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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 04.02.2003
Aktenzeichen: 8 TG 3476/02
Rechtsgebiete: VwGO, GG, HGO, HKO


Vorschriften:

VwGO § 146 Abs. 4 Satz 1
VwGO § 146 Abs. 4 Satz 2
VwGO § 146 Abs. 4 Satz 6
GG Art. 4 Abs. 1
GG Art. 19 Abs. 4
HGO § 60
HKO § 32
Einem Kreistagsmitglied kann wegen des kommunalrechtlichen Zwanges zur Sitzungsteilnahme auf Grund seiner negativen Bekenntnisfreiheit ein Anspruch auf Entfernung eines im Sitzungssaal des Kreistages dauerhaft angebrachten Kreuzes zustehen.
8 TG 3476/02 VG Darmstadt 3 G 2481/02(1)

Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Kommunalrechts/Entfernung eines Kreuzes aus dem Sitzungssaal des Kreistages

hier: Beschwerde gegen einstweilige Anordnung

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 8. Senat - durch

auf Grund der Beratung am 4. Februar 2003 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 26. November 2002 - 3 G 2481/02 (1) - wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 4.000,00 € festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragsgegners ist gemäß § 146 Abs. 1 und 4 und § 147 Abs. 1 VwGO zulässig, aber nicht begründet.

Sie ist nach der am 29. November 2002 erfolgten Zustellung des angefochtenen Beschlusses des VG Darmstadt vom 26. November 2002 innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 147 Abs. 1 VwGO durch den Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners am 13. Dezember 2002 beim Verwaltungsgericht per Telefax eingelegt und innerhalb der Monatsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO mit gesondertem Schriftsatz vom 18. Dezember 2002 rechtzeitig begründet worden.

Zwar ist die Begründung entgegen der zwingenden Vorschrift des § 146 Abs. 4 Satz 2 VwGO und entgegen der verwaltungsgerichtlichen Rechtsmittelbelehrung zunächst nicht beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof eingereicht, sondern an das Verwaltungsgericht gerichtet worden und dort am 18. Dezember 2002 per Telefax eingegangen, während die nachträglich auf einen entsprechenden gerichtlichen Hinweis an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof adressierte Begründung vom 3. Januar 2003 dort per Telefax erst an diesem Tage und damit nach der am 30. Dezember 2002 abgelaufenen Begründungsfrist eingegangen ist. Der angefochtene Beschluss ist dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners gemäß § 56 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. § 147 Abs. 1 und 2 ZPO am 29. November 2002 wirksam per Telekopie gegen Empfangsbekenntnis zugestellt worden, so dass die Monatsfrist - obwohl in der Rechtsmittelbelehrung des Verwaltungsgerichts als Fristbeginn entgegen § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO nicht die "Bekanntgabe", sondern die (tatsächlich auch erfolgte) "Zustellung" der Entscheidung angegeben war - am 30. Dezember 2002, einem Montag, ablief. Die Begründungsfrist ist aber dadurch gewahrt worden, dass der an das Verwaltungsgericht gerichtete Begründungsschriftsatz von dort an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof weitergeleitet worden und hier am 23. Dezember 2002 vor Fristablauf eingegangen ist (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 4. April 2002 - 11 S 557/02 - NVwZ-RR 2002 S. 795 f.). Dem steht die dem § 146 Abs. 4 Satz 2 VwGO widersprechende Adressierung dieses Schriftsatzes nicht entgegen, weil der mit dieser Vorschrift verfolgte Beschleunigungszweck (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 4. April 2002 a.a.O.) auch mit der rechtzeitigen Weiterleitung an das Beschwerdegericht gewahrt wird.

Die zulässige Beschwerde ist aber nicht begründet.

