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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 10.05.2001
Aktenzeichen: 8 NG 1310/01
Rechtsgebiete: VwGO, LadSchlG


Vorschriften:

VwGO § 47 Abs. 6
LadSchlG § 3 Abs. 1 Nr. 3
LadSchlG § 16 Abs. 1 S. 1
Die Freigabe von fünf Stunden zusätzlicher Ladenöffnungszeiten an einem Wochenende durch eine auf § 16 LadSchlG gegründete Verordnung stellt für einen Beschäftigten im Einzelhandel regelmäßig keinen "schweren Nachteil" dar, der es "dringend gebietet", die Verordnung gemäß § 47 Abs. 6 VwGO vorläufig außer Vollzug zu setzen (vgl. VGH Mannheim, vom 23. November 1998 - 14 S 2844/98 - DÖV 1999, 260 = GewA 1999, 172 = NJW 1999, 1569).

Eine Ausnahme kann dann vorliegen, wenn der Beschäftigte gerade auf Grund der zusätzlichen Arbeitsverpflichtung - z.B. wegen der Kumulation mit Arbeitsleistungen an mehreren aufeinanderfolgenden Samstagen - so gravierend belastet wäre, dass die Grenze des Zumutbaren überschritten wäre.


Gründe:

I.

Der Antragsteller ist als Elektromeister und seit März 1998 als erster Betriebsratsvorsitzender bei der Filiale der Firma ... auf der Zeil in Frankfurt am Main beschäftigt. Das Büro des Betriebsrates ist während der Ladenöffnungszeiten besetzt.

Mit dem vorliegenden Normenkontrollantrag wehrt der Antragsteller sich gegen die von der Antragsgegnerin erlassene "Verordnung über Verkaufszeiten anlässlich von Messen, Märkten oder ähnlichen Veranstaltungen gemäß § 16 des Ladenschlussgesetztes". In § 1 dieser Verordnung ist geregelt, dass abweichend von § 3 Abs. 1 Nr. 3 des Gesetzes über den Ladenschluss das Offenhalten von Verkaufsstellen in der Stadt Frankfurt am Main, beschränkt auf den inneren Bereich der Innenstadt und des Bahnhofsviertels, begrenzt durch die Mainzer Landstraße ab Platz der Republik, Taunusanlage bis Bockenheimer Anlage, Bockenheimer Anlage, Eschenheimer Anlage, Friedberger Landstraße, Konrad-Adenauer-Straße, Kurt-Schumacher-Straße, Mainkain, Untermainkai bis Friedensbrücke, Baseler Platz, Baseler Straße, Am Hauptbahnhof inklusive Bahnhofsvorplatz und Düsseldorfer Straße, aus Anlass des Wolkenkratzerfestivals am Samstag, dem 12. Mai 2001, in der Zeit von 16.00 Uhr bis 21.00 Uhr freigegeben wird. Die Filiale, in der der Antragsteller tätig ist, wird vom räumlichen Geltungsbereich der Verordnung erfasst.

Der Antragsteller hat gleichzeitig einen Normenkontroll-Hauptsacheantrag gegen die Verordnung gestellt.

Er trägt vor, er sei antragsbefugt, weil er durch die Verwirklichung der Rechtsverordnung in seinen Rechten verletzt werde. Der Antrag sei auch begründet, denn die einstweilige Anordnung sei zur Abwehr schwerer Nachteile für ihn, den Antragsteller, dringend geboten. Dies ergebe sich aus dem Vergleich der Folgen, die entstünden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erlassen werde, dem Normenkontrollantrag aber entsprochen werde, mit den Folgen, die einträten, wenn die einstweilige Anordnung erlassen, der Normenkontrollantrag aber zurückgewiesen werde. Die angegriffene Norm erweise sich bereits im Eilverfahren als offensichtlich ungültig. Zu den angesprochenen Gesichtspunkten macht der Antragsteller im Einzelnen Ausführungen und verweist auch auf den Inhalt des Normenkontroll-Hauptsacheantrags.

Der Antragsteller beantragt,

die Rechtsverordnung der Antragsgegnerin vom 4. Mai 2001, verkündet am 8. Mai 2001, bis zur Entscheidung über den Normenkontrollantrag des Antragstellers vom 8. Mai 2001 außer Vollzug zu setzen.

II.

Der Normenkontroll-Eilantrag hat keinen Erfolg.

Die besonderen, in § 47 Abs. 6 VwGO geregelten Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung im Normenkontroll-Eilverfahren liegen nicht vor. Nach der genannten Vorschrift kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Dies bedeutet, dass eine einstweilige Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO nur ergehen kann, wenn die dafür sprechenden Gründe so schwer wiegen, dass der Erlass unabweisbar erscheint (vgl. OVG Lüneburg, vom 2. Juni 1999 - 7 M 1875/99 - NVwZ-RR 1999, 738 = GewA 1999, 425; Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl., 2000, Rdnr. 148 zu § 47 m.w.N.). Insofern sind die Erfolgsaussichten eines gestellten Normenkontrollantrags bei der Entscheidung über den vorläufigen Rechtsschutzantrag dann mit in die Bewertung einzubeziehen, wenn sich die angegriffene Norm bereits im Eilverfahren als offensichtlich gültig oder als offensichtlich ungültig erweist (vgl. VGH Mannheim, vom 23. November 1998 - 14 S 2844/98 - DÖV 1999, 260 = GewA 1999, 172 = NJW 1999, 1569).

