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Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 24.04.2008
Aktenzeichen: 8 UE 2021/06.A
Rechtsgebiete: AsylVfG, AufenthG, AuslG, VwGO, VwZG


Vorschriften:

AsylVfG § 10
AsylVfG § 73 Abs. 3
AsylVfG § 74 Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 7
AufenthG § 60a
AuslG § 53 Abs. 6
AuslG § 54
VwGO § 60 Abs. 1
VwZG § 7 Abs. 1
1. Einen Asylbewerber trifft kein Verschulden an der Versäumung der Klagefrist, wenn er nach rechts- bzw. bestandskräftigem Abschluss eines anwaltlich geführten Asylverfahrens auch bei einem dreimonatigen Auslandsaufenthalt keine besonderen Zustellungsvorkehrungen für Mitteilungen oder Entscheidungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge im Rahmen eines ohne sein Wissen eingeleiteten Widerrufsverfahrens trifft, mit dessen Einleitung er auch nicht rechnen musste.

2. Die abschiebungsrelevante Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan, insbesondere im Raum Kabul und in der Provinz Paktia, hat sich seit Anfang 2004 bis heute nicht so wesentlich verändert, dass der Widerruf der Feststellung eines Abschiebungshindernisses gemäß § 73 Abs. 3 AsylVfG entgegen der Rechtskraftwirkung eines zugrundeliegenden Urteils möglich wäre; der bloße Zeitablauf oder eine veränderte rechtliche oder tatsächliche Bewertung reichen dafür nicht aus (Anwendung von BVerwG, Urteil vom 18. September 2001 - 1 C 7.01 - BVerwGE 115 S. 118 ff.).


HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Verkündet am 24. April 2008

8 UE 2021/06.A

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Asylrechts/Afghanistan/Widerruf eines Abschiebungsverbots

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof -8. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Höllein, Richter am Hess. VGH Jeuthe, Richter am Hess. VGH Schröder, ehrenamtliche Richterin Frau Reifenberg, ehrenamtlichen Richter Dillenberger

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 24. April 2008

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 19. April 2006 - 2 E 629/06.A - abgeändert und der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 1. Februar 2006 auf seine Klage hin aufgehoben.

Die Beklagte hat die Kosten des erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der am ... 1972 in der Provinz P./Afghanistan geborene Kläger afghanischer Staatszugehörigkeit und paschtunischer Volkszugehörigkeit wehrt sich gegen den Widerruf der Feststellung eines Abschiebungsverbots.

Nach seiner Einreise im Oktober 2001 war der Kläger aufgrund seines Asylantrags vom 22. Oktober 2001 vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge; im Folgenden: Bundesamt) erstmals am 29. Oktober 2001 angehört worden. Dabei hatte er im Wesentlichen folgende Angaben gemacht:

Er habe seine 1974 geborene Ehefrau etwa 1993 in seinem Dorf O. geheiratet und habe zwei 1995 und 1997 geborene Söhne und eine 1999 geborene Tochter. Sein Vater Nasser B. sei vor sechs Jahren verstorben und seine 1945 geborene Mutter R. B. wohne in seinem Heimatdorf. Zwei seiner Brüder lebten in C-Stadt und drei Schwestern in Afghanistan in seinem Heimatbezirk.

Er habe keine Schule besucht und in der Stadt K. von 1996 bis zum 5. September 2001 ein eigenes Hotel mit einem Restaurant geführt.

Er habe Afghanistan verlassen, weil er - wie andere junge Männer auch - durch die Taliban dreimal habe zwangsrekrutiert werden sollen und sich habe freikaufen können, und zwar 1997/1998 und vor einem Jahr mit jeweils 3000 und im August des laufenden Jahres mit 5000 pakistanischen Rupien. Diese habe er zuletzt dem zuständigen Taliban-Kommandanten persönlich zahlen müssen, der dann seinen Namen von der Rekrutierungsliste gestrichen habe.

Am 30. August 2001 seien abends gegen 22.00 Uhr Taliban mit drei Streifenwagen zu ihm gekommen und hätten sein Hotel gründlich durchsucht. Er sei verdächtigt worden, Gegner der Taliban dort versteckt zu haben. Trotz des Verdachts seien sie schließlich erfolglos abgezogen. Am 4. September 2001 habe er auf dem Weg nach Hause unterwegs einen Dorfbewohner getroffen, der ihn in seinem Datsun mitgenommen habe, in dem noch fünf weitere Personen gesessen hätten. Bei einem Taliban-Posten hätten sie aussteigen müssen und seien kontrolliert worden. Die fünf Personen hätten Aktenkoffer bei sich gehabt. Ein Taliban habe dann per Funk gemeldet, dass sie fündig geworden seien. Sie seien an Händen gefesselt in ein Taliban-Fahrzeug gesetzt und nach W. zu dem Taliban-Kommandanten gebracht worden, der auch schon sein Hotel durchsucht und dann zu ihm gesagt habe, er beherberge verdächtige Personen. Die anderen fünf Personen seien verhört worden und hätten schließlich zugegeben, im Auftrag der Amerikaner unterwegs gewesen zu sein. Am selben Tage seien drei von ihnen getötet und ihnen sei gesagt worden, dass sie am 7. September 2001 auch getötet werden sollten. Zwei von diesen fünf Personen hätten ca. 12 Tage vorher bei ihm im Hotel gegessen, auch der Fahrer sei dabei gewesen. Wegen der bevorstehenden Hinrichtung seien sie in der Stadtkommandantur in K. untergebracht worden. Ein Onkel mütterlicherseits, der dort mit Autos handele, habe Kontakt zu dem Wärter der Taliban aufgenommen und für seine Freilassung gezahlt. In der Nacht zum 5. September 2001 habe der Wächter ihn von seinen Fesseln befreit, ihm seine Kleidung gebracht und ihm gesagt, durch die offene Tür nach draußen zur Straße nach Gardez zu gehen, wo sein Onkel mit dem Fahrzeug gestanden habe. Er sei dann mit diesem zusammen ausgereist.

Er sei zwar Paschtune, sei aber trotzdem von den Taliban unter Druck gesetzt und schikaniert worden. Sein Vater, der früher zum Khad gehört habe, sei von ihnen 1995 mitgenommen und sein Bruder sei etwa drei bis vier Monate vorher von ihnen zwangsrekrutiert und an die Front mit der Nordallianz geschickt worden. Von beiden sei nicht bekannt, ob sie überhaupt noch lebten oder wo sie sich aufhielten.

Am 25. September 2001 sei er mit dem Pkw von K. nach M. in Pakistan gefahren, von dort mit dem Bus weiter nach K. und von dort sei er nach 12 Tagen am 7. Oktober 2001 mit zwei Zwischenaufenthalten nach C-Stadt geflogen, wo er gegen ca. 22.00 Uhr angekommen sei. Reisepass oder Flugunterlagen könne er nicht vorlegen, weil der Fluchthelfer die gesamten Reiseunterlagen wieder an sich genommen habe.

Nachdem sich seine derzeitigen Verfahrensbevollmächtigten im November 2001 gemeldet hatten, hatte das Bundesamt mit Bescheid vom 19. August 2003 den Asylantrag des Klägers abgelehnt, die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG verneint und ihm die Abschiebung nach Afghanistan mit u. a. folgender Begründung angedroht:

Aus seinem als wahr unterstellten Vorbringen ergebe sich keine begründete Verfolgungsfurcht. Nachdem Ende 2001 die Herrschaft der Taliban weitgehend zerschlagen worden sei, seien die Befürchtungen des Klägers unbegründet, von diesen zwangsrekrutiert oder verdächtigt zu werden, Gegner zu verstecken. Es gebe auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, insbesondere nicht wegen seiner paschtunischen Volkszugehörigkeit, dass die Heimatbehörden ihn verfolgen könnten. Jedenfalls könne er sich zur Vermeidung eventueller Beeinträchtigungen in Kabul niederlassen, wo er wegen seiner paschtunischen Volkszugehörigkeit keinerlei Nachteil zu befürchten habe.

Die Berufung auf das Asylgrundrecht sei weiterhin nach der Drittstaatenregelung ausgeschlossen.

Es liege auch kein Abschiebungshindernis gemäß § 53 AuslG vor. Zwar könnten aus der allgemeinen Lage resultierende Gefahren für Leib und Leben des Klägers nicht völlig ausgeschlossen werden, jedoch sei die Sicherheits- und Versorgungslage zumindest im Raum Kabul nicht derart schlecht, dass er bei einer Rückkehr dorthin "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde". Angesichts seiner persönlichen Lebenssituation als alleinstehender männlicher Erwachsener sei davon auszugehen, dass er eine vergleichsweise stabile Existenzgrundlage finden werde. Er gehöre nicht zu einer besonders schutzbedürftigen Personengruppe.

Der Bescheid war den Verfahrensbevollmächtigten des Klägers unter dem 22. August 2003 zugestellt worden.

Unter dem 3. November 2003 hatten die Verfahrensbevollmächtigten des Klägers einen Asylfolgeantrag gestellt und diesen damit begründet, dass der Kläger von der aktualisierten Darstellung der Lage in Afghanistan durch den UNHCR vom September 2003 Kenntnis erlangt habe, wonach Auslandsafghanen im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit im Sinne des § 53 AuslG ausgesetzt seien, die über das Maß dessen hinausgehe, was die allgemeine Bevölkerung dort hinzunehmen habe. Es werde auch auf die entsprechenden Auskünfte bzw. Berichte des Auswärtigen Amtes vom Mai 2003 in der aktualisierten Auflage vom Sommer 2003 verwiesen; von letzteren habe der Kläger erst Anfang Oktober erfahren.

Ergänzend hatte der Kläger persönlich beim Bundesamt zur Begründung ausgeführt:

Nach dem Bericht des UNHCR vom September 2003 bestehe bei einer Rückkehr nach Afghanistan erhebliche Gefahr für Leib, Leben und Freiheit. Die Lage dort sei instabil, die Menschen litten unter Not, Elend und Angst. Er habe sowohl unter der Mudjaheddin-Regierung unter Präsident R. als auch unter den Taliban gelitten. Einer seiner Brüder sei von Rabbani-Leuten umgebracht worden. Er, der Kläger, habe mit einem christlichen Missionar Kontakt aufgenommen und sei in seiner Heimatstadt als Christ bekannt gewesen. Er und seine Verwandten seien von jeder Regierung verfolgt worden. Die Karzai-Regierung habe einige seiner Verwandten verhaftet, von denen er nicht wisse, ob sie noch lebten. Der christliche Missionar habe ihm geholfen, Afghanistan zu verlassen. In seiner Heimat seien die Taliban sehr aktiv, man höre jeden Tag in den Nachrichten, dass sie Krieg machten und Menschen terrorisierten. Wenn er zurückkehre, laufe er Gefahr, umgebracht zu werden. Durch Bombardierungen der Amerikaner und der Taliban sei ihr Haus in P. völlig zerstört worden, von vielen seiner Familienangehörigen wisse er nicht, ob sie noch lebten.

