aufgabe kaum exakt eingrenzbar. Selbst dort, wo Belange der gewerblichen Wirtschaft nur am Rande berührt seien, sei es den IHKn grundsätzlich gestattet, das durch sie repräsentierte Gesamtinteresse zur Geltung zu bringen. Anders als bei anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften mit Zwangsmitgliedschaft sei § 1 Abs. 1 IHKG sehr weit und generalklauselartig gefasst und gewähre der einzelnen Kammer einen großen Ermessensspielraum, in welcher Form und mit welchen Mitteln sie ihren Auftrag zur Wahrnehmung des Gesamtinteresses und zur Förderung der gewerblichen Wirtschaft ihrer Region wahrnehme. Eine Berechtigung, sich zu politischen, gesellschaftlichen oder weltanschaulichen Fragen ohne jeden wirtschaftlichen Bezug zu äußern, hätten die IHKn allerdings nicht. Ein "allgemeinpolitisches Mandat" stehe ihnen ebenso wenig zu wie den anderen öffentlich-rechtlichen Verbänden mit Zwangsmitgliedschaft.

Da eine Kammer die Interessen ihrer Gewerbetreibenden auch überregional vertreten könne, könnten sich die Kammern bezirksübergreifend auf Landes- und Bundesebene zusammenschließen, wodurch der gesetzlich normierte Aufgabenbereich der einzelnen IHK allerdings nicht erweitert werde. Daher begegne die Mitarbeit der Beklagten in der AG IHKn keinen rechtlichen Bedenken.

Auch die Herausgabe des von der Klägerin beanstandeten Grundsatzpapiers stelle keine Überschreitung ihres Aufgabenbereichs dar. Schon nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 1 IHKG zähle es insbesondere zu den Aufgaben der Industrie- und Handelskammern, die Behörden durch Vorschläge, Gutachten und Berichte zu unterstützen und zu beraten. Zur Mitwirkung an der wirtschaftspolitischen Meinungsbildung zähle auch eine Veröffentlichung ihrer Auffassungen zu wirtschaftlichen Fragen. Auch inhaltlich halte sich das Grundsatzpapier im Rahmen des gesetzlichen Aufgabenbereichs, weil die zu den sechs Handlungsfeldern getroffenen Aussagen gegenüber der hessischen Landesregierung bezweckten, "die Zukunftsfähigkeit des Produktionsstandorts Hessen zu sichern", und jeweils "Standortfaktoren", also die verschiedenen Rahmenbedingungen gewerblicher Tätigkeit beträfen. Es gehe um positive Auswirkungen auf die gewerbliche Wirtschaft im Land und damit auch im Bezirk der Beklagten, so dass die Erklärungen auf die Förderung der Interessen der gewerblichen Wirtschaft gerichtet seien. Die Äußerungen zur Steuer-, Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik beträfen den allgemeinen Rahmen für wirtschaftliches Tätigwerden. Die Forderungen auf dem Bereich der Bildungs- und Hochschulpolitik bezögen sich auf die Qualität der Ausbildung von Schülern und Studenten als potentiellen zukünftigen Arbeitskräften oder auf die Möglichkeit von Müttern, einer Erwerbstätigkeit nachgehen zu können. Die Äußerungen zu Folgen der Umwelt- und Energiepolitik beträfen das Interesse von Gewerbetreibenden an einer kostengünstigen und dauerhaften Energieversorgung und die Forderung nach einem zügigen Ausbau des Flughafens Frankfurt beziehe sich auf die verkehrstechnische Erschließung des Wirtschaftsraums als Standortfaktor. Die Veröffentlichung berühre damit in ihrer Gesamtheit die Belange der gewerblichen Wirtschaft auch in dem Bezirk der Beklagten mehr als nur am Rande und sei nicht als - unzulässige - Wahrnehmung eines allgemeinpolitischen Mandats zu werten.

Entgegen der Rüge der Klägerin sei das Grundsatzpapier auch nicht fehlerhaft zustande gekommen, denn jedenfalls sei es von der Vollversammlung der Beklagten in ihrer Sitzung vom 12. Oktober 2004 in entsprechender Anwendung des Rechtsgedankens des § 185 BGB genehmigt worden.

Der Senat hat mit Beschluss vom 26. Juli 2007 - 8 UZ 900/07 - die Berufung der Klägerin gegen dieses Urteil zugelassen.

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 13. August 2007, der am 15. April 2007 beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof eingegangen ist, hat die Klägerin die zugelassene Berufung begründet.

Sie macht im Wesentlichen geltend, entgegen der verwaltungsgerichtlichen Auffassung habe die Beklagte mit den fraglichen Äußerungen die ihr gesetzlich zustehenden, verfassungskonform restriktiv zu interpretierenden Kompetenzen überschritten. Die Kompetenzbeschränkung der Kammern zur Abgabe politischer Äußerungen ergebe sich nicht nur aus dem Gesetz, sondern auch aus der Verfassung mit dem Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG und dem Gebot der Erforderlichkeit. Den IHKn sei nicht nur die Wahrnehmung sozialpolitischer und arbeitsrechtlicher Interessen entzogen, ihnen stehe auch in anderen Bereichen der Politik, wie z. B. der Kultur- oder Familienpolitik, der Kernenergie, des Flughafenbaus, der Kultus- und Familienpolitik, keine Kompetenz zu, schon deshalb nicht, weil ihnen insoweit der Sachverstand fehle. Es handele sich bei ihnen - anders als etwa bei Fachverbänden - nicht um reine Interessenvertretungen, sie hätten vielmehr die Staatsorgane zu beraten. Die vom Verwaltungsgericht vorgenommene exzessive Auslegung des Aufgabenbereichs der IHKn sei deshalb unhaltbar. Eingriffe in das bei der Kammerzwangsmitgliedschaft einschlägige Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG seien nur unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zulässig. Es sei den Kammern versagt, ohne Notwendigkeit Funktionen zu übernehmen, die nach der verfassungsmäßigen Ordnung des Grundgesetzes dem Staat verschlossen und freien Gruppierungen, wie den politischen Parteien und Verbänden oder den Vereinen, überlassen seien und von diesen erledigt werden könnten. Die Kammern seien zudem auf die Wahrung gruppenspezifischer Zielsetzungen beschränkt, unterlägen wie andere staatliche Stellen auch dem Neutralitätsgebot und seien als Selbstverwaltungskörperschaften des öffentlichen Rechts in besonders hohem Maße zur Gleichbehandlung verpflichtet. Zwar spreche das Verwaltungsgericht den Zwangskörperschaften ein politisches Mandat ab, im Ergebnis gestehe das angefochtene Urteil den IHKn ein solches Mandat jedoch verfassungswidrig zu. Es sei nicht Sache der Zwangskammern, zu höchst umstrittenen Fragen politische Stellungsnahmen abzugeben, denn schließlich seien sie Verwaltungsbehörden, die sich auf den Gebieten fachlich äußern sollten, in denen ihr Sachverstand vermutet werde. Bei den Äußerungen der Beklagten zu Gunsten der Kernenergie, zu dem umstrittenen Ausbau eines Flughafens, zur Kulturpolitik, zu den Studiengebühren, oder zur Schul- und Familienpolitik fehle es an dem erforderlichen Zusammenhang mit dem Aufgabenkreis der Zwangskammern. Dass schließlich alle Fragen irgendwie mit "Wirtschaft" zu tun hätten, reiche nicht aus, um eine Kammerkompetenz zu begründen. Allgemeinpolitische Grundsatzpapiere entsprechend den Wahlprogrammen der Parteien gehörten nicht zu ihren Aufgaben; dafür fehle ihnen auch die demokratische Legitimation, denn Zwangskörperschaften seien keine politischen Diskussionsforen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Kassel vom 30. Januar 2007 aufzuheben und festzustellen, dass folgende Erklärungen in der Stellungnahme im Grundsatzpapier "Gewerbe- und Industriestandort Hessen" vom 15. Juni 2004 rechtswidrig gewesen sind:

