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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 21.06.2001
Aktenzeichen: 8 UE 2924/99
Rechtsgebiete: EWG Nr. 334/93 d. Komm. v. 15.02.1993 i. d. Fassung d. EWG Nr. 1870/95 d. Komm. v. 26.07.1995, EWG Nr. 2220/85 v. 22.07.1985 i. d. Fassung d. EWG Nr. 1181/87 v. 29.04.1987, Kulturpflanzen-Ausgleichszahlungs-VO i. d. Neuf. v. 01.02.1995, geändert d. d. 8.


Vorschriften:

EWG Nr. 334/93 d. Komm. v. 15.02.1993 i. d. Fassung d. EWG Nr. 1870/95 d. Komm. v. 26.07.1995 Art. 8 Abs. 4a
EWG Nr. 334/93 d. Komm. v. 15.02.1993 i. d. Fassung d. EWG Nr. 1870/95 d. Komm. v. 26.07.1995 Art. 10 Abs. 2 Satz 1
EWG Nr. 2220/85 v. 22.07.1985 i. d. Fassung d. EWG Nr. 1181/87 v. 29.04.1987 Art. 20
EWG Nr. 2220/85 v. 22.07.1985 i. d. Fassung d. EWG Nr. 1181/87 v. 29.04.1987 Art. 24 Abs. 1
Kulturpflanzen-Ausgleichszahlungs-VO i. d. Neuf. v. 01.02.1995, geändert d. d. 8. ÄnderungsVO v. 4.7.1995 u. d. 9. ÄnderungsVO v. 3.8.1995 § 15 e Satz 1 Nr. 1
VwVfG § 32
ZPO § 418
Die gemäß Art. 8 Abs. 4 a der Verordnung (EWG) Nr. 334/93 in:der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1870/95 in Verbindung mit § 15 e Satz l Nr. 1 der Kulturpflanzers Ausgleichszahlungs-Verordnung dem Aufkäufer obliegende Pflicht, der zuständigen Behörde die Lieferung von bestimmten, auf Stilllegungsflächen geernteten Ausgangserzeugnissen bis spätestens 15. September eines Jahres mitzuteilen, ist eine untergeordnete Pflicht im Sinne von Art. 20 Abs. 4 und Art. 24 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2220/85 in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 1181/87.

Der Aufkäufer trägt die materielle Beweislast dafür, dass die genannte Mitteilung binnen der Frist bei der zuständigen Behörde eingegangen ist.

Art. 24 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2220/85 in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 1181/87 wird hinsichtlich der Ausnahme, wonach die Nichterfüllung einer oder mehrerer untergeordneter Pflichten nicht zum Verfall von 15 % des betroffenen Teilbetrags der Sicherheit führt, sofern höhere Gewalt die Erfüllung verhindert hat, nicht durch § 32 VwVfG verdrängt. § 32 VwVfG ist hier ausgeschlossen, da dieser nationalen Norm die gemeinschaftsrechtliche Vorschrift entgegensteht und die gemeinschaftsrechtliche Vorschrift dem nationalen Recht vorgeht.

Eine Fristversäumnis beruht nicht deshalb auf höherer Gewalt, weil der Absender einer Briefsendung auf ein Hinweisschild der Deutschen Post AG vertraut hat; wonach "in der Regel" am Tag nach dem Einwurf in den Briefkasten zugestellt werde.


Hessischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes Urteil

8 UE 2924/99

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Kautionsverfalls

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 8. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Dr. Schulz, Richter am Hess. VGH Dr. Nassauer, Richter am Hess. VGH Jeuthe ehrenamtliche Richterin Setton, ehrenamtlicher Richter Schneider

auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 21. Juni 2001

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 22. April 1999 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten der Beklagten vorläufig vollstreckbar. Jedoch kann die Klägerin die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten der Beklagten abwenden, wenn diese nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Aufhebung eines Bescheides, mit dem die Beklagte eine Kaution in Höhe von 30.859,00 DM für verfallen erklärt hat.

Die Klägerin ist Aufkäuferin von nachwachsenden Rohstoffen auf stillgelegten Flächen nach Maßgabe der Verordnung (EWG) Nr. 334/93 der Kommission vom 15. Februar 1993 (ABl. Nr. L 38 vom 16. Februar 1993, Seiten 12 ff.). Sie schloss Anbau-, Liefer- und Abnahmeverträge mit Erzeugern und hinterlegte gemäß Art. 9 Abs. 2 der genannten Verordnung zur Gewährleistung der ordnungsgemäßen Ausführung der Verträge Kautionen in Höhe von insgesamt 134.394,00 DM in Form von Bürgschaften. Solche Bürgschaften werden anteilig freigegeben, sobald der für Ankäufer oder Erstverarbeiter zuständigen Behörde der Nachweis darüber vorliegt, dass eine den vertraglichen Vereinbarungen entsprechende Menge der Ausgangserzeugnisse verarbeitet worden ist.