Das Bundesamt hatte mit Bescheid vom 3. Dezember 2003 den Folgeantrag abgelehnt, weil eine Sachänderung hinsichtlich der Verfolgungsgefährdung nicht eingetreten sei und Voraussetzungen für ein Abschiebungshindernis nicht vorlägen. Nach wie vor sei die Sicherheits- und Versorgungslage zumindest im Raum K. nicht derart schlecht, dass für den Kläger im Falle seiner Rückkehr eine Extremgefährdung bestehe.

Dagegen hatte der Kläger durch seine Verfahrensbevollmächtigten am 17. Dezember 2003 beim Verwaltungsgericht Gießen Klage auf Anerkennung als Asylberechtigter und Feststellung der Voraussetzungen der § 51 Abs. 1 und § 53 AuslG erhoben.

In der mündlichen Verhandlung vom 24. März 2004 hatte er bei seiner informatorischen Anhörung u. a. angegeben:

Er sei damals in Afghanistan mit einem Landsmann von K. nach G. gefahren. Sie seien an einem Zollamt von einem Posten der Taliban kontrolliert worden. Er habe nicht gewusst, dass in dem Auto ein Kommandant namens A. H. gesessen habe. Die Taliban hätten einen Koffer mit Zeitschriften und Büchern gegen die Taliban gefunden. Sie hätten per Funk einer höheren Behörde mitgeteilt, dass sie die gesuchten Personen hätten festnehmen können. Daraufhin seien sie zu einer Kommandostelle in K. gebracht und eine Nacht unter schlechten Verhältnissen festgehalten worden. Der Kommandant A. H. sei von sieben bis acht Personen begleitet und am nächsten Tag zusammen mit einem der Begleiter hingerichtet worden, der ein Freund des Klägers gewesen sei. Ihm und den anderen Begleitern sei mitgeteilt worden, dass in ca. einer Woche gegen sie das Todesurteil erlassen würde. Ihm habe ein Onkel, der in K. ein Autogeschäft gehabt habe und vermögend gewesen sei, aufgrund seiner guten Verbindung zur dortigen Behörde durch Bestechungsgelder geholfen, so dass er entlassen worden sei. Er habe auch dreimal Schwierigkeiten wegen seiner drohenden Zwangsrekrutierung gehabt.

Zur heutigen Situation verweise er darauf, dass vor etwa sieben bis acht Monaten ein Bruder von A. H. namens H. Q., ein Minister der jetzigen Regierung, getötet worden sei. Die Taliban seien auch heute noch in der Provinz P. tätig, obwohl sie nicht mehr an der Macht seien. Wenn er, der Kläger, nach Afghanistan zurückkehren müsste, würde man ihm vorwerfen, schuld an dem Tod der beiden Personen zu sein, weil er bei der Festnahme von A. H., der ein Gegner der Taliban gewesen sei, dabei gewesen sei. Möglicherweise hätten die Taliban auch seinen Vater und seinen Bruder getötet. Sie seien verschwunden, als die Taliban K. und die Provinz P. erobert hätten. Sein Vater sei Mitglied der DVPA-Fraktion K. und Chef der Sicherheitsbehörde der Region gewesen, deshalb seien er und sein Bruder mitgenommen worden. Einen zweiten Bruder habe man zwangsrekrutiert. Er habe bei der Eroberung der Provinz K. eingesetzt werden sollen, sei aber zu den Massoud-Leuten übergelaufen und anschließend von diesen getötet worden. Ob sein Onkel noch in K. wohne, wisse er nicht, er habe auch keinerlei Information, ob er überhaupt noch lebe. Er habe keinen Kontakt mehr zu Familienangehörigen. Ihm sei nur mitgeteilt worden, dass ein Teil seines Hauses zerstört worden sei. Er vermute, dass seine gesamte Familie umgekommen sei. Zwei seiner Landsleute seien aus den Niederlanden noch Afghanistan zurückgewiesen und von den Taliban in P. getötet worden, weil sie ihre islamische Heimat verlassen hätten und in ein ungläubiges Land geflüchtet seien.

Das Verwaltungsgericht Gießen hatte mit Urteil vom 24. März 2004 - 2 E 5915/03.A - die Asylklage abgewiesen, die Beklagte aber verpflichtet festzustellen, dass bei dem Kläger die Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG hinsichtlich Afghanistans vorliegen, und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:

Eine Verfolgung durch staatliche Institutionen finde in Afghanistan derzeit grundsätzlich nicht statt. Die Wiederholung (eventueller) früherer Verfolgung sei wegen des Machtwechsels auszuschließen und die bestehende Zentralregierung sei mit der derzeit vorhandenen Unterstützung durch die im Land befindlichen internationalen Schutztruppen bereit und fähig, den Schutzsuchenden vor eventuellen Verfolgungshandlungen einer auf seinem Staatsgebiet entstandenen staatsähnlichen Gewalt zu schützen.

Im "vorliegenden Einzelfall" lägen aber Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG vor. Die abschiebungsrelevante Situation stelle sich in Afghanistan derzeit so dar, dass die Lebensbedingungen in allen Landesteilen sehr schlecht seien. Es fehle sowohl an Nahrung, Kleidung und beheizbaren Unterkünften als auch an Schulen, medizinischen Einrichtungen, Bewässerungssystemen und Arbeitsplätzen. Die große Zahl rückkehrender Flüchtlinge - ca. 2,3 Millionen Menschen seit dem Winter 2001/02 - führe zu einer starken Belastung der Versorgungslage; die humanitäre Lage bleibe unsicher und angespannt. Ca. 4,3 Millionen Afghanen seien nach Schätzung des UNHCR von Lebensmittelunterstützungen sowie von humanitären Hilfen abhängig. Die teilweise noch anhaltende Dürre habe in einigen der ländlichen Regionen zu verstärkten Problemen geführt, hier herrsche weiterhin überwiegend Mangelernährung. In den anderen Landesteilen hätten anhaltende Regenfälle die Dürrezeit beendet und eine gewisse Verbesserung der Ernährungssituation mit sich gebracht, von einer echten Entspannung der Gesamtlage könne aber nicht gesprochen werden. Ob ein Überleben in K. oder in einer anderen Stadt gesichert sei, hänge von der Ernährungslage sowie dem Vorhandensein einer Unterkunft ab. Wer keine eigenen Ressourcen habe oder nicht über hervorragende berufliche Fähigkeiten verfüge, sei außer Stande, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Von Bedeutung seien ferner frühere Positionen des Rückkehrers, seine Fluchtgründe und das Gebiet, in das er zurückkehren wolle. Eine echte Entspannung der katastrophalen Lebenssituation werde erst nach einigen Jahren eintreten, wenn die zugesagten Hilfsprogramme auch tatsächlich griffen. Neben den äußerst schwierigen allgemeinen Lebensbedingungen sei auch die Sicherheitslage im ganzen Lande als prekär einzustufen. Landesweit komme es zu menschenrechtswidrigen Übergriffen auf Schwächere; auch werde von Reorganisationsbestrebungen der Taliban berichtet. Am sichersten sei es in den Gebieten des eigene Clans oder Stammes, sofern dort nicht andere Gefahren auf Grund der allgemeinen Lebenssituation oder des ursprünglichen Fluchtgrundes drohten.

Wegen der mithin äußerst angespannten Versorgungs- und Sicherheitslage sowie auf Grund der Tatsache, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr nicht auf bestehende verwandtschaftliche Verbindungen zurückgreifen bzw. an frühere Erwerbsmöglichkeiten ohne eine konkrete Gefährdung für Leib, Leben oder Freiheit anknüpfen könne, sei das Bundesamt zur Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zu verpflichten.

Das Urteil war den Verfahrensbevollmächtigten des Klägers am 21. April 2004 zugestellt worden.

Mit Bescheid vom 15. Juni 2004 hatte das Bundesamt auf Grund des rechtskräftigen Urteils das Vorliegen des Abschiebungshindernisses gemäß § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG bezüglich Afghanistan festgestellt; der Bescheid war den Verfahrensbevollmächtigten des Klägers zugestellt worden.

Der Kläger stellte unter dem 1. Juli 2004 bei der Ausländerbehörde, dem Landrat des Landkreises A-Stadt-B. (im Folgenden: Landrat), einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung und gab dabei u.a. an, dass seine Ehefrau mit zwei Kindern in Pakistan lebe.

Mit Schreiben seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 12. Januar 2005 beantragte er die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, weil die Feststellung des Abschiebungshindernisses nunmehr dem § 60 Abs. 7 AufenthG entspreche und er gemäß § 25 i.V.m. § 60 AufenthG Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis habe.

Der Landrat teilte daraufhin den Verfahrensbevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 25. Januar 2005 u.a. mit, dass auf Grund einer vorliegenden Mitteilung des Bundesamtes, wonach entgegen bislang anderslautenden Hinweisen vorerst nicht davon ausgegangen werden könne, dass die hinsichtlich afghanischer Staatsangehörigen getroffenen Feststellungen über das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 6 AuslG bzw. § 60 Abs. 7 AufenthG widerrufen würden, beabsichtigt sei, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG zu erteilen. Anlässlich seiner Vorsprache sei ihm heute ein entsprechendes Antragsformular und ein Merkblatt ausgehändigt worden.

Mit Schreiben vom 9. September 2005 bat der Landrat das Bundesamt, den Widerruf der Feststellung des Vorliegens von Abschiebungshindernissen auf Grund der geänderten Gegebenheiten zu prüfen.

Nachdem das Bundesamt dem Landrat unter dem 7. Dezember 2005 die Einleitung eines Widerrufs-/Rücknahmeverfahrens mitgeteilt hatte, gab es dem Kläger mit einem an ihn persönlich gerichteten Schreiben vom 16. Dezember 2005 Gelegenheit, zu dem beabsichtigten Widerruf der Feststellung eines Abschiebungsverbots innerhalb eines Monats nach Zugang des Schreibens schriftlich Stellung zu nehmen.

Dieses Schreiben wurde am 21. Dezember 2005 mit Postzustellungsurkunde durch Niederlegung zugestellt.

Mit dem ebenfalls an den Kläger persönlich adressierten und hier angefochtenen Bescheid vom 1. Februar 2006 widerrief das Bundesamt die mit Bescheid vom 15. Juni 2004 getroffene Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 AuslG vorliegen.