1. Vorwort, Seite 7 des Grundsatzpapiers: "Darüber hinaus fordern die Industrie- und Handelskammer die Landesregierung in diesem Positionspapier auf, sich im Bundesrat vor allem für die dringend notwendigen Reformen In der Steuer- und Arbeitsmarktpolitik stark zu machen.";

2. Seite 8: "Das Land braucht ein politisches Bekenntnis zur Industrie als Basis der Wertschöpfungskette.";

3. Seite 8: "Deutschland muss zu einer wirtschaftsfreundlichen und berechenbaren Steuer- und Arbeitsmarktpolitik zurückfinden.";

4. Seiten 8 und 9: "Bildungspolitik: Die Schulreform ist mit dem Ziel größerer Gestaltungsautonomie für die Schulen fortzusetzen... Der ...Ausbau der Ganztagsbetreuung ist dabei sicherzustellen.";

5. Seite 9: "Hochschul-, Forschungs- und Technologiepolitik: Die Hochschulen sind mit professionellem Management auszustatten. Das Land Hessen muss sich in diesem Zusammenhang für die Änderung des Hochschulrahmengesetzes einsetzen, um sozialverträgliche Studiengebühren einführen zu können.";

6. Seite 9: "Umweltpolitik: Staatlicher Normensetzung muss grundsätzlich eine Abschätzung der Folgen für die Internationale Wettbewerbsfähigkeit vorausgehen. Vorhaben wie REACH (neue EU-Chemikalienpolitik) müssen deshalb verhindert werden.";

7. Seite 9: "Umweltpolitik: Weniger Staat durch die Stärkung der Eigenverantwortung: Das bedeutet mehr Selbst- bzw. Marktregulierung und mehr Selbstverantwortung und -überwachung.";

8. Seite 10: Energiepolitik: "Die ständig wachsenden Abgaben und Steuern auf den Energieverbrauch müssen gestoppt und reduziert werden."

9. Seite 10, Energiepolitik: "Der stark wachsende Weltenergieverbrauch macht den Einsatz aller Energieträger erforderlich. Dazu gehört die Kernenergie. Dem muss die Politik Rechnung tragen.";

10. Seite 10: Verkehrspolitik: "Der Flughafen Frankfurt muss zügig wettbewerbsgerecht und auf der Grundlage des Mediationsergebnisses ausgebaut werden.".

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

und macht zur Begründung im Wesentlichen noch geltend, die IHKn seien Organisationen der Selbstverwaltung, denen die Interessenvertretung für die Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft obliege. Dabei nähmen sie auch zu Maßnahmen der Regierung Stellung und partizipierten am demokratischen Willensbildungsprozess von unten. In diesem Rahmen seien sie nicht nur Ratgeber der Behörden mit besonderer Kompetenz in Wirtschaftsfragen, sondern sie äußerten sich auch im Sinne einer modernen Demokratie als Betroffene staatlicher Maßnahmen. Durch die Abgabe von Stellungnahmen gegenüber den politischen Entscheidungsträgern und der Öffentlichkeit wirkten sie in wirtschaftlichen Angelegenheiten an der politischen Willensbildung mit. Aus dem Vorwort zur "Limburger Erklärung" ergebe sich eindeutig, dass das von der Klägerin angegriffene Positionspapier die Beeinflussung der Willensbildung auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik bezwecke.

Die angegriffenen Erklärungen beträfen allesamt die Förderung der gewerblichen Wirtschaft und seien nicht allgemeinpolitischer Natur, denn dies gelte nur für solche Aussagen, die den spezifischen Aufgabenreich der jeweiligen Kammer überschritten; das sei etwa für die Ärztekammer oder den AstA anders zu beurteilen als für die IHK. Ein Abwehranspruch gemäß Art. 2 Abs. 1 GG könne auch nur gegen die Aufgabenüberschreitung als solche, nicht aber gegen Art und Weise der Erfüllung gesetzlicher Aufgaben begründet sein. Wegen der Verflechtung der Wirtschaft mit anderen Politikbereichen könnten die IHKn ihre gesetzliche Aufgabe nur dann wahrnehmen, wenn sie sich zu allen Bereichen äußern dürften, die sich auf die Interessen der gewerblichen Wirtschaft auswirkten, also auch zu den Bereichen der Sozial-, Arbeitsmarkt-, Familien- und Kulturpolitik. Das von einer IHK zu verfolgende Gesamtinteresse der Kammerzugehörigen sei auf die Verfolgung gruppenpluraler Interessen angelegt, weil in den IHKn - anders etwa als in Berufskammern - Unternehmen einer Vielzahl von Branchen organisiert seien. Die Einschränkung des § 1 Abs. 5 IHKG hinsichtlich der Wahrnehmung sozialpolitischer und arbeitsrechtlicher Interessen diene insbesondere dazu, dass sie nicht in die Tarifautonomie von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden eingriffen, wie sich aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift ergebe. Dadurch werde ihnen aber nicht verwehrt, allgemeine sozialpolitische und arbeitsrechtliche Fragen zu behandeln, die die gewerbliche Wirtschaft berührten.

