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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 01.03.2006
Aktenzeichen: 8 UE 3766/04.A
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 60 Abs. 1
Eine nicht aus der Hauptstadt Kabul stammende, unverheiratete und alleinstehende Mutter zweier nichtehelicher Kinder verschiedener Väter muss nach einem fast sechsjährigen Aufenthalt im wesentlichen Ausland bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine landesweite, an ihr Geschlecht anknüpfende und wegen "unislamischen Verhaltens" konkret auf ihre Person zielende leibes-, lebens- und/oder freiheitsbedrohende Verfolgung befürchten.
HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

8 UE 3766/04.A

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Asylrechts/Afghanistan/Flüchtlingsanerkennung nach § 60 Abs. 1 AufenthG

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof -8. Senat - durch Richter am Hess. VGH Jeuthe als Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung am 1. März 2006 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 25. Februar 2004 - 5 E 7021/03.A (3) - wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass die Sachentscheidung des Tenors wie folgt neu gefasst wird:

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wird unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 20. November 2003 (Az.: 2 619 657-423) verpflichtet festzustellen, dass hinsichtlich der Klägerin in Bezug auf Afghanistan die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes gegeben sind.

Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten hat die in zweiter Instanz entstandenen Kosten zu tragen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil des wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die am 10. August 1983 in Jalalabad/Provinz Nangarhar geborene Klägerin ist afghanischer Staatsangehörigkeit und paschtunischer Volkszugehörigkeit.

Sie war ihren eigenen Angaben nach am 17. April 2000 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und hatte am 20. April 2000 ihre Anerkennung als Asylberechtigte beantragt.

Bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge; im Folgenden: Bundesamt) hatte die Klägerin am 29. Mai 2000 u. a. angegeben:

Ihr Vater sei Dozent an der Universität in Jalalabad gewesen und habe auch während der Zeit der Taliban dafür gekämpft, dass die jungen Leute, und zwar auch die Frauen, die Schule besuchen und an der Universität studieren konnten. Er sei dabei aufgefallen und verraten worden. Deshalb seien eines Abends die Taliban zu ihnen nach Hause gekommen und hätten ihren Vater mitgenommen; sie habe sich in dieser Zeit bei Nachbarn versteckt. Kurze Zeit später, etwa zwanzig Tage vor ihrer Ausreise nach Deutschland, hätte ihre Familie erfahren, dass ihr Vater von den Taliban umgebracht worden sei.

Die Taliban hätten sie zudem mit einem 50-jährigen Mann verheiraten wollen. Die Frauen hätten in Afghanistan keine Rechte, dürften weder Schulen noch Universität besuchen und führten kein menschenwürdiges Leben.

Sie sei aus diesen Gründen und deshalb, weil sie ohne ihren von den Taliban getöteten Vater dort keine Lebenschance mehr gehabt habe, aus Afghanistan nach Deutschland geflohen, wo drei Cousins von ihr lebten.

Mit Bescheid vom 21. Juni 2000 hatte das Bundesamt den Asylantrag der Klägerin abgelehnt, die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes (AuslG) verneint, Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG hinsichtlich Afghanistans festgestellt und Abschiebungshindernisse im Übrigen nach § 53 AuslG abgelehnt.

Ihr drohe in Afghanistan nicht die Gefahr politischer Verfolgung, weil sich das Land noch im Bürgerkrieg befinde und die Taliban immer noch keine quasi-staatliche Herrschaftsmacht darstellten, so dass auch Abschiebungshindernisse gemäß § 53 Abs. 4 AuslG nicht angenommen werden könnten. Die Klägerin könne sich zwar zur Begründung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG weder auf ihren Auslandsaufenthalt und die Asylantragstellung, noch auf die Bürgerkriegsgefahren und die allgemein schlechte Wirtschafts- und Versorgungslage in Afghanistan berufen, ihr könne aber als alleinstehender Frau eine Rückkehr nach Afghanistan nicht zugemutet werden, weil ihre Familie ebenfalls ausgereist sei und sie deren Aufenthaltsort nicht kenne.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 17. November 2000 stellte die Klägerin dann unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10. August 2000 einen Asylfolgeantrag, weil dadurch eine erhebliche Änderung der Sach- und Rechtslage dahin eingetreten sei, dass nunmehr die Machthaber in Afghanistan als zu politischer Verfolgung befähigte quasi-staatliche Macht anerkannt werden könnten. Nach der Verhaftung und Ermordung ihres Vaters durch die Taliban müsse sie wegen der dort praktizierten Sippenhaft um ihr Leben fürchten, zumal die Menschenrechtssituation gerade alleinstehender junger Frauen in Afghanistan bedrohlich sei.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 27. November 2000 teilte sie ergänzend mit, dass sie im neunten Monat schwanger sei; am 14. Dezember 2000 wurde ihre Tochter Hielay in A-Stadt, dem Wohnort der Klägerin und ihres Cousins, geboren.

