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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 19.05.2008
Aktenzeichen: 8 B 557/08
Rechtsgebiete: HSOG, VwGO


Vorschriften:

HSOG § 8
HSOG § 40
VwGO § 80 Abs. 5 S. 3
VwGO § 123 Abs. 5
Eine im Wege unmittelbarer Ausführung vollzogene Sicherstellung einer Sache ist ein Verwaltungsakt, der ohne vorherige Bekanntgabe an den Adressaten vollzogen wird; einstweiliger Rechtsschutz dagegen ist ggf. nach § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO und nicht durch einstweilige Anordnung zu gewähren.
HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF BESCHLUSS

8 B 557/08

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Sicherstellung eines Kraftfahrzeugs

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 8. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Höllein, Richter am Hess. VGH Schröder, Richterin am Hess. VGH Dr. Lambrecht,

am 19. Mai 2008

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 11. Februar 2008 - 5 L 254/08.F (1) - mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung aufgehoben. Die Aufhebung der Vollziehung der im Wege unmittelbarer Ausführung erfolgten Sicherstellung des Kraftfahrzeugs BMW mit dem bisherigen amtlichen Kennzeichen MKK-... wird angeordnet; der Antragsgegnerin wird aufgegeben, dieses Kraftfahrzeug unverzüglich ohne Gegenleistung an den Antragsteller herausgeben zu lassen.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen.

Der Streitwert für die zweite Instanz wird auf 1.000,00 € festgesetzt.

Gründe:

An der Zulässigkeit der form- und fristgerecht eingelegten Beschwerde bestehen im Ergebnis nicht durchgreifende Zweifel, weil für den Antragsteller innerhalb der Beschwerdefrist nur ein Aufhebungsantrag und ein Kostenantrag gestellt worden sind, nicht aber ein bestimmter Sachantrag, der geeignet wäre, dem inhaltlichen Begehren des Antragstellers zum Erfolg zu verhelfen (§ 146 Abs. 4 S. 3 VwGO). Da es sich nach Auffassung des Senats bei einer polizeirechtlichen Sicherstellung im Wege unmittelbarer Ausführung um einen Verwaltungsakt handelt, der ohne vorherige Bekanntgabe vollzogen werden kann (Bay. VGH, Urteil vom 25. Februar 1991 - 21 B 90.01727 -, BayVBl. 1991, 433 [435] m.w.N.; Hess. VGH, Urteil vom 17. März 1998 - 11 UE 327/96 -, juris Rdnr. 21; VG Frankfurt am Main, Urteil vom 30. Januar 2007 - 5 E 2957/06 -, juris Rdnrn. 19 f.; a.A. Hornmann, HSOG, Rdnr. 2 zu § 8 HSOG m.w.N.) und durch die unmittelbare Ausführung vollzogen wird, hätte der Antragsteller im Beschwerdeverfahren zusätzlich den Antrag stellen müssen, die Vollziehung der Sicherstellung durch Herausgabe des sichergestellten Kraftfahrzeugs ohne Gegenleistung rückgängig zu machen (§ 80 Abs. 5 S. 3 VwGO). Trotz der insoweit formal unzureichenden Antragstellung ist der Senat allerdings in Anwendung des Rechtsgedankens des § 88 VwGO der Auffassung, dass der Antragsteller, der in erster Instanz das gleiche Ziel mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung angestrebt hat, dieses Begehren mit der Beschwerde weiterverfolgt und die Herausgabe seines PKW erreichen möchte, worauf auch die Begründung der Beschwerde im Ergebnis hinausläuft.

Die somit zulässige Beschwerde ist auch begründet, denn die Sicherstellung des Kraftfahrzeugs des Antragstellers am 4. Januar 2008 war entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts ebenso offensichtlich rechtswidrig wie ihre Aufrechterhaltung bis zum heutigen Tage, so dass an ihrer sofortigen Vollziehung kein öffentliches Interesse bestand und an deren Aufrechterhaltung kein solches Interesse besteht. Da es sich bei der vollzogenen Sicherstellung um einen Verwaltungsakt handelt, ist einstweiliger Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO zu gewähren und nicht durch eine in erster Instanz beantragte einstweilige Anordnung (§ 123 Abs. 5 VwGO). Der dazu erforderliche Widerspruch gegen die Sicherstellung ist unter Berücksichtigung des zuvor zwischen den Beteiligten per E-Mail geführten Schriftverkehrs spätestens in dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 28. Januar 2008 zu sehen.