Die IHK dürfe sich auch dann äußern, wenn einzelne ihrer Mitglieder verschiedene Auffassungen verträten. Die Vertretung der Interessen der gewerblichen Wirtschaft im Rahmen des demokratischen Diskurses erfordere die Beschreibung der Auswirkungen staatlicher Maßnahmen auf die gewerbliche Wirtschaft; dazu bedürfe es keiner besonderen Sachkunde auf den Gebieten, denen die jeweiligen Maßnahmen zuzuordnen seien. Die von der Klägerin gerügten Aussagen beträfen ausnahmslos die Rahmenbedingungen der gewerblichen Wirtschaft und seien deshalb vom Aufgabenbereich der Beklagten gedeckt.

Im Hinblick auf die Arbeitsmarkt- und Steuerpolitik wende sich die Beklagte gegen eine zu hohe Kostenbelastung der Unternehmen. Die Erbschaftssteuer könne zu Problemen für die Existenz von Familienunternehmen führen. Das politische Bekenntnis zur Industrie beziehe sich auf die Rahmenbedingungen für die Wettbewerbsfähigkeit der Industrieunternehmen. Eine funktionierende Industrie sei Voraussetzung dafür, dass sich auch der Dienstleistungssektor positiv entwickeln könne. Die Berechenbarkeit der Steuer- und Arbeitsmarktpolitik sei Voraussetzung für die Planbarkeit unternehmerischer Entscheidungen. Die Bildungspolitik sei für die Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft bedeutsam, weil sie ein Interesse an gut ausgebildeten und motivierten Mitarbeitern hätten, vor allem vor dem Hintergrund des zunehmenden Fachkräftemangels. Die größere Gestaltungsautonomie für die Schulen und der Ausbau der Ganztagsbetreuung solle zu einer besseren Ausschöpfung des "Humankapitals" führen; insbesondere sollten qualifizierte Frauen trotz der Erziehung von Kindern in den Beruf zurückkehren können. Auch die Forderungen im Bereich der Hochschulpolitik seien vor dem Hintergrund des zunehmenden Fachkräftemangels zu sehen. Die Verwendung des Begriffs "sozialverträglich" mache die - ebenfalls dem Gesamtinteresse der gewerblichen Wirtschaft dienende - Forderung nach einem professionellen Hochschulmanagement, das über die Studiengebühren erreicht werden solle, noch nicht zu einer sozialpolitischen Stellungnahme. Im Bereich der Umweltpolitik gehe es um die Kosten für die gewerbliche Wirtschaft, die Einfluss auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit hätten. Es gehe auch darum, dass die staatliche Regulierung inflexibel und häufig übertrieben, während Selbst- und Marktregulierung effizienter sei. Für die gewerbliche Wirtschaft sei eine Energieversorgung zu angemessenen Kosten erforderlich, Steuern und Abgaben auf die Energie erhöhten die Kosten und schwächten dadurch die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Die gewerbliche Wirtschaft sei auch auf eine gesicherte Energieversorgung angewiesen. Der Wegfall der Kernenergie sei mit der Gefahr höherer Energiepreise und einer unzureichenden Versorgung verbunden. Die Verkehrspolitik sei für die gewerbliche Wirtschaft von Bedeutung, weil die Erreichbarkeit der Betriebe einen wesentlichen Standortfaktor darstelle; international agierende Unternehmen seien auch auf einen Flughafen angewiesen.

Die Äußerungen einer IHK dürften nicht isoliert, sondern nur im Rahmen einer Gesamtbetrachtung gewürdigt werden. Vor diesem Hintergrund habe das OVG Hamburg es nicht als Aufgabenüberschreitung angesehen, dass sich die IHK Hamburg gegen niedrigere Hürden für eine Volksgesetzgebung ausgesprochen habe, weil dadurch Einzelinteressen die Möglichkeit von Blockaden gegeben und die wirtschaftliche Entwicklung Hamburgs gefährdet werden könnte.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf den Inhalt der Streitakten im vorliegenden und in den Verfahren des Verwaltungsgerichts Kassel mit dem Aktenzeichen 3 E 727/03 (1) und 3 G 2252/04 (3) verwiesen, die - wie das streitige Grundsatzpapier - Gegenstand der Verhandlung und der Entscheidung des Senats waren.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin hat teilweise Erfolg.

Die zugelassene Berufung ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere gemäß § 124 a Abs. 6 i.V.m. Abs. 3 Sätze 3 bis 5 VwGO innerhalb der Monatsfrist nach Zustellung des Zulassungsbeschlusses form- und fristgerecht begründet worden.

Sie ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet, weil das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Urteil vom 16. Januar 2007 die Klage insoweit zu Unrecht abgewiesen hat.

Die Klage ist gegen die im September 2004 durch die Beklagte als Mitglied der AG IHKn erfolgte Abgabe im Einzelnen formulierter Erklärungen und Stellungnahmen aus dem Grundsatzpapier "Gewerbe- und Industriestandort Hessen" vom 15. Juni 2004 gerichtet und deshalb in ihrer umgestellten Form als Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO sachgerecht und zulässig.

Sie bezieht sich auf das zwischen den Beteiligten bestehende Mitgliedschaftsverhältnis und hier konkret auf die Frage, ob die beklagte IHK durch die Abgabe dieser ihr zurechenbaren Erklärungen und Stellungnahmen den ihr zugewiesenen Aufgabenkreis überschritten und dadurch das aus Art. 2 Abs. 1 GG folgende Recht der Klägerin als ihres Zwangsmitglieds verletzt hat.

Die Feststellungsklage ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht gemäß § 43 Abs. 2 VwGO gegenüber einer Unterlassungsklage subsidiär und der Klägerin steht auch ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung zu, denn der geltend gemachte Abwehranspruch kann ihr nicht offensichtlich und eindeutig abgesprochen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. September 2000 - 1 C 29/99 - BVerwGE 112 S. 69 ff. = GewArch 2001 S. 161 ff. = NVwZ-RR 2001 S. 93 ff. = DVBl 2001 S. 139 ff. = juris Rdnr. 10 m.w.N.). Auch wenn sich vorliegend die Beklagte nicht eines allgemeinpolitischen Mandats berühmt, hat die Klägerin ein berechtigtes Interesse an der Abgrenzung dessen, was sie als Pflichtmitglied der Beklagten an Meinungsäußerungen der Körperschaft hinnehmen muss und was ihre allgemeine Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG in unzulässiger Weise beeinträchtigt (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 1981 - 5 C 56/79 - BVerwGE 64 S. 298 ff. = GewArch 1982 S. 124 ff. = NJW 1982 S. 1300 ff. = DVBl 1982 S. 639 ff. = DÖV 1982 S. 697 ff. = juris Rdnr. 14).