Bei ihrer erneuten Anhörung vor dem Bundesamt gab die Klägerin am 21. September 2001 u. a. an:

Sie sei zwar schon bei ihrer Einreise nach Deutschland schwanger gewesen, habe aber aus Angst niemandem etwas davon gesagt. Sie sei von einem Freund aus der Nachbarschaft in Afghanistan schwanger gewesen. Wenn das dort bekannt geworden wäre, hätte man sie auf jeden Fall getötet; außerdem habe sie noch einen 50-jährigen Mann heiraten sollen. Auch ihre Familie habe aus Angst Afghanistan verlassen und sei nach Pakistan geflüchtet. Ihr Freund habe nicht gewusst, dass sie schwanger gewesen sei und Afghanistan verlassen habe; sie habe sehr viel Angst gehabt und deshalb niemanden in die Sache einweihen wollen. Im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan befürchte sie von den Taliban gesteinigt oder aufgehängt zu werden, was nach islamischem Recht eine ganz normale Bestrafung sei.

Sie könne auch in ihrer derzeitigen Situation mit dem Kind nicht damit rechnen, hier in Deutschland von einem ihrer Landsleute geheiratet zu werden.

Mit Bescheid vom 20. November 2003 lehnte das Bundesamt die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens und die Abänderung des Bescheides vom 21. Juni 2000 zu § 53 AuslG ab und führte zur Begründung u. a. aus:

Es liege keine Änderung der Sach- bzw. Rechtslage zu Gunsten der Klägerin vor, weil sich die Lage in Afghanistan zwischenzeitlich grundlegend geändert habe. Nach dem Sturz der Taliban im November 2001 sei eine neue Regierung unter dem Staatspräsidenten Hamid Karsai eingesetzt worden. Die Sicherheitslage in Afghanistan sei zwar weiterhin angespannt. Aus ihrer paschtunischen Volkszugehörigkeit folge für die Klägerin aber noch nicht die Gefahr einer landesweiten Verfolgung. Ihr drohe auch keine generelle landesweite Verfolgung wegen ihres Geschlechts, da sie zumindest im Raum Kabul davor hinreichend sicher sei, wenn sie sich an den in der außerordentlich patriarchalisch geprägten Gesellschaft Afghanistans geltenden Moralkodex und die allgemein geltenden Bekleidungsvorschriften für Frauen halte.

Die Voraussetzungen für ein Wideraufgreifen zu § 53 AuslG seien nicht gegeben, weil die Befürchtung der Klägerin, bei einer Rückkehr nach Afghanistan von den Taliban verfolgt zu werden, nach der Zerschlagung ihrer Herrschaft unbegründet sei.

Die Klägerin hat am 2. Dezember 2003 beim Verwaltungsgericht Frankfurt am Main Asylklage erhoben und ergänzend u. a. vorgetragen:

Wenn sie nach Afghanistan zurückkehren müsste, wäre ihr Leben in großer Gefahr. Sie sei dort bereits Opfer einer Vergewaltigung geworden und habe als Mutter eines nichtehelichen Kindes jeden Rechtsanspruch verloren. Bei einer Rückkehr würde sie einer Zwangsheirat zugeführt, denn sie könne nur in einem neuen Familienverbund überleben. Zudem sei sie hier in Deutschland zum zweiten Male Mutter geworden, und zwar nach der in Kopie beigefügten Geburtsurkunde am 24. September 2002 ihres Sohnes Schapoor, dessen Vater nach der ebenfalls in Kopie beigefügten Vaterschaftsanerkennung vom 12. November 2002 ihr Cousin und Vormund Shafiqullah A. ist, bei dem sie in A-Stadt wohnt. Dieser sei zwar noch verheiratet, lebe jedoch von seiner Ehefrau getrennt. Dass sie nunmehr Mutter zweier unehelicher Kinder von verschiedenen Vätern sei, würde in Afghanistan nicht akzeptiert und sei dort strafbar. Sie müsste mit der Todesstrafe rechnen, weil sie sich dadurch nicht im Einklang mit dem Islam befinde und damit eine Ungläubige sei. Als alleinstehende Frau habe sie keinerlei Fluchtalternative. Ungläubige seien in ganz Afghanistan staatlicher bzw. quasi-staatlicher Verfolgung ausgesetzt.