In diesem Zusammenhang oblag der Klägerin gemäß Art. 8 Abs. 4 a der Verordnung (EWG) Nr. 334/93 in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1870/95 der Kommission vom 26. Juli 1995 (ABl. Nr. L 179 vom 29. Juli 1995, Seiten 40 ff.) i.V.m. § 15 e Satz 1 Nr. 1 der Verordnung über eine Stützungsregelung für Erzeuger bestimmter landwirtschaftlicher Kulturpflanzen (Kulturpflanzen-Ausgleichszahlungs-Verordnung) in der Fassung der 9. Verordnung vom 3. August 1995 (BGBl. I S. 1017) die Pflicht, der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung die in den in § 1 genannten Rechtsakten vorgeschriebenen Angaben über die erfolgte Ablieferung der auf den Stilllegungsflächen geernteten Ausgangserzeugnisse, im Falle von Winterraps, Winterrüben, Flachs und Erbsen spätestens bis zum 15. September - hier bis zum 15. September 1995 - mitzuteilen. Zu diesem Zweck musste die Anlage 4 des Formblattes "Mitteilung des Aufkäufers über die Lieferung" fristgerecht bei der Bundesanstalt eintreffen. Die Nichterfüllung einer oder mehrerer untergeordneter Pflichten führte gemäß Art. 20 Abs. 4 i.V.m. Art. 24 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2220/85 der Kommission vom 22. Juli 1985 (ABl. Nr. L 205 vom 3. August 1985, Seiten 5 ff., 9 und 10) in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 1181/87 der Kommission vom 29. April 1987 (ABl. Nr. L 113 vom 30. April 1987, Seite 31 f.) zum Verfall von 15 % des betroffenen Teilbetrags der Sicherheit, sofern nicht höhere Gewalt die Erfüllung verhinderte.

Um hinsichtlich 51 der von der Klägerin geschlossenen Verträge die Anlage 4 des genannten Formblattes bis zum Stichtag 15. September 1995 (Freitag) bei der Bundesanstalt einzureichen, brachte der Geschäftsführer der Klägerin nach Angaben der Klägerin die Anlagen persönlich am 14. September 1995 zum Bandschalter der Post nach Ulm. Auf der Fahrt dorthin wurde er von einer Aushilfskraft begleitet. Neben dem Briefkasten befand sich ein Hinweisschild des Postamtes, wonach alle bis 20.00 Uhr eingeworfenen Postsendungen "in der Regel" am nächsten Tag zugestellt würden. Nach Angaben der Klägerin warf der Geschäftsführer gegen 19.50 Uhr die genannten Unterlagen in diesen Briefkasten ein.

Streitig ist, ob die Briefsendung die Beklagte am Freitag, dem 15. September 1995, erreichte. Fest steht in diesem Zusammenhang, dass die Belege spätestens am Montag, dem 18. September 1995, bei der Beklagten eingingen, denn an diesem Tag erhielten sie den Eingangsstempel des besagten Tages mit den Angaben der Uhrzeiten 9.35 Uhr, 9.36 Uhr, 9.37 Uhr bzw. 9.38 Uhr. Ein Eingang an diesem Tage wäre jedoch nach den obigen Vorschriften verfristet gewesen. Eine Nachfrage bei der Deutschen Post AG ergab, dass die in Ulm und den anderen Niederlassungen bzw. Filialen angegebenen Brieflaufzeiten Regellaufzeiten sind. Nach externen Laufzeitprüfungen werden - bei rechtzeitigem Einwurf - am Tag nach dem Einwurf zwischen 91 und 93 % der Sendungen zugestellt. In der Postfiliale Frankfurt 18, in der die Beklagte ein Postfach eingerichtet hat, sind die Ankunftszeiten der Posteingänge 6.20 Uhr, 8.10 Uhr und 9.15 Uhr. Danach geht dort keine Post mehr ein. Die Sendungen werden nach Eingang Zug um Zug verteilt, wobei Verteilschluss gegen 10.00 Uhr ist.

Auf Grund des nach ihrer Ansicht verspäteten Eingangs der Belege erklärte die Beklagte mit Bescheid vom 6. Oktober 1995 die Sicherheit in Höhe von 30.859,00 DM für verfallen. Die Klägerin legte am 26. Oktober 1995 gegen den Verfallbescheid Widerspruch ein mit der Begründung, ihr Geschäftsführer habe am 14. September 1995 um 19.50 Uhr persönlich die Bescheinigungen in Ulm im Postamt am Bandschalter eingeworfen. Er habe davon ausgehen können, dass die Sendung am 15. September 1995 bei der Beklagten eintreffe, weil auf dem Schild neben dem Schalter der Hinweis gestanden habe, was bis 20.00 Uhr eingeworfen werde, werde am folgenden Tag zugestellt.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 22. November 1995 zurück mit der Begründung, die Frist, bis spätestens 15. September 1995 die Auslieferungen mitzuteilen, sei nicht gewahrt worden. Sie sei eine Ausschlussfrist, bei der für eine Nachsichtgewährung oder eine etwaige Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kein Raum sei. Insoweit könne nur ein Fall höherer Gewalt, der nicht gegeben sei, die Fristversäumung rechtfertigen.

Die Klägerin hat am 14. Dezember 1995 Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, sie habe die Frist gewahrt. Bei einem ordnungsgemäß adressierten Brief dürfe sie sich auf die am Postamt angeschlagenen Brieflaufzeiten oder auf eine Auskunft des Postamtes verlassen. Der Umstand, dass die Bescheinigungen den Eingangsstempel vom 18. September 1995 aufwiesen, sei nur so zu erklären, dass die Bediensteten der Beklagten die am 15. September 1995 (Freitag) in ihr Postfach eingelegten Sendungen erst am 18. September 1995 (Montag) abgeholt hätten. Zudem sei nicht ausgeschlossen, dass ausnahmsweise auch am 15. September 1995 nach 10.00 Uhr in das Postfach der Beklagten Post eingelegt worden sei. Jedenfalls sei ihr, der Klägerin, aber Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 32 Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG - zu gewähren. Ferner bedeute die Anwendung der Frist für die Klägerin eine außergewöhnliche Härte, da sie, die Klägerin, sich auf Grund der angegebenen Postlaufzeiten auf den rechtzeitigen Eingang der Unterlagen habe verlassen dürfen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, der Kautionsverfallbescheid sei rechtmäßig.