Selbst wenn ein qualifiziertes Feststellungsinteresse in Orientierung an einer Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO verlangt würde (vgl. OVG NW, Urteil vom 12. Juni 2003 - 8 A 4281/02 - GewArch 2003 S. 418 ff. = juris Rdnrn. 14 ff.), wäre dies hier unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr zu bejahen, wie sich aus dem schon im März 2003 anhängig gemachten Klageverfahren hinsichtlich der Beteiligung der Beklagten an der Flughafen GmbH A-Stadt, ihrem Anschreiben vom 2. September 2004 zur Veröffentlichung des hier fraglichen Grundsatzpapiers und auch aus ihren sonstigen Ausführungen im vorliegenden Verfahren ergibt, wonach durchaus damit gerechnet werden kann, dass die Beklagte die hier streitigen Erklärungen und Stellungnahmen oder vergleichbare Forderungen auch in Zukunft äußern würde.

Die Klage ist auch teilweise begründet, denn die Beklagte hat durch die im Tenor näher bezeichneten Erklärungen und Stellungnahmen, die sich aus dem - insoweit dem Berufungsantrag entsprechenden - Klageantrag ergeben, ihren Aufgabenbereich überschritten und dadurch Rechte der Klägerin verletzt.

Der Senat folgt der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach Mitglieder öffentlich-rechtlicher Zwangsverbände, wozu auch die IHKn gemäß § 2 des Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern vom 18. Dezember 1956 (BGBl. I S. 920), zuletzt geändert durch Art. 7 des Zweiten Gesetzes zum Abbau bürokratischer Hemmnisse insbesondere in der mittelständischen Wirtschaft vom 7. September 2007 (BGBl. I S. 2246) - IHKG - gehören, einen im Verwaltungsrechtsweg verfolgbaren Anspruch darauf haben, dass der Zwangsverband die seinem Tätigwerden durch die gesetzlich normierte Aufgabenstellung gezogenen Grenzen einhält. Diese Rechtsprechung beruht auf der Erwägung, dass das Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG - gegebenenfalls i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG - auch davor schützt, durch Zwangsmitgliedschaft von "unnötigen" Körperschaften in Anspruch genommen zu werden, und dass die Zwangsmitgliedschaft nur durch Gesetz angeordnet werden darf. Überschreitet eine Körperschaft, deren Errichtung am Maßstab des Art. 2 Abs. 1 GG zu messen ist und die ihre verfassungsrechtliche Rechtfertigung im Wesentlichen in der Repräsentation der Interessen ihrer Mitglieder findet, ihren gesetzlichen Aufgabenbereich, greift sie ohne die erforderliche Rechtsgrundlage in dieses Grundrecht ein. Gegen solche Eingriffe, die sich nicht im Wirkungskreis legitimer öffentlicher Aufgaben halten oder bei deren Wahrnehmung nicht dem Gebot der Verhältnismäßigkeit entsprochen wird, steht dem einzelnen Mitglied ein Abwehrrecht zu, das keine bewusste und offensichtliche Überschreitung des gesetzlichen Aufgabenbereichs voraussetzt und unabhängig davon besteht, dass auch die Staatsaufsicht verpflichtet ist, auf die Einhaltung der dem Verband hinsichtlich seiner Tätigkeit gesetzten Grenzen zu achten. Jeder Kammerzugehörige kann sich mit einer Unterlassungs- oder Feststellungsklage gegen eine derartige rechtswidrige Ausdehnung seiner Zwangsunterworfenheit wehren, ohne dass es darauf ankäme, ob er dadurch einen darüber hinausgehenden rechtlichen oder spürbaren faktischen Nachteil erleidet (vgl. u. a. BVerwG, Urteil vom 24. September 1981 - 5 C 53/79 - BVerwGE 64 S. 115 ff. = GewArch 1982 S. 52 ff. = NJW 1982 S. 1298 f. = juris Rdnr. 11 und Urteil vom 19. September 2000 a.a.O. juris Rdnr. 11).

Eine solche Kompetenzüberschreitung ist durch einige der in dem Grundsatzpapier "Gewerbe- und Industriestandort Hessen" abgegebenen Stellungnahmen und erhobenen Forderungen erfolgt.

Zwar kann der Auffassung der Beklagten zugestimmt werden, dass sie sich grundsätzlich an der überregionalen AG IHKn beteiligen und auch an der Erstellung und Veröffentlichung dieses Grundsatzpapiers mitwirken durfte und dass in der unter Nr. 5 des Klageantrags aufgeführten Forderung auf Einführung "sozialverträglicher" Studiengebühren kein Verstoß gegen die Sonderregelung des § 1 Abs. 5 IHKG zu sehen ist, weil diese die Autonomie der Tarifparteien wahren soll und allein die Beifügung des Adjektivs "sozialverträglich" diese Forderung nicht zu einer Wahrnehmung sozialpolitischer Interessen macht.

Diese und die anderen im Tenor aufgeführten Stellungnahmen und Forderungen überschreiten aber den der beklagten IHK in § 1 Abs. 1 IHKG gesetzlich zugewiesenen allgemeinen Aufgaben- und Befugnisbereich.

Danach haben die IHKn, soweit nicht die Zuständigkeit der Handwerkskammern gegeben ist, die Aufgabe, das Gesamtinteresse der ihnen zugehörigen Gewerbetreibenden ihres Bezirks wahrzunehmen, für die Förderung der gewerblichen Wirtschaft zu wirken und dabei die wirtschaftlichen Interessen einzelner Gewerbezweige oder Betriebe abwägend und ausgleichend zu berücksichtigen; dabei obliegt es ihnen insbesondere, durch Vorschläge, Gutachten und Berichte die Behörden zu unterstützen und zu beraten sowie für Wahrung von Anstand und Sitte des ehrbaren Kaufmanns zu wirken.

