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Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 18.01.2001
Aktenzeichen: 8 GM 3131/00.SO.T
Rechtsgebiete: GG, VergabeVO-ZVS


Vorschriften:

GG Art. 12 Abs. 1 S. 1
VergabeVO-ZVS § 7 Abs. 4
VergabeVO-ZVS § 11 Abs. 3 S. 3
1. Die aufgrund von Überbuchungen im ZVS-Vergabeverfahren über die festgesetzte Zulassungszahl hinaus erfolgte Besetzung von Studienplätzen kann einem Studienbewerber auch in einem unmittelbar gegen die Hochschule auf Zuteilung eines Studienplatzes außerhalb der festgesetzten Kapazität geführten Gerichtsverfahren als kapazitätsdeckend entgegengehalten werden.

2. Die der ZVS vom Verordnungsgeber eingeräumte Überbuchungsmöglichkeit bezieht sich nicht nur auf das Haupt-, sondern auch auf Nachrückverfahren.


Gründe:

I.

Der Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO mit dem Inhalt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihn vorläufig zum Studium im Studiengang Humanmedizin, beginnend mit dem 1. Fachsemester im Sommersemester 2000, zuzulassen, sofern nach den Verteilungskriterien des Gerichts ein freier Studienplatz auf ihn entfällt, und ihn unverzüglich vom Ergebnis der Verteilung zu unterrichten,

hilfsweise,

ihn vorläufig auf den vorklinischen Studienabschnitt beschränkt zuzulassen, ist mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen vom 4. Mai 2000 u. a. mit der Begründung zurückgewiesen worden, es sei nicht glaubhaft gemacht, dass die Antragsgegnerin im Studiengang Humanmedizin für das 1. Fachsemester unter Berücksichtigung der aktuellen Belegung noch über Studienplätze verfüge. Die gerichtlich ermittelte Semesterquote für Studienanfänger übertreffe zwar die durch die Zulassungszahlenverordnung 1999/2000 festgesetzte Zahl von 170 um 4 Studienplätze. Jedoch habe die Antragsgegnerin im Verlauf des durch die ZVS gesteuerten Nachrückverfahrens im 1. Fachsemester 179 Bewerber aufnehmen müssen, so dass diese Überbelegung um 5 Studienplätze die Zulassung weiterer Studierender nicht zulasse. Die dagegen gerichtete Beschwerde hat der Senat mit Beschluss vom 15. September 2000 wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs zugelassen, weil dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers trotz einer entsprechenden Aufforderung bereits in der Antragsschrift weder die beigezogenen Kapazitätsberechnungsunterlagen noch Stellungnahmen der Antragsgegnerin zur Kenntnis gegeben worden sind.

II.

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.

Der Antragsteller hat auch im Beschwerdeverfahren einen Anordnungsanspruch in Form eines Anspruchs auf Zuteilung eines Studienplatzes außerhalb der festgesetzten Zulassungszahl nicht gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 und § 294 ZPO glaubhaft gemacht. Er hat nämlich trotz nachträglicher Übersendung der Kapazitätsberechnungsunterlagen und einer in einem anderen Streitverfahren eingereichten Stellungnahme der Antragsgegnerin vom 30. Juni 2000, wonach im Studiengang Humanmedizin aufgrund einer sog. Überbuchung im ZVS-Vergabeverfahren bis zum 14. Juni 2000 insgesamt 187 Studierende im 1. Fachsemester eingeschrieben worden seien, auch unter Berücksichtigung seines in Bezug genommenen Vorbringens im Zulassungsantrag zum sog. Dienstleistungsexport und trotz eines entsprechenden gerichtlichen Hinweises nicht dargelegt, dass über die danach belegten Plätze hinaus noch freie und ungenutzte Studienplätze zur Verfügung standen. Er hat vielmehr nur die über die festgesetzte Zulassungszahl von 170 Studienplätzen hinausgehende Überbesetzung mangels "schlüssigen Sachvortrags" und "einer entsprechenden Glaubhaftmachung" tatsächlich in Zweifel gezogen und daraus hergeleitet, dass die vom Verwaltungsgericht zusätzlich ermittelten 4 Studienplätze noch zu verteilen seien.

