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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 20.07.2004
Aktenzeichen: 9 TG 1346/04
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 121
Die Rechtskraft eines gegen eine Gemeinde wegen ihres Tätigwerdens im übertragenen Wirkungskreis ergangenen Anfechtungsurteils bindet auch das Land, das der Gemeinde die jeweilige Aufgabe der Landesverwaltung übertragen hat.
Hessischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss

9. Senat

9 TG 1346/04

In dem Verwaltungsstreitverfahren

wegen Ausländerrechts

hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof - 9. Senat - durch

Vorsitzenden Richter am Hess. VGH Dr. Teufel, Richter am Hess. VGH Heuser, Richter am Hess. VGH Schönstädt

am 20. Juli 2004 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Kassel vom 21. April 2004 - 4 G 311/04 - aufgehoben.

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 9. Januar 2004 wird im Hinblick auf die Ausweisung im Bescheid des Antragsgegners vom 7. Januar 2004 wiederhergestellt, im Hinblick auf die Abschiebungsandrohung in diesem Bescheid angeordnet.

Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird unter Abänderung der Streitwertfestsetzung erster Instanz für das Antragsverfahren und das Beschwerdeverfahren auf jeweils 2.000,-- € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beschwerde richtet sich gegen einen Beschluss des Verwaltungsgerichts, der dem Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz gegen eine Ausweisung und eine Abschiebungsandrohung versagte.

Der am 1. November 1974 geborene Antragsteller reiste am 21. August 1990 im Wege des Familiennachzugs in die Bundesrepublik Deutschland ein. Der 1993 erstmals psychiatrisch auffällig gewordene Antragsteller leidet an einer schweren psychischen Erkrankung. Darüber hinaus konsumierte er regelmäßig Betäubungsmittel, insbesondere Cannabis und Crack. Strafgerichtliche Verurteilungen wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln sowie wegen Körperverletzung wurden im strafprozessualen Wiederaufnahmeverfahren aufgehoben, da der Antragsteller im jeweils maßgeblichen Tatzeitpunkt schuldunfähig war. Seit dem 29. September 2002 befindet sich der Antragsteller in der Klinik für forensische Psychiatrie A-Stadt. Die Unterbringung in der Klinik erfolgte zunächst vorläufig. Mit Urteil vom 25. Juni 2003 - 5/6 KLs 3540 Js 230026/02 (A) 12/02 - ordnete das Landgericht B-Stadt endgültig die Unterbringung des Antragstellers in einem psychiatrischen Krankenhaus als Maßregelung der Besserung und Sicherung an.

Ausländerrechtlich wurden dem Antragsteller nach Vollendung seines 16. Lebensjahres befristete Aufenthaltserlaubnisse erteilt, zuletzt mit Wirkung bis zum 13. Juli 1999. Den Antrag des Antragstellers auf Verlängerung bzw. Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis lehnte die Ausländerbehörde der Stadt B-Stadt mit Bescheid vom 26. September 2000 ab und drohte dem Antragsteller die Abschiebung nach Marokko an. Nach Zurückweisung seines Widerspruchs durch Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Darmstadt vom 22. Februar 2002 erhob der Antragsteller am 5. März 2002 beim Verwaltungsgericht Frankfurt am Main Verpflichtungsklage gegen die Stadt B-Stadt. Mit Schriftsatz vom 29. Oktober 2003 zeigte der Landrat des Landkreises Waldeck-Frankenberg gegenüber dem Verwaltungsgericht Frankfurt am Main an, dass infolge der rechtskräftigen Anordnung der Unterbringung des Antragstellers in der Klinik für forensische Psychiatrie A-Stadt die ausländerbehördliche Zuständigkeit auf ihn übergegangen sei. Die Zustimmung zur Fortführung des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt am Main durch die Ausländerbehörde der Stadt B-Stadt wurde nicht erteilt. Der Antragsteller und die Stadt B-Stadt setzten daraufhin den Rechtsstreit als isolierte Anfechtungsklage gegen den Ablehnungsbescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides fort und erklärten den Rechtsstreit im Übrigen übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt. Mit rechtskräftigem Urteil vom 18. März 2004 - 7 E 782/02 (V) - hob das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main den Bescheid der Stadt B-Stadt vom 26. September 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums in Darmstadt vom 22. Februar 2002 auf. Im für die Anfechtungsklage maßgeblichen Zeitpunkt der Sach- und Rechtslage bei Erlass des Widerspruchsbescheides vom 22. Februar 2002 stelle sich - so das Gericht - die Ablehnung des Antrags des Antragstellers auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung als fehlerhaft dar. Die Ausländerbehörde habe nicht berücksichtigt, dass der Antragsteller zum durch § 26 Abs. 1 AuslG privilegierten Personenkreis gehöre, dem die unbefristete Aufenthaltserlaubnis nicht aufgrund der Regelversagungsgründe des § 7 Abs. 2 AuslG, sondern ausschließlich nach § 26 Abs. 3 AuslG versagt werden dürfe. Das Erfordernis der eigenständigen Unterhaltssicherung nach § 26 Abs. 1 Nr. 3 AuslG greife im Falle des Antragstellers nicht ein, da dieser zur Gruppe der in § 26 Abs. 4 Satz 1 AuslG genannten Ausländer zähle, die dieses Erfordernis krankheitsbedingt nicht erfüllen könnten. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main Bezug genommen.