Im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung vor dem Verwaltungsgericht hat die Klägerin am 19. Februar 2004 noch u. a. angegeben, der Vater ihres ersten Kindes sei ein junger Mann aus der Nachbarschaft, der sie quasi vergewaltigt habe und wohl zu einer Taliban-Familie gehöre. Ihre Schwangerschaft sei ihr bei der ersten Asylanhörung im Mai 2000 noch nicht bekannt gewesen, sondern erst im Sommer des Jahres festgestellt worden, nachdem sie wegen ständig auftretender Übelkeit zum Arzt gegangen sei. Ihr Vater sei von den Taliban getötet und ihr sei eine Zwangsheirat mit einem Regionalkommandanten der Taliban in Nangarhar angedroht worden, weshalb sie Afghanistan verlassen habe. Seit ihrer Ausreise habe sie keinen Kontakt mehr zu ihrer Familie und wisse nicht, wo diese sich befinde. Wenn sie nach Afghanistan zurückkehren müsse, befürchte sie, wieder von dem Vater ihrer Tochter bedroht unter u. U. auch vergewaltigt zu werden.

Die Klägerin hat beantragt,

das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 20. November 2003 zu verpflichten, sie als Asylberechtigte anzuerkennen bzw. festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen,

hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungshindernisse gemäß § 53 AuslG vorliegen.

Das beklagte Bundesamt hat schriftsätzlich Klageabweisung beantragt.

Mit Urteil vom 25. Februar 2004 - 5 E 7021/03.A (3) - (vgl. InfAuslR 2004 S. 458 ff., juris [LS]) hat das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main die Beklagte unter Klageabweisung im Übrigen zur Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG für die Klägerin hinsichtlich Afghanistan verpflichtet und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:

Die Voraussetzungen für die Durchführung eines Asylfolgeverfahrens seien gegeben, weil sich mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10. August 2000 zur Möglichkeit einer staatlichen bzw. quasi-staatlichen Verfolgung durch die Taliban in Afghanistan die Rechtslage zu Gunsten der Klägerin in entscheidungserheblicher Weise geändert habe und die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 51 Abs. 1 AuslG auf Grund einer damals zu befürchtenden politischen Verfolgung durch die Taliban gegeben gewesen seien; auch der damalige Hinweis auf die Schwangerschaft der ledigen Klägerin sei geeignet gewesen, die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens zu rechtfertigen.

Nach der gemäß § 77 AsylVfG entscheidungserheblichen gegenwärtigen Situation müsse die Klägerin zwar nicht mehr mit einer landesweiten asylerheblichen politischen Verfolgung durch die Taliban rechnen, sie müsse im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aber befürchten, als alleinstehende Frau mit nichtehelichen Kindern der Gefahr einer geschlechtsspezifischen Verfolgung ausgesetzt zu sein. Nach den vorliegenden Erkenntnisquellen seien trotz einer im November 2002 erfolgten Begnadigung von zwanzig Frauen nach wie vor viele Frauen weiterhin wegen so genannter Sexualdelikte inhaftiert, weil sie sich beispielsweise einer Zwangsheirat durch Flucht zu entziehen versucht hätten, vor einem gewalttätigen Ehemann geflohen seien oder ihnen vorgeworfen werde, ein uneheliches Kind geboren zu haben. Auch nach der Entmachtung der Taliban und der formalen Aufhebung von ihnen erlassener Verbote habe sich die Situation von Frauen wegen der konservativen Traditionen in vielen Teilen Afghanistans nicht signifikant verbessert. Frauen ohne wirksame männliche Unterstützung und/oder Beistand der Gemeinschaft und Frauen, die soziale Normen verletzten oder von denen dies angenommen werde, seien in einer besonderen Gefährdungssituation und Diskriminierungen sowie konservativen kulturellen Bräuchen ausgesetzt, die bisweilen zu Gewalttaten und sogar Tötungen führten.

Eine unmittelbare staatliche Verfolgung durch die Behörden der Regierung Karsai könne zwar nicht mit der erforderlichen Gewissheit angenommen werden, es sei aber davon auszugehen, dass diese jedenfalls derzeit nicht in der Lage sei, der Klägerin vor entsprechenden auf ihr Geschlecht zielenden Übergriffen durch dritte Personen, gegebenenfalls auch durch Amtswalter, hinreichend Schutz zu gewähren.