Diese allgemeine Aufgaben- und Kompetenzzuweisung hat das Bundesverwaltungsgericht in dem bereits zitierten und vom Verwaltungsgericht maßgeblich herangezogenen Urteil vom 19. September 2000 (a.a.O. juris Rdnr. 17) zwar in drei Sätzen zusammenfassend wie folgt beschrieben:

"Die in § 1 Abs. 1 IHKG genannte Aufgabe lässt sich als Vertretung der Interessen der gewerblichen Wirtschaft im weitesten Sinn umschreiben. Da sehr viele öffentliche und staatliche Aufgaben die gewerbliche Wirtschaft berühren, ist diese Aufgabe kaum exakt eingrenzbar. Selbst dort, wo Belange der gewerblichen Wirtschaft nur am Rande berührt sind, ist es den Industrie- und Handelskammern grundsätzlich gestattet, das durch sie repräsentierte Gesamtinteresse zur Geltung zu bringen."

Die allgemeine Aufgabenzuweisung war in dem vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall einer IHK-Beteiligung an einer Flughafen-Betriebsgesellschaft aber nicht entscheidungserheblich, sondern ihre Beschreibung diente nur der Abgrenzung zu der dort einschlägigen Sonderregelung des § 1 Abs. 2 IHKG über die Begründung, Unterhaltung und Unterstützung von Anlagen und Einrichtungen durch die IHKn, wofür nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts engere Voraussetzungen bestünden, weil § 1 Abs. 2 IHKG dies nur zulasse, wenn die Anlagen oder Einrichtungen der Förderung der gewerblichen Wirtschaft oder einzelner Gewerbezweige dienen.

Die damit vom Bundesverwaltungsgericht als obiter dictum abgegebene und auf den ersten Blick sehr weite Beschreibung der allgemeinen Kompetenzzuweisung gemäß § 1 Abs. 1 IHKG enthält aber bei näherem Hinsehen die Einschränkung, dass es den IHKn in solchen Bereichen, in denen Belange der gewerblichen Wirtschaft "nur am Rande berührt" sind, nicht uneingeschränkt, sondern nur "grundsätzlich" gestattet ist, (nur) das "durch sie repräsentierte Gesamtinteresse" zur Geltung zu bringen. Diese Einschränkung entspricht nach Auffassung des Senats der rechtlichen Stellung und der Funktion der IHKn gerade auch im Hinblick auf den verfassungsrechtlich in Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Freiheitsbereich ihrer Zwangsmitglieder und bedarf - anders als in dem vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall - vorliegend der näheren Präzisierung.

Die IHKn sind gemäß § 3 IHKG Körperschaften des öffentlichen Rechts, die sich durch Zwangsbeiträge ihrer Mitglieder finanzieren und als Selbstverwaltungsorganisationen des Gewerbes und der Wirtschaft zum Bereich der sog. mittelbaren Landesverwaltung gehören, also zwar auf das Land als "Muttergemeinwesen" zurückzuführen, aber dennoch rechtlich selbständig sind. Sie sind nicht nur Objekt von Verwaltungshandlungen, sondern auch selbst Verwaltungsträger. Der Sinn dieser Form der Selbstverwaltung besteht darin, die Wahrnehmung aller Verwaltungsaufgaben, die im Zusammenhang mit Berufsrecht sowie Aus- und Weiterbildung stehen, den Betroffenen als denjenigen zu übertragen, die aufgrund ihrer Sachnähe die größte Sachkompetenz besitzen (vgl. Hermes/Pöcker, Landesrecht Hessen, 6. Aufl. 2008 S. 82 f.). Neben dieser Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben auf wirtschaftlichem Gebiet wird für die IHKn als zweite legitime, die Zwangsmitgliedschaft rechtfertigende öffentliche Aufgabe der Wirtschaftsförderung die Vertretung der gewerblichen Wirtschaft durch Unterstützung staatlicher Organe und Behörden in Form von Berichterstattung und Beratung in wirtschaftlichen Fragen angesehen, um so durch gebündelten Sachverstand auf diesem Gebiet ein möglichst hohes Maß an Sachnähe und Richtigkeit staatlicher Entschließungen zu erreichen; die IHKn nehmen damit in erster Linie durch Vorschläge, Gutachten und Berichte an der Erfüllung einer echten Staatsaufgabe teil, wobei es nicht wie bei einem privaten Berufs- oder Wirtschaftsfachverband um eine reine Interessenvertretung geht (vgl. u. a. BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 1962 - 1 BvR 541/57 - BVerfGE 15 S. 235 ff. = NJW 1963 S. 195 ff. = DVBl 1963 S. 147 ff. = DÖV 1963 S. 106 ff. = juris Rdnrn. 21 ff. und Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 7. Dezember 2001 - 1 BvR 1806/98 - NVwZ 2002 S. 335 ff. = GewArch 2002 S. 111 ff. = DVBl 2002 S. 407 ff. = DÖV 2002 S. 429 ff. = juris Rdnr. 39; BVerwG, Urteil vom 21. Juli 1998 - 1 C 32/97 - BVerwGE 107 S. 169 ff. = GewArch 1998 S. 410 ff. = NJW 1998 S. 3510 ff. = DVBl 1999 S. 47 ff. = DÖV 1999 S. 29 ff. = juris Rdnrn. 20 f.). Die Selbstverwaltung der Wirtschaft ist Teil der öffentlichen Verwaltung, weil sie die Erfüllung öffentlicher, nicht privater (gesellschaftlicher) Aufgaben zum Gegenstand hat (vgl. Frotscher, JuS 1984 S. 610).

Die IHKn werden dementsprechend auch nicht dem Bereich des sog. institutionalisierten Grundrechtsschutzes zugeordnet, wie etwa die Rundfunk- und Fernsehanstalten und zum Teil die Universitäten und sonstigen Hochschulen, die im Hinblick auf Art. 5 Abs. 1 Satz 2 bzw. Abs. 3 GG und Art. 60 Abs. 1 HV gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 HRG keiner bzw. gemäß § 7 HHG nur einer beschränkten Staatsaufsicht unterworfen sind. Die IHKn unterliegen demgegenüber als Teil der mittelbaren Staatsverwaltung gemäß § 11 Abs. 1 und 2 IHKG der uneingeschränkten Rechtsaufsicht des Landes, die nach § 2 Abs. 1 des Hessischen Ausführungsgesetzes zum IHKG vom 6. November 1957 (GVBl. I S. 147) - HAGIHKG - von dem für die Wirtschaft zuständigen Minister oder von der von ihm bestimmten Behörde ausgeübt wird.