Während der Anhängigkeit des Verwaltungsstreitverfahrens beim Verwaltungsgericht Frankfurt am Main wies der Antragsgegner mit Bescheid vom 7. Januar 2004 den Antragsteller unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aus und drohte ihm die Abschiebung nach Marokko an. Die Ausweisung sei rechtmäßig, da die Ausweisungsgründe der Begehung von Rechtsverstößen (§ 46 Nr. 2 AuslG) sowie der Inanspruchnahme von Sozialhilfe (§ 46 Nr. 6 AuslG) vorlägen, besonderer Ausweisungsschutz nach § 48 AuslG dem Antragsteller nicht zur Seite stehe, und die Ausweisung auch unter Berücksichtigung der privaten Belange des Antragstellers verhältnismäßig sei. Durch den Verbleib des Antragstellers in der Bundesrepublik Deutschland würden Sicherheitsbelange und fiskalische Belange tangiert. Die privaten Belange des Antragstellers träten dahinter zurück. Zu einer erfolgreichen Integration in die Bundesrepublik Deutschland sei es nicht gekommen. Familiäre Bindungen zu im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen in nennenswertem Maße bestünden nicht mehr. Der Abbruch der seit Ende September 2002 andauernden Behandlung in der Klinik für forensische Psychiatrie A-Stadt stelle keine unzumutbare Härte dar, da diese Behandlung noch nicht weit fortgeschritten und ihr Erfolg zweifelhaft sei. Aus der psychischen Erkrankung des Antragstellers folge für ihn auch kein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG. Das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ausweisung ergebe sich aus gewichtigen fiskalischen Interessen. Die Unterbringung des Antragstellers im Maßregelvollzug verursache monatliche Aufwendungen der öffentlichen Hand von über 7.000,-- €.

Über den Widerspruch des Antragstellers vom 9. Januar 2004 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 7. Januar 2004 ist bislang nicht entschieden.

Das gegen Ausweisung und Abschiebungsandrohung gerichtete Eilrechtsschutzgesuch des Antragstellers lehnte das Verwaltungsgericht Kassel mit Beschluss vom 21. April 2004 - 4 G 311/04 - ab, auf dessen Gründe verwiesen wird.

Am 28. April 2004 hat der Antragsteller gegen diesen Beschluss des Verwaltungsgerichts Kassel Beschwerde eingelegt.

Zur Begründung führt er aus, das vom Antragsgegner geltend gemachte fiskalische Interesse an einer zwangsweisen Durchsetzung der Ausweisung vor deren Bestandskraft könne die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht tragen. Die Abschiebung aus dem Maßregelvollzug sei davon abhängig, dass die Staatsanwaltschaft gemäß § 456a Abs. 1 StPO von der weiteren Vollstreckung der angeordneten Maßregel der Besserung und Sicherung absehe. Dies aber setze nach § 456a Abs. 1 StPO eine bestandskräftige Ausweisung voraus, so dass eine Abschiebung des Antragstellers vor Eintritt der Bestandskraft der Ausweisung ohnehin ausscheide. Da der Antragsteller derzeit sonach nur auf richterliche Anordnung nach § 67d Abs. 2 StGB aus dem Maßregelvollzug entlassen werden könnte, was voraussetze, dass er außerhalb des Maßregelvollzugs keine rechtswidrigen Taten mehr begehen werde, erweise sich auch die verwaltungsgerichtliche Prognose einer Wiederholungsgefahr als rechtsfehlerhaft. Der Rechtmäßigkeit der im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren bestätigten Ausweisungsverfügung stehe ferner entgegen, dass mit Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 18. März 2004 - 7 E 782/04 - die Versagung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis gegenüber dem Antragsteller aufgehoben worden sei. Aufgrund des Urteils stehe fest, dass dem Antragsteller ein Anspruch auf Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis zustehe. Es sei vom Vorliegen besonderen Ausweisungsschutzes gemäß § 48 Abs. 1 AuslG für den Antragsteller auszugehen. Schließlich habe das Verwaltungsgericht nicht berücksichtigt, dass der Antragsteller - wie das Stadtgesundheitsamt B-Stadt mitgeteilt habe - auf unbestimmte Zeit reiseunfähig sei, und zudem in Marokko eine adäquate Behandlung seiner psychischen Erkrankung nicht möglich sei. Wegen der Einzelheiten der Beschwerdebegründung wird auf die Schriftsätze des Antragstellers vom 28. Mai 2004 und vom 13. Juli 2004 Bezug genommen.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