Die konkrete Gefährdungslage der Klägerin ergebe sich daraus, dass sie zum einen als alleinstehende Frau und Mutter zweier nichtehelicher Kinder dem Vorwurf eines Verstoßes gegen die islamischen Sitten- und Moralvorstellungen und gegebenenfalls auch einer entsprechenden Bestrafung ausgesetzt wäre und dass sie zum anderen nicht darauf verwiesen werden könnte, familiären Schutz in Anspruch zu nehmen, denn nach ihren überzeugenden und glaubhaften Darlegungen habe sich ihre Verwandtschaft insgesamt nach Pakistan begeben. Sie könne auch nicht darauf verwiesen werden, mit ihrem in Deutschland lebenden afghanischen Lebensgefährten und Vater ihres zweiten nichtehelichen Kindes gemeinsam nach Afghanistan zurückzukehren, weil allein die Vaterschaftsanerkennung für diesen keine dahingehende rechtliche Verpflichtung begründe. Die Klägerin wäre deshalb in Afghanistan ohne die erforderliche verwandtschaftliche Unterstützung und damit ohne jedwede Existenzmöglichkeit und müsste als alleinstehende Frau mit zwei nichtehelichen Kindern ständig mit auf ihr Geschlecht bezogenen tätlichen Übergriffen rechnen. Sie könne schließlich auch nicht auf die Hauptstadt Kabul als inländische Fluchtalternative verwiesen werden, denn auch dort seien sie und ihre Kinder - trotz der etwas stabileren Sicherheitslage - einer konkreten Leib- und Lebensgefährdung ausgesetzt, zumal sie aus Jalalabad stamme und keine Beziehung zu Kabul habe.

Einer Asylanerkennung der Klägerin gemäß Art. 16 a Abs. 1 GG stehe aber die Drittstaatenregelung entgegen, weil sie nicht nachgewiesen habe, auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist zu sein.

Auf den Antrag des beteiligten Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten (im Folgenden: Bundesbeauftragter) hat der Senat durch den Berichterstatter mit Beschluss vom 17. Dezember 2004 - 8 UZ 2341/04.A - die Berufung gegen den stattgebenden Teil des verwaltungsgerichtlichen Urteils vom 25. Februar 2004 wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage zugelassen, ob in Afghanistan zumindest in Teilbereichen, insbesondere im Machtbereich der Regierung Karsai, nach dem Sturz der Taliban bereits wieder effektive, der Verfolgung mächtige Staatsgewalt bestehe.

Nach der Zustellung des Zulassungsbeschlusses am 22. Dezember 2004 hat der Bundesbeauftragte die Berufung mit am 29. Dezember 2004 eingegangenem Schriftsatz vom 27. Dezember 2004 begründet und schriftsätzlich - sinngemäß - beantragt,

die Klage unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 25. Februar 2004 - 5 E 7021/03.A (3) - in vollem Umfang abzuweisen.

Nachdem der Berichterstatter des Senats mit gerichtlicher Verfügung vom 13. Dezember 2005 darauf hingewiesen hatte, dass der Senat bereits mit Urteilen vom 10. Februar 2005 das Bestehen verfolgungsmächtiger staatlicher bzw. quasi-staatlicher Herrschaftsmacht in Afghanistan bejaht hat, und weitere Erkenntnismittel zur Situation alleinstehender Frauen in Afghanistan in das Verfahren eingeführt hatte, hat die Klägerin mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 27. Dezember 2005 noch mitgeteilt, dass sie ihren Lebenspartner zwischenzeitlich nicht geheiratet habe und er im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis sei. Ihm sei eine Rückkehr mit der Klägerin und ihren Kindern nach Afghanistan nicht zumutbar, weil auch er dort keine familiären Bindungen mehr besitze.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der vorliegenden und der das Verfahren der Tochter betreffenden Streitakte des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main - 5 E 7010/03.A (3) - sowie die jeweils beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Berichterstatter entscheidet im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 87 a Abs. 2 und 3 VwGO anstelle des Senats und gemäß § 101 Abs.2 VwGO ohne mündliche Verhandlung.

Die zugelassene Berufung des Bundesbeauftragten ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere gemäß § 124 a Abs. 6 und Abs. 3 Sätze 3 bis 5 VwGO form- und fristgerecht begründet worden.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet, denn die Voraussetzungen für eine Flüchtlingsanerkennung der Klägerin hinsichtlich Afghanistan sind in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht gegeben.

Der Tenor des angefochtenen verwaltungsgerichtlichen Urteils ist allerdings im Hinblick darauf, dass gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der vorliegenden gerichtlichen Entscheidung abzustellen ist, der geänderten Rechtslage dadurch anzupassen, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge verpflichtet wird, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 des am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Aufenthaltsgesetzes vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950) - AufenthG - festzustellen. Diese Vorschrift hat die vom Verwaltungsgericht noch zu Recht angewandte Vorschrift des § 51 Abs. 1 AuslG ersetzt.

