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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 07.08.2003
Aktenzeichen: 9 Q 1781/03
Rechtsgebiete: BauGB, VwGO, ZPO


Vorschriften:

BauGB § 35 Abs. 2
BauGB § 35 Abs. 3 Nr. 5
VwGO § 149 Abs. 1
VwGO § 173
VwGO § 88
ZPO § 570 Abs. 3 Halbs. 2
Das Beschwerdegericht kann nach §§ 173 VwGO, 570 Abs. 3 Halbsatz 2 ZPO die einstweilige Aussetzung der Vollziehung eines mit der Beschwerde angefochtenen Beschlusses anordnen, der einem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO stattgibt.

Dem Antrag ist stattzugeben, wenn sich auf Grund der im Beschwerdeverfahren rechtzeitig erfolgten Darlegungen die angegriffene Entscheidung als offensichtlich fehlerhaft erweist, jedoch nicht abschließend entschieden werden kann oder unter Berücksichtigung aller für und gegen die Aussetzung sprechenden Umstände zu erkennen ist, dass die vorzeitige Vollziehung den unterlegenen Verfahrensbeteiligten unzumutbar belastet.


9. Senat 9 Q 1781/03

Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Baurechts (hier: Antrag des Beigeladenen auf Aussetzung der Vollziehung eines verwaltungsgerichtlichen Beschlusses)

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 9. Senat - durch

am 7. August 2003 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Beigeladenen gemäß §§ 173 Satz 1 VwGO, 570 Abs. 3 ZPO, die Vollziehung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 16. Juni 2003 (Az.: 9 G 2527/02 <3>) auszusetzen, wird abgelehnt.

Die Kosten dieses Antragsverfahrens trägt der Beigeladene.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4.000,-- € festgesetzt.

Gründe:

Der Antrag des Beigeladenen auf Erlasse einer Zwischenentscheidung des Senat für die Zeit bis zur Beschwerdeentscheidung ist zulässig.

Die Beschwerde des Beigeladenen gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 16. Juni 2003, mit welchem die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 9. Januar 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 7. Juni 2001 (Ersetzung des fehlenden Einvernehmens der Antragstellerin zur Erteilung einer Baugenehmigung für die Erweiterung eines Golfplatzes von 9 auf 18 Löcher im unbeplanten Bereich des Mittelbachtals) unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 12. Juni 2003 wiederhergestellt wurde, hat gemäß § 149 Abs. 1 Satz 1 VwGO keine aufschiebende Wirkung. Obwohl § 149 Abs. 1 Satz 2 VwGO ausdrücklich nur die Möglichkeit eröffnet, dass das Gericht, der Vorsitzende oder der Berichterstatter, dessen Entscheidung angefochten wird, bestimmen kann, dass die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung einstweilen auszusetzen ist, ist allgemein anerkannt, dass auch das Beschwerdegericht nach § 173 VwGO i. V. m. § 570 Abs. 3 Halbsatz 2 ZPO die einstweilige Aussetzung der Vollziehung anordnen kann (vgl. dazu Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl., Rdnr. 1011; Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 13. Aufl., § 149, 1011; Redeker/von Oertzen, Verwaltungsgerichtsordnung, 13. Aufl., § 149 Rdnr. 4; jeweils m. w. N.). Ein verwaltungsgerichtlicher Beschluss, der einem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO stattgibt, stellt auch eine Entscheidung dar, die im Sinne des § 570 Abs. 3 Halbsatz 2 ZPO einer Vollziehung fähig ist (vgl. OVG Berlin, Beschluss vom 20. Dezember 1985 - OVG 2 S 153.85 -, DÖV 1986, 615; vgl. auch Bay. VGH, Beschluss vom 10. Dezember 1981 - 22 CS 81 A/2589 - NVwZ 1982, 685; Hess. VGH, Beschluss vom 20. März 1991 - 2 TH 317/91 -, DVBl. 1991, 1319 zu § 149 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Die einstweilige Aussetzung der Vollziehung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung hat in derartigen Fällen zur Folge, dass bis zur Beschwerdeentscheidung von der weiteren sofortigen Vollziehbarkeit der angefochtenen behördlichen Maßnahme, hier der Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens, auszugehen ist.