unter Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Kassel vom 21. April 2004 - 4 G 311/04 - die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Ausweisungsverfügung und die Abschiebungsandrohung im Bescheid des Antragsgegners vom 7. Januar 2004 wiederherzustellen bzw. anzuordnen.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er trägt vor, die Ausweisungsverfügung sei rechtmäßig. Besonderer Ausweisungsschutz gemäß § 48 Abs. 1 AuslG greife zugunsten des Antragstellers nicht ein, da er nicht im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis sei. Im Übrigen sei beabsichtigt, den Antrag auf Verlängerung bzw. Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis abzulehnen. Die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis scheitere bereits an § 8 Abs. 2 Satz 2 AuslG, nach dem einem Ausländer, der - wie der Antragsteller - ausgewiesen worden sei, auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs keine Aufenthaltsgenehmigung erteilt werden dürfe. Zudem liege in der Person des Antragstellers der Versagungsgrund nach § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AuslG vor.

Die fehlende Bestandskraft der Ausweisung stehe rechtlich einer Abschiebung des Antragstellers aus dem Maßregelvollzug nicht entgegen. § 456 a Abs. 1 StPO, wonach die Vollstreckungsbehörde von der Vollstreckung einer Maßregel der Besserung und Sicherung absehen könne, verlange lediglich, dass der Verurteilte aus dem Geltungsbereich der Strafprozessordnung ausgewiesen werde. Ein im Rahmen der Ausweisung zu berücksichtigender Duldungsgrund nach § 55 Abs. 2 AuslG folge weder aus der Lage psychisch Kranker in Marokko noch aus einer dauerhaften Reiseunfähigkeit des Antragstellers. Wegen der Einzelheiten der Beschwerdeerwiderung wird auf den Schriftsatz des Antragsgegners vom 1. Juli 2004 Bezug genommen.

II.

Die nach § 146 Abs. 1 VwGO statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist begründet.

Das Interesse des Antragstellers, von der Durchsetzung der durch die Ausweisung begründeten gesetzlichen Ausreisepflicht einstweilen verschont zu bleiben, ist nach dem - da ein Widerspruchsbescheid noch nicht ergangen ist - maßgeblichen Erkenntnisstand im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung höher zu bewerten als das entgegenstehende öffentliche Interesse am Vollzug der Ausreisepflicht vor Eintritt der Bestandskraft der Ausweisung. Ausschlaggebend hierfür ist, dass sich die Ausweisung des Antragstellers und die mit ihr verknüpfte Abschiebungsandrohung bei summarischer Prüfung als rechtsfehlerhaft erweisen.

Die Ausweisung des Antragstellers durch den Antragsgegner ist auf der Grundlage der §§ 45 Abs. 1, 46 Nr. 2 und 6 AuslG erfolgt. Gemäß § 45 Abs. 1 AuslG kann ein Ausländer ausgewiesen werden, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt. Insbesondere kann nach dieser Vorschrift ausgewiesen werden, wer einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat (§ 46 Nr. 2 AuslG) bzw. wer für sich Sozialhilfe in Anspruch nimmt oder in Anspruch nehmen muss (§ 46 Nr. 6 AuslG). Gemäß § 45 Abs. 2 Nr. 1 AuslG sind bei der Entscheidung über die Ausweisung die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts und die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet zu berücksichtigen.