Es kann vorliegend offen bleiben, ob das Vorbringen der Klägerin hinreichende Anhaltspunkte dafür bietet, dass sie Afghanistan im April 2000 wegen der Ermordung ihres Vaters und der dort weitgehend praktizierten Sippenhaft, wegen der Vergewaltigung durch einen - möglicherweise der Taliban zuzurechnenden - Nachbarn oder wegen der drohenden Zwangsheirat mit einem Taliban-Regionalkommandanten als politisch Verfolgte verlassen hat, ebenso wie die - wohl zu bejahende - Frage, ob eine in erster Linie an ihre Geschlechtszugehörigkeit anknüpfende Vorverfolgung durch die radikal-islamische Taliban eine so hinreichende Verknüpfung mit einer für die Zukunft befürchteten, auf der traditionellen, fundamentalistisch-islamischen Einstellung eines Großteils der Bevölkerung und der derzeitigen Machthaber in Afghanistan beruhenden geschlechtsspezifischen Verfolgung aufweisen würde, dass unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten der herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab anzuwenden wäre (vgl. dazu BVerwG, Urteile vom 27. April 1982 - 9 C 308/81 - BverwGE 65 S. 250 [S. 251f.] = juris einerseits und vom 24. Juli 1990 - 9 C 78/89 - BverwGE 85 S. 266 ff. = juris andererseits).

Denn jedenfalls ist im Falle der Klägerin auch unter Zugrundelegung des gewöhnlichen Prognosemaßstabs der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (erstmaliger) politischer Verfolgung im Falle der Rückkehr in das Heimatland davon auszugehen, dass sie dort einer konkret auf ihre Person zielenden geschlechtsspezifischen Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG wegen ihres "unislamischen Verhaltens" ausgesetzt wäre, durch die ihr Leben, ihre körperliche Unversehrtheit oder ihre Freiheit bedroht wäre.

Eine die Flüchtlingsanerkennung rechtfertigende Verfolgung kann nach Satz 4 dieser Vorschrift nämlich nicht nur vom Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen, sondern nunmehr auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, wenn die vorher genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine inländische Fluchtalternative (vgl. dazu auch BVerwG, Urteil vom 1. November 2005 - 1 C 21/04 - juris, Rdnr. 26). Auf die vom Senat in seinem inzwischen rechtskräftigen Grundsatzurteil vom 10. Februar 2005 getroffene Einschätzung, wonach die derzeit in Afghanistan bestehenden Machtverhältnisse trotz eines fehlenden landesweiten Gewaltmonopols der Zentralregierung Karsais und trotz der nach wie vor weitgehend unzureichenden Sicherheits- und Versorgungslage die Annahme verfolgungsmächtiger zentralstaatlicher bzw. regionaler quasi-staatlicher Herrschaftsstrukturen rechtfertigen (vgl. Hess. VGH, Urteil vom 10. Februar 2005 - 8 UE 185/02.A - EZAR-NF 067 Nr. 1 =juris, Rdnrn. 83 ff.), kommt es danach zwar nicht mehr entscheidend an. Für die im Rahmen des § 60 Abs. 1 AufenthG anzustellende Gefahrprognose bleibt aber dennoch zu berücksichtigen, dass diese weitgehend von den früheren Mudschaheddin-Führern dominierten Herrschaftsstrukturen nach wie vor streng islamisch bis fundamentalistisch geprägt sind.

Die Klägerin wäre im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan nach ihren vom Verwaltungsgericht als überzeugend und glaubhaft bewerteten Darlegungen, an denen zu zweifeln auch der Berichterstatter des Senats keinen Anlass sieht, ohne den Schutz ihrer Familienangehörigen. Sie kann auch nicht auf Schutz und Begleitung ihres hier aufhältlichen afghanischen Lebenspartners, nämlich ihres Cousins und Vaters ihres zweiten Kindes, verwiesen werden, denn dieser ist mit ihr nach wie vor nicht verheiratet und besaß schon bei der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 19. Februar 2004 eine damals bis zum 8. Juli 2005 gültige Aufenthaltserlaubnis, in deren Besitz er sich nach dem Schriftsatz der Bevollmächtigten der Klägerin vom 27. Dezember 2005 - offensichtlich nach ihrer Verlängerung - auch heute noch befindet. Da er nach diesem Schriftsatz des weiteren mangels eigener familiärer Bindungen in Afghanistan eine gemeinsame Rückkehr mit der Klägerin und deren Kindern für nicht zumutbar hält, kann eine solche bei einer möglichst realitätsnahen Beurteilung der Rückkehrsituation der Klägerin auch nicht unterstellt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. September 1999 - 9 C 12/99 - BVerwGE 109 S. 305 ff. = juris, Rdnrn. 10 f.).

Die danach als unverheiratete alleinstehende junge Mutter mit zwei nichtehelichen Kindern verschiedener Väter nach einem fast sechsjährigen Aufenthalt im westlichen Ausland nach Afghanistan zurückkehrende Klägerin müsste dort, und zwar auch im Raum Kabul, nicht nur nach den vom Verwaltungsgericht herangezogenen, sondern auch nach den vom Berichterstatter des Senats in seiner gerichtlichen Verfügung vom 13. Dezember 2005 benannten neueren Erkenntnismitteln mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine wegen ihres "unislamischen Verhaltens" konkret auf ihre Person bezogene geschlechtsspezifische Verfolgung befürchten.