Mit Urteil vom 22. April 1999 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Klägerin habe die Frist nicht eingehalten. Der Eingangsstempel vom 18. September 1995 sei eine öffentliche Urkunde im Sinne von § 418 ZPO und beweise den Zeitpunkt des Zugangs. Die Klägerin habe diesen Beweis nicht widerlegen können. Auf einen Fall höherer Gewalt könne sich die Klägerin nicht mit Erfolg berufen, da darunter nur ungewöhnliche und unvorhergesehene Ereignisse zu verstehen seien, auf die der betroffene Wirtschaftsteilnehmer keinen Einfluss habe und deren Folgen trotz Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht hätten vermieden werden können. Bei der verzögerten Zustellung der Postsendung handele es sich jedoch nicht um ein ungewöhnliches und unvorhergesehenes Ereignis, da Postlaufzeiten von mehr als einem Tag nicht ungewöhnlich und zudem vorhersehbar seien. Wiedereinsetzung nach § 32 VwVfG scheitere am Vorrang des entgegenstehenden Gemeinschaftsrechts.

Das Urteil ist der Klägerin am 18. Mai 1999 zugestellt worden. Auf den am 17. Juni 1999 von der Klägerin gestellten Antrag hat der Senat die Berufung mit Beschluss vom 23. September 1999, zugestellt am 1. Oktober 1999, zugelassen. Nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 23. November 1999 hat die Klägerin am 11. November 1999 die Berufung begründet.

Sie trägt vor, sie habe die Frist nicht versäumt. Man müsse davon ausgehen, dass die Unterlagen rechtzeitig eingegangen seien. Zumindest sei nicht auszuschließen, dass die Unterlagen noch innerhalb der Frist, also am Freitag, dem 15. September 1995, in das Postfach der Beklagten gelangt und die Eingangsstempel falsch aufgetragen worden seien. Durch die Beklagte sei nicht ausreichend sichergestellt, dass die Leerung des Postfaches erst zu einem Zeitpunkt erfolge, zu dem mit Sicherheit keine weiteren Sendungen mehr in das Postfach eingelegt würden. Nach der Stellungnahme der Beklagten habe der Postbotendienst der Bundesanstalt während des streitgegenständlichen Zeitraums bei der letzten Tagestour um 10.00 Uhr nicht ausdrücklich nachgefragt, ob die Postverteilung in der Postfiliale Frankfurt 18 abgeschlossen sei. Es könne daher nicht ausgeschlossen werden, dass am streitgegenständlichen Tag die Postverteilung noch nicht abgeschlossen gewesen sei, als der Bote der Beklagten das Postfach letztmalig an diesem Tag geleert habe. Der Eingangsstempel sei daher kein ausreichender Beweis dafür, dass die Unterlagen verspätet in das Postfach gelangt seien. Es sei auch nicht gesichert, dass aus Anlass der weiteren Fahrt zur Post um 14.00 Uhr das Postfach vollständig gelehrt worden sei. Hilfsweise sei die Klägerin gemeinschaftsrechtlich so zu behandeln, dass in Anwendung der Grundsätze der Force majeure unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die Fristversäumnis der Klägerin nicht entgegengehalten werden könne. Dabei seien auch Sinn und Zweck der Frist zu berücksichtigen, wonach ein spekulativer Umgang mit den betroffenen Produkten verhindert werden solle. Die Unterlagen seien nach Ansicht der Beklagten zweifelsfrei am Montag, dem 18. September 1995, eingegangen. Während des davor liegenden Wochenendes sei der Klägerin ein spekulativer Umgang mit den betroffenen Produkten unter Ausnutzung einer Verschiebung der Abgabefrist nicht möglich gewesen. Ein etwaiger postalischer Zugang erst am 18. September 1995 belege höchstens, dass es zu Postlaufzeiten über ein Wochenende gekommen sei, so dass die Unterlagen zu einem Zeitpunkt bereits aus der Hand des Marktteilnehmers gegeben gewesen seien, der für die Einhaltung der Ausschlussfrist (15. September 1995) noch ausreichend gewesen sei. Im Übrigen würden durch ein Abstellen auf den Eingang der Unterlagen grundrechtliche Vertrauensmaßstäbe verkürzt. Hilfsweise sei der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach nationalen Vorschriften zu gewähren. Zwingende Gründe des Gemeinschaftsrechts stünden der Öffnung der Anwendung nationaler Regeln sowie der Einsetzung in den vorigen Stand unter Berücksichtigung auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Frage der Postlaufzeit und der Ausnützung der Fristzeiträume nicht entgegen. Nicht nur unter allgemeinen Billigkeitserwägungen, sondern auch nach rechtsstaatlich und gemeinschaftsrechtlich garantierten Grundsätzen - etwa nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit - müsse man zu dem Schluss kommen, dass kein Fall einer spekulativen Fristüberschreitung oder vorwerfbarer Fristversäumnis vorliege. Die Klägerin habe sich im Hinblick auf die angegebenen Postlaufzeiten gerade auf einer Hauptbeförderungslinie wie Ulm/Frankfurt darauf verlassen können, dass die Sendung rechtzeitig eingehen würde. Durch den Poststempel wäre, sofern der Briefumschlag aufgehoben worden wäre, belegt worden, dass die Unterlagen rechtzeitig auf den Weg gebracht gewesen seien. Bei den Verfallsbestimmungen handele es sich nicht um Notfristen des nationalen Prozessrechts, sondern um marktordnende Fristen zur Sicherung eines gleichmäßigen gemeinschaftsweiten Verwaltungsablaufs. Sinn und Zweck der Fristen sei, spekulative Verzerrungen der Marktordnungen zu verhindern, die sich bei einer unterschiedlich verspäteten Abgabe der Unterlagen ergeben würden. Es komme daher gemeinschaftsrechtlich auf die Sicherung eines einheitlichen Vollzuges an, der jedenfalls dann noch gewahrt sei, wenn die Unterlagen vor Fristablauf versandt, d.h. aus der Hand des begünstigten Marktteilnehmers, gegeben worden seien.

