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Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 08.05.2008
Aktenzeichen: 8 UE 1851/07
Rechtsgebiete: HV, HBG, HGO, KWG, KWO


Vorschriften:

HV Art. 9
HV Art. 78 Abs. 2
HBG § 97 Abs. 2 S. 1
HBG § 211 Abs. 1
HGO § 45 Abs. 1
KWG § 6a Abs. 2
KWG § 25
KWG § 26 Abs. 1 Nr. 2
KWG § 50 Nr. 2
KWO § 73 Abs. 1 S. 2
1. Für Mitglieder der Wahlorgane bei Kommunalwahlen - hier entschieden für einen ehemaligen Bürgermeister als Wahlleiter - bestehen, auch im Wahlkampf, keine über die in § 6a Abs. 1 KWG geregelten Pflichten in engem Zusammenhang mit ihrer amtlichen Tätigkeit hinausgehenden Beschränkungen ihrer Meinungsäußerungsfreiheit.

2. Es bleibt offen, in welchem Umfang gemäß § 25 Abs. 2 KWG geltend gemachte Wahlanfechtungsgründe schon im Einspruchsverfahren substantiiert werden müssen. Ist der in § 73 Abs. 1 S. 2 KWO vorgesehene Hinweis auf die Zulässigkeitsvoraussetzungen nach § 25 KWG unterblieben, sind Einspruchsführer nicht gehindert, mögliche Anfechtungsgründe noch im gerichtlichen Wahlprüfungsverfahren nachzuschieben und zu substantiieren.

3. Nach der Änderung der Wahlfehlerdefinition in §§ 26 Abs. 1 Nr. 2, 50 Nr. 2 KWG können parteiergreifende Meinungsäußerungen kommunaler Wahlbeamter - hier: eines früheren Bürgermeisters -, selbst wenn sie in amtlicher Funktion erfolgt sind, nur noch dann als ergebnisrelevante Wahlfehler zur Anordnung einer Wiederholungswahl führen, wenn dadurch in mehr als unerheblichem Maße auf den Wählerwillen eingewirkt und dadurch unter Berücksichtigung der Lebenserfahrung mit hoher Wahrscheinlichkeit das Wahlergebnis entscheidend beeinflusst worden ist.


HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

8 UE 1851/07

Verkündet am 8. Mai 2008

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Gültigkeit der Wahl einer Bürgermeisterin

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof -8. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Höllein, Richter am Hess. VGH Schröder, Richter am Hess. VGH Jeuthe, ehrenamtlichen Richter Dillenberger, ehrenamtlichen Richter Döring

aufgrund der mündlichen Verhandlung am 8. Mai 2008

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 23. März 2007 - 8 E 4139/05 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die in zweiter Instanz entstandenen Kosten zu tragen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gültigkeit der am 2. Oktober 2005 durchgeführten Bürgermeisterwahl in der Stadt A-Stadt, bei der der frühere Amtsinhaber H.-O. Z. nicht mehr kandidierte. Der Kläger ist Bürger der Stadt A-Stadt und meint, im Wahlkampf seien Unregelmäßigkeiten vorgekommen, aufgrund derer die Beklagte verpflichtet sei, die Wiederholung der Wahl anzuordnen.

Bei der streitgegenständlichen Direktwahl kandidierten zwei Bewerber, Herr E. B. (CDU) und die Beigeladene (SPD). Der Wahlausschuss der Stadt A-Stadt stellte in seiner öffentlichen Sitzung am 11. Oktober 2005 als endgültiges Wahlergebnis fest, dass die Beigeladene mit einer Stimmenmehrheit von 2838 (52,9%) gegenüber 2522 Stimmen (47,1%), die auf den Kandidaten B. entfallen seien, zur gewählt worden sei. Dieses Ergebnis wurde vom Wahlleiter im amtlichen Mitteilungsblatt der Stadt, Ausgabe vom 15. Oktober 2005, bekannt gemacht. In Abschnitt II. enthält diese Mitteilung folgenden Hinweis:

"Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl kann jede wahlberechtigte Person des Wahlgebietes und jede Bewerberin oder jeder Bewerber, die bzw. der an der Wahl teilgenommen hat, binnen einer Ausschlussfrist von zwei Wochen von dem Tag dieser Bekanntmachung ab schriftlich oder zur Niederschrift bei mir erheben."

Mit Schreiben vom 28. Oktober 2005 erhob der Kläger Einspruch gegen die Gültigkeit der Bürgermeisterwahl. Diesem Schreiben fügte er eine von ihm und weiteren 125 wahlberechtigten Bürgern der Stadt A-Stadt unterzeichnete Einspruchsbegründung vom 24. Oktober 2005 bei, die folgenden Wortlaut hat:

"Herr H.-O. Z. die ihm als Wahlleiter und Bürgermeister der Stadt A-Stadt obliegende Neutralitätspflicht im Bürgermeisterwahlkampf gröblich missachtet.

Im Wahlprospekt der Bürgermeisterkandidatin A. hat der Bürgermeister H.-O. Z. eindeutig für diese Bewerberin in seiner Eigenschaft als Bürgermeister unzulässige Wahlwerbung betrieben. Das gleiche gilt auch für entsprechende Veröffentlichungen im Internet.

Darüber hinaus hat er an der Mehrzahl ihrer Wahlveranstaltungen aktiv unterstützend teilgenommen.

Bei offiziellen Anlässen (z. B. Countryfest E, Dorfbrunnenfest B) hat er als Bürgermeister die Grüße seiner Kandidatin überbracht.

Hierin ist eine eindeutige Verletzung seiner Neutralitätspflicht als Bürgermeister und Wahlleiter zu sehen."

Der Einspruch des Klägers ging am 28. Oktober 2005 bei dem Magistrat der Stadt A-Stadt ein. Die Beklagte wies den Einspruch mit Beschluss vom 7. November 2005 mit der Begründung zurück, Unregelmäßigkeiten seien bei der Wahl nicht vorgekommen. Der Kläger wurde über diese Entscheidung mit Schreiben des Wahlleiters vom 30. November 2005 informiert.