Aus diesen neueren Erkenntnissen ergibt sich - über die überzeugenden und zur Vermeidung von Wiederholungen hier in Bezug genommenen Ausführungen des Verwaltungsgerichts hinaus - zur Situation von alleinstehenden und dem dort herrschenden Moralkodex nicht entsprechenden Frauen in Afghanistan nämlich im Wesentlichen Folgendes:

Nach dem im Juni 2005 vom Informationsverbund Asyl e.V. und der Stiftung Pro Asyl herausgegebenen Bericht "Rückkehr nach Afghanistan" von Arendt-Rojahn, Buchberger, El-Mogaddedi, Freckmann, Pfaff über eine dort im März/April 2005 durchgeführte Untersuchung (vgl. S. 9 bis 12 unter Nr. C. I.) hätten unbegleitet nach Afghanistan zurückkehrende alleinstehende Frauen in dieser weitestgehend von den strengen traditionellen sozialen und kulturellen Normen geprägten, außerordentlich archaisch- patriarchalischen Gesellschaft, in der Frauen kaum Rechte zugebilligt würden, ohne familiäre Unterstützung keine Lebensperspektive und begingen oft Selbstmord, wie unlängst in einem Fall in der westlichen Stadt Herat; in dieser sei unter dem ehemaligen Gouverneur Ismael Khan, der inzwischen Minister in der Übergangsregierung Karsai sei, noch Sittenpolizei in den Straßen patrouilliert und habe sich für alle Einzelheiten des Geschlechtslebens insbesondere der Frauen interessiert und etwa zwangsweise Jungfräulichkeitstests veranlasst. Hier befinde sich auch eine Gruppe von etwa 18 jungen Afghaninnen in einer hoffnungslosen Situation, die jeweils ohne ihre Familien, also alleinstehend aus dem Iran zurückgeführt worden seien. Frauen, die sich allein, d. h. ohne männliche Begleitung oder nicht in Gruppen, in die afghanische Öffentlichkeit wagten, müssten befürchten, selbst am helligten Tage Opfer einer Entführung oder Vergewaltigung zu werden. Der afghanische Verhaltenskodex verlange von den Frauen grundsätzlich den Verzicht auf Eigenständigkeit und auf ein Leben außerhalb und unabhängig von dem - männlich bestimmten - Willen der Familie. Eine geschiedene Frau, die nicht in den familiären Schutz zurückkehren könne, werde allgemein als unsittliche Person betrachtet und müsse als Freiwild für ihre Umgebung befürchten, vergewaltigt und verschleppt zu werden; ihr bleibe als Überlebenschance mitunter nur das Betteln oder die Prostitution, die allerdings streng verboten sei und das Risiko strafrechtlicher Verfolgung nach sich ziehe. Vor allem auch ehemalige Kriegsfürsten und Kommandanten und ihre Gefolgsleute hielten sich - teilweise sogar mit erzwungener Unterstützung durch deren Familien - an den Frauen durch Entführung oder Zwangsheirat schadlos. So soll gerade auch der in der östlichen Provinz Nangarhar, der Heimatprovinz der Klägerin, herrschende Kriegsherr Hazrat Ali als einer der größten Menschenrechtsverletzer im Osten Afghanistans seine Offiziere und Soldaten rauben, stehlen und eben auch Frauen entführen und vergewaltigen lassen.

Einer von einem solchen Schicksal betroffenen Frau sei es nur selten möglich, staatlichen Schutz in Anspruch zu nehmen, weil ein entsprechendes Schutzsystem noch nicht aufgebaut sei und es im Gegenteil häufig vorkomme, dass "unislamisches Verhalten" von Frauen mit Hilfe der in erster Linie in der afghanischen Tradition verhafteten und oft von örtlichen Geistlichen ausgeübten Justiz strafrechtlich sanktioniert werde. Bei einem Besuch in einem Untersuchungsgefängnis für Frauen in Kabul habe die Delegation festgestellt, dass - wie auch in anderen Gefängnissen von Kabul, Herat, Mazar-e-Sharif und Jalalabad, dem Geburtsort der Klägerin - die absolute Mehrheit der befragten Frauen wegen des Verdachts sog. Unzuchtsdelikte, wie Kontakt zum anderen Geschlecht, Weglaufen vom Ehemann, der Weigerung, einen von der Familie bestimmten Mann zu heiraten, oder Kuppelei, inhaftiert gewesen sei. Eine Frau, die ihren Ehemann verlasse, laufe Gefahr, wegen Unsittlichkeit mit fünf Jahren Haft bestraft zu werden. Eine Chance auf Freispruch oder Freilassung sei gering und bestehe vor allem nur dann, wenn die Familie wieder zur Aufnahme bereit sei; andernfalls habe eine haftentlassene Frau in der afghanischen Gesellschaft in der Regel keine Überlebenschance. Die wenigen Frauenhäuser in Kabul oder Herat würden in konservativen Kreisen als Hurenhäuser gelten.

