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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 21.09.2006
Aktenzeichen: 8 TG 2234/06
Rechtsgebiete: HGO


Vorschriften:

HGO § 76 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 S. 2
Es sprechen überwiegende Gesichtspunkte dafür, dass das qualifizierte Antragserfordernis des § 76 Abs. 1 Satz 2 HGO auf die zeitnah nach Kommunalwahlen gemäß § 76 Abs. 2 HGO vereinfachte Abberufung hauptamtlicher Beigeordneter großer Städte nicht anwendbar ist.
HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF BESCHLUSS

8 TG 2234/06

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Kommunalrechts/ Abberufung eines hauptamtlichen Stadtrates

hier: Beschwerde im einstweiligen Rechtsschutzverfahren

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 8. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Höllein, Richter am Hess. VGH Dr. Nassauer, Richter am Hess. VGH Jeuthe,

am 21. September 2006

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 20.09.2006 - 7 G 3831/06(3) - wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Streitwert wird unter Abänderung der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung für beide Instanzen auf 10.000,00 € festgesetzt.

Gründe:

Die beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof und vorsorglich gemäß § 147 Abs. 1 und § 146 Abs. 4 Satz 2 VwGO auch beim Verwaltungsgericht per Telefax am 20. September 2006 eingelegte und zugleich begründete Beschwerde des Antragstellers gleichen Datums gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main ebenfalls vom 20. September 2006 ist zwar zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Die Prüfungskompetenz des Beschwerdegerichts beschränkt sich gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die frist- und formgerecht dargelegten Gründe des Beschwerdeführers, so dass es im Beschwerdeverfahren im Rahmen einstweiligen Rechtsschutzes im Ergebnis zu einer Amtsermittlung gemäß § 86 Abs. 1 VwGO nur insoweit kommt, wie die den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO entsprechende Darlegung dazu Anlass gibt. Die Beschwerdebegründung muss gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO neben einem bestimmten Antrag die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung so auseinandersetzen, dass tragende Erwägungen des Verwaltungsgerichts in Anlehnung an die Darlegungsvoraussetzungen des § 124 a Abs. 4 Satz 4 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO mit schlüssigen Gegenargumenten so in Frage gestellt werden, dass die Richtigkeit des angefochtenen verwaltungsgerichtlichen Beschlusses erfolgreich in Zweifel gezogen wird.

Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung des Antragstellers nicht gerecht.

Sein einstweiliges Rechtsschutzbegehren auf Unterlassung einer zweiten Abstimmung gemäß § 76 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 4 HGO über seine Abberufung als hauptamtlicher Stadtrat, das er ursprünglich u. a. mit seiner Unabkömmlichkeit im Amt, dem fehlenden Bedürfnis für eine vorzeitige Abberufung und der Schwächung der Stadtverwaltung begründet hatte und nach wie vor auch mit der seiner Auffassung nach gegen § 76 Abs. 1 Satz 2 HGO verstoßenden Einleitung des Abberufungsverfahrens begründet, war und ist nicht nur auf eine vorübergehende Unterlassung, sondern auf einen endgültigen Abbruch des konkreten Abberufungsverfahrens und angesichts der zeitlichen Beschränkung des § 76 Abs. 2 Satz 1 HGO wohl auch der Abberufung insgesamt und damit auf eine Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet. Der Erlass der von ihm begehrten einstweiligen Anordnung hätte deshalb eine weit überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Bestehen des von ihm geltend gemachten Anordnungsanspruchs vorausgesetzt.

Eine solche Wahrscheinlichkeit seines Obsiegens in der Hauptsache lässt sich seinem Beschwerdevorbringen jedoch nicht entnehmen. Es sprechen vielmehr die weit überwiegenden Gesichtspunkte für die Richtigkeit der vom Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss vertretenen Ansicht, dass die Einleitung eines erleichterten Abberufungsverfahrens gemäß § 76 Abs. 2 HGO keinen qualifizierten Antrag der absoluten Mehrheit der Stadtverordneten gemäß § 76 Abs. 1 Satz 2 HGO voraussetzt.