Am 13. Dezember 2005 hat der Kläger bei dem Verwaltungsgericht Gießen Klage erhoben und die Auffassung vertreten, das Gebot der freien Wahl untersage es staatlichen oder gemeindlichen Organen, sich in amtlicher Funktion vor Wahlen mit politischen Parteien oder Wahlbewerbern zu identifizieren und sie als Amtsträger zu unterstützen. Die Grenzen der zulässigen Betätigung eines Bürgermeisters im Kommunalwahlkampf seien überschritten, wenn er das ihm aufgrund seiner amtlichen Tätigkeit zufallende Gewicht und die ihm kraft Amtes gegebenen Einflussmöglichkeiten in einer Weise nutze, die mit seiner der Allgemeinheit verpflichteten Aufgabe unvereinbar sei. Gegen diese Verpflichtung zur Neutralität im Wahlkampf habe der frühere Bürgermeister H.-O. Z. verstoßen. Er sei bei den Wahlkampfveranstaltungen der Beigeladenen in G, E, Es, S, B, R, M, Bu und W anwesend gewesen und habe als Bürgermeister die von Besuchern gestellten Fragen beantwortet und die Beigeladene vor falschen oder nichts aussagenden Antworten bewahrt, die Beigeladene aufgewertet und ihr ein positives Erscheinungsbild verschafft. Der Bürgermeister sei bei diesen Veranstaltungen in amtlicher Funktion aufgetreten, weil er die gestellten Fragen nur kraft seines Amtes habe beantworten können.

Insbesondere habe der frühere Bürgermeister seine Neutralitätspflicht im Wahlkampf durch folgende Verhaltensweisen verletzt:

Beim Countryfest vom 26. bis 28. August 2005 in E sei er als Bürgermeister eingeladen gewesen und habe dort geäußert, er müsse "die Kandidatin von meiner Seite, die ich vorgeschlagen habe, Frau A., entschuldigen".

Auch bei dem Brunnenfest in B am 16. Juli 2005 sei er als Bürgermeister aufgetreten und habe bei dieser Veranstaltung offiziell dem Ortsvorsteher den Ehrenbrief des Landes Hessen überreicht. Bei dieser Veranstaltung seien zwar beide Kandidaten für die Bürgermeisterwahl anwesend gewesen; als aber nach der Verleihung des Ehrenbriefs ein Pressefoto habe gemacht werden sollen, habe der damalige Bürgermeister nur die Beigeladene aufgefordert, sich mit fotografieren zu lassen.

Bei der Verschwisterungsfahrt nach A in der Zeit vom 22. bis 26. Juni 2005 habe er in seiner Funktion als Bürgermeister sinngemäß geäußert, der Bürgermeisterkandidat solle auf seinem Platz verbleiben, dort leiste er gute Arbeit. Er solle der Bürgermeisterkandidatin, die für das Bürgermeisteramt geeignet sei, nicht in die Quere kommen.

Bei der Seniorenfahrt in der Vorwahlzeit habe der Bürgermeister in einem Bus für die Bürgermeisterkandidatin geworben.

In einem Wahlprospekt der Beigeladenen, der an alle Haushalte verteilt worden sei, habe der Bürgermeister mit Bild für sie als Bürgermeisterkandidatin mit den Worten geworben:

"H.-O. Z., Bürgermeister

Seitdem ich weiß, dass A. werden will, sehe ich Schottens Zukunft gelassen entgegen. Sie hat mit ihrem politischen Engagement in den letzten Jahren bewiesen, dass die unsere Stadt gut führen wird."

Insgesamt habe der frühere Bürgermeister in einer Vielzahl von Fällen Einfluss auf den Wählerwillen genommen, sowohl bei Veranstaltungen als auch durch Verteilung des Wahlprospekts.

Der Kläger hat beantragt,

den Beschluss der Beklagten vom 11. Oktober 2005, mit dem die Gültigkeit der Wahl zum Bürgermeister der Stadt A-Stadt vom 2. Oktober 2005 festgestellt wird, aufzuheben und die Wahl zum Bürgermeister der Stadt A-Stadt vom 2. Oktober 2005 für ungültig zu erklären.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, die Kläger habe seine Einwendungen in seinem Einspruchsschreiben von 24. Oktober 2005 nicht hinreichend substantiiert. Im Übrigen habe es sich bei den vom Kläger angesprochenen Wahlkampfveranstaltungen lediglich um Parteiveranstaltungen gehandelt, zu denen der frühere Bürgermeister als Parteimitglied eingeladen worden sei. Eine offizielle Begrüßung habe bei den vom Kläger bezeichneten neun Veranstaltungen nicht stattgefunden. Unzutreffend sei auch, dass Fragen aus der Runde, die sich direkt an die Kandidatin gerichtet hätten, vom Bürgermeister beantwortet worden seien. Vielmehr sei Herr Zimmermann lediglich dann auf Fragen eingegangen, wenn er im Rahmen der Fragestunde direkt angesprochen worden sei bzw. im Anschluss an das offizielle Ende der Wahlkampfveranstaltung im Rahmen des "gemütlichen Beisammenseins" über Themen der Kommunalpolitik gesprochen worden sei. Zu Beginn seines Redebeitrags beim Countryfest in E habe Herr Z. die damalige Fraktionsvorsitzende der SPD-Stadtverordneten und Bürgermeisterkandidatin der SPD, die Beigeladene, entschuldigt, da sie urlaubsbedingt an diesem Tag nicht habe anwesend sein können. Auch im Zusammenhang mit seinem Auftreten bei der Veranstaltung des G Verschwisterungsvereins habe Herr Z. keine Wahlbeeinflussung vorgenommen. Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang auf die Fertigung eines "Pressefotos" verweise, sei dieser Sachverhalt aufgrund des im Wahlprüfungsverfahren geltenden Anfechtungsprinzips präkludiert. Im Übrigen handele es sich um ein privates Foto, das Mitglieder der SPD im Ortsverband aufgenommen hätten, um es dem damals geehrten Ortsvorsteher als privates Geschenk zu überreichen. Das Bild sei einzig und allein auf der privaten Homepage der Bürgermeisterkandidatin, der Beigeladenen, gezeigt worden. Ein offizieller Charakter dieses Vorgangs sei nicht zu erkennen. Im Rahmen seines Grußwortes habe der frühere Bürgermeister allenfalls die Grüße der "Fraktionsvorsitzenden und Bürgermeisterkandidatin" übermittelt. Auch der Wahlprospekt der Beigeladenen enthalte keine unzulässige Wahlbeeinflussung durch den früheren Bürgermeister, da dieser berechtigt gewesen sei, im Wahlkampf seine Amtsbezeichnung zu verwenden.