Im April 2005 habe die internationale Presse zudem von einem Fall der Steinigung einer Frau in der nordöstlichen Provinz Badakhshan wegen Ehebruchs berichtet, der von der afghanischen Menschenrechtskommission untersucht worden sei. Nach deren Erkenntnissen sei die Frau nach Verurteilung durch lokale Geistliche - wie in anderen ähnlichen Fällen von Ehrentötungen auch, die in ganz Afghanistan vorkämen - von Familienmitgliedern erschlagen worden.

Diese Einschätzung, die eine auf die Klägerin zielende drohende Leib-, Lebens- und/oder Freiheitsgefährdung für den Fall ihrer Rückkehr nach Afghanistan nahezu unausweichbar erscheinen lässt, weil sie als alleinstehende unverheiratete Mutter zweier nichtehelicher Kinder massiv gegen die streng traditionell-islamischen Vorstellungen der afghanischen Gesellschaft verstoßen hat, wird weiter durch Veröffentlichungen im ai-Info/Pressespiegel Afghanistan vom 1. Juli 2005 bestätigt.

Dort wird auf Seite 9 unter dem 25. April 2005 über den bereits erwähnten Vorfall in der Provinz Badakhshan berichtet, bei dem eine 29-jährige afghanische Frau wegen eines von ihrem Ehemann behaupteten Ehebruchs nach einem Urteilsspruch des örtlichen Geistlichen unter Beteiligung ihres Ehemannes und von Behördenvertretern von den Dorfbewohnern gesteinigt worden sei; dies sei der zweite entsprechende Vorfall in dieser Provinz seit 2001 gewesen, der zeige, dass die herrschenden gesellschaftlichen Einstellungen eine solche barbarische "Rechtsprechung" zuließen.

In einer ai-Presseerklärung vom 30. Mai 2005 auf Seite 12 f. zur Vorstellung des Berichts "Afghanistan: Frauen unter Beschuss" wird darüber berichtet, dass Frauen überall im Lande - von der Allgemeinheit akzeptiert, gerechtfertigt mit Tradition und Religion und von höchsten Stellen der Regierung und Justiz völlig unzureichend behandelt - von Diskriminierungen (auch durch staatliche Stellen), Gewalt, Entführungen und Vergewaltigungen durch Angehörige bewaffneter Gruppen und durch Zwangsehen bedroht seien. Vermeintliche Verletzungen gesellschaftlicher Regeln führten zu Inhaftierungen oder sogar Hinrichtungen einiger Frauen. Es werde von einer zunehmenden Zahl von Zwangsehen berichtet, einige Frauen hätten sich deshalb sogar umgebracht. Die afghanische Regierung versäume es, die Rechte der Frauen und Mädchen zu respektieren, zu schützen und zu vollziehen.

Nach der Wiedergabe eines Hörberichts "Steinigung oder Knast" von Ana Lehmann (DW Asien) auf Seite 37 f. seien 90 % der Frauen in afghanischen Gefängnissen wegen "moralischer Verbrechen" eingesperrt, wie etwa dem Weglaufen aus einer Zwangsehe und/oder vor ehelicher Gewalt. Das führe auf dem Lande nach unrechtmäßigen Entscheidungen auf Grund traditionellen Stammesrechts oder der Scharia durch die Mullahs oder lokale Führer zur Tötung der Frauen durch Verbrennen oder Steinigung, wobei nur die wenigsten Fälle wegen der dort fehlenden Medien in die Öffentlichkeit kämen, während die Frauen in den Städten oft ins Gefängnis gesperrt würden. Die Vorstellungen von etwa 80 % der afghanischen Männer über die Rolle der Frau entspreche in etwa denen der Taliban.

Nach einem auf Seite 53 abgedruckten Zeitungsartikel der FAZ vom 5. Mai 2005 seien schließlich drei afghanische Mitarbeiterinnen einer Hilfsorganisation von radikal-islamischen Rebellen getötet worden, weil sie für eine ausländische Organisation gearbeitet hätten.

Auch die Darstellung der "geschlechtsspezifischen Menschenrechtslage" im letzten Lagebericht Afghanistan des Auswärtigen Amtes vom 29. November 2005 (Stand: November 2005) auf den Seiten 28 bis 31 unter Nr. III.4. d) entspricht im Wesentlichen diesen Situationsbeschreibungen.

