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Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 20.04.2009
Aktenzeichen: 8 A 1598/08.Z
Rechtsgebiete: DRiG, JAG 1994


Vorschriften:

DRiG § 5d
JAG 1994 § 17
JAG 1994 § 21
JAG 1994 § 21 a
Hat ein in der ersten juristischen Staatsprüfung erfolgloser Bewerber an einer Aufsichtsarbeit nicht teilgenommen, entfällt für ihn das Freiversuchsprivileg, weil er die vorgesehenen Prüfungsleistungen nicht vollständig erbracht hat (hier zu § 21a Abs. 1 Satz 1 JAG 1994).
HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF BESCHLUSS

8 A 1598/08.Z

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Prüfungsrechts - erste juristische Staatsprüfung / Freiversuch -

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 8. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Höllein, Richter am Hess. VGH Jeuthe, Richter am Hess. VGH Prof. Dr. Horn,

am 20. April 2009 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 08. Juli 2008 (Az.: 7 E 1159/07 (1)) wird abgelehnt.

Die Kosten des Antragsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Zulassungsantragsverfahren auf 7.500,- Euro festgesetzt.

Gründe:

Der gemäß § 124a Abs. 4 VwGO statthafte und auch im Übrigen zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das im Tenor genannte Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden bleibt ohne Erfolg. Keiner der geltend gemachten Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 VwGO rechtfertigt die Zulassung der Berufung.

1. Der Zulassungsantrag vermag zunächst keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des Zulassungsgrundes des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu begründen. Ernstliche Zweifel sind dann hinreichend dargelegt, wenn der Zulassungsantragsteller unter Hinweis auf diesen Zulassungstatbestand einen die angefochtene Entscheidung tragenden Rechtssatz oder entscheidungserhebliche Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2000 - 1 BvR 830/00 -, NVwZ 2000, 1163 f.; Beschluss vom 3. März 2004 - 1 BvR 461/03 -, BVerfGE 110, 77, 83). Der Zulassungsantrag enthält jedoch keine Gründe, die diesen Anforderungen genügen.

Die Bevollmächtigte des Klägers wendet sich gegen die verwaltungsgerichtliche Auslegung und Anwendung des Tatbestandsmerkmals "nach vollständiger Erbringung der vorgesehenen Prüfungsleistungen" in der so genannten Freiversuchsregelung des § 21a Abs. 1 Satz 1 JAG a.F. (insoweit wortgleich in § 21 Abs. 1 Satz 1 JAG n.F.). Nach Sinn und Zweck der Norm sei diese Voraussetzung auch dann erfüllt, wenn der Prüfungskandidat, wie hier der Kläger mangels Vorlage eines nach § 17 Abs. 7 JAG a.F. erforderlichen amtsärztlichen Zeugnisses, aus einem von ihm zu vertretenden Grund eine der vorgesehenen Aufsichtsarbeiten nicht angefertigt habe. Begründet wird dies mit dem Hinweis auf die Regelung des § 17 Abs. 4 JAG a.F., wonach das Versäumnis die Bewertung dieser Arbeit mit der Note "ungenügend" nach sich ziehe. Erst das unentschuldigte Nichtanfertigen mehrerer Aufsichtsarbeiten habe nach § 17 Abs. 3 Nr. 1 JAG a.F. das Nichtbestehen der gesamten Prüfung zur Folge. Demnach führe die Nichtanfertigung (nur) einer Arbeit nicht zu der weiteren Sanktion, dass die im Übrigen vollständig durchgeführte, im Ergebnis aber nicht bestandene Prüfung ihren Charakter als Freiversuch verliere. Insoweit dürfe nichts anderes gelten als in dem vergleichbaren Fall, in dem eine inhaltlich völlig unzureichende Bearbeitung mit "ungenügend" benotet würde. Demgegenüber hatte das Justizprüfungsamt dem Kläger in dem von ihm angegriffenen Bescheid vom 10. Mai 2007 mitgeteilt, dass er die nicht bestandene erste juristische Staatsprüfung gemäß § 21 Abs. 1 JAG a.F. einmal wiederholen dürfe, und damit mittelbar die Feststellung getroffen, dass die Prüfung nicht nach § 21a Abs. 1 Satz 1 JAG als nicht unternommen gelte.