Im Übrigen könne die Klägerin die Ausführungen der Beklagten zur Organisation des Postfachleerungsdienstes nur zur Kenntnis nehmen, bestreite allerdings den Ablauf am verfahrensgegenständlichen Tag mit Nichtwissen. Ein Mitarbeiter der Beklagten habe bei anderer Gelegenheit dem Geschäftsführer der Klägerin eröffnet, dass man wegen der Antrags- und Unterlagenflut mit dem Abstempeln nicht nachkomme und häufig mehrere Tage benötige, um auch nur den Posteingang eines Tages zu bewältigen und zu stempeln. Wohl auch aus diesem Grund sehe die Dienstanweisung der Beklagten vor, dass auch die Briefumschläge abzustempeln seien. Hier sei der Briefumschlag nicht aufgehoben worden. Es dürfe nicht ausgeschlossen werden, dass die Briefsendung entsprechend den zugrunde zu legenden üblichen Postlaufzeiten rechtzeitig eingegangen sei. Es könne auch nicht ausgeschlossen werden, dass trotz rechtzeitigem Posteingang am Freitag versäumt worden sei, den zutreffenden Stempel anzubringen oder dass bei der weiteren Bearbeitung des Posteingangs "falsche Posteingangsstempeldaten" verwendet worden seien.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 22. April 1999 sowie den Verfallbescheid der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung vom 6. Oktober 1995 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22. November 1995 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt unter Bezugnahme auf den seinerzeit geltenden § 2 der Dienstanweisung für den Post- und Botendienst (Stand: 8. März 1995) und auf die Fahrtenbuchauszüge ihrer Fahrzeuge mit dem amtlichen Kennzeichen F-1650 und F-1651 vor, sie habe am 15. September 1995 mit dem Fahrzeug F-1651 drei Fahrten, nämlich um 7.45 Uhr, 9.30 Uhr und 12.15 Uhr zur Postabholung durchgeführt. Eine weitere Fahrt sei um 14.00 Uhr mit dem Fahrzeug F-1650 erfolgt. Da die Filiale 18 letztmalig um 9.15 Uhr beliefert werde und die Verteilung der Briefsendungen grundsätzlich höchstens eine halbe Stunde in Anspruch nehme, sei die Verteilung um 10.00 Uhr abgeschlossen gewesen. Mithin habe die Beklagte alles getan, um auch die in seltenen Ausnahmefällen noch nach 10.00 Uhr in ihr Postfach eingehenden Postsendungen am streitgegenständlichen Tag abzuholen. Gerade an den Tagen, an denen eine Frist ablaufe, würden zusätzliche Fahrten zur Postfiliale unternommen. Direkt nach der Ankunft in der Dienststelle würden die Sendungen dann mit dem Tageseingangsstempel versehen. § 3 Abs. 3 der Dienstanweisung vom 8. März 1995 regele zudem, dass Umschlägen der Inhalt zu entnehmen und dieser jeweils mit dem Eingangsstempel des Tages zu versehen sei. Auch verbleibe der Umschlag bei den Unterlagen. Hier sei der Umschlag allerdings abhanden gekommen. Wo dies geschehen sei, etwa auf dem Weg in das Fachreferat, könne die Beklagte nicht angeben. Sollten einmal besonders umfangreiche Postsendungen, wie dies z.B. an Tagen endender Fristen der Fall sein könne, eintreffen, so würden diese gesondert aufbewahrt und behandelt. Sie würden gegebenenfalls nachträglich (z.B. an Montagen) mit dem Eingangsstempel des tatsächlichen Eingangstages versehen. An Stichtagen gingen einige hundert, teilweise einige tausend Einzeldokumente - oft viele in einem Brief - bei der Beklagten ein. Eine ausdrückliche Nachfrage hinsichtlich des Abschlusses der Postverteilung in der Filiale 18 am 15. September 1995 gegen 10.00 Uhr habe durch ihren Post- und Botendienst nicht stattgefunden. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts in Bezug auf die Frage einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und auf den Begriff der höheren Gewalt seien im Wesentlichen zutreffend. Die Klägerin habe beim Posteinwurf auf Grund des Schildes "in der Regel" wissen müssen, dass sie auf die rechtzeitige Ankunft nur bedingt habe vertrauen dürfen.

