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Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 30.01.2004
Aktenzeichen: 8 TG 327/04
Rechtsgebiete: GG, LadschlG
Vorschriften:
GG Art. 4 Abs. 1 | |
GG Art. 4 Abs. 2 | |
LadschlG § 23 Abs. 1 S. 1 |
Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss
In dem Verwaltungsstreitverfahren
wegen Ausnahmegenehmigung nach dem Ladenschlussgesetz
hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 8. Senat - durch
Richter am Hess. VGH Dr. Nassauer als Vorsitzenden, Richter am Hess. VGH Jeuthe, Richter am Hess. VGH Dr. Dieterich
am 30. Januar 2004 beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen vom 30. Januar 2004 - 8 G 328/04 - abgeändert und der Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Firma A....... Schlachtbetrieb, Inhaber A., für Sonntag, den 1. Februar 2004, für die Zeit von 9:00 Uhr bis 18:00 Uhr eine Ausnahmegenehmigung nach § 23 Abs. 1 des Ladenschlussgesetzes - LadschlG - zu erteilen.
Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 10.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe:
Die Beschwerde hat Erfolg, führt zur Abänderung des angegriffenen verwaltungsgerichtlichen Beschlusses und zum Erlass der aus dem Beschlusstenor ersichtlichen einstweiligen Anordnung. Es geht im vorliegenden Verfahren allein um die Frage, ob die Öffnung des Metzgerladens zum Zweck des Verkaufs von Fleisch geschächteter Tiere für Sonntag, den 1. Februar 2004, nach § 23 Abs. 1 Satz 1 LadschlG ausnahmsweise zu genehmigen ist. Diese Frage ist zu bejahen.
Der Antragsteller hat in der von seinem Bevollmächtigten vorgelegten Beschwerdebegründung die Gründe dargelegt, aus denen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts abzuändern ist und sich auch mit der angefochtenen Entscheidung auseinandergesetzt (§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO). Er hat insbesondere plausibel gemacht, dass die Öffnung seines Metzgerladens am Sonntag, dem 1. Februar 2004, erforderlich ist für seine eigene religiöse Betätigung und - vermittelnd - für die derjenigen Muslime, die im Geschäft des Antragstellers für das dreitägige Opferfest bereits am ersten Tage dieses Festes, also an dem genannten Sonntag, Fleisch erwerben, das von Tieren stammt, die am selben Tag geschächtet worden sind. Der Antragsteller hat verdeutlichen können, dass sein Betrieb der einzige Metzgereibetrieb in Hessen ist, der Muslime mit Fleisch nach islamischem Ritus geschächteter Tiere versorgt, weil nur in diesem Geschäft er selbst und eine andere Person die Schächterlaubnis besitzen.
Damit hat der Antragsteller nicht nur einen Anordnungsgrund, sondern auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Letzterer ergibt sich aus § 23 Abs. 1 Satz 1 LadschlG. Danach können in Einzelfällen befristete Ausnahmen von den Vorschriften der §§ 3 bis 15 und 19 bis 21 dieses Gesetzes bewilligt werden, wenn die Ausnahmen im öffentlichen Interesse dringend nötig werden. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht in einem am 23. März 1982 ergangenen Urteil (- 1 C 157.79 - BVerwGE 65, 167 ff., 170) entschieden, dass diese Vorschrift nur der Wahrung eines solchen öffentlichen Interesses dient, das als Versorgungsinteresse - oder allenfalls noch als Verwertungsinteresse - unmittelbar durch den Warenerwerb während der verlängerten Ladenöffnungszeiten befriedigt werden könne. Ähnlich hat das Sächsische Oberverwaltungsgericht (Beschluss vom 23. Oktober 2002 - 3 BS 408/02 - GewArch 2003, 39) entschieden, das öffentliche Interesse im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 LadschlG beziehe sich auf das Versorgungsinteresse, das zu einem zunächst nicht vorhersehbaren Versorgungsbedarf von Betroffenen führe, wobei dieser Bedarf bei Einhaltung der allgemeinen Ladenschlusszeiten nicht hinreichend befriedigt werden könnte.
Der unbestimmte Rechtsbegriff "im öffentlichen Interesse dringend nötig werden" in § 23 Abs. 1 Satz 1 LadschlG ist im Lichte der grundrechtlich garantierten Religionsfreiheit des Antragstellers und seiner Kunden auszulegen. Dies gilt auch für das in § 23 Abs. 1 Satz 1 LadschlG geschützte Versorgungsinteresse der Bevölkerung.
Dabei folgt der Senat der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Nach dem den Antragsteller betreffenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Januar 2002 (- 1 BvR 1783/99 - BVerfGE 104, 337 ff., 345 ff.) ist die Tätigkeit eines nichtdeutschen gläubigen muslimischen Metzgers, der Tiere ohne Betäubung schlachten (schächten) will, um seinen Kunden in Übereinstimmung mit ihrer Glaubensüberzeugung den Genuss von Fleisch geschächteter Tiere zu ermöglichen, verfassungsrechtlich anhand von Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 4 Abs. 1 und 2 des Grundgesetzes - GG - zu beurteilen; § 4 a Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 des Tierschutzgesetzes ist im Lichte dieser Verfassungsnormen so auszulegen, dass muslimische Metzger eine Ausnahmegenehmigung für das Schächten erhalten können.
Mit dieser Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht generell die Tätigkeit eines nichtdeutschen gläubigen muslimischen Metzgers, der Tiere ohne Betäubung schächtet, unter den Schutz des Grundrechts der Religionsfreiheit gestellt. Zu der geschützten Tätigkeit des muslimischen Metzgers gehört auch der Verkauf des Fleisches der geschlachteten Tiere.
Der Antragsteller hat glaubhaft gemacht, dass die muslimische Bevölkerung das gekaufte Fleisch an den drei Tagen des Opferfestes zum Teil an Arme und Bedürftige verteilt sowie anlässlich der Feierlichkeiten selbst verzehrt. Unter Berücksichtigung der geschützten Religionsausübung des Antragstellers und seiner Kunden geht der Senat davon aus, dass der Fleischverkauf am Sonntag, dem 1. Februar 2004, dem Versorgungsinteresse des Antragstellers und seiner Kunden dient.
Das öffentliche Interesse im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 LadschlG setzt nicht voraus, dass es um das Interesse einer Mehrheit in der Bevölkerung geht. Vielmehr genügt es, dass die Ausnahme im Interesse einer Personengruppe erforderlich ist. Das ist hier aus den genannten Gründen der Fall.
Der von § 23 Abs. 1 Satz 1 LadschlG vorausgesetzte Ausnahmecharakter der Genehmigung liegt ebenfalls vor. Der Antragsteller hat glaubhaft gemacht, dass der Beginn des Opferfestes wegen des nur 354 Tage andauernden Jahres nach dem islamischen Kalender immer wieder auf einen anderen Wochentag fällt, so dass nicht gleichsam automatisch in jedem Jahr für den Verkauf von Fleisch geschächteter Tiere am ersten Tag des Opferfestes eine Ausnahmegenehmigung nach § 23 Abs. 1 Satz 1 LadschlG erforderlich wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 20 Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 und § 14 Gerichtskostengesetz - GKG -.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).
Ende der Entscheidung
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