Die form- und fristgerecht vom Antragsgegner unter dem 18. Dezember 2002 dargelegten Beschwerdegründe, auf die die Prüfungskompetenz des Senats gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zunächst in einer ersten Prüfungsstufe beschränkt ist, sind - in Anlehnung an die Darlegungsvoraussetzungen des § 124 a Abs. 4 Satz 4 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO - nicht geeignet, tragende Erwägungen des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten so in Frage zu stellen, dass die Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses erfolgreich in Zweifel gezogen wird. Damit ist es dem Senat verwehrt, die Erfolgsaussichten des einstweiligen Rechtsschutzantrags über die fristgemäßen Darlegungen der Beschwerdebegründung hinaus uneingeschränkt und umfassend selbst in der Sache zu prüfen (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 3. Dezember 2002 - 8 TG 2413/02 - juris m.w.N.); deshalb kann das dem Beschwerdebegründungsschriftsatz vom 18. Dezember 2002 nachfolgende Beteiligtenvorbringen nicht in die Prüfung einbezogen werden.

Die Einwände des Antragsgegners gegen die Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses sind nicht überzeugend.

Ob gegenüber dem Antragsgegner als Organ im Kommunalverfassungsstreitverfahren Grundrechte geltend gemacht werden können, bedarf hier keiner Entscheidung, weil der Antragsgegner dies in seiner Beschwerdebegründung nicht problematisiert hat.

Die auf Seite 2 oben der Beschwerdebegründung erhobene Rüge, die auf Seite 7 oben der Beschlussgründe getroffene Feststellung "Der Antragstellerin ist jedoch nicht zumutbar, bis zu einer solchen Entscheidung ihre Mitgliedschaftsrechte im Kreistag nur unter unzulässigen Einschränkungen wahrnehmen zu können" sei hinsichtlich "Unzumutbarkeit", "Einschränkungen" und "Unzulässigkeit" auch nicht ansatzweise dargelegt, verkennt den gedanklichen Zusammenhang dieses Satzes. Dieser enthält unter Vorwegnahme der Ergebnisse der nachfolgenden ausführlichen Begründung zum Vorliegen eines Anordnungsanspruchs lediglich eine Aussage zur Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, also zum Anordnungsgrund, nämlich dahingehend, dass es der Antragstellerin wegen des Zeitablaufs bis zum rechtskräftigen Abschluss des anhängigen Klageverfahrens nicht zumutbar sei, ihre Mitgliedschaftsrechte im Kreistag nur unter - nachfolgend im Einzelnen begründeten - unzulässigen Einschränkungen wahrnehmen zu können. Angesichts des Umstands, dass es hier um die unbeeinträchtigte Mitwirkung einer demokratisch legitimierten Mandatsträgerin an der Willensbildung und Entscheidungsfindung des parlamentarischen Organs des Kreises und mit ihrer Glaubens- und Bekenntnisfreiheit um ein Grundrecht geht, das in enger Beziehung zur Menschenwürde als obersten Wert im System der Grundrechte steht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Juli 1973 - 1 BvR 308/69 - juris = u.a. BVerfGE 35 S. 366 ff., NJW 1973 S. 2196 ff.), können an das Vorliegen eines Anordnungsgrundes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG keine überspannten Anforderungen gestellt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Mai 1995 - 1 BvR 1087/91 - juris = u.a. BVerfGE 93 S. 1 ff., NJW 1995 S. 2477 ff.). Mit dem verwaltungsgerichtlichen Hinweis auf unzulässige Einschränkungen dieser gewichtigen Rechtspositionen ist deshalb die Annahme der Unzumutbarkeit des Abwartens des Hauptsacheverfahrens hinreichend begründet.

Der anschließend auf Seite 2 der Beschwerdebegründung erhobene Vorwurf des Antragsgegners, der angefochtene Beschluss erschöpfe sich in seinen Gründen in der Auflistung anscheinend einschlägiger Gerichtsentscheidungen anderer Gerichte höherer Ordnung, wird der an der vorliegenden Fallgestaltung und den maßgeblichen Vorschriften orientierten Begründung des Verwaltungsgerichts nicht gerecht; dass andere Gerichtsentscheidungen "höherer Ordnung" zitiert werden, stellt keinen Mangel dar.