Beigeladene hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Verwaltungsgericht Gießen hat mit Urteil vom 23. März 2007 - 8 E 4139/05 - die Klage abgewiesen und zur Begründung Folgendes ausgeführt: Die Klage sei unbegründet, da die Beklagte den Einspruch des Klägers habe zurückweisen und die Wahl gemäß § 50 Nr. 4 KWG für gültig habe erklären dürfen. Soweit der Kläger geltend mache, der frühere Bürgermeister habe in amtlicher Funktion die Beigeladene persönlich in neun Wahlkampfveranstaltungen der Beigeladenen unterstützt, sei der Kläger mit seinem Vorbringen ausgeschlossen, weil insoweit die Einspruchsbegründung, der Bürgermeister habe an einer Mehrzahl von Wahlveranstaltungen der Beigeladenen "aktiv unterstützend" teilgenommen, nicht dem in § 41 KWG i.V.m. § 25 KWG statuierten Gebot ausreichender Substantiierung des Wahlfehlers genüge. Aus diesem Grund sei der Kläger auch präkludiert mit seinen das Internet betreffenden Ausführungen und mit seinem Vorbringen, dass es bei der Verschwisterungsfahrt nach A, der Seniorenfahrt in der Vorwahlzeit und anlässlich der Veranstaltung in B bei der Erstellung eines Pressefotos zu Unregelmäßigkeiten gekommen sei. Soweit der Kläger die Wahlanfechtung darauf stütze, dass der ehemalige Bürgermeister zugunsten der Beigeladenen unzulässige Wahlwerbung betrieben und bei offiziellen Anlässen, zum Beispiel dem "Countryfest" in E und dem Dorfbrunnenfest in B die Grüße "seiner Kandidatin" überbracht habe, seien seine Angaben in der Einspruchsbegründung zwar hinreichend konkret gewesen. Auch dieses Vorbringen führe jedoch nicht zum Erfolg der Klage, weil insoweit keine unzulässige Wahlbeeinflussung vorliege, die für das Ergebnis der Bürgermeisterwahl von Einfluss gewesen sein könne. Zur weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird auf das Urteil vom 13. März 2007 Bezug genommen.

Die Berufung des Klägers gegen dieses Urteil hat der Senat mit Beschluss vom 31. August 2007 - 8 UZ 955/07 - wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils zugelassen. Zweifel an der Richtigkeit dieser Entscheidung ergäben sich, soweit das Verwaltungsgericht die Wahlprüfung auf den im Tatbestand des Urteils wiedergegebenen Vortrag des Klägers in der Einspruchsbegründung vom 28./24. Oktober 2005 und nicht auch auf den ergänzenden Vortrag in der Klageschrift vom 13. Dezember 2005 gestützt habe, obgleich die vom Verwaltungsgericht unterstellte Präklusion möglicherweise deshalb nicht greifen könne, weil die Anforderungen des § 25 Abs. 2 KWG in der Bekanntmachung vom 15. Oktober 2005 nicht in einer § 73 Abs. 1 S. 2 KWO genügender Weise dargestellt worden seien, so dass der Kläger den Eindruck haben gewinnen können, er könne auch noch nach Ablauf der Einspruchsfrist die Begründung seiner Wahlanfechtung ergänzen. Wegen weiterer Einzelheiten der Begründung wird auf den Zulassungsbeschluss des Senats vom 31. August 2007 verwiesen, der dem Bevollmächtigten des Klägers am 6. September 2007 zugestellt worden.

Zur Begründung der Berufung hat der Kläger mit einem am 5. Oktober 2007 beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof eingegangenen Schriftsatz seines Bevollmächtigten - offenbar vom Vortag - die seiner Ansicht nach vorliegenden Anfechtungsgründe - zum Teil unter Beweisantritt - aufgelistet und die Auffassung vertreten, der frühere Bürgermeister habe in amtlicher Eigenschaft Wahlempfehlungen ausgesprochen und den Wählerwillen manipulativ beeinflusst. Wegen Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom "4. Oktober 1987" verwiesen.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils im Beschluss der Beklagten vom 11. Oktober 2005, mit dem die Gültigkeit der Wahl zum Bürgermeister der Stadt A-Stadt vom 2. Oktober 2005 festgestellt wird, aufzuheben und die Wahl zum Bürgermeister der Stadt A-Stadt vom 2. Oktober 2005 für ungültig zu erklären.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und vertritt die Auffassung, der Kläger habe in seiner Einspruchsbegründung bezüglich der Beanstandung von neun Wahlkampfveranstaltungen der Beigeladenen im Einspruchsverfahren sein Vorbringen nicht hinreichend substantiiert, insbesondere habe er damals nicht dargelegt, welche der insgesamt 19 von der Beigeladenen durchgeführten Wahlkampfveranstaltungen er für problematisch hielt. Entgegen der Behauptung des Klägers, dass es sich um öffentliche Auftritte des Bürgermeisters gehandelt habe, sei der Bürgermeister jeweils als Parteimitglied eingeladen gewesen. Es handele sich um Wahlkampfveranstaltungen der Beigeladenen als Bürgermeisterkandidatin, die bei allen Veranstaltungen grundsätzlich nach dem gleichen Schema verfahren sei. Eingeladen habe sie in persönlichen Schreiben Mitglieder und Sympathisanten der SPD und der FDP, Vereinsvertreter und die jeweiligen Ortsvorsteher. Nach einem um 19.00 Uhr beginnenden Ortsrundgang habe jeweils um 20.30 Uhr eine Wahlkampfveranstaltung in einer Gaststätte bzw. einem Dorfgemeinschaftshaus stattgefunden, bei der es sich jeweils erkennbar um eine Wahlkampfveranstaltung des SPD-Ortsverbands beziehungsweise der offiziellen Kandidatin der SPD, der Beigeladenen, gehandelt habe. Im Übrigen erläutert die Beklagte - zum Teil unter Beweisantritt - den Ablauf der einzelnen Wahlkampfveranstaltungen sowie des Countryfests in E am 27. August 2005, des Brunnenfests in B am 16. Juli 2005 und der Verschwisterungsfahrt nach A vom 22. bis 26. Juni 2005. Auch der Wahlaufruf des früheren Bürgermeisters zu Gunsten der Beigeladenen in deren Wahlkampfprospekt und auf deren privater Internetseite ist nach Auffassung der Beklagten als private Meinungsäußerung im Wahlkampf zulässig gewesen, auch soweit der Bürgermeister seine Amtsbezeichnung beigefügt habe, wozu er als Wahlbeamter im Rahmen der §§ 97 Abs. 2 S. 1, 211 Abs. 1 HBG berechtigt gewesen sei. Ferner bekräftigt die Beklagte zur Begründung ihrer Berufung ihre Auffassung, dass durch die Neufassung des Wahlfehlerbegriffs in § 50 Nr. 2 KWG durch Gesetz vom 31. Januar 2005 in Anlehnung an die für Landtagswahlen geltende Bestimmung des Art. 78 Abs. 2 HV für die vom Kläger geforderte strenge Auslegung der Vorgängerbestimmung kein Raum mehr sei. Da offensichtlich ein objektiver Straftatbestand der §§ 107 bis 108 b StGB nicht verwirklicht worden sei, könne der vom Kläger geltend gemachte Neutralitätsverstoß des früheren Bürgermeisters und Wahlleiters allenfalls als eine gegen die guten Sitten verstoßende Handlung gewertet werden, mit der Folge, dass nur im Falle einer erheblichen Wahlbeeinflussung eine Aufhebung der Bürgermeisterdirektwahl am 2. Oktober 2005 in Betracht kommen könne, wenn in mehr als nur unerheblicher Weise parteiergreifend auf die Bildung des Wählerwillens eingewirkt worden sei. Dies sei hier nicht der Fall gewesen. Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Beklagten im Berufungsverfahren wird auf den Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 8. November 2007 Bezug genommen.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag und tritt der Berufung unter Bezugnahme auf das Vorbringen der Beklagten entgegen.