2 Hefter Prozessakten sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten (1 Heft) sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf diese Unterlagen sowie auf die im Verwaltungsstreitverfahren gewechselten Schriftsätze und den darüber hinausgehenden Inhalt der Prozessakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet, denn das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Verfallbescheid vom 6. Oktober 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. November 1995 ist rechtmäßig.

Die Klägerin hat nicht nachgewiesen, dass die Unterlagen rechtzeitig bei der Beklagten eingegangen sind. Die somit anzunehmende Fristversäumung beruht nicht auf höherer Gewalt. Wiedereinsetzung ist nicht zu gewähren, weil nationales Wiedereinsetzungsrecht nicht anwendbar ist.

Ermächtigungsgrundlage für den Kautionsverfall ist Art. 24 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2220/85 vom 22. Juli 1985 (ABl. Nr. L 205 vom 3. August 1985, S. 5 ff.) in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 1181/87 vom 29. April 1987 (ABl. Nr. L 113 vom 30. April 1987, S. 31 f.) mit gemeinsamen Durchführungsbestimmungen zur Regelung der Sicherheiten für landwirtschaftliche Erzeugnisse. Danach führt die Nichterfüllung einer oder mehrerer untergeordneter Pflichten zum Verfall von 15 % des betroffenen Teilbetrags der Sicherheit, sofern nicht höhere Gewalt die Erfüllung verhinderte.

Bedenken an der Wirksamkeit der Vorschrift bestehen nicht.

Die gemäß Art. 8 Abs. 4 a der Verordnung (EWG) Nr. 334/93 der Kommission vom 15. Februar 1993 (ABl. Nr. L 38 vom 16. Februar 1993, S. 12 ff.) in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1870/95 der Kommission vom 26. Juli 1995 (ABl. Nr. L 179 vom 29. Juli 1995, Seiten 40 ff.) i.V.m. § 15 e Satz 1 Nr. 1 der Verordnung über die Stützungsregelung für Erzeuger bestimmter landwirtschaftlicher Kulturpflanzen (Kulturpflanzen-Ausgleichszahlungs-Verordnung) in der Neufassung vom 1. Februar 1995 (BGBl. I S. 148 ff.), geändert durch die 8. Änderungsverordnung vom 4. Juli 1995 (BGBl. I S. 906) und die 9. Änderungsverordnung vom 3. August 1995 (BGBl. I S. 1017), dem Aufkäufer obliegende Pflicht, der Beklagten die Lieferung von Winterraps bis spätestens 15. September 1995 mitzuteilen, ist eine untergeordnete Pflicht im Sinne von Art. 20 Abs. 4 und Art. 24 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2220/85 in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 1181/87.

Nach Art. 20 Abs. 2 der genannten EWG-Verordnung ist eine Hauptpflicht eine Verpflichtung, eine Handlung vorzunehmen oder zu unterlassen, die für die Ziele der Verordnung, welche sie auferlegt, von grundsätzlicher Bedeutung ist. Nach Abs. 3 der Vorschrift ist eine Nebenpflicht eine Verpflichtung zur Einhaltung einer Frist für die Erfüllung einer Hauptpflicht. Nach Abs. 4 ist eine untergeordnete Pflicht jede andere in einer Verordnung vorgeschriebene Verpflichtung. In Art. 10 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 334/93 in der Fassung der Verordnung Nr. 1870/95 ist geregelt, dass die schwerpunktmäßige Verarbeitung der betreffenden Ausgangserzeugnisse zu den im Vertrag aufgeführten Enderzeugnissen eine Hauptverpflichtung im Sinne von Art. 20 der Verordnung (EWG) Nr. 2220/85 der Kommission ist. Von anderen Hauptverpflichtungen ist dort nicht die Rede. Um die schwerpunktmäßige Verarbeitung selbst geht es hier nicht, so dass es sich nicht um eine Hauptpflicht handelt. Auch eine Nebenpflicht im Sinne von Art. 20 Abs. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 2220/85 ist die Mitteilungspflicht nicht, denn eine Nebenpflicht ist - wie bereits ausgeführt - eine Verpflichtung zur Einhaltung einer Frist für die Erfüllung einer Hauptpflicht. Nach allem kann es sich bei der streitgegenständlichen Mitteilungspflicht nur um eine untergeordnete Pflicht im Sinne von Art. 20 Abs. 4 der Verordnung (EWG) Nr. 2220/85 handeln.

Somit kommt es hier darauf an, ob die Klägerin die Pflicht, der Beklagten die Lieferung von Winterraps bis spätestens 15. September 1995 mitzuteilen, erfüllt hat. Davon kann nicht ausgegangen werden. Zunächst ist festzuhalten, dass es insofern nicht genügte, die Anlage 4 des Formblattes "Mitteilungen des Aufkäufers über die Lieferung" bis spätestens 15. September 1995 in einen Postbriefkasten einzuwerfen. Vielmehr ergibt sich daraus, dass der Beklagten nach § 15 e Satz 1 Nr. 1 der Kulturpflanzen-Ausgleichszahlungs-Verordnung die Lieferung von Winterraps bis spätestens 15. September "mitzuteilen" ist, dass die Anlage 4 bis zu diesem Tag bei der Beklagten eingegangen sein musste. Dafür trägt die Klägerin die materielle Beweislast, da sie die Begünstigte der in Art. 8 Abs. 4 a der Verordnung (EWG) Nr. 334/93 in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1870/95 i.V.m. § 15 e Satz 1 Nr. 1 der Kulturpflanzen-Ausgleichszahlungs-Verordnung getroffenen Regelungen ist. Nur dann, wenn sie die dort geregelte Mitteilungspflicht erfüllt, wird die Bürgschaft zurückgegeben bzw. tritt ein Verfall der Bürgschaft - auch teilweise - nicht ein.