Nach Ansicht der Vorinstanz entspricht diese Feststellung des Justizprüfungsamtes der Rechtslage. Dagegen ist nichts zu erinnern. Sie stimmt mit dem gesetzlichen Wortlaut überein. Da der Kläger unentschuldigt an einer der Aufsichtsarbeiten nicht teilgenommen hat, hat er die vorgesehenen Prüfungsleistungen nicht im Sinne des Art. 21a Abs. 1 Satz 1 JAG a.F. vollständig erbracht. Das Verwaltungsgericht hat es daher zu Recht abgelehnt, die erfolglose Prüfung des Klägers als Freiversuch anzuerkennen. Dem steht es nicht entgegen, dass die unentschuldigt versäumte Arbeit gemäß § 17 Abs. 4 JAG a.F. mit "ungenügend" zu bewerten war. Die Vorschrift regelt ebenso wie § 17 Abs. 3 Nr. 1 JAG a.F. für den Fall des unentschuldigten Nichtanfertigens mehrerer Aufsichtsarbeiten lediglich die durch das Versäumnis verwirkten Rechtsfolgen für das laufende Prüfungsverfahren. Diese Rechtsfolgen treten unabhängig davon ein, um welche Art es sich bei der betreffenden Prüfung für den Kandidaten handelt: um seinen ersten "regulären" Versuch, um eine Wiederholung oder um eine "im" Freiversuch angetretene Prüfung. Unter welchen Voraussetzungen hingegen die Vergünstigung eintritt, dass die Prüfung bei Nichtbestehen "als" Freiversuch gilt, ist das Thema der eigenständigen Regelung des § 21a Abs. 1 JAG a.F. Daher geben weder die Rechtsfolge des Nichtbestehens der gesamten Prüfung im Fall des § 17 Abs. 3 JAG a.F. noch die Rechtsfolge des Nichtbestehens der einzelnen Prüfungsleistung im Fall des § 17 Abs. 4 JAG a.F. unmittelbar eine Antwort auf die Frage, ob die vorgesehenen Prüfungsleistungen im Sinne der Voraussetzung des § 21a Abs. 1 Satz 1 JAG a.F. vollständig erbracht worden sind. Auch dass ein Kandidat, wie vorliegend der Kläger, im Fall des § 17 Abs. 4 JAG a.F. schließlich die gesamte Prüfung erfolglos zu Ende geführt hat, bedeutet nicht, dass er die Prüfung vollständig abgelegt hat. Das Nichtbestehen der Prüfung ist lediglich eine der Voraussetzungen für die Vergünstigung der Freiversuchsregelung, dass dem Kandidaten zwei weitere Prüfungsversuche verbleiben. Zu dieser tritt die vollständige Erbringung aller Prüfungsleistungen als eine zusätzliche, kumulativ geforderte Voraussetzung hinzu, andernfalls sie überflüssig wäre.

Das Tatbestandsmerkmal der vollständigen Erbringung in § 21a Abs. 1 Satz 1 JAG a.F. verlangt die ernsthafte Ableistung jeder einzelnen vorgesehenen Prüfungsleistung. Das ergibt sich aus der Anwendung der herkömmlichen Methoden der Gesetzesauslegung unter Einschluss der historischen Gesetzgebungsmaterialien. Das Verwaltungsgericht erkennt daher zutreffend, dass die Freiversuchsregelung keinen Raum für eine einschränkende Auslegung belässt, nach der sie auch dann zur Anwendung gelangen könne, wenn eine der vorgesehenen Prüfungsleistung nicht erbracht worden sei.