Diese Feststellung sei gemäß § 73 Abs. 3 AsylVfG zu widerrufen, weil sich die Sicherheits- und Versorgungslage dahingehend gebessert und stabilisiert habe, dass es - zumal bei Rückkehr im Verband mit seinen Brüdern - möglich sei, eine Existenz aufzubauen. Eine extreme Gefährdung sei jedenfalls im Großraum K. nicht mehr gegeben. Dies entspreche auch der überwiegenden Rechtsprechung.

Dieser Bescheid wurde dem Kläger am 8. Februar 2006 - ebenfalls mit Postzustellungsurkunde durch Niederlegung - zugestellt.

Dagegen hat er durch seine Verfahrensbevollmächtigten am 10. März 2006 beim Verwaltungsgericht Gießen Klage erhoben und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat er unter Vorlage der entsprechenden Flugunterlagen geltend gemacht, er habe sich in der Zeit vom 9. Dezember 2006 (gemeint: 2005) bis zum 3. März 2006 in Pakistan aufgehalten. Er wohne hier in einer Unterkunft mit mehreren Mietparteien, die sämtlich Ausländer seien. Es befinde sich dort kein individueller Briefkasten. Üblicherweise würden die Briefe wohl vom Zusteller dort abgegeben und ggf. an die Adressaten (10 Zimmer) unter der Tür durchgeschoben. Er bewohne das Zimmer Nr. 9. Als er von seiner Reise aus P. zurückgekommen sei, sei der Bescheid der Beklagten nicht unter der Tür durchgeschoben gewesen. Diesen habe er am 10. März 2006 vormittags in einem Schrank der Gemeinschaftsküche gefunden. Wer ihn dort hingelegt habe, sei ihm nicht bekannt. Üblicherweise kümmere sich ein Sozialarbeiter oder Hausmeister um die Post. Der Name dieser Person sei ihm jedoch nicht bekannt. Nachdem er diesen Brief vormittags gefunden habe, habe er sich am Nachmittag unmittelbar zum Büro seiner Verfahrensbevollmächtigten begeben und diese um die Klageerhebung gebeten. Er sei deshalb an der Einhaltung der Klagefrist unverschuldet gehindert gewesen.

Hinsichtlich der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan werde auf das Gutachten des Herrn Dr. D. vom 13. Januar 2006 verwiesen, aus dem sich ergebe, dass es für ihn nicht möglich sei, dort eine Existenz aufzubauen.

In der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts hat der Kläger am 19. April 2006 im Rahmen seiner informatorischen Anhörung u.a. angegeben:

Er habe sich schon darüber Gedanken gemacht, was mit Post geschehen solle, die ihn während seiner Reise nach P. erreiche. Er wohne in einem Zimmer, das keinen Briefkasten habe. Briefe würden durch die Tür in das Zimmer geschoben. Er habe hier keine Freunde, die Post hätten entgegennehmen sollen. Er habe auch keine Informationen darüber gehabt, dass gegenwärtig in verstärktem Maße Widerrufsverfahren betreffend Abschiebungshindernisse eingeleitet würden.

Für den Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan befürchte er ebenfalls getötet zu werden, wie Angehörige der mit dem Kommandanten A. H. festgenommenen Gruppe. Zwischenzeitlich seien dessen Bruder H. Q. und ein Mann namens K. B. getötet worden. Nach sechs Jahren in Deutschland habe er in Afghanistan niemanden mehr, insbesondere keine Kontakte zu seiner Familie. Er sei nach P. geflogen, um über seine Familienangehörigen Auskünfte einzuholen. Ihm sei dort von einem afghanischen Freund berichtet worden, dass die Einwohner seines Heimatdorfes sein Haus angezündet und die Ländereien enteignet hätten. Sie hätten dort ihre Häuser gebaut und dafür von den Behörden Urkunden erhalten. Auch in Kabul wäre er nicht sicher, weil dort bedeutende Persönlichkeiten der Taliban und die Leute, die seine Ländereien enteignet hätten, großen Einfluss hätten; auch in Pakistan habe er Angst gehabt. Seine Familie sei in dem Dorf so unbeliebt gewesen, weil er zu der Gruppe von A. H. und H. Q. gehört und man ihm vorgeworfen habe, dass es bei den Kampfhandlungen viele Tote gegeben habe. Sein Vater sei während der Zeit der Khalq-Partei Präsident im Khad gewesen und möglicherweise sei jemand durch ihn zu Schaden gekommen. A. H. sei ein Freund seines Vaters gewesen. Erst etwa 20 Tage vor der geschilderten Festnahme habe er, der Kläger, gewusst, wer der Kommandant H. sei. Sein Onkel aus K. sei inzwischen zusammen mit einem Angehörigen der Taliban von diesen getötet worden, weil sie ihm geholfen hätten freizukommen.

Das Verwaltungsgericht Gießen hat die Klage mit Urteil vom 19. April 2006 - 2 E 629/06.A - abgewiesen, weil dem Kläger keine Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist nach § 60 VwGO zu gewähren sei. Er sei nicht ohne Verschulden verhindert gewesen, diese gesetzliche Frist einzuhalten. Zwar sei § 10 Abs. 1 AsylVfG nicht anwendbar, weil das Asylverfahren abgeschlossen gewesen sei. Der Kläger müsse jedoch die allgemeinen Regeln für eine längere Abwesenheit von der ständigen Wohnung gegen sich gelten lassen. Er sei fast ein viertel Jahr außerhalb des Bundesgebietes in Pakistan gewesen, ohne in irgendeiner Weise Vorsorge für eingehende Postsendungen zu treffen. Bei einem derartig langen Zeitraum könne nicht mehr von einer nur vorübergehenden Abwesenheit, beispielsweise wegen Urlaubs oder einer Geschäftsreise, ausgegangen werden, die keine besonderen Vorkehrungen für mögliche Zustellungen erfordere, denn ein Zeitraum von etwa sechs Wochen, der insoweit zu Grunde zu legen sei, sei deutlich überschritten.

Dagegen hat der Kläger durch seine Verfahrensbevollmächtigten am 9. Mai 2006 die Zulassung der Berufung mit der Begründung beantragt, dass die vom Verwaltungsgericht zitierte Rechtsprechung von Sachverhalten ausgehe, in denen bereits behördliche bzw. gerichtliche Verfahren anhängig und die Betroffenen während dieser Verfahren für längere Zeit urlaubsbedingt abwesend gewesen seien. In seinem Fall sei das Widerrufsverfahren jedoch innerhalb seiner urlaubsgedingten Abwesenheit von fast drei Monaten eingeleitet worden. Er habe auch nicht mit der Einleitung eines Widerrufsverfahrens rechnen müssen.

Mit Beschluss vom 28. August 2006 - 8 UZ 1180/06.A - hat der Senat die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Der Beschluss ist den Verfahrensbevollmächtigten des Klägers am 31. August 2006 zugestellt worden.

Am 19. September 2006 haben sie einen Berufungsantrag gestellt und innerhalb der verlängerten Begründungsfrist die Berufung am 31. Oktober 2006 wie folgt begründet:

Der Kläger sei unverschuldet an der Einhaltung der Klagefrist gehindert gewesen. Er habe auch mit der Einleitung eines Widerrufsverfahrens nicht rechnen müssen, zumal sich die Situation in Afghanistan nicht maßgeblich geändert habe. Dazu könne er zunächst auf seine Angaben in der mündlichen Anhörung durch das Verwaltungsgericht verweisen. Er könne nicht nur wegen der katastrophalen Versorgungslage auch und gerade in der Hauptstadt K. nicht überleben, sondern würde auch Gefahr laufen, von in Kabul befindlichen radikalen Gruppen als Sohn eines Geheimdienstmitarbeiters erkannt zu werden, dem man auch eine Nähe zu einer verfeindeten Gruppe unterstelle und den es zu eliminieren gelte. Auch müsse er damit rechnen, bevorzugt Opfer von Eigentumsdelikten zu werden, da er aus dem Westen komme und man in ihm eine Person vermute, die über ausreichende finanzielle Mittel verfüge. Er wäre also einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt.

Ergänzend seien auf neue Berichte des UNHCR vom Januar und Februar 2008 und unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts auch darauf zu verweisen, dass nach der Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides in § 73 Abs. 3 AsylVfG eine Veränderung der Verhältnisse erforderlich gewesen wäre. Diese liege aber nicht vor. Die Feststellung des Abschiebungshindernisses sei auf Grund eines rechtskräftigen verwaltungsgerichtlichen Verpflichtungsurteils erfolgt, so dass die Rechtskraft dieser gerichtlichen Entscheidung bei einer unveränderten Sach- und Rechtslage die Aufhebung der Feststellung durch die Beklagte hindere. Es müssten sich neue erhebliche Tatsachen ergeben, die sich so wesentlich von den damals gegebenen Umständen unterschieden, dass auch unter Berücksichtigung des Zwecks der Rechtskraft eine erneute Sachentscheidung gerechtfertigt sei; allein der Zeitablauf stelle ebenso wenig eine wesentliche Änderung der Sachlage dar wie eine spätere obergerichtliche Rechtsprechung. Nach den vorliegenden Erkenntnismitteln sei eine wesentliche Änderung der Sach- oder Rechtslage zu Lasten der im Jahre 2004 erworbenen Rechtsposition des Klägers nicht festzustellen. Insoweit könne man schon auf die nahezu gleichlautenden Entscheidungen des Bundesamtes vom 19. August 2003 und 1. Februar 2006 verweisen. Auch das Grundsatzurteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 7. Februar 2008 berechtige das Bundesamt nicht zu einem Widerruf, weil darin eine entscheidende positive Veränderung der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan seit Anfang des Jahres 2004 nicht festgestellt werde. Eine positive Entwicklung lasse sich auch den Erkenntnissen des UNHCR aus jüngster Zeit nicht entnehmen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 19. April 2006 - 2 E 629/06.A - aufzuheben, ihm Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren und den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 1. Februar 2006 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

Die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf den Inhalt der gerichtlichen Streitakten, der Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes und des Landrates und hinsichtlich der abschiebungsrelevanten Lage in Afghanistan auf die in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zugelassene und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers ist begründet, weil das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 19. April 2006 seine Anfechtungsklage zu Unrecht abgewiesen hat.

Die Anfechtungsklage ist nicht wegen Versäumnis der zweiwöchigen Klagefrist gemäß § 74 Abs. 1 AsylVfG unzulässig.