Der Klägerin ist es nicht gelungen nachzuweisen, dass die genannten Unterlagen bis spätestens 15. September 1995 bei der Beklagten eingegangen sind. Die Beklagte hat in ihrem Schriftsatz vom 17. Dezember 1999 nachvollziehbar ausgeführt, sie habe am 15. September 1995 mit ihrem Fahrzeug, amtliches Kennzeichen F-1651, drei Fahrten, nämlich um 7.45 Uhr, 9.30 Uhr und 12.15 Uhr zur Postabholung in die Filiale Frankfurt am Main 18 durchgeführt. Eine weitere Fahrt sei um 14.00 Uhr mit dem Fahrzeug amtliches Kennzeichen F-1650 erfolgt. Berücksichtigt man, dass die Postfiliale Frankfurt am Main 18 letztmalig um 9.15 Uhr mit Post beliefert wird und die anschließende Verteilung in der Regel eine halbe Stunde in Anspruch nimmt, so spricht dieser Umstand im Zusammenwirken mit den aufgezeigten Abholfahrten der Beklagten dafür, dass die gesamte in ihr Postfach eingehende Tagespost von ihr am 15. September 1995 abgeholt worden ist. Sicher ist dies allerdings nicht. Selbst dann, wenn man unterstellt, die gesamte am 15. September 1995 eingegangene Tagespost sei an diesem Tage aus dem Postfach genommen worden und zur Beklagten gelangt, ist nicht klar, ob die Briefsendung der Klägerin sich bei dieser Tagespost befunden hat.

Dagegen spricht der Umstand, dass die Unterlagen den Tageseingangsstempel vom 18. September 1995 aufweisen. Daraus ergibt sich aber umgekehrt ebenfalls nicht mit der nötigen Sicherheit, dass die Unterlagen erst am 18. September 1995 bei der Beklagten eingegangen sind. Zwar stellt der Eingangsstempel eine öffentliche Urkunde im Sinne des § 418 ZPO dar. Durch diese Urkunde werden die von der Behörde bezeugten Tatsachen sowie Zeit und Ort der Ausstellung bewiesen, soweit sie von der Behörde selbst wahrgenommen oder ihre eigenen Handlungen sind (vgl. Thomas-Putzo, Zivilprozessordnung, Kommentar, 20. Aufl., 1997, Rdnrn. 2 und 4 zu § 418). Unter Berücksichtigung dieser Anforderungen erscheint es dem Senat schon zweifelhaft, ob der Tageseingangsstempel bescheinigt, dass die Briefsendung am 18. September 1995 und nicht bereits am 15. September 1995 bei der Beklagten eingegangen ist. Denn wann die Briefsendung in das bei dem Postamt Frankfurt am Main 18 eingerichtete Postfach der Beklagten eingelegt worden ist - und darauf kommt es für den Zugang an -, ist keine von der Beklagten selbst wahrgenommene oder eigene Handlung. Im Übrigen hat die Beklagte zwar vorgetragen, sollten einmal besonders umfangreiche Postsendungen, wie dies z.B. an Tagen endender Fristen der Fall sein könne, eintreffen, so würden diese gesondert aufbewahrt und behandelt. Sie würden gegebenenfalls nachträglich (z.B. an Montagen) mit dem Eingangsstempel des tatsächlichen Eingangstages versehen. Berücksichtigt man jedoch, dass an den Stichtagen - ebenfalls nach dem Vortrag der Beklagten - einige hundert, teilweise einige tausend Einzeldokumente bei der Beklagten eingehen, so erscheint es dem Senat hier wenig greifbar, wie die Beklagte im Einzelnen sichergestellt hat, dass an den dem Tag des Eingangs folgenden Werktagen (z.B. an einem Montag) die an den vorhergehenden Werktagen eingegangenen Sachen den zutreffenden Stempelaufdruck erhalten und dass nicht der Stempelaufdruck des Tages verwendet wird, an dem gestempelt wird. Es ist daher unklar, wie die Beklagte zum Beispiel verhindert, dass der Stempel eines Montags auch auf diejenigen Sachen aufgebracht wird, die an einem Freitag eingegangen sind. In der von der Beklagten vorgelegten Dienstanweisung für den Post- und Botendienst (Stand: 8. März 1995) ist nicht geregelt, wie die Trennung der an verschiedenen Tagen eingegangenen Schriftstücke vorgenommen wird, sowie, dass nachzustempeln ist und wie dies im Einzelnen durchgeführt wird. Auch eine sonstige Dienstanweisung, die insoweit Klarheit schaffen würde, hat die Beklagte nicht vorgelegt. Darüber hinaus ist die von der Beklagten insoweit dargelegte Praxis nicht klar genug, um mit der nötigen Sicherheit daraus den Schluss zu ziehen, dass die streitgegenständlichen Unterlagen erst am 18. September 1995 bei der Beklagten eingegangen sind. Berücksichtigt man weiter, dass hier entgegen der von der Beklagten dargelegten Praxis der - ebenfalls mit einem Tageseingangsstempel zu versehende und aufzuhebende - Briefumschlag, der die Unterlagen der Klägerin enthielt, abhanden gekommen ist, so lässt sich den Eingangsstempeln auf den Unterlagen nicht mit der nötigen Sicherheit entnehmen, dass sie erst am 18. September 1995 bei der Beklagten eingegangen sind.