Dem Senat liegen die die Wahlanfechtung des Klägers betreffenden Akten der Beklagten vor (ein Ordner). Sie sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden.

Entscheidungsgründe:

Die zugelassene Berufung ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht begründet worden (§§ 124a Abs. 3 S. 3 bis 5, Abs. 6 VwGO).

Sie ist jedoch sachlich nicht begründet.

Das Verwaltungsgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die Bezug genommen wird (§ 122 Abs. 2 S. 3 VwGO, zweiter Absatz auf Seite 7 des angefochtenen Urteils), die Klage als zulässige Gestaltungsklage eigener Art angesehen.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht als unbegründet abgewiesen.

Allerdings lässt der Senat offen, ob der Auffassung des Verwaltungsgerichts, der Kläger sei mit einem Teil seines Vorbringens im Klageverfahren ausgeschlossen, weil er Anfechtungsgründe entgegen § 25 Abs. 2 Hessisches Kommunalwahlgesetz (KWG) in der Fassung vom 1. April 2005 (GVBl. I S. 197), geändert durch Gesetz vom 21. März 2005 (GVBl. I S. 218), im Einspruchsverfahren nicht hinreichend substantiiert vorgebracht habe, gefolgt werden kann. Zwar galt für Einspruchsverfahren schon vor In-Kraft-Treten des § 25 Abs. 2 KWG n.F. das Anfechtungsprinzip mit der Folge, dass Einspruchsführer bestimmte Wahlfehler geltend machen mussten. Der Senat hat dazu in seinem Urteil vom 12. Juni 2003 - 8 UE 2250/02 - (ESVGH 53, 226 = HGZ 2003, 435 = juris Rdnr. 40) folgendes ausgeführt:

"Damit ist der grundsätzlichen Forderung, dass die Wahlanfechtungsgründe im Einspruchsschreiben zum Ausdruck kommen müssen, hinreichend Rechnung getragen. Das so genannte Anfechtungsprinzip soll nur die Einbeziehung neuer, abgrenzbarer, eigenständiger Sachverhalte ausschließen, die zur Überprüfung weiterer, bisher nicht geltend gemachter Wahlrechtsverstöße führen würden. Die Anforderungen daran, was ein Einspruchsführer innerhalb der Einspruchsfrist substantiiert vortragen muss, dürfen nicht überspannt werden. Im Rahmen des Anfechtungsgegenstandes ist der Tatbestand, auf den die Anfechtung gestützt wird, von Amts wegen zu erforschen und sind alle auftauchenden rechtserheblichen Tatsachen zu berücksichtigen (vgl. Hess. VGH, Urteil vom 29. November 2001 - 8 UE 3800/00 - Seite 18 des amtlichen Umdrucks m.w.N.)."

Daran hat sich durch die Neufassung des § 50 KWG im Jahre 2005 - kurz vor der hier angefochtenen Bürgermeisterwahl - nichts Wesentliches geändert. Zwar ist nunmehr in § 25 Abs. 2 KWG i.V.m. § 49 KWG geregelt, dass der Einspruch innerhalb der Einspruchsfrist im Einzelnen zu begründen ist und nach Ablauf der Einspruchsfrist weitere Anspruchsgründe nicht mehr geltend gemacht werden können. Dies ändert aber nichts daran, dass der Einspruchsführer die Tatsachenkomplexe, auf die er seinen Einspruch stützen möchte, nicht in allen Einzelheiten schildern und daraus selbst rechtliche Schlussfolgerungen ziehen muss. Es genügt vielmehr, dass er der neuen Vertretungskörperschaft die Vorgänge konkret benennt, die seiner Ansicht auf Wahlfehler untersucht werden müssen. Auch die Neufassung des § 25 KWG verlangt vom Einspruchsführer nicht mehr Substantiierung als bisher, denn durch die Neufassung sollte lediglich "klargestellt" werden, "dass Einsprüche innerhalb der Einspruchsfrist substantiiert begründet werden müssen und die Geltendmachung neuer Gründe nach Ablauf der Einspruchsfrist im Wahlprüfungsverfahren nicht zulässig ist" (vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung für ein Gesetz zur Änderung der Hessischen Gemeindeordnung und anderer Gesetze vom 6. Juli 2004 (LT-Drs. 16/2463, S. 70).

Diesen Anforderungen genügen zumindest die das Internet betreffenden Ausführungen des Klägers und sein Vorbringen, dass es bei der Verschwisterungsfahrt nach A, der Seniorenfahrt in der Vorwahlzeit und bei der Veranstaltung in B bei der Erstellung eines Pressefotos zu Unregelmäßigkeiten gekommen sei, nicht, weil diese Vorgänge erst im Klageverfahren erwähnt bzw. substantiiert worden sind. Der Senat hat dieses Vorbringen gleichwohl bei seiner Überprüfung der Wahl berücksichtigt, weil in der Bekanntmachung des endgültigen Wahlergebnisses entgegen § 73 Abs. 1 S. 2 Kommunalwahlordnung (KWO) in der Fassung der Verordnung vom 23. März 2005 (GVBl. I Seite 254) nicht auf die Zulässigkeitsvoraussetzungen für einen Einspruch nach § 25 KWG hingewiesen worden ist. Dem Rechtsgedanken des § 58 folgend, sieht der Senat den Kläger deshalb als berechtigt an, die im Einspruchsverfahren unterbliebene Geltendmachung und Substantiierung vermeintlicher Wahlfehler noch im Klageverfahren nachzuholen, und hat deshalb das gesamte Vorbringen des Klägers in die Wahlprüfung einbezogen.

Ergebnisrelevante Wahlfehler vermag der Senat allerdings auch unter Einbeziehung des gesamten Klagevorbringens nicht zu erkennen, ohne dass es der Vernehmung der von beiden Beteiligten benannten Zeugen bedarf.