Zu dieser Frage finden sich - soweit ersichtlich - zwar nur die beiden vom Verwaltungsgericht zitierten Kommentarstellen, von denen sich eine für die Anwendbarkeit des qualifizierten Antragserfordernisses in Abs. 1 Satz 2 des § 76 HGO auch im vereinfachten Abberufungsverfahren nach dessen Abs. 2 ausspricht (vgl. Bennemann, in Bennemann/Beinlich u. a., HGO, Stand: September 2005, Rdnr. 44 zu § 76), während die andere diesen besonderen Antrag nicht für erforderlich, sondern einen einfachen Antrag für ausreichend hält (vgl. Schneider/Dreßler/Lüll, HGO, Stand: Januar 2006, Rdnr. 5 zu §§ 75, 76); für die beiden gegensätzlichen Ansichten findet sich aber keine Begründung.

Das Verwaltungsgericht hat die Nichtanwendbarkeit des qualifizierten Antragserfordernisses des § 76 Abs. 1 Satz 2 HGO auf das vereinfachte Abberufungsverfahren nach Abs. 2 dieser Vorschrift unter dem Gesichtspunkt der Normklarheit insbesondere aus einem Umkehrschluss aus der Verweisung in Abs. 2 Satz 2 hergeleitet, die sich nur auf die Sätze 4 bis 7, nicht aber auf Satz 2 des Abs. 1 bezieht.

Dagegen wendet sich der Antragsteller ausgehend von dem Aufbau des Abs. 1 des § 76 HGO mit der Begründung, dass die Verweisung in Abs. 2 Satz 2 nur die den Abstimmungsprozess betreffende Untereinheit der Sätze 4 bis 7 des Abs. 1 erfasse, während Abs. 2 Satz 1 an die Stelle der Regelungen trete, die in der vorangehenden Untereinheit der Sätze 1 bis 3 des Abs. 1 getroffen seien. Da aber in Abs. 2 jegliche Regelung zu der in diesen Komplex fallenden Antragstellung fehle und ein Antrag andererseits aber auch für ein vereinfachtes Abberufungsverfahren erforderlich sein müsse, sei diese Regelungslücke durch Heranziehung der Grundnorm des § 76 Abs. 1 Satz 2 HGO zu füllen, wie es auch der bisherigen kommunalen Praxis entspreche.

Diese Argumentation erscheint zwar nachvollziehbar und ließe sich in Anlehnung an die weitere Begründung des Antragstellers auch noch mit folgender Überlegung stützen:

Soweit erkennbar, wollte der Landesgesetzgeber die Erleichterung des Abberufungsverfahrens im Anschluss an Kommunalwahlen mit dem Ziel der "politischen Gleichgestimmtheit" zwischen der der neu gewählten Gemeindevertretung und der Verwaltungsspitze (allein) durch eine Verminderung des für die Abwahl erforderlichen Quorums von zwei Dritteln auf mindestens die Hälfte der gesetzlichen Mitgliederzahl der Gemeindevertretung erreichen, während weder im Sitzungsprotokoll des Landtages vom 13. Mai 1980 (vgl. HL, 9. WP, 32. Sitzung, S. 1951 ff.) noch in sonstigen Äußerungen in Literatur oder Rechtsprechung von einer Vereinfachung durch Nichtanwendung des qualifizierten Antragserfordernisses in § 76 Abs. 1 Satz 2 HGO die Rede ist. Dies könnte die Annahme nahelegen, dass die Regelung in Abs. 2 Satz 1 des § 76 HGO über die verminderte Abberufungsmehrheit in diesen Fällen lediglich die Regelung über das "normalerweise" erforderliche Abwahlquorum in Abs. 1 Satz 3 ersetzen sollte, während die Bestimmungen in § 76 Abs. 1 Sätzen 1 und 2 HGO unberührt bleiben sollten, das qualifizierte Antragserfordernis also für ein Abberufungsverfahren generell, also auch für Abs. 2 weiter gelten sollte.