Dem ist aber zum Einen entgegenzuhalten, dass die daraufhin von der Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 15. Dezember 2000 nochmals und in allen Einzelheiten plausibel und nachvollziehbar abgegebene und ohne Widerspruch des Antragstellers gebliebene Darstellung des zu der Überbesetzung führenden ZVS-Vergabeverfahrens als zutreffend zugrunde zu legen ist, ohne dass es der vom Antragsteller geforderten Vorlage von Zuweisungsmitteilungen und/oder Namenslisten und/oder einer formvollendeten Eidesstattlichen Versicherung eines Bediensteten der Antragsgegnerin bedürfte.

Zum Anderen ist die im Wege der Überbuchung über die festgesetzte Zulassungszahl hinaus erfolgte Besetzung von Studienplätzen im vorliegenden, auf die Zuteilung eines Studienplatzes außerhalb der festgesetzten Zulassungszahlen gerichteten gerichtlichen Verfahren auch als kapazitätsdeckend zu berücksichtigen (vgl. Beschlüsse des Senats vom 31. März 2000 - 8 GC 133/00.W9 - und vom 16. August 2000 - 8 GM 1782/00.SO -) und verletzt den Antragsteller nicht in seinem als Teilhaberecht aus Art. 12 Abs. 1 GG herzuleitenden Zulassungsanspruch.

Die Studienplätze einer Hochschule für einen in das Vergabeverfahren der ZVS einbezogenen Studiengang sind nicht in dem Sinne in zwei voneinander getrennte und jeweils selbständig und gleichrangig zu verteilende Kontingente aufgeteilt, dass von der ZVS nur die Studienplätze innerhalb der festgesetzten Zulassungszahl vergeben werden dürften und diejenigen außerhalb der festgesetzten Kapazität ausschließlich den Bewerbern vorzubehalten wären, die solche zusätzlichen Studienplätze im Wege eines gegen die Hochschule gerichteten gerichtlichen Verfahrens nachgewiesen haben. Die in Folge des sogenannten Numerus-clausus-Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 1972 - 1 BvL 32/70 und 25/71 - (NJW 1972 S. 1561 = BVerfGE 33 S. 303) erlassenen normativen Regelungen des Zustimmungsgesetzes zum Staatsvertrag über die Vergabe von Studienplätzen, der Kapazitätsverordnung und der Vergabeverordnung ZVS gehen vielmehr von dem Grundgedanken aus, dass bei pflichtgemäßer Kapazitätsermittlung alle vorhandenen Studienplätze in das zentrale ZVS-Vergabeverfahren einbezogen werden, um in verfassungskonformer Weise sicherzustellen, dass zum Einen kein Studienplatz unbesetzt bleibt und dass zum Anderen durch die Zugrundelegung einheitlicher und sachgerechter Auswahlkriterien und die Vergabe von Rangziffern eine im Lichte des Gleichheitssatzes möglichst gerechte Auswahl unter den prinzipiell gleichberechtigten Bewerbern erfolgt. Die somit gegenüber dem gerichtlichen Vergabeverfahren vorrangige Berücksichtigung berechtigter Studienbewerber im ZVS-Vergabeverfahren (vgl. u. a. OVG Lüneburg, Beschluss vom 10. November 1992 - 10 N 0750/92 u. a. - juris) tritt nur für den Fall zurück, dass infolge unzureichender Kapazitätsermittlung ein vorhandener Studienplatz in das Vergabeverfahren nicht einbezogen wird und bei Einhaltung der normativ vorgegebenen Verteilungsmaßstäbe überhaupt ungenutzt bliebe und unwiederbringlich verlorenginge. Nur um dieses mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbare Ergebnis zu vermeiden, ist einem gegen die Hochschule klagenden Studienbewerber ein freier Studienplatz unabhängig von seiner Rangziffer außerhalb des ZVS-Vergabeverfahrens zu erteilen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 9. April 1975 - 1 BvR 344 bis 355/74 - bzw. - 1 BvR 344/73 - NJW 1975 S.1501 <1504> bzw. S. 1504 <1506> und OVG Münster, Beschluss vom 29. April 1982 - 16 B 2002/81 - NVwZ 1983 S. 236 f.). Diese Voraussetzung ist aber gerade für die infolge einer ZVS-Überbuchung mit anderen und zudem vorrangig berechtigten Bewerbern über die festgesetzte Kapazität hinaus erfolgte Besetzung von Studienplätzen nicht gegeben, so dass sich der Antragsteller die Belegung dieser Plätze entgegenhalten lassen muss (vgl. auch VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 2. Oktober 1995 - NC 9 S 19/95 - juris).