Der Antrag ist allerdings unbegründet.

Ob und in welchem Umfang die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung auszusetzen ist, ist gemäß § 570 Abs. 3 Halbsatz 2 ZPO nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts zu entscheiden. Bei der Ausübung dieses Ermessens ist zu berücksichtigen, dass nach der gesetzlichen Regelung des § 149 Abs. 1 Satz 1 VwGO der Gesetzgeber die sofortige Vollziehbarkeit einer erstinstanzlichen Entscheidung zur Regel gemacht hat. Ausgenommen sind allein Beschlüsse, die die Festsetzung eines Ordnungs- oder Zwangsmittels zum Gegenstand haben. Darüber hinaus kann die Vollziehung einer gerichtlichen Entscheidung nach § 173 VwGO i. V. m. § 570 Abs. 3 Halbsatz 2 ZPO nur ausnahmsweise erfolgen. Voraussetzung für eine solche ausnahmsweise Aussetzung der Vollziehung ist, dass sich die angegriffene Entscheidung aufgrund des rechtzeitigen Beschwerdevorbringens, nach dem sich gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO der Gegenstand und der Umfang der rechtlichen Überprüfung im Beschwerdeverfahren bestimmt, als offenkundig fehlerhaft erweist, jedoch nicht zugleich abschließend entschieden werden kann, oder dass unter Berücksichtigung aller für und gegen die Aussetzung sprechenden Umstände zu erkennen ist, dass die vorzeitige Vollziehung den unterlegenen Verfahrensbeteiligten unzumutbar belastet (vgl. dazu Hess. VGH, Beschluss vom 22. März 1990 - 4 TG 724/90 -, NVwZ 1990, 976).

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Auf Grund der Darlegungen des Beigeladenen und des Antragsgegners im Beschwerdeverfahren stellt sich der angegriffene Beschluss des Verwaltungsgerichts nicht als offensichtlich fehlerhaft dar. Die Entscheidung erweist sich nicht schon deshalb aus formellen Gründen als im Ergebnis offensichtlich unrichtig, weil das Verwaltungsgericht den Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherzustellen als Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Klage ausgelegt hat. Zuzustimmen ist dem Beigeladenen zwar darin, dass eine Umdeutung eines Antrags, der von einem Rechtsanwalt gestellt wurde, regelmäßig ausscheidet. Die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Auslegung war aber nach § 88 VwGO geboten. Nach dieser Bestimmung ist das Gericht nicht an die offenbar irrtümlich gewählte Fassung von Rechtsschutzanträgen gebunden. Maßgeblich ist vielmehr das erkennbare Rechtsschutzziel, wie es sich auf Grund des gesamten Beteiligtenvorbringens darstellt (vgl. dazu Kopp/Schenke, a.a.O., § 88 Rdnr. 2).

Der Antragstellerin fehlt es auch nicht offensichtlich an dem Rechtsschutzbedürfnis für den gestellten Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der gegen die Einvernehmensersetzung erhobenen Klage, weil sie sich im Vorfeld der Beantragung der Baugenehmigung - so der Beigeladene - positiv zur Erweiterung des Golfplatzes geäußert hat.

Das Einvernehmen ist gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB im bauaufsichtlichen Verfahren gegenüber der Baugenehmigungsbehörde zu erteilen. Die Erteilung dieses Einvernehmens hat die Antragstellerin verweigert. Ein Bedürfnis, gegen die Einvernehmensersetzung und deren Sofortvollzuganordnung Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen, kann der Antragstellerin nicht abgesprochen werden. Hier erweist sich die Inanspruchnahme anders als in dem von der Beigeladenen zitierten Beschluss des Senats vom 22. August 2001 (Az.: 9 TZ 860/00) auch nicht ausnahmsweise als rechtsmissbräuchlich. Denn die Antragsgegnerin hat deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die Erweiterung des Golfplatzes nicht ihren derzeitigen Planungsvorstellungen entspricht. Ob die Antragstellerin früher ggf. andere Planungsabsichten verfolgt und insoweit ein schutzwürdiges Vertrauen auf Seiten des Beigeladenen erzeugt hat, mag im Rahmen eines Schadensersatzprozesses von Bedeutung sein. Das Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag gegen die sofort vollziehbare Ersetzung eines aus aktuellen planerischen Erwägungen verweigerten Einvernehmens kann jedenfalls wegen früher geäußerter anderer Planungsabsichten bei einer Änderung dieser Absichten nicht als missbräuchlich angesehen werden. Denn es liegt in der Natur der Sache, dass Planungsvorstellungen einem stetigen Wandel unterliegen.