Dies gilt zumindest für den - vorliegenden - Fall des unentschuldigten Fernbleibens von einer Aufsichtsarbeit. Über die Auswirkungen eines entschuldigten Prüfungsversäumnisses auf die Freiversuchsregelung des § 21a Abs. 1 Satz 1 JAG a.F. ist hier nicht zu entscheiden. Der hessische Gesetzgeber hat diesen Fall nicht expressis verbis geregelt. Vorgeschrieben ist lediglich, dass bei einem nicht zu vertretenden Versäumnis einer oder mehrerer Aufsichtsarbeiten alle Aufsichtsarbeiten erneut anzufertigen sind (§ 17 Abs. 6 JAG a.F., § 16 Abs. 6 JAG n.F.). Wenn man jedoch aus dem Sinn dieser Regelung die Annahme folgerte, das entschuldigte Versäumnis einer Aufsichtsarbeit führte zum Verlust des Freiversuchs, weil die Anordnung, alle Aufsichtsarbeiten erneut anzufertigen, dem Nachteil begegnen wolle, die "im" Freiversuch begonnene Prüfung "regulär", d.h. unter der Bedingung einer nur einmaligen Wiederholungsmöglichkeit fortsetzen zu müssen (vgl. dazu die amtliche Begründung zur bundesrechtlichen Vorgabe der Freiversuchsregelung in § 5d Abs. 5 DRiG, BT-Drs. 12/2280 vom 17. März 1992, S. 7 f.), dann kann für das unentschuldigte Fernbleiben nicht das Gegenteil gelten. Denn dies liefe auf eine Privilegierung des unentschuldigten gegenüber dem entschuldigten Kandidaten hinaus mit der Folge, dass sich etwa der tatsächlich erkrankte Kandidat veranlasst sehen müsste, ohne Einholung eines amtsärztlichen Attests von dem Prüfungstermin fernzubleiben, um sich den Freiversuch zu erhalten. Sollte man hingegen ungeachtet dessen umgekehrt unterstellen, dem entschuldigten Kandidaten bliebe nach der Gesetzeslage der Freiversuch erhalten, kann wiederum für das unentschuldigte Fernbleiben nicht das Gleiche gelten. Andernfalls könnten die Prüfungskandidaten im Hinblick auf den Erhalt des Freiversuchs nach Belieben verfahren. Gleichviel, ob die Anfertigung einer Aufsichtsarbeit aus zu vertretenden oder nicht zu vertretenden Gründen unterblieben wäre, wäre das Versäumnis unschädlich. Die Anwendung der Freiversuchsregelung würde praktisch dem klaren Wortlaut zuwider auf das Erfordernis reduziert, nur die um eine Aufsichtsarbeit verminderte Anzahl der erforderlichen Prüfungsleistungen erbringen zu müssen. Beide Folgen können ersichtlich nicht gewollt sein. Ungeachtet der Frage, wie sich ein entschuldigtes Versäumnis von Prüfungsleistungen auf die Freiversuchsregelung auswirkt, sind daher jedenfalls bei einem unentschuldigten Versäumnis einer Aufsichtsarbeit die vorgesehenen Prüfungsleistungen nicht vollständig im Sinne des § 21a Abs. 1 Satz 1 JAG a.F. erbracht, so dass der Kandidat im Falle des Nichtbestehens der Prüfung nach § 21 Abs. 1 JAG a.F. (nur noch) eine Wiederholungsmöglichkeit hat.

Dieser Rechtslage kann nicht entgegengehalten werden, dass in dem vom Justizprüfungsamt veröffentlichten Merkblatt "Hinweise zum Verhalten bei Krankheit oder sonstigen Ausfallgründen in der Prüfungszeit zur Ablegung der ersten juristischen Staatsprüfung in Hessen" unter der Überschrift "Ergänzender Hinweis zum Freiversuch" lediglich ausgeführt wird, dass im Fall des § 17 Abs. 3 Nr. 1 JAG a.F., wenn der Prüfling unentschuldigt mehr als eine Aufsichtsarbeit versäumt oder nicht abgibt und daher seine Prüfung für nicht bestanden erklärt wird, ein Freiversuch nicht vorliegt, weil dann die vorgesehenen Prüfungsleistungen nicht vollständig erbracht sind. Richtigerweise wäre hier ebenso der Fall des § 17 Abs. 4 JAG a.F. anzuführen gewesen, weil, wie dargelegt, eine Prüfung, die insgesamt erfolglos bleibt, auch dann nicht vollständig abgelegt ist, wenn nur eine Aufsichtsarbeit versäumt oder nicht abgegeben wird. Die Unzulänglichkeit des behördlichen Hinweises vermag jedoch die sich aus dem Gesetz ergebende Rechtslage nicht zu beeinflussen. Der Zulassungsantrag kann daher aus der Unzulänglichkeit des Merkblatts keinen durchgreifenden Einwand gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil begründen. Dass in der Person des Klägers ein schutzwürdiger Vertrauenstatbestand erwachsen ist, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.