Der gemäß § 73 Abs. 3 AsylVfG ergangene Widerrufsbescheid des Bundesamtes vom 1. Februar 2006 ist dem Kläger persönlich per Postzustellungsurkunde durch Niederlegung am 8. Februar 2006 zugestellt worden.

Es ist schon fraglich, ob diese Zustellung fehlerfrei erfolgt ist.

Unabhängig von der Anwendbarkeit des § 10 AsylVfG finden auf diese von der Behörde gewählte förmliche Zustellung die Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes Anwendung (vgl. Marx, AsylVfG, 6. Aufl. 2005, Rdnr. 6 zu § 10), das in § 7 Abs. 1 Satz 2 VwVZG bestimmt, dass Zustellungen an einen allgemein oder für bestimmte Angelegenheiten bestellten Bevollmächtigten zu richten sind, wenn er schriftliche Vollmacht vorgelegt hat. Bei Anwendbarkeit dieser Vorschrift wäre die Zustellung wegen eines Zustellungsfehlers unwirksam und die Rechtsmittelfrist erst ab dem Zeitpunkt gelaufen, in dem gemäß § 8 VwZG dadurch Heilung des Zustellungsmangels eingetreten wäre, dass der Bescheid dem Kläger als dem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen ist, also am 10. März 2006 und damit am Tage der Klageerhebung.

Für das Erfordernis einer Zustellung an die Bevollmächtigten des Klägers spricht, dass diese den Kläger während der gesamten dem Widerrufsverfahren vorangegangenen asyl- und ausländerrechtlichen Verfahren unter Vollmachtsvorlage vertreten haben. Sie haben sich gegenüber dem Bundesamt im Asylverfahren nach der persönlichen Anhörung des Klägers erstmals unter Vorlage einer Vollmacht "wegen Asyl" vom 21. November 2001 gemeldet; dementsprechend sind sie im Ablehnungsbescheid vom 19. August 2003 als Bevollmächtigte aufgeführt. Sie haben auch den Asylfolgeantrag unter Vorlage einer Vollmacht vom 3. November 2003 gestellt und begründet und sind dementsprechend im Ablehnungsbescheid vom 3. Dezember 2003 aufgeführt. Das dagegen am 17. Dezember 2003 beim Verwaltungsgericht Gießen eingeleitete Klageverfahren wurde ebenfalls von den Bevollmächtigten des Klägers unter Vorlage einer Vollmacht "wegen Asylrecht u. aufenthaltsbeendender Maßnahmen" vom 11. Dezember 2003 geführt; dementsprechend wurde ihnen das hinsichtlich des Abschiebungsverbotes gemäß § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG stattgebende Urteil vom 24. März 2004 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt. Der dieses rechtskräftige Urteil umsetzende und mit dem vorliegend streitigen Bescheid vom 1. Februar 2006 widerrufene Feststellungsbescheid vom 15. Juni 2004 ging dementsprechend wiederum an die Bevollmächtigten des Klägers. Das im Hinblick auf diese rechts- bzw. bestandskräftige Feststellung eines Abschiebungsverbots vom Kläger bei der Ausländerbehörde betriebene Verfahren auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wurde ebenfalls von seinen Bevollmächtigten unter Vorlage einer Vollmacht "wegen: AuslR" vom 4. Januar 2005 geführt.

Nachdem das Bundesamt der Ausländerbehörde die Einleitung des Widerrufsverfahrens behördenintern mitgeteilt hatte, sandte es das Anhörungsschreiben vom 16. Dezember 2005 und - nach nicht erfolgter Stellungnahme - den vorliegend angefochtenen Widerrufsbescheid vom 1. Februar 2006 nicht - wie die bisherigen Entscheidungen - an die Bevollmächtigten des Klägers, sondern mittels Postzustellungsurkunden (nur) an ihn persönlich unter der Anschrift seiner Gemeinschaftsunterkunft.

Es spricht einiges dafür, dass darin ein Zustellungsmangel gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 VwZG, jedenfalls aber ein "willkürlicher Wechsel des Zustellungsempfängers" lag, der ebenfalls einen Zustellungsmangel begründen würde (vgl. Ns. OVG, Beschluss vom 29. November 2007 - 11 LA 172/07 - InfAuslR 2008 S. 78 ff. = juris Rdnr. 10). Die von den Bevollmächtigten des Klägers auch gegenüber dem Bundesamt vorgelegten Vollmachtsurkunden waren nämlich zeitlich nicht beschränkt und bezogen sich nicht nur auf das Asylverfahren, sondern auch auf aufenthaltsbeendende Maßnahmen. Hinzu kommt, dass sich der hier angefochtene und dem Kläger persönlich zugestellte Widerrufsbescheid auf den Feststellungsbescheid vom 15. Juni 2004 bezog, der dem von den Bevollmächtigten des Klägers erfolgreich geführten Klageverfahren folgte und auch ausdrücklich an diese gerichtet war, so dass das auf den "actus contrarius" gerichtete Widerrufsverfahren nicht als ein völlig neues, selbständiges Verwaltungsverfahren, sondern als ein im sachlichen - und hier auch noch hinreichenden zeitlichen - Zusammenhang mit dem vorangegangenen Asylfolgeverfahren stehendes Verfahren anzusehen sein könnte, auf das sich die vom Kläger für das Asylfolgeverfahren erteilte Vollmacht noch erstreckte.

Andererseits erscheint es gerade aus der Sicht der Bevollmächtigten des Klägers ebenso vertretbar, die "bestimmte Angelegenheit" gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 VwZG in Form des Asylfolgeverfahrens mit Erlass des bestandskräftig gewordenen Feststellungsbescheides vom 15. Juni 2004 als abgeschlossen anzusehen, so dass das vom Bundesamt im Dezember 2005 eingeleitete Widerrufsverfahren eine neue "Angelegenheit" im Sinne dieser Vorschrift darstellen würde, für die noch keine Vollmacht vorgelegt worden wäre.

Diese Frage kann jedoch letztlich offen bleiben, denn unabhängig vom Vorliegen eines Zustellungsfehlers, war dem Kläger jedenfalls Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 Abs. 1 VwGO zu gewähren, weil er ohne Verschulden an der Einhaltung der Klagefrist gehindert gewesen wäre. Er war nach den Gesamtumständen seines Einzelfalles nicht verpflichtet, für die Dauer seines etwa dreimonatigen Aufenthalts in Pakistan besondere Empfangsvorkehrungen für Mitteilungen oder Bescheide des Bundesamtes zu treffen.

Ob die Vorschrift des § 10 Abs. 1 AsylVfG, wonach der Ausländer während der Dauer des Asylverfahrens vorzusorgen hat, dass ihn Mitteilungen des Bundesamtes stets erreichen können, auf das vorliegend fragliche Widerrufsverfahren nach § 73 AsylVfG überhaupt anwendbar ist (so Funke-Kaiser, in GK zum AsylVfG, Stand: Dezember 2007, Rdnr. 16 zu § 10; offen gelassen von VG Ansbach, Urteil vom 24. September 2004 - AN 4 K 04.30987 - juris Rdnr. 15; a.A. Marx a.a.O. Rdnr. 99 zu § 10, jeweils m.w.N.), kann hier dahinstehen, weil auch dann ein Pflichtverstoß des Klägers nicht angenommen werden könnte. Dasselbe gilt für die allgemeinen Grundsätze über die Notwendigkeit von besonderen Zustellungsvorkehrungen bei längerer Abwesenheit vom gemeldeten und ständigen Wohnsitz, auf die sich das angefochtene verwaltungsgerichtliche Urteil bezogen hat.

Die vom Verwaltungsgericht herangezogene Rechtsprechung über das Erfordernis von besonderen Zustellungsvorkehrungen bei einer längerfristigen, mehr als sechs Wochen dauernden Abwesenheit von der angegebenen Wohnung betrifft nämlich nur solche Fälle, in denen der Zustellungsempfänger ein Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren führt und deshalb mit Mitteilungen oder Entscheidungen der Behörde oder des Gerichts rechnen muss (vgl. u. a. BVerfG, Beschluss vom 11. Februar 1976 - 2 BvR 849/75 - BVerfGE 41 S. 332 ff. = juris Rdnrn. 9 ff.; BVerwG, Urteil vom 8. Juli 1981- 6 C 174/80 - juris [LS], Beschluss vom 30. März 1995 - 11 B 29/95 - NVwZ-RR 1995 S. 613 = juris [LS] und Urteil vom 25. März 1987 - 6 C 53/84 - BVerwGE 77 S. 157 ff. = NVwZ 1987 S. 805 f. = juris Rdnr. 17; Hamb. OVG, Urteil vom 9. Februar 1996 - Bf IV 24/95 - juris Rdnrn. 18 ff.). Bei Antritt seiner Reise nach Pakistan am 9. Dezember 2005 war das Asylverfahren aus Sicht des Klägers mit dem rechtskräftigen Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 24. März 2004 und dem daraufhin erlassenen und bestandskräftig gewordenen Feststellungsbescheid des Bundesamtes vom 15. Juni 2004 endgültig und insoweit für ihn erfolgreich abgeschlossen. Mit der Einleitung eines Widerrufsverfahrens konnte und musste er nicht rechnen, denn seinen Bevollmächtigten war mit Schreiben der Ausländerbehörde vom 25. Januar 2005 mitgeteilt worden, dass vorerst nicht davon ausgegangen werden könne, dass die hinsichtlich afghanischer Staatsangehöriger getroffenen Feststellungen über das Vorliegen von Abschiebungshindernissen widerrufen würden, und dass deshalb beabsichtigt sei, ihm eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen; auch ansonsten hatte er mangels eines entgegenstehenden erneuten Hinweises keinerlei Anhalt dafür, dass ein Widerrufsverfahren gegen ihn eingeleitet werden könnte.

Für das noch laufende Verfahren auf Erteilung einer ausländerbehördlichen Aufenthaltserlaubnis hatte er unter dem 4. Januar 2005 seinen Bevollmächtigten eine schriftliche Vollmacht erteilt, die diese auch dem Landrat vorgelegt hatten, der sich dementsprechend mit dem Schreiben vom 25. Januar 2005 an seine Bevollmächtigten gewandt hatte; der Kläger hatte damit alle nach seinem Kenntnisstand erforderlichen und zumutbaren "Zustellungsvorkehrungen" getroffen. Zudem hätte es nahegelegen, dass das Bundesamt angesichts der umfassenden anwaltlichen Vertretung des Klägers in allen vorangegangenen asyl- und ausländerrechtlichen Verfahren von der Einleitung des auf den Widerruf des an die Bevollmächtigten des Klägers adressierten Feststellungsbescheides vom 15. Juni 2004 gerichteten Verfahrens in erster Linie die bisher stets für ihn handelnden Bevollmächtigten des Klägers und nicht nur ihn persönlich unterrichtet hätte, wenn darin nicht schon ein Zustellungsmangel zu sehen sein sollte. Da der Kläger davon ausgehen konnte, dass sich die Behörden in asyl- und ausländerrechtlichen Angelegenheiten - wie bisher - an seine Bevollmächtigten wenden würden, spricht auch dies dafür, dass keine (weiteren) besonderen Zustellungsvorkehrungen von ihm erwartet werden konnten.