Nach einem zu einer berufsständischen Kammer getroffenen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Dezember 1981 (a.a.O. juris Rdnrn. 16, 19 und 22 f.) ergibt sich aus ihrer Stellung als öffentlich-rechtliche Körperschaft und damit als Teil der öffentlichen Verwaltung eine generelle Beschränkung ihrer Aufgaben gegenüber Interessenverbänden und politischen Parteien. Die Kammern dürften nicht in Funktionen eingreifen, die nach der verfassungsmäßigen Ordnung anderen Institutionen vorbehalten seien. Aus dieser Pflicht zur Beschränkung auf ihren eigenen Aufgabenbereich ergebe sich, dass sie dafür Sorge zu tragen hätten, dass ihre Veröffentlichungen nicht als Wahrnehmung eines allgemeinpolitischen Mandats verstanden werden müssten. Jedes einzelne Mitglied könne verlangen, dass sie sich dort, wo es nicht mehr um die von ihnen wahrzunehmenden gesetzlichen Aufgaben, sondern um Fragen gehe, die das einzelne Mitglied in seiner Eigenschaft als Staatsbürger beträfen, jeglicher Veröffentlichungen enthielten. Ihr gesetzlich normierter Aufgabenbereich könne auch nicht durch eine Beteiligung an einem Dachverband oder durch gemeinsame Aktivitäten mit anderen Verbänden, die andere Aufgaben erfüllten, erweitert werden. Selbst eine erteilte gesetzliche Ermächtigung, die einem öffentlich-rechtlichen Verband mit Pflichtmitgliedschaft erlauben würde, zu beliebigen Fragen der Politik Stellung zu nehmen und sonstige politische Aktivitäten ohne verbandsbezogenen Inhalt zu entfalten, wäre deshalb mit Art. 2 Abs. 1 GG nicht vereinbar; es sei auch nicht zutreffend, dass der Aufgabenbereich berufsständischer Kammern nicht zu eng gesehen werden dürfte. Unter dem Gesichtspunkt des Grundrechtsschutzes aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG sei die Tätigkeit berufsständischer Kammern mit Pflichtmitgliedschaft nur rechtmäßig, soweit sie erforderlich und geeignet sei, zur Verwirklichung einer die Pflichtmitgliedschaft rechtfertigenden Zielsetzung beizutragen, und soweit dadurch nicht in unzumutbarer Weise in das Recht des Einzelnen auf freie Ausübung seines Berufs eingegriffen werde.

Daraus wurde in der Literatur hergeleitet, dass Errichtung und Aufgaben öffentlich-rechtlicher Zwangskörperschaften ausschließlich auf Delegation beruhten und von dieser Stellung als Bestandteil mittelbarer Staatsverwaltung ausgehend die "legitimen öffentlichen Aufgaben", von denen das Bundesverfassungsgericht spreche, nur "legitime staatliche Aufgaben" sein könnten und dass derartige Verbände nicht im Namen ihrer Mitglieder allgemeinpolitische Meinungen unmittelbar oder mittelbar vertreten dürften, da Art. 5 GG eine staatliche Meinungsbevormundung ausschließe. Die bisher lediglich gegenüber Studentenschaften ausgesprochenen Grenzen dürften nun auch den Kammern der freien Berufe gezogen werden. Aus diesem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ergebe sich, dass der Interessenvertretung durch die Zwangskörperschaften spürbar mit Reserve begegnet werde; es genüge nicht, dass die Belange in mittelbarer oder unmittelbarer Beziehung zur beruflichen Tätigkeit der Kammermitglieder stünden (vgl. Redeker, NJW 1982 S. 1266 ff.; so auch ausdrücklich: BVerwG, Urteil vom 24. September 1981 a.a.O. juris Rdnr. 14).

Eine solche Interessenvertretung durch Berufskammern wird auch unter dem Gesichtspunkt der demokratischen Willensbildung als problematisch angesehen, weil der Staat durch die Abgrenzung des Mitgliederkreises und die Anordnung der Pflichtmitgliedschaft von "oben" auf diesen als "staatsfrei" vorausgesetzten Prozess Einfluss nehme. Das grundrechtliche Prinzip der freien Verbandsbildung und Interessenartikulation verbiete es, den Kreis der "legitimen öffentlichen Aufgaben" weit zu fassen, z. B. die öffentlich-rechtlichen Körperschaften mit Pflichtmitgliedschaft als Interessenvertretung auszugestalten. Eine legitime öffentliche Aufgabe könne nicht die Einflussnahme auf die allgemeinpolitische Willensbildung sein. Hinter der grundrechtlichen Freiheit des Mitglieds stehe der eigenständige Gedanke der freien politischen Willensbildung aus der Gesellschaft heraus; das Bundesverwaltungsgericht hebe zu Recht den demokratiewidrigen Aspekt solcher Betätigung hervor (Pietzcker, JuS 1985 S. 27 ff.).

Auch wenn der Wirkungskreis berufsständischer Kammern enger ist als der der für alle Gewerbetreibenden ihres Bezirks mit Ausnahme der freien Berufe und der Land- und Forstwirtschaft zuständigen IHKn und deshalb möglicherweise die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zu den Steuerberaterkammern auf die IHKn "nicht unbesehen übernommen werden" können (vgl. Leisner, BayVBl 2001 S. 609 [611]; vgl. auch Frentzel/Jäkel/Junge u. a. IHKG, 6. Aufl. 1999, Rdnrn. 229 f. zu § 1), sind nach Ansicht des Senats aber die darin aufgestellten Grundsätze auch auf die IHKn übertragbar. Diese können deshalb für die "nicht einfache Aufgabe der Grenzziehung" zwischen der Verfolgung ihrer körperschaftspolitischen Belange und der Wahrnehmung eines ihnen nach einhelliger - und auch im vorliegenden Verfahren übereinstimmend geteilter - Auffassung nicht zustehenden "allgemeinpolitischen Mandats" herangezogen werden (vgl. Pietzcker a.a.O. S. 30 f.).