Im Ergebnis nicht stichhaltig ist auch die im nächsten Absatz der Beschwerdebegründung konkludent gezogene Schlussfolgerung, dass es in diesen Entscheidungen "jeweils darum ging", Minderjährige wegen ihrer angenommenen "Wehrlosigkeit" vor dem Einfluss religiöser Zeichen zu schützen, und dass es hier um Erwachsene gehe, auf die (deshalb) die in diesen Entscheidungen aufgestellten Grundsätze nicht anwendbar seien. Dabei berücksichtigt der Antragsgegner nicht hinreichend, dass die negative Bekenntnisfreiheit gemäß Art. 4 Abs. 1 GG nicht nur Minderjährige, sondern durchaus auch Erwachsene vor staatlichen Beeinträchtigungen in weltanschaulich-religiösen Fragen schützt. In dem - vom Verwaltungsgericht allerdings nicht zitierten - Beschluss vom 17. Juli 1973 (a.a.O.) hat das Bundesverfassungsgericht zum Kreuz im Gerichtssaal ausgeführt, es müsse anerkannt werden, dass sich einzelne Prozessbeteiligte - in jenem Fall ein jüdischer Rechtsanwalt und seine jüdische Mandantin - durch den für sie unausweichlichen Zwang, entgegen eigenen religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen "unter dem Kreuz" einen Rechtsstreit führen und die als Identifikation empfundene Ausstattung in einem rein weltlichen Lebensbereich tolerieren zu müssen, in ihrem Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 GG verletzt fühlen können, und dass dieses in enger Beziehung zur Menschenwürde stehende Freiheitsrecht einen Minderheitenschutz selbst vor verhältnismäßig geringfügigen Beeinträchtigungen jedenfalls dort rechtfertigen könne, wo - wie im Bereich der staatlichen Gerichtsbarkeit - die Inanspruchnahme dieses Schutzes nicht mit Rechten einer Bevölkerungsmehrheit zur Ausübung ihrer Glaubensfreiheit kollidiere. Auch in dem - vom Verwaltungsgericht zitierten - Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Mai 1995 (a.a.O.) zu den in staatlichen bayerischen Pflichtschulen angebrachten Kreuzen oder Kruzifixen wird der Schutz der negativen Bekenntnisfreiheit grundsätzlich nicht nur Minderjährigen, sondern jedem "Einzelnen" zugesprochen, der in einer vom Staat geschaffenen Lage ohne Ausweichmöglichkeit dem Einfluss eines bestimmten Glaubens, den Handlungen, in denen dieser sich manifestiert, und den Symbolen, in denen er sich darstellt, ausgesetzt sei. Insofern entfalte Art. 4 Abs. 1 GG seine freiheitssichernde Wirkung gerade in Lebensbereichen, die nicht der gesellschaftlichen Selbstorganisation überlassen, sondern vom Staat in Vorsorge genommen worden seien. Erst im Rahmen der konkreten verfassungsrechtlichen Prüfung der die Anbringung der Kreuze vorschreibenden fraglichen Vorschrift der bayerischen Volksschulordnung wird die besondere Einwirkungsmöglichkeit der Kreuze auf die in ihrer Persönlichkeitsentwicklung noch nicht gefestigten und einer mentalen Beeinflussung besonders leicht zugänglichen Schüler bejaht, die auf Grund der allgemeinen Schulpflicht mit den in Unterrichtsräumen angebrachten Kreuzen von Staats wegen und ohne Ausweichmöglichkeit konfrontiert und gezwungen würden, "unter dem Kreuz" als dem spezifischen Glaubenssymbol des Christentums zu lernen. Nur weil dadurch das "unerlässliche Minimum an Zwangselementen" überschritten sei, sei dieser Eingriff in die Glaubensfreiheit auch nicht durch den staatlichen Erziehungsauftrag gemäß Art. 7 Abs. 1 GG gerechtfertigt, der gerade im Bereich des Schulwesens, in dem kulturelle Grundlagen der Gesellschaft vornehmlich tradiert und erneuert würden, die Einbeziehung christlicher Wertüberzeugungen und Einstellungen zulasse. Die besonders leichte Beeinflussbarkeit Minderjähriger wird danach also nicht als generelle oder vorrangige Voraussetzung für eine Berufung auf die negative Bekenntnisfreiheit angesehen, sondern stellt lediglich ein Begründungselement unter mehreren dafür dar, dass in der konkret entschiedenen Fallgestaltung die verfassungsrechtlich gezogene Grenze religiös-weltanschaulicher Ausrichtung der Schule durch die Anbringung der Kreuze überschritten war.