Die danach zulässige Anfechtungsklage ist auch gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO begründet, weil der angefochtene Widerrufsbescheid vom 1. Februar 2006 rechtswidrig ist und den Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt; dabei ist gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG - abweichend von den allgemeinen Grundsätzen - auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 24. April 2008 abzustellen.

Der Widerruf der im Bescheid vom 15. Juni 2004 getroffenen Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungsverbots gemäß § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG (jetzt: § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG) ist rechtswidrig, weil dem Widerruf die Rechtskraft des stattgebenden Urteils des Verwaltungsgerichts Gießen vom 24. März 2004 entgegensteht.

Dazu hat das Bundesverwaltungsgericht in dem vom Kläger angeführten Urteil vom 18. September 2001 - 1 C 7.01 - (BVerwGE 115 S. 118 ff. = NVwZ 2002 S. 345 f. = InfAuslR 2002 S. 207 ff. = juris Rdnrn. 9 bis 13 m. w. N.) u. a. ausgeführt:

"Nach § 73 Abs. 3 AsylVfG ist die Entscheidung, dass ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 1, 2, 4 oder 6 AuslG vorliegt, zurückzunehmen, wenn sie fehlerhaft ist, und zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen nicht mehr vorliegen. Beruht die Feststellung eines solchen Abschiebungshindernisses durch das Bundesamt auf einem rechtskräftigen verwaltungsgerichtlichen Verpflichtungsurteil, hindert die Rechtskraft dieser Entscheidung bei unveränderter Sachlage die Aufhebung der Feststellung durch das Bundesamt. Dies folgt jedenfalls aus § 121 VwGO, wonach rechtskräftige Urteile die Beteiligten binden, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. § 73 Abs. 3 AsylVfG, auf den sich das Bundesamt hier beruft, befreit nicht von dieser Rechtskraftbindung, sondern setzt vielmehr voraus, dass die Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung der Rücknahme oder dem Widerruf der Feststellung eines Abschiebungshindernisses nicht entgegensteht. Dies hat der früher für das Asylrecht zuständige 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts bereits grundsätzlich für den Fall einer rechtskräftigen Verpflichtung zur Asylanerkennung und deren Rücknahme nach § 73 Abs. 2 AsylVfG entschieden. ... Nichts anderes gilt hier für das Verhältnis zwischen der rechtskräftigen Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 AuslG und der nachfolgenden behördlichen Aufhebung der in Befolgung des Urteils getroffenen Feststellung gemäß § 73 Abs. 3 AsylVfG. ...

Die Rechtskraftwirkung eines Urteils endet allerdings, wenn sich die zur Zeit des Urteils maßgebliche Sach- oder Rechtslage nachträglich verändert - sog. zeitliche Grenze der Rechtskraft - (stRspr; ...). ...

Es liegt auf der Hand, dass nicht jegliche nachträgliche Änderung der Verhältnisse die Rechtskraftwirkung eines Urteils entfallen lässt ... Gerade im Asylrecht liefe ansonsten die Rechtskraftwirkung nach § 121 VwGO weitgehend leer, worauf das Berufungsgericht zutreffend hinweist. Sofern es nämlich auf die allgemeinen politischen Verhältnisse im Heimatland des Asylbewerbers ankommt, sind diese naturgemäß ständigen Änderungen unterworfen. Eine Lösung der Bindung an ein rechtskräftiges Urteil kann daher nur eintreten, wenn die nachträgliche Änderung der - hier allein infrage stehenden - Sachlage entscheidungserheblich ist ... Dies ist jedenfalls im Asylrecht nur dann der Fall, wenn nach dem für das rechtskräftige Urteil maßgeblichen Zeitpunkt neue für die Streitentscheidung erhebliche Tatsachen eingetreten sind, die sich so wesentlich von den früher maßgeblichen Umständen unterscheiden, dass auch unter Berücksichtigung des Zwecks der Rechtskraft eines Urteils eine erneute Sachentscheidung durch die Verwaltung oder ein Gericht gerechtfertigt ist. Die Rechtskraft dient dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit ... Zweck des § 121 VwGO ist es, zu verhindern, dass die aus einem festgestellten Tatbestand hergeleitete Rechtsfolge, über die durch Urteil entschieden worden ist, bei unveränderter Sach- oder Rechtslage erneut - mit der Gefahr unterschiedlicher Ergebnisse - zum Gegenstand eines Verfahrens zwischen denselben Beteiligten gemacht wird ... Eine von der Rechtskraftbindung des früheren Urteils befreiende entscheidungserhebliche Änderung der Sachlage liegt danach dann vor, wenn es für die geltend gemachte Rechtsfolge um die rechtliche Bewertung eines jedenfalls in wesentlichen Punkten neuen Sachverhalts geht, zu dem das rechtskräftige Urteil - auch unter Berücksichtigung seiner Rechtsfrieden und Rechtssicherheit stiftenden Funktion - keine verbindlichen Aussagen mehr enthält.

Der Zeitablauf allein stellt allerdings grundsätzlich keine erhebliche Änderung der Sachlage dar. Die Rechtskraftwirkung ist zeitlich nicht begrenzt ... Gleichwohl darf nicht verkannt werden, dass gerade die Gefahrenprognose im Asylrecht, insbesondere soweit sie von den allgemeinen politischen Verhältnissen im Heimatland des Asylbewerbers abhängt, in besonderem Maße durch die weitere Entwicklung dieser Verhältnisse berührt sein kann. Je länger der Zeitraum ist, der seit dem rechtskräftigen Urteil verstrichen ist, desto eher kann - je nach Art der dem Urteil zugrunde liegenden Gefahrenprognose - die Annahme gerechtfertigt sein, dass die Entwicklung im Heimatland zu einer Änderung der tatsächlichen Grundlagen der Gefahrenprognose geführt hat, die vom Geltungsanspruch des rechtskräftigen Urteils nicht mehr erfasst wird. Dies ist bei der Beurteilung der Frage, ob neue Tatsachen zu einer entscheidungserheblichen Sachlagenänderung führen, zu berücksichtigen.

Die Erheblichkeit der Sachlagenänderung hängt hingegen nicht notwendig davon ab, ob die Behörde oder das Gericht, welche die mögliche Rechtskraftbindung zu prüfen haben, auf der Grundlage des neuen Sachverhalts zu einem anderen Ergebnis kommen als das rechtskräftige Urteil ...

Es ist anerkannt, dass die Rechtskraftwirkung unabhängig davon besteht, ob das rechtskräftig gewordene Urteil die seinerzeit bestehende Sach- und Rechtslage erschöpfend und zutreffend gewürdigt hat ... Auch unrichtige Urteile entfalten also Rechtskraftwirkung. Ob dies ausnahmsweise dann nicht gilt, wenn die Aufrechterhaltung des durch die Vorentscheidung geschaffenen Zustands "schlechthin unerträglich" wäre ... bedarf hier ebenfalls keiner Entscheidung, da ein solcher Fall offensichtlich nicht gegeben ist. Eine Befreiung von der Rechtskraftwirkung tritt demzufolge nicht allein deshalb ein, weil sich nachträglich neue Erkenntnisse über zum maßgeblichen Zeitpunkt bereits vorhandene Tatsachen ergeben, das Gericht nunmehr eine andere Würdigung des alten Sachverhalts vornimmt oder mittlerweile eine neue oder geänderte ober- oder höchstrichterliche Rechtsprechung vorliegt."

Nach diesen Grundsätzen, denen der Senat folgt, steht die Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts Gießen vom 24. März 2004 dem Widerruf der Feststellung des Abschiebungsverbots gemäß § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG bzw. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hier entgegen, weil sich weder die für das Urteil maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse hinsichtlich der abschiebungsrelevanten Versorgungs- und Sicherheitslage in Afghanistan, insbesondere im Raum K. und in der Provinz P., hinsichtlich der fehlenden verwandtschaftlichen Unterstützung des Klägers und seiner nur unter konkreter Gefährdung für Leib, Leben oder Freiheit (in K. bzw. der Provinz P.) möglichen Anknüpfung an frühere Erwerbsmöglichkeiten noch die maßgeblichen rechtlichen Verhältnisse seit dem damaligen Entscheidungszeitpunkt im März 2004 bis heute so wesentlich verändert haben, dass auch unter Berücksichtigung des Zwecks der Rechtskraft eines Urteils eine erneute Sachentscheidung durch die Verwaltung oder ein Gericht gerechtfertigt wäre. Eine in wesentlichen Punkten neue abschiebungsrelevante Lage ist in Afghanistan nicht eingetreten (vgl. auch VG Wiesbaden, Urteil vom 2. Februar 2007 - 7 E 717/06.A(1) - juris Rdnrn. 15 ff. zur gleichgebliebenen Sicherheitslage zwischen August 2003 und Juli 2006); es liegt allenfalls eine veränderte rechtliche Bewertung auch in der wohl überwiegenden verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung vor, auf die sich das Bundesamt in der Begründung des angefochtenen Bescheides vom 1. Februar 2006 abschließend auch ausdrücklich berufen hat.

Dafür, dass sich die für das insoweit stattgebende Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 24. März 2004 maßgebliche abschiebungsrelevante Situation in Afghanistan hinsichtlich der Versorgungs- und Sicherheitslage insbesondere im Raum K. und in der Provinz P. offensichtlich nicht wesentlich verändert, insbesondere nicht deutlich verbessert hat, haben die Bevollmächtigten des Klägers zu Recht auf die weitgehend gleichlautenden Begründungen des Asylablehnungsbescheides des Bundesamtes vom 19. August 2003 (vgl. auch den den Folgeantrag des Klägers ablehnenden Bescheid vom 3. Dezember 2003) und des Widerrufsbescheides vom 1. Februar 2006 hingewiesen.

So ist im Bescheid vom 19. August 2003 u. a. ausgeführt:

"Aus der allgemeinen Lage resultierende Gefahren für Leib und Leben des Antragstellers können zwar nicht völlig ausgeschlossen werden. Jedoch sind die Sicherheits- und Versorgungslage zumindest im Raum Kabul nicht derart schlecht, dass der Antragsteller bei einer Rückkehr dorthin "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde".