Bei der Prüfung ist ein anderer Wahlfehlerbegriff als in früheren Wahlprüfungsverfahren anzuwenden. Durch die Neufassung des § 50 Nr. 2 KWG durch Gesetz vom 31. Januar 2005 (GVBl. I S. 54) hat der Gesetzgeber den früheren kommunalrechtlichen Wahlfehlerbegriff geändert und die Bestimmung Art. 78 Abs. 2 der Verfassung des Landes Hessen (HV) angeglichen. Sie lautet nun, soweit dies hier von Bedeutung ist:

"Sind im Wahlverfahren Unregelmäßigkeiten oder strafbare oder gegen die guten Sitten verstoßende Handlungen, die das Wahlergebnis beeinflussen, vorgekommen, bei denen nach den Umständen des Einzelfalls eine nach der Lebenserfahrung konkrete Möglichkeit besteht, dass sie auf das Ergebnis von entscheidendem Einfluss gewesen sein können, so ist ...

die Wiederholung der Wahl anzuordnen."

Die Neufassung der Wahlfehlerdefinitionen in den §§ 26 Abs. 1 Nr. 2, 50 Nr. 2 KWG beruht auf einem Änderungsantrag der Fraktion der CDU vom 6. Dezember 2004 (LT-Drs. 16/3307) zu dem Gesetzentwurf der Landesregierung für ein Gesetz zur Änderung der Hessischen Gemeindeordnung und anderer Gesetze (LT-Drs. 16/2463); dort ist die Änderung wie folgt begründet worden (Seite 4):

"Mit der Änderung des § 26 Abs. 1 Nr. 2 KWG sollen die materiellen Wahlprüfungsgründe des für Landtagswahlen geltenden Art. 78 Abs. 2 der Hessischen Verfassung für das Kommunalwahlrecht übernommen werden; damit soll klargestellt werden, dass als Wahlfehler Unregelmäßigkeiten oder strafbare oder gegen die guten Sitten verstoßende Handlungen, die das Wahlergebnis beeinflussen, vorliegen müssen. Zudem soll in der Vorschrift klargestellt werden, dass nur dann, wenn nach den Umständen des Einzelfalles eine nach der Lebenserfahrung konkrete Möglichkeit besteht, dass im Wahlverfahren vorgekommene Wahlfehler auf die Verteilung der Sitze von entscheidendem Einfluss gewesen sein können, eine Wiederholungswahl anzuordnen ist."

Vor dem Hintergrund dieser Entstehungsgeschichte der hier anzuwendenden Vorschriften ist auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 78 Abs. 2 HV zu berücksichtigen, in der parteiergreifende, die Wahl beeinflussende Verhaltensweisen nicht den "Unregelmäßigkeiten im Wahlverfahren", sondern den "gegen die guten Sitten verstoßenden Handlungen", die die Wahl beeinflussen, zugeordnet worden sind (BVerfG, Urteil vom 8. Februar 2001 - 2 BvF 1/00 -, BVerfGE 103, 111 = juris Rdnr. 83 ff.):

"... liegt eine sittenwidrige, das Wahlergebnis beeinflussende Handlung im Sinne von Art. 78 Abs. 2 HV dann vor, wenn staatliche Stellen im Vorfeld einer Wahl in mehr als nur unerheblichem Maße parteiergreifend auf die Bildung des Wählerwillens eingewirkt haben, wenn private Dritte, einschließlich Parteien und einzelnen Kandidaten, mit Mitteln des Zwangs oder Drucks die Wahlentscheidung beeinflusst haben oder wenn in ähnlich schwer wiegender Art und Weise auf die Wählerwillensbildung eingewirkt worden ist, ohne dass eine hinreichende Möglichkeit der Abwehr, z. B. mit Hilfe der Gerichte oder der Polizei, oder des Ausgleichs, etwa mit Mitteln des Wahlwettbewerbs, bestanden hätte. Außerhalb dieses Bereichs erheblicher Verletzungen der Freiheit oder der Gleichheit der Wahl stellt ein Einwirken von Parteien, einzelnen Wahlbewerbern, gesellschaftlichen Gruppen oder sonstigen Dritten auf die Bildung des Wählerwillens kein Verhalten dar, das den zur Prüfung gestellten Wahlfehlertatbestand erfüllte, selbst wenn es als unlauter zu werten sein und gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen sollte. Ein Gesetzesverstoß ist für die Annahme einer sittenwidrigen Wahlbeeinflussung im Sinne von Art. 78 Abs. 2 HV weder eine notwendige noch eine hinreichende Bedingung.

... Dass der Begriff der sittenwidrigen Handlung in dieser Weise einschränkend auszulegen ist, wird durch den Regelungszusammenhang der zur Prüfung gestellten Vorschrift bestätigt.

Art. 78 Abs. 2 HV stellt unlautere, die Wahl beeinflussende Verhaltensweisen, 'Unregelmäßigkeiten im Wahlverfahren', d.h. Verletzungen von Wahlvorschriften, die die Wahlvorbereitung, den Wahlakt und die Feststellung des Wahlergebnisses betreffen (...), und 'strafbare Handlungen, die das Wahlergebnis beeinflussen', d.h. Verstöße gegen die §§ 107 ff. StGB, einander gleich. Daraus ist zu schließen, dass eine sittenwidrige Wahlbeeinflussung nach Art und Gewicht zumindest ebenso bedeutsam sein muss wie die von Art. 78 Abs. 2 HV im Übrigen erfassten Handlungen, namentlich diejenigen strafrechtlicher Natur.

Hinzu kommt: Art. 78 Abs. 2 HV lässt die Ungültigerklärung einer Wahl wegen sittenwidriger Handlungen, wie dargestellt, nur unter der Voraussetzung zu, dass diese Handlungen 'das Wahlergebnis beeinflussen'. Er stellt damit erhöhte Anforderungen an die Annahme eines Ursachenzusammenhangs zwischen einer unlauteren Einflussnahme auf die Willensbildung des Wählers und dessen Stimmenabgabe.

... Nur eine einschränkende Auslegung des Begriffs 'sittenwidrige Handlungen' wird auch dem Sinn und Zweck von Art. 78 Abs. 2 HV gerecht.

Als eine in der Überlieferung der materiell-rechtlichen Wahlprüfungspraxis stehende Vorschrift will Art. 78 Abs. 2 HV die richtige, mit dem Wählerwillen in Einklang stehende Zusammensetzung des Parlaments gewährleisten und damit der Wahrung der Wahlrechtsgrundsätze, insbesondere der Wahlfreiheit und Wahlgleichheit als konstituierenden Elementen einer demokratischen Wahl dienen. Das Parlament soll indessen durch die Wahlprüfung in der Wahrnehmung seiner Aufgaben, insbesondere der Gesetzgebung und der Kontrolle der - von ihm als funktionsfähiges Organ erst hervorzubringenden - Regierung möglichst nicht beeinträchtigt werden. Dieser Rechtsgedanke liegt den wahlprüfungsrechtlichen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu Grunde (BVerfGE 89, 243 [253]) und ist in der wahlprüfungsrechtlichen Rechtsprechung der Länder allgemein anerkannt (...). In der zur Prüfung gestellten Regelung kommt er darin zum Ausdruck, dass die Ungültigerklärung einer Wahl nur insoweit zugelassen wird, als das in Rede stehende Verhalten das Wahlergebnis beeinflusst hat und diese Beeinflussung für den Ausgang der Wahl erheblich war...