Da einerseits öffentliche und staatliche Aufgaben oder "Handlungsfelder", die Belange der gewerblichen Wirtschaft nicht jedenfalls am Rande berühren, kaum denkbar sind, wäre der Kompetenzbereich der IHKn nicht nur "kaum exakt", sondern nahezu gar nicht eingrenzbar, wenn es ihnen gestattet wäre, sich auch in solchen, Bereichen uneingeschränkt zu betätigen oder Stellung zu beziehen, die gewerbliche Belange "nur am Rande" berühren. Da andererseits der Abwehranspruch ihrer Zwangsmitglieder gegen eine Aufgabenüberschreitung der IHKn dazu dient, die in der Pflichtmitgliedschaft liegende Einschränkung der in Art. 2 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich gewährleisteten Handlungsfreiheit ihrer Mitglieder noch verhältnismäßig und zumutbar erscheinen zu lassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juli 1998 a.a.O. juris Rdnr. 20; BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 2001 a.a.O. juris Rdnr. 51), darf dieser Abwehranspruch nicht durch eine unbestimmt weit gefasste Aufgabenbeschreibung weitgehend leerlaufen. Deshalb ist die im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. September 2000 (a.a.O. juris Rdnr. 17) angelegte Einschränkung, dass den IHKn in solchen, die Belange der gewerblichen Wirtschaft "nur am Rande" berührenden Bereichen eine Betätigung nicht unbeschränkt, sondern nur "grundsätzlich", und zwar auch nur zur Geltendmachung des "durch sie repräsentierten Gesamtinteresses" gestattet ist, aus verfassungsrechtlichen Gründen näher zu präzisieren. Dabei steht die freiheitssichernde Funktion der Aufgaben- und Kompetenzabgrenzung einem Verständnis der Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 IHKG als Kompetenz-Kompetenz entgegen, nach der die Vollversammlung einer IHK alle nur denkbaren Aufgaben, etwa auch zur Verfolgung von Gemeinwohlinteressen, an sich ziehen könnte (vgl. Bayer. VGH, Urteil vom 17. November 1999 - 22 B 99.1063 - GewArch 2000 S. 60 ff. = juris Rdnr. 16). Diese Funktion spricht auch gegen ein Verständnis dieser Vorschrift im Sinne eines "Selbstpräzisierungsrechts" und gegen eine eher weite Auslegung der Aufgabenzuweisung (so aber: Leisner a.a.O. S. 611), sondern gebietet vielmehr, den Kreis der "legitimen öffentlichen Aufgaben" der IHKn unter strikter Beachtung ihrer auf die Wirtschaftsförderung beschränkten Rechtfertigung und Legitimation zu bestimmen, die mit ihrer in diesem Bereich bestehenden Sachkunde und Interessenbündelung begründet werden. Nur in diesem wirtschaftlich-gewerblichen Bereich kann auch unter ihren Mitgliedern eine "auf der Gleichgestimmtheit der Interessen beruhende, die Verbandsbildung legitimierende Konsensbereitschaft vermutet werden" (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 1979 - 7 C 58/78 - BVerwGE 59 S. 231 ff. = DVBl 1980 S. 564 ff. = DÖV 1980 S. 602 ff. = NJW 1980 S. 2595 ff. = juris Rdnr. 21 zur Ablehnung eines allgemeinpolitischen Mandats der verfassten Studentenschaft).Dieser wirtschaftlich-gewerbliche Kernbereich des Betätigungsfeldes der IHKn wird auch dadurch deutlich, dass sie in Hessen gemäß § 2 Abs. 1 HAGIHKG der Rechtsaufsicht des für Wirtschaft zuständigen Ministeriums unterstellt sind.

Der Kompetenzbereich der IHKn ist danach bei einer unmittelbaren spezifischen Betroffenheit der gewerblichen Wirtschaft, also im Kernbereich der Wirtschaftspolitik uneingeschränkt eröffnet.

Soweit Belange der gewerblichen Wirtschafter dagegen durch "ressortfremde" Aufgaben oder "Handlungsfelder" nur am Rande berührt werden, kann das nach den obigen Grundsätzen nicht das "Einfallstor" für eine unbeschränkte Befassungskompetenz der IHKn in derartigen "sachfremden" Bereichen sein. Je "ressortferner" eine öffentliche Angelegenheit ist, je geringer und je mittelbarer sie gewerbliche Belange nur am Rande berührt, je weniger es sich um sog. "harte" und je mehr es sich um sog. "weiche" Standortfaktoren handelt, um so stärker werden der zulässige Umfang und das zulässige Gewicht der Betätigung der IHKn begrenzt (vgl. auch OVG NW, Urteil vom 12. Juni 2003 a.a.O. juris Rdnr. 37 zur IHK-Beteiligung an einem städtischen Museum; VG Hamburg, Beschluss vom 9. Oktober 2007 - 2 E 3338/07 - juris Rdnr. 21 zur IHK-Äußerung über Volksgesetzgebung), um so mehr haben sie sich unter Berücksichtigung des Freiheitsbereichs ihrer Zwangsmitglieder und des Übermaßverbotes mit Aktivitäten und Stellungnahmen zurückzuhalten und dürfen mit einem "höchst möglichen Maß von Objektivität" (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 1962 a.a.O. juris Rdnr. 23) "ein bestimmtes eigenes politisches Engagement weder verfolgen noch erkennen lassen" (vgl. Hess. VGH, Urteil vom 21. Februar 1991 - 6 UE 3562/88 - NVwZ-RR 1991 S. 639 f. = juris Rdnr. 32 zu einem "Asta-Info").

Sie sind hier vielmehr auch in ihren Kompetenzen regelmäßig auf die Berührung gewerblicher Belange am Rande oder - wie die Beklagte in ihrer Berufungserwiderung selbst ausgeführt hat - auf die Darlegung beschränkt, "wie Maßnahmen der Regierung die gewerbliche Wirtschaft betreffen", also darauf, "die Auswirkungen staatlicher Maßnahmen auf eine bestimmte Gruppe, nämlich die gewerbliche Wirtschaft" zu beschreiben (und sich gegebenenfalls dagegen zu wenden), wozu es keiner besonderen Sachkunde auf den Gebieten bedürfe, denen die jeweiligen Maßnahmen zuzuordnen seien (vgl. Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 19. September 2007, Seite 10 unten). In diesen "fremden" Bereichen, wie etwa Schul-, Bildungs-, Familien- oder Kulturpolitik, fehlt den IHKn für konkrete und ins Einzelne gehende Lösungsvorschläge oder Forderungen, die in der Regel eine Abwägung auch mit anderen als wirtschaftlichen Belangen voraussetzen, typischerweise sowohl Sachkompetenz als auch eine auf der Bündelung von Mitgliederinteressen beruhende Legitimation.