Für den hier maßgeblichen Raum Kabul kann festgestellt werden, dass die Sicherheitslage auf Grund der Anwesenheit internationaler Truppen zwar immer noch fragil, aber vergleichsweise zufrieden stellend ist. Die ISAF (International Security Assistance Force) genannte internationale Schutztruppe, die von den Vereinten Nationen das Mandat erhielt, die Sicherheit in Kabul und den umgebenden Gebieten zu gewährleisten, unterstützt die Regierung Karzai bei der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (vgl. Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Afghanistan vom 02.12.2002, Az.: 508-516.80/3 AFG). Dieser Aufgabe konnte die ISAF in Zusammenarbeit mit der afghanischen Polizei bisher auch erfolgreich nachkommen. Im Raum Kabul gibt es keine Kampfhandlungen mehr. Es kommt zwar gelegentlich zu Bombenexplosionen oder Raketenbeschuss von ISAF-Lagern, die i. d. R. jedoch nur Sachschäden verursachen und auch in anderen Ländern und Städten vorkommen können. Von einer extremen Gefahrenlage in Kabul kann daher insoweit nicht gesprochen werden. Hieran ändert auch die neueste Einschätzung des Auswärtigen Amtes nichts, das neben den bereits erwähnten sporadischen Bombenexplosionen auf die problematische Sicherheitslage im Westen der Stadt hinweist. ....

Hinweise auf eine extrem gefährliche Sicherheitslage in Kabul können dem noch nicht entnommen werden.

Auch die Versorgungslage ist für Kabul nicht derartig schlecht, dass eine extreme Gefährdung angenommen werden müsste. Afghanistan ist zur Nahrungsmittelversorgung weiterhin auf die Leistungen der internationalen Gemeinschaft angewiesen. Die Versorgungslage hat sich aber in Kabul und anderen großen Städten grundsätzlich verbessert. Grundnahrungsmittel sind hier vorhanden, wenn auch nicht für alle erschwinglich. Die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln kann zumindest in Kabul als gut bezeichnet werden. In zahlreichen ländlichen Gebieten dagegen herrscht starke Mangelernährung. Eine Hungerkatastrophe, wie sie im Winter 2001/02 befürchtet worden war, konnte auf Grund des internationalen Engagements verhindert werden. ... Gegenwärtig gibt es keine Anzeichen für eine Hungerkatastrophe, insbesondere gibt es keine Berichte über eine drohende Nahrungsmittelknappheit in Kabul. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die internationalen Hilfsorganisationen dort in ihrer Arbeit behindert würden. Gegen eine Einschätzung der allgemeinen Lage als "extrem gefährlich" spricht schließlich auch die Tatsache, dass laut UNHCR in der Zeit vom 01.03.2002 bis 15.04.2003 mehr als 1,8 Millionen Afghanen in ihr Heimatland zurückgekehrt sind. ....

Durch diesen massiven Zustrom ist zwar die Bevölkerung Kabuls auf über drei Millionen Einwohner gewachsen und für einen Rückkehrer ist es daher sehr schwierig, Unterkunft und Arbeit zu finden (IOM, Gutachten vom 07.04.2003 an das Bundesamt: Aktueller Bericht über die Situation in Afghanistan für Rückkehrer aus Deutschland). Zur Vermeidung von Obdachlosigkeit mit existenzgefährdenden Auswirkungen bereitete jedoch UNHCR bereits 2002 die Errichtung von Notunterkünften vor ... Es liegen keine Berichte darüber vor, dass der Mangel an angemessenen Unterkünften in Kabul zu lebensbedrohlichen Zuständen für größere Teile der Bevölkerung geführt hätte ... Selbst wenn der Antragsteller keinen Zugang zu einer Arbeitsstelle haben sollte, wird ihm angesichts der fortdauernden internationalen Hilfe jedenfalls im Kabuler Raum ein Überleben möglich sein ..."

Nachdem das Verwaltungsgericht Gießen in seinem rechtskräftigen Urteil vom 24. März 2004 auf Grund einer ähnlichen, aktualisierten Erkenntnislage die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungshindernisses gemäß § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG bejaht hatte, führt das Bundesamt zu diesen Fragen - zur Begründung des gegenteiligen Ergebnisses - im Widerrufsbescheid vom 1. Februar 2006 u. a. aus:

"Aus der allgemeinen Lage resultierende Gefahren für Leib und Leben des Widerrufsgegners können zwar nicht völlig ausgeschlossen werden. Jedoch sind die Sicherheits- und Versorgungslage zumindest im Raum Kabul nicht derart schlecht, dass der Widerrufsgegner bei einer Rückkehr dorthin "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde".

Für den Raum Kabul kann festgestellt werden, dass die Sicherheitslage auf Grund der Anwesenheit internationaler Truppen zwar immer noch fragil, aber vergleichsweise zufrieden stellend ist. ...Im Raum Kabul gibt es keine Kampfhandlungen mehr. Es ist zwar bei Attentaten zu Bombenexplosionen oder Raketenbeschuss von ISAF-Lagern auch im Raum Kabul gekommen. Die Anschläge richteten sich aber überwiegend gegen Militärangehörige oder Hilfsorganisationen und nicht gegen die afghanische Zivilbevölkerung. Angesichts der Gesamtsituation in Kabul kann nicht von einer extrem gefährlichen Sicherheitslage gesprochen werden. Die Hinweise des Auswärtigen Amtes auf willkürlich besetztes oder entzogenes Grundeigentum sowie teilweise Übergriffe von Polizei und Sicherheitsbehörden beziehen sich auf individuell-konkrete Gefährdungen, für die es aber im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte gibt. Ansonsten bezeichnet das Auswärtige Amt die Stadt Kabul für frühere Bewohner als in Teilen ausreichend sicher (vgl. Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Islamischen Übergangsstaat Afghanistan vom 21.06.2005...). Es ist nicht ersichtlich, weshalb dies nicht auch für Personen gelten sollte, die früher nicht in Kabul gelebt haben, sofern keine individuelle Gefährdung erkennbar ist. Das Schwedische Afghanistan Komitee betrachtet Kabul als relativ friedliche Stadt, in der die Kriminalitätsrate derjenigen entspricht, die man in einer Stadt von der Größe Kabuls erwarten würde ....

Auch die Versorgungslage ist für Kabul nicht derartig schlecht, dass eine extreme Gefährdung angenommen werden müsste. Afghanistan ist auch nach dem Ende der langjährigen Dürreperiode zur Nahrungsmittelversorgung weiterhin auf die Leistungen der internationalen Gemeinschaft angewiesen. Die Versorgungslage hat sich aber in Kabul und anderen großen Städten grundsätzlich verbessert. Grundnahrungsmittel sind hier vorhanden, wenn auch nicht für alle erschwinglich. Die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln kann zumindest in Kabul als gut bezeichnet werden. In zahlreichen ländlichen Gebieten dagegen herrscht starke Mangelernährung ... Gegenwärtig gibt es keine Anzeichen für eine Hungerkatastrophe, insbesondere gibt es keine Berichte über eine drohende Nahrungsmittelknappheit in Kabul. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die internationalen Hilfsorganisationen dort derart in ihrer Arbeit behindert würden, dass keinerlei Versorgung der Bevölkerung mehr möglich wäre.

Gegen eine Einschätzung der allgemeinen Lage als "extrem gefährlich" spricht schließlich auch die Tatsache, dass in den letzten Jahren fast 4 Millionen Afghanen in ihr Heimatland zurückgekehrt sind ...

Auch die Wohnungssituation in Kabul führt nicht zu einer extremen Gefährdung. Durch den massiven Zustrom von Rückkehrern ist zwar die Bevölkerung Kabuls auf über drei Millionen Einwohner gewachsen und für einen Rückkehrer ist es daher sehr schwierig, Unterkunft und Arbeit zu finden ... Zur Vermeidung von Obdachlosigkeit mit existenzgefährdenden Auswirkungen bereitete jedoch UNHCR bereits 2002 die Errichtung von Notunterkünften vor ... Es liegen aber keine Berichte darüber vor, dass der Mangel an angemessenen Unterkünften in Kabul bisher zu lebensbedrohlichen Zuständen für größere Teile der Bevölkerung geführt hätte. Selbst wenn der Widerrufsgegner keinen Zugang zu einer Arbeitsstelle haben sollte, wird ihm angesichts der fortdauernden internationalen Hilfe jedenfalls im Kabuler Raum ein Leben möglich sein."

Eine im Wesentlichen unveränderte abschiebungsrelevante Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan, insbesondere im Raum Kabul und in der Provinz P., lässt sich auch aus einem - exemplarischen - Vergleich des in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 24. März 2004 u. a. herangezogenen Lageberichts des Auswärtigen Amtes vom 6. August 2003 (Stand: Juli 2003) mit dem neuesten Lagebericht vom 7. März 2008 (Stand: Februar 2008) herleiten.

Zur Sicherheitslage war im Lagebericht vom 6. August 2003 zunächst zusammenfassend ausgeführt (S. 5):

"Die Sicherheitslage hat sich für afghanische Staatsangehörige weiterhin landesweit nicht verbessert, in mancher Beziehung sogar verschlechtert. Nach der Winterpause 2002/2003 sind in verschiedenen Teilen des Landes entsprechend traditionellem Muster zwischen militärischen und politischen Rivalen wieder Kämpfe ausgebrochen bzw. erhebliche Spannungszustände entstanden. Gewaltsame Auseinandersetzungen dauern in etlichen Provinzen regional oder lokal fort bzw. können wieder aufleben. Eine Rückkehr dorthin ist nicht ohne Risiko für Leib und Leben möglich. Die Antiterrorkoalition bekämpft die islamistischen Kräfte vor allem im Osten, Südosten und Süden von Afghanistan mit über 8.000 Mann." ...

Im Einzelnen wurde die Sicherheitslage wie folgt beschrieben (S. 11 f.):

"Im Raum Kabul ist sie aufgrund der ISAF-Präsenz vergleichsweise zufrieden stellend, bleibt jedoch fragil; sie wurde vom UNHCR ... seit Mitte 2002 für freiwillige Rückkehrer als "ausreichend sicher" bezeichnet. Für frühere Bewohner Kabuls ist sie in Teilen ausreichend sicher. ...

Die Antiterrorkoalition bekämpft die islamistischen Kräfte vor allem im Osten, Südosten und Süden von Afghanistan mit über 7.000 Mann. ... Nach übereinstimmenden Quellen verstärkt sich das Wiedereinsickern islamistischer Kräfte (u. a. Taliban, Al Qaida) aus dem pakistanischen Paschtunengürtel ... In Helmand, Kandahar, Süd-Farah, Paktia, Paktika und Khost gibt es fortgesetzte Militäraktionen von Koalitionskräften ebenso wie in den östlichen Gebieten Kumar und Nangahar..."