Die Ungültigerklärung einer gesamten Wahl setzt einen erheblichen Wahlfehler von solchem Gewicht voraus, dass ein Fortbestand der in dieser Weise gewählten Volksvertretung unerträglich erschiene."

Bei Anwendung dieser Grundsätze, die der Senat unter der Geltung des § 50 Nr. 2 KWG a.F. in früheren Wahlprüfungsverfahren für nicht anwendbar erklärt hat (vgl. Hess VGH, Urteil vom 29. November 2001 - 8 UE 3800/2001 -, HGZ 2002, 171), die aber nunmehr wegen der ausdrücklich auf Art. 78 Abs. 2 HV Bezug nehmenden Gesetzesänderung anzuwenden sind, sind die vom Kläger gerügten Verhaltensweisen des früheren Bürgermeisters weit davon entfernt, als strafbare oder im wahlrechtlichen Sinne sittenwidrige Einflussnahme auf den Wählerwillen und damit als möglicherweise ergebnisrelevante Wahlfehler eingestuft zu werden.

Was die Teilnahme des früheren Bürgermeisters an Wahlveranstaltungen der Beigeladenen angeht, ist durch das vom Kläger nicht substantiiert bestrittene Vorbringen der Beklagten im Berufungsverfahren geklärt, dass es sich dabei um reine Parteiveranstaltungen handelte, an denen der Bürgermeister als Parteimitglied selbstverständlich teilnehmen und in deren Rahmen er seine Meinung frei äußern durfte. Schon unter der Geltung des strengeren Wahlfehlerbegriffs in § 50 Nr. 2 KWG a.F. hat der Senat das Recht kommunaler Wahlbeamter betont, auch im Wahlkampf ihre Meinung frei und parteiergreifend zu äußern und dabei ihre Amtsbezeichnung zu verwenden, soweit dies nicht in amtlicher Eigenschaft geschieht (Hess. VGH, Urteil vom 22. September 2005 - 8 UE 609/05 -, ESVGH 56,79 = NVwZ 2006, 610 = juris Rdnrn. 39 ff.):

"Soweit der Beigeladene die Ansicht vertritt, die durch den Gesetzgeber nach der streitgegenständlichen Direktwahl vollzogene Neufassung des § 26 KWG gebe 'Handlungsanweisungen' auch für die Auslegung der hier noch anwendbaren alten Fassung dieser Vorschrift mit der Folge, dass für die Einstufung eines Verhaltens als Wahlfehler strengere Anforderungen zu stellen seien, als der Senat dies in seiner früheren Rechtsprechung getan hat, kann dieser Ansicht nicht gefolgt werden. Denn die erst im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens - Gesetzentwurf der Landesregierung vom 6. Juli 2004 für ein Gesetz zur Änderung der Hessischen Gemeindeordnung und anderer Gesetze, LT-Drs. 16/2463 - durch einen Änderungsantrag der Fraktion der CDU vom 6. Dezember 2004 (LT-Drs. 16/3307) vorgeschlagene Neufassung der §§ 26 und 50 Nr. 2 KWG, die entsprechend Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses vom 8. Dezember 2004 (LT-Drs. 16/3339) vom Landtag beschlossen und im Rahmen des novellierten Hessischen Kommunalwahlgesetzes in der Fassung vom 1. April 2005 (GVBl. I S. 197) verkündet worden ist, stellt eine Übernahme der materiellen Wahlprüfungsgrundsätze des für Landtagswahlen geltenden Art. 78 Abs. 2 der Hessischen Verfassung für das Kommunalwahlrecht dar (vgl. Begründung des Änderungsantrags der Fraktion der CDU zu § 26 KWG, LT-Drs. 16/3307, S. 4) und gibt deshalb keine Interpretationshilfe für die hier noch anwendbare frühere Fassung der Vorschrift, so dass an der bisherigen Auslegung dieser Vorschrift durch den Senat festzuhalten ist. Allerdings darf diese Auslegung nicht dazu führen, dass amtierende Kommunalwahlbeamte, die sich einer Direktwahl stellen, während des Wahlkampfes ihres Rechts auf freie Meinungsäußerung beraubt werden und ihnen - wie es der Beigeladene drastisch hat ausdrücken lassen - gleichsam 'ein Maulkorb verpasst' wird. Mit diesem Problem hat sich der Senat bereits in seinem Urteil vom 10. Juli 2003 - 8 UE 2947/01 - (ESVGH 54, 13 = HSGZ 2003, 345) befasst und Folgendes ausgeführt:

'Allerdings dürfen Bürgermeister ... nicht nur als Wähler an der Wahl teilnehmen, sondern sich auch im Wahlkampf als Bürger des Rechts der freien Meinungsäußerung bedienen. Wie jeder andere Bürger dürfen sie sich insbesondere mit Auftritten, Anzeigen oder Wahlaufrufen aktiv am Wahlkampf beteiligen. Wahlempfehlungen zugunsten eines Wahlbewerbers, die ein Bürgermeister in amtlicher Eigenschaft abgibt, werden jedoch nicht durch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Sie verstoßen vielmehr gegen die den Gemeinden und ihren Organen durch das bundesverfassungsrechtliche Gebot der freien Wahl auch im Kommunalwahlkampf auferlegte Neutralitätspflicht und sind deswegen unzulässig (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.April 1997 - 8 C 5/96 - BVerwGE 104, 323 ff. = juris). Dies gilt auch für Wahlempfehlungen, die ein Bürgermeister/Oberbürgermeister in amtlicher Eigenschaft für seine eigene Wiederwahl abgibt.'

Was die Verwendung der Amtsbezeichnung 'Bürgermeister' - vgl. § 45 Abs. 1 der Hessischen Gemeindeordnung (HGO) in der Fassung vom 1. April 1993 (GVBl. 1992 I S. 534, zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. Juni 2002, GVBl. I S. 342) - angeht, ist ergänzend zu berücksichtigen, dass gemäß §§ 97 Abs. 2 Satz 1, 211 Abs. 1 Hessisches Beamtengesetz (HBG) auch Wahlbeamte im Dienst die Amtsbezeichnung des ihnen übertragenen Amts führen und sie auch außerhalb des Dienstes führen dürfen."