Die vorstehende Gesetzesauslegung entspricht der schon vom Verwaltungsgericht angeführten Entstehungsgeschichte der Freiversuchsregelung. § 21a JAG a.F. (vom 19. Januar 1994, GVBl. I S. 73) beruht auf der bundesrechtlichen Vorgabe des § 5d Abs. 5 DRiG (i.d.F. des Gesetzes vom 20. November 1992, BGBl. I S. 1926). Dort ist

- in Satz 2 - ohne Einräumung eines landesrechtlichen Regelungsspielraums bestimmt, dass eine erfolglose Prüfung als nicht unternommen gilt, wenn der Bewerber (sich frühzeitig zur Prüfung gemeldet und) "die vorgesehenen Prüfungsleistungen vollständig erbracht hat". Der sich daran - in den Sätzen 3 und 4 - anschließende Auftrag an den Landesgesetzgeber, das Nähere zu regeln, lässt diese verbindliche Vorgabe unberührt. In der amtlichen Begründung des zugrunde liegenden Gesetzentwurfs wird zum einen hervorgehoben, dass die bundesweite Einführung des "Freischusses" das dringende Anliegen verfolgt, die Dauer der deutschen Juristenausbildung insgesamt zu verkürzen, und zum anderen darauf hingewiesen, dass nach diesem Sinn der Regelung einem Prüfungsteilnehmer dann nicht mehr der Freischuss zuerkannt werden kann, wenn er etwa wegen Krankheit die Prüfung unterbrechen muss (vgl. BT-Drs., a.a.O., S. 7). Infolge dieser bundesrechtlich veränderten Situation war der hessische Landesgesetzgeber veranlasst, die zuvor geltende Regelung des § 21a Abs. 1 Satz 1 JAG i.d.F. vom 2. April 1992 (GVBl. I S. 118) entsprechend anzupassen. Dass die Vorschrift daher in der (vorliegend maßgeblichen) Neufassung von 1994 - ebenso wie in der Nachfolgeregelung des § 21 Abs. 1 JAG n.F. (vom 15. März 2004, GVBl. I. S. 158) - die "vollständige Erbringung der vorgesehenen Prüfungsleistungen" fordert, deutet die amtliche Entwurfsbegründung dabei durchaus zutreffend als eine "Verengung und Verschärfung der Freiversuchskriterien" (LT-Drs. 13/4425 vom 28. Juni 1993, S. 29).

In dieser Begründung heißt es im Weiteren, dass "nunmehr Studentinnen und Studenten das Freiversuchsprivileg einbüßen, wenn sie aufgrund erster schwacher Prüfungsleistungen ein schwaches Gesamtergebnis der Prüfung erwarten und daher von der Prüfung zurücktreten". Der Zulassungsantrag folgert aus diesem Passus, dass somit erst bei einem Rücktritt von der Prüfung der Freiversuch verloren gehe, nicht aber in dem Fall, in dem etwa krankheitsbedingt eine Aufsichtsarbeit nicht angefertigt und die Prüfung erfolglos zu Ende geführt worden sei. Doch der Einwand geht fehl. Der in Bezug genommene Passus kann nicht als Beleg für eine dahingehende Auffassung des Gesetzgebers in Anspruch genommen werden. Die Aussage steht nicht im Zusammenhang mit dem Tatbestandsmerkmal der vollständigen Erbringung der Prüfungsleistungen. Sie bezieht sich vielmehr auf die im Zuge der Neufassung des § 21a JAG 1994 zugleich - aufgrund der Ermächtigung des § 5d Abs. 5 Satz 4 DRiG - eingeführte Wiederholungsmöglichkeit zur Notenverbesserung (§ 21a Abs. 5 JAG a.F.), wenn die Prüfung "im" Freiversuch, d.h. bei rechtzeitiger Anmeldung, abgelegt und bestanden wurde. Aus ihr können keinerlei Rückschlüsse für die Auslegung jener Voraussetzung gezogen werden, an die der Gesetzgeber für den anderen Fall, dass die Prüfung nicht bestanden wurde, die andere Vergünstigung knüpft, dass zum Bestehen der Prüfung zwei weitere Möglichkeiten verbleiben.