Der in diesem Zusammenhang in den beiden letzten Absätzen auf Seite 2 der Beschwerdebegründung ergänzend erhobene Einwand des Antragsgegners, in unserem Kulturkreis könnten Erwachsene in ihrem Glauben oder Nichtglauben nicht durch das christliche Symbol des Kreuzes erschüttert werden, dem sie ohnehin tagtäglich und überall "ausgeliefert" seien und das selbst von Parteigängern der Antragstellerin als Schmuckstück getragen werde, übersieht die vom Bundesverfassungsgericht als entscheidend herausgestellten Unterschiede zu dem in einem schulischen Klassenzimmer - bzw. hier im Sitzungssaal des Kreistages -, angebrachten Kreuz. Die im Alltagsleben häufig auftretenden, in der Regel jedoch flüchtigen Konfrontationen mit religiösen Symbolen oder Manifestationen gehen danach nämlich zum einen nicht vom Staat aus und besitzen zum anderen nicht denselben Grad von Unausweichlichkeit, die auf einem notfalls mit Sanktionen durchsetzbaren Zwang beruht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Mai 1995 a.a.O.), der dort von der allgemeinen Schulpflicht und vorliegend von der auf Grund der Ermächtigungsgrundlage des § 60 HGO i.V.m. § 32 HKO in § 3 der Geschäftsordnung für den Kreistag des Kreises Offenbach geregelten Verpflichtung der Kreistagsmitglieder zur Sitzungsteilnahme ausgeht, die bei ungerechtfertigtem Fernbleiben zu einer Verwarnung, im Wiederholungsfall zu Geldbußen bis 100,00 DM oder bei mehrmaliger Wiederholung zu einem Ausschluss von bis zu drei Monaten führen kann; diesem Zwang konnte sich die Antragstellerin allenfalls durch einen - ihr aber nicht zumutbaren - Verzicht auf die Wahrnehmung ihrer Mitgliedschaftsrechte entziehen.