Dies bedeutet aber nicht, dass damit der rechtzeitige Eingang der Unterlagen bei der Beklagten feststünde. Denn für die Unterstellung der Klägerin, man müsse davon ausgehen, dass die Unterlagen am 15. September 1995 und damit rechtzeitig eingegangen seien, fehlt ebenfalls jeglicher Beweis. Nicht bewiesen ist insbesondere, dass die Unterlagen noch innerhalb der Frist bis zum 15. September 1995 in das Postfach der Beklagten bei dem Postamt Frankfurt am Main 18 gelangt und die Eingangsstempel falsch aufgetragen worden sind.

Somit hängt die Entscheidung davon ab, wer die materielle Beweislast trägt. Dies ist die Klägerin, wie oben bereits ausgeführt wurde.

Angesichts des Umstands, dass der Geschäftsführer der Klägerin es riskiert hat, die Unterlagen am Tag vor dem Fristablauf und nur zehn Minuten vor dem von der Deutschen Post AG angegebenen Zeitpunkt für eine regelmäßig am nächsten Werktag erfolgende Zustellung in den Briefkasten einzuwerfen, sind auch keine Gründe dafür ersichtlich, hier ausnahmsweise von einer Umkehr der Beweislast auszugehen, falls dies überhaupt rechtlich möglich sein sollte. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die genannten europarechtlichen Regelungen sehr strenge Anforderungen in Bezug auf die Einhaltung der materiellen Fristen stellen. Im Übrigen musste dem Geschäftsführer der Klägerin jedenfalls im September 1995 auch bewusst sein, dass man sich keinesfalls darauf verlassen konnte, dass in jedem Fall eine Briefsendung durch die Deutsche Post AG am Tage nach dem Einwurf in den Briefkasten bei dem Empfänger eingehen würde.

Die in Art. 24 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2220/85 in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 1181/87 geregelte Ausnahme, wonach die Nichterfüllung einer oder mehrerer untergeordneter Pflichten nicht zum Verfall von 15 % des betroffenen Teilbetrags der Sicherheit führt, sofern höhere Gewalt die Erfüllung verhindert hat, liegt hier nicht vor, wie unten näher ausgeführt wird.

Zunächst ist festzustellen, dass die Vorschrift auch hinsichtlich der für die Ausnahme genannten Voraussetzung anwendbar und nicht durch das bundesdeutsche Wiedereinsetzungsrecht des § 32 VwVfG verdrängt wird. Das Verwaltungsgericht hat in dem angefochtenen Urteil zu Recht die Auffassung vertreten, dass § 32 VwVfG hier ausgeschlossen ist, da dieser nationalen Norm die gemeinschaftsrechtliche Vorschrift, nach der eine Fristversäumnis nur im Falle der höheren Gewalt unschädlich ist, entgegenstehe und die gemeinschaftsrechtliche Vorschrift abschließend und ausreichend sei. Ausgangspunkt der Überlegungen waren dabei mehrere Urteile des Europäischen Gerichtshofs (vgl. EuGH, Urteil vom 21. September 1983, Rechtssache 205-215/82, NJW 1984, S. 2024 f.; Urteil vom 12. Mai 1998, Rechtssache C-366/95, EuZw 1998, S. 499 f.; Urteil vom 16. Juli 1998, Rechtssache 498/96, und andere). Nach diesen Entscheidungen müssen die nationalen Gerichte Rechtsstreitigkeiten in Ermangelung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften nach dem jeweiligen nationalen Recht entscheiden, jedoch vorbehaltlich der durch das Gemeinschaftsrecht gezogenen Grenzen. Danach dürfen die im nationalen Recht vorgesehenen Modalitäten nicht darauf hinauslaufen, dass die Verwirklichung der Gemeinschaftsregelung praktisch unmöglich oder jedenfalls übermäßig erschwert wird. Nach der zitierten Rechtsprechung steht außer Zweifel, dass im Konfliktfall sowohl primäres als auch sekundäres EG-Recht dem nationalen Recht vorgeht (vgl. auch EuGH, Urteil vom 15. Juli 1964, Rechtssache 6/64, NJW 1964, 2372).

Aus der zitierten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs folgt für den vorliegenden Fall, dass das nationale Wiedereinsetzungsrecht des § 32 VwVfG durch Art. 24 Abs. 1 der genannten EWG-Verordnung verdrängt wird. § 32 VwVfG gilt nicht nur für Verfahrensfristen, sondern auch für materiell-rechtliche Fristen (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl., 2000, Rdnr. 5 zu § 32). Um eine materiell-rechtliche Frist handelt es sich hier, denn infolge der Fristversäumung tritt keine verfahrensrechtliche Folge, sondern die materiell-rechtliche Folge des Kautionsverfalls ein. Die vorrangige Vorschrift des Art. 24 Abs. 1 der genannten EWG-Verordnung lässt bei Nichterfüllung einer untergeordneten Pflicht die Rechtsfolge des Kautionsverfalls jedoch nur unter den strengen Voraussetzungen des Vorliegens höherer Gewalt entfallen. Hielte man gleichwohl § 32 VwVfG für anwendbar, so käme es auf die erheblich weniger strenge Voraussetzung an, dass jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten (§ 32 Abs. 1 Satz 1 VwVfG). Auch dann, wenn zwar kein Fall höherer Gewalt vorläge, der Wirtschaftsteilnehmer die Fristversäumnis aber nicht verschuldet hätte, träten die Rechtsfolgen des Kautionsverfalls nicht ein. Das heißt, durch die Anwendung des nationalen Wiedereinsetzungsrechts der Bundesrepublik würde faktisch die in Art. 24 Abs. 1 der genannten EWG-Verordnung geregelte einzige Ausnahmevoraussetzung ("höhere Gewalt ...") unterlaufen bzw. obsolet gemacht. Darauf, ob die Nichterfüllung der betreffenden untergeordneten Pflicht durch höhere Gewalt verhindert worden ist, käme es nicht mehr an. Dies würde dem aufgezeigten Vorrang der gemeinschaftsrechtlichen Regelung widersprechen.