Im neuesten Lagebericht vom 7. März 2008 wird zur Sicherheitslage berichtet (S. 5 und 10 f.):

"Zusammenfassung ...

Die Sicherheitslage stellt sich regional sehr unterschiedlich dar. Gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen Akteuren (staatliche Sicherheitskräfte und internationale Stabilisierungstruppe [ISAF], regierungsfeindliche Gruppen, rivalisierende Milizen, bewaffnete Stammesgruppen sowie organisierte Drogenbanden) dauern in etlichen Provinzen an oder können jederzeit wieder aufleben. Seit Frühjahr 2007 ist vor allem im Süden und Osten des Landes ein Anstieg gewaltsamer Übergriffe regruppierter Taliban und anderer regierungsfeindlicher Kräfte zu verzeichnen. Die Zahl der Selbstmordanschläge und Angriffe mit Strengfallen von regierungsfeindlichen Kräften haben 2007 erheblich zugenommen ...

Sicherheitslage im Raum Kabul

Im Raum Kabul bleibt sie weiter fragil, auch wenn sie aufgrund der ISAF-Präsenz im regionalen Vergleich zufrieden stellend ist. Sie wird vom ... UNHCR für freiwillige Rückkehrer als "ausreichend sicher" bezeichnet, mit Ausnahme der Distrikte Sraobi und Charasqab, in denen mitunter von lokalen Machthabern und kriminellen Banden ausgehende Bedrohungen gegen die Bevölkerung und gegen Rückkehrer beobachtet wurden. ...

Gelegentlich kommt es in Kabul zu Raketenbeschuss. Es gibt vereinzelt Übergriffe von Polizei und Sicherheitskräften auf die Zivilbevölkerung. ... Die Anzahl der Selbstmordattentate hat im Jahr 2007 stark zugenommen. ... Zu beobachten ist auch eine deutliche Zunahme von Entführungen hauptsächlich afghanischer Staatsangehöriger, zumeist mit allgemein-kriminellem Hintergrund zwecks Erpressung von Lösegeld. ...

Sicherheitslage im Süden und (Süd)osten des Landes

Die Anti-Terror-Koalition bekämpft die radikal-islamistischen Kräfte vor allem im Süden, Südosten und Osten des Landes. Die Infiltration islamistischer Kräfte (u. a. Taliban) aus dem pakistanischen Paschtunengürtel nach Afghanistan ist ungebrochen. Vor allem im Süden, aber auch im Südosten wurde 2007 ein deutlicher Anstieg von Anschlägen auf Einrichtungen der Provinzregierung und Hilfsorganisationen verzeichnet. Gleichzeitig halten Kämpfe zwischen rivalisierenden Milizen weiter an. Dies schließt Stammesfehden ein, die unter anderem für die paschtunisch geprägten Gebiete des Südens typisch sind."

Danach kann von einer wesentlichen Veränderung, insbesondere von einer Verbesserung der Sicherheitslage weder in Kabul noch in den sonstigen Regionen Afghanistans, insbesondere auch nicht in der südöstlichen Provinz P./K., die Rede sein; die inzwischen vermehrt aufgetretenen Selbstmordattentate stellen vielmehr eine deutliche Verschärfung dar.

Diese negative Einschätzung der Sicherheitslage entspricht auch den Feststellungen in dem Grundsatzurteil des Senats vom 7. Februar 2008 - 8 UE 1913/06.A -, die nach dem dort herangezogenen Gutachten des Sachverständigen Dr. D. vom 14. Dezember 2006 "katastrophal" sei.

Auch in Bezug auf die für das Verwaltungsgericht Gießen maßgebliche Versorgungslage hinsichtlich Ernährung und Unterkunft hat sich die Situation nicht wesentlich verändert, insbesondere nicht verbessert, sondern eher verschlechtert.

Dazu hatte der Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 6. August 2003 berichtet (S. 21):

"Die VN versorgen auch nach der in diesem Jahr überwiegend zu Ende gegangenen Dürre noch Millionen von Afghanen mit Nahrungsmitteln und Hilfsgütern (Zahlen saisonal schwankend). Darunter befinden sich über eine Million Binnenvertriebene und Rückkehrer. Die Versorgungslage hat sich in Kabul und zunehmend auch in den anderen großen Städten grundsätzlich verbessert. Wegen mangelnder Kaufkraft profitieren jedoch nicht alle Bevölkerungsschichten von der verbesserten Lage (Waren werden zu hohen Preisen verkauft). In anderen Gebieten Afghanistans kann die Versorgungslage als weiterhin nicht zufrieden stellend bis völlig unzureichend beschrieben werden. Gerade in den ländlichen Gebieten herrscht starke Mangelernährung. ..."

Im neuesten Lagebericht vom 7. März 2008 wird die Versorgungssituation für Rückkehrer wie folgt beschrieben (S. 24 und 26):

"Afghanistan gilt als das ärmste Land Asiens. Nach Angaben des "Center for Policy and Human Devolopment" der Universität Kabul ... kann fast ein Viertel aller Haushalte die Grundversorgung an Nahrungsmitteln nicht selbständig sichern. Die Vereinten Nationen versorgen Millionen von Afghanen mit Nahrungsmitteln und Hilfsgütern. Die Versorgungslage hat sich in Kabul und zunehmend auch in den anderen großen Städten zwar grundsätzlich verbessert, aber wegen mangelnder Kaufkraft profitieren längst nicht alle Bevölkerungsschichten davon. In vielen Gebieten Afghanistans ist die Versorgungslage mit Lebensmitteln weiterhin nicht zufrieden stellend. ... Die Arbeit die Hilfsorganisationen wird vor allem im Süden und Osten durch Sicherheitsprobleme erschwert. Das Angebot an Wohnraum ist knapp und er ist nur zu hohen Preisen erhältlich.

Staatliche soziale Sicherungssysteme sind nicht vorhanden. Renten-, Arbeitslosen- und Krankenversicherung gibt es nicht. Familien und Stammesverbände übernehmen die soziale Absicherung. Rückkehrer, die außerhalb des Familienverbandes oder nach einer längeren Abwesenheit im westlich geprägten Ausland zurückkehren, stoßen auf größere Schwierigkeiten als Rückkehrer, die in Familienverbänden geflüchtet sind oder in einen solchen zurückkehren, wenn ihnen das notwendige soziale oder familiäre Netzwerk sowie notwendigen Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse fehlen. Sie können auf übersteigerte Erwartungen hinsichtlich ihrer finanziellen Möglichkeiten treffen, so dass von ihnen überhöhte Preise gefordert werden. Von den "Zurückgebliebenen" werden sie häufig nicht als vollwertige Afghanen akzeptiert. ...

Freiwillig zurückkehrende Afghanen kamen in den ersten Jahren meist bei Familienangehörigen unter, was die in der Regel nur sehr knapp vorhandenen Ressourcen (Wohnraum, Versorgung) noch weiter strapaziert. Eine zunehmende Zahl von Rückkehrern verfügt aber nicht mehr über diese Anschlussmöglichkeiten. Das afghanische Ministerium für Flüchtlinge und Rückkehrer (MoRR) beabsichtigt daher eine Ansiedlung dieser Flüchtlinge in Neubausiedlungen für Rückkehrer (sog. "townships"). ... Ein Großteil der vorgesehenen "townships" ist nicht für eine permanente Ansiedlung geeignet. Oft fehlt es an einer Wasserversorgung und oft befinden sich die vorgesehenen Ansiedlungsorte in abgelegenen Gebieten. Die Ansiedlung der Rückkehrer gleicht daher teilweise einem "Aussetzen in der Wüste". ... Daneben ist die Verwirklichung anderer grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Rechte, wie Zugang zur Arbeit, Wasser, Gesundheitsversorgung etc., mit Problemen behaftet."

Diese Darstellung der schlechten Lebensbedingungen für Rückkehrer entspricht der Erkenntnislage, die dem Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 24. März 2004 zugrunde lag und wie sie auch im Grundsatzurteil des Senats vom 7. Februar 2008 wiedergegeben wird. Nach dem dort u. a. herangezogenen Gutachten des Dr. D. vom 4. Dezember 2006 hätten sich die Lebensbedingungen der Kabuler seit dem Jahr 2001 drastisch verschlechtert und verhungerten Menschen in Kabul Tag für Tag und würden ohne viele Umstände verscharrt. Die afghanische Hauptstadt sei in den letzten Jahren durch den Zustrom von Rückkehrern aus den Nachbarländern sowie Binnenflüchtlingen auf eine geschätzte Bevölkerungszahl von 4,5 Millionen stark angewachsen; erschwinglicher Wohnraum außerhalb der Flüchtlingslager existiere für Rückkehrer nicht. Dies werde von amnesty international bestätigt, wonach die Situation "hoch problematisch" sei. Der enorme Bevölkerungszuwachs habe in Kabul einen akuten Mangel an Wohnraum verursacht, so dass viele Menschen in Ruinen lebten. Etwa eine Million Kabuler verfügten weder über ausreichenden und winterfesten Wohnraum noch über regelmäßiges Trinkwasser. Ein erhebliches Problem sei die große Arbeitslosigkeit. Angesichts der enorm großen Zahl von Rückkehrern und der prekären Sicherheitslage im Land könne die Versorgung der bedürftigen Bevölkerung nicht durch Angebote von internationalen Hilfsorganisationen aufgefangen werden. Diese Einschätzungen würden auch durch die in die mündliche Verhandlung des Senats eingeführten weiteren Dokumente bestätigt, wonach u. a. die Wahrscheinlichkeit eher als gering zu bezeichnen sei, dass an- und ungelernte männliche Arbeitskräfte dort eine den Lebensunterhalt sichernde Erwerbsmöglichkeit finden könnten.

Wenn der Senat in diesem Urteil trotzdem zusammenfassend zu dem Ergebnis kommt, dass ein junger, allein stehender Afghane ohne nennenswertes Vermögen, ohne abgeschlossene Berufsausbildung und ohne schwerwiegende gesundheitliche Beeinträchtigungen im Falle einer zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland aufgrund seines Lebensalters und des Fehlens familiärer Bindungen mit daraus resultierenden Unterhaltslasten wahrscheinlich in der Lage sei, durch Gelegenheitsarbeiten in K. wenigstens ein kümmerliches Einkommen und ein Leben am Rande des Existenzminimums zu finden, für ihn somit eine Überlebenschance bestehe und damit eine extreme Gefährdungslage nicht gegeben sei, die die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG in verfassungskonformer Überwindung der Sperrwirkung des Satzes 3 dieser Vorschrift rechtfertigen würde, beruht dies nicht auf der Annahme einer tatsächlichen Verbesserung der dortigen Lebensverhältnisse, sondern auf einer anderen Bewertung einer im Wesentlichen unveränderten Lage.