Da die auf Einladung der Beigeladenen durchgeführten Wahlkampfveranstaltungen in den einzelnen Ortsteilen nach Organisation und Ablauf für Teilnehmer und Beobachter als reine Wahlkampftermine erkennbar waren, konnte bei diesen Veranstaltungen nicht der Eindruck einer amtlichen Tätigkeit des teilnehmenden früheren Bürgermeisters entstehen und deswegen auch keine unzulässige Einflussnahme auf den Wählerwillen erfolgen. Entsprechendes gilt für den Wahlprospekt und den Internetauftritt der Beigeladenen, die ebenfalls als Wahlkampfbeiträge deutlich erkennbar waren, mit denen der ehemalige Bürgermeister deshalb zulässigerweise von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung im Wahlkampf Gebrauch gemacht hat.

Gleiches gilt für die in der Begründung des Einspruchsschreibens von 24. Oktober 2005 ausdrücklich erwähnten Meinungsäußerungen des früheren Bürgermeisters zur Kandidatur der Beigeladenen in deren Wahlprospekt und entsprechende Veröffentlichungen im Internet.

Problematischer sind die Auftritte des früheren Bürgermeisters bei dem Countryfest in E und dem Dorfbrunnenfest in B. Der Senat hat trotz der aus dem Verwaltungsverfahren bekannten anderen Darstellung des früheren Bürgermeisters die Behauptung des Klägers als wahr unterstellt, der damalige Bürgermeister habe den Teilnehmern die Grüße "seiner Kandidatin" überbracht bzw. sie als von ihm vorgeschlagene Bürgermeisterkandidatin begrüßt. Da es sich bei beiden Festen nicht um Parteiveranstaltungen handelte und er dort in seiner Eigenschaft als Stadtoberhaupt auftrat, bestand bei diesen Gelegenheiten Neutralitätspflicht, die der ehemalige Bürgermeister mit dem Hinweis, dass er die Beigeladene als Kandidatin unterstütze, verletzt haben dürfte. Es fehlt jedoch beiden Vorgängen ganz offensichtlich die erforderliche Intensität, um sie einer strafbaren oder gegen die guten Sitten verstoßenden Wahlbeeinflussung gleichstellen zu können. Abgesehen davon ist es nach der Lebenserfahrung, die nach der Neufassung des § 50 Nr. 2 KWG in die Wahlprüfung einzubeziehen ist, kaum vorstellbar, dass das Überbringen von Grüßen der nicht anwesenden Beigeladenen bzw. ihre Begrüßung als Bürgermeisterkandidatin bei beiden Festen zu einer nachhaltigen Wahlbeeinflussung geführt haben könnte, zumal durch die sonstigen - zulässigen - Meinungsäußerungen des ehemaligen Bürgermeisters den Wahlberechtigten klar sein musste, dass er die Beigeladene als Kandidatin unterstützt, was schon deswegen keine meinungsbildende Neuigkeit sein konnte, weil beide derselben Partei angehören und dies den Wahlberechtigten in A-Stadt kaum verborgen geblieben sein kann.

Was die Anfertigung eines Pressefotos anlässlich des Dorfbrunnenfestes in B am 16. Juli 2005 angeht, ist in der mündlichen Verhandlung des Senats geklärt worden, dass bei diesem Fest tatsächlich ein später veröffentlichtes Pressefoto angefertigt worden ist, das jedoch die Beigeladene gar nicht zeigt und schon deshalb als Mittel einer unlauteren Wahlbeeinflussung ungeeignet ist. Die Beigeladene erscheint lediglich auf dem auf ihrer privaten Homepage veröffentlichten Foto, das anlässlich des Dorfbrunnenfestes von einem Parteifreund der Beigeladenen für private Zwecke angefertigt worden ist und auf dem auch der frühere Bürgermeister abgebildet ist. Bei der Mitwirkung am Zustandekommen dieses Fotos und seiner Verbreitung auf der privaten Internetseite der Beigeladenen kann indessen von einer amtlichen Tätigkeit des Bürgermeisters nicht die Rede sein, weil für den aufmerksamen Beobachter der Szene kein Zweifel bestehen konnte, dass der Bürgermeister auf dem Privatfoto nicht in amtlicher Eigenschaft gezeigt werden sollte, sondern in seiner Eigenschaft als Parteifreund des mit dem Ehrenbrief ausgezeichneten Ortsvorstehers. Dies ergibt sich insbesondere aus dem Umstand, dass die Beigeladene offensichtlich nicht gebeten wurde, sich auch auf dem "offiziellen" Pressefoto abbilden zu lassen.

Das Vorbringen des Klägers bezüglich einer behaupteten Parteinahme des früheren Bürgermeisters für die Beigeladene bei einer von der Stadt A-Stadt veranstalteten Seniorenfahrt in der Vorwahlzeit ist auch im gerichtlichen Verfahren beider Instanzen so unsubstantiiert geblieben, dass es nicht den Anforderungen des § 25 Abs. 2 KWG entspricht, weil es keine Möglichkeiten weitergehender Amtsermittlung eröffnet, zumal der Kläger insoweit keine Zeugen benannt hat. Auch hat er nicht dargestellt, in welcher Weise die Werbung für die Beigeladene erfolgt ist und wie viele Wahlberechtigte dadurch gegebenenfalls beeinflusst werden konnten. Deshalb kann nicht festgestellt werden, dass der frühere Bürgermeister bei dieser Seniorenfahrt in amtlicher Eigenschaft unzulässige Werbung für die Beigeladene gemacht und damit den Ausgang der angefochtenen Direktwahl ergebnisrelevant beeinflusst haben könnte.

Schließlich bietet auch das Vorbringen des Klägers zum Verhalten des früheren Bürgermeisters bei einer Verschwisterungsfahrt nach A im Juni 2005 keinen Anhaltspunkt für das Vorliegen eines ergebnisrelevanten Wahlfehlers. Abgesehen davon, dass nicht eindeutig zu klären ist, ob der damalige Bürgermeister an der vom Verschwisterungsverein veranstalteten Fahrt während seines Urlaubs in amtlicher Eigenschaft als Bürgermeister oder als Mitglied des Vereins im privaten Rahmen teilgenommen hat, spricht auch die vom Kläger behauptete Form der beanstandeten Äußerungen des damaligen Bürgermeisters gegen eine amtliche Verlautbarung und eher für eine Äußerung im privaten Bekanntenkreis. Selbst wenn die von der Beklagten bestrittenen Äußerung des Bürgermeisters in der behaupteten Weise gefallen sein sollte, hätte sie aus der Sicht eines unbefangenen Reiseteilnehmers nicht ohne weiteres als amtliche Verlautbarung des Bürgermeisters und damit als möglicher Wahlfehler aufgefasst werden können.