Nach diesen Abgrenzungskriterien überschreiten die in den Nrn. 4 und 5 des Klageantrags wiedergegebenen Forderungen zur Bildungs- und zur Hochschul-, Forschungs- und Technologiepolitik der "Limburger Erklärung" den Kompetenz- und Aufgabenbereich der IHKn. In den Ausführungen zu diesen "Handlungsfeldern" auf den Seiten 25 bis 32 des Grundsatzpapiers "Gewerbe- und Industriestandort Hessen" wird zwar eine mittelbare Betroffenheit gewerblicher Belange etwa dadurch deutlich gemacht, dass der "Industriestandort Hessen ... exzellent ausgebildetes Humankapital" brauche, Fachkräftemangel bestehe, Schüler in der Lage sein müssten, "problemlösend zu agieren und mit modernen Informationstechnologien umzugehen", und dass die "Bereitschaft zu unternehmerischem Denken und Handeln ... frühzeitig in der Schule geweckt und gefördert werden" müsse (S. 25 f.). Weder die "Limburger Erklärung" noch die näheren Ausführungen in dem Grundsatzpapier beschränken sich aber auf die bestehenden oder gewünschten Auswirkungen der Bildungs- und Hochschulpolitik auf den gewerblichen Bereich, sie machen vielmehr in diesem "ressortfernen" Politikfeld konkrete und ins Einzelne gehende Lösungsvorschläge, die den zuständigen und dafür legitimierten Entscheidungsträgern im Schul- und Kultusbereich vorbehalten sind. So fällt etwa die Beantwortung der bildungspolitischen Frage, ob die Verbesserung der Hochschulausbildung wegen des daran bestehenden Allgemeininteresses allein aus allgemeinen Steuermitteln oder wegen der individuellen Vorteile der Studierenden (auch) über Studiengebühren finanziert werden sollen, nicht in den wirtschaftlich-gewerblichen Kompetenz- und Legitimationsbereich der IHKn, ebenso wenig wie etwa die im Grundsatzpapier weiter aufgestellten Forderungen nach "Entschlackung der Lehrpläne" (S. 26), Reduzierung allgemein bildender Lerninhalte (S. 28), "Verkürzung der Schulferien" (S. 27) oder nach einer leistungsorientierten Gestaltung des Dienst- und Besoldungsrechts der Hochschulmitarbeiter und Abschaffung von "Detailregelungen der Verwaltung und Dienstvorschriften, die einer modernen Mitarbeiterführung nicht gerecht werden und die angestrebten Reformziele konterkarieren" (S. 30). Derartig konkrete Forderungen und Stellungnahmen werden nicht der in diesen "ressortfernen" Politikfeldern gebotenen Zurückhaltung und Objektivität gerecht und müssen deshalb als Wahrnehmung eines den IHKn nicht zustehenden allgemeinpolitischen Mandats verstanden werden.

Das gilt ebenso für die in den Nrn. 8 und 9 des Klageantrags aufgeführten Forderungen zur Energiepolitik. Es gehört zwar zum Aufgabenkreis der IHKn, auf die Abgabenlast der Wirtschaft und ihre Abhängigkeit von kostengünstiger und zuverlässiger Energieversorgung hinzuweisen und insoweit Forderungen zu erheben. Es überschreitet aber ihren Kompetenzbereich, wenn sie zur Energiepolitik konkrete Lösungsvorschläge machen, die eine Abwägung auch mit anderen, nicht wirtschaftspolitischen Belangen voraussetzen. Die im gesellschaftlich-politischen Bereich kontrovers diskutierten Forderungen der Abgabenbelastung des Energieverbrauchs - wie das Erneuerbare Energien und das Kraft-Wärme-Koppelungsgesetz sowie die Ökosteuer (vgl. S. 10 des Grundsatzpapiers) - und des "Ausstiegs aus der Kernenergie" beruhen vorrangig auf umweltpolitischen Überlegungen, so dass die parteiergreifenden Meinungsäußerungen der IHKn zu diesen umwelt- und energiepolitischen Fragen auch insoweit nur als Wahrnehmung eines ihnen nicht zustehenden allgemeinpolitischen Mandats aufgefasst werden können.

Aus diesen Gründen ist nach Einschätzung des Senats von den in Nr. 6 des Klageantrags wiedergegebenen Stellungnahmen zur Umweltpolitik die auf eine Abschätzung der Folgen für die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft gerichtete Forderung in Satz 1 noch vom Aufgabenbereich der IHKn gedeckt, nicht aber die auf Verhinderung von "Vorhaben wie REACH (neue EU-Chemiekalienpolitik)" in Satz 2.

Gewisse, aber im Ergebnis nicht durchschlagende Zweifel bestehen noch hinsichtlich der in Nr. 10 des Klageantrags zur Verkehrspolitik wiedergegebenen konkreten Forderung nach einem zügig wettbewerbsgerechten Ausbau des Flughafens Frankfurt auf der Grundlage des Mediationsergebnisses, da auch hier umweltpolitische Belange zu berücksichtigen sind. Die Verkehrsanbindung stellt aber einen sog. "harten" Standortfaktor dar, wobei es - anders etwa als bei der Energieerzeugung - für die gewerblichen Betriebe auf die jeweilige Verkehrsart ankommt, denn es macht für sie einen Unterschied, ob eine Anbindung durch Nah- oder Fernverkehrsstraßen, über die Schiene oder durch regionalen oder überregionalen Luftverkehr erfolgt, so dass die Forderung nach einer konkreten Verkehrsanbindung sich unmittelbar auf die gewerbliche Betroffenheit bezieht.

Auch die übrigen im Klageantrag noch aufgeführten Erklärungen und Stellungnahmen halten sich nach Auffassung des Senats im wirtschaftspolitischen Kompetenzbereich der IHKn, so dass die Klage auch insoweit abzuweisen ist.

Die Klägerin und die Beklagte haben die gesamten Kosten des Verfahrens entsprechend ihrem jeweiligen Obsiegen und Unterliegen gemäß § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO je zur Hälfte zu tragen.

Die Entscheidungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit und die jeweilige Abwendungsbefugnis ergeben sich aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10 und § 711 ZPO.

Die Revision wird gemäß § 132 Abs. 1 Nr. 1 VwGO wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Abgrenzung des allgemeinen Kompetenz- und Aufgabenbereichs der IHKn in solchen Bereichen, in denen "Belange der gewerblichen Wirtschaft nur am Rande berührt sind", zugelassen.

Ende der Entscheidung

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