Die offensichtliche Rechtswidrigkeit der Sicherstellung ergibt sich zum einen daraus, dass sie im Wege unmittelbarer Ausführung vollzogen wurde, obgleich der Antragsteller zugegen war und in der üblichen Weise als Störer hätte in Anspruch genommen werden können (Hornmann, HSOG, Rdnr. 5 zu § 8 m.w.N.). Zwar lässt sich die Tatsache der Anwesenheit des Antragstellers am Vollziehungsort der völlig unzureichenden Dokumentation des Vorgangs durch die einschreitenden Bediensteten der Beklagten nicht entnehmen. Jedoch ergibt sich aus einer an den Antragsteller gerichtlichen E-Mail eines Sachbearbeiters der Straßenverkehrsbehörde vom 15. Januar 2008 (Bl. 18 des die Sicherstellung am 4. Januar 2008 betreffenden Behördenvorgangs der Antragsgegnerin), dass der Antragsteller am 8. Januar 2008 seine Kfz-Kennzeichen vom Fahrzeug entfernt und seinen Fahrzeugschein beim Abschleppdienst abgeholt habe, um Zulassungsformalitäten abzustimmen. Dies setzt voraus, dass der Antragsteller den die Sicherstellung vollziehenden Bediensteten den Fahrzeugschein ausgehändigt hat und zum Zeitpunkt der Sicherstellung noch Kfz-Kennzeichen am Fahrzeug angebracht waren, was zugleich verdeutlicht, dass der Vorgang in den "Tatangaben" in einer "Übersicht über den Verfahrensablauf" vom 18. Januar 2008 (Bl. 39 des vorgenannten Behördenvorgangs) falsch dokumentiert worden ist. Dort heißt es: "Das angegebenen Fahrzeug stand ohne Kennzeichen/Zulassung im öffentlichen Verkehrsraum". Beides entspricht offensichtlich nicht der Wahrheit, denn das Fahrzeug war damals noch mit Kennzeichen versehen und zum öffentlichen Straßenverkehr zugelassen, wenn auch in Widerspruch zu der vom Landrat des Main-Kinzig-Kreises mit Bescheid vom 10. September 2007 (Bl. 32 der weiteren Behördenakten [Rückhalt] betreffend die Sicherstellung des Fahrzeugs am 27. Februar 2007) verfügten, auf § 14 Kraftfahrzeugsteuergesetz gestützten Betriebsuntersagung wegen nicht entrichteter Kraftfahrzeugsteuern.

Die offensichtliche Rechtswidrigkeit der Sicherstellung des Kraftfahrzeugs des Antragstellers am 4. Januar 2008 ergibt sich zum anderen daraus, dass die Maßnahme eindeutig unverhältnismäßig war. Denn sie diente nach der aus der Verhandlungsniederschrift über eine Abschleppmaßnahme vom "04.01.07" (Bl. 1 der den Abschleppvorgang am 4. Januar 2008 betreffenden Behördenakten) der Sicherstellung und Entstempelung, also der Vorbereitung einer Abmeldung von Amts wegen im Sinne des § 14 Kraftfahrzeugsteuergesetz 2002 in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. September 2002 (BGBl I Seite 3818), zuletzt geändert durch Gesetz vom 17. August 2007 (BGBl. I Seite 1958), der übrigens zu der vom Landrat des Main-Kinzig-Kreises verfügten Betriebsuntersagung gar nicht (mehr) ermächtigt. Da der Antragsteller seinerzeit zugegen war und den Fahrzeugschein den einschreitenden Bediensteten der Antragsgegnerin offenbar bereits ausgehändigt hatte, wäre es zur Erledigung des Amtshilfeersuchens des Landrats des Main-Kinzig-Kreises ausreichend gewesen, die am Fahrzeug angebrachten Kennzeichen entweder an Ort und Stelle zu entstempeln oder sie zu diesem Zweck vom Fahrzeug zu entfernen und sicherzustellen, sofern eine unbefugte Verwendung des Fahrzeugs durch den Antragsteller trotz seiner Stilllegung zu erwarten gewesen wäre. Die Sicherstellung des Fahrzeugs selbst war zu diesem Zweck nicht erforderlich und verletzte daher das Übermaßverbot. Soweit die Antragsgegnerin im gerichtlichen Verfahren als weiteren Zweck der Sicherstellung die Verhinderung der Begehung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten mit dem sichergestellten Fahrzeuge nachgeschoben hat, kann dem nicht gefolgt werden, weil nach dem Akteninhalt die Sicherstellung ausschließlich erfolgte, um dem Amtshilfeersuchen des Landrats des Main-Kinzig-Kreises nachzukommen. Ob durch die Abmeldung des am Abstellort verbleibenden Fahrzeugs von Amts wegen straßenrechtlich eine unerlaubte Sondernutzung (vgl. § 17a HStrG) verursacht worden wäre, kann dahinstehen, denn die einschreitenden Bediensteten der Antragsgegnerin haben sich nicht auf diese Bestimmung bezogen und nicht die danach erforderlichen Maßnahmen getroffen.

Auch die Inzwischen am 28. Januar 2008 erfolgte Pfändung des sichergestellten Kraftfahrzeugs (vgl. den erstinstanzlichen Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 6. Februar 2008, Bl. 19 f. GA) hindert nicht daran, die Aufhebung der Vollziehung der Sicherstellung des Fahrzeugs anzuordnen und die Antragsgegnerin dadurch zu verpflichten, das Fahrzeug ohne Gegenleistung an den Antragsteller herauszugeben. Dabei kann dahinstehen, ob der Pfändung eine fällige Forderung der Antragsgegnerin zu Grunde liegt und der Pfändungsakt wirksam ist. Jedenfalls ist nicht ersichtlich, aus welchen Gründen der als Regelfall vorgesehene Verbleib gepfändeter Gegenstände im Gewahrsam des Pflichtigen (§ 34 Abs. 2 HessVwVG) ausnahmsweise nicht möglich sein soll. Offenbar hat die Antragsgegnerin bisher auch keine ernsthaften Anstalten gemacht, das gepfändete Kraftfahrzeug zu verwerten (§ 37 Abs. 1 HessVwVG).

Die in beiden Instanzen entstandenen Kosten hat die Antragsgegnerin zu tragen, weil sie letztlich unterliegt (§ 154 Abs. 1 VwGO).

Bei der Streitwertfestsetzung geht der Senat von den geschätzten (weiteren) Verwahrungskosten aus, vor deren Entrichtung Zug um Zug gegen Herausgabe des Kraftfahrzeugs sich der Antragsteller mit der Beschwerde schützen möchte (§§ 47 Abs. 1 und 2, 52 Abs. 1 GKG).

Der Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 66 Abs. 3 S. 3, 68 Abs. 1 S. 5 GKG).

Ende der Entscheidung

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