Auf die Frage des Vorrangs von Art. 24 Abs. 1 der EWG-Verordnung Nr. 2220/85 in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 1181/87 kommt es hier an, denn die Fristversäumnis beruhte nicht auf höherer Gewalt. Wäre § 32 VwVfG anwendbar, dann müsste hier Wiedereinsetzung gemäß § 32 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 VwVfG gewährt werden, denn nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dürfen dem Bürger im Rahmen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Verzögerungen der Briefbeförderung und Briefzustellung durch die Deutsche Bundespost nicht als Verschulden zugerechnet werden (vgl. z.B. BVerfGE 44, 302 oder BVerfGE 50, 1 ff.). Das Bundesverfassungsgericht hat insbesondere entschieden, in der Verantwortung des Absenders liege es nur, das zu befördernde Schriftstück so rechtzeitig zur Post zu geben, dass es nach deren organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen bei regelmäßigem Betriebsablauf den Empfänger fristgerecht erreiche. In diesem vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall sollten nach einem Aushang über die Postlaufzeiten beim Postamt Schwabach in der Regel Briefe und Postkarten die Zustellung am nächsten Werktag in Nürnberg erreichen, wenn sie bis 23.00 Uhr in den Briefkasten beim Postamt Schwabach 1 eingeworfen würden (BVerfGE 32, 334 ff.; vgl. auch BVerfG, 11. Januar 1991 - 1 BvR 1435/89 -, NJW 1992, 38; Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl., 2000, Rdnr. 17 zu § 60 m.w.N.).

Die Fristversäumnis ist im vorliegenden Fall nicht durch höhere Gewalt verursacht worden. Unter höherer Gewalt sind ungewöhnliche und unvorhersehbare Ereignisse zu verstehen, auf die der betroffene Wirtschaftsteilnehmer keinen Einfluss hat und deren Folgen trotz Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht hätten vermieden werden können (vgl. EuGH, Urteil vom 18. März 1993 - Rechtssache C 50/92 -, EUZW 1993, 447 f.). Ein außergewöhnliches und unvorhersehbares Ereignis, auf das der betroffene Wirtschaftsteilnehmer keinen Einfluss hat, liegt dann vor, wenn der Wirtschaftsteilnehmer keine Möglichkeit hat, auf die Vornahme dieser Handlung einzuwirken. Solches wurde z.B. angenommen in Fällen, in denen der Wirtschaftsteilnehmer im Rahmen einer Regelung über die Verwaltung der Agrarmärkte durch das Verhalten einer Verwaltung, deren Dienste er zwangsläufig in Anspruch nehmen musste, daran gehindert war, seinen Verpflichtungen aus der Gemeinschaftsregelung nachzukommen (vgl. EuGH, Urteil vom 18. März 1993, a.a.O., S. 448) oder bei unvorhersehbaren meteorologischen Ereignissen (vgl. Grabitz/Hilf, Kommentar zur Europäischen Union, Art. 43 EGV, Rdnr. 31). Derartige Konstellationen liegen hier jedoch nicht vor. Neben den oben aufgeführten objektiven Elementen enthält der Begriff der höheren Gewalt noch zusätzlich ein subjektives Element. Danach muss der Wirtschaftsteilnehmer alles in seiner Macht Stehende getan haben, insbesondere alle Sorgfaltspflichten erfüllt haben, um den Eintritt des schädigenden Ereignisses zu verhindern.

Auch dieses Element hat die Klägerin nicht erfüllt. Unter Berücksichtigung der genannten Anforderungen hätte der Geschäftsführer der Klägerin auf Grund des Zusatzes auf dem Hinweisschild im Postamt Ulm, wonach "in der Regel" am nächsten Tag zugestellt werde, nicht darauf vertrauen dürfen, dass die Sendung in jedem Fall am nächsten Tag bei der Beklagten eingehen werde. Um einen fristgerechten Eingang sicherzustellen, war es ihm möglich und zumutbar, den Brief entweder noch am selben oder am nächsten Tag zu der Beklagten zu fahren oder aber die Postsendung so rechtzeitig einzuliefern, dass mit Sicherheit ein rechtzeitiger Zugang gewährleistet gewesen wäre. Insofern wird deutlich, dass die Anforderungen an das Vorliegen des Ausnahmefalls der höheren Gewalt deutlich höhere sind als diejenigen einer Wiedereinsetzung nach § 32 VwVfG.

Nach allem ist die Berufung mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Ende der Entscheidung

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