Die vom Antragsgegner verfügte Ausweisung leidet an einem Ermessensfehler. Denn bei der Abwägung der mit der Ausweisung verfolgten öffentlichen Zwecke mit den persönlichen Belangen des Antragstellers hat der Antragsgegner den Gesichtspunkt, dass der Antragsteller zum durch § 26 Abs. 1 AuslG privilegierten Personenkreis zählt und das Integrationserfordernis der Unterhaltssicherung aus eigener Erwerbstätigkeit für ihn gemäß § 26 Abs. 4 AuslG keine Geltung beansprucht, nicht berücksichtigt.

Das Vorliegen der Anspruchsberechtigung nach § 26 Abs. 1 und 4 AuslG ist ein Umstand, der in der Abwägung im Rahmen des Ausweisungsermessens zu beachten ist. Dies folgt zunächst daraus, dass die Anforderungen an die - im Rahmen des Ausweisungsermessens zu berücksichtigende - soziale Integration eines Ausländers in die Bundesrepublik Deutschland für den Personenkreis des § 26 Abs. 1 und 4 AuslG reduziert sind: Abweichend vom Normalfall ist für durch § 26 Abs. 4 AuslG privilegierte Ausländer die Sozialhilfebedürftigkeit nicht integrationsschädlich (vgl. GK-AuslR, § 46 Rdnr. 131; Renner, AuslR, 7. Aufl. 1999, § 26 Rdnr. 17). Diesen Gesichtspunkt hat der Antragsgegner im Falle des Antragstellers verkannt, als er dessen Sozialhilfebedürftigkeit und die ihr korrespondierende Belastung öffentlicher Kassen als bedeutsamen, für die Ausweisung des Antragstellers sprechenden Aspekt in seine Ermessenserwägung eingestellt hat. Hinzu tritt, dass das Bestehen schutzwürdiger Bindungen des Ausländers im Sinne des § 45 Abs. 2 Nr. 1 AuslG auch dadurch mitbestimmt wird, ob dem Ausländer ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung zusteht (vgl. Nr. 45.2.1.2.1. der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Ausländergesetz; Renner, Ausländerrecht in Deutschland, § 40 Rdnr. 134, 155 [S. 616, 623]). Ist - wie im Falle des Antragstellers - eine Anspruchsberechtigung nach § 26 Abs. 1 und 4 AuslG gegeben, erlauben die besonderen Versagungsgründe des § 26 Abs. 3 Satz 1 Nrn. 1 und 2 AuslG eine Versagung des Anspruchs auf unbefristete Aufenthaltserlaubnis nur nach pflichtgemäßem Ermessen. Auch diesem Aspekt hat der Antragsgegner bei Ausübung seines Ausweisungsermessens nicht Rechnung getragen.

Die von einer eigenständigen Unterhaltssicherung unabhängige Anspruchsberechtigung des Antragstellers nach § 26 Abs. 1 und 4 AuslG steht - bezogen auf den Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Darmstadt vom 22. Februar 2002 - zwischen dem Antragsteller und dem Antragsgegner aufgrund des Urteils des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 18. März 2004 - 7 E 782/02 (V) - rechtskräftig fest.

Nach § 121 Nr. 1 VwGO binden rechtskräftige Urteile, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist, die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger.

In sachlicher Hinsicht wird durch das den ablehnenden Bescheid der Stadt B-Stadt in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Darmstadt aufhebende Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main festgestellt, dass die erfolgte Versagung einer Aufenthaltserlaubnis gegenüber dem Antragsteller fehlerhaft war, weil dieser zum durch § 26 Abs. 1 und 4 AuslG begünstigten Personenkreis zählt. Die Rechtskraftwirkung diesen stattgebenden Anfechtungsurteils erstreckt sich auf die Anspruchsberechtigung des Antragstellers aus § 26 Abs. 1 und 4 AuslG als tragenden Grund der Entscheidung (vgl. zum sachlichen Umfang der Rechtskraft des stattgebenden Anfechtungsurteils: BVerwG, Urteil vom 8. Dezember 1992 - BVerwG 1 C 12.92 -, NVwZ 1993, 672 (673(; Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl. 2003, § 121 Rdnr. 21).