Das auf Seite 3 oben der Beschwerdebegründung geäußerte und auf Seite 4 oben nochmals aufgegriffene Unverständnis des Antragsgegners, dass das Verwaltungsgericht die einstweilige Anordnung erlassen habe, obwohl nicht zu verkennen sei, dass die Antragstellerin die objektiv nicht gegebene Beeinträchtigung religiöser Gefühle durch das Kreuzsymbol im Sitzungssaal lediglich behauptet, konstruiert und "demonstrativ gewollt ... vorgegeben" habe, weil von ihr ein "Exempel statuiert" und eine politische Demonstration veranstaltet werden solle, ist - objektiv nicht verifizierbar. Das Verwaltungsgericht hat - im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung - im letzten Absatz auf Seite 8 der Beschlussbegründung für seine stattgebende Entscheidung insoweit ausreichen lassen, dass die Antragstellerin nachvollziehbar und glaubhaft dargelegt habe, dass sie sich durch die Anbringung des Kreuzes im Sitzungssaal des Kreistages in ihren religiösen Gefühlen verunsichert und beeinträchtigt fühle, weshalb sie nach Abgabe ihrer persönlichen Erklärung in der Sitzung vom 4. September 2002 und nach Nichtentfernen des Kreuzes den Sitzungssaal verlassen habe. Das Bundesverfassungsgericht hat schon in seinem Beschluss vom 17. Juli 1973 (a.a.O.) einen grundrechtlichen Anspruch auf Entfernung des Kreuzes aus dem Gerichtssaal angenommen, weil die Beschwerdeführer dargelegt haben, dass für sie der Zwang zum "Verhandeln unter dem Kreuz" eine unzumutbare innere Belastung darstelle, und sie dazu ernstliche, einsehbare Erwägungen vorgetragen hätten, von deren näherer Erörterung mit Rücksicht auf die Regelung in Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 3 WRV abgesehen werde; nach dieser Regelung ist niemand verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren, und haben die Behörden nur insoweit das Recht, nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft zu fragen, als davon Rechte und Pflichten abhängen oder eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung dies erfordert. In diesem Sinne hat das Bundesverwaltungsgericht später im Urteil vom 21. April 1999 - 6 C 18/98 - (juris = u.a. BVerwGE 109 S. 40 ff., NJW 1999 S. 3063 ff.) zur verfassungskonformen Anwendung der im Dezember 1995 in das Bayerische Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen eingeführten Widerspruchsregelung u.a. ausgeführt: Der Gesetzgeber habe in Wahrnehmung seines Gestaltungsauftrags zur Lösung des Spannungsverhältnisses zwischen negativer und positiver Religionsfreiheit mit der Widerspruchsregelung nicht gegen das staatliche Neutralitätsgebot verstoßen. Den Belangen der vorsorgenden Neutralität lägen zwar Lösungen näher, die von vornherein zu einer Konfliktvermeidung beitrügen, während der Nachteil der vorliegenden Widerspruchslösung darin bestehe, dass mit der vom Gesetzgeber zur Regel erhobenen Anbringung des Kreuzes zunächst auf der ersten Stufe zwischen Personen mit gegensätzlichen Auffassungen ein Konflikt hervorgerufen werde, für den das Gesetz dann erst auf der zweiten Stufe eine nachträgliche Konfliktlösung bereithalte, die diejenigen, die als Widersprechende die Entfernung des Kreuzes verlangten, der Gefahr aussetze, aus dem Blickwinkel der andersdenkenden Mehrheit in die Rolle von "Unruhestiftern" zu geraten und damit in die Defensive gedrängt zu werden. Die Widerspruchsregelung verstoße aber dann nicht gegen Art. 4 Abs. 1 GG, wenn sie Andersdenkenden eine zumutbare, nicht diskriminierende Ausweichmöglichkeit biete, wozu gemäß Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 3 WRV das Recht gehöre, "auszusprechen und auch zu verschweigen, dass und was man glaubt oder nicht glaubt". Daraus ergebe sich im Wege verfassungskonformer Auslegung, dass der Wille des Widersprechenden, wenn eine gütliche Einigung nicht zu Stande komme, sich letztlich auch gegen eine Mehrheit durchsetzen müsse, wenn der Widersprechende zu erkennen gegeben habe, dass er sich gegen die Anbringung des Kreuzes wende und dabei den Zusammenhang dieses Begehrens mit der (positiven oder) negativen Glaubensfreiheit herstelle. Dazu genüge es geltend zu machen, dass er es aus Gründen des Glaubens oder der Weltanschauung als unzumutbar ansehe, wenn (auf die Erziehung seines Kindes) in dieser Weise ein religiöser Einfluss genommen werde. Er müsse sich nicht soweit offenbaren, dass ein Missbrauch der Widerspruchsmöglichkeit verneint werden könne, denn die Darlegungs- und Beweislast für einen möglichen Missbrauch liege beim Schulleiter, also hier beim Antragsgegner. Die Darlegung müsse auch - entgegen der hier zum Ausdruck gebrachten Auffassung des Antragsgegners - nicht objektiv nachvollziehbar sein und weder den Grad der Betroffenheit im Grundrecht der Glaubensfreiheit, noch die Ernsthaftigkeit der religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung, noch objektive Gründe erkennbar machen, die die subjektive Unzumutbarkeit begründeten, denn die Zumutbarkeitsfrage müsse einer ernsthaften Selbstbestimmung überlassen bleiben. Gemessen an diesen Maßstäben sind die hier vom Verwaltungsgericht für ausreichend erachteten Voraussetzungen nicht zu beanstanden, und zwar - entgegen dem abschließenden Satz auf Seite 5 der Beschwerdebegründung - selbst dann nicht, wenn die Ablehnung der Anbringung des Kreuzes im Sitzungssaal durch die Antragstellerin "entgegen aller Normalität" auf "einer subjektiven Besonderheit" beruhen sollte.