Die Ablehnung der Feststellung der Voraussetzungen eines Abschiebungshindernisses gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG beruht darauf, dass der Senat - wie auch das Bundesamt in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, anders dagegen das Verwaltungsgericht Gießen in seinem rechtskräftig stattgebenden Urteil vom 24. März 2004, wegen dieser allgemeinen Gefahren im vorliegenden Fall - eine extreme Gefährdungslage fordert und strenge Anforderungen an deren Annahme stellt. Dies begründet der Senat damit, dass aufgrund der vom Gesetzgeber in § 60 Abs. 7 Satz 3 i.V.m. § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG n. F. getroffenen Entscheidung die Risikoabwägung und die Verantwortung bei bestimmten Gefährdungslagen und beim subsidiären Schutz von Flüchtlingen von der administrativen auf die politische Ebene verlagert und dass deshalb die Verwaltungsgerichte zur äußerster Zurückhaltung bei der Feststellung individueller Abschiebungsverbote verpflichtet seien; dabei sei dem Senat bewusst, dass auch manche der von den Gutachtern mitgeteilte Details dafür sprächen, dass eine Existenzsicherung von Rückkehrern nicht möglich sei. Es fehle jedoch an der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit, dass Rückkehrer nach Afghanistan dort verhungern oder ähnlich existenzbedrohenden Mangellagen ausgesetzt würden; die Senatsentscheidung bedeute aber nicht, dass eine Abschiebung nach Afghanistan völlig bedenkenfrei möglich sei.

Auch hinsichtlich der angespannten Sicherheitslage schließt der Senat in seinem Grundsatzurteil zwar nicht aus, dass ein Rückkehrer auch ohne besondere Gefährdungsmerkmale zufällig Opfer schwerster Gewalttaten werden könnte, gemessen an der gesamten Einwohnerzahl Afghanistans bzw. Kabuls sei dies jedoch nicht so häufig, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen wäre, dass ein Rückkehrer Opfer von Selbstmordanschlägen, Bombenexplosionen oder vergleichbaren Ereignissen werden bzw. durch Raubüberfälle oder durch andere schwere Straftaten nachhaltig in seiner körperlichen Integrität verletzt werden oder seiner wirtschaftlichen Existenzgrundlage gänzlich verlustig gehen könnte, so dass auch insoweit unter Zugrundelegung der oben angesprochenen strengen Maßstäbe eine entscheidungserhebliche Extremgefahr abgelehnt wird.

Auch wenn sich der Senat damit der von anderen Obergerichten - soweit ersichtlich - bisher einheitlich vertretene Ansicht anschließt, rechtfertigt diese insbesondere rechtlich andere Bewertung der im Wesentlichen gleichgebliebenen tatsächlichen Lebenssituation in Afghanistan/Kabul es nicht, im vorliegenden Fall die Rechtskraft des stattgebenden Urteils des Verwaltungsgerichts Gießen vom 24. März 2004 zu durchbrechen.

Dem steht nicht entgegen, dass dieses verwaltungsgerichtliche Urteil nach dem Grundsatzurteil des Senats von einem unzutreffenden Prüfungsansatz ausgegangen ist, weil es zwar Abschiebungshindernisse gemäß § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG ausdrücklich für den "vorliegenden Einzelfall" bejaht, dies aber nicht mit konkret-individuell auf die Person des Klägers zielenden Leib-, Lebens- oder Freiheitsgefahren, sondern nur mit Auswirkungen der allgemein "äußerst angespannten Versorgungs- und Sicherheitslage" auf ihn und damit mit allgemeinen Gefahren gemäß § 53 Abs. 6 Satz 2 i.V.m. § 54 AuslG (jetzt: § 60 Abs. 7 Satz 3 i.V.m. § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG) begründet hat, die aber grundsätzlich der Regelungsbefugnis der obersten Landesbehörden vorbehalten sind und nur bei extremen Gefahrenlagen in verfassungskonformer Anwendung in Überwindung dieser gesetzlichen Sperrklausel die Gewährung individuellen subsidiären Schutzes durch das Bundesamt oder Verwaltungsgerichte zulassen. Auch unrichtige Urteile entfalten aber nach den vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten, vom Senat übernommenen und oben dargestellten Grundsätzen Rechtskraftwirkung (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. September 2001 a. a. O. juris Rdnr. 13).

Danach führt auch der Umstand zu keinem anderen Ergebnis, dass das verwaltungsgerichtliche Urteil eine fehlende verwandtschaftliche Unterstützung des Klägers angenommen hat, ohne auf die Widersprüchlichkeiten seiner Angaben zum Aufenthalt seines Onkels aus K. und ohne auf die in seiner erstmaligen Anhörung durch das Bundesamt erwähnten drei Schwestern (und gegebenenfalls deren Familien) in seinem Heimatbezirk in Afghanistan einzugehen. Es hat auch die für seine persönliche Rückkehrgefährdung erhebliche Schilderung des Vorfalls, der zur Hinrichtung des Kommandanten A. H, geführt haben soll, nicht in Zweifel gezogen, obwohl A. H. von den Taliban nicht - wie der Kläger dargestellt hat - Anfang September, sondern vielmehr am 26. Oktober 2001 bei dem Versuch, südlich von K. eine Rebellion paschtunischer Stämme zu organisieren, von Milizen der Taliban aufgegriffen und hingerichtet worden ist (vgl. Süddeutsche Zeitung vom 31. Oktober 2001 Seite 13 "Auf der Suche nach den Anti-Taliban") also zu einer Zeit, als der Anschlag vom 11. September 2001 auf das World-Trade-Center in New York längst erfolgt war und der Kläger sich bereits seit fast drei Wochen in Deutschland als Asylbewerber aufhielt und zwei Tage vor seiner Anhörung durch das Bundesamt stand. Es ist aber anerkannt, dass die Rechtskraftwirkung unabhängig davon besteht, ob das rechtskräftig gewordene Urteil die seinerzeit bestehende Sach- und Rechtslage erschöpfend und zutreffend gewürdigt hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. September 2001 a. a. O. juris Rdnr. 13), so dass eine erneute Überprüfung und Bewertung dieser dem erstinstanzlichen Urteil zu Grunde liegenden und auch hinsichtlich der persönlichen Verhältnisse des Klägers nicht wesentlich veränderten Sachlage nicht vorzunehmen ist.

Es kann auch hier - wie in dem vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall - offen bleiben, ob etwas anderes dann gelten würde, wenn die Aufrechterhaltung des durch die Vorentscheidung geschaffenen Zustands "schlechthin unerträglich" wäre, denn das ist hier nicht der Fall. Der Senat hat - wie oben bereits erwähnt - in seinem Grundsatzurteil vom 7. Februar 2008 ausgeführt, dass ein in sein Heimatland zwangsweise zurückgeführter arbeitsfähiger Afghane ohne nennenswertes Vermögen, ohne abgeschlossene Berufsausbildung und ohne familiäre oder sonstige Beziehungen zwar eine Überlebenschance habe, aber auch in K. wahrscheinlich lediglich in der Lage sein würde, durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen zu erzielen und ein Leben am Rande des Existenzminimums zu führen, und dass wegen der angespannten Sicherheitslage nicht auszuschließen sei, dass er zufällig Opfer schwerster Gewalttaten, wie Selbstmordanschläge, Bombenexplosionen oder vergleichbare Ereignisse werden bzw. durch Raubüberfälle oder durch andere schwere Straftaten nachhaltig in seiner körperlichen Integrität verletzt werden oder seiner wirtschaftlichen Existenzgrundlage gänzlich verlustig gehen könne, so dass insgesamt eine Abschiebung nach Afghanistan nicht völlig bedenkenfrei möglich sei. Auch käme ein Rückgriff des Klägers auf seine früheren Erwerbsmöglichkeiten und auf verwandtschaftliche Unterstützung nicht in K., sondern allenfalls in seiner Heimatprovinz P. in Betracht. In dieser Provinz haben sich aber der Einfluss der Taliban verstärkt und die Sicherheitslage verschärft. Es bestehen auch keine konkreten Anhaltspunkte dahin, dass die Angaben des Klägers, die Taliban hätten ihn vor seiner Ausreise dreimal zwangsrekrutieren wollen, nicht zutreffen könnten. Die verwaltungsgerichtliche Einschätzung, er könne nicht ohne konkrete Gefährdung für Leib, Leben oder Freiheit nach P. zurückkehren, erscheint nach wie vor zutreffend. Hinzu kommt, dass nach den - angesichts seiner etwa dreimonatigen Urlaubsreise glaubhaften - Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat sich seine krebskranke Ehefrau und seine beiden Söhne nunmehr in P. aufhalten und auf seine Unterstützung angewiesen sind, was seine Überlebenschancen nach einer Abschiebung nach Afghanistan/K. nach Einschätzung des Senats in seinem Grundsatzurteil vom 7. Februar 2008 zusätzlich verringern würde.

Es liegt schließlich auch keine eine Rechtskraftdurchbrechung rechtfertigende nachträgliche Änderung der maßgeblichen Rechtslage vor, denn § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG entspricht § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG und die Voraussetzungen für die Feststellung dieses Abschiebungsverbots bzw. für die Überwindung der Sperrklausel bei allgemeinen Gefahren haben sich nach dem Grundsatzurteil des Senats vom 7. Februar 2008 durch das Gesetz vom 19. August 2007 zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union - insbesondere der sog. Qualifikationsrichtlinie (BGBl. I S. 1970) - nicht entscheidungserheblich verändert; die insoweit teilweise vertretene Gegenansicht würde erst recht die Aufrechterhaltung der Feststellung des Abschiebungsverbotes und nicht dessen Widerruf rechtfertigen.

Nach allem ist der Berufung des Klägers mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung und die Abwendungsbefugnis der Beklagten ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10 und § 711 ZPO.

Die Revision ist mangels Zulassungsgründen gemäß § 132 Abs. 2 VwGO nicht zuzulassen. Die maßgeblichen, verallgemeinerungsfähigen Rechtsfragen sind durch das Bundesverwaltungsgericht geklärt, entscheidungstragend ist hier die tatsächliche Frage, ob sich die abschiebungsrelevante Situation in Afghanistan von 2004 bis heute wesentlich verändert hat, die revisionsgerichtlich nicht überprüfbar ist.

Ende der Entscheidung

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