Im Übrigen fehlt bei allen beanstandeten Verhaltensweisen des früheren Bürgermeisters mit Ausnahme seiner Teilnahme an den Wahlkampfveranstaltungen der Beigeladenen und seiner Äußerung in deren Wahlprospekt, die aus den dargestellten Gründen von vornherein als möglicher Anknüpfungspunkt für eine Ungültigerklärung der Wahl ausscheiden, ein Anhaltspunkt, dass "nach den Umständen des Einzelfalls eine nach der Lebenserfahrung konkrete Möglichkeit besteht, dass sie auf das Ergebnis von entscheidendem Einfluss gewesen sein können" (§ 50 Nr. 2 KWG). Da der Gegenkandidat der Beigeladenen bei der angefochtenen Direktwahl 316 Stimmen weniger als die Beigeladene erhalten hat, hätten vor der Wahl 158 Wähler umgestimmt werden müssen, um wenigstens Stimmengleichheit zu erreichen und dadurch eine Stichwahl zu erzwingen (§ 39 Abs. 1b HGO). Da an den Dorfbrunnenfest in B am 16. Juli 2005 auch nach Einschätzung des Klägers nur rund 100 Wahlberechtigte und an dem Countryfest in E vom 26. bis 28. August 2005 nur circa 20 bis 25 Wahlberechtigte teilgenommen haben und die Teilnehmerzahlen der Verschwisterungsfahrt nach A vom 22. bis 26. Juni 2005 und der Seniorenfahrt in der Vorwahlzeit nicht feststehen, ist es schon von der Gesamtzahl der bei diesen Veranstaltungen insgesamt erreichbaren Personen sehr unwahrscheinlich, dass die beanstandeten, auch nach Darstellung des Klägers eher marginalen Äußerungen des früheren Bürgermeisters bei diesen Gelegenheiten insgesamt 158 Wahlberechtigte zu einer anderen Stimmabgabe veranlasst haben könnten. Hinzu kommt, dass die Verschwisterungsfahrt und das Dorfbrunnenfest in recht großem zeitlichen Abstand zur angefochtenen Direktwahl am 2. Oktober 2005 stattfanden und nur das in jenem Jahr ausgesprochen schlecht besuchte Countryfest und die Seniorenfahrt, bei der der damalige Bürgermeister in einem Bus nur einen eng begrenzten Teilnehmerkreis angesprochen haben soll und für die seine angeblich parteiergreifenden Äußerungen auch nicht substantiiert dargelegt worden sind, in relativ geringem Abstand zu dieser Wahl durchgeführt wurden. Da erfahrungsgemäß länger zurückliegende Ereignisse im Vorfeld einer Wahl von aktuellerem Geschehen überlagert werden und damit für die Willensbildung der Wähler an Bedeutung verlieren, kann unter Berücksichtigung der Lebenserfahrung nicht davon ausgegangen werden, dass bei den wahlberechtigten Teilnehmern der Verschwisterungsfahrt und des Dorfbrunnenfestes zum Zeitpunkt der Wahl die dort erfolgten Äußerungen des früheren Bürgermeisters noch nachhaltige Wirkungen entfaltet haben. Abgesehen davon sind die Teilnehmerzahlen bei diesen beiden Veranstaltungen insgesamt nicht so gewesen, dass ohne weiteres davon ausgegangen werden kann, es hätten dort durch den damaligen Bürgermeister mindestens 158 Wahlberechtigte erreicht werden können. Selbst wenn dies doch der Fall gewesen wäre, widerspräche es der Lebenserfahrung, wenn die dem damaligen Bürgermeister vom Kläger vorgeworfenen, eher beiläufigen Sympathiebekundungen zu Gunsten der Beigeladenen alle oder nahezu alle an diesen Veranstaltungen teilnehmenden Wahlberechtigten dazu veranlasst hätten, bei der angefochtenen Direktwahl an Stelle der Beigeladenen deren Gegenkandidaten zu wählen; dies wäre aber Voraussetzung für die Annahme eines ergebnisrelevanten Wahlfehlers im Sinne des § 50 Nr. 2 KWG n.F.

Soweit der Kläger schließlich rügt, der frühere Bürgermeister habe in seiner Funktion als Wahlleiter seine Neutralitätspflicht verletzt, kann auch diesem Vorbringen nicht gefolgt werden. Nach § 6a Abs. 2 KWG sind die Mitglieder der Wahlorgane, ihre Stellvertreter und die Schriftführer zur unparteiischen Wahrnehmung ihres Amtes und zur Verschwiegenheit über die ihnen bei ihrer amtlichen Tätigkeit bekannt gewordenen Angelegenheiten verpflichtet. Diese Pflichten hat der ehemalige Bürgermeister und Wahlleiter auch nach Auffassung des Klägers nicht verletzt. Er war auch nicht verpflichtet, sich einer Tätigkeit als Wahlleiter zu enthalten, da er sich nicht um eine Wiederwahl bewarb (§§ 4 Abs. 2 S. 3, 5 Abs. 3 S. 1 KWG). Zwar hätte § 5 Abs. 1 S. 2 KWG dem Gemeindevorstand die Möglichkeit eingeräumt, statt des von Amts wegen zum Wahlleiter berufenen Bürgermeisters (§ 5 Abs. 1 S. 1 KWG) einen besonderen Wahlleiter zu bestellen. Dass der Magistrat hier von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht hat, führt jedoch nicht zu einem Wahlfehler, denn es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass der damalige Wahlleiter in dieser Funktion seine amtlichen Befugnisse - abgesehen von der unvollständigen Wahlbekanntmachung - fehlerhaft wahrgenommen hätte. Die Wahlbekanntmachung war für die Willensbildung der Wähler bis zur Wahl, auf die es hier ankommt, ohne Bedeutung. Da der Gesetzgeber die Pflichten der Mitglieder der Wahlorgane auf die unparteiische Wahrnehmung ihres Amtes, also die amtliche Vorbereitung und Durchführung der Wahl, und auf eine nachwirkende Verschwiegenheitspflicht beschränkt hat, fehlte es für die Annahme einer Neutralitätspflicht im Wahlkampf, die auch die Meinungsfreiheit der Betroffenen einschränken würde, an der erforderlichen gesetzlichen Grundlage (Art. 5 Abs. 1 und 2,19 Abs. 1 GG, Art. 9 HV).

Die in zweiter Instanz entstandenen Kosten hat der Kläger zu tragen, weil seine Berufung erfolglos bleibt (§ 154 Abs. 2 VwGO). Davon ausgenommen sind die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die im Berufungsverfahren keinen Antrag gestellt und sich damit keinem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO); es entspricht daher nicht der Billigkeit, ihr entstandene Kosten ebenfalls dem Kläger aufzuerlegen (§ 162 Abs. 3 VwGO).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit und die Abwendungsbefugnis ergibt sich aus §§ 167 Abs. 1 VwGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe fehlen (§ 132 VwGO).

Ende der Entscheidung

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