Mit der Einräumung einer Wiederholung zur Notenverbesserung sucht der hessische Landesgesetzgeber erklärtermaßen die Verschärfung der Freiversuchsregelung aufzufangen (vgl. LT-Drs., ebd., S. 29). Dem liegt die Einschätzung zugrunde, dass das Erfordernis der vollständigen Erbringung aller Prüfungsleistungen den Anreiz mindert, sich frühzeitig zum Examen zu melden. Die unter den Studierenden ohnehin zu beobachtende Angst, als Folge der frühzeitigen Anmeldung an eine schwache Examensnote gebunden zu sein, würde dadurch noch verstärkt. Auf diese Lage bezieht sich der erwähnte Passus der Gesetzesbegründung. Denn um jener Befürchtung zu entgehen, bliebe ohne die Möglichkeit zur Notenverbesserung nur der Rücktritt von der angefangenen Prüfung, jedoch mit der Folge, dass damit das Freiversuchsprivileg verloren ginge. Mit diesen Erwägungen bringt der Gesetzgeber offenkundig nicht die Auffassung zum Ausdruck, das Freiversuchsprivileg entfalle überhaupt nur, wie die Bevollmächtigte des Zulassungsantragstellers meint, wenn der Kandidat die Prüfung abbricht und zurücktritt. Aus der Regelung zur Notenverbesserung und ihrer Begründung kann daher nicht herleitet werden, das Versäumnis einer Aufsichtsarbeit würde dem Kandidaten bei fortgesetzter, aber im Ergebnis nicht bestandener Prüfung die Vorzugsregelung des Freischusses belassen. In der Konsequenz der gesetzgeberischen Überlegungen liegt es lediglich, dass in einem solchen einmaligen Versäumnisfall die Erbringung aller weiteren Prüfungsleistungen die Chance auf einen erfolgreichen Abschluss des Examens und damit auf die Möglichkeit zur Notenverbesserung erhält. Darauf ist der Kläger folgerichtig im Verlauf seines Prüfungsverfahrens vom Justizprüfungsamt hingewiesen worden (Bl. 27 der BA).

Gegen den Wegfall der Vergünstigung des § 21a Abs. 1 Satz 1 JAG a.F. für den Kläger spricht des Weiteren nicht die Einwendung im Zulassungsantrag, sein Fernbleiben von der Aufsichtsarbeit sei gerade darauf zurückzuführen, dass das Gesetz für den Fall einer Erkrankung die Durchführung einer amtsärztlichen Untersuchung vorschreibe. Es sei widersinnig anzunehmen, dem Kläger wäre die Freiversuchsregelung erhalten geblieben, wenn er es nach der Untersuchung noch geschafft hätte, in das Prüfungsgebäude zu gelangen und ein leeres Bearbeitungsblatt abzugeben. Das Verwaltungsgericht hat zur Bewertung der vom Kläger versäumten Arbeit mit "ungenügend" nach § 17 Abs. 4 JAG a.F. zutreffend die - mit dem Zulassungsantrag nicht angegriffene - Auffassung vertreten, dass es ein Prüfling auch zu vertreten hat, wenn sich die von ihm subjektiv für gegeben gehaltene krankheitsbedingte Prüfungsunfähigkeit bei der amtsärztlichen Untersuchung nicht bestätigt und aufgrund des Aufsuchens des Amtsarztes ein Prüfungstermin versäumt wird. Die Last des damit für den Prüfling gegebenen Risikos setzt sich im Rahmen der Freiversuchsregelung des § 21a Abs. 1 Satz 1 JAG a.F. fort. Wie oben dargelegt, hat jedenfalls das unentschuldigte Versäumnis einer Aufsichtsarbeit den Verlust des Freischusses zur Folge. Dass wegen des Gangs zum Amtsarzt die Erbringung einer für die Anwendung der Freiversuchsregelung erforderlichen Prüfungsleistung unterbleibt, liegt daher zumindest dann in der Verantwortung des Prüflings, wenn sich bei der Untersuchung die subjektiv empfundene Prüfungsunfähigkeit nicht belegen lässt. Dem kann auch nicht dadurch begegnet werden, dass möglichst noch vor Ende des Prüfungstermins allein der Form halber ein leeres Blatt als Bearbeitung der für den Tag des Arztbesuchs vorgesehenen Aufsichtsarbeit abgegeben wird. Die Prüfungsleistung einer juristischen Aufsichtsarbeit verlangt, für die in einem Lebenssachverhalt enthaltenen oder durch ein Thema bestimmten Rechtsprobleme unter Darstellung der dazu führenden Erwägungen einen Vorschlag für ihre rechtliche Behandlung zu erarbeiten (vgl. § 13 Abs. 1 JAG a.F.). Daher liegt eine Erbringung dieser Prüfungsleistung nicht vor, wenn schriftliche Äußerungen des Kandidaten fehlen, die eine Stellungnahme zu den durch die Aufgabenstellung aufgeworfenen Problemen wenigstens ansatzweise enthalten. Auch in einem solchen Fall wäre die Vergünstigung des § 21a Abs. 1 Satz 1 JAG a.F. verwirkt (vgl. VG Frankfurt, Urteil vom 3. Dezember 2007 - 12 E 5622/06 -, juris-Dok. Rn. 13, LKRZ 2008, S. 117 f.).