Das Verwaltungsgericht ist schließlich in der Sache nicht offensichtlich fehlerhaft davon ausgegangen, dass die Golfplatzerweiterung, die eine Fläche von ca. 20 ha beansprucht, die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtigt (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) und deshalb nach § 35 Abs. 2 BauGB als sonstiges Vorhaben im Außenbereich unzulässig ist.

Die natürliche Eigenart der Landschaft wird durch ein Bauvorhaben beeinträchtigt, wenn die zur Bebauung vorgesehene Fläche entsprechend der im Außenbereich zu schützenden "naturgegebenen Bodennutzung", nämlich landwirtschaftlich, genutzt wird. Dies ist unter Berücksichtigung der von dem Beigeladenen im Baugenehmigungsverfahren vorgelegten "Bilanz von Eingriff und Ausgleich" offenbar der Fall. Diese weist im Bestand intensiv landwirtschaftlich genutzte Flächen von 19, 389 ha auf. Die in den Beschwerdebegründungen dargestellten "baulichen Einbrüche in das Mittelbachtal" lassen nicht erkennen, dass die naturgegebene landwirtschaftliche Bodennutzung bereits weitgehend durch andere Nutzungen verdrängt ist.

Im Beschwerdeverfahren wird - sollte sich die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, die Golfplatzerweiterung beeinträchtige die natürliche Eigenart der Landschaft, als fehlerhaft erweisen - ferner zu überprüfen sein, ob sich die Entscheidung nicht aus anderen Gründen als richtig erweist. Dies könnte der Fall sein, weil das geplante Vorhaben den Erholungswert der Landschaft (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) oder aber öffentliche Belange im Sinne des § 35 Abs. 2 BauGB beeinträchtigt, weil es "planungsbedürftig" ist (zum Planungserfordernis vgl. BVerwG, Urteil vom 1. August 2002 - BVerwG 4 C 5.01 -, GewArch 2002, 491).

Die begehrte Zwischenentscheidung kann hier auch nicht deshalb ergehen, weil die Vollziehung der angegriffenen Entscheidung den Beigeladenen unzumutbar belasten würde. Selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass der Beigeladene ein erhebliches wirtschaftliches Interesse an der Erweiterung des Golfplatzes hat, rechtfertigt dies nicht die Aussetzung der Vollziehung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung. Dass es dem Beigeladenen nicht zumutbar ist, bis zur Entscheidung der Beschwerde zuzuwarten, ist nicht ersichtlich. Ferner ist zu berücksichtigen, dass durch die nach Ersetzung des Einvernehmens grundsätzlich mögliche Erteilung der Baugenehmigung und den folgenden Beginn der Bauarbeiten in nur schwer rückgängig zu machender Weise möglicherweise in schützenswerte Rechte der Antragstellerin eingegriffen wird. Infolgedessen kann es für die Frage der Unzumutbarkeit auf Seiten des Beigeladenen nicht allein auf dessen wirtschaftliche Interessen ankommen (vgl. auch Hess. VGH, Beschluss vom 22. März 1990 - 4 TG 724/90 -, a. a. O.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwertes ergibt sich aus §§ 13 Abs. 1 Satz 2, 20 Abs. 3, 25 Abs. 2 Satz 1 GKG. Da keine Anhaltspunkte bestehen, die es dem Senat ermöglichen, das Interesse des Beigeladenen an einer Zwischenentscheidung vor der Entscheidung der eigentlichen Beschwerde zu bewerten, ist gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 GKG ein Streitwert von 4.000 € anzunehmen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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