Gegen diese Auffassung ist aber schon nach Wortlaut und Systematik des § 76 HGO einzuwenden, dass die vom Antragsteller konstruierten "Untereinheiten" des Abs. 1 vom Gesetzgeber gerade nicht - etwa durch Unterabsätze o. ä. - gebildet worden sind, so dass der vom Verwaltungsgericht gezogene Umkehrschluss aus der beschränkten Verweisung in Abs. 2 Satz 2 unter Berücksichtigung der gebotenen Normklarheit nicht ernsthaft in Zweifel gezogen ist.

Selbst unter Zugrundelegung der Konstruktion des Antragstellers wären die von ihm gezogenen Schlüsse aber auch im Übrigen nicht überzeugend. Die Antragsgegnerin hat nämlich zutreffend darauf verwiesen, dass in § 76 Abs. 2 Satz 1 HGO neben dem verminderten Abwahlquorum auch die beschränkte Anwendbarkeit des vereinfachten Abberufungsverfahrens auf Gemeinden mit mehr als 50.000 Einwohnern und insbesondere die zeitliche Grenze von sechs Monaten nach Beginn der Wahlzeit der Gemeindevertretung geregelt worden sind, so dass es sich im Verhältnis zu dem allgemeinen Abberufungsverfahren nach Abs. 1 insgesamt um ein zusätzliches, völlig eigenständiges besonderes Abberufungsverfahren handelt. Für dieses besteht auch nicht die vom Antragsteller behauptete Regelungslücke für das Antragserfordernis, denn wenn es an einer Spezialnorm wie in § 76 Abs. 1 Satz 2 HGO (vgl. auch § 76 Abs. 4 Satz 3 HGO für die Abwahl des Bürgermeisters) fehlt, findet das allgemeine Antragserfordernis gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 56 Abs. 1 Satz 2 HGO Anwendung (vgl. Wiegelmann, Handbuch des Hessischen Kommunalverfassungsrechts, Band I, 1988, S. 173 unter Nr. 5. a). Das besondere Antragserfordernis erscheint hier auch angesichts der zeitlichen Nähe zu der die Abwahl in der Regel auslösenden Kommunalwahl aus den von der Antragsgegnerin aufgeführten Gründen entbehrlich. Das Fehlen qualifizierter Anforderungen an den Antrag auf Einleitung dieses einer Kommunalwahl zeitnah nachfolgenden Abberufungsverfahrens wird im Gegenteil dem gesetzgeberischen Vereinfachungswillen besser gerecht. Es dürfte andererseits auch aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht als zusätzliches Hemmnis erforderlich sein, weil schon das Erfordernis der qualifizierten Mehrheit für die wiederholte Abwahl und deren enge zeitliche Begrenzung in diesen Fällen angesichts der gesetzgeberischen Ziele in ober- und höchstrichterlichen Entscheidungen als ausreichend angesehen worden sind (vgl. zu der entsprechenden Vorschrift des § 49 Abs. 2 HKO u. a. Hess. VGH, Urteil vom 3. September 1987 - 6 UE 387/87 - DÖV 1988 S. 305 ff. = NVwZ 1988 S. 1153 ff. = juris; BVerwG, Urteil vom 15. März 1989 - 7 C 7/88 - BVerwGE 81 S. 318 ff. = NVwZ 1989 S. 972 ff. = juris; BVerfG, Beschluss vom 20. Dezember 1993 - 2 BvR 1327/87 u. a. - NVwZ 1994 S. 473 ff. = juris; vgl. auch Frotscher/Knecht, DÖV 2003 S. 620 [623]).

Danach ist die Beschwerde des Antragstellers mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.

Die das erstinstanzliche Verfahren einbeziehende Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 i.V.m. § 52 Abs. 1 und § 63 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 GKG und folgt der Empfehlung in Nr. 22.7 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, Stand: Juli 2004 (NVwZ 2004 S. 1327 [1332]), wonach für einen Kommunalverfassungsstreit der Betrag von 10.000 € zu Grunde gelegt werden soll. Dieser Streitwert ist nicht wegen der Vorläufigkeit des Verfahrens zu halbieren, weil der Antragsteller mit der beantragten einstweiligen Anordnung eine Vorwegnahme der Hauptsache erstrebt.

Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO und gemäß § 66 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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