Eine in diesem Sinne eindeutige Prognose über den Ausgang des Normenkontrollverfahrens lässt sich schon im vorliegenden Eilverfahren nicht treffen. Insbesondere erscheint der Normenkontrollantrag derzeit nicht bereits offensichtlich begründet. Nach § 16 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über den Ladenschluss - LadSchlG - dürfen abweichend von der Vorschrift des § 3 Abs. 1 Nr. 3 Verkaufsstellen aus Anlass von Märkten, Messen oder ähnlichen Veranstaltungen an jährlich höchstens 6 Werktagen bis spätestens 21.00 Uhr geöffnet sein. Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist es keineswegs offensichtlich, dass das am 12. Mai 2001 in Frankfurt am Main stattfindende sog. "Wolkenkratzerfestival" keine ähnliche Veranstaltung im Sinne von § 16 Abs. 1 Satz 1 LadSchlG ist. Immerhin ist nicht von vornherein ausgeschlossen, dass durch das genannte "Wolkenkratzerfestival" wie bei Messen und Märkten eine erhebliche Zahl zusätzlicher Besucher das von § 1 der Verordnung erfasste Stadtgebiet aufsucht und dort nicht nur - wie der Antragsteller vorträgt - das Kultur- und Rahmenprogramm anschaut oder sich in der Frankfurter Gastronomie stärkt, sondern auch die Gelegenheit ergreift, Einkäufe zu tätigen.

Andererseits lässt sich zur Zeit auch nicht feststellen, dass die Verordnung offensichtlich rechtmäßig ist.

Nach allem hängt die Entscheidung des vorliegenden Normenkontroll-Eilverfahrens davon ab, wie die Vor- und Nachteile einer vorläufigen Außervollzugsetzung der Norm zu gewichten sind, wobei die bereits genannte gesetzliche Vorschrift des § 47 Abs. 6 VwGO zu beachten ist. Berücksichtigt man, dass bei einer Ablehnung des Eilantrags sowohl den Interessen zumindest eines Teils des Einzelhandels, aber auch den Interessen unbestimmt vieler Besucher gedient ist, auf der anderen Seite im vorliegenden Fall nur die Individualinteressen des Antragstellers entgegenstehen, und berücksichtigt man weiter, dass es dem Antragsteller ohne weiteres zuzumuten ist, am 12. Mai 2001 ausnahmsweise und aus einem einmaligen Anlass fünf weitere Stunden bis 21.00 Uhr zu arbeiten, so kann keinesfalls davon die Rede sein, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist bzw., dass der Erlass der einstweiligen Anordnung unabweisbar erscheint. Die Freigabe von fünf Stunden zusätzlicher Ladenöffnungszeiten an einem Wochenende durch eine auf § 16 LadSchlG gegründete Verordnung stellt für einen Beschäftigten im Einzelhandel regelmäßig keinen "schweren Nachteil" dar, der es "dringend gebietet", die Verordnung gemäß § 47 Abs. 6 VwGO vorläufig außer Vollzug zu setzen (vgl. VGH Mannheim, vom 23. November 1998, a.a.O.).

Bei einer möglichen Unwirksamkeit der Verordnung hätte der Antragsteller zwar ohne öffentlich-rechtliche Rechtsgrundlage eine mehrstündige zusätzliche Arbeitsleistung an einem Maisamstag zu erbringen. Eine derartige Belastung erscheint jedoch geringfügig. Zwar könnte dieser Nachteil später nicht mehr rückgängig gemacht werden. Jedoch ist davon auszugehen, dass die geleistete Mehrarbeit durch Freizeitausgleich oder eine entsprechende Bezahlung weitestgehend ausgeglichen werden dürfte. Im Übrigen lässt sich dem Vortrag des Antragstellers nicht entnehmen, dass er gerade aufgrund der zusätzlichen Arbeitsverpflichtung am 12. Mai 2001 - z.B. wegen der Kumulation mit Arbeitsleistungen an mehreren aufeinanderfolgenden Samstagen wie etwa in der Vorweihnachtszeit - so gravierend belastet wäre, dass die Grenze des Zumutbaren überschritten wäre. Demgegenüber würden bei einer Aussetzung der Vollziehung die Einzelhandelsbetriebe, die auf die Gültigkeit der Rechtsverordnung vertrauen, unter Umständen erheblichen Schaden erleiden, der bei einer Erfolglosigkeit des Normenkontrollantrags in der Hauptsache kaum ausgeglichen werden könnte (vgl. OVG Lüneburg, vom 2. Juni 1999, a.a.O.).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung aus § 13 Abs. 1 i.V.m. § 20 Abs. 3 Gerichtskostengesetz - GKG -. Das Interesse des Antragstellers an einer Aufhebung der Verordnung bewertet der Senat mit dem Auffangstreitwert des § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG. Auf das Interesse Anderer oder der Öffentlichkeit kommt es insofern nicht an. Von dem genannten Streitwert ist im Eilverfahren kein Abzug vorzunehmen, weil die vorliegende Entscheidung für den Antragsteller die Hauptsache vorwegnimmt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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