Angesichts der prinzipiellen Gleichberechtigung aller Hochschulzugangsberechtigten spricht einiges dafür, dass dies auch bei einer rechtswidrigen Vergabe von Studienplätzen gilt (so OVG Münster, a.a.O.). Das kann hier aber letztlich dahinstehen, denn die Überbesetzung infolge der Überbuchung im ZVS-Vergabeverfahren ist rechtlich nicht zu beanstanden. Zwar ist die ZVS grundsätzlich an die normative Höchstzahlfestsetzung der Länder gebunden; in § 7 Abs. 4 und § 11 Abs. 3 Satz 3 der hier anwendbaren Vergabeverordnung ZVS vom 18. Dezember 1997 (GVBl. 1998 I S. 4; gleichlautend: § 7 Abs. 4 und § 11 Abs. 3 Satz 2 der Vergabeverordnung ZVS vom 17. August 2000, GVBl. I S. 421) ist ihr jedoch im Interesse einer vollständigen und zügigen Ausschöpfung der festgesetzten Kapazität unter Berücksichtigung des Einschreibeverhaltens der Studienbewerber eine Überbuchung der Zulassungszahlen erlaubt, womit der Verordnungsgeber auch eine über die festgesetzte Zulassungszahl hinausgehende Besetzung von Studienplätzen in Kauf nimmt. Die auf die "Zulassungszahlen" bezogene Überbuchungsmöglichkeit ist durch diesen Wortlaut der Vorschrift auch nicht auf das Hauptverfahren beschränkt, sondern bezieht sich auch auf Nachrückverfahren gemäß Abs. 4 und 5 des § 11 der Vergabeverordnung ZVS. Auch die "Anzahl der noch verfügbaren Studienplätze" wird nämlich durch die festgesetzten Zulassungszahlen bestimmt, weil nur in diesem Rahmen die im Hauptverfahren wegen Nichteinschreibung nicht besetzten Studienplätze verfügbar sind. Zudem besteht auch in den Nachrückverfahren ein Bedürfnis für eine Überbuchung (vgl. Bahro/Berlin/Hübenthal, Hochschulzulassungsrecht, 3. Aufl. 1994, Rdnr. 4 zu § 11 Vergabeverordnung), wie gerade der vorliegende Fall zeigt, in dem im Hauptverfahren trotz eines Überbuchungsfaktors von 1,85 von 170 festgesetzten Studienplätzen zunächst nur 99 besetzt und auch im 1. Nachrückverfahren trotz erneuter Überbuchung noch nicht alle festgesetzten Studienplätze in Anspruch genommen wurden und noch ein 2. Nachrückverfahren wiederum mit einer Überbuchung durchgeführt werden musste. Es sind hier auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Überbuchungen in einem den bisherigen Erfahrungen widersprechenden Umfang etwa rechtsmissbräuchlich mit der Absicht erfolgt sein könnten, die Erfolgsaussichten von gegen die Antragsgegnerin klagenden Studienbewerbern zu verringern. Zudem ist fraglich, ob eine rechtswidrige Überbuchung durch die Kapazitätsüberbelastung nicht allein oder jedenfalls in erster Linie die Wissenschafts- und Forschungsfreiheit der Hochschule aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verletzen würde.

Soweit schließlich der Antragsteller darüber hinaus durch die Bezugnahme auf seinen Zulassungsantrag die bloße Übernahme einer das vorangegangene Semester betreffenden Berechnung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs in Bezug auf den sog. Dienstleistungsexport rügt, hat das Verwaltungsgericht eine Überprüfung des von der Antragsgegnerin mit dem Ziel der Kapazitätsverminderung geltend gemachten erhöhten Dienstleistungsexports im Hinblick auf die durch die Überbelegung ohnehin erschöpfte Aufnahmekapazität für entbehrlich gehalten (vgl. S. 6 des Beschlussabdrucks), so dass nicht erkennbar ist, wieso die Zugrundelegung des vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof ermittelten geringeren Wertes die gerichtliche Kapazitätsermittlung zu Lasten des Antragstellers beeinflusst haben sollte.

Die Beschwerde ist danach mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 i.V.m. § 20 Abs. 3 und § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO und § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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