Danach sei die Lage afghanischer Frauen immer noch durch häufig orthodoxe Scharia-Auslegungen und archaisch-patriarchalische Ehrenkodizes geprägt. Die Verwirklichung elementarer Menschenrechte bleibe für den größten Teil der afghanischen Frauen weit hinter dem geschriebenen Recht zurück. Staatliche Akteure aller drei Gewalten seien häufig nicht in der Lage - oder auf Grund konservativer Wertvorstellungen nicht gewillt -, Frauenrechte zu schützen. Frauen würden traditionell in vielfacher Hinsicht benachteiligt; im Strafrecht vor allem hinsichtlich des Straftatbestandes "Ehebruch", wonach selbst Opfer von Vergewaltigungen wiederholt bestraft worden seien. Es gebe Berichte, dass Frauen illegal wegen "Ehebruchs" von Ehemännern oder anderen Familienmitgliedern umgebracht würden (sog. "Ehrenmorde", die besonders in den paschtunischen Landesteilen vorkommen könnten). Zwangsheirat bereits im Kindesalter, "Austausch" weiblicher Familienangehöriger zur Beilegung von Stammesfehden sowie die alltäglichen Belastungen der Nachkriegszeit trügen dazu bei, dass häusliche Gewalt in Afghanistan weit verbreitet sei. Opfer sexueller Gewalt seien dabei auch innerhalb der Familie stigmatisiert. Das Sexualdelikt werde in der Regel als "Entehrung" der gesamten Familie aufgefasst. Sexualverbrechen zur Anzeige zu bringen, habe auf Grund des desolaten Zustands des Sicherheits- und Rechtssystems wenig Aussicht auf Erfolg, der Versuch ende u. U. mit der Inhaftierung der Frau. Viele Frauen seien wegen sog. Sexualdelikte inhaftiert, weil sie sich beispielsweise einer Zwangsheirat durch Flucht zu entziehen versucht hätten, vor einem gewalttätigen Ehemann geflohen seien oder ihnen vorgeworfen werde, ein uneheliches Kind geboren zu haben. Im Falle einer Freilassung seien sie ähnlich stigmatisiert wie Opfer sexueller Gewalt. Eine Verteidigung ihrer Rechte sei in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern bestimmt werde, sowie kaum qualifizierte Anwälte zur Verfügung stünden, in den seltensten Fällen möglich. Auf den im Mai 2005 in der nördlichen Provinz Badakhshan begangenen Ehrenmord an einer Frau seien mehrere Mullahs und Familienmitglieder angeklagt und zu Freiheitsstrafen verurteilt worden; das Berufungsverfahren laufe noch. In Herat werde - mit abnehmender Tendenz - eine erhebliche Zahl von Selbstverbrennungen von Frauen verzeichnet, und zwar überwiegend von aus dem Iran zurückgekehrten Flüchtlingsfrauen, von denen angenommen werde, dass sie sich vorwiegend aus Verzweifelung wegen Kinderverheiratung, Zwangsverheiratung u. ä. selbst verbrannt hätten. Obwohl es keinen staatlichen Zwang zum Tragen der "Burka" gebe, trügen die meisten Afghaninnen sie auch weiterhin, häufig auch aus Furcht vor Übergriffen. Zwar ginge deren Gebrauch insbesondere in Kabul im akademisch geprägten Milieu und unter Oberschülerinnen zurück, sei aber auch hier insgesamt nach wie vor verbreitet. Vielfach gäben die Frauen an, dass sie die "Burka" angesichts einer nach wie vor schwierigen Sicherheitslage wie einer außerordentlich patriarchalisch geprägten Gesellschaft auch nach dem Machtwechsel trügen, weil sie ihnen ein Gefühl der Sicherheit vermittele.

Da nach alledem davon ausgegangen werden muss, dass die nicht aus Kabul, sondern aus der Provinz Nangarhar stammende, derzeit 22 Jahre alte unverheiratete Klägerin als Mutter zweier nichtehelicher Kinder verschiedener Väter bei einer Rückkehr nach Afghanistan ohne männliche Begleitung und ohne familiären Schutz einer an ihr Geschlecht anknüpfenden konkret auf ihre Person zielenden Bedrohung ihres Lebens, ihrer körperlichen Unversehrtheit oder ihrer Freiheit mit hinreichender Sicherheit ausgesetzt wäre, ist ihr die Flüchtlingsanerkennung gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG zu gewähren und die gegen das insoweit stattgebende Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 25. Februar 2004 gerichtete Berufung des Bundesbeauftragten mit der Kostenfolge aus § 83 b AsylVfG, § 154 Abs. 2 und § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO zurückzuweisen.

Die Revision ist gemäß § 132 Abs. 2 VwGO nicht zuzulassen, insbesondere kommt der Rechtssache nicht mehr die grundsätzliche Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu, die noch zur Zulassung der Berufung geführt hatte.

Ende der Entscheidung

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