In persönlicher Hinsicht bindet die Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main nicht nur die Stadt B-Stadt als die Trägerin der im Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung des Regierungspräsidiums Darmstadt örtlich zuständigen Ausländerbehörde und den Antragsteller als die Hauptbeteiligten des Anfechtungsprozesses, sondern auch den Antragsgegner als den Träger der jetzt örtlich zuständigen Ausländerbehörde. Die - im Ergebnis unstreitige - Erstreckung der Bindungswirkung eines gegen eine Gemeinde wegen ihres Tätigwerdens im übertragenen Wirkungskreis ergangenen Anfechtungsurteils auf das Land, das der Gemeinde die jeweilige Aufgabe der Landesverwaltung übertragen hat, wird unterschiedlich begründet. Vielfach wird bereits aus der grundsätzlichen prozessrechtlichen Einheit von Ausgangsverwaltungsakt und Widerspruchsbescheid (§ 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) gefolgert, dass - auch wenn nur die Ausgangsbehörde bzw. deren Träger Prozessbeteiligter ist - die Rechtskraft die Widerspruchsbehörde bzw. deren Träger bindet (vgl. Kuntze in: Bader, VwGO, 2. Aufl. 2002, § 121 Rdnr. 9; Eyermann/Rennert, VwGO, 11. Aufl. 2000, § 121 Rdnr. 38; Redeker/von Oertzen, 13. Aufl. 2000, § 121 Rdnr. 6a). Für den verfassungsrechtlichen Regelfall der Ausführung von Bundesgesetzen - hier des Ausländergesetzes - durch die Länder als eigene Angelegenheit nach Art. 83, 84 GG tritt hinzu, dass bei landesrechtlicher Übertragung einer solchen Aufgabe auf die Kommunen bzw. auf kommunale Organe diese eine Aufgabe der Landesverwaltung wahrnehmen und dem- gemäß der Fachaufsicht des Landes unterliegen. Dies rechtfertigt es - entsprechend der Rechtslage beim weisungsabhängigen Tätigwerden eines Landes bei der Auftragsverwaltung nach Art. 85 GG für den Bund (vgl. zu ihr: BVerwG, Beschluss vom 9. Januar 1999 - BVerwG 11 C 8.97 -, NVwZ 1999, 296) - die Beteiligtenstellung der Gemeinde in Prozessen, die ihre Aufgabenwahrnehmung im übertragenen Wirkungskreis betreffen, als Form der Prozessstandschaft für das Land anzusehen und folglich die Rechtskraft auf das Land auszudehnen (vgl. Eyermann/Renner, VwGO, a. a. O.). Die Aufgaben der Ausländerbehörde nahm die gegenüber dem Antragsteller tätig gewordene Oberbürgermeisterin der Stadt B-Stadt als allgemeine Ordnungsbehörde wahr (§ 85 Abs. 1 Nr. 3, 2. Fall HSOG i. V. m. § 1 der Verordnung über die Zuständigkeit der Ausländerbehörden vom 21. Juni 1993 (GVBl. I S. 260(); die Einbindung der Ausländerbehörde der Stadt B-Stadt in den staatlichen Weisungszug des Antragsgegners folgt aus § 87 Abs. 1 HSOG, der Weisungen für den Einzelfall vorsieht.

In zeitlicher Hinsicht ist die rechtskräftige Feststellung der Anspruchsberechtigung des Antragstellers nach § 26 Abs. 1, 4 AuslG auf den Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Darmstadt vom 22. Februar 2002 bezogen. Nach diesem Zeitpunkt eingetretene Umstände, die die Anspruchsberechtigung entfallen ließen, sind nicht ersichtlich.

Vorläufiger Rechtsschutz ist dem Antragsteller schließlich auch hinsichtlich der mit der Ausweisung verbundenen Abschiebungsandrohung zu gewähren. Denn aufgrund der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des gegen die Ausweisung gerichteten Widerspruchs entfällt die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht des Antragstellers als gesetzliche Voraussetzung für den Erlass einer Abschiebungsandrohung nach §§ 42 Abs. 2 Satz 2, 49 Abs. 1 AuslG.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 14 Abs. 1, 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 GKG in der gemäß § 72 Nr. 1 GKG maßgeblichen Fassung der Bekanntmachung vom 15. Dezember 1975 (BGBl. I, S. 3047), zuletzt geändert durch Gesetz vom 14. März 2003 (BGBl. I, S. 345). In Fallkonstellationen der vorliegenden Art bewertet der Senat in ständiger Rechtsprechung das Interesse des Ausländers an einem Obsiegen mit der Hälfte des gesetzlichen Auffangstreitwerts gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG, ohne dass die Abschiebungsandrohung streitwerterhöhend Berücksichtigung findet. Die Befugnis zur Abänderung der Streitwertfestsetzung erster Instanz ergibt sich aus § 25 Abs. 2 Satz 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).



Ende der Entscheidung

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