Vergeblich rügt der Zulassungsantrag schließlich sinngemäß eine verfassungsrechtlich erhebliche Ungleichbehandlung zwischen einem erfolglosen Kandidaten, der eine Aufsichtsarbeit versäume, und einem solchen, dessen Aufsichtsarbeit wegen mangelhafter Leistung mit "ungenügend" bewertet würde. Während ersterer den Freiversuch verliere und nur noch eine Wiederholungsmöglichkeit habe, käme der andere in den Genuss der Freiversuchsregelung und hätte noch zwei weitere Chancen, die Prüfung zu bestehen. Darin liegt jedoch keine, jedenfalls keine unsachliche oder sonst ungerechtfertigte Ungleichbehandlung. Das wesentliche Kriterium, an das die gesetzliche Regelung die Vergünstigung des Freiversuchs knüpft, ist nicht das Nichtbestehen der vorgesehenen Prüfungsleistungen, sondern deren vollständige Erbringung. Mit dieser Voraussetzung sucht der Gesetzgeber die Effektivität seiner Regelung zu sichern. Sie dient dem legitimen Anliegen, die Dauer der Juristenausbildung nachhaltig zu verkürzen, indem sie nicht schon die frühzeitige Anmeldung zur Prüfung, sondern erst die vollständige Ablegung der Prüfung mit der Fiktion honoriert, im Versagensfalle gelte sie als nicht unternommen. Die Regelung setzt mithin einerseits den Anreiz, die Prüfung "im" Freiversuch anzugehen, verlangt aber andererseits deren ernsthafte und vollständige Durchführung, um "als" Freiversuch gelten zu können. Derjenige, der diese Anforderung erfüllt, unterscheidet sich in Anbetracht des Regelungsziels wesentlich von demjenigen, der sie nicht erfüllt. Dass das Gesetz daran unterschiedliche Rechtsfolgen knüpft, ist jedenfalls sachlich gerechtfertigt und gibt keinen Anlass zur grundrechtlichen Beanstandung.

2. Ohne Erfolg bleibt auch die Geltendmachung des Zulassungsgrundes des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO. Die Rechtssache weist keine im Sinne dieser Vorschrift besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf, die sich erst in einem Berufungsverfahren klären lassen. Die Auslegung des Tatbestandsmerkmals der "vollständigen Erbringung der vorgesehenen Prüfungsleistungen" in § 21a Abs. 1 Satz 1 JAG a.F. ist nicht von derart überdurchschnittlicher, das normale Maß nicht unerheblich überschreitender Schwierigkeit (vgl. zu dieser Voraussetzung etwa Kopp / Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, § 124 Rn. 9), dass sie nicht ohne weiteres, wie aufgewiesen, im Zulassungsverfahren geklärt werden kann.

3. Schließlich ist die Durchführung eines Berufungsverfahrens auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache geboten (Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Soweit der Zulassungsantrag hierzu erneut auf die Klärungsbedürftigkeit des Tatbestandsmerkmals der "vollständigen Erbringung der vorgesehenen Prüfungsleistungen" in § 21a Abs. 1 Satz 1 JAG a.F. verweist, sind weitergehende, über das Vorstehende hinausreichende Darlegungen nicht veranlasst. Aber auch die zudem vorgebrachten Erwägungen greifen nicht durch. Die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage wirft auch angesichts des klaren Wortlauts der gesetzlichen Freiversuchsregelung keine Zweifel auf, die es rechtfertigen, sie wegen einer über den Streitfall hinausgehenden, allgemeinen Bedeutung im Dienste der Rechtssicherheit, der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung in einer Weise für grundsätzlich klärungsbedürftig zu halten, die die Durchführung eines Berufungsverfahrens erfordert (vgl. zu dieser Einschränkung Kopp / Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, § 124 Rn. 10). Die erstrebte Berufungszulassung ist daher auch unter diesen Gesichtspunkten nicht veranlasst.

4. Da der Kläger mit seinem Zulassungsantrag erfolglos bleibt, hat er die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO).

5. Die Entscheidung über die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 52 Abs. 1, 47 Abs. 1, 2 und 3 GKG und folgt der unter Anwendung des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Nr. 36.1) getroffenen Festsetzung der Vorinstanz.

6. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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