Das gilt ebenso für die weitere Annahme des Verwaltungsgerichts auf Seite 8 der Beschlussbegründung, gegen die Glaubhaftigkeit der von der Antragstellerin bekundeten subjektiv so empfundenen Beeinträchtigung ihrer Mitwirkungsrechte spreche auch nicht, dass sie nichts gegen die Einweihung und Segnung des Kreishauses bzw. des Sitzungssaales durch kirchliche Würdenträger einzuwenden gehabt habe, denn dieser Akt habe nicht im Rahmen einer der Beratung und Beschlussfassung von Tagesordnungspunkten dienenden Sitzung des Kreistages, sondern in einer Feier stattgefunden. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners auf Seite 3 seiner Beschwerdebegründung kann diese Differenzierung zwischen Einweihungsakt einerseits und Sitzungstätigkeit andererseits nicht als "konstruiert betrachtet werden", denn sie entspricht im Wesentlichen dem im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Mai 1995 (a.a.O.) als entscheidungserheblich angesehenen Unterschied zwischen einer freiwilligen und hier einmaligen Konfrontation mit religiösen Symbolen im Alltagsleben im Zusammenhang mit einer Feier und einer von Staats wegen und notfalls mit Sanktionen erzwungenen regelmäßigen und unausweichlichen Konfrontation mit einem im Klassenzimmer, bzw. hier im Sitzungssaal des Kreistages, dauerhaft angebrachten Kreuz.

Soweit der Antragsgegner im zweiten Absatz auf Seite 4 der Beschwerdebegründung auf seinen bisherigen Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren Bezug nimmt, wird dies schon dem Darlegungserfordernis des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht gerecht, weil dieses eine Auseinandersetzung mit dem angefochtenen verwaltungsgerichtlichen Beschluss verlangt. Soweit er "noch einmal" bereits hier vorgetragene Gründe "hervorhebt", kann auf die bisherigen Ausführungen verwiesen werden. Seinem ergänzenden Hinweis auf die positive "Glaubensfreiheit der Anderen" ist mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Mai 1995 (a.a.O.) entgegenzuhalten, dass sich der Konflikt zwischen negativer und positiver Glaubensfreiheit nicht nach dem Mehrheitsprinzip lösen lässt, weil Art. 4 Abs. 1 GG in besonderem Maße gerade dem Minderheitenschutz dient, und dass es mit dem sich daraus ergebenden Gebot praktischer Konkordanz und dem Grundsatz staatlicher Neutralität nicht vereinbar wäre, durch die Anbringung von Kreuzen die Empfindungen Andersdenkender völlig zurückzudrängen, denn Art. 4 Abs. 1 GG verleiht den Grundrechtsträgern keinen uneingeschränkten Anspruch darauf, ihre Glaubensüberzeugung im Rahmen staatlicher Institutionen zu betätigen. Es ist dementsprechend auch nicht "völlig selbstverständlich", wie der Antragsgegner anschließend geltend macht, "dass das Kreuz in anderen öffentlichen Räumen u.a. in Gerichtssälen angebracht ist", wie schon die hier zitierten höchstrichterlichen Entscheidungen zeigen.

Dem erneuten Hinweis des Antragsgegners im letzten Absatz auf Seite 4 unten und auf Seite 5 oben seiner Beschwerdebegründung, dass das Kreuz "nicht nur als Glaubensbekenntnis zum christlichen Glauben verstanden wird, sondern einen Teil der Schmuckindustrie ausmacht", ist ebenfalls mit dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts entgegenzuhalten, dass das Kreuz nicht etwa nur Ausdruck der vom Christentum mitgeprägten abendländischen Kultur sei, sondern nach wie vor zu den spezifischen Glaubenssymbolen des Christentums gehöre, geradezu sein Glaubenssymbol schlechthin sei, und dass die Ausstattung eines Gebäudes oder eines Raumes mit einem Kreuz bis heute als gesteigertes Bekenntnis des Besitzers zum christlichen Glauben verstanden und das Kreuz für den Nichtchristen oder den Atheisten gerade wegen der Bedeutung, die ihm das Christentum beilege und die es in der Geschichte gehabt habe, zum sinnbildlichen Ausdruck bestimmter Glaubensüberzeugungen und zum Symbol ihrer missionarischen Ausbreitung werde.

Nach alledem ist die Beschwerde des Antragsgegners mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.

Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 20 Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 und § 14 GKG und folgt der Begründung des Verwaltungsgerichts.

Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO und § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG unanfechtbar.